Discussor griechisch λογοθέτης (Cod. Iust. X 30, 4), ist ein Titel, der seit dem 4. Jhdt. n. Chr. (zuerst 368, Cod. Theod. VIII 15, 5, über die Datierung s. Krüger Commentationes Mommsenianae 80) für Beamte sehr verschiedener Art angewandt wird; nur haben sie alle gemein, dass sie ausserordentliche sind und die Prüfung irgend welcher Rechnungen oder Schätzungen vorzunehmen haben. Leute, die Ämter bekleidet hatten oder sich, wie die Advocaten, sonst in ansehnlichen Stellungen befanden, pflegte man mit solchen Aufträgen zu betrauen (Cod. Theod. XIII 11, 12. Cod. Iust. X 30, 3. Symm. epist. IV 70. V 76), doch blieben diejenigen, welche zu den höchsten Würden von der Comitiva consistoriana aufwärts gelangt waren (Cod. Iust. X 30, 3), die ehemaligen Notare (Cod. Theod. VI 10, 1. Cod. Iust. XII 7, 2 § 3), zeitweilig auch die Advocaten der Provincialfora (Nov. Theod. X 1 § 4) von solchen Leistungen befreit, da man sie mehr als Last denn als Ehre betrachtete (Cod. Theod. XIII 11, 12), obgleich sie mit Gehalt verbunden waren (Cod. Theod. XIII 11, 8. 11). Manche freilich drängten sich auch dazu, weil sich durch Bestechungen dabei etwas verdienen liess (Nov. Valent. I 3 § 2), und zweimalige Übernahme des [1184] Amtes musste 416 bei Strafe der Vermögensconfiscation verboten werden (Cod. Theod. IX 26, 4). Um Erpressungen vorzubeugen, war auch ihnen der Abschluss von Kaufverträgen in der Provinz, in der sie thätig waren, verboten (Cod. Theod. VIII 15, 5 § 1). Mitunter wurden sie mit der Würde eines Comes bekleidet (Cod. Theod. IX 26, 4. Cassiod. var. III 25). Die einzelnen Arten dieser Discussiones, die in den Quellen erwähnt werden, sind folgende:
1. Für die Steuerschulden. Diese Discussoren wurden vom Hofe in die Provinz geschickt und wahrscheinlich von demjenigen Beamten ernannt, für dessen Casse Rückstände einzutreiben waren (Nov. Val. I 3 § 2. 4. 5). Doch ihre Erpressungen veranlassten Valentinian III. im J. 450 zu verordnen, dass sie nicht anders bestellt werden sollten, als nachdem der Reichsfeldherr (Aëtius) und der Praefectus praetorio nach gemeinsamem Beschlusse dies als nötig erkannt und die Personen durch Beratung aller höchsten Hofbeamten ausgewählt seien (Nov. Val. I 3 § 4). Im Ostgothenreiche scheint ihre Ernennung Sache des Praefectus praetorio gewesen zu sein (Cassiod. var. XII 2, 2). Sie haben den Steuerrückständen nachzuforschen, zu welchem Zwecke sie von jedem Vorzeigung der Quittungen verlangen können, was oft, wenn diese verloren waren, zu Plünderung der Provincialen missbraucht wurde (Cod. Theod. XI 26, 2. Nov. Val. I 3 § 2). Leugnet ein Steuerschuldner seine Schuld, so steht ihnen die Gerichtsbarkeit zu, von der aber, falls kein manifestum debitum vorliegt (Cod. Theod. XI 36, 21), Appellation gestattet ist. Diese geht anfangs an die gewöhnlichen Appellationsrichter, d. h. in Rom an den Praefectus urbis, in den Provinzen an die Vicare (Cod. Theod. XI 30, 36. 26, 1), seit 385 an den Comes rerum privatarum, der sie aber einem Provincialrichter delegieren kann (Cod. Theod. XI 30, 45. 36, 29). Wird dabei festgestellt, dass der D. dem Steuerzahler ungerechterweise eine Schuld aufgelegt hat, so soll er selbst zu der gleichen Summe verurteilt werden (Cod. Theod. XI 26, 1). Anfangs scheint der D. auf Grund seiner Feststellungen nur Listen der Schuldner angefertigt zu haben (Cod. Theod. XI 28, 3). Später zieht er auch das Geld ein, wobei er die Folter anwendet und die Hülfe des Provincialofficiums, mitunter selbst militärische Unterstüzung in Anspruch nimmt (Nov. Val. I 3 § 2).
2. Discussor census (Cassiod. var. IX 10, 4. Cod. Theod. VI 10, 1. Cod. Iust. XII 7, 2 § 3) oder d. iugerum (Cod. Iust. X 30, 3; vgl. capitum discussio Iuvenc. evang. I 144) ist gleichbedeutend mit inspector (vgl. Cod. Theod. XIII 11, 12: discussiones inspectionesque agitari. X 3, 7: alium inspectorem loca debere discutere). Die beiden Titel erscheinen daher niemals nebeneinander, wohl aber wird bald der D. (Cod. Theod. XIII 11, 8. 11. VI 10, 1. Cod. Iust. XII 7, 2 § 3), bald der inspector dem peraequator gegenübergestellt (Cod. Theod. X 3, 7. XI 20, 6. XIII 11 Überschrift), wo von den verschiedenen Arten ausserordentlicher Censusbeamten die Rede ist.
Der regelmässige Census, der alle fünf Jahre stattfindet, beruht auf Selbsteinschätzung (professio Dig. L 15, 4. Cod. Iust. VIII 53, 7. Cod. [1185] Theod. VI 35, 3 § 1. XI 1, 12. 3, 3. 12, 1. 24, 6 § 6. 28, 12. XIII 10, 1), die im Zweifelsfalle durch Zeugnisse, bei geringen Leuten auch durch die Folter, nicht aber durch den Augenschein controlliert wird. Obgleich sie nur mit dem ländlichen Grundbesitz und seinem Inventar zu thun haben, vollzieht sich daher die Thätigkeit der ordentlichen Schatzungsbeamten (censitores) auf den Märkten der Städte, wo die Landbevölkerung sich zu der vorgeschriebenen Zeit versammelt, um über ihren Besitz persönlich die nötigen Angaben zu machen (Lact. de mort. pers. 23; vgl. Art. Capitatio). Diese bezogen sich aber wohl nur auf den Personalbestand, das Inventar und den Besitzwechsel der Güter; das Verzeichnis der Grundstücke selbst und ihrer Wertung wurde in der Regel unverändert aus der früheren Censusliste in die neue herübergenommen. Schätzungen, bei denen die zu diesem Zwecke bestellten Beamten persönlich die Äcker durchwanderten und sich von ihrem Zustande durch den Augenschein überzeugten (Cod. Theod. XIII 11, 15. 17), wurden nur ausnahmsweise vom Kaiser angeordnet, in der Regel auf Petitionen der Steuerzahler (Cod. Theod. VI 3, 2. 3. X 3, 7. XIII 11, 17. Theodor. epist. 47 = Migne G. 83, 1225. Cod. Iust. X 10, 13. Euseb. vit. Const. IV 3), die auf solche Weise feststellen liessen, welche Teile ihres Ackers, seit sie in die Steuerlisten eingetragen waren, wüst liegen geblieben waren und daher gestrichen werden mussten (Cod. Theod. XI 20, 5. 6. XIII 11, 15). Regelmässig scheinen sich diese Inspectionen an die ordentlichen Schätzungen angeschlossen zu haben, denn die J. 397 und 417, in denen sie sich nachweisen lassen (Cod. Theod. XIII 11, 17), waren Censusjahre (Seeck Deutsche Ztschr. f. Geschichtswissenschaft XII 281). Doch während diese sich jedes fünfte Jahr wiederholten, kamen jene viel seltener vor; die Inspection, nach der zur Zeit des Theodoret (epist. 47 = Migne G. 83, 1224) die Steuerverhältnisse der Stadt Kyros geordnet waren, lag zwölf Jahre zurück; in einem andern Falle wird ein Zwischenraum von zwanzig Jahren erwähnt (Cod. Theod. XIII 11, 17). Die Beamten, welche diese Untersuchungen leiteten, waren ausserordentliche und von den gewöhnlichen Censitores verschieden, wie schon die Überschriften von Cod. Theod. XIII 11 und Cod. Iust. XI 58 beweisen (vgl. Cod. Theod. VIII 15, 5 § 1). Vor Constantins d. Gr. Zeit scheinen sie examinatores geheissen zu haben (Dessau 1214), später führen sie die Titel peraequatores, griechisch ἐξισωταί (Cod. Iust. X 16, 13. Gregor. Naz. or. XIX Überschrift = Migne G. 35,1044. Euseb. vit. Const. IV 3), und inspectores oder discussores, griechisch ἐπόπται (Theodor. epist. 47 = Migne G. 83, 1225. Cod. Iust. X 16,13). Die ersteren stehen an Rang höher; im 5. Jhdt. sind sie Comites primi ordinis (Cod. Theod. XIII 11, 11; vgl. die Fragmente, welche der Instruction eines Peraequator entnommen sind, Cod. Theod. VI 2, 19. XIII 6, 9. 11, 15–17). Der Kaiser ernennt sie selbst auf Vorschlag der Praefecti praetorio aus Männern, die in der höheren Ämterlaufbahn erprobt sind (Cod. Theod. XIII 11, 7),. oder aus Jünglingen vornehmster Geburt (Dessau 1240. Gregor. Naz. carm. II 2, 27 = Migne 37, 1479). Dagegen gingen die Inspectores seit dem [1186] J. 409 aus den verabschiedeten Subalternen der Diöcesanverwaltung, früher wohl auch aus niedrigerem Stande hervor, und konnten ihre Bestallung schon durch die Statthalter empfangen (Cod. Theod. XIII 11, 12), obgleich sie wohl meist durch die Praefecten entsandt wurden (Theodor. a. O.). Wo nur der Census einer einzelnen Stadt nachzuprüfen war, wie dies z. B. in Kyros geschah, sandte man daher Inspectores (Theodor. epist. 42–47); die Thätigkeit der Peraequatoren dagegen dehnte sich über ganze Provinzen aus (Dessau 1240), weshalb auch dem inspector specialis (Cod. Theod. XI 20, 5) der peraeqttator generalis entgegengestellt wird (Cod. Theod. X 3, 7). Diese können zwar auch eine Herabsetzung der Capitatio nicht selbständig verfügen, sondern bedürfen dazu einer Bestätigung durch den Kaiser (Cod. Iust. X 16, 13), wie solche noch erhalten sind (Cod. Theod. XIII 11, 14. XI 28, 12); aber die Absicht zu entlasten, verbindet sich mit ihrer Sendung so regelmässig (Cod. Theod. XI 20, 5 § 1. 28, 12), dass das Wort peraequatio zuletzt die ganz allgemeine Bedeutung der Steuererleichterung annimmt, auch wo diese mit einer Revision des Census gar nichts zu thun hat (Cod. Theod. XIII 11, 2). Der Peraequator ist also fast immer der Träger kaiserlicher Gnade; der Inspector kann manchmal recht unbequem sein, da seine Thätigkeit auch die Erhöhung zu niedriger Einschätzungen herbeiführt (Lact. de mort. pers. 23, 6. Euseb. vit. Const. I 55. Cod. Theod. XI 1, 33. 20, 5 pr. 6 § 2. X 3, 5. XIII 11, 4. Cassiod. var. IV 38, 2. IX 10, 4). Ausserdem wurde der harte Druck der Epibole durch sie ausgeübt (s. unter Epibole); d. h. sie hatten Grundbesitzern, die noch leistungsfähig waren, ein ihrem Vermögen entsprechendes Quantum wüstgebliebenen Bodens zuzuweisen, damit sie für diesen den Steuerausfall deckten (Cod. Theod. VII 19 § 3. XI 1, 31. XIII 11, 13). Man suchte sich daher dem Amte oft zu entziehen, und es ablehnen zu dürfen galt als Privileg (Cod. Theod. VI 10, 1. XIII 11, 12. Nov. Theod. 10, 4. Cod. Iust. XII 7, 2 § 3). In der Regel scheint es von zweien oder mehreren für die gleiche Stadt collegialisch verwaltet zu sein (Cassiod. var. IV 38, 2. Theodor, epist. 47). Verfuhren sie nachlässig oder machten sich der Begünstigung einzelner Grundbesitzer schuldig, so sollten sie ihre Würde einbüssen, ihr Gehalt zeitweise doppelt, zeitweise vierfach ersetzen, und die vierfache Summe der empfangenen Bestechungen als Strafgeld erlegen (Cod. Theod. XIII 11, 8. 11). Seeck Ztschr. f. Social- und Wirtschaftsgeschichte IV 323.
3. Die Prüfung öffentlicher Bauten und der Rechnungen über die auf sie verwendeten Kosten lag teilweise den Statthaltern der Diöcesen und Provinzen (Cod. Iust. VIII 12) und in den beiden Hauptstädten den Praefecti urbis ob (Cassiod. var. II 34. Symm. rel. 26, 2). Doch wurden dafür mitunter auch besondere D. ernannt (Symm. epist. V 76; rel. 25, 2. 26, 2. Cassiod. var. I 21; vgl. Nov. Theod. 22, 1 § 1. 2. Cod. Theod. XII 1, 185).
4. Im italischen Ostgothenreiche wird einmal ein D. für die Einnahmen der Zölle und der Eisenbergwerke bestellt. Cassiod. var. III 25.
5. Nachdem an eingewanderte Barbaren Landverteilungen [1187] angeordnet waren, wurde 399 ein Inspector abgeschickt, um deren Gleichmässigkeit und Gerechtigkeit zu prüfen, Cod. Theod. XIII 11, 10.
6. Zeitweilig wurden durch Discussoren, welche die Provincialstatthalter ernannten, die Marktpreise festgestellt. Cod. Theod. XVI 8, 10. Gothofredus zu Cod. Theod. XI 26.
[Seeck.]
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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