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Kyrios.

Literatur. Zum Ganzen: Deissmann Licht vom Osten² 265f. Bousset Kyrios Christos² 1921, 77f. Lietzmann zu Röm. 10, 9 (Handb. zum Neuen Testament III 1², 93–96). Nur den heidnisch-hellenistischen Gebrauch des Titels berücksichtigen die Materialzusammenstellungen von Drexler Myth. Lex. II 1755f.; vgl. auch R. Wünsch Arch. f. Rel. XII 39. In den alttestamentlichen Herrentitel betreffendem Fragen verdankt Verfasser Herrn Prof. Grafen Baudissin briefliche Hinweise. Über den christlichen Gebrauch handeln ferner Wernle Ztschr. f. Theol. u. Kirche XXV (1915) 1f. Althaus Neue kirchl. Ztschr. XXVI (1915) 439f. 518f. Bousset Jesus der Herr (1916), einige weitere Literatur bei Lietzmann. –

Die Erscheinungen, die unter diesem Stichwort zu behandeln sind, gehören zu denjenigen, durch welche sich der Hellenismus von der älteren griechischen Kultur deutlich abhebt.

Es ist bekannt, daß die Verehrung der Götter als κύριοι (κύριαι) den Kulten des orientalischen Hellenismus eigentümlich ist. Die Hauptzeugen, Inschriften und Papyri, setzen um die Wende zur römischen Zeit ein: in Ägypten Anfang des 1. Jhdts. v. Chr. (in Titeln der Isis: S. Βοusset 95, 5), in Syrien zu Beginn des 1. Jhdts. n. Chr. (Cagnat III 1086 Abila, zw. 14 u. 29; Κρόνῳ κυρίῳ; vgl. ebd. 1111. 1127): sie erstrecken sich weiter über Kleinasien und Thrakien; auf lateinischem Sprachgebiet entsprechen dominus und erus (Material bei Drexler). Demgegenüber ist deutlich sekundär, was sich vereinzelt und nur in späterer Zeit auf dem Boden des griechischen Mutterlandes findet (z. B. IG V 1, 692 Sparta τῆι κυρίαι πατρίδι). In der älteren griechischen Literatur begegnet unter den Prädikaten der Götter wohl einmal das Wort κ. (Pind. Isth. V 58 Ζεὺς ὁ πάντων κύριος), doch trägt das den Charakter der Zufälligkeit und ist von dem stehenden Titel des Hellenismus zu trennen.

Mit dem Götterepitheton κ. hängt der K.-Titel bei Herrschern zusammen. Das beweist die Gleichzeitigkeit des ersten Auftretens beider Erscheinungen, die für Ägypten wenigstens feststeht (Bousset 96); vor allem ist wichtig, daß bei beiden dieselben Formeln begegnen. Diese seien für κ. als Prädikat von Gottheiten durch folgende Beispiele gekennzeichnet: Dittenberger Syll. inscr. or. 186 (Philae, 62 v. Chr.) πρὸς τὴν κυρίαν Ἶσιν; ebd. 185 (69 v. Chr.) παρὰ τῇ Ἴσιδι τῇ κυρίᾳ, Cagnat III 1111 (Arabien, Acraba, 79 n. Chr.) Διὶ κυρίῳ; Pap. Oxyrh. VIII 1148, 1 (1. Jhdt. n. Chr.) κύριέ μου Σάραπι Ἥλιε εὐεργέτα; Pap. Par. nr. 19, 5 (138 n. Chr.) ἀπὸ τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἑρμοῦ. Völlig Entsprechendes begegnet unter den häufigsten Titeln der römischen Kaiser: ὁ κύριος Νέρων in Pap. Lond. II, Νέρων ὁ κύριος Pap. Lond. III. κύριε Καῖσαρ Pap. Oxyrh. Ι 33 III 1; κύριέ μου Καῖσαρ in Pap. Par. nr. 68 C, 8; ὁ κύριος ἡμῶν (Hadrian) Pap. Tebt. II 286, 1023 (im Munde von Beamten). Über das Wie des Zusammenhanges ist man allgemein der Ansicht, daß der K.-Titel bei Herrschern religiöse Bedeutung hatte, in den hellenistisch-römischen Herrscherkult [177] hineingehöre und eine Teilerscheinung der Verehrung von Gottheiten als κ. sei. Vgl. Bousset 94; über die Bedeutung des Titels selbst am schärfsten Lietzmann a. O.: ‚Es ist also in hellenistisch-römischer Zeit das mit Hochton ausgesprochene κ. ein Titel, der nicht bloß die Herrschermacht, sondern auch die Gottheit seines Trägers besagt.‘

Hierbei kommt es auf dasjenige an, was von Lietzmann als ‚Hochton‘ bezeichnet wird. κ. ist nämlich im Hellenismus auch als bloßer ehrender Titel gebräuchlich, gegenüber der Frau (Epictet. Enchir. c. 10: αἱ γυναῖκες εὐθὺς ἀπὸ τεσσαρεσκαίδεκα ἐτῶν ὑπὸ τῶν ἀνδρῶν κύριαι καλοῦνται; vgl. Antiatt. bei Bekker Anecd. I p. 102, 20: κυρίαν οὔ φασι δεῖν λέγειν, ἀλλὰ κεκτημένην. τὸν δὲ κεκτημένον μὴ λέγεσθαι ἀντὶ τοῦ δεσπότου. Σατυρικοῦς κεκτημένον λέγει, Φιλήμων κυρίαν; als höfliche Anrede im Brief (Deissmann S. 118, 1., 129, 2. Jhdt. n. Chr.: τῷ πατρὶ καὶ κυρίῳ, κύριέ μου πάτερ; τῷ δεσπότῃ μου καὶ … ἀδελφῷ, κύριέ μου ἀδαλφέ); über die entsprechende Verwendung von dominus bei den Römern vgl. Μommsen R. St.-R. II³ 762, 3. Mehr bedeutet der Titel wohl, wo er gegenüber römischen Beamten gebraucht wird, insofern er ihnen wegen ihrer Befugnisse, vielleicht auch als Vertretern des Kaisers zukommt. Pap. Tebt. II 302, 11 (71/2 n. Chr.) τῷ κυρίῳ ἡγεμόνι; Ζ. 20: σοῦ τε τοῦ κυρίου γράψαντος αὐτῷ: ebd. 304, 14 (167 n. Chr.) als Anrede an einen δεκαδάρχης (decurio): κύριε. Wie demgegenüber der Titel ausgezeichnet ist, den die Kaiser als die Herren des römischen Weltreiches erhalten, ist ohne weiteres klar; womit gesagt ist, daß nicht eine religiöse Bedeutung zugrunde zu liegen braucht, wenn ihnen gegenüber das κ. mit Hochton angewandt wird. Daß es oft so empfunden wurde, steht wohl außer Zweifel: für Juden und Christen ist es mit ihrer Religion unvereinbar, den Kaiser als ‚den Herrn‘ anzuerkennen (Deissmann 257f. Lietzmann a. O.); Nero wird in einer im J. 67 gehaltenen Rede des ἀρχιερεὺς τῶν Σεβαστῶν Epaminondas als ὁ τοῦ παντὸς κόσμου κύριος Νέρων bezeichnet (IG VII 2768 III Ζ. 31); geringere Beweiskraft hat die Parallele, auf die Deissmann hingewiesen hat (S. 268), daß die Ableitung κυριακός dem Kaisertitel und dem κύριος Ἰησοῦς Χριστός gemeinsam sind. Indessen ist fraglich, ob man diese Fälle verallgemeinern darf. Wenn die Ablehnung des Titels dominus durch Augustus lediglich seinen despotischen Charakter voraussetzt (Μοmmsen R. St.-R. II³ 761, 1), so mag das nur für die ältere Zeit und nur für Rom gelten. Im allgemeinen aber ist zu bemerken, daß, wie oben gesagt, eine Auffassung des K.-Titels bei den Kaisern in rein profanem Sinn sehr wohl möglich ist, und daß seine Erfüllung mit religiösem Inhalt eigentlich von der jeweiligen Lebendigkeit der Überzeugung von der Göttlichkeit der Herrscher abhängt; ferner, daß doch wohl seine Anwendung auf die irdischen Machthaber die ursprüngliche ist und erst von da aus eine Übertragung auf die als Könige vorgestellten Götter stattgefunden hat. Die Verbindung κ. καὶ θεός, die bei Gottheiten und Kaisern begegnet und für die religiöse Bedeutung des K.-Titels in Anspruch [178] genommen zu werden pflegt (Deissmann 264. Lietzmann a. O.), beweist eher das Gegenteil; beide Prädikate haben in Zusammenhängen wie dem folgenden eigentlich nur den Sinn einer ehrerbietigen Formel: Dittenberger Or. 186 (Philae 62 v. Chr.) ἥκω πρὸς τὴν κυρίαν Ἶσιν καὶ πεποίηκα τὸ προσκύνημα τοῦ κυρίου βασιλέος θεοῦ νέου Διονύσου Φιλοπάτορος κτλ.; ebd. 607 (Syrien, Wadi Banda 156/7 n. Chr.). Διὶ [με]γίστῳ Ἡλιοπολείτ[ῃ] τῷ κυρίῳ ὑπὲρ σωτηρίας κυρίου Καίσαρος; vgl. ebd. 606, 1 und 9. Es ist nun wichtig, daß die oben zitierten Typen, in denen der K.-Titel bei den römischen Kaisern begegnet, keineswegs als Fortsetzung einer älteren hellenistischen Titulatur erscheinen. Hier treten vielmehr vollere Wendungen auf, τοῦ κυρίου βασιλέος θεοῦ (Ptolemaios XIII. s. ο.), κύριοι θεοὶ μέγιστοι (Ptolemaios und Kleopatra, S.-Ber. Akad. Berl. 1902, 1096); Βασιλεῖ Ἡρώδει κυρίῳ (Herodes d. Gr., Dittenberger Or. 415), κυρίου βασιλέος Ἀγρίππα (Herodes Agrippa I., ebd. 418, 41 n. Chr.). Gegenüber dem einfachen und eben deshalb inhaltsreichen (ὁ) κύριος der Kaisertitulatur scheint hier das Wort, wie oben für die Verbindung κ. καὶ θεός angedeutet wurde, neben den hinzutretenden Begriffen an Stärke zu verlieren; in der Wendung κύριοι θεοί, die auch bei Göttern begegnet (Pap. Tebt. II 248, 6, 1. Jhdt. v. Chr.: ὡς θέλει ὁ Σεκνεβτῦνις ὁ κύριος θεός; Dittenberger 194, Ägypten, 42 v. Chr., Z. 25. 29; τῶν κυρίων θεῶν), könnte es auch Adjektiv sein; doch vgl. Iulian. or. V p. 174; οἱ δεσπόται θεοί. Jedenfalls besteht hier noch ein fühlbarer Zusammenhang mit den typischen Formeln des Titels, was in anderen Fällen zweifelhaft oder unwahrscheinlich ist. Die Singularität der Titel κύριος βασιλειῶν, τριακονταετηρίδων auf dem Stein von Rosette (Dittenberger Or. 90 Z. 2) aus dem J. 196 v. Chr. als wörtlicher Übersetzungen aus dem ägyptischen Grundtext ist schon bemerkt worden (Bousset 93); gänzlich fernzuhalten ist wohl ebd. Z. 39: ὁ κυριώτατος θεὸς τοῦ ἱεροῦ (d. h.: derjenige Gott, der in erster Linie Eigentümer des Heiligtums ist, vgl. Dittenbergers Anmerk.). Dagegen hängen mit dem Herrschertitel wieder sehr eng einige Stellen zusammen, die bis ins 3. Jhdt. v. Chr. zurückführen. Dittenberger Or. 54, 239/8 v. Chr. Z. 13 (Ptolemaios III.): κυριεύσας δὲ τῆς τε ἐντὸς Εὐφράτου χώρας πάσης καὶ Κιλικίας κτλ. Pap. Lond. Ι 23, 158/7 v. Chr. Ζ. 29: der Schreiber dieses Briefes bete für Ptolemaios Philometor und seine Kinder, ὅπως κυριεύητε πάσης χώρας ἧς ὁ ἥλιος ἐφορᾷ. Pap. Leyd. Ι G XIV betet ein Priester für Ptolemaios Alexander und Berenike, die Götter mögen ihnen verleihen ὑγιείαν …. σθένος, κυριείαν τῶν ὑπὸ τὸν οὐρανὸν χώρων. Dieser Gebrauch des Wortes κυριεύειν ist nun noch älter. Xen. mem. II 6, 22: διὰ γὰρ τὴν ἀρετὴν αἱροῦνται μὲν ἄνευ πόνου τὰ μέτρια κεκτῆσθαι μᾶλλον ἢ διὰ πολέμου πάντων κυριεύειν: III 5,10: πρὸς τοὺς κυριεύοντας τῆς τε Ἀσίας πάσης καὶ τῆς Εὐρώπης μέχρι Μακεδονίας καὶ πλείστην τῶν προγεγονότων δύναμιν καὶ ἀφορμὴν κεκτημένους καὶ μέγιστα ἔργα κατειργασμένους; und überhaupt ist es – während, wie oben bemerkt, κ. bei Göttern in älterer Zeit kaum einmal vorkommt [179] – im älteren Griechisch üblich, den Leiter des Staates ὁ κύριος zu nennen. Aus den Belegen der Lexika sei hier nur zitiert Soph. OC 1643: πλὴν ὁ κύριος | Θησεὺς παρέστω; die Worte des Päans der Athener auf Demetrios Poliorketes κύριος γὰρ εἶ σύ (Athen. VI 253), der dem orientalischen Hellenismus doch wohl noch nicht zuzurechnen ist, würden die Verbindung mit dem hellenistischen Herrschertum herstellen. Es wäre daher – wenn wir nun fragen, wie diese eingangs als dem orientalischen Hellenismus eigentümlich gekennzeichnete Erscheinung zustande gekommen sei – wohl möglich, daß die Benennung der Herrscher als κύριοι geradlinig aus altgriechischen Ansätzen sich entwickelt habe zu der Titulatur der Diadochen und der römischen Kaiser und von hier aus die leicht vollziehbare Übertragung auf die Götter stattgefunden habe. Daneben ist noch ein zweiter Grund möglich, den man als einzigen oder in Verbindung mit dem ersten wirkend denken kann, nämlich die Einwirkung der Kultsprache der orientalischen Religionen, nicht zwar, wie es scheint, der ägyptischen (vgl. Sethe bei Bousset 95, 3. Drexler 1756); dagegen kommt auf phönikischen Inschriften das Wort adon ‚Herr‘ ganz wie das hellenistische κ. als Epitheton von Gottheiten (s. Baudissin Adonis u. Esmun 1911, 66ff.; über die Bedeutung s. denselben, ZDMG 1916, 430ff.) und Herrschern (vgl. Baethgen Beitr. z. semit. Religionsgesch. 1888, 41) vor, desgleichen im Alten Testament, und in der Übersetzung der Septuaginta ist κύριος stehende Wiedergabe dieses Wortes (s. u.). Gegen die Annahme einer Gleichsetzung der Worte κ. und adon spricht es nicht, wenn CIS I 1, 89 (Idalion auf Cypern 375 v. Chr.) das phönikische בעלר... אדנך‎ ‚unser Herr Baʾalram‘ im griechischen Paralleltext durch ὁ ϝάναξ [Βααλραμος], ebd. 122 (Phoinikien, ungefähr 180 v. Chr.), ein לאדנך למלקרת בעלצר‎‎ ‚unserm Herrn Melqart dem Herrn von Tyrus‘ durch Ἡρακλεῖ ἀρχηγέτει wiedergegeben wird, da es sich ja hier deutlich um ein Einsetzen der im Griechischen gewohnten Termini, nicht um ein Angleichen der griechischen Sprache an die semitisch-orientalische handelt. Warum nun gerade κ. als Äquivalent empfunden wurde und man nicht die Worte beibehielt, mit denen der Grieche Götter als ‚Herren‘ bezeichnete, ist vorläufig nicht zu sagen; vielleicht hat auch nur der Gebrauch des Wortes als Bezeichnung des Herrschers den Anstoß gegeben. Überhaupt ist es gut sich darauf zu besinnen, wie unzureichend unsere Kenntnis der eigentlichen Bedeutung des Titels ist. Vor allem darf man hier ebensowenig uniformieren, wie man sich in der Frage nach der Herkunft des Titels auf eine Möglichkeit festlegen darf. Gewiß mag der Titel oft in der Idee der Gottesknechtschaft begründet sein, was manchmal die (freilich nie eindeutige) Stellung im Kontext nahelegt: auf einer Inschrift aus Syrien bezeichnet sich ein Lukios als δοῦλος der syrischen Göttin, πεμφθεὶς ὑπὸ τῆς κυρίας [Ἀ]ταρ[χ]άτη[ς] (zitiert bei Bousset 96, 5); betreffs des Herrschertitels κ. vgl. Epictet. I 19, 9. Um dies aber ohne weiteres verallgemeinern zu dürfen (Lietzmann: ‚In allen diesen Fällen [180] ist der Sinn der Bezeichnung völlig deutlich: der Gott oder der göttliche Herrscher ist der Herr gegenüber den ihm untergebenen Sklaven‘), ist der weitere Verwendungsbereich des Wortes κ., der viel mehr umfaßt als nur das Verhältnis zwischen Herrn und Sklaven, zu mannigfach. Es handelt sich doch um ein sachlicheres Verhältnis zwischen Herrn und Beherrschtem, wenn der Kaiser (zuerst Nero, s. o.) als Herr der Welt, Isis als κυρία αὐξήσεως καὶ φθορᾶς, κ. τῆς γῆς, κ. θαλαττίων καὶ ποταμίων στομάτων, κ. στρατείας καὶ ἡγεμονίας, κ. φωτὸς καὶ φλεγμάτων, κ. πάσης χώρας (Pap. Oxyrh. XI 1380, Anfang 2. Jhdt. n. Chr. Ζ. 195. 222. 123. 240. 248. 24) bezeichnet werden, ebenso bei dem absoluten ὁ κύριος, das alles dies einzuschließen scheint. Manchmal wieder betont das κ. – wenn man das aus dem Zusammenhang schließen darf –, daß die Gottheit wirklich die Fähigkeit hat, die Geschicke der Menschen zu lenken: ὡς θέλει ὁ Σεκνεβτῦνις ὁ κύριος θεός (s. o.): Pap. Fayum 138, 1 (1. oder 2. Jhdt. n. Chr.) κύριοι Διόσκουροι, ἦ κρείνεται αὐτὸν ἀπελθεῖν ἐς πόλιν. Es ist daher schwer zu sagen, welches inhaltlich Neue mit dem Titel gegenüber entsprechenden Termini der altgriechischen Religion gegeben ist; eine Frage, die, in ihrem weiteren Sinne gestellt, ein Zentralproblem in der Frage nach der Entwicklung des Gottheitsbegriffes bei den Griechen bedeuten würde. Im älteren Griechisch begegnen als Prädikate der Götter die Worte ἄναξ, ἄνασσα, πότνια (seit Homer), δεσπότης, δέσποινα (auch βασιλεύς, falls man das noch hierher beziehen darf), um diese in den mannigfachsten Zusammenhängen als die ‚Herren‘ zu bezeichnen: als Herren eines bestimmten Landes (Aesch. Eum. 288 χώρας ἄνασσαν τῆσδ’ Ἀθηναίαν) des Kultortes (Soph. OR 1104 ὁ Κυλλάνας ἀνάσσων), der Kultfeier (Arist. ran. 384f. ἁγνῶν ὀργίων ἄνασσα: Demeter), bestimmter Wesen, die der Gottheit Untertan sind (Artemis πότνια θηρῶν, Hom. Il. XX 470); ferner – wie im Hellenismus – als Allherrscher (Pind. Isth. V 58 Ζεὺς ὁ πάντων κύριος; Soph. OC 1085 Ζεῦ πάνταρχε θεῶν παντόπτα; vgl. besonders Hom. hymn. Cer. 365 δεσπόσσεις πάντων ὁπόσα ζώει τε καὶ ἕρπει) und schlechthin als ‚Herren‘, im Sinne eines bloßen Titels (Aesch. frg. 379 δέσποινα νύμφη δυσχίμων ὀρῶν ἄναξ; Soph. Rhizot. frg. 480, 1 Ἥλιε δέσποτα; Arist. vesp. 389 ὦ Λύκε δέσποτα, γείτων ἥρως; pax 385 ὦ δέσποθ’ Ἑρμῆ; Soph. El. 626 τὴν δέσποιναν Ἄρτεμιν). Wenn dagegen hier die Sitte zu fehlen scheint, den Göttern auf Inschriften den Beinamen ‚Herr‘ zu geben, so ist das zunächst wohl nur ein Unterschied des Stiles, der aber vielleicht insofern mehr bedeutet, als durch die ausschließliche Hervorhebung dieses Momentes im Gottheitsbegriff in diesem auf Kürze und Sachlichkeit angelegten Quellen die Bedeutung des Titels eigentümlich akzentuiert wird. Hiermit könnte man nun den allgemeineren Bedeutungsunterschied in Zusammenhang bringen, daß den genannten altgriechischen Termini gegenüber κ. zu betonen scheint, daß der so Angeredete wirklich, nicht nur dem Namen nach Herr ist (so Böhlig); ferner, daß der Gedanke der Gottesknechtschaft in der altgriechischen Religion kaum sehr lebendig gewesen [181] ist (Ausnahmen z. Β. Eur. Bacch. 366: τῷ Βακχίῳ γὰρ τῷ Διὸς δουλευτέον; Plat. ep. VIII 354e: μετρία ἡ θεῷ δουλεία; vgl. Lietzmann zu Röm. 1, 1; entfernter vielleicht noch das homerische θεράποντες Ἄρηος, s. Archilochos fr. I, 2 θεράπων Ἐνυαλίοιο ἄνακτος), der Grieche vielmehr, im Gegensatz zu dem Orientalen, dem Gotte wie dem Herrscher als Freier gegenübertritt und so die Bezeichnung ‚Herr‘ hier mehr als dort in uneigentlichem Sinne gebraucht wird. Indessen ist wohl anzunehmen, daß Bedeutungsunterschiede dieser Art weniger an die einzelne Vokabel als an die Kulturepoche gebunden sind, und daß daher κ., das freilich ein Lieblingswort des Hellenismus geblieben ist, auch durch δεσπότης vertreten werden kann: Cagnat III 1087 (Syrien, Abila, 157 n. Chr.) Διὶ μεγίστῳ Ἡλιοπολείτῃ τῷ κυρίῳ; ebd. 1069 (Syrien, Heliopolis) Θεῷ μεγίστῳ Ἡλιοπολίτῃ δεσπότῃ.

Mit dem Ansatz für das erste Auftreten des hellenistischen K.-Titels ist vielleicht wegen des in der Septuaginta sich findenden Gebrauches des Wortes bis ins 3. Jhdt. v. Chr. hinaufzugehen, falls letzterer wirklich das Vorhandensein eines entsprechenden hellenistischen voraussetzt (vgl. übrigens Sosiphanes frg. 3, 5 Nauck²: τῷ κυρίῳ Ἅιδῃ). Die Ansicht Deissmanns nämlich, die einschneidende Änderung der Septuaginta gegenüber dem hebräischen Text, der Ersatz der alttestamentlichen Gottesnamen durch κύριος bedeute – im Sinne seiner These von der ‚Hellenisierung des semitischen Monotheismus‘ – nichts als eine Übernahme des heidnisch-hellenistischen Titels (N. Jahrb. XI 1903, 174), erweist sich sogleich als zu weitgehend. Das hebräische Original geht ja in der Formel Herrentitel plus Eigenname der Gottheit – dem adon jahweh – mit dem Hellenismus gerade zusammen, und beiden gegenüber erscheint es als ein völlig Neues, wenn die LXX ein κ. ohne jeden Zusatz bietet. Es bestehen nun zwei weitere Möglichkeiten: entweder ist der Titel des heidnischen Hellenismus übernommen und nur den religiösen und sprachlichen Gewohnheiten des Judentums angepaßt worden; oder es liegt lediglich eine wörtliche Übertragung hebräischer Wendungen ins Griechische vor. Eine Entscheidung ist eben deshalb kaum zu treffen, weil hier das Hebräische von vornherein mit dem Hellenismus, dessen K. ja, wie oben angenommen, aus dem Orient stammt, verwandt ist. So begegnet κ. in der LXX, dem adon des Originals genau entsprechend, als ehrende Anrede höherstehender Personen: Gen. 32, 4 οὕτως ἐρεῖτε τῷ κυρίῳ μου Ἡσαῦ· οὕτως λέγει ὁ παῖς σου Ἰακωβ (‚dein Knecht Jakob‘, angeredet ist Esau); 31, 35 μὴ βαρέως φέρει κύριε (Rahel zu ihrem Vater Laban). Als Bezeichnung für Gott stellt das Wort freilich meist an Stelle des Eigennamens Jahweh; doch ist es oft auch Wiedergabe eines adonaj (schon Ex. 4, 10. 15, 17. Dt. 3, 24: κύριε), das im späteren Judentum bei der öffentlichen Verlesung der heiligen Schriften als Ersatz für den Gottesnamen Jahweh, den man vermeiden wollte, diente, so daß das Verhalten der Septuaginta einer Fortsetzung dieser Tendenz in der jüdischen Diaspora entspringen könnte (s. Dalman Gesch. des Gottesnamens Adonaj 1888, 42. [182] 149; anders A. Geiger, ebd. zitiert: adonaj sei erst in Nachahmung des hellenistischen κ. eingeführt worden). Bei dieser Erklärung ist dem Einwand zu begegnen, daß doch das hebräische Wort im Plural stehe und mit dem Personalsuffix der 1. Pers. sg. versehen sei. Nur letzteres wird bisweilen bei der Übersetzung des gegenüber Gott gebrauchten adonai berücksichtigt (Jud. 6, 15 adonai: κύριέ μου). Indessen war in späterer Zeit das Suffix verblaßt, so daß man adonai, als Eigennamen Jahwehs, in der Bedeutung ‚der Herr‘ verstand (Baudissin ZDMG LXX 1916, 433, gegen Dalman a. a. O.). Dafür, daß schon die Septuaginta das hebräische Wort als Eigennamen auffaßten, darf man wohl die Transkription ἀδωναί (I. Reg. 1, 11; Ezechiel passim; ἀδωναϊέ Jud. 13, 1, 16, 28; vgl. Βαάλ) anführen (obgleich es auch wieder in seiner ursprünglichen Bedeutung gefaßt erscheint: Ps. 15, 2 εἶπα τῷ κυρίῳ (jahweh) κύριός μου (adonaj) εἶ σύ); wie andererseits κ. eigennamenartig für den Namen Jahweh eingesetzt wird. – An das sehr selten vorkommende absolute adon für Jahweh (Baudissin a. a. O.) wird man κ. nicht anschließen dürfen. – Unabhängig aber von der Frage nach der Herkunft ist doch wohl anzunehmen, daß der K. der Septuaginta als ‚der Herr‘ schlechthin gegenüber den πολλοὶ κύριοι der Heiden zum Exponent des jüdischen Monotheismus werden mußte.

Über den Gebrauch des Titels im ältesten Christentum, wo er Christus beigelegt wird, soll nur noch kurz berichtet werden. Die Frage nach der Herkunft liegt hier besonders kompliziert, da der heidnische Hellenismus, das hellenistische und das palästinische Judentum in gleicher Weise in Betracht kommen. Βοusset ist mit einer geschlossenen Argumentation für die erste Möglichkeit eingetreten: in der jüdischen Religion fehle jede Möglichkeit einer Anknüpfung des Titels, denn eine einfache Übertragung des Beinamens des alttestamentlichen Gottes auf Jesus, dem eine ganz andere Rolle im Kult zukomme, sei nicht denkbar. Auch bestünden rein sprachliche Schwierigkeiten: als einziges Äquivalent im Aramäischen der Zeit Jesu komme das Wort mar in Betracht, das indessen nur mit Personalsuffix gebraucht werde, während für Jesus der absolute Gebrauch des K.-Titels charakteristisch sei (demgegenüber ist freilich wieder die schon oben gekennzeichnete Belanglosigkeit des Personalsuffixes zu betonen). Dagegen habe Jesus sehr wohl von griechischen Christen als der ‚Kultheros‘ seiner Gemeinde, im Sinne der hellenistischen Kyrioi, aufgefaßt werden können; auch spreche die ältere Geschichte des christlichen Herrentitels dafür, daß er der jerusalemischen Gemeinde fremd gewesen und erst in christlich-hellenistischen Kreisen aufgetreten sei: er fehle nämlich in der ältesten synoptischen Tradition (widersprechende Stellen, besonders Mc. 11, 3, werden von Bousset als sekundär eliminiert); der spätere Sprachgebrauch begegne zuerst bei Lucas und habe in Paulus seinen eigentlichen Vertreter, trage aber hier nicht den Charakter einer Neuschöpfung des Paulus, sondern einer selbstverständlichen Voraussetzung in den Christengemeinden, [183] an die der Apostel schreibt und deren Gedanken er aufnimmt.

Wenn dieser Beweisgang auch nicht zwingend sein mag, so bedeutet er doch wohl den bestfundierten Versuch einer Herleitung des Titels und wird durch die Argumente der Gegner Boussets kaum getroffen. Gegen die von Wernle (S. 21) und Althaus (S. 455) aufgestellte Behauptung, der Titel komme Jesus erst nach seiner Erhöhung zu und fehle deshalb in den Evangelien, vgl. Bousset selbst 1916, 14f. Das gegen Bousset selbst oft ausgespielte maranatha zeigt nur, daß der Titel auch im Aramäischen auf Jesus angewandt wurde, läßt aber im Zweifel, ob es sich wirklich um einen Gebetsruf der jerusalemischen Gemeinde handelte und nicht vielmehr um eine bei der Zweisprachigkeit des orientalischen Hellenismus leicht erklärliche Übersetzung einer Formel, wie des in der Apokalypse begegnenden ἔρχου Κύριε Ἰησοῦ, ins Aramäische (vgl. Bousset 90, 1).

Endlich ist es auch unwahrscheinlich, daß Jesus den Titel erhielt, indem Septuagintastellen, wo κ. als Name Gottes vorkommt, auf den Messias gedeutet werden; vgl. Wernle 20. Althaus 534f.; Zeitschr. Th. K. 1915, 76. Erwähnt sei noch die These von Althaus (532–534), Jesus sei schon zu Lebzeiten mit dem – profanen – Titel ‚Herr‘, und zwar aramäisch mar, angeredet worden, welches Prädikat unter dem Eindruck des Erlebnisses der Auferstehung religiösen Sinn erhalten habe.

Vielleicht aber ist die gesamte Fragestellung zu korrigieren: in der hellenistisch-orientalischen Welt war der Titel ‚Herr‘ als Prädikat der Gottheit gebräuchlich; selbst die Juden empfanden die Herreneigenschaft ihres Gottes Jahweh nicht als hiervon wesentlich unterschieden: nur darum handelte es sich im einzelnen Falle, welchem Gotte man diesen Rang zusprechen oder aberkennen wollte. Die weitere Nüancierung in der Bedeutung des Titels ist mehr eine Frage nach dem Charakter seines jeweiligen Trägers; in diesem Sinne ist es richtig, wenn man in dem Herrennamen Jesu alles ausgedrückt findet, was der ‚Herr Jesus‘ im Kult seiner Gemeinde bedeutet (Bousset 84ff. Böhlig Ztschr. nt. W. 1913, 33ff.).

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