12) S. von Sardes, Dichter von Epigrammen fast ausschließlich päderastischen Inhalts. Seine Vaterstadt ist nur durch das Lemma bezw. das Scholion des Cod. Palatinus (s. Preisendanz Anth. Palat. Cod. Graeci et Latini photographice depicti duce Sc. de Vries XV, 1911, p. XIII) bekannt; Diog. Laert. V 61 nennt seinen Namen ohne Gentile. Eine genauere Bestimmung seiner Zeit ist von der Zuweisung des Epigramms Anth. Pal. XI 117 an den Arzt (Artemidoros) Capiton abhängig, der unter Hadrian lebte (Wellmann o. Bd. II S. 1332). Man hat dieses einzige stratonische Skoptikon um des ganzen sonstigen Wesens des Dichters willen ihm absprechen zu müssen geglaubt (L. Schmidt o. Bd. I S. 2382), aber ein solcher Grund bliebe sehr einseitig, sind doch Stratons päderastische Epigramme auch häufig genug von Spott durchsetzt (z. B. XII 236. 237. 255), wie denn der mehr oder minder schmutzige Witz, die unaufhörlichen Zoten hier eine Hauptrolle spielen. Da nun das 11. Buch mehrere Stücke S.s enthält, die dementsprechend aus Philippos’ Kranze stammen, so ist von vornherein unwahrscheinlich, ja höchst töricht, was jenes Scholion über das 12. Buch der Anthologie als ein von S. selbst zusammengestelltes mehr oder weniger deutlich aussagt. Dem widerspricht besonders das Endgedicht des Buches (258), worin der Poetaster von seinem noch unabgeschlossenen päderastischen Dichten redet. In der Hauptsache ist man sich demgemäß seit langem darüber klar, daß es sich hier um eine von einem Sammler veranstaltete Auswahl aus der Summe stratonischer Epigramme handelt, die fast ausschließlich päderastische Themen behandelten (s. u. a. Weißhäupl Die Grabgedichte der griech. Anthologie. Abh. d. Wiener arch. epigr. Semin. 1889, 41–43. Susemihl Alexandrin. Literaturgesch. II 568f.). Das Eigentum S.s steht demnach mit einer Ausnahme (Planudes XVI 213: Μελεάγρου oἱ δὲ Στρατώνας: letzterer sehr unwahrscheinlich der Autor) fest, enthält also diese Stücke: XI 19. 21. 22. 117. 225. XII 1–11. 13. 15. 16. 21. 175–229. 231. 234–255. 258. – Das durchgehende Thema seiner Gedichte bezeichnet nun nicht sowohl seine Persönlichkeit als das ganze Wesen jener letzten griechischen Dichterlinge. Wie Lukillios’ Sächelchen fast ausschließlich den Inhalt des 11. Buchs der Anthologie bilden, und seine Skoptika nach mehreren Vorgängern dieses Genos besonders nachdrücklich ausgestalten (s. o. Bd. XIII S. 1781), so bestellt S. mit gleicher Gründlichkeit das von ihm aufgesuchte, seit manchem Jahrhundert von Poeten und Poetastern betretene und bereits durchpflügte, aber allem Anschein nach noch nicht völlig ausgebeutete Gebiet. Es handelt sich also nicht um ein ausgelassenes Schwelgen in Hoffnungen und Erlebnissen perverser Erotik oder auch um lüsternes päderastisches Träumen, sondern um eine methodische Beschäftigung mit [277] den Themen und Motiven einer zumeist ekelhaften Dichtungsart, die nun nach so vielen Vorläufern schon den Ausdruck Dichtungssorte verdient. Der treffliche Meineke hat bei der Behandlung eines stinkend schmutzigen päderastischen Epigramms bereits des Dioskorides (XII 42) gesagt: Dura est sed inevitabilis philologorum sors, ut ne foedissimas quidem quaestiones detrectare debeant (Delectus poetar. anthol. graecae 1842, 160). Nun, wer sich dieser Pflicht vorübergehend unterwirft und S. durchstudiert, der erkennt bald, daß es sich hier ausschließlich um ein möglichst restloses Durchspielen aller jener erotischen Motive handelt, die die Vergangenheit aufgehäuft hatte; alles ist hier reine Epideiktik, so zwar, daß, wo etwa Parallelstellen fehlen, gleichwohl Variierung älterer Vorwürfe anzunehmen ist. Den Beweis dafür auf breitem Raum durchzuführen, hätte keinen Zweck angesichts der notwendigen größeren Aufgabe einer Gesamtdarstellung dieser ganzen epideiktischen, nach bestimmten Mustern im Stile der μελέται sich abmühenden Dichterei, ein Bild, das uns das Verdorren auch dieses bescheidenen Pflänzchens griechischer Poesie in fast lückenloser Folge vor Augen führen würde. Daher mögen einige, darunter auch recht drastische Beispiele genügen. Da gilt es natürlich wieder das alte – Schulthema, muß man leider wohl sagen –, ob Knaben- oder Weibesliebe höher zu schätzen sei, zu behandeln (XII 7), das wir ja u. a. so genau aus Ps.-Lukians Ἔρωτες 19ff. Plut. amat. 751 a ff. Achill. Tat. II 35. Ovid. ars am. II 683f. kennen. Dann lesen wir die bekannte Mahnung: Sei gefällig, denn deine Blüte dauert nur so kurz: XII 215. 224 ( 234f.) = der theognideischen μοῦσα παιδική 1299f. Alkaios XII 29. Diokles XII 35. Automedon XI 326. Horat. carm. IV 10 (s. dazu Kießling-Heinze); vgl. auch noch Ovid. met. X 84f.; damit hängt dann das unaufhörliche Spiel mit dem Motiv vom männlich werdenden Knaben zusammen: XII 178. 191. 195. 215. 220. 229. 234f. = Phanias XII 31. Meleager 33. Asklep. Adramytt. 36. Martial. IV 7, aus dem S. natürlich nicht schöpft, wie man wohl gemeint hat: in denselben Gedankenbereich gehört der Hinweis auf spätere ähnliche Erlebnisse des jetzt noch knabenhaften Geliebten: XII 16. 193 Phanias 31. Der Liebende beneidet ferner alles, was irgendwie mit dem Knaben, den er 196, 2 sogar δέσποτα (vgl. 229, 6) nennt, in Berührung kommt: 15 (190). 208. 213 Rhianos (ὡς Ῥιανοῦ) 142. Abgesehen nun von einer Reihe besonders schmutziger, natürlich wieder aus der Literatur zu belegender Motive: XII 187. 206. 222 Automedon 34, vgl. auch die Situation bei Petron. 85. – XI 21 Diog. Laert. VI 2, 59. – XI 22, 2 = Lucil. v. 72 Marx. – XII 225 = luvenal. IX 44. – XII 4, 8 Ps.-Lukian. am. 26, sowie von den Priapeia: 3. 11. 216 vgl. Skythinos 232. Ovid. am. III 7, 65. Priap. 83 – nebenbei S. 1f. Priap. II: Jacobs (240 Impotenz des Alters Maximian: el. V 49f.) – tritt die Epideiktik besonders stark in dem Bekenntnis des Dichters hervor, daß er, bald von diesem, bald von jenem Reiz, auch von verschiedenen Altersstufen der Knaben angezogen, sich nicht auf einen einzigen Geliebten beschränken könne: XII 4f. 198. 227. 244. 246 Rhianos 93. [278] Polystratos 91. Meleag. 94. ἄδ. 87–89. (Ovid. am. II 4, 9f.) Tibull. I 4, 9; die gleiche Tradition zeigt S.s ars amandi 21. 183. (184). 200. 209. Selbstverständlich darf auch das Motiv von den pueri ad cyathos nicht fehlen: 175 Martial. IX 25 (Jacobs), um nicht vom Verdruß des Dichters über den Geld verlangenden Buhlknaben zu sprechen (6): 212. (214). 239 Glaukos 44, noch gar von dem seit alter Zeit (Theognis 1345ff.) geübten Vergleich mit Ganymedes (254, freilich mit besonderer Pointe), zu dem Belegstellen sich erübrigen; andererseits ist 249 (Knabe und Biene) keine ganz üble Variation von Meleager V 163. – Was von S.s Erotik gilt, wiederholt sich auch auf dem Gebiet des skoptischen Epigramms: das Gedicht XI 19 auf Capiton (s. o.) ist durchaus lukillischen Geistes. Und so läßt sich bei diesem Poetaster, der sich ja auch selbst variierte (XII 242 = XI 21), fast alles auf irgendein Vorbild oder, im besten Falle, auf eine ziemlich gleichartige Stimmung zurückführen (z. B. XI 19 Asklepiades V 85). Er ist ganz und gar ein Buchpäderast, der entsprechend Meleagers Leporelloliste die Namen seiner Lieblinge (darunter 194 ein Agrippa) wechselt, der auch als reiner Epideiktiker gern das Licht seiner Bildung leuchten läßt, wenn er z. B. Kallimachos (frg. 490) benutzt (XII 4, 6) oder das bekannte wundervolle Bild von der untergehenden Sonne (vgl. π. ὕψους IX 13) braucht (178) oder auf Poseidippos’ Ἀποκλειομένη hinweist oder endlich seine Kunde isopsephischer Mätzchen (XII 6) zu verraten bemüht ist. Als ganze Erscheinung bleibt er demnach, wiederhole ich, ein Symptom für das letzte Stadium epideiktischer griechischer Versmacherei der zwei ersten Jahrhunderte n. Chr.: dafür bietet er allenfalls ,schätzbares Material‘, ungefähr in demselben Maße wie sein bitteres Urteil über die ,hesperische Perfidie‘ (XII 250, 6) für die Wertung der Römer beim hellenischen Publikum. – Nachgeahmt kann ihn (193) dann Fronto (XII 233), wenn dies der berühmte Rhetor sein sollte, haben; übersetzt hat Ausonius ep. 59 p. 334 Peip. das ekelhafte Gedicht S.s XI 225.
[Geffcken.]
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