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Ephoroi (ἔφοροι) ist der Name einer Behörde, die sich in mehreren dorischen Staaten findet, welche bei Müller Dorier II 107. Foucart zu Le Bas II 194 a und Hermann-Thumser Gr. Staatsaltert. I 1, 244, 3 verzeichnet sind. Insbesondere wird aber unter diesem Namen die wichtigste Behörde des spartanischen Staates verstanden. Ihre Einsetzung führt Herodot. I 65 auf Lykurg zurück, und etwas abgeschwächt berichtet auch Xen. resp. Lac. VIII 3, es sei wahrscheinlich, daß das Ephorat von den Genossen des Lykurg eingesetzt worden sei. Ebenso halten das Amt für lykurgisch Plat. ep. VIII 354 Β und Diog. Laert. I 68 (Satyros). Dagegen berichtet Aristoteles, daß es erst von Theopomp eingesetzt worden sei, um das Königtum durch Einschränkung seiner Gewalt dauerhafter zu machen (Polit. 1313 a), und derselben Überlieferung folgen Plat. leg. III 692 A. Plut. Lyc. 7 und sonst. Plutarch läßt die ersten E. etwa 130 Jahre nach Lykurg antreten, den Angaben der Chronologen Eusebios und Hieronymos gleich, die das Ephorat in das J. 757/6 setzen, was mit dem Ansatz des Apollodor und Eratosthenes für Lykurg stimmt. Keine von beiden Traditionen berichtet Gesichertes. Denn diejenige die das Ephorat für lykurgisch erklärt, ist aus der Vorstellung von der Einheitlichkeit der spartanischen Verfassung entstanden, sei es, daß diese Vorstellung naiv ist, sei es, daß sie einer bestimmten politischen Tendenz ihre Entstehung verdankt, diejenige hingegen, die den König Theopomp die E. einsetzen läßt, beruht darauf, daß, vom J. 757 an die offiziellen Listen der E. begannen, woher man denn auch den Namen des Eponymen aus diesem Jahre wußte; das Ephorat ist also sicher älter als das Jahr, in dem zuerst E.-Listen geführt wurden. Die weitere Entwicklung des Amtes wird von Plut. Cleom. 10 so dargestellt, daß der Ephoros Asteropos der erste gewesen sei, der die Machtbefugnisse der E. erweitert hätte, eine andere Überlieferung nennt den Ephor Cheilon als denjenigen, der zuerst die E. den Königen an die Seite gesetzt habe (Diog. Laert. I 68). Die neueren Forscher haben bei solcher Sachlage sich teils für den lykurgischen Ursprung des Ephorats entschieden, teils spätere Einsetzung angenommen, teils das Ephorat für einen ursprünglichen vorlykurgischen Bestandteil der spartanischen Verfassung gehalten. Die letztere Ansicht ist begründet von O. Müller Dorier I 107ff., der die E. als allgemein dorische Aufsichtsbehörde faßt, was indessen wenigstens aus den Belegen über das [2861] Vorkommen dieses Amts außerhalb Spartas, die einer späteren Zeit angehören, nicht sicher hervorgeht. Wichtiger ist E. Meyers Auffassung (Forschungen zur alten Geschichte I 250ff.), der die Überlieferung vom späteren Ursprung des Ephorats auf Pausanias und ihre Verbreitung auf König Kleomenes III. zurückführt, der damit seine Angriffe auf das Ephorat hätte rechtfertigen wollen. Er nimmt an, daß das Ephorat sich zwar erst im 6. oder 5. Jhdt. aus der von den Königen auf die E. übergegangenen Zivilgerichtsbarkeit weiter entwickelt habe, aber in Wahrheit ein notwendiges Element des dorischen Adelsstaates gewesen sei. Die E. faßt er als dem König zur Rechtsprechung beigegebene Aufseher, die im weiteren Verlaufe ihrer Entwicklung die Vertreter des Volks gegenüber dem Königtum werden und den Gipfel ihrer Macht erst im 6. oder 5. Jhdt. erreichen. Da die Annahme der Einsetzung des Ephorats durch Theopomp chronologische Schwierigkeiten hat, so muß wenigstens zugegeben werden, daß eine glaubwürdige Tradition über die Entstehung des Amtes im Altertum nicht existierte und sein Ursprung sich in unvordenkliche Zeiten verlor. Ob es ‚lykurgisch‘ oder vorlykurgisch sei, ist, wenn man die sog. Lykurgische Gesetzgebung nicht für einheitlich hält, eine nicht wohl aufzuwerfende Frage. Zweifellos vertritt in historischer Zeit das Ephorat die Macht des Volkes gegenüber dem Königtum und läßt sich in gewissem Sinne als ein demokratisches Element auffassen, wie dies von Aristoteles geschehen ist; auch Cicero vergleicht in diesem Sinne die E. mit den römischen Tribunen. Dieser Gegensatz kann nun entweder so erklärt werden, daß die E. aus bescheidenen Anfängen sich allmählich durch fortwährende Konzessionen, die sie den Königen abtrotzten, oder sonstige Vergrößerung ihrer Kompetenz zu jenem mächtigen Amte entwickelt hatten, das auch die Könige beugte, oder so, daß sei es die Entstehung des Amtes, sei es die Erweiterung seiner Kompetenz das Resultat einer revolutionären Bewegung gewesen sei, in der das Volk oder die Demokratie siegte. Für die erstere Annahme spricht die Tatsache, daß die E. ursprünglich von den Königen bestellt wurden, und zwar auch noch nach dem ersten Messenischen Kriege, bis später ihre Wahl von der Volksversammlung vorgenommen wurde. Außer Ed. Meyer vertritt diese Ansicht auch Lipsius (Gr. Altert. I 243f.) und eine Anzahl andrer Forscher. Für die zweite Annahme spricht der Eid, den die E. und die Könige allmonatlich zu leisten hatten, die letzteren, daß sie den Gesetzen gemäß zu regieren entschlossen seien, die ersteren, daß sie unter solcher Voraussetzung das Königtum nicht antasten wollten (Xen. resp. Laced. XV 7). Daß dieser Eid der Siegespreis eines Volksaufstandes, der auf Beseitigung des Königtums abzielte, gewesen sei, hat E. v. Stern Berl. Stud. f. klass. Phil. XV behauptet, E. Meyer hingegen die Existenz ähnlicher Eide auch in andern Staaten nachgewiesen. Viel weitergehend hat dann Niese (Hist. Ztschr. LXII 58ff.) ausgeführt, daß ein förmlicher Vertrag zwischen König und Volk vorliege, der dem Volke in dessen einzusetzenden Repräsentanten eine das Königtum einschränkende Magistratur verlieh, welche [2862] übrigens im wohlverstandenen Interesse des Königtums selbst gelegen hätte, weil es dieses wieder gegen die Aspirationen des Adels schützte. Das Ephorat sei also in der zweiten Hälfte des 7. Jhdts. nach einer siegreichen Erhebung des δῆμος entstanden und von Anfang an ein demokratisches Amt auf revolutionärer Grundlage. Erwägt man, daß die Gewalt der E. aus ihrer allgemeinen Aufsichtskompetenz hervorgegangen ist, aus der sich auch die von Dum und E. Meyer bei ihnen für primär gehaltene Ziviljurisdiktion entwickelt hat, und daß eine solche polizeiliche Gewalt nicht einem auf revolutionärem Weg durchgesetzten Amte zu eignen pflegt, wohl aber leicht als Ausfluß der königlichen Gewalt erklärt werden kann, daß in keinem Fall ähnlich wie bei der tribunicischen Gewalt etwa der Bürger durch den Ephoros gegen den König geschützt wird, daß hingegen innerhalb der Entwicklung des Ephorats zu irgend einer Zeit die allerdings fast revolutionäre Änderung getroffen wurde, daß die Bestellung der E. von den Königen ans Volk überging, womit der politische Gegensatz besiegelt war, so wird man daran festhalten, daß die E. ursprünglich Vertreter der Könige waren, die in allmählicher Entwicklung zu ihrer Macht gelangt sind.

Die Fünfzahl der E. hängt sicherlich mit der lokalen Einteilung des spartanischen Volkes in fünf Phylen zusammen; aber diese Einteilung selbst ist nicht ursprünglich, sondern hat die in die drei dorischen Phylen abgelöst. Es ist daher fraglich, ob es von allem Anfang fünf E. gegeben hat; seitdem dies der Fall war, waren sie allerdings die gegebenen Vertreter des Volkes.

Besser als über die Entstehung des Amtes sind wir über seine Funktionen in historischer Zeit unterrichtet: Nach der Überlieferung sind die E. als Stellvertreter der Könige zur Ausübung der Zivilgerichtsbarkeit eingesetzt, und das ist auch späterhin ihre vorzüglichste, nach der Meinung einiger Forscher auch ursprüngliche Kompetenz. Aber der Name spricht für Oberaufsicht überhaupt, also eine Art Polizeigewalt, welche man nicht mit O. Müller auf die Marktpolizei einschränken muß. Sie haben vielmehr für die Aufrechterhaltung der Ordnung zu sorgen und eben deshalb eine coërcitive Macht. Wenn uns Aristoteles (frg. 539 bei Plut. Cleom. 9 und Plut. de ser. num. vindict. 4) berichtet, daß die E. bei ihrem Amtsantritt die Proklamation an die Bürger richteten, κείρεσθαι τὸν μύστακα καὶ προσέχειν τοῖς νόμοις, ἵνα μὴ χαλεποὶ ὦσιν αὐτοῖς, so gewinnt, seit Helbig Das homerische Epos² 248ff. das Scheren des Schnurrbartes als sehr alte Sitte nachgewiesen hat, diese Nachricht an Glauben und beweist die polizeiliche Gewalt der E. zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sitte. Damit stimmt auch die Nachricht bei Xen. rep. Lac. IV 6, daß, wenn bei Streitigkeiten von Jünglingen einer sich dem Versöhnungsversuch eines Dritten widersetzte, der Paidonom das Recht hatte, den Widerspenstigen vor die E. zu ziehen, die über ihn eine Strafe verhängten, und die Nachricht von der Prüfung der Epheben (Athen. XII 550 e). Die volle Funktion der E. schildert Xen. rep. Lac. VIII 3, nach welcher Stelle sie das Recht hatten, jeden Bürger zu strafen, aber auch jeden Beamten zu suspendieren, zu verhaften und auf den Tod zu verklagen, [2863] so daß Xenophon ihre Macht als tyrannische bezeichnet. Sie vermochten auf Grund dieser censorischen Gewalt sich in alle Angelegenheiten der Privaten wie der Magistrate und in bistorischer Zeit auch der Könige zu mischen, nnd es ist ein notwendiger Bestandteil ihrer Coërcitivgewalt, daß sie fast unumschränkt ist. Aus ihrer polizeilich-friedensrichterlichen Kompetenz entwickelte sich in gleicher Weise die Ziviljurisdiktion wie die Überwachung der Disziplin und gesetzlichen Ordnung. So lag ihnen die Sorge für die Sicherheit, das Wohl und das Interesse des Staates ob, und darin lag zugleich die stärkste Beschränkung der königlichen Gewalt, deren Schwächung zum Teil Schuld der Könige war, die in beständiger Fehde mit einander lebten und den E. damit auf Grund ihrer allgemeinen Kompetenz die Entscheidung in strittigen Fällen ermöglichten. So kam es, daß sie höhere Bedeutung als die Könige selbst erlangten, wenn auch die Etikette gewahrt blieb, die den Königen den ersten Rang einräumte. Aus ihrer Polizeigewalt fließt ferner, wie das Aufsichtsrecht über Könige und Beamte, so auch die Kontrolle. Sie sind daher diejenige Behörde, vor der die Beamten Rechenschaft abzulegen hatten (Arist. Polit. 1271 a 5), und ihr Aufsichtsrecht über die Könige erstreckt sich so weit, daß sie sogar den König Anaxandridas veranlaßten, eine andere Frau zu heiraten (Herod. V 40). Wie gegen die Beamten, so stand ihnen auch gegen die Könige das Recht der Anklage zu (Herod. VI 82), die sie vor der Gerusie vertraten, und ebenso konnten sie den König zur Rechtfertigung vor sich laden, der freilich auf Grund seiner Amtswürde erst bei der dritten Ladung zu erseheinen brauchte (Plut. Cleom. 10). Zitierung und Verhaftung des Königs durch die E. ist bei Thuc. I 131 bezeugt. Es konnte nicht fehlen, daß auch äußerlich die Macht der E. gekennzeichnet wurde, indem sie allein, vor dem Könige nicht aufstanden (Xen. resp. Lac. XV 6), Agesilaos sogar seinerseits sich vor ihnen erhob (Plut. Ages. 4). Was die richterliche Kompetenz der E. anlangt, so hatten sie in krimineller Beziehung gegen Perioeken die Kapitaljurisdiktion (Isokr. XII 181), gegen Spartiaten sicherlich nicht die endgültige Entscheidung, dagegen hatten sie nach Aristot. Polit. 1275 b 9 und Plut. apophth. 221 Β die zivile Jurisdiktion als Einzelrichter. Sie erlangten ferner allmählich das Recht der Berufung (Xen. hell. II 2, 19. III 3, 8) und Leitung (Thuc. I 87) der Volksversammlung, in welche sie auch Gesandte einführten (Xen. hell. V 2, 11). Das gleiche Recht hatten sie gegenüber der Gerusie, und Herod. V 40 bezeugt einen Fall gemeinsamer Beratung der Geronten und E. Wenn Plut. Ages. 4 sagt, die E. und Geronten hätten die größte Gewalt gehabt, so fällt dabei auf die E. die ausübende Tätigkeit, ebenso wie in Strafsachen die Gerusie entscheidet, während die E. einerseits den Prozeß einführen, anderseits das Urteil vollziehen. In auswärtigen Angelegenheiten ist allerdings Gerusie und Apella kompetent, die letztere beschließt Krieg und Frieden und schließt Verträge, aber die E. führen auch hier die Beschlüsse aus. Wahrscheinlich [2864] bringen sie auch die Anträge an das Volk (Xen. hell. IV 63 ἔδοξε τοῖς τ’ ἐφόροις καὶ τῇ ἐκκλησίᾳ ἀναγκαῖον εἶναι στρατεύεσθαι). Die E. verhandelten mit fremden Gesandten, wiesen sie gelegentlich auch an der Landesgrenze ab und eröffneten ihnen den Zutritt zur Volksversammlung. In militärischer Beziehung haben sie das Recht bei erklärtem Krieg den Befehl zum Ausmarsch zu erteilen, und veranlassen auch die Feldherren zum Auszug, denen sie auch bestimmte Verhaltungsmaßregeln erteilen; zwei von ihnen begleiten in der Regel den König in den Krieg.[WS 1] Botschaften an die Feldherren schickten sie durch die sog. σκυτάλη (Plut. Lys. 19). Nur die militärische Form hatte die jährlich sich wiederholende feierliche Kriegserklärung an die Heloten, die den Zweck hatte, erforderlichenfalls die κρυπτεία durch religiöse Bedenken ungehindert vornehmen zu können (Plut. Lyc. 28). In finanzieller Beziehung sind sie befugt, die Kriegsbeute entgegenzunehmen und das Steuerwesen zu verwalten. In Bezug auf ihre religiösen Funktionen ist uns bekannt, daß die Obsorge für das Kalenderwesen ihnen anheimgestellt war, und daß sie in späterer Zeit auch das Staatsopfer der Athene Chalkioikos brachten. Aus ihrer religiösen Kompetenz leiteten sie auch das Recht ab, alle neun Jahre in einer mondlosen Nacht den Himmel zu beobachten, und wenn sie ein Sternschnuppe sahen, daraus auf eine religiöse Verfehlung des Königs zu schließen, den sie bis zur Einholung eines Orakels aus Delphi oder Olympia suspendieren konnten.

Das Kollegium der E. bestand aus fünf Personen (Arist. Polit. 1272 a 6), der erste Ephoros gab dem Jahre den Namen und führte den Vorsitz. Das Amt wird mit dem Neumond nach der Herbstnachtgleiche angetreten. Auf offiziellen Urkunden werden erst die Namen der beiden Könige, dann die der fünf E. aufgeschrieben, wie inschriftlich bezeugt ist (IGA 91). Erwählt werden die E. aus dem ganzen Volke, und Aristoteles versichert, daß infolge dessen häufig Arme zur Würde gelangten, die käuflich waren. Den Modus ihrer Erwählung, vermutlich durch Zuruf bezeichnet er als kindisch (Polit. 1270 b 28).

Die wichtigste Literatur über die E. ist die folgende: Müller Dorier II 107ff. A. Schäfer De ephoris Laced. 1863. Η. Κ. Stein Das spartanische Ephorat in seiner Entwicklung bis auf Cheilon 1871. Frick De ephoris Spartanis 1872. Trieber Gött. Gel. Anz. 1872, 818. Dum Entstehung und Entwicklung des spartanischen Ephorats 1878. Gilbert Studien zur altspart. Gesch. 180ff. Fleischanderl Die spart. Verfassung 34ff. Oncken Staatslehre des Aristoteles I 271. E. Meyer Forschungen zur alten Geschichte I 250ff. Niese Hist. Ztschr. LXII 58ff. E. v. Stern Entstehung und urspr. Bedeutung des Ephorats in Berl. Stud. zur klass. Phil. XV. Hermann-Thumser Gr. Staatsalt. I 241ff. Gilbert Staatsalt. I² 16. 57ff. Busolt in Iw. Müllers Handbuch IV 1, 105. Schömann-Lipsius Gr. Alt. I 242ff. Grote Gr. Gesch. I² 580 (Deutsch. Übers.). Curtius Gr. G. I⁵ 187. Duncker V³ 526. Busolt Gr. G. I² 555ff.


[Szanto.]
Anmerkungen (Wikisource)

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