18) Dion Cocceianus (Plin. ep. ad Traian. 81. 82; auf Missverständnis beruht wohl der Beiname Πεισωνιανός bei Maxim. Conf. und dem von diesem abhängigen Apostolios, s. A. Sonny Ad D. Chr. anal. 146; über den Sinn des Beinamens Cocceianus s. H. v. Arnim Leben und Werke des D. von Prusa 125) aus Prusa am Olympos in Bithynien, Sohn des Pasikrates (Phot. bibl. cod. 209. Suid. s. Δίων); ob er den Beinamen Χρυσόστομος schon, wie Photius (p. 320, 16 in v. Arnim Dio–Ausg. II) behauptet, von seinen Zeitgenossen erhalten hat, ist fraglich; er selbst (or. XLVII 16) sagt, dass ihn ein Sophist spottend ἀηδών genannt habe; der Name Χρυσόστομος ist ihm wohl erst zur Unterscheidung von dem Historiker D. im 3. Jhdt. beigelegt worden und findet sich zuerst bei dem Rhetor Menander de epid. p. 390, 1 Spengel; dann bei Themist. or. V p. 63 d. Synes. Dio p. 314, 9 Arnim. Anon. de fig. in Spengels Rh. Gr. III 135, 17 u. a.; vielleicht spielt Liban. T. I 23, 15 R. auf ihn an; byzantinische Deutungen des Namens s. in v. Arnims Ausg. II 328, 16. Seine väterliche und mütterliche Familie war in Prusa weit verbreitet (or. XLIV 5; ein Prusaeer D. auch Le Bas–Waddington Asie min. III nr. 1113) und hoch angesehen (XLIV 3f.). Sein mütterlicher Grossvater, mit einem römischen Kaiser (v. Arnim Dio v. Prusa 123 denkt an Claudius) befreundet (XLI 6. XLIV 5. XLVI 3) und dieses Verhältnis zu Gunsten seiner Vaterstadt nutzbar zu machen bemüht (XLVI 4), vermutlich Grammatiker oder Sophist (XLVI 3), war nebst Dios Mutter in das römische Bürgerrecht aufgenommen worden (XLI 6), besass auch gleich vielen angesehenen Prusaeern (XL 22. XLI 10) das Bürgerrecht in Apameia, der römischen Colonie und Hafenstadt von Prusa (XLI 6), und hatte, ebenso wie D.s Vater, in der städtischen Verwaltung von Prusa, für welche er einmal sein Vermögen opferte (XLVI 3), eine massgebende Stellung innegehabt (L 7). Von seinem Vater, der auch in Apameia Bürger, aber damit nicht römischer Bürger (v. Arnim D. v. Prusa 123ff.) war (XLI 6) und wegen seiner Verdienste um die Stadt nach seinem Tode in Prusa hohe Ehre genoss [XLIV 3. XLVI 2), überkam D. ein sehr verschuldetes Besitztum (XLVI 5f.); seine Mutter wurde nach ihrem Tod in Prusa als Heroïne verehrt (XLIV 3, wo D. auch Geschwister erwähnt; des Todes einer Schwester, der ihm weitere Vermögensverluste brachte, gedenkt er XLVII 21; eines Neffen XLIV 18). Nachrichten über sein Leben giebt er am meisten selbst in seinen Reden; ausserdem Philostrat. vit. soph. I 7 und an einigen [849] Stellen der vit. Apoll. Tyan. Synes. Dio (abgedruckt vollständig in der Ausgabe des D. von L. Dindorf II 318ff.; teilweise in der v. Arnim II 313ff.). Phot. bibl. cod. 209 (bei v. Arnim II 320ff.). Suid. s. v. Plin. ep. ad Trai. 81. 82. (die Hauptstellen s. auch bei Dessau Prosopogr. imp. Rom. II 13). Aus ihnen hat zuerst Henr. Valesius Emendat. libr. II 1 (abgedruckt bei Dindorf I praef. XXXff.), dann Fabricius Bibl. Graec. IV 305ff. der Ausg. v. 1717. G. Leopardi: Commentarii de vita et scriptis rhetorum quorundam, qui II. p. Chr. saeculo vel I. declinante vixerunt 1814 (in den von Cugnoni herausgegebenen Opere inedite di G. L. I 7ff. 1878 zuerst gedruckt). A. Westermann Gesch. d. griech. Beredsamk. 189f. und K. L. Kayser (zur Specialausgabe der Vit. soph. p. 172ff.; bei Dindorf a. a. O. XXXVIff.) die Hauptzüge von D.s Biographie zusammengestellt; die näheren Umstände von D.s Verbannung sind von Ad. Emperius (De exilio Dionis, Braunschweig 1840, abgedruckt bei Dindorf I p. XXXVIIIff. v. Arnim II 333ff.) untersucht; für eine genauere und richtigere Darstellung der Biographie (die Arbeit von A. Breitung Das Leben des D. Chr., Programm Gebweiler 1887 ist unzulänglich) ist das Material in annähernder Vollständigkeit und mit besonnenem Urteil vorgelegt von v. Arnim in dem biographischen Index seiner Ausgabe (II 366ff.), welcher nun in seinem D. von Prusa (Berlin 1898); 115ff. auf breitester Grundlage ein vorzügliches Bild von D.s Leben und Schriften geliefert hat. Eine in allen Einzelheiten sichere Darstellung des äusseren Lebens des D. ist trotz reichlichen Materials unmöglich. Die überlieferten Daten insbesondere seit D.s Rückkehr aus dem Exil lassen zum Teil verschiedene Deutungen zu. Nur Inschriftenfunde könnten in vielen Stücken endgültige Aufklärung bringen.
D.s Geburtsjahr lässt sich auf Grund seiner or. XXVIII und XXIX berührten Beziehungen zu dem Athleten Melankomas annähernd bestimmen. Auf dessen bei einem ἀγών in einer Seestadt (XXVIII 1) erfolgten Tod ist or. XXIX von D. (Arnims Athetese der Rede, Dio v. Pr. 146f. ist nicht haltbar; s. Litt. Centralbl. 1898, 812) geschrieben für den jugendlichen, in der betreffenden Stadt bürgerlichen (XXIX 1) Agonotheten oder Gymnasiarchen, welcher die Rede dann gesprochen hat; viel später, in seiner philosophischen Periode (daher die von Arnim Dio v. Pr. 147 bemerkte Abschwächung des Lobs der Athletik), hat D. denselben Gegenstand, unter Benutzung von or. XXIX, in dialogischer Form behandelt, die Situation nach ästhetischer Rücksicht frei fingierend (XXVIII 5). Wenn nun Melankomas Altersgenosse (XXVIII 10) des berühmten Pankratiasten Athenodoros ist, der dreimal, im J. 49, 53 und 61 (G. Förster Die Sieger in den olymp. Spielen II 1892, 15f.) in Olympia gesiegt hat, also doch nicht nach dem J. 30 geboren sein kann, wenn Melankomas ferner jung (XXVIII 13f. XXIX 20) gestorben ist, so muss Arnims Ansatz von Melankomas Tod im J. 74 oder gar 78 (Dio v. Pr. 147) zu spät sein. Die von Themistios bezeugte Freundschaft des Titus mit Melankomas, durch deren Hereinziehung v. Arnim vergebens Zeit und Ort der Reden zu [850] bestimmen gesucht hat, braucht ja nicht erst in Vespasians Regierungszeit zu fallen, und so möchte Melankomas Tod und die Abfassungszeit der 29. Rede kaum nach dem J. 60 zu setzen sein; Titus war damals 19 Jahre alt, sein Liebesverhältnis zu Melankomas also von der nicht mehr anständigen Art, die Xen. an. II 6, 28; Cyrop. II 2, 28 (Philostrat. epist. 13) bezeichnet. Als D. diese sehr (und gewiss nicht blos mit Rücksicht auf das Ethos des Sprechenden) juvenile Rede schrieb, war er schwerlich viel älter als 20 Jahre, wird also ca. 40 geboren sein. Dazu stimmt, dass er sich im J. 97 (or. XII 12. 20, welche Stelle mir v. Arnim II 369 a nicht richtig aufzufassen scheint) ἡλικίᾳ προήκων nennt. Er war verheiratet (XLVI 13) und hatte mehrere Kinder (XLI 6), unter denen aber nach der Art, wie D. redet (XL 2), nur ein Sohn gewesen sein kann. Dieser ist vor D.s Verbannung geboren (XLVI 13), war nach seines Vaters Rückkehr soweit erwachsen (XLIV 8), dass er in den Rat von Prusa eintreten konnte (L 5), zur Zeit von Plinius bithynischer Legation aber, ca. 111, ebenso wie D.s Frau schon gestorben (Plin. ep. ad Traian. 81, 2. 7); da D. ca. 98 zum erstenmal wieder nach Prusa gekommen ist, so wird dieser Sohn ca. 70 geboren sein.
In der ersten Hälfte seines Lebens mag D. der in seiner Heimat damals noch ausschliesslich herrschenden asianischen Beredsamkeit nicht fern gestanden haben (vgl. XVIII 12 mit E. Rohde Rh. Mus. XLI 182), von deren geschmacklosen Ausschreitungen übrigens die aus dieser Periode erhaltenen Reden frei sind, sogar die Leichenrede auf Melankomas (XXIX); die schülerhafte Pünktlichkeit in Einhaltung des herkömmlichen Dispositionsschemas, die in dieser Rede zu Tage tritt, dem späteren D. dagegen völlig fremd ist, begegnet auch in der 38. und 39. Rede, welche demnach ebenfalls dieser Zeit angehören müssen (s. auch u. S. 872); bezeugtermassen ist die 46. Rede vor der Verbannung gehalten; wahrscheinlich ist auch die 75., deren ganzer Inhalt (v. Arnim Ausg. ΙΙ 374 b s. v. νόμος), besonders das Lob der Athletik, nicht für den stoisch–kynischen Philosophen passt, der ersten Periode zuzurechnen (so auch v. Arnim Dio v. Pr. 155, welcher ausserdem von den erhaltenen Reden nr. 76. 52. 58. 59. 31. 11 der Frühzeit zuweist, die 31. insbesondere S. 218 zwischen die J. 72 und 82 setzt); dass Is. Casaubonus (Diatribe in Reiskes Dio Chr. II 448 und nach ihm Fabricius Bibl. gr. IV 305 und v. Arnim Dio v. Pr. 166ff.) die 11. Rede ganz mit Unrecht vor D.s Verbannung ansetzte, ist von P. Hagen (Quaestiones Dioneae 42ff.) und R. Hirzel (Der Dialog II 86) bewiesen (s. auch Sonny Anal. 182f.). Ernsthaftere Haltung wird auch für D.s Invectiven gegen die Philosophie (κατὰ φιλοσόφων Synes. p. 315, 28. 318, 13 Arnim; πρὸς Μουσώνιον ebd. p. 315, 30) aus dieser Zeit anzunehmen sein (vgl. auch Synes. p. 319, 11ff.), während er wohl in den παίγνια (den διαλέξεις Τεμπῶν φράσις und Μέμνων Synes. p. 318, 12. 317, 34; dem ψιττακοῦ ἐγκώμιον Philostrat. vit. soph. I 7; κώνωπος ἔπαινος Synes. 319, 22) dem Asianismus stärkere Concessionen gemacht haben muss, wenn Synesios (p. 317, 28ff.) Urteil über den grossen stilistischen Unterschied zwischen den Schriften der sophistischen und denen der philosophischen [851] Zeit gerechtfertigt erscheinen soll. So leidenschaftlich übrigens D. in seinen jüngeren Jahren die Philosophie, insbesondere die stoische (Musonios) angriff, so wenig konnte schon damals seiner ernsthaften Natur philosophische Betrachtungsweise fern liegen, wie denn auch die erhaltenen Reden aus dieser Periode philosophische Anklänge mehrfach zeigen (s. z. B. XXIX 2; für XLVI vgl. R. Hirzel Dialog II 85, 3). Sein völliger Übergang zur Philosophie mag sich frühestens Ende der sechziger Jahre des 1. Jhdts. vollzogen haben; er wurde Schüler des früher von ihm bekämpften Musonios, vermutlich gleichzeitig mit Euphrates (Fronto ep. ad Ver. imp. I p. 115 Naber; Lob des Musonios or. XXXI 122). Die Einzelheiten der Darstellung des Philostratos (in der Vit. Ap. und Vit. soph. I 7, 2), welcher ihn unter Vespasian als vollendeten Stoiker auftreten lässt, unterliegen schweren Bedenken. Nach Philostratos hätte er schon im J. 69 in Gesellschaft des Stoikers Euphrates bei Vespasian verkehrt (Vit. Ap. V 27, 31f.), sich dann von der Verbindung mit Euphrates losgemacht und dem Apollonios von Tyana genähert (ebd. V 38); der letztere hätte ihn zwar wegen der für philosophische Gegenstände ungeeigneten starken Sinnfälligkeit seines Ausdrucks getadelt (ebd. V 40. Apoll. Tyan. ep. 9. 10; vgl. Synes. p. 317, 31 Arn.), sonst aber zeitlebens zu seinen Freunden gerechnet (Vit. Ap. VIII 7 p. 305, 6ff. Kayser). Dass sich D.s praktische, von religiöser Mystik völlig freie Natur zum Neupythagoreismus jemals hingezogen gefühlt habe, ist von vornherein unglaublich. Das Fehlen jeder Bezugnahme auf Apollonios bei D. (denn die von Kayser versuchte Beziehung von D. XXXI 122 auf Philostrat. vit. Ap. IV 22 ist nicht möglich; v. Arnim Dio v. Pr. 216 versteht den Musonios) fällt auf; Philostratos braucht der geschichtlichen Wahrheit nur insoweit treu geblieben zu sein, dass er den D. im J. 69 eine Rolle spielen liess, die er damals vermöge seines Lebensalters und seiner freundschaftlichen Beziehungen zum Hof (v. Arnim Dio v. Pr. 142ff.) wirklich spielen konnte, und dass er an ein thatsächliches persönliches Verhältnis (Vit. soph. I 7, 2) des D. zu dem Stoiker Euphrates und dem Magier Apollonios, der zunächst nur eine kleinasiatisch–syrische Localberühmtheit war, Weiteres anknüpfte. Offenbar durch Philostratos Darstellung in der Vit. Ap. ist Arethas (Sonny Anal. 86; s. auch Schol. or. XXXII 60) veranlasst worden, anzunehmen, or. I–IV seien an Vespasian gerichtet und D.s Verbannung falle unter Nero; die Stelle XII 10 bezieht Arethas auf Apollonios von Tyana, während er zu XXXI 122 nichts bemerkt. Über sein Leben in Prusa vor der Verbannung giebt D. besonders in der unter Vespasian (v. Arnim Herm. XXXIV 376) gehaltenen 46. Rede Auskunft; er bewohnte sein schwer zugängliches, hoch über der Strasse gelegenes väterliches Haus (XLVI 12. XLVII 14), trieb Landwirtschaft (Weinbau und Viehzucht, wenig Getreidebau. XLVI 8), leistete mit seinem nicht unbedeutenden Vermögen der Stadt Dienste (XLVI 6) und trat vor Gericht höchst selten in fremder (XLVI 8; vgl. XLIII 6) oder eigener Sache (dafür Beispiele aus der späteren Zeit or. XLIII. Plin. ad Traian. 81, 5; Rechtfertigung seiner Enthaltung von advocatischer Praxis LXXX [852] 1ff., vgl. XXII 1) auf. Die Missgunst des Volkes erfuhr er, als man ihm bei einer Teuerung mit Steinigung und Brandlegung drohte (XLVI 9). Schon vor der Verbannung hat D. als Redner Reisen gemacht und vornehme Häuser, auch den Kaiserhof, kennen gelernt (VII 66), und schon damals wird er weniger sophistische Prunkreden als praktische λόγοι πολιτικοί gehalten haben, wie die 38. und 39., die ihn als Stifter des guten Einvernehmens zwischen Nikomedia und Nikaia zeigen und die von nationalhellenischem Selbstgefühl getragene und solches zu wecken bestrebte 31. Auch in Italien ist er in dieser Zeit gewesen; durch freimütige Äusserungen über Domitian (XLV 1. L 8. Luc. Peregr. 18) und Verwickelung in den Sturz eines ihm befreundeten hochgestellten Römers (XII 1; Emperius De exilio D. und nach ihm Sonny Anal. 188 denkt an den im J. 82 [oder später? s. Dessau Herm. XXXIV 81f.; jedenfalls vor 87, v. Arnim Herm. XXXIV 371ff. XXXV 130] getöteten Flavius Sabinus, Th. Mommsen Herm. III 84, 4 an den 93 getöteten Iunius Rusticus und so wohl schon Fabricius Bibl. gr. IV 306, wenn er die Verbannung in das J. 94 setzt; die Richtigkeit des Ansatzes von Emperius hat v. Arnim Dio v. Pr. 228ff. erwiesen, womit auch dem Schwanken von St. Gsell Essai sur le règne de l'emp. Domitien 282, 12 ein Ende gemacht ist; neue Zweifel von Dessau Herm. XXXIV 81ff. sind erledigt durch v. Arnim Herm. XXXIV 363ff.) zog er sich die Verbannung aus Rom und Italien (nur dies ist ihm, nach Analogie der allgemeinen Philosophenaustreibung im J. 89, über welche s. Suet. Domit. 10. Gell. XV 11, 4, auferlegt worden, ausserdem musste er, wie v. Arnim Dio 233 zeigt, Bithynien meiden, und insofern bezeichnet Philostrat. vit. soph. p. 7, 23ff. Kayser seine Reise in das Getenland mit Recht als ein Mittelding zwischen φυγή und ἀποδημία) im J. 82 zu. Nur Philostrat. vit. Ap. V 38 nennt aus dieser ersten Periode einen Schüler des D., Lasthenes aus Apameia in Bithynien, für den sich D. bei Vespasian verwendet haben soll. In die Verbannung soll D. nach Philostratos (Vit. soph. p. 8, 1f.) nur zwei Bücher, Platons Phaidon und Demosthenes Gesandtschaftsrede, mitgenommen haben. Nach Befragung des delphischen Orakels (XIII 9f.; dies vielleicht nach dem berühmten Muster seines Lieblings Xenophon oder des Sokrates der platonischen Apologie, Wegehaupt De D. Chr. Xen. sect. 57), welche man nicht (mit Kayser zu Vit. soph. p. 172f.), weil der spätere D. über Orakel geringschätzig spricht, für Scherz halten darf, trat D. ein vieljähriges (XL 2. XLV 10) unstätes Wanderleben ohne Begleiter (XL 2) an, für seine Mitbürger verschollen und von ihnen kaum zurückerwartet (XL 2. XLV 10f.), mit niedrigen Dienstleistungen oft seinen Lebensunterhalt sich erwerbend (Philostrat, vit. soph. p. 7, 29ff.); nachweislich ist er während dieser Verbannungszeit in Borysthenes (XXXVI), bei den Geten (XII 16f.|, im Peloponnes (I 50ff.), Kyzikos (wo er seinen Landsleuten Gelegenheit gab, ihn zu hören, XIX 1), am Schluss im römischen Standlager Viminacium in Moesien (so v. Arnim Dio v. Pr. 309), von Chios aus in Südeuboia (VII 9) gewesen; die Städte hat er meist gemieden. In den Entbehrungen (VII 9. XLV 1) dieser Jahre fühlte er sich immer mehr zur [853] Philosophie hingezogen (vgl. Diog. Laert. VI 49), wurde auch, wie er dies XIII 10ff. schildert, durch die von aussen an ihn gestellten Anforderungen und Fragen zu ihr gedrängt; in der 36. Rede zeigt er tiefere Vertrautheit mit der stoischen und platonischen Philosophie, und von nun an nannte er sich (XII 26. 38. 47. XXXIII 8; vgl. XLV 12. XLIX 3ff.) und nannte man ihn (XIII 11. Phrynich. p. 30 Lobeck. Luc. paras. 2) φιλίσοφος. Auch äusserlich gab er sich das Ansehen des Kynikers (μεταβολὴ τοῦ βίου XIX 1); er trug einen schlechten Mantel (anders später XLVII 25; von einer Löwenhaut reden gar Phot. p. 320, 10 Arn. und Suid.), den Ranzen (LXVI 21) und langes Haupt– und Barthaar (XII 85. XXXII 22. XXXIII 14. XXXIV 2. XLVII 25. XLIX 11; Encom. comae p. 307, 2ff. Arn.), scheute sich auch nicht, vor Heeren und Versammlungen gelegentlich unbekleidet, wie in göttlichem Wahnsinn (XXXIV 3. XXXV 9. Philostrat. vit. soph. p. 8, 6; vgl. F. Dümmler Philol. LIII 201ff.), aufzutreten, gerufen (z. B. XL 16. XXXIII 1. XXXVIII 1. XLI 7. XLII 1ff. XLVII 22) oder ungerufen (XXXIV 1ff.). Dass er auch während der Verbannung Reden gehalten hat, ergiebt sich aus or. XXXVI und XLIV 6 (vgl. XIX 1f.); solche glaubte aber offenbar Synesios (p. 316, 14ff.) nicht mehr zu haben; lange epideiktische Reden hat D. in dieser Zeit wohl auch nicht gehalten; dazu hatte er ohne Zweifel nicht die Stimmung, auch war sein Hauptinteresse auf diesen Reisen bei Griechen und Barbaren nicht zu reden, sondern zu lernen, von den Typen culturfreien Naturmenschentums eine lebendige Anschauung zu gewinnen (I 51. VII. XXXVI) und dadurch über die Durchführbarkeit des βίος κυνικός ins Klare zu kommen. Aber doch hat v. Arnim bewiesen, dass ein erheblicher Teil der uns erhaltenen Reden, insbesondere die durch schroffen kynischen Individualismus ausgezeichneten und im gesprächartigen Stil der Diatribe sich bewegenden, sicher VI. VIII–X. XXI in die Zeit der Verbannung fallen (Dio v. Pr. 260ff. 291ff.) Wenn auch seine ohnehin schwache Gesundheit durch dieses dürftige und unstäte Leben litt (VII 8. XL 2. XLV 1. XLVII 23. XLVIII 8. XIX 1), so hat er doch hier den unerschütterlichen Glauben an das sittliche Ideal des Kynismus gewonnen (s. bes. VII 9) und sich den scharfen Blick für die Physiognomie des menschlichen Lebens erworben, vermöge dessen er den notwendigen Zusammenhang zwischen äusserster Bedürfnislosigkeit, Arbeitslust, Abhärtung und sittlicher wie geistiger Gesundheit, Schönheit und Harmonie durchschaut und auch indifferent scheinende Äusserlichkeiten der Lebensart als Symptome tieferer sittlicher Schäden (vgl. das XXXIII 14. 50f. 52. XXXVI 7. 17. XLIV 8 ausgesprochene Princip) versteht. Überzeugt von seiner göttlichen Mission (XXXII 12. XXXIV 4. XLV 1; vgl. auch XXXI 146f. und C. Martha Les moralistes sous l’empire Rom.² 246, 2) bereist er nun aufs neue die griechischen Städte (XLVII 1 weist er auf seine Reisereden in Städten zurück) als Arzt der Seelen, sie von der ,Krankheit‘ des Lasters und der Leidenschaft (s. u. S. 863) zu heilen. D.s Meinung ist, das Laster sei in der Vereinzelung noch nicht schlimm (XXXII 91), man müsse ihm aber im Keim entgegentreten [854] (frg. XII Arn.), da das Schlechte niemals stehen bleibe, sondern um sich greife (VII 137. XXXI 140ff. XXXII 73f. 80. XXXIII 50f.). Wenn aber D. auch von der allgemeinen Degeneration seiner Zeit überzeugt ist (Stellen s. u. 5. 859) und für diesen Zustand die Verfeinerung der Cultur (VII. XIII 21; vgl. LXIX 5) mit verantwortlich macht, so ist er doch weit entfernt von dem in jener Zeit nicht seltenen rohen Bildungshass (Ad. Bonhöffer Die Ethik des Stoikers Epiktet 122; πράως ἐπανορθοῦν τὴν φύσιν billigt D. XXXIII 63) und von der kosmopolitischen Staatsfeindlichkeit, welche auch einer guten römischen Regierung die Philosophen verdächtig zu machen pflegte (Cass. Dio LII 36, 4. Sen. ep. 73. Epict. diss. I 29, 9. IV 7, 32). Er glaubt an die Möglichkeit, in dem Rahmen der gegebenen culturellen und politischen Zustände eine Besserung ohne Umsturz zu erreichen, wofern man sich nur an die Lehren der Philosophie und das Beispiel der alten Zeit des freien Griechentums halte‘ (über D.s politische Ansichten s. v. Arnim Dio v. Pr. 489ff. 504f.). Die Frage, ob die Gegenwart überhaupt noch ein ernstlich erstrebenswertes Gut biete, wirft er auf (XXXIV 51), aber er bejaht sie (XLIV 11) und weiss, den Traditionen seiner Familie und der Auffassung der Stoa gemäss, auch der römischen Weltherrschaft gerecht zu werden. Zwar scheut er sich nicht, Missbräuche dieser letzteren zu rügen (den Kauf des Kaiserthrones XXI 8; die Fiscusprocesse XLVI 8; die Bedrückungen der Provinz Asien XLIII 10, welche Stelle freilich W. Clausen De D. Chr. Bithynicis orat. 15f. anders versteht; den Kunstraub der Römer LXXIX 1; die Gladiatorenspiele XXXI 121; ähnlich wie Tac. dial. 40; Agric. 3. Auct. jπ. ὕψους 44, 6 weist er auch auf die Kehrseite des langen Friedenszustandes hin; vgl. XXXI 103 mit 125. 165.; vgl. weiter Schmid Atticism. I 38, 13), wie er denn mit der Unabhängigkeit und dem Freimut, dessen er sich (L 6. LI 3) rühmt, dem Kaiser (or. I–IV), den Behörden (Tadel der Beamten von Tarsos XXXIV 28ff.) und herrschenden Parteien (er nimmt sich der λινουργοί in Tarsos XXXIV 21, der δημόται in Prusa L 3 an) gegenüber wirklich aufgetreten ist. Aber er anerkennt vernünftigerweise den Status quo der römischen Übermacht (XLVI 14) und weist den Griechen auf dieser Grundlage ihre besonderen Aufgaben zu (XXXI 162. 164. XXXIV 38), während er als die seinige betrachtet, vor allen Dingen ein Apostel des Friedens zu sein (XLVIII 14), sich der öffentlichen Angelegenheiten nach Kräften anzunehmen (XLVII 2. XLIX 3. 13; vgl. VII 124), seine Landsleute von dem Phantom der Freiheit abzuwenden (XLIV 5. 11f. XLV 4f. XIV. XV. LXXX; vgl. LI 1 und Plut. reip. ger. praec. p. 824 C. D) und zu einer verträglichen und würdigen Haltung unter sich und den Römern gegenüber zu stimmen (s. bes. XXXII 71. XXXIV 9. 15. 25f. 48. XXXVI 17. XXXVIΙΙ 36. 38. XXXIX 4). Von politischen Parteien hielt er sich fern (XLV 8. L 3). Als beste Verfassung galt ihm diejenige, welche ein Abbild der in der Natur selbst herrschenden Harmonie und Gesetzmässigkeit darstelle (XXXVI 29ff. XL 35ff.), die in philosophischem Geist (s. bes. XLIX 3ff.) geleitete Monarchie (III 43ff. LVI), welcher er als [855] ihr Zerrbild die Tyrannis in greller Schilderung gegenüberstellt (I 67ff. III 25ff. XXXII 26. XLVII 23ff.; s. auch VI). Diese loyale Haltung (eine antimonarchische Haltung des D. während der Exilszeit, wie sie v. Arnim annimmt, ist wenig wahrscheinlich), die er besonders durch Beschwichtigung einer Meuterei der Legionen an der Donau nach Domitians Tod etwa October 96 (Philostrat. vit. soph. p. 8, 3ff. Kayser) bethätigte, musste ihn einer verständigen römischen Regierung empfehlen, zumal als der ihm längst (XLV 2) befreundete Nerva Kaiser wurde. Im Sommer 97 (anders v. Arnim Dio v. Pr. 405ff. 438ff.) hielt er bei der Olympienfeiεr die 12. Rede, eben aus dem Getenlande zurückgekehrt, wo damals schon, vermutlich infolge des Thronwechsels in Rom, die Unruhen ausgebrochen sein müssen (schon Sommer 95 galt Histrum servare latus für eine Aufgabe von besonderer Bedeutung nach Stat. silv. IV 4, 63; s. auch St. Gsell Essai sur le règne de l’emp.' Domitien 229),. die dann zu Traians dacischen Kriegen führten (XII 16ff.). Darauf begab er sich zu Nerva (XLV 2) nach Rom (frühestens Spätjahr 97), wo er aber infolge einer heftigen Erkrankung seinen Einfluss (XLI 7. XLV 8. 15; einige Städte dankten dem Nerva für die dem D. erwiesene Gunst XLIV 6) nicht so, wie er wünschte, zu Gunsten seiner Vaterstadt geltend machen konnte (XLV 3). Doch schlug er Vorteile für Prusa heraus (XL 10. XLIV 11. XLV: 7. 10), welche den Verdruss anderer, besonders der Apameier (XL 33) erregten, einem Teil der Prusaeer freilich, welche die Freiheit wünschten (XLIV 5. 11f. XLV 4f.), nicht genügend erschienen (über die Art dieser Vorteile s. Wilh. Clausen De D. Chr. Bithynicis orat. 3ff. und v. Arnim Dio von Prusa 327f.). Den Urlaub, den er sich von Nerva erbat, um sich nach Prusa zurückzuziehen und hier in Ruhe (XL 1. 12) für sich zu leben, erhielt er (er liest seine Correspondenz mit Nerva darüber den Prusaeern vor, XLIV 12; dieser Brief ist XL 5 gemeint, und in ihm müssen auch die kaiserlichen Privilegien für Prusa enthalten gewesen sein). Die Rückkehr nach Prusa erfolgte über die Hafenstadt Apameia, wo er Töchter verheiratet hatte (so ist wohl XLI 6 zu verstehen), das Bürgerrecht besass (XLI 4ff.) und damals mit Auszeichnung empfangen wurde (XLI 1). Die Begrüssungsrede (φιλοφρονητικός, vgl. XL 5, welche Stelle Clausen 19f. 35 missversteht) des D. an seine Mitbürger, an deren Schluss er den Brief des Nerva vorlas, ist or. XLIV. Die von D. geführte Dankgesandtschaft (im J. 99/100, v. Arnim Dio v. Pr. 325) nahm der Kaiser, nunmehr Traian, nicht ganz so zuvorkommend auf, wie man erwartet hatte (XL 13. 15). Dem neuen Kaiser scheint D. schon bei dieser Gelegenheit nahe getreten zu sein und vor ihm or. I (vor ihr hat er nach I 9 mit Traian keine persönlichen Beziehungen gehabt), vielleicht auch II, deren kriegerischer Ton gut in die Zeit der Vorbereitung zu einem Dacierkrieg passt (v. Arnim a. a. O. 405), gehalten zu haben (III 3 deutet schon ein intimeres Verhältnis zu Traian an). Wiewohl D. sein Eigentum in Prusa in der grössten Verwahrlosung vorgefunden hatte (XL 2. XLV 10), fasste er doch alsbald grossartige Pläne zur Hebung und Verschönerung seiner Vaterstadt (XLV [856] 12ff. XLVII 15), die später (XLVII 19ff. wird nur noch von einer στοά geredet, die zu unterscheiden ist von den schon vor D.s Verbannung auf dessen eigenem Grund und Boden gebauten στοαί und ἐργαστήρια XLVI 9) freilich erheblich eingeschränkt erscheinen. Den Widerspruch, in welchen sich D. hiebei mit seinen kynischen Principien setzte, hebt v. Arnim Dio von Prusa 340f. gut hervor. Seine Absichten drangen in die Öffentlichkeit, die römische Behörde interessierte sich dafür, schliesslich wurden sie in einer Volksversammlung erörtert und mit dem grössten Beifall aufgenommen (XL 5. XLV 16. XLVII 14). D. nahm trotz der ihm erwachsenden grossen Kosten und Beschwerden (XL 7. XLVII 20) die Ausführung in die Hand (analoge Leistungen des Kleitosthenes für Thera s. Athen. Mitt. XXI 256f.), begegnete aber, als er zum Zweck der Neubauten einige Schmiedewerkstätten niederreisen liess (XL 8ff. XLVII 11), dem lebhaftesten Widerspruch und war bei dem ersten Provinciallandtag nach seiner Rückkehr, obgleich er sich aller politischen Thätigkeit enthalten hatte (XLV 7ff.), Gegenstand heftiger Anschuldigungen (XL 1) wegen Gewalttätigkeit (XLV 10f., vgl. XLIII 1. XLVII 18. 23. L 10 und im ganzen Clausen 38–51). Wahrscheinlich bei dieser Gelegenheit (XLIII 2 ἐνθάδε) ist or. XLIII im Rat gehalten, in welcher sich (11ff.) noch keine Anspielung auf D.s Baupläne findet (anders Clausen a. a. O. 34 und Dessau Herm. XXXIV 85f.). Weit gedieh die Arbeit damals jedenfalls nicht (XLV 14). In dem neuen Rat, dessen Einsetzung (nach Clausen a. a. O. 10ff. nur die Beschenkung der neuen Buleuten durch den Kaiser) die Prusaeer dem D. verdankten und auf dessen Mitwirkung er gehofft hatte (XL VIII 11), gab es bald Unordnungen (XLVI1I 6. 8), während welcher D. auf der Seite des Demos stand (L 3f.; v. Arnim Herm. XXXIV 377f. 9 denkt an einen über ganz Bithynien verbreiteten Aufstand des Demos gegen die Besitzenden); der Proconsul Varenus wurde als Friedenstifter herbeigerufen (XLVIII 13; unmittelbar vor seiner Ankunft ist or. XLVIII gehalten; die Anspielung auf die Dacier § 5 kann auch einige Zeit vor Ausbruch des Kriegs datiert werden, Sonnys Ansatz Anal. 215 ist also nicht der einzig mögliche; auch v. Arnim, der den Anfang von Varenus Proconsulat 101/2 setzt, schliesst Leben u. Schr. des D. 378 aus der Erwähnung der Dacier, dass or. XLVIII im Sommer 102 sogleich nach Varenus Eintreffen in der Provinz gehalten sei, und verteidigt seinen Ansatz Herm. XXXIV 376ff.). Aus allen diesen Unannehmlichkeiten (auf diese Zeit weist das πρότερον or. XL 1. 5) scheint D. durch die Berufung zu Traian befreit worden zu sein; er übergab dem Volk die weitere Besorgung der Neubauten (XL 6), lehnte ein ihm angetragenes Amt wegen bevorstehender Abreise (XLIX 15) ab, verabschiedete sich von dem Rat, dessen Mitglied einstweilen sein Sohn geworden war (L 10) in einer versöhnlichen und schmeichelhaften Rede (L) und begab sich nach Rom. Dass D. mit dem Kaiser in einen dacischen Krieg gezogen sei, können wir nicht beweisen; denn die 12. Rede, welche der soeben von der römischen Reichsgrenze an der unteren Donau zurückgekehrte D. beim Feste in Olymnia gehalten hat, kann weder 101 noch [857] (mit v. Arnim Dio v. Pr. 405) 105 gesetzt werden, da XII 16f. offenbar den verbannten D., nicht den Begleiter des Kaisers schildert (s. o. S. 855). Jedenfalls war D. bei Traians Daciertriumph im J. 102 in Rom (Philostrat. vit. soph. p. 8, 15ff. Kayser), schon eng befreundet mit dem Kaiser (vgl. auch Themist. or. V p. 63 d. XI 145 b. XIII 178 c). Damals wird er auch die Reden an grösseres Publicum in Rom gehalten haben, von welchen er XIII 28ff. spricht und zu denen LXXVII – LXXIX gehören. Sicher (XLVII 1) bereiste er auch, jetzt oder später, andere Städte, z. B. Alexandria, wo or. XXXII (nach XXXI, auf welche Rede sich wohl XXXII 52 bezieht) unter Traian (XXXII 60. 95; zu 71f. vgl. v. Arnim Ausg. II p. 349 und Leben und Schriften des D. 435ff.) gehalten ist. Dass D. bei dieser Gelegenheit auch ins Innere von Ägypten reiste, ist möglich, aber nicht mit Sicherheit (Fabricius Bibl. gr. IV 305) aus or. XI 37 zu entnehmen; es könnte hier eine Reminiscenz an Platons Kritias vorliegen. Bald nachher muss D. wieder nach Prusa zurückgekehrt sein, wo er (s. u. S. 872) die 36. Rede im J. 102/3 gehalten hat; er entwirft hier ein Bild von der Harmonie des Weltlaufs, wahrscheinlich mit der ihm auch sonst (s. u. S. 859) beliebten Application auf die ὁμόνοια der Menschen (vgl. XLVIII 14). Nicht lange nach seiner Rückkehr (XL 25) wurde er nämlich wider seinen Willen veranlasst, als Friedensstifter zwischen Prusa und Apameia (Anlass zum Streit gab vermutlich die durch den Kaiser genehmigte Befreiung des früheren Fleckens Prusa aus der Abhängigkeit von Apameia, Clausen 52ff.; s. auch v. Arnim Dio von Prusa 359f.) seinen Einfluss geltend zu machen; in dieser Angelegenheit sind or. XL (in der Volksversammlung zu Prusa, XL 20) und XLI (in Apameia) gehalten. Seine Baupläne nahm er um so zuversichtlicher wieder auf, als er auch den Kaiser Traian für die Hebung von Prusa interessiert hatte (XLVII 13. 22). Aber es wurden neue Schwierigkeiten gemacht; als die Arbeiten schon weit vorgeschritten waren (XLVII 12; es handelt sich übrigens jetzt nur noch um eine στοά), beschwerte man sich, dass er in den durch eine Halle und Bibliothek gebildeten Baucomplex die Gräber seiner Frau und seines Sohnes und dazu eine Kaiserstatue verlegt habe (XLVII 16. Plin. ep. ad Trai. 81: die Verlegung von Gräbern in ein öffentliches Gebäude, welche sonst gegen städtisches Gesetz war [Cic. de leg. II 58. Gesetz von Tarent Rev. archéol. 3. sér. t. XXIX 399] scheint nicht beanstandet worden zu sein); or. XLVII ist vor Ankunft des jüngeren Plinius in Bithynien (im J. 110 oder 111, v. Arnim Dio v. Pr. 506f.) gehalten, da dieser Legat war (Th. Mommsen Herm. III 96), D. aber noch vom Recurs an den Proconsul spricht (XLVII 19). Endlich wurde er förmlich angeklagt durch Flavius Archippus wegen Majestätsbeleidigung und von Eumolpos wegen unrichtiger Verrechnung der Bauarbeiten. Plinius sass über die Sache in Nikaia zu Gericht, forderte die Parteien zu schriftlicher Formulierung ihrer Behauptungen auf und sandte, da die Kläger mit ihrer Eingabe zögerten, zunächst D.s Verteidigungsschrift an den Kaiser mit der Bitte um Weisung. Traian wünschte (ep. ad Plin. 82), dass von D. [858] nur die Rechenschaftsablegung, zu welcher dieser selbst erbötig war, gefordert werde. Weiteres ist nicht bekannt (über den ganzen Process s. v. Arnim Dio v. Pr. 507ff.). Wahrscheinlich ist, dass diese Widerwärtigkeiten den D. veranlasst haben, den XLVII 17. 19ff. angedrohten Wegzug von Prusa wirklich auszuführen und (Kayser zu Philostrat. vit. soph. Specialausg. p. 174) wieder nach Rom überzusiedeln (anderes, aber Unsicheres s. Breitung 18f.), bezw. aufs neue (v. Arnim Dio v. Pr. Cap. V) als Reisender zu wirken. Wann und wo D. gestorben, ist unbekannt (wenn, was aber nicht der Fall, die Annahme von H. Haupt Philol. XLIII 395ff. begründet wäre, dass die von Suidas dem Cassius Dio zugeschriebene Schrift τὰ κατὰ Τραιανόν dem D. Chrysostomos gehöre, so müsste letzterer den Traian wohl überlebt haben). Von seinem Äusseren und seiner Lebensweise giebt D. mehrfach anschauliche Schilderungen, s. o. S. 853 (kränkliches und schmächtiges Aussehen VII 8. XIX 1; männlich–ehrwürdiger, ernster Gesichtsausdruck XXX 5; tägliches Leben LII 1. LXXX 1f. Encom. com. p. 307 Arn. XIX. XX 10; einige aus den erhaltenen Reden nicht nachweisbare, auf des ,Sophronios‘ Übersetzung von Hieron. vir. ill. zurückgehende G. Wentzel in v. Gebhardt–Harnack Texte und Untersuchungen XIII 3, 54f.] Züge giebt Phot. p. 320, 11ff. Arn.); Charakteristik seiner Eigenart L 6. LI 3 XXI 10. XIII 29; auch in der Figur seines Diogenes, besonders or. IX sind viele Züge D.s enthalten.
Schule machen will D. ausgesprochenermassen (XXXV 7ff.) nicht; doch werden einige Schüler von ihm genannt: Lasthenes (Philostrat. vit. Ap. V 38), Favorinus (Philostrat. vit. soph. I 8, 4) und Charidemos (or. XXX 4). Polemon reiste, um ihn zu hören (aber nicht als Schüler), eigens nach Bithynien (Philostrat. vit. soph. I 25, 8). Freundschaftliche Beziehungen des D. zu Plutarch. sind wahrscheinlich (Kayser zu Philostrat. vit. soph. Spezialausg. p. 174. R. Volkmann Leben und Schr. des Plutarch I 110; s. aber auch R. Hirzel Der Dialog II 78, 1). Über den ethischen Erfolg seiner Reden äussert sich D. selbst LXXII sehr pessimistisch, aber wahrscheinlich richtig.
Über D.s Verhältnis zur Philosophie urteilt treffend Synesios p. 316, 8ff. Arn.; in theoretische Speculationen, besonders über Physik, habe er sich nicht eingelassen, da sein Übertritt zur Philosophie erst spät erfolgt sei; in der Ethik sei er von der Stoa angeregt (ὅνασθος τῆς στοᾶς) und habe an männlicher Haltung alle zeitgenössischen Philosophen übertroffen; für seine Mahnreden an Fürsten und Privatleute habe er sich der zuvor gewonnenen Redefertigkeit bedient. In diesem Sinn ist seine Philosophie als die eines stoisierenden Moralisten von E. Zeller Phil. der Griechen III 1³ 817–820 skizziert; die Schrift von C. Martha Dionis philosophantis effigies, Strassburg 1854, ist dem Referenten nicht zugänglich. Zu einer gründlicheren Darstellung von D.s philosophischer Richtung ist ein grosser Teil des Materials gesammelt in H. von Arnims Index II 371–377. Stoiker heisst D. auch Schol. Luc. p. 348 Jacobitz (vgl. auch seinen Ausfall gegen die Epikureer XII 36ff.) und ist es in allen Hauptsachen der theoretischen und praktischen Philosophie. Wiewohl er technische [859] Erörterungen verwirft (XXXII 25. XXXIII 4ff.), hat er doch nach Suidas mit einer Schrift εἰ φθαρτὸς ὁ κόσμος in eine zwischen Stoikern und Peripatetikern viel besprochene Controverse aus der Physik eingegriffen. Die gesamte Welt betrachtet er als ein vom λόγον geleitetes ζῷον (XXXVI 29ff., wo auch das Bild von einer πόλις gebraucht wird; vgl. I. Bruns De Dione Chr. et Aristot. 15), aufgebaut aus den vier Elementen (XII 81. XXXVI 30. 45ff. XL 35; vgl. XXXVIII 11; die dunkle Farbe der Luft XXXVI 45 s. auch Philo de opif. mundi 7, 29), im ganzen wie in seinen Teilen zur τάξις, ὁμόνοια und σωφροσύνη gestimmt und deshalb von vollendeter Regelmässigkeit und Schönheit (III 75. XVII 11. 19. XXXVIII 11. XLVIII 14. LXXV 2; hier liegen antisthenische Ideen vor: C. Joel Der echte und der xenophontische Sokrates I 494; Anklänge an Poseidonios weist nach K. Prächter Berl. philol. Wochenschr. 1894, 709ff.; Ähnliches bei Ps.–Phokylides s. J. Bernays Ges. Abh. I 208). Das oberste und reinste Element, dessen Träger die Gestirne (XII 58. 60. XXXVI 43f.) sind, unter ihnen besonders die Sonne (III 73), das Vorbild menschlichen Lebens (I 24. III 11. 82. XL 38), ist das ätherische πνεῦμα, welches als einheitliche δύναμις und ψυχή die Welt durchwaltet (XXXVI 30), in der ὑγρὰ οὐσία διαθέον zeugend wirkt (XXXVI 57; vgl. XVII 19) und von welchem einen Teil (θερμὸν πνεῦμα XVII 19) die menschliche Seele bildet (λεπτὴ φύσει LXXX 8). Der Äther wird dem Feuer gleichgesetzt, XL 39, worin Schol. z. d. St. aristotelischen Einfluss sucht, wiewohl nicht eigentlich ein fünftes Element von D. angenommen wird. Der Körper besteht meist aus Erde (LXXX 8; die stoische Lehre von der περίψυξις, über welche s. Ad. Bonhöffer Epiktet und die Stoa 49ff., ist XII 31 angedeutet); die ἰκμάς der Erde ist die erste Nahrung des frühesten Menschengeschlechts (XII 30). In bestimmten Perioden wird die ganze Welt durch die ἐκπύρωσις; (ἐπικράτησις αἰθέρος, XL 37) verzehrt, gereinigt und dann verjüngt (von der ἐκπύρωσις zu unterscheiden sind die innerhalb der Weltperioden zeitweilig eintretenden Elementarkatastrophen). Mit dieser Lehre hängt zusammen D.s Überzeugung von der zunehmenden Degeneration des Menschengeschlechts (Stellen s. W. Schmid Der Atticismus I 74; dazu vgl. or. XXXI 75. 117. 124. 126. 163. XXXIII 30. LII 5; die Auffassung ist in der Stoa seit Chrysippos verbreitet, Ad. Bonhöffer Die Ethik des Stoikers Epiktet 134. 141, 1. Philo de opif. mundi § 140f. Tac. ann. III 55. Strab. VII 301. Auct. π. ὕψ.. 44; vgl. auch A. Schmekel Philos. der mittl. Stoa 76 und besonders I. Bruns De Dione Chr. et Aristot. 9f.), der zufolge das Ältere ohne Weiteres das Bessere (I 8. III 3. 61. 93. XII 10. 12. 22. XIII 14. VII 89. XXI 1. XXXII 61. XXXIII 57), das Neuere das Schlechtere ist (I 3. XXI 11. LXXII 16; selten werden Leistungen der Gegenwart anerkannt wie XVIII 12. XLIX 12. XXI 1). Zusammenhängend ist diese Physik in mythischer Form, nicht sehr glücklich verquickt mit Platons Phaidros (ausser den vier Rossen ist platonisch auch der XXXVI 55 eingeführte ἕρως; so schon Phot. p. 320, 27f. Arn.), vorgetragen XXXVI 39ff. (über diese Stelle s. I. Bruns 3ff), [860] ohne Allegorie I 42f. XL 35ff. In poetische theologische Sprache umgesetzt lautet diese Anschauung so: die Götter, welche eigentlich alle zusammen eine Kraft darstellen (XXXI 11, vgl. Antisthenes φυσικός frg. I Winkelmann), deren Oberster und Inbegriff Zeus ist (P. Hagen Quaest. Dion. 27f.), der im Äther Wohnende (XXXVI 43), der Vater und König der Götter und Menschen (I 40. IV 22. XΙΙ 29. 42. 75. XXX 26. XXXVI 32. 36. LIII 12. LXXIV 27), bilden einen Staat (XXX 26. XXXVI 22f.), in welchem es nicht ἔρις, ἧττα oder στάσις (XXXVI 22. XXXVIII 11) giebt; alles Unvernünftige und Schlechte ist ihnen fern (I 16), und selbst im Vollbesitz aller Tugend (XXIII 6) sind sie Vorbilder für die Menschen (I 38. VI 31. XXXVI 22. 32. LIII 11, vgl. Sen. ep. 90, 50). Diese letzteren sind wie eine Colonie der Götter (XXX 26; vgl. Philo de opif. mundi § 135), denen sie verwandt sind (I 40. XII 75) und die mit ihrer πρόνοια (I 42. II 75ff. XXXII 12. 14f. XXXVI 29ff.) über ihnen walten. Die Gemeinschaft, welche Menschen, Natur und Götter verbindet (I 42. XL 35f.; auch Tiere und Pflanzen sind aus ihr nicht ausgeschlossen, XII 35f.) und in welcher eines auf das andere so gestimmt ist, dass keines ohne Schaden sich auflehnen kann (XII 27f. 32. XXXII 46. XXXVIII 11. XL 35ff. XLVIII 14ff.), ist zusammengehalten durch das Band des λογικόν (XXXVI 23. 31. XII 27; der Mensch ist definiert als ζῷον λογικόν XXXVI 19).
Daraus ergiebt sich als oberstes Gebot der Sittenlehre, dem νόμος τῆς φύσεως (LXXX 5) zu folgen. Die Mittel, dies Gesetz zu erkennen, sind ἐπιστήμη und φρόνησις (LXXIV 25), welche durch παιδεία (zwei Arten äemaideia, göttliche und menschliche, werden unterschieden IV 29) und λόγος allein zu gewinnen sind (I 8. IV 29ff. VIII 8. XIII 27. 31. XX 11. XXVI 7. XXX 25. XXXII 3. 13. 16. XXXIII 22. XXXIV 5. XLVIII 7. 17. LXVIII 5. LXXII 7; vgl. Ad. Giesecke De philosophor. vet. quae ad exil. speetant sententiis 1891, 13f.). Die Quellen für die Erkenntnis jenes Gesetzes werden XII 26ff. bezeichnet: zunächst die dem gesamten λογικόν angeborene, durch die unmittelbare Erfahrung von der umgebenden Natur genährteἐπίνοια καὶ δόξα (XII 27ff.), dann die teils geschriebene teils ungeschriebene Überlieferung von μύθοι, λόγοι und ἕθη] (das ἕθος wird als das Instinctive dem vöfiogνόμος übergeordnet, LXXVI), deren Träger teils die Dichter sind, aber nur die ältesten, denen göttliche Inspiration zu teil wurde, besonders Homer (über D.s Homerstudien s. A. Olivieri Riv. di filol. XXVI 586ff.; zur Beurteilung Homers bei D. s. ausser or. XI bes. XXIX 22. XXXVI 10f. XII 23ff.) und Hesiod, nicht die Tragiker (XVIII 3. XXI 11. XXXVI 33ff. LΙΙ. LXXVII 1ff. XII 39ff.; vgl. M. Aurel. comm. I 16 p. 7, 6 Stich. XI 6, 3. III 7; günstiger über die Tragiker LXVI 6. XVII 8), teils die Gesetzgeber (νόμος = λόγος ὀρθός I 75. XXXVI 19f. LXIX 6; s. besonders LXXV; von dem Naturgesetz werden aber die vielfach irrenden, compromissarischen einzelnen Gesetze unterschieden LXXX 3ff., womit vgl. Plat. leg. IV 715 A ff.); endlich gehört auch die alte (vgl. XXI 1) Plastik unter diese Quellen (XII 43ff.), welche alle aber nur der einzig vom λόγος (XLIX 3) geleitete Philosoph [861] richtig zu benützen vermag (XII 46); denn auch der philosophischste Dichter Homer (XLVII 5. LXXX 7), den D. nicht weniger als den Platon liebt (LIII 3), der in seinem eigenen Leben ein Vorbild gegeben hat (LIII 9. LV 7ff.), der grösste Kenner menschlicher πάθη (LXI 1), giebt, wie er denn manches auch nur erraten lässt (LXI 8), nicht die ἀκριβεστέρα φιλοσοφία (XXXVI 27) und verdient hie und da Tadel und Verbesserung (XI. XXXVI 10ff. XXIX 22); die Dichter überhaupt gleichen den Tempeldienern, nicht den Mysten (XXXVI 27) und verdanken einen grossen Teil ihrer Beliebtheit lediglich ihrer Übereinstimmung mit der Volksmeinung (VII 98f.). Um die von ihnen überlieferten μύθοι ohne Schaden benützen zu können, bedarf man der richtigen, d. h. der von Kynikern und Stoikern recipierten allegorischen Erklärungsmethode (II 44. XI 17. LIII 3ff. LV 11ff. LXXVII 5), welcher sich D. selbst sehr häufig bedient. Abbilder von Zuständen, in welchen das ungetrübte Naturgesetz waltete, findet der Culturmensch besonders im Leben der Tiere (E. Weber Leipz. Stud. X 106ff; s. besonders or. III 50), der vorzeitlichen Menschen (E. Weber a. a. O. 117ff.), den Gebräuchen barbarischer Völker (Weber 127ff.) und der von städtischer Verfeinerung unberührten Landleute (I 51. XXX 25; s. auch Weber 123ff.), deren Glück D. in der Dorfgeschichte der 7. Rede (übersetzt in O. Jahns Aufsätzen ,Aus der Altertumswissenschaft‘; gute Bemerkungen über den künstlerischen Wert der Dorfgeschichte bei v. Arnim Dio v. Pr. 493ff.) classisch geschildert hat. Der verwirrten und verirrten Menschheit schicken aber die Götter immer von Zeit zu Zeit erleuchtete Verkünder ihres Gesetzes, die Lebensordnung zu bessern und Vorbilder zu geben; solche waren in alter Zeit Perseus, Dionysos und vor allen Herakles (XXX 27), dessen Leistungen D. nach kynischer Art, in vielfach allegorischer Umdeutung der Mythen, besonders häufig als vorbildlich schildert (am zusammenhängendsten VII 27–34, ein ἐγκώμιον Ἡρακλέους hat D. verfasst nach Suid.; Herakles ist Vorbild der Sinnenbeherrschung V 21. XV 5. LX; der berechtigten Härte gegen die eigenen Angehörigen LXXVIII 44; der Verachtung gegenüber den Schmähungen der Menge LXVI 23; der unermüdeten Kraft im Kampf mit den Hindernissen des Lebens XLVII 4 ; am meisten Vorbild der Könige I 59ff.). Sie alle waren Menschen, wurden aber ihrer Vortrefflichkeit wegen von den Menschen für Göttersöhne erklärt (P. Hagen Quaest. Dion. 36). An ihre Stelle traten in späterer Zeit, wiewohl dem Herakles nicht ebenbürtig (XLVII 3), die Philosophen (ihre göttliche Mission s. o. S. 853; über die Philosophen als ἐπίσκοποι oder κατάσκοποι E. Zeller S.–Ber. Akad. Berl. 1893, 129ff.), unter denen (der besonders LIV stark kynisch gefärbte – ähnlich der Aristoteles von or. II 79 –) Sokrates (dessen Meinung D. verkündigen will, III 29; vgl. XIII 29. XLIII 8. LX 10. LXXII 11) und Diogenes (VI. VIII–X) am meisten hervorleuchten; von ihnen wiederum sind die Philosophen der Gegenwart matte Abbilder (LXXII 16).
D.s Optimismus, zu welchem seine Überzeugung von der Schlechtigkeit der Gegenwart (s. o. S. 859; vgl. LXXIV, aber auch LXXIII 10) [862] als begründet in der stoischen Lehre von den Weltperioden keineswegs im Widerspruch steht, ist am anschaulichsten in dem echt kynischen zweiten Mythus von or. XXX (26ff.) dargestellt. Aus dieser Auffassung versteht sich der Glaube, dass die Götter nur Gutes schicken können (XXXII 14ff. XXIII 10ff.), wofern sie nicht zur Strafe oder Besserung der Menschen zeitweise Katastrophen eintreten lassen (αὐτόματα XXXVI 47–50. XXXVIII 20; vgl. I 50). Der Begriff δαίμων (= τὸ κρατοῦν ἑκάστου καὶ καθ’ ὃν ζῇ τῶν ἀνθρώπων ἕκαστος XXV 1. Democrit. eth. frg. 10 Natorp. Heraclit. frg. 119 Diels; vgl. Plat. Tim. 90 A) ist von D. völlig rationalisiert (der populären Teilung in θεοί, δαίμων, ἄνθρωποι gedenkt er XXXIII 4); δαίμων ist die force majeure in sittlichen Dingen, deren Sitz entweder innerhalb (dann ist δαίμονες je nach Umständen Tugend oder Laster, IV 75ff. XXIII 5. 10ff.) oder ausserhalb des Menschen ist (in diesem Fall kommt die Wirkung entweder von der Gottheit, die oft δαιμόνιον genannt wird, z. B. I 15. XII 32. XXXIII 12. 28. XXIII 9ff., oder von autoritativen Menschen, wie denn Xerxes, Dareios, Hannibal, Alexander, Domitian u. a. δαίμονες ihrer Völker vielleicht nach orientalischer Vorstellung [Lewy Berl. philol. Wochenschr. 1892, 595] heissen, XIII 24. XLV 1 und besonders XXV; die äusseren Umstände sind δαίμων, XXXII 49); durch diese Deutung wird es möglich, die Götter, die ihrer Macht über den Menschen nach auch δαίμονες sind, von aller Verantwortlichkeit für das Übel in der Welt zu entlasten. Dieses schafft sich lediglich der Mensch selbst, wie er auch, da alles Glück in der Tugend eingeschlossen ist, seines Glückes Schmied ist (III 1. XXIII. XXV 1. XXXI 68. LXV. LXIX). Das Unglück kommt durch Unverstand, Hingabe an die δόξαι (III 19. XVI 4. XIII 31. LXVII). Sonny Anal. 169; dieser Zustand heisst nach kynischer Terminologie τῦφος, IV 6. 72. 77. XI 10. XXXIV 47. LVII 8. LXVI 4. XLVII 18; vgl. E. Norden Jahrb. f. Philol. Suppl. XVIII 311f.), deren schlimmste die ist, dass ἡδύ und ξυμφέρον identisch seien (III 90ff. 124), da doch der Mensch nicht durch ἡδοναί, sondern nur durch πόνοι gesund und glücklich wird (I 9. -1. II 45. III 3. 34. 83f. 123. IV 112. VI 8. 11f. VIII 13ff. 23. 26ff. IX 11f. XXXVIII 12. LX. LXXVIII 41; vgl. Antisthenes bei Diog. Laert. VI 1. 2. A. Bonhöffer Ethik des Epiktet 51, 26; nach dem Mythus XXX 32 besteht der πόνος nur darin, die Hände nach den Göttergaben auszustrecken). Der Glücksbegriff der Menge (XXVII 8), welche alles der ἡδονή wegen thut (XXXVII 43), die πόνοι aber scheut (LXVIII 1 ; über ἀργία X 7; τρυφή und ἀπάτη) XXXIII 15. 25. LXX 7; vgl. XXXV. LX), ist also verkehrt und wird besonders in der Figur des Xerxes kritisiert (III 1. IV 46. VI 1ff. 7. 35ff. XIV 18. XLVII 15. LXII 12). Schmerz und Lust sind freilich Notwendigkeiten, deren Einfluss auf die Vernunft aber überwunden werden kann (LXVΙΙΙ 2f.); diese muss den von Natur genügsamen (X 10) Körper wie eine πρόνοια leiten (III 68ff., vgl. XLVIII 17. XLIX 3); durch Übung (ἅσκησις III 124ff.; vgl. über den Terminus Edw. Hatch The influence of greek ideas and usages upon the Christian church 1891, 148ff.) und Abhärtung [863] (VI 8ff. 26f. XVI 7. 11. XVIII 6. XXVIII 2. XXXVIII 12. XLIV 10. LXXVΙΙΙ 41) muss sich der Mensch gesund (s. A. Giesecke a. a. O. 90) und zum Kampf des Lebens fähig machen, wofür Herakles Vorbild ist (XLVII 4). Darauf ist die Erziehung einzurichten, aus der alles, was keinen ,Wert‘ hat (ὄφελος s. z. B. VII 110. VIII 28. 34. XII 13. XVI 6. XXIV 1. 3. XXVI 4. XXXIII 5. XXXIV 3. XXXVΙΙΙ 29. XLVII 15. XLVIII 6. 9. LIV 2. LXXΙX 2. 6; vgl. das prodesse bei Sen. ep. 88, 19. 109, 12), wegzulassen ist. Die Tugend, welche sich in die vier Cardinaltugenden teilt (XXIII 8. III 6f. 32. 58. LXXVIII; nur drei Cardinaltugenden XIII 34. LXII 7) und deren nicht blos negativer Charakter betont wird (LXIX; vgl. LXVIII 7), ist ihr einziges Ziel, weit wichtiger als Vielwissen (XXXIII 4ff. XXXV 2f. LXXI 2) und als fachliches Wissen und Können (XXIV 1f.). Das naturgemässe Leben nach der Tugend soll freiwillig (III 123. IV 115) gewählt werden; es besteht in Fernhaltung alles Unnatürlichen,. d. h. Unvernünftigen : der Ungerechtigkeit (II 71. 73), Uneinigkeit (XLVIII 14ff. XL 35ff.), der Leidenschaften (ἡδοναί, ἐπιθυμίαι, λῦπαι, φόβοι, III 39. XVI. XLIX 9; unvernünftige Tapferkeit, deren Typus Achilleus ist, LVIΙΙ 6. XXLX 18; als νόσοι bezeichnet D. die Leidenschaften z. B. XLII 32. XVII 6. LXVI 2. 12. 19. LVII 8), besonders der Trias (IV 83ff. XIII 13; vgl. E. Norden Jahrb. Suppl. XVIII 338ff.): (φιληδονία oder ἡδυπάθεια (XXXVIII 12), φιλοχρηματία (über πλεονεξία XVII 11f.; sie ist wider die Natur, weil von Natur alle Güter allen gemeinsam sind, LXXVIII 15; Reichtum soll nur der Wohlthätigkeit dienen, I 62. LXV 10), φιλοδοξία oder φιλοτιμία (XI 6. LII 12. LV 14. LXVI–LXVIII. LXXVIII 26). Der Lohn der Tugend ist die vollkommene innere Freiheit, vermöge welcher man nie in die Lage kommt, das Glück anzuklagen (LXV), und selbst im Stande der Sclaverei sich glücklich fühlt (XIV 9ff.), da die einzige Sclaverei darin besteht, nicht zu wissen ἃ ἔξεστι καὶ ἃ μή, (XIV 18 XV. LXXX 7ff.). Von diesem Standpunkt aus werden die Auswüchse der Cultur verurteilt: Sclaverei (X 8ff.), Krieg (I 6. XXXVIII 16ff. LXXV 9), Eroberung (IV 53), Waffentragen (IV 64), künstlerischer Luxus (VI 5. VIII 27. XI 42. XIII 19. LXXX 13), persische Jagd in Parks (III 136f.), Agonistik und Athletik (VIII 15. 27. 30. IX 10ff.; s. dagegen XXIX 6. LXXV 7 u. o. S. 849; vgl. E. Norden Jahrb. Suppl. XVIII 299ff.), Adel (XV 29; vgl. Antisthenes bei Diog. Laert. VI 1, 1. Wendland in Wendland–Kern Beitr. z. Gesch. der griech. Philosoph. u. Relig. 51ff. Immisch Commentat. Ribbeck. 83f.), grossstädtisches Leben (VII 104ff. XXXIII 18; s. aber XXXII 45), Päderastie (VII 148ff.; s. übrigens LXVI 1. 7. 27. XXI 4f. XXXVI 8. XLIX 5; vgl. P. Wendland a. a. O. 33ff.), Prostitution (VII 133ff.), Castration (XXI 4ff. LXXVIII 36; s. dagegen Xen. Cyrop. VII 5, 60ff.), alle den Bedürfnissen raffinierter Cultur dienenden Berufsarten (VII 10911. LXIX 5. LXXVII; in Platons Sinn spricht sich D. VII 117ff. gegen alle Künstler und Kunsthandwerker aus, deren Arbeit nur Schein erzeugt.; sonst achtet er das Handwerk, XXXIV 23; vgl. LXXI 5), unter welche er gelegentlich (s. aber [864] LXXVII 14) auch den ärztlichen Beruf rechnet (VI 22f. XXVII 10. LXIX 5). Grösste Bedürfnislosigkeit ist grösstes Glück (XII 34f.) und die Armut etwas Heiliges (VII 9; vgl. schon XLVI 11); der Beantwortung der Frage, wie man in Ehren arm sein könne, ist or. VII gewidmet (eingeteilt nach dem Schema 1. Armut auf dem Land, VII 1–102; 2. Armut in der Stadt, 102ff.; vom zweiten Teil fehlt der positive Schluss). Auch an der Einrichtung des Gottesdienstes wird Kritik geübt (über D.s Religiosität v. Arnim Leben u. Werke des Dion 476ff.). Frömmigkeit zwar ist eine von den übrigen untrennbare Tugend (LXIX 2. 4), welche vor allen der König und der Weise zu üben hat (III 51ff. LXX 7); aber die gottesdienstlichen Einrichtungen sind nach D. nur schwache Versuche, eine sinnliche Annäherung des Menschen an das Göttliche auf symbolische Weise möglich zu machen (XII 59. XXXVI 59ff.); die Götter sehen nur auf die Gesinnung (XXXI 15), nicht auf kostbare Opfer (XIII 8. 35. XXXIII 28) und umständliche Ceremonien (IV 76). Das Gottvertrauen des Vernünftigen (XLV 1) bedarf der Gebete nicht (XVI 7f. XLIV 10; doch verrichtet D. regelmässig ein Morgengebet, LII 1; vgl. dazu M. Aurel. comm. V 7; bemerkenswert ist, dass sich eigentliche Gebete nur in Jugendreden des D. finden XXXVIII 51. XXXIX 8), ebensowenig mystischer Weihen (IV 90. XII 27. 33; Kritik der orphisch–pythagoreischen Lebensanschauung im ersten Mythus von or. XXX, besonders § 25; ironische Behandlung des Orpheus XXXII 63ff. XXXV 9. LIII 8. LXXVIII 19; vgl. XIX 3) und der populären Methoden, den Willen der Gottheit zu erforschen, wozu doch nur der λόγος vollkommen ausreicht; zwar anerkennt D., dass manchen gottgeliebten Menschen (I 54ff. XLIX 7) Sehergabe verliehen sei, aber gegenüber den gewöhnlichen Orakelinstituten verhält er sich, wiewohl er selbst einmal (XIII 9) das delphische Orakel befragt hat, sehr skeptisch (X 28. XIII Off. XVII 16. XXXIV 5. LXXII 12. LXXV 4).
Das Ideal tugendhaften Lebens ist verkörpert in dem Philosophen (meist nennt ihn D. φιλόσοφος; daneben findet sich auch z. B. XIV 17. XXIV 2. LXXVII 14 der Ausdruck fronimow, über dessen Zugehörigkeit zu der kynischen Terminologie s. K. Joël Der echte und der xenophontische Sokrates I 353), den D. ganz in stoischer Art schildert; er ist sittlich untadelhaft (XXXIV 3), allein fähig, richtig zu erkennen und zu handeln (LXVII 1. LXVIII 5f. LXXVIII 15), an Einsicht allen Fachleuten überlegen (LXXI 5f.), allein vollkommen frei. d. h. Herr über sich selbst und glücklich (XIV 17. XLVII 17. XLIX 9. LXXVIII 37ff. LXXX 3ff. XXIII). In schroffem Gegensatz steht ihm die unvernünftige Menge gegenüber (XXIII 9. XXIV 1. XXXV 22. LXXI 1): ihr Urteil, selbst ihren Beifall, verachtet er (XXXV 9. XIV 3. XV 32. XVI 5. XXIV 4. LX 2. LXI 2. LXV 13. LXVII 3. LXVIII 1. LXXII 7. LXXVIII 17ff.) und macht seinen Unterschied von ihr auch in Tracht und äusserem Auftreten kenntlich (LXX 7f. LXXII).
Bis hierher ist D. reiner Stoiker; zum Kyniker (XXXIV 2) macht ihn sein propagandistisches Bestreben, seine Bemühung um Besserung der öffentlichen Zustände im Sinn seines philosophischen [865] Ideals (gegen die Auffassung von E. Weber, der ihn etwas zu einseitig für den Kynismos in Anspruch genommen und in den vier Diogenesreden VI. VIII–X eine Art kynischer Programmreden gesehen hatte, wendet sich C. Hahn De Dionis Chr. orationibus quae Diogenes inscribuntur, welcher besonders S. 26 klar macht, dass man in diesen Reden nicht unverfälschte Wiedergabe altkynischer Schriften erwarten dürfe). Seine Meinung ist nämlich (XXX 42), dass der Weise, wenn der Unverstand der Menge allzu hoch steige, dieser doch auch, wenngleich flüchtig, seine Aufmerksamkeit widmen müsse, ja er spricht aus, dass sich der Philosoph über alle Fragen des öffentlichen Lebens zu äussern habe (XXII 3), dass es dem Menschen naturgemäss sei πράττειν τὰ κοινὰ, πολιτεύεσθαι, das Vaterland zu ehren und zu lieben (XLVII 2ff.), dass des Philosophen eigentliche Lebensaufgabe darin bestehe, Harmonie im Staatswesen zu stiften (XLVIII 14) und sich zum Herrscherberuf zu bilden (XLIX 3ff.). Aber auch wenn der Philosoph sich den Mühen öffentlicher Ämter nicht gewachsen fühlt (XLVII 3f.), so hat er doch die Mission (s. o. S. 853. 861), Seelsorger (19. XXVII 7ff.), Arzt (dies Bild am häufigsten), φύλαξ und σωτήρ (XXXII 18) der Menschen zu sein. So sehr aber D. in der theoretischen Philosophie Stoiker, in der praktischen Kyniker war (sogar gewissen Schamlosigkeiten der Kyniker redet er VI 16ff. das Wort), so nimmt er doch unter den Philosophen seiner Zeit eine besondere Stellung ein durch seinen sittlichen Ernst (XLV 12) und insbesondere durch seinen historisch–nationalen Sinn (im Gegensatz zu dem bei Stoikern und Kynikern üblichen Kosmopolitismus, z. B. des Seneca, Zeller Phil. d. Gr. III I³, 724; die allgemeinsten Pflichten der Humanität dehnt selbstverständlich auch D. [I 4; s. auch v. Arnim Dio von Prusa 491] über alle Grenzen der Nation und des Standes aus und erklärt LXXIV 26f. alle Menschen für Verwandte und Brüder). Er ist durch und durch Grieche und will seine Landsleute im weitesten Sinn zu würdigen Enkeln der alten Hellenen machen (XXXI passim. XXXII bes. 93. XLIII 2f. XLIV 10f. XLVIII 7. L 2), indem er sie durch die Bilder der ruhmreichen Vergangenheit, nationaler Grösse und künstlerischer Schönheit bei schlichter Lebenshaltung zu begeistern sucht. Vornehme Zurückhaltung, Anachorese missbilligt er (XXXII 7ff. 19. XXXIV 34. XIII 31. XX), wie er denn selbst gern festlichen Versammlungen anwohnte (XIX. XX 10. XXXII 8ff. XXVIII 1; vgl. IV 91) und die Berechtigung der städtischen Schauspiele (XXVII 1ff.) anerkannte. Der Philosoph soll ein Kämpfer sein (LXXVIII 40) unbekümmert um die Schmähungen der Menge, die ihn für einen Narren hält (VIII 36. LX 8. XI 16. XXXIV 2. 4. LXXVIII 41. LXXX 1; D. selbst wird insultiert LXXII 2), mit scharfer Rüge (XXXII 18. XXXIII 11. 13. LXXII 9. LXXVIII 38), gegebenenfalls aber auch mit Lob und Anerkennung (L 8) vor die Öffentlichkeit treten und diejenigen Ratschläge geben, zu deren Erteilung er weit besser als der Sophist (XXII 4. XXVI. XLIX 3. 13; vgl. VII 124) befähigt ist. Das Ideal des Philosophen schildert er VIII 30. IX 3. LXVIII 7. LXX 7ff. LXXVIII 26ff. XXXIII 14f. (vgl. XXIII. LXXI). [866] Von der übergrossen (LXXII 4) Herde der zeitgenössischen Philosophen οἱ καλύμενοι φιλόσοφοι LXXII 2. LXXVIII 34f.), am meisten von den ,gezähmten‘ Salonphilosophen (LXXVIII 34) und den Scheinphilosophen (LXIX 12) will er sich unterschieden wissen; verächtlich äussert er sich über die Schulphilosophie (XXXII 9. XXXIII 4ff. XXXV 7ff.). Auch dem modemässigen Kynismos will er nicht ohne weiteres zugerechnet werden (verächtliche Äusserungen XXXII 49. 62. 66. XXXIII 54. XXXV 10f.; vom kynischen Dogma Abweichendes z. B. XXXI 162. XXXII 44. 45. 52. 53f. 62. 89; s. auch R. Hirzel Der Dialog II 94, 1, wo nur frühe und späte, echte und unechte Reden nicht scharf genug geschieden sind).
Zur Besserung der Menschen sollen nach D. mit dem Philosophen zusammenwirken Regierung (XLIX 3. 7f.), Gesetzgebung (XXXII 18) und Kunst (XII; vgl. Plat. leg. IV p. 719 B ff.). Obenan stehen für diesen Zweck unter den Künsten die Poesie (s. o. S. 860; vgl. Strab. I 17; Wichtigkeit des Theaters XXXII 4. 32; Beurteilung der drei grossen Tragiker LII; vgl. LXVI 6. XVII 8. 20; Äusserung gegen die alten mythologischen Stoffe XXI 11) und die von ihr inspirierte (XII 57), der Malerei überlegene (XII 44) Plastik (über ethische Wirkung der bildenden Kunst s. auch Strab. I 19; über ihre Inferiorität gegenüber der Poesie Sen. ep. 88, 18). Der Musik wird nur hinsichtlich ihrer heilenden Wirkung gedacht (II 28. 56. XXXII 59; D. selbst war wenig musikalisch begabt, XIX 3). Nicht um ihrer selbst willen (XXV 3), sondern lediglich wegen der Wirkung auf die Massen (XXXII 18) bedarf der Philosoph auch der Rhetorik, aber nicht der aufgeputzten, marktschreierischen und schmeichlerischen (LI 2) der Sophisten (Ausfälle gegen sie IV 15. 28. 32. 33. 35f. 78. 132. VIII 9. IX 33ff. X 32. XI 6. 14. XII 5. 13. XIX 3f. XXXII 11. 39. XXXIII 1ff. 13. XXXV 8. XXXVIII 10. XLVII 16. LIV. LV 7. LVIII 2. LXVI 12. LXXVIII 27; vgl. Plut. de rect. rat. aud. p. 42 D. 43 F; symp. quaest. p. 709 B. 71O B), sondern der von der Philosophie untrennbaren (II 24. XXII 1f.) γενναία καὶ ἀληθὴς ῥητορική, zu welcher die Zierberedsamkeit (IV 78. XIX 3f. XXXIII 2f.) und die Advocatenkunst (VII 123. XXII1) im Gegensatz stehen; ihre Gegenstände bezeichnet D. XXII 2f. XXVI 8; Anweisung zu ihrer Erlernung giebt er einem praktischen Staatsmann or. XVIII. Den Einfluss der Schulrhetorik bemerkt man nur in der sorgfältigen Composition von D.s Jugendreden (XXIX. XXXVIII. XXXIX); Asianer kann er im vollen Sinn niemals gewesen sein, und Synesios (p. 317, 28ff. Arn.; s. auch o. S. 851) Urteil über die εὐφώνία in den Schriften aus D.s sophistischer Periode muss auf Sorgfalt und Glanz der Composition gedeutet werden, von greller Aufregung oder Übermass spielender Figuration ist bei ihm keine Spur. In seiner philosophischen Zeit strebt er, vermutlich unter dem Einfluss des Musonios, mit allen Mitteln nach dem Eindruck der Schlichtheit (deshalb setzt er auch seine eigene Redefähigkeit oft herunter, 19. XII 1. XIII 29. XIX 4. XXXII 22. 39. XXXIII 1ff. XXXIV 1ff. XXXVIII 1. XLII 1f. 21ff.) und nach Anschaulichkeit. Stilistisches Vorbild dafür ist ihm vor allem die sokratische Litteratur, am meisten das [867] anerkannte Muster der ἀφέλεια (Aristid. rhet. II) Xenophon (XVIII 13ff. 18; Anklänge: W. Schmid Der Atticism. I 143. 147. P. Hagen Quaest. Dion. 30. 41. 72. F. Dümmler Antisthenica 9. W. Capelle De cynicor. epistulis 1896, 46. Sonny Anal. 235 s. v. Xenophon. Wegehaupt a. a. O.) und Platon (Schmid a. a. O. I 141ff. 147f. Hagen 22f. 29. 43ff. R. Weber Leipz. Stud. XI 159; Benützung ps.–platonischer Dialoge: B. Hirzel Der Dialog II 104ff.) nebst der nach D.s Meinung ebenfalls zur Sokratik zu ziehenden kynischen Diatribe (so nennt er selbst die erste Rede I 9; XXVII führt in den Codd. diesen Titel; Charakteristik der Gattung bei P. Wendland Philo und die kynisch-stoische Diatribe in Wendland-Kern Beitr. z. Gesch. der griech. Philos. u. Relig. 1895), welcher D. sachlich und formell (z. B. das Schillern zwischen Dialog und fortlaufender Rede; s. IV 78. 81) sehr viel verdankt. Den Eindruck der Schlichtheit und Natürlichkeit erreicht D. durch bewusste (VII 102f. 127ff. XLV 7. XLVII 12; s. auch was Sen. ep. 40. 100, 1ff. über die tardiloquentia des Philosophen sagt) Weitschweifigkeit (Wiederholungen finden sich, was D. III 26f. LVII 11. XVII 2 motiviert, in verschiedenen Reden: I 39–41 = XII 75–77. IX 21 = LVII 7. XII 1ff. = LXXII 13ff. XI 16 = VIII 36 und IX 8. XI 22 = X 23 [F. Dümmler Antisthen. 38]. XXXII 30 = XXXIV 33 [v. Arnim Dio von Prusa 469].; XXXII 67 = XXXIII 57. XXXII 88 = XXXIII 22. XXXIII 9 = XXXI 6. XL 20f. = XLI 11. XLVIII 7 = XXXIX 4; vgl. auch III 50 mit v. Arnim Praef. tom. I p. XXVII; aber auch innerhalb derselben Rede wiederholt sich D.: I 66 = 68. XI 125ff. dürfte v. Arnim kaum richtig beurteilt haben; XL 22 – 27 ; vgl. Wegehhaupt 54f. und über beabsichtigte Wiederholungen besonders bei Didaktikern H. Diels Lehrgedicht des Parmenides 24f.; unverhältnismässige Breite von Einleitung oder Excursen fällt auf, z. B. XL 1–20. XLVII 1–12. XXXVI 1–29. XXII 1 –3. III 13–28 – auf solche Fälle bezieht sich das richtige Urteil des Phot. p. 320, 35ff. Arn.) und Unordnung (XII 16. 38; vgl. W. Schmid Atticism. I 190, 30 III 7. v. Arnim Dio v. Prusa 439ff.; s. auch G. Boissier Rev. des deux mondes CXXVI [1894] 264); in manchen Fällen bricht er unvermittelt ab (XXXIV 53. LXXX 14; s. auch C. Ehemann Die 12. Rede des D. Chr. 20f.; Weitläufigkeit lehnt er ab IV 125). Derartiges gehört zu D.s Stil (über seine Art, aus Collectaneen zu arbeiten, s. Wegehaupt 79f.), und es ist nicht richtig, es durch Klammern beseitigen oder durch Annahme mechanischer Contamination (wie C. Hahn) erklären zu wollen. Einige Störungen sind vielleicht mit Sonny (Anal. 162. 163. 165. 168. 177. 191. 193. 194. 199. 218) aus dem conceptartigen Zustand der Reden zur Zeit ihrer Herausgabe zu verstehen, v. Arnim Dio v. Prusa 171ff. 411ff. 464ff. erklärt die Dubletten aus Benützung verschiedener tachygraphischer Nachschriften der Reden durch den Veranstalter der Redensammlung. Anschaulichkeit erreicht D. durch eine Unzahl von Bildern und Beispielen (Philostrat. vit. soph. p. 8, 20ff. Kayser; vgl. or. III 26. IV 89. LV 11; auffällige Häufung z. B. LXX 1ff. E. Weber Leipz. [868] Studien X 173ff.), Citaten (XVII 10. Philostrat. vit. soph. p. 50, 8ff.), hyperbolischen und starken Ausdrücken, durch Personificationen abstracter Begriffe ἡδονή VIII 21 ff.; νόμος LXXV; verschiedene Leidenschaften IV 91ff.; βασιλεία und τυραννίς I 70ff. E. Weber a. a. O. X 161ff. E. Norden Jahrb. Suppl. XVIII 344ff.) und historische und mythologische Typen (besonders häufig Sardanapal I 3. II 35. III 72. IV 113. 135. LXII 5 LXXVIII 29; Nero III 133ff. LXXI 9. XXI 6ff.; Xerxes u. s. f.), durch erzählende und dialogische Einkleidung (Schmid Atticism. I 177f.; die Dialoge wurden ebenso wie die Reden vor grossem Publicum recitiert, LXXVII 2; über ihre künstlerische Behandlung s. E. Hirzel Der Dialog II 84ff.). Ob D. seine Reden im allgemeinen frei sprach oder las, ist nicht gewiss; nur für or. XXXVI ist durch die Überschrift das letztere bezeugt.
So klar die Beeinflussung des D. im ganzen durch die kynische Diatribenlitteratur ist (besonders eingehend nachgewiesen von E. Weber Leipz. Stud. X 82ff.; zur Feststellung kynischer τόποι und Stileigentümlichkeiten können ausserdem mit Nutzen herbeigezogen werden O. Hense Teletis reliquiae, Freiburg 1889. R. Heinze De Horatio Bionis imitatore, Bonn 1889. E. Norden Jahrb. Suppl. XVIII 267ff. Ad. Giesecke De philosophor. veter. quae ad exilium spectant sententiis, Leipz. 1891. P. Wendland a. a. O.), so schwierig wird es sein, in einzelnen Reden des D. bestimmte ältere kynische oder gar sophistische Quellen zu erweisen (wie dies besonders F. Dümmler Akademika 1ff. 201. 254f. versucht; berechtigt ist die Skepsis von R. Hirzel [Der Dialog II 91ff.], auch gegen die Hypothese von Dümmler und Hagen [Philol. L 381ff.], or. XIII sei eine Reproduction von Antisthenes Ἀρχέλαος [II 104, 2]. v. Arnim Dio v. Pr. 256 vermutet als gemeinschaftliche Quelle von or. XIII und [Plat.] Clitoph. einen der antisthenischen Προτρεπτικοί; indessen ist doch im ganzen sehr wenig wahrscheinlich, was auch Sonny [Anal. 164. 176. 194f.] annehmen zu dürfen meint, dass Gemeinsamkeiten zwischen D. und seinen notorischen Stilvorbildern Platon und Xenophon auf gemeinschaftliche Benützung des Antisthenes zu deuten seien; verständig urteilt Wegehaupt De D. Chr. Xen. sect. 45ff. 57ff.; das von Wegehaupt 22. 29 bemerkte Fehlen der sonst so häufigen Anklänge an platonische und xenophontische Stellen in or. VII–XII könnte für stärkere Benützung kynischer Quellen in diesen Reden sprechen; am wahrscheinlichsten ist solche des Antisthenes in or. XV, worüber s. Wegehaupt 64). Stücke aus Antisthenes sind mehrfach bei D. gefunden (aus Antisthenes Herakles VIII 33: F. Bücheler Rh. Mus. XXVII 451. Hagen a. a. O. 41. E. Weber a. a. O. 236ff.; aus Antisthenes Kyros or. XLVII extr.: Cobet Mnemos. N. S. V 97; Antisthenes Princip der Homererklärung LIII 2 hat D. aufgenommen II 44. LIII 3ff. LV 11 u. s.; den Titeln nach kommen mit antisthenischen Schriften überein or. I–IV. XIV. XV. LIII. LXVI-LXVIII. LXXIII. LXXV, vgl. Winkelmann Antisth. frg. 13f.; über LXXVII/LXXVIII s. C. Joël Der echte und der xenoph. Sokr. I 356; weitere Berührungen mit Antisthenes ebd. I 492ff. 542. 544f.), können ihm [869] aber aus zweiter Hand zugekommen sein (er stellt den Diogenes über Antisthenes VIII 1f.); auch für or. XI dürfte weniger Zoilos (an den Dümmler Antisth. 39 denkt), als vielleicht Apion (Hagen 63) ,Quelle‘ sein (über die Vermutung von v. Wilamowitz Commentariol. gramm. III 10ff. vgl. Hirzel Dialog II 93, 3; R. Volkmann Rhetorik² 319 rät auf Polykrates Ἐγκώμιον Ἀλεξάνδρου, welches D. XX 19 im Sinn zu haben scheint); am meisten hat er vielleicht aus den Denkwürdigkeiten des Diogenes (E. Weber a. a. O. 82ff.) und aus Bion von Borysthenes (den er LXVI 26 erwähnt; s. auch Gercke Archiv f. Gesch. d. Philos. V 206), einiges auch aus Chrysippos (Hagen Quaest. Dion. 31, 1. R. Weber Leipz. Stud. XI 141f. I. Bruns De Dione Chr. et Aristotele crit. et exeg. 3ff.), Kleanthes (den Sonny Anal. 197 in or. XXX 26ff. versteht), Poseidonios (s. o. S. 859; auf ihn weisen besonders die S. 866 angedeuteten verwandten Züge in der Kunstauffassung des D., Strabon und Seneca) entnommen. D. ist ein sehr belesener Mann (Kenntnis eines Homercommentars, aus welchem unsere Homerscholien schöpfen, vielleicht Dioskurides περὶ τῶν παρ’ Ὁμήρῳ νόμων, erweist R. Weber Leipz. Stud. XI 157ff. [s. auch Wegehaupt 49f.], des Istros? Hagen 73ff.; des Alexander Polyhistor ebd. 5ff.; den Umfang seiner Classikerkenntnis zeigt besonders or. XVIII; auch die modernen Redner schliesst er nicht aus XVIII 12, s. auch Wegehaupt 26ff. 44f.) und verfügt mit rednerischer Virtuosität über eine Fülle von Lesefrüchten (Polemo bei Philostr. vit. soph. p. 50, 6 Kayser). Wenn man annehmen darf, dass die kynische Litteratur in vorchristlicher Zeit sich dem Vulgarismus und Asianismus stark genähert hatte (R. Hirzel Dialog I 380, 1), so hat jedenfalls D. schon frühzeitig seine Sprache und seinen Stil energisch nach den attischen Vorbildern geformt, ohne in ängstliche Peinlichkeit und gezierten Archaismus zu verfallen (s. die Urteile von Phot. p. 320, 31ff. Arn. Arethas 328, 17. 330, 12ff. Arn. Theodor. Metochita 331, 22ff. Arn.; Sprach- und Stilanalyse bei W. Schmid Atticism. I 72–191; nützliche Sammlung einzelner attischer Redensarten bei D.: Διονύσ. Γ. Πυλαρινός παραβολὴ Δίωνος τοῦ Χρ. πρὸς Πλάτωνα, Ξενοφῶντα, Δημοσθένην καὶ Αἰσχίνην. Γαλάζιον 1887), wie er auch das Burleske und Frivole der kynischen Humoristik (vgl. VI 7. LV 11) durch den Ernst seiner Natur mässigte. So ist er ein durch die grosse Verbreitung und Beliebtheit seiner Reden (XLII 4f. XLV 1. XLVI 7. XLVII 1. 16) sehr wirksamer Vorkämpfer der atheistischen Richtung geworden (seinen grossen schriftstellerischen Ruhm zeigt besonders Arr. diss. Epict. III 23, 17. 19); der attische Charakter seiner Sprache ist aber nur eine besondere Erscheinungsform seiner allgemeinen archaistisch–romantischen Geistesrichtung. Sachlich und stilistisch heterogene Elemente sind durch D.s sittlich und künstlerisch kräftige Persönlichkeit zu einem neuen organischen Ganzen mit Glück verbunden; am schönsten zeigt seine Eigenart der Euboicus, dem gewiss die ganze altkynische Litteratur nichts Ebenbürtiges an die Seite zu stellen hatte.
Schriften des Dion. 1. Vielleicht schon Cassius Dio (W. Schmid Jahrb. f. Philol. 1896, [870] 92), jedenfalls Photios hat von D.s Reden nicht mehr als die uns vorliegenden 80 gehabt. Wahrscheinlich nur durch den Eifer des Synesios wurden zu der recipierten Redensammlung hinzu noch weitere Stücke gefunden, die aber nach Synesios Zeit wieder verschollen sind (eine Spur der von Synesios angeführten Sokratesreden darf man vielleicht in dem kynisch gefärbten Bild des Sokrates bei Liban. apol. § 23ff. Rogge finden, mit welchem D. Chr. XIII 14ff. übereinstimmt; vgl. auch Joël a. a. O. I 481ff.), verloren sind z. B. viele von den Reden, welche D. in Prusa gehalten hat (s. XL 5. XLIII 2). Ein Teil von den erhaltenen Reden ist verstümmelt, am Anfang or. LXII; am Schluss VII (schon zu Synesios Zeit; vielleicht auch am Anfang, s. v. Arnim Herm. XXVI 397ff.). XIII (vielleicht als Schlussstück eines τόμος, v. Arnim praef. I p. XXXV). XIX. XXXV. XL. XLIII. XLV; ein Conglomerat von echt dionischen Conceptfragmenten zu einer Rede περὶ τύχης oder von Excerpten aus einer solchen scheint or. LXV zu sein (ebenso erklärt v. Arnim Herm. XXVI 390 und Sonny Anal. 218 den Zustand von or. LXΙΙ, Wegehaupt 70ff. den von or. ΙΙI). Sicher unecht sind XXXVTI (gehört dem Favorinus, wie seit Emperius Opuscula philol. 18ff. mit Recht allgemein angenommen wird, s. auch E. Maass Philol. Unters. III 133ff.), LXIII und LXIV (J. Geel Dions Chr. Ὀλυμπικός 420). Geels Vermutung, dass auch or. LX1V ein Werk des Favorinus sei, wird durch sprachliche Beobachtungen von Sonny Anal. 219 zu grosser Wahrscheinlichkeit erhoben (s. auch E. Norden Die antike Kunstprosa I 427, 1. v. Arnim Dio v. Pr. 158ff.). Dass D. noch weitere uns nicht erhaltene Reden verfasst hat, geht mit Sicherheit hervor aus XIII 29ff. XXXIV 13 vgl. 38. XLV 1. L 9 und der Überschrift von LXXX, ist weiter von H. v. Arnim aus Synes. 317, 17f. geschlossen und ausserdem aus Synes. 317, 24 zu schliessen (denn nach dem Wortlaut des Synesios hat D. nicht eine besondere Schrift über die Essener geschrieben, sondern, doch wohl in einer Rede, excursartig über sie gehandelt). Ausser den 80 Reden ist uns noch ein Stück (so R. Volkmann Synesius 156. v. Arnim Dio v. Pr. 154f.; nicht das Ganze, wie J. Geel Lettre à M. Hase 1839 meinte) von D.s Ἐγκώμιον κόμης durch Synesios erhalten, welches stilistisch nicht in die sophistische Periode gehören kann (ed. Arnim ΙΙ 307f.). Drei Argumente aus verlorenen Reden unter dem Titel Χρειῶν Δίωνος (worüber s. F. Dümmler Antisth. 70. 72) hat Stobaios bewahrt (frg. I–III Arnim); dazukommen sechs Fragmente aus einem Οἰκονμικός des D. bei demselben (frg. IV–IX Arnim) und einiges Zweifelhafte aus Makarios Chrysokephalas (v. Arnim zu II 310, 14). Die Titel einiger παίγνια aus D.s erster Periode nach Philostratos und Synesios s. o. S. 850. Die vollständig erhaltenen ,Reden‘ zerfallen in a) Diatriben (der Name προτρεπτικός passt höchstens auf XIII, Hartlich Leipz. Stud. XI 313f.), zum Teil ganz in dialogischer Form (in LXI ist eine Frau angeredet). Am beliebtesten waren unter ihnen später (Arethas 325, 30 Arn.) die vier Königsreden I–IV und περὶ λόγου ἀσκήσεως XVIII. Die Königsreden sind von D. wiederholt vorgetragen worden (LVII 11) mit διαλέξεις, von denen in LVI und LVII [871] Proben erhalten sind; über die Zeit von I und III s. o. S. 855; in III ist I benützt (s. III 26 und v. Arnim Praef. I. XXVII zu p. 42, 14); ebensowohl in IV (vgl. IV 31 mit I 59ff.) I vorausgesetzt. II und IV sind nicht an eine bestimmte Person gerichtet (der Plural II 3 ist nicht mit v. Arnim Ausg. II 370 so zu deuten; II 71 weist vielleicht auf Traian: Sonny Anal. 159; geistreich fasst v. Arnim Dio v. Pr. 400ff. or. III und IV als Geburtstagsreden auf Traian; über den Überlieferungszustand von III s. ebd. 414–434); I und III gehen an Traian, ebenso LXII (vgl. § 1. 3) und vielleicht LXXIII (vgl. φίλοινος § 10, was als Warnung oder als Verteidigung gegen ein über Traian verbreitetes Gerücht zu fassen). V hat (v. Arnim Herm. XXVI 382ff., wogegen R. Hirzel Dialog II 108 und endlich v. Arnim Dio v. Prusa 412ff.) ursprünglich nach I 74 gestanden und ist später gesondert (mit eigenem Prooemium von Arethas, meint v. Arnim Praef. I p. XXVIII; s. aber Sonny Anal. 58f.) herausgegeben worden; ferner sind Diatriben VI-XVII (aus VII ist die Dorfgeschichte frühzeitig ausgehoben und gesondert verbreitet worden, wie sie schon dem Philostratos vorgelegen zu haben scheint, v. Arnim Herm. XXVI 397ff.; dass der Troicus XI nicht reine Spielerei ist, zeigt die Bezugnahme von LVTII 6 extr. auf die Darstellung XI 104. 111). XIX-XXVII. LII-LXIII. LXV–LXXX; Litteraturgeschichtliches und Dichterexegese betreffen LII–LXI; von grosser Wichtigkeit für die Geschichte der Ästhetik ist XII, auf ihre Übereinstimmung mit den ästhetischen Abschnitten in Philostrat. vit. Ap. und mit den Grundgedanken von Lessings Laokoon (in welchem die Rede nicht citiert wird) geprüft von C. Ehemann Die 12. Rede des D. Chr., Progr. Kaiserslautern 1895 (s. über or. XII auch Hirzel Dialog II 99, 1); das feine Urteil D.s über Poesie und bildende Kunst mit Hagen (Quaest. Dion. 69ff.) auf Benützung der sog. pergamenischen Kunstlehre (über welche s. Fränkel Archaeol. Jahrb. V 55), seine Nachrichten über Kunstwerke, die sich begreiflicherweise öfter mit Pausanias decken, auf Istros zurückzuführen ist kein ausreichender Grund vorhanden; man hat alles Recht, dem D. ein reiches Mass von selbständigem Geschmack und ästhetischer Bildung zuzutrauen; LIX ist (Hirzel Dialog II 106f.) Paraphrase des euripideischen Philoktet und gehört wohl mit LII zusammen. LXXVTI–LXXIX, nach v. Arnim Dio v. Prusa 276 auch LXXII, sind in Rom gehalten (LXXVII 8. LXXIX 1; in LXXVIII 15 wird auf LXXIX als gestern gehaltene Rede verwiesen), und einem ähnlichen Cyklus von Diatriben scheinen XXIII und XXV anzugehören (XXV 1 weist auf XXIII voraus). Von den Diatriben fallen sicher nach D.s Verbannung I (50. 55). III (13). VII (1. 9; v. Arnim Dio v. Prusa 457ff. macht sehr wahrscheinlich, dass die Rede in Rom vorgetragen worden ist), IX (1 vgl. Philostrat. vit. soph. 8, 3 Kayser; 5 vgl. or. XXXVI). XIX (1f.) Über die von Stobaios citierten Διατριβαὶ Διογένους und die Χρεῖαι Δίωνος, aus welchen Stobaios und Maximus Confessor Stücke überliefern, s. Sonny Anal. 146; es scheinen Excerpte aus teils erhaltenen, teils verlorenen Reden des D. zu sein (v. Arnim Ausg. t. II 309). b) Städtereden XXXI-XXXVI. XXXVIII-LI [872] unter welchen die in seiner bithynischen Heimat gehaltenen XXXVI. XXXVIII–LI eine besondere Classe ausmachen. Der ersten Periode von D.s Leben gehören unter diesen an sicher XLVI (Überschrift, s. auch v. Arnim Dio v. Pr. 204ff.), sehr wahrscheinlich. XXXI (v. Arnim Dio v. Pr. 210ff.), XXXVIII und XXXIX (s. o. S. 850); sichere Anzeichen der Abfassung nach D.s Verbannung sind vorhanden in XXXII (s. o. S. 857). XXXV. XXXVI (diese ist im J. 102/3 in Prusa gehalten, Sonny Anal. 209). XL (2. 12. 19). XLI (1. 7 bezieht sich auf die XL 16 berührten Dinge; vgl. XLI 11f. mit XL 20. 34) und allen folgenden ausser XLVI (vgl. XLIV 5. 6. 12. XLVII 1. 8. XLIX 15. L 7f.). Vor or. XXXIII (welche später als XXXVI zu fallen scheint, v. Arnim Dio v. Pr. 449f.) ist XXXIV gehalten, da D. die letztere als erste vor den Tarsiern ungerufen hält (§ 1), XXXIII dagegen (§ 1) nach Aufforderung. Von den bithynischen Reden fällt unter das Proconsulat des Varenus, etwa Sommer 102, XLVIII (XLVIII 5 wird von Schol. z. d. St. auf den Dacierkrieg bezogen); die übrigen erst nach D.s Rückkehr von Rom, frühestens im J. 102 (vgl. auch XL 35ff. mit XLVIII 14 und XLIX 15 mit XLVIII 17). Weiteres s. o. S. 856. c) Trostreden in Trauerfällen (im Zusammenhang mit den übrigen Trauerreden behandelt von F. Schinnerer De epitaphiis Graecor. vet., Erlangen 1886, 48f.) XXVIII–XXX; für die beiden Melankomas-Reden hat v. Arnim die in den Codd. angemerkte richtige Reihenfolge hergestellt; XXIX ist ein Werk der sophistischen Periode im Schulton (indessen fehlen auch hier nicht ganz Spuren kynischer Anschauung; vgl. das Bild aus dem Tierleben § 13; die geringschätzige Beurteilung des Achilleus § 18 [dazu s. LVIII 5ff.]), XXVIII behandelt denselben Gegenstand unter Benützung der weit früheren 29. Rede (vgl. XXIX 17. 11f. 20 mit XXVIII 6. 7. 13) im kynischen (vgl. das vorsichtige Lob der Athletik XXVIII 12 mit den oben S. 863 angeführten Stellen). Diatribenstil. Die beiden Reden für gleichzeitig zu halten (Hirzel Dialog II 107) ist ebenso unmöglich als XXIX für unecht zu erklären (R. Heinze Philol. L 458, 1. v. Arnim Dio v. Pr. 146f.); auf das Verhältnis der beiden Stücke finden die Worte des Synes. p. 316, 2ff. Arn. Anwendung. In or. XXX auf Charidemos, ebenfalls im Diatribenstil, ist einer mythisch gefassten pessimistischen (orphischen – F. Dümmlers Versuch [Akademika 90ff.] diesen Mythus auf Antisthenes zurückzuführen, ist mit Recht als völlig verfehlt allgemein zurückgewiesen worden: Hagen 21. R. Heinze Xenokrates 137, 2. Giesecke a. a. O. 99; vgl. E. Rohde Psyche II² 119, 2) Weltanschauung (§ 10–24) die optimistische der Stoa und des Kynismos (Sonny Anal. 197 denkt an Kleanthes als Quelle) in einem zweiten Mythus (28–44) gegenübergestellt.
Nach ihrem Wert für die Cultur-, politische und Rechtsgeschichte sind D.s Reden ausgebeutet von Jak. Burckhardt Neues schweizerisches Museum IV 98ff. C. Martha Les moralistes sous-l’empire Romain² 235ff. E. Kuhn Die städtische und bürgerl. Verfassung des röm. Reichs. Th. Mommsen Röm. Gesch. V. L. Mitteis Reichsrecht und Volksrecht in den östl. Provinzen des [873] röm. Kaiserreichs. J. P. Mahaffy The Greek world under Roman sway (London 1890) chap. XIff.; die Bedeutung der 7. Rede für die Wirtschaftsgeschichte des Altertums behandelt Ed. Meyer Die wirtschaftl. Entwicklung des class. Altert. 67ff.; die der 32. Rede für die Kenntnis der alexandrinischen Cultur Giac. Lumbroso L’Egitto dei Greci e Romani² 99ff. 108ff.
2. Briefe des D. erwähnt Philostr. dialex. p. 258, 17 in Kaysers Textausgabe; D. selbst gedenkt nur eines Briefs an Nerva XLIV 12 und der Möglichkeit, welche er habe, dem Kaiser zu schreiben, XLV 8. Erhalten ist nur ein Schreiben an einen hohen Beamten (v. Arnim Dio v. Pr. 140) XVIII; über den Zusammenhang des hier aufgestellten Schriftstellerkanons mit anderen ähnlichen Vorschriften über lectio (wobei auch Petron. sat. 5 zu berücksichtigen) s. H. Usener Dionysii Hal. libror. de imitat. reliquiae epil. p. 126ff. Sonny Anal. 193. Fünf Briefe unter seinem Namen sind aus einem Cod. Ottobon. und einem Neapol. (über einen Venet. s. G. Vitelli Studi ital. di filol. class. II 337) zuerst bei Boissonade Marini vit. Procli p. 85, dann bei Emperius 785f. und in Herchers Epistologr. graec. 259 abgedruckt; der dritte steht in einem Ambrosian. unter den Briefen des Herakleitos (v. Arnim Praef. t. II p. X); sicher unecht sind die an Eusebios gerichteten 3–5 (Vitelli a. a. O.), während 1 (der Ausdruck μέτριος καὶ ἐπιεικής auch or. XXX 41) und 2 (Rufus vielleicht = Varenus Rufus or. XLVIII 1) echt sein könnten, wiewohl freilich darauf des Inhaltes wegen gar nichts ankommt.
3. Philosophische Schriften nach Suidas: Εἰ φθαρτὸς ὁ κόσμος (s. o. S. 859; von dem Inhalt giebt or. XXXVI 53ff. eine Vorstellung), Ἐγκώμιον Ἡρακλέους (wohl nach Antisthenes: E. Weber Leipz. Stud. X 257) καὶ Πλάτωνος (vgl. or. LIII 5, s. übrigens v. Arnim Dio v. Pr. 155), Ὑπὲρ Ὁμήρου πρὸς Πλάτωνα vier Bücher (über den vermutlichen Inhalt Hagen Quaest. Dion. 68; über die Controverse und ihre Litteratur im Altertum s. M. Sengebusch Dissertatio Homerica I 118ff.); die Schriften der sophistischen Periode gegen die Philosophie s. o. S. 850. Aus einemΟἰκονομικός des D. hat Stobaios 6 (vielleicht 7: v. Arnim Ausg. t. II 310, 19) Bruchstücke erhalten.
4. Historische Schriften: Περὶ τῶν Ἀλεξάνδρου ἀρετῶν acht Bücher (Suid.), von deren Art und Zweck or. II und IV eine Vorstellung geben (Urteil über Alexander XXV 6); sie waren wohl ein Spiegel für Traian, der den Alexander zu spielen Lust hatte (R. Hirzel Dialog II 71ff.). D. muss umfassende geschichtliche Studien gemacht haben; gern zieht er geschichtliche Beispiele heran (XXXVIII 10; Beispiele aus der Geschichte für die Wirkungen der τρυφή XXXIII 24ff.) und verrät oft ein von der Heerstrasse abseits liegendes Wissen (vgl. z. B. II 9. IV 71. VI 4. VIII 1. XIII 23ff. XV 15 [wozu s. v. Wilamowitz Comentariol. gramm. III 12]. XXV 6f. XXXI 18ff. 46. 66ff. 101ff. 113. 128. 149. 157. XXXII 70. XXXIII 1ff. 26. XXXIV 7ff. 49ff. XXXVI 3ff. XXXVTII 25. LVI 5ff. LXXII 2. LXXIV 5; vgl. auch H. Haupt Philol. XLIII 388ff.). Sein wichtigstes Geschichtswerk waren die Γετικά (Hinweis auf sie XLV 1f?), welche [874] Suid. s. Δίων ὁ Κάσσιος und Iordanes irrig dem Cassius Dio zuschreiben. Verfasst ist das Werk wahrscheinlich (A. v. Gutschmid Kleine Schr. V 327, 1) sogleich nach D.s Rückkehr aus der Verbannung und vor Traians Dacierkriegen in einer Zeit, da die Geten (wie schon 150 Jahre vorher, XXXVI 4) die gefährlichsten Feinde der pontischen Gegenden waren (XLVITI 5) und D. durch seine Reise in ihr Land (XXXVI 1) als competentester Kenner ihrer Geschichte und Art gelten konnte. D.s Γετικά scheint zuerst (Th. Mommsen Praef. Jordan, p. XXXf.) Ablabios benutzt zu haben; aus ihm schöpfte Cassiodorius, aus diesem wieder Iordanes. Nach den (bei v. Arnim Ausg. t. II praef. V ff. gesammelten) Fragmenten war das Werk der taciteischen Germania stimmungsverwandt, eine idealisierende Darstellung eines Naturvolkes in der dem Kynismos seit c. 400 v. Chr. beliebten Art (über den Inhalt s. auch H. Haupt Philol. XLIII 398ff.). Aus dem Schriftenverzeichnis des Cassius Dio bei Suidas versucht H. Haupt a. a. O. 385ff. dem D. Chrysostomos noch weiter zu vindicieren Περσικά und τὰ κατὰ Τραιανόν, ohne durchschlagende Gründe.
D.s Schriftstellerei äussert ihren Einfluss (s. auch o. S. 858. 869) vom 2. Jhdt. an unablässig bis in das byzantinische Mittelalter; die Sophisten Hippodromos (Philostr. vit. soph. II 27, 6) und Aelianus (Philostr. a. a. O. II 31, 1) eifern ihm nach, (Pausanias (Gurlitt Über Pausanias 133f. 183f.) scheint ihn zu kennen; Kaiser Marcus hat von ihm gelernt (εἰς ἑαυτ. I 14); deutlich ist seine Einwirkung auf Maximus von Tyros (E. Norden Jahrb. Suppl. XVIII 302. W. Capelle De cynicor. epist. 48. H. Hobein De Max. Tyr. quaest. 1895, 92ff.), Themistios (E. Weber Leipz. Stud. X 248. v. Arnim Dio v. Pr. 143), Basileios d. Gr. (s. Lothholz Commentar zu Basil. ad adulesc), Kaiser Iulianus (Benützung des D. in Iulians or. II erweist K. )Prächter Archiv f. Gesch. der Philos. V 42ff.; Abhängigkeit des Iulian in dem ganzen τόπος περὶ βασιλείας J. R. Asmus Iulian u. D. Chr., Progr. Tauberbischofsheim 1895; vgl. P. Wendland Berliner philol. Wochenschr. 1896, 746ff.). Als Classiker der ἀφέλεια neben Xenophon, Nikostratos und Philostratos gilt D. seit dem 3. Jhdt. (Menander in Spengels Rh. Gr. III 390, 1. 411, 32). Sein wärmster Verehrer ist Synesios von Kyrene, eine ihm wahlverwandte, halb philosophische, halb künstlerische Natur (R. Volkmann Synes. 119ff.; die sehr starke inhaltliche und stilistisch-sprachliche Abhängigkeit des Synesios von D. weist im einzelnen nach J. R. Asmus Byzant. Ztschr. IX 85ff., s. auch o. S. 849). Stobaios, Makarios Chrysokephalas (s. Villoison Anecd. II 9), später Maximos Planudes (Krumbacher Byz. Litteraturg.² 544. 603) enthalten Excerpte aus D. Er ist von den Byzantinern als eines der Häupter der neusophistischen Prosa geachtet (Anon. in Cramers Anecd. Oxon. III 160, 10). Gründliche Kenntnis seiner Schriften zeigen Photios (bibl. cod. 209), dessen Schüler Arethas (von ihm haben wir eine Einleitung zu den Königsreden, über deren Compositum s. H. v. Arnim Ausg. t. I p. VIIIf. und Sonny Anal. 86; und von ihm stammen die für die Kritik und Erklärung des D. völlig wertlosen, sonst aber, wie Sonny 86ff. zeigt, nicht uninteressanten Scholien zu D., [875] welche im Cod. Urbinas und den von ihm abhängigen Hss. stehen und von Sonny Anal. 95ff. herausgegeben sind; Spuren älterer Scholien s. v. Arnim Dio 143f.), Theophylaktos Bulgaros (K. Prächter Byzantin. Ztschr. 1892, 398ff.), Theodoros Metochites (Miscell. p. 141ff., abgedruckt bei L. Dindorf II 367ff. und v. Arnim II 329ff.). Wenig berücksichtig ist er im Lexikon des Thomas Magister, häufig citiert im Lexikon Vindobonense saec. XIV. Einige Erwähnungen aus Eustathios s. L. Dindorf T. I praef. III not., im ganzen s. A. Sonny Analecta 145ff.
Den Kanon für die Classification der D.-Hss. hat A. Sonny (Jahrb. f. Philol. CXXXIII 95) aufgestellt; sie zerfallen zunächst in zwei Classen, je nachdem sie die Reden in der Reihenfolge, wie sie Photios las (I–VI. VIII-XIII. VII. XXXI–LXXX. XIV–XXX), oder in der seit der Ausgabe des Turrisanus in unseren Drucken bis auf H. v. Arnims Ausgabe üblich gebliebenen enthalten. Dazu kommen als dritte Classe die Hss., welche nur einen Teil der Reden in besonderer Reihenfolge enthalten. Nach den Untersuchungen von H. v. Arnim (Herm. XXVI 366ff.; Ausg. praef. t. I und t. II p. Xff.), welche mehrfach von A. Sonny (Anal, 1ff.) berichtigt sind, stellt sich die Überlieferungsgeschichte in ihren Grundzügen folgendermassen dar: D. hat die Gesamtausgabe seiner Reden (welche nach XLII 4 schon zu seinen Lebzeiten verbreitet gewesen sein müssen) allem nach (Sonny Anal. 162. 163. 165. 177. 178. 191. 199) nicht selbst besorgt; der unbekannte erste Herausgeber fand sie zum Teil in conceptartiger Verfassung vor. Die Gesamtausgabe auf Papyrus umfasste drei sachlich geordnete Abteilungen zu je zwei Rollen (1. I–VI. 2. VIII–XIII. 3. XXXI–XXXV. 4. XXXVI-LI. 5. LII-LXXX. 6. XIV–XXX; or. VII lief als μονόβιβλος um und ist erst der Gesamtausgabe in Codexform teils am Schluss von vol. 1, teils am Schluss von 2 einverleibt worden), welche in verschiedener Reihenfolge und Vollständigkeit in die Archetypi unserer drei Hss.-Classen aufgenommen worden sind (in Archet. I: 1. 2. 6. 3. 4. 5; II: 1. 2. 3. 4. 5. 6; ΙΙI: 1. 2. 5). Die zweite Classe enthält die Reden in der von Photios bezeugten Ordnung; für uns ist sie vertreten durch Vatic. 99 saec. XI (V) in dem aber nur or. I–VI. VΙΙI–XI 125 stehen, und durch den alle Reden umfassenden Meermannianus Leidensis 67 saec. XVI (M). Der älteste Vertreter der durch Arethas interpolierten, zum Teil auch aus Classe 2 contaminierten Classe 1 ist Urbinas 124 saec. XI (U); die zahlreichen aus ihm abgeschriebenen Hss. sind alle an einer Lücke in or. XXXI kenntlich), für dessen Bruder Parisinus 2958 saec. XIV/XV (B) gilt. Mit Classe 2 enger verbunden ist Classe 3, vertreten durch Palatinus 117 saec. XV (P) und Vaticanus 91 saec. XIII (H). Über die aus diesen Verhältnissen sich ergebenden kritischen Grundsätze s. Sonny Anal. 70. Die älteste D.-Hs. ist 1896 von Bidez und Parmentier (Rev. de philol. N.S. XX 38ff.) entdeckt worden in einigen Pergamentblättern saec. X, welche im Cod. Patmiacus 13 (Hs. des Neuen Testaments) eingeheftet sind und Stücke aus dem Schluss von or. III und dem Anfang von or. IV (aus p. 50, 14–64, 10 Arnim) enthalten; sie zeigen (v. Arnim Ausg. tom. II [876] p. Xff.) vorwiegend Gemeinsamkeit in Fehlern mit UBV, aber näheren Anschluss an UB, scheinen also Sonnys Annahme von Contamination der Classe I und II zu bestätigen. Nach Fabricius Bibl. gr. V 134 wäre die Editio princeps des D. von Dionysius Paravisinus Mailand 1476 geliefert; sie ist jetzt verschollen (Sonny Anal. 17 A.). Der erste uns erhaltene Druck aller Reden ist die Ausgabe von Franciscus Turrisanus (Venedig s. a.; Fabricius giebt a. 1551 an), deren Vorlage ein Cod. Mosquensis bildet (Sonny AnaL 18ff.). Unter den weiteren älteren Ausgaben (verzeichnet bei Emperius Praef. XVIIIff.) ragt hervor die des Pariser Professors Fed. Morellus 1604 (Nachdruck 1623; enthält Is. Casaubonus Diatribe über D., eine lateinische Übersetzung von Thomas Naogeorgus [Kirchmeier], Schediasmata, scholia, collectanea et coniectanea des Morellus nebst einem Sachindex – letztere beiden Stücke in J. J. Reiskes Ausg. abgedruckt). Diese Ausgaben haben ihren Text aus geringeren erhaltenen Hss. entnommen, sind also als Textquellen wertlos und haben ebenso wie die hinsichtlich des Textes völlig auf sie beide gegründete Ausgabe von Reiske (schon 1769 geplant, aber erst nach Reiskes Tod von seiner Frau Leipzig 1784 [2. Aufl. 1798] veröffentlicht) nur durch die Emendatio ihrer Veranstalter Bedeutung. Eine Sonderausgabe von or. XII nebst Commentar und mit Bemerkungen auch zu D.s übrigen Reden lieferte Jak. Geel D. Chr. Ὀλυμπικός, Leyden 1840. Den ersten hsl. begründeten D.-Text bietet Ad. Emperius Braunschweig 1844 (seine Vorarbeiten verzeichnet er selbst p. XXI). L. Dindorf (Ausg. in 2 Bdn. Leipz. 1857) hat keine neuen hsl. Studien gemacht und nur da und dort den Text in unhistorischer Weise zurechtgeschnitten. Das Beste leistet bis jetzt die Ausgabe von H. v. Arnim (2 Bde. Berlin 1893. 1896), in welcher nicht nur die Herstellung des Textes, sondern, durch knappe und treffende Anmerkungen im kritischen Apparat und durch neu angefertigte gründliche und judiciöse Indices, auch die Erklärung des D. erheblich gefördert worden ist. Ältere Ausgaben, Übersetzungen und kritisch-exegetische Beiträge s. bei A. Westermann Gesch. der griech. Beredsamk. 190ff. 317ff.; Ergänzungen Sonny Anal. 136f. Die neueren Beiträge zur Kritik und Erklärung seit Emperius (1844) verzeichnet vollständig Sonny Anal. 137ff. Dazu gekommen sind seither: Wilh. Clausen De Dionis Chr. Bithynicis quae vocantur orationib. quaestiones, Kiel 1895. M. Graf In Dionis Prus. orationes ab J. de Arnim editas coniecturae et explanationes, Progr. München» 1896. C. Hahn De Dionis Chr. orationibus quae inscribuntur Diogenes (VI. VIII. IX. XI, Homburg 1896. H. Geyr Die Absichtssätze bei D. Chr., Progr. Wesel 1897. Joh. Wegehaupt De Dione Chrysostomo Xenophontis sectatore, Gotha 1896. H. v. Arnim Leben und Schriften des Dio von Prusa, Berlin 1898[1]. H. Weil Études sur l’antiquité [877] greque (1900) 148–182, ein Essai im Anschluss an v. Arnims Buch; über D.s Homerstudien A. Olivieri Riv. di filol. XXVI 586ff.; zur Kritik von or. XXXI H. Weil Rev. de philol. N. S. XXI 99ff.; sonstiges Kritische K. Schenkl Wiener Stud. XIX 316f. H. Weil Rev. de philol. N. S. XXII 62ff. v. Herwerden Mnemos. N. S. XXVI 344ff.
[W. Schmid.]
v. Arnims Werk über D. ist erst lange nach Abschluss dieses Artikels (Januar 1897) erschienen, konnte aber vor Drucklegung desselben noch benützt werden; zu einer Umarbeitung des Artikels gab es keine Veranlassung; eine polemische Auseinandersetzung, welche insbesondere die Chronologie von D.s Leben und Reden betreffen müsste. konnte hier nicht gegeben werden; Referent verweist in dieser Beziehung auf seine Recension im Litterarischen Centralblatt 1898, 811ff. und auf Dessau Herm. XXXIV 81ff. (gegen Dessau wiederum v. Arnim Herm. XXXIV 363ff.).
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