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Feder. Um die Schrift auf den Papyrus aufzutragen, hat sich das Altertum meist der Rohrfeder (κάλαμος) bedient. Vielleicht ist dies Werkzeug den Griechen zugleich mit der Charta (s. Bd. III S. 2185) von Ägypten aus bekannt geworden; wenigstens haben die Hebräer ihre Schreibkunst von den Ägyptern gelernt (Riehm-Bäthgen Handwörterbuch des biblischen Altertums II2 1435), und ihr Schreibzeug wird von den Septuaginta meist mit κάλαμος wiedergegeben (Ps. 45, 2 κάλαμος γραμματέως ὀξυγράφου. III Makk. 4, 20 γραφικὸς κάλαμος). Auch bezog man noch in der Kaiserzeit das Schreibrohr mit Vorliebe vom Nil (Mart. XIV 38 dat chartis habiles calamos Memphitica tellus), obgleich das Rohr von Knidos und das vom Anaïtischen See in Armenien (s. Bd. I S. 2030) geeigneter waren, Plin. n. h. XVI 157 chartisque serviunt calami, Aegyptii maxime cognatione quadam papyri. probatiores tamen Cnidii et qui in Asia circa Anaeticum lacum nascuntur. Im Edictum Diocletiani XVIII 12 werden als beste die κάλαμοι Παφικοὶ Ἀλεξανδρεῖνοι μονογόνατοι erwähnt, das heißt nach dem Sprachgebrauche des Monuments ,Schreibfedern aus Paphos nach alexandrinischem Muster‘ (Blümner Maximaltarif des Diocletian 148). Auch diese Vorbildlichkeit erklärt sich vielleicht aus dem ägyptischen Ursprung des Schreibrohrs.
Neben Importrohr mag man in Griechenland auch einheimisches Schilfrohr verwendet haben, Dioskorides I 114 nennt den κάλαμος συριγγίας πολύσαρκος πυκνογόνατος, εἰς βιβλιογραφίαν ἐπιτήδειος, d. i. Arundo phragmites Lin. (H. O. Lenz Botanik der Griechen u. Römer 237); s. a. Joh. Beckmann Beiträge z. Geschichte der Erfindungen III 48. Ihrer Verwendung entsprechend heißen die Schreibrohre auch κάλαμοι γραφεῖς (Poll. X 61) oder γραφικοὶ κάλαμοι (Geop. X 75, 8. 77, 7); dichterisch werden auch die anderen [2099] Worte für Schilfrohr, δόναξ, δονακεύς, verwendet (Anth. Pal. VI 63–66), und in später Prosa erscheint einmal das Deminutivum δονακίσκος Nicet. Chon. 576, 17 Bekk.); σχοῖνος heißt es bei Jeremias 8, 8. Selten ist für F. die Bezeichnung γραφίς (Anth. Pal. VI 65. 67), die meist dem Griffel (s. d.) aufbewahrt wird. Sonst ist bis in späte Zeit nur κάλαμος gebräuchlich, so z. B. in dem Papyrus Mus. Brit. XLVI 312. 324 des 4. Jhdts. (C. Wessely Denkschr. Akad. Wien. XXXVI 38).
Durch Vermittlung der Griechen ist Wort und Sache nach Rom gekommen: lat. calamus für F. (Cic. ad Att. VI 8, 1; ad Qu. fr. II 14, 1. Hor. a. p. 447. Quint. inst. or. X 3, 31 u. ö.) ist griechisches Lehnwort (Lindsay-Nohl Die lat. Sprache 229), und das echt lateinische harundo ist für die Schreib-F. nur bei Dichtern anzutreffen (Pers. III 11 nodosa harundo. Mart. IX 13 Acidalia – d. i. der Venus gehörig, also knidisch oder paphisch – harundine. Auson. epist. VII 50 Cnidiae sulcus harundinis u. ö.). In Prosa sagt man genauer calamus scriptorius (Cels. V 28, 12 u. ö.); chartarius calamus bei Apuleius (Florida 9) scheint gewählter Ausdruck des höheren Stils zu sein. Im späteren Latein kommt für Rohr-F. noch die Bezeichnung canna auf (theca cannarum Edict. Diocl. X 17. Blümner 131), namentlich die Glossen (Corp. gloss. lat. II 337 κάλαμος μεθ' οὖ γράφομεν canna u. ö.) legen davon Zeugnis ab.
Die Rohr-F. werden mit einem Federmesser (σμίλα Anth. Pal. VI 62. 67. 295; scalprum librarium Suet. Vitell. 2; nur scalprum Tac. ann. V 8) zugeschnitten (καλαμογλυφοῦνταί Etym. M. 485, 34; calamo temperato Cic. ad Qu. fr. II 14, 1) und mit einem Spalt in der Mitte versehen (εὐσχιδεῖς κάλαμοι Anth. Pal. VI 68); sind sie vom langen Schreiben stumpf geworden, so werden sie am Bimstein geschärft (Anth. Pal. VI 63ff. u. ö.). Mit Messer und Stein zusammen bildeten die Rohrfedern den Hauptinhalt der calamaria oder graphiaria theca (Suet. Claud. 35; theca libraria Mart. XIV 20; griech. καλαμίς Poll. X 59). Abbildungen von calami und ihrem Zubehör sind uns namentlich durch unteritalische Wandbilder erhalten (W. Helbig Die Wandgemälde der vom Vesuv verschütteten Städte nr. 1719–1727). Verschenkt wurden sie bündelweise (Mart. XIV 38), wie man sie kaufte; das Bündel enthielt meist (10 oder) 20 Stück (Ed. Diocl. XVIII 13).
Durch die Funde der Neuzeit hat man eine zweite Art von Schreibfedern kennen gelernt, die Bronzefeder. Sie besteht, abweichend von unsern Metallfedern, mit dem Halter aus einem Stück; der runde, gerollte Halter läuft unten in eine Spitze aus, die durch einen Schnitt zweigeteilt wird. Dergleichen Metallfedern sind eine ganze Reihe gefunden worden: in Rom (Bull. d. Inst. 1849, 169), Pompeii, Aosta (ebd. 1880, 68. 150), Frechen bei Köln a. Rh. (Bonner Jahrb. 72, 96 mit Abbildung); in den Museen von Mainz und Trier befinden sie sich (ebd. 97) wie in denen von Liège und Nîmes (Daremberg-Saglio Dict. des ant. I 812 Anm. 15); s. auch Arch. Anz. 1900, 113 nr. 31 und E. Maionica Antike Schreiberrequisiten aus Aquileia, Festschr. f. Hirschfeld 360–368. Wann die Bronzefedern aufgekommen sind, wissen wir nicht sicher; nach Hartwig in spätrömischer Zeit (Arch. Jahrb. [2100] XIV 1899, 147, 2). Man hat sie wohl mehr für das Bedürfnis des Tages verwendet, denn für die Buchschrift blieb, wie das Zeugnis des Ausonius beweist, die Rohr-F. im Gebrauch. Eine silberne F., wie sie Krinagoras als Geburtstagsgeschenk gibt (Anth. Pal. VI 227), ist eine Rarität; auch im Mittelalter wird einmal eine silberne Schreib-F. erwähnt (Wattenbach Schriftwesen3 222).
Ganz spät ist die Verwendung von Vogelfedern zum Schreiben. Das erste sichere Zeugnis gibt im 7. Jhdt. Isidorus (Orig. VI 14, 3): instrumenta sunt scribendi calamus et penna ... calamus arboris est, penna avis. Wenn Rich (Wörterbuch der röm. Altertümer 456) bereits den Victorien auf den Säulen Traians (C. Cichorius Die Reliefs der Traianssäule Taf. 57 nr. 205) und Marc Aurels (E. Petersen Marcussäule Taf. 64) je eine penna in die Hand gibt, so ist das schon deswegen ein Irrtum, weil die Göttinnen auf eherne Schilde schreiben. Von den Unterschriften Theoderichs gebraucht der Anonymus Valesianus den Ausdruck penna (Ammian. Marc. ed. Gardthausen II 300 § 79): ut posita lamina super chartam per eam pennam duceret; darunter kann allenfalls auch ein Pinsel verstanden sein, wie man ihn bei Schablonen anzuwenden pflegt. Vielleicht darf man als erste Erwähnung der Gänsefedern auffassen die καλαμίδες ἀπὸ πτερῶν χηνείων bei Paulus Aegineta, gleichfalls im 7. Jhdt. (VI 97 p. 213, 27 der Baseler Ausgabe).
Das Mittelalter kennt zunächst noch die Rohr-F. (Wattenbach a. O. 223), dann trägt die Gänse-F. den Sieg davon, bis in der Neuzeit diese wiederum abgelöst wird von der Metall-F., die niemals ganz verschollen war; im 15. Jhdt. lebt Demetrios mit dem Beinamen Chalko(ko)ndylas, Erzfeder.
Literatur: Becker-Göll Gallus II 431. Marquardt Privatleb. d. Röm.2 823f. H. Blümner in Baumeisters Denkmälern des class. Altert. III 1583ff.; Technologie und Terminologie I 327. W. Wattenbach Schriftwesen des Mittelalters3 222ff. V. Gardthausen Griech. Palaeographie 66ff. Fr. Blass Palaeographie, Buchwesen und Handschriftenkunde (Iw. v. Müllers Handbuch I2) 344. Daremberg-Saglio Dict. des ant. I 812f. unter Calamus.
[Wünsch.]
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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