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1. Von Werken, die im allgemeinen über die alte Arithmetik, besonders die der Griechen, handeln, sind zunächst hervorzuheben: Montucla Histoire des mathématiques, nouvelle édition, 4 Bde., Paris 1799–1802 (Bd. I 1–350 enthält die Geschichte der Mathematik von ihrem Ursprung bis zum Untergange des byzantinischen Reiches). Delambre Arithmétique des Grecs, in dessen Histoire de l’astronomie ancienne II, Paris 1817 (die deutsche Übersetzung von J. J. J. Hoffmann, Mainz 1817, ist durch viele Fehler entstellt: s. Nesselmann Algebra 28). Nesselmann Die Algebra der Griechen, nach den Quellen bearbeitet, Berlin 1842. G. Friedlein Die Zahlzeichen und das elementare Rechnen der Griechen und Römer, Erlangen 1869. H. Hankel Zur Geschichte der Mathematik in Altertum und Mittelalter, Leipzig 1874. H. Stoy Zur Geschichte des Rechenunterrichtes, I. Teil, Inauguraldiss., Jena 1876. M. Cantor Vorlesungen über Geschichte der Mathematik I², Leipzig 1894. J. Gow A short History of Greek Mathematics, Cambridge 1884. S. Günther Geschichte der Mathematik und der Naturwissenschaften in Iw. Müllers Handb. der klass. Altertumswissensch. V 1². M. Marie Histoire des sciences mathématiques, Bd. I u. II, Paris 1883, bietet nichts für die Geschichte der griechischen und römischen Arithmetik. Die Werke von Nesselmann, Friedlein, Hankel, Cantor, Gow und Günther werden hier lediglich mit den Namen der Verfasser angeführt werden. Die übrigen Litteraturnachweise folgen an Ort und Stelle später.

2. Arithmetik ist etymologisch die Lehre vom Gebrauche der Zahlen. Sie umfasste als solche nicht blos die praktische Anleitung zum Zählen und Rechnen, sondern auch die rein theoretischen Untersuchungen über das Wesen und die Gestaltung [1067] der Zahl an und für sich. Ja nach einer Auffassung, die schon Platon deutlich kund giebt und die bei Nikomachos und späteren Mathematikern ausschliesslich sich findet, haftete der Name ἀριθμητική nur an dem theoretischen Teile der Lehre von den Zahlen, während die praktische Anleitung zum Gebrauche der Zahlzeichen und zum Rechnen λογιστική genannt wurde. In ganz analoger Weise hatte das Wort γεωμετρία (s. d.) ursprünglich die Feldmesskunst miteingeschlossen, später aber wurde damit nur die rein theoretische Geometrie bezeichnet und dieser die Geodäsie als praktische Übung gegenübergestellt. Was die Neueren also im gewöhnlichen Sinne Arithmetik nennen, ist bei den Griechen die λογιστική; dagegen entspricht ἀριθμητική der höheren Arithmetik, Algebra und Zahlentheorie der Neueren. Diese ἀριθμητική pflegte übrigens bis zum Ende des 2. Jhdts. v. Chr. nur in Verbindung mit geometrischen Untersuchungen und deshalb auch äusserlich in geometrischer Form behandelt zu werden, eine Abhängigkeit, die in den Elementen des Eukleides (s. d.) zu einem förmlichen Systeme ausgebildet war. Die ersten Anfänge einer selbständigen Behandlung arithmetischer Probleme finden wir gegen Ende des 2. Jhdts. v. Chr. bei Heron von Alexandreia (s. d.). Etwa 200 Jahre später schrieb Nikomachos (s. d.) eine ἀριθμητικὴ εἰσαγωγή, in welcher er die Zahlenlehre für sich behandelte, ohne jedoch geometrische Begriffe gänzlich aus seiner Darstellung zu verbannen. Erst Diophantos (s. d.) hat völlig von dem geometrischen Beiwerke sich losgemacht. Plato Gorg. 451 B C und an anderen (von Gow 23 besprochenen) Stellen. Geminos bei Proklos zum I. Buch der Elem. p. 38 Friedlein. Proklos ebd. 39f. Schol. zu Plat. Charmid. 165 E (Bd. VI 290 Hermann). Nesselmann 42ff. Cantor 145f. 376ff. 400f. Gow 22ff. Tannery Bulletin des sciences mathém., 2. série, IX 1 (1885), 261ff.

3. Mit Übergehung der Zahlzeichen, über die unter dem Wort Zahlzeichen zu handeln ist, wird im folgenden ein Überblick erst über die griechische, dann über die römische Arithmetik gegeben werden, und zwar unterscheiden wir bei den Griechen (mit Günther 234ff.) die Rechenkunst (Logistik), die allgemeine Arithmetik einschliesslich der Zahlentheorie und die unbestimmte Analytik.

I. Rechenkunst der Griechen.

4. Das Rechnen mit Zahlen ist von vornherein unabhängig von der Schrift, mithin auch von den Zahlzeichen. Wie das Kopfrechnen heute noch in den Schulen geübt wird, so sind ursprünglich alle Rechnungen in gesprochenen Zahlen ausgeführt worden, und es machte dabei keinen Unterschied, ob die Zahlen laut gesagt oder ohne wirkliches Aussprechen eine nach der andern zum Bewusstsein gebracht wurden; denn dieser seelische Vorgang nimmt auch für den Geübteren etwa dieselbe Zeit in Anspruch wie das Aussprechen der Zahl, und es ist deshalb leicht erklärlich, dass auch das Kopfrechnen zumeist mit Hülfe eines leisen Zahlensprechens geübt wird. So wie aber die Ausrechnungen in gesprochenen Zahlen umfänglicher und schwieriger wurden, konnte man dazu die Schrift nicht entbehren, ganz abgesehen von dem weiteren Bedürfnis, das gewonnene Resultat [1068] auf die Dauer festzustellen. Doch schliesst sich diese Beihülfe durch die Schrift zunächst eng an die Aussprache der Zahlen an; sie werden als Worte behandelt und mit denselben Buchstaben wie alle übrigen Worte niedergeschrieben. So ist die ziemlich umständliche Ausrechnung der Gesamtstärke des persischen Heeres und seines Proviantverbrauches, welche Herodot VII 184–187 anstellt, von Anfang bis Ende in ausgeschriebenen Zahlwörtern durchgeführt. Aber auch die Sandrechnung des Archimedes (s. d. § 5. 7), welche die Füglichkeit zeigt, die Zahlenreihe bis ins Unendliche weiter zu führen, ist streng genommen nicht in der Form eines Rechenexempels gegeben. Zwar zeigt die Überlieferung eine sparsame Anwendung von Zahlzeichen, und es steht nichts der Annahme entgegen, dass dieselben nicht erst von den Abschreibern, sondern schon von Archimedes herrühren; allein die gesamte Darstellung bewahrt offenbar die Form eines gesprochenen Vortrages. Die Ausdrücke ,Myriaden‘, ,erste, zweite, dritte Zahlen‘ u. s. w. ermöglichen es, auch unendlich grosse Zahlen auszusprechen, ohne dass irgend welche schwer verständliche Kunstwörter dazu gebildet worden sind (Hultsch Berliner Philol. Wochenschr. 1885, 569f.). Alle Einzelausrechnungen sind vermieden; nur die Hauptresultate werden ausgesprochen, und im Sinne des Autors hat man ausgeschriebene Zahlen auch da zu denken, wo Zahlzeichen sich vorfinden. Auch die Ausrechnungen des Apollonios (bei Pappos II Propos. 14ff.), sowie mehrere von denen, die in der heronischen Geometrie, und ähnliche anderwärts (z. B. bei Polyb. XII 4 a, 5), überliefert sind, lassen unter diesem Gesichtspunkte sich betrachten. Nichts desto weniger reicht die Erleichterung des Rechnens durch Zeichen oder instrumentale Hülfsmittel in die frühesten Zeiten zurück.

5. Fingerrechnen. Dass alle Kulturvölker in der Zahlenbenennung dem Decimalsystem folgen, ist auf die Zehnzahl der Finger zurückzuführen. In den aristotelischen Problemen 15, 3 wird gefragt, warum alle Menschen, sowohl Barbaren als Hellenen, bis zehn zählen, und darauf unter anderm die Antwort gegeben: ὅτι πάντες ὑπῆρξαν ἄνθρωποι ἔχοντες δέκα δακτύλους. Es ist daher nur natürlich, dass die beiden Hände mit ihren Fingern auch zur Bezeichnung von Zahlen über zehn hinaus verwendet worden sind. Dies wurde erreicht durch verschiedene Stellungen oder Beugungen der Finger. Jedenfalls hat die Zehn als eine höhere Einheit (δεκάς), die Zwanzig als zwei Dekaden u. s. w. gegolten. Schon die alten Ägypter haben die Fingerrechnung gekannt und geübt (Cantor 48f.). Bei den Griechen deutet das Wort πεμπάζειν (Hom. Od. IV 412. Aesch. Eum. 738 u. a.) auf diese Rechnungsweise hin. In den Wespen des Aristophanes (656–665) wird die Aufgabe gestellt, nicht umständlich mit Rechensteinen, sondern gleich mit den Fingern zuerst die Einnahmen des athenischen Staates, dann den Aufwand für den Richtersold zu berechnen und beide Beträge mit einander zu vergleichen. Bei dieser Fingerrechnung ist eine Addition bis zu 2000 Talenten, eine Multiplication von Obolen bis zu dem Product 3 . 6000 . 300 Obolen = 150 Talenten, endlich auch eine annähernde Division der grösseren Summe durch die kleinere ( 2000 : 150 > 10 ) [1069] vorzunehmen. Näheres ist uns über die griechische Fingerrechnung nicht bekannt. Was um das J. 1400 n. Chr. der Byzantiner Rhabdas in seiner ἔκφρασις τοῦ δακτυλικοῦ μέτρου darüber lehrt (Tannery Notices et extraits des manuscr. XXXII 1, 30ff.), mag zum Teil auf älterer Tradition beruhen; doch reicht es bei weitem nicht aus, um eine Vorstellung von der altgriechischen Praxis zu geben. Die Stelle des Nonnos Dionys. VI 58ff. behandelt Tannery a. a. O. 18. Über das Fingerrechnen bei den Römern s. unten § 40.

6. Instrumentales Rechnen: s. Abacus Nr. 9.

7–10. Rechnen vermittelst der Zahlzeichen. Verschiedene Versuche, durch Gruppierung der Zahlzeichen etwas dem Stellenwerte im dekadischen Ziffersystem Ähnliches zu schaffen. 7. Von den griechischen Zahlzeichen können hier nur die allgemein üblichen α bis ϡ (s. Zahlzeichen) in Betracht kommen, welche für die Zählung bis 999 ausreichten. Die Tausende wurden als höhere Einheiten (χιλιάδες) aufgefasst und wieder durch α β γ u. s. w., analog den Zahlwörtern χίλιοι, δισχίλιοι τρισχίλιοι u. s. w., bezeichnet. Es wurde also z. B. 3333 durch ‚γτλγ oder ‚γτλγ‘ gegeben, wobei der vor dem ersten γ unten beigefügte Strich die χιλιάδες zum Unterschiede von γ oder γ′ = 3 μονάδες andeutete. So ging es bis 9999. Von da trat wieder die höhere dekadische Einheit ein, die auch in der Sprache deutlich ausgeprägt war. Denn wenn auch, analog den Zahlwörtern δισχίλιοι u. s. w., die Ausdrücke δισμύριοι u. s. w. sich finden, so ist doch die bei weitem üblichere und für höhere Beträge allein zulässige Zählung die nach μυριάδες. Mit den Zehntausenden begann also das Zählen wieder von vorn, und es wurden zu dem Kennwort μυριάδες dieselben Zahlzeichen gesetzt, welche für die Einer, Zehner u. s. w. in Gebrauch waren. Beiläufig sei erwähnt, dass für μυριάδες verschiedene Abkürzungen üblich waren, oder dass man über die Zahlzeichen α = 10 000, β = 20 000 Doppelpunkte setzte, um sie von α = 1, β = 2 u. s. w. zu unterscheiden. Diophantos schreibt die Myriaden, wenn dahinter Tausende bis Einer folgen, ganz so wie Einer u. s. w., und begnügt sich damit, die Zahlzeichen für die Myriaden durch einen Punkt abzutrennen, z. B. τς. ,θ = 306 Myr. + 9000, oder λγ. ,αψος = 33 Myr. + 1776 (Bd. I 308, 19. 20 Tannery).

So konnte weiter gezählt und gerechnet werden bis zu dem Höchstbetrage von 9 999 Myriaden + 9 999 Einheiten, und genau bis zu dieser Grenze konnten auch alle Zahlen durch die allgemein gebräuchlichen Zahlwörter ausgesprochen werden.

Das Rechnen vermittelst der Zahlzeichen wurde erschwert durch den Mangel des dekadischen Ziffersystems; allein durch die Praxis bildete sich ganz von selbst eine Gruppierung der Zahlzeichen aus, welche den Stellenwerten in unserm Ziffersystem einigermassen entsprach. Wenn verschiedene mehrstellige Posten zu addieren oder einer von dem andern zu subtrahieren waren, so kann kein verständiger Rechner anders verfahren sein, als dass er die μονάδες, δεκάδες, ἑκατοντάδες, χιλιάδες, μυριάδες ebenso aus einander hielt, wie schon die Pythagoreer es angedeutet hatten (unten § 19) und wie Archimedes in der Sandrechnung (II 266, [1070] 21–268, 4 Heib.) es seinen Lesern zum Bewusstsein bringt, also unter einander setzte, was dem Stellenwerte nach zu einander gehörte, wie z. B. die folgende Reihe von Summanden:

υ κ δ  = 1 424
ρ γ = 103
α ¨ σ π α = 12 281
γ ¨ λ = 30 030 .

Durch Summierung der rechts in einer Reihe stehenden Einheiten erhielt er zunächst 8 Einheiten = η, dann gewann er durch Summierung der in der nächsten verticalen Reihe stehenden Zahlzeichen 13 Zehner; er hatte also den Betrag λ zu vermerken, die überschiessenden 10 Zehner aber als 1 Hundert der nächsten Reihe nach links zuzurechnen. Diese ergab dann ω = 800, die nächste ,γ = 3000, die äusserste nach links δ ¨ = 40 000, und die ganze Summe stand da in den Zahlzeichen δ ¨ ,γ ω λ η′ Ein entsprechendes Verfahren musste offenbar bei der Subtraction eingehalten werden. Vgl. Nesselmann 119.

8. Noch deutlicher zeigt sich die Anlehnung an das dekadische System bei der Multiplication. Wie hierbei verfahren wurde, zeigen die ausgerechneten Exempel bei Eutokios zu Archim. III 272–299 Heib. (und vgl. Nesselmann 115ff. Friedlein 75ff. Hankel 55f. Gow 49f. Günther 237). Nur Produkte von zwei Factoren können in Betracht kommen (denn wenn mehr Factoren gegeben wären, so müsste zuerst ein Produkt von zwei Factoren und dann das Weitere ermittelt werden). Der Multiplicandus steht oben, der Multiplicator wird mit ἐπί (= mal) darunter geschrieben. Dies die Aufgabe. Die Ausrechnung erfolgt nun ähnlich wie heutigen Tages, so dass der Multiplicator in seine Einheiten, Zehner, Hunderte u. s. w. zerlegt wird; nur ging es etwas umständlicher her, da die dekadischen Ziffern und die Null fehlten. Ist z. B. der Multiplicator ψπ′ = 780 (Eutok. 290), so wird zuerst mit 7 Hunderten multipliciert. Der Multiplicandus ist in dem angeführten Beispiele ebenfalls 780, also sind der Reihe nach hinzuzuschreiben die ausgerechneten Producte 700 . 700 und 80 . 700, d. i. mit griechischen Zahlzeichen

μ θ′ μ υ ρ.  = 490 000
ε′ μ υ ρ. = 56 000

Hierzu kommt die Multiplication durch 8 Zehner:

ε′ μ υ ϱ.  = 56 000
υ′ = 6 400

Alle diese Posten sind bei Eutokios überliefert, nur sind sie von den Abschreibern nicht so, wie hier, genau unter einander gesetzt, sondern zu zwei Zeilen zusammengezogen. Die Addition aller 4 Posten ergiebt

ξ′ μ υ ϱ. υ′  = 608 400

In einem Scholion zu Plato Charmid. 165 E werden αἰ Ἑλληνικαὶ καὶ Αἰγυπτιακαὶ καλούμεναι μέθοδοι ἐν πολλαπλασιασμοῖς καὶ μερισμοῖς erwähnt. Hiermit scheint auf Plato leg. VII 819 B Bezug genommen zu sein. Ist dies richtig, so bedeuten diese μέθοδοι lediglich elementare Vorübungen beim ersten Unterricht: s. unten § 37.

9. Die Division durch einstellige Zahlen war, wie bei uns, eine einfache Operation, wobei das Resultat unmittelbar hinter der Aufgabe niedergeschrieben werden konnte. Die Division durch [1071] mehrstellige Zahlen wurde zurückgeführt auf die Division durch einstellige Zahlen, und es wurde dann weiter, ganz wie heutigen Tages, mit Hülfe der Multiplication und Subtraction verfahren. Natürlich aber war es etwas umständlicher, die Ausrechnung niederzuschreiben. Wir wenden zunächst das eben aus Eutokios angeführte Multiplicationsexempel um. Wie viele mal ist ψπ′ in ξ′ μυρ. ,ηυ′ (780 in 608 400) enthalten? Zunächst wird ermittelt, wie viele mal 7 Hunderte in 60 Myriaden enthalten sind, wobei zu beachten ist, dass diese 7 Hunderte noch 8 Zehner hinter sich haben, mithin 8 Hunderten sich nähern. Man setzt also als erstes Glied des Quotienten 60 : 8 ∼ 7 Hunderte, und dass diese Annahme richtig war, zeigt erstens die Multiplication 700 . 780 = 546 000 (das sind die μθ′ μυρ. + ε′ μυρ. ,ς in dem vorhergehenden Exempel), zweitens die Subtraction 608 400 – 546 000 = 62 400. Dieser Rest ist nun weiter durch 780, also durch nahezu 8 Hunderte zu teilen. Demnach werden als zweites Glied des Quotienten voraussichtlich 8 Zehner zu setzen sein (denn 62   .   1000 8   .   100 sind nahezu = 8 . 10). Nun folgt die Multiplication, welche wieder die Richtigkeit der vorhergehenden Annahme bestätigt und in diesem Falle zugleich die Division zu Ende bringt. Denn es sind 780 . 80 = 62 400 (das sind die ε′ μυρ. ,ς + ,ςυ′ in dem obigen Multiplicationsexempel des Eutokios), und diese sind gleich dem vorher verbliebenen Reste des Dividendus. Mithin sind durch Division ausgerechnet zuerst das Glied des Quotienten 7 . 100, dann 8 . 10, d. i. der ganze Quotient 780.

Dieses Beispiel einer Division wurde gewählt, um die Einzelheiten der Ausrechnung aus der durch Eutokios überlieferten Multiplication entnehmen zu können. Es ist aber noch eine andere Art der Ausrechnung zu erklären, welche im wesentlichen ganz mit der eben dargestellten übereinstimmte und nur in der Anordnung sich unterschied. In seinem Commentar zur Syntaxis des Ptolemaios rechnet nämlich Theo (I 118f. Halma) einzeln aus, wie die Zahl ,α φ ι ε   κ′  ι ε′′ d. i. 1515   +   20 60   +   15 60 2 durch κε ιβ′ ι′′, d. i. durch 25 + 12 60   +   15 60 2 zu dividieren ist (vgl. die übersichtliche Darstellung bei Nesselmann 144). Nun werden wir über die Sexagesimalteilung noch [1072] besonders zu sprechen haben; hier aber, bei der Division mehrstelliger ganzer Zahlen durch andere mehrstellige, ist davon auszugehen, dass dieselben ähnlich in die Abteilungen der Myriaden, Tausende, Hunderte u. s. w. zerfallen, wie die Sexagesimalwerte in Ganze, erste Sechzigstel, zweite Sechzigstel u. s. w. (vgl. § 11). Es ist also anzunehmen, dass Theo, und gewiss vor ihm schon andere, bei der Division ganzer Zahlen die decimalen Abteilungen ähnlich aus einander gehalten haben wie die sexagesimalen. Als Beispiel wählen wir eine Ausrechnung, deren Aufgabe aus Theo I 186 zu entnehmen ist, nämlich die Division von 7424 zweiten Sechzigsteln durch 134   +   8 60 (behufs leichteren Verständnisses lassen wir fortan die griechischen Zahlzeichen bei Seite). Theo bemerkt über die Art der Ausrechnung nichts, sondern giebt nur an, dass als Quotient 55 zweite Sechzigstel herauskommen. Nun ist zunächst klar, dass er die Ganzen des Divisors, da diese Sechzigstel neben sich haben, auch auf Sechzigstel bringen musste. Denn wenn der Dividendus auch Ganze enthalten hätte, so hätte er diese zuerst durch die Ganzen des Divisors geteilt und den Rest dann auf Sechzigstel gebracht u. s. w. (vgl. Nesselmann a. a. O.). Da aber der Dividendus nur zweite Sechzigstel enthält, so musste er gleich mit der Reduction der Ganzen, zunächst auf erste Sechzigstel, beginnen. Es ergab sich also 134   +   8 60 = 8048 60 . Mit diesen 8048 ersten Sechzigsteln hätte er nun in die 7424 zweiten Sechzigstel dividieren können, und würde dann einen Bruchteil in ersten Sechzigsteln erhalten haben (dass zweite Sechzigstel, dividiert durch erste Sechzigstel, erste Sechzigstel ergeben, lehrt ausser Theo I 116 auch der Anonymus de multiplic. sexagesim. S. 9, 13 Henry). Theo will aber als Quotienten eine ganze Zahl in der Abteilung der zweiten Sechzigstel. Er muss also die 7424 zweiten Sechzigstel des Dividendus in 7424 . 60 = 445 440 dritte Sechzigstel verwandeln und erhält nun vermittels der Division von 445 440 Ganzen durch 8048 den angenäherten Quotienten 55 Ganze, nämlich in der Abteilung der zweiten Sechzigstel. Jetzt sind wir im stande, die Ausrechnung der Division, im Sinne Theos, indem wir die oben erwähnte sexagesimale Division auf das decimale System übertragen, herzustellen, wie folgt:

Dividendus      44 Myriaden + 5 440       Divisor 8 000 + 40 + 8
8 000 ✕ 50 40 Myriaden 5 Zehner: erstes Glied des Quotienten
Rest 4 Myriaden      + 5 440
40 ✕ 50 2 000
Rest 4 Myriaden + 3 440
8 ✕ 50 400
Rest 4 Myriaden + 3 040 5 Einer: zweites Glied des Quotienten
8 000 ✕ 5 4 Myriaden
Rest 3 040
40 ✕ 5 200
Rest 2 840
8 ✕ 5 40
Letzter Rest 2 800
55 Summe der beiden Glieder des Quotienten.

[1073] Umständlich war diese Art der Ausrechnung allerdings, aber im ganzen doch durchsichtig. Bei der Methode, die wir vorher aus Eutokios entwickelt haben, nahmen wir ebenfalls einstellige Quotienten, nämlich Einer, Zehner u. s. w. an und multiplicierten mit jedem Einzelquotienten jede decimale Abteilung des Divisors; aber wir vereinigten zu einer Summe die Producte je eines Einzelquotienten mit allen Stellen des Divisors und zogen erst diese Summe vom Dividendus ab. Bei dem obigen Beispiele würde also die Zahl 8 040 mit dem ersten Einzelquotienten ausmultipliciert, und dann dieses Gesamtproduct vom Dividendus abgezogen worden sein. Der erste Rest hätte dann 445 440 – 402 400 = 43 040 betragen, und hiervon würde zweitens das gesamte Product des Divisors mit dem zweiten Einzelquotienten abgezogen worden sein: also 43 040 – 40 240 = 2 800. Dagegen ist in dem obigen theonischen Exempel jede Stelle des Divisors für sich mit jedem Einzelquotienten multipliciert und jedes dieser Einzelproducte für sich vom Dividendus, bezw. dem vorher verbliebenen Reste abgezogen worden. Der Nachteil dieser Rechnungsweise liegt nicht nur in ihrer Weitschweifigkeit, sondern auch darin, dass man weniger leicht übersehen kann, wie die Einzelquotienten durch eine vorläufige grobe Division aufzufinden sind, mithin auch einen Fehler, der bei dem probeweisen Ansatze etwa untergelaufen wäre, erst viel später bemerken und mit grösseren Umständlichkeiten ausmerzen würde.

Für Theo war die obige Division mit Ausrechnung der Ganzen des Quotienten zu Ende; denn diese Ganzen gehörten, wie schon bemerkt, als Zähler in die Abteilung der zweiten Sechzigstel, und darüber hinaus hat Ptolemaios an der von Theo commentierten Stelle nicht gerechnet (vergl. § 15). Allein für eine allgemeine Darstellung der griechischen Divisionsregeln darf der letzte oben verbliebene Rest nicht vernachlässigt werden; denn durch Fortsetzung der Division erhalten wir den Bruch 2800 8048 , und haben zu fragen, wie die Griechen solche Brüche bezeichneten, vielleicht auch zu bequemeren Formeln abrundeten.

10. Ehe wir jedoch auf die griechische Bruchrechnung kommen, ist über die Bezeichnungen der zu höchsten Beträgen aufsteigenden Zahlenreihe noch einiges zu bemerken. Es wurde oben (§ 7) gezeigt, dass man bis 10 000² – 1 mit griechischen Zahlwörtern zählen und mit Zahlzeichen schreiben konnte. Der Wert 10 000² selbst liess sich noch ausdrücken durch μύριαι μυριάδες, ferner Vielfache desselben durch Bildungen wie μυριάκις μυριάδες ἑκατόν, μυριάκις μύριαι μυριάδες (Archim. aren. II 262ff. 288ff. Heib., und vgl. Plut. ne suaviter quidem vivi posse etc. 11. Galen. περὶ χρείας τῶν μορίων IV 355, 11 Kühn). Doch war dies nur eine Ausnahme, gewissermassen ein augenblicklicher Notbehelf, denn im allgemeinen billigte der Sprachgebrauch es nicht, die Zahlenabstracta bis zu dem Betrage ihrer eigenen Einheiten oder darüber hinaus zu zählen. Wie also für 10 Dekaden die ἑκατοντάς, für 100 Hunderte die μυριάς eintraten, so hätte Archimedes für 10 000 Myriaden eigentlich ein neues Abstractum, und beim immer weiter Zählen andere Abstracta [1074] bilden müssen. Das aber mochte er nicht: dem griechischen Sprachgebrauche sollte keine Gewalt angethan werden. Er benannte also die Zahlen 1 bis 10 000² – 1 als πρῶτοι ἀριθμοί, und setzte 10 000² als die Einheit einer höheren Zahlengruppe, nämlich der δεύτεροι ἀριθμοί, innerhalb deren er wieder mit den gewöhnlichen Zahlwörtern operieren konnte. Wir werden dies passend eine Umrahmung von Zahlen nennen. An die δεύτεροι ἀριθμοί innerhalb des Rahmens 10 000² bis 10 000⁴ – 1 schlossen sich die τρίτοι ἀριθμοί, deren Einheit = 10 000⁴ und deren höchste Zahl = 10 000⁶ – 1 war, und so fort (vgl. Archimedes § 5–7). Auf die Bildung solcher höheren Gruppen hatte schon die Analogie von Massen und Gewichten hingeführt. Herodot VII 187 berechnet, indem er 1 Choinix Weizen als Tagesration für den Mann ansetzt, den täglichen Proviantverbrauch des persischen Heeres, nachdem er die Zahl der Truppen durch Abschätzung ermittelt hat. Er giebt nun aber den Gesamtverbrauch nicht in Choiniken an, sondern in Medimnen (1 Medimnos = 48 Choiniken), und zwar stellt er gesondert die Myriaden von Medimnen und die auslaufenden Hunderte und Zehner von Medimnen hin (dass ihm bei der Ausrechnung Fehler untergelaufen sind, kommt hier nicht in Betracht). So ist die grosse Zahl, die in Choiniken ausgedrückt dem Leser nicht leicht erfassbar gewesen wäre, gruppiert zu 11 Myriaden von Medimnen und ausserdem von 340 Medimnen. Ebenso kann das Talent angesehen werden als die Zusammenfassung von 6000 Drachmen (oder, wie wir vor kurzem aus Aristophanes ersahen, 36 000 Obolen) zu einer höheren Einheit. Die Einteilung des griechischen Talentes ist von den Babyloniern entlehnt, und so ist es kein Zufall, dass die Zahlen 6000 und 36 000 in naher Beziehung zu dem babylonischen Sexagesimalsystem stehen. Die Babylonier bildeten bekanntlich über die Zahlenreihe 1 bis 59 hinaus als eine höhere Einheit die Sechzigzahl (wie jetzt noch volkstümlich nach Schocken gerechnet wird), die ihrerseits wieder bis 59 gezählt wurde. Dann kam als nächsthöhere Einheit der Wert 60² und so fort. Andererseits wurde die ursprüngliche Einheit nach Bedarf in Sechzigstel, zweite Sechzigstel ( 1 60 2 ) , dritte Sechzigstel ( 1 60 3 ) u. s. w. zerlegt. Nun haben die Griechen mit feinem Takte den sexagesimalen Aufbau der Zahlenreihe nach oben vermieden. Das Bewusstsein, dass ihre eigenen Zahlwörter das dekadische System darstellten, blieb in ihnen lebendig, und deshalb haben sie die höchsten Zahlen, welche zu bilden sie veranlasst wurden, nie anders als nach Myriaden gruppiert. Wie Archimedes dabei verfuhr, ist schon erwähnt worden. Dass in seinen Oktaden (10 000², 10 000⁴ u. s. w.) etwas Gekünsteltes vorlag, ist dem Apollonios von Perge (s. d.) nicht entgangen, und gewiss hat er in der Absicht, dem Systeme des Archimedes eine einfachere Theorie gegenüber zu stellen, jene Potenzierungen von Myriaden gelehrt, über die wir durch Pappos einigermassen unterrichtet sind. So finden wir es begreiflich, dass bei Simplic. in Arist. de caelo II (schol. in Arist. 508 b Brandis) und noch weit später bei Rhabdas (S. 30 Tannery, und vgl. vorher § 5) Reminiscenzen an die [1075] διπλαῖ, τριπλαῖ und höher potenzierten Myriaden des Apollonios sich erhalten haben; denn diese Ausdrücke entstammten unmittelbar dem griechischen Sprachbewusstsein, während das System des Archimedes, wenn auch seine Benennungen dem populären Verständnis möglichst angepasst waren, doch infolge der künstlichen Bildung von Zahlenklassen niemals volkstümlich geworden ist. Auch eine andere Bezeichnungsweise, die nach Analogie der ἀριθμοὶ πρῶτοι, δεύτεροι u. s. w. der Archimedes von Diophant versucht worden ist, nämlich πρῶται und δεύτεραι μυρίαδες statt ἁπλαῖ und διπλαῖ (Hultsch Berl. Philol. Wochenschr. 1894, 806f.) scheint keine Nachahmung gefunden zu haben.

11–12. Bruchrechnung. 11. Wir haben zu beginnen mit der sexagesimalen Teilung, deren Grundzüge vor kurzem dargelegt wurden. So verschieden diese Rechnungsart auch von der uns geläufigen Decimalbruchrechnung ist, so hat sie mit dieser doch die strenge Consequenz und, vom altgriechischen Standpunkt aus, die leichte und durchgängige Anwendbarkeit gemeinsam. Denn für gewöhnlich suchte der Grieche, wenn er beim Dividieren bis zu den gebrochenen Zahlen hinabsteigen musste, aussprechbare genäherte Werte. Wenn diese aber, wie es häufig vorkam, zu einer Reihe von Stammbrüchen sich zerdehnten, oder wenn doch Brüche mit mehrstelligen Zählern und Nennern ausgerechnet wurden, so mochte wohl der einzelne Wert für sich brauchbar erscheinen, allein die Vergleichung und Umrechnung verschiedener solcher Brüche führte zu den grössten Weiterungen. Deshalb haben die Griechen in der rechnenden Astronomie, jedenfalls nach Vorgang der Babylonier, ein Teilungssystem angewendet, welches uns, vollkommen ausgebildet und durch eine lange vorhergegangene Praxis bewährt, in der σύνταξις des Ptolemaios (s. d.) entgegentritt. Die Kreisperipherie und somit auch die Summe der Centriwinkel wird in 360 μοῖραι geteilt. Ptolemaios nennt I 9 (S. 26, 7 Halma), d. i. an der ersten Stelle, wo er auf die Sexagesimalteilung zu sprechen kommt, diese Teile der Peripherie τρήματα (dies ist auch zu ergänzen S. 28, 15. 16. 25. 26. u. ö.); sonst sagt er μοῖραι (kommt zuerst S. 28, 4 vor: μοίρας οβ, οἵων ἐστὶν ὁ κύκλος τξ) und für 1/2 Grad ἡμιμοίριον (S. 26, 8). Dass die Römer μοῖραι wörtlich mit pars wiedergaben, ist aus Ammian. XX 3, 2 zu entnehmen. Das spätere gradus ist aus dem Arabischen übersetzt; s. Nesselmann 137, 23. Weiter wird der Grad κατὰ τὸν τῆς ἑξηκοντάδος τρόπον (Ptol. I S. 26, 24) geteilt in ἑξηκοστὰ πρῶτα, δεύτερα, τρίτα u. s. w. (Theo zu Ptol. I 110f. Halma). Die ersten Sechzigstel, gewöhnlich ἑξηκοστά schlechthin, oder auch λεπτά (minuta) genannt, sind Brüche mit dem Nenner 60¹, die δεύτερα ἑξηκοστά (secunda) Brüche mit dem Nenner 60², die τρίτα (tertia) Brüche mit dem Nenner 60³ u. s. w. Anonymus de multiplic. S. 1f. Henry. Ammian. a. a. O. Planudes ψηφοφ. κατ′ Ἰνδούς S. 23f. Gerhardt. Nun hat Ptolemaios, um die Trigonometrie in die astronomische Praxis einzuführen, nicht bloss die Grade der Peripherie, sondern auch den Radius des Kreises sexagesimal geteilt. Wie auf das Sechstel der Peripherie, so kamen auch auf die Sehne dieser [1076] Peripherie, d. i. auf den Radius, 60 (mithin auf den Diameter 120) τμήματα (Ptol. I 9 z. Anf.). In Bezug auf die weitere Teilung gelten nun diese τμήματα als Ganze, und zwar als die Einheiten einer beliebigen Grösse, die sich Ptolemaios, nach dem Vorgange des Eukleides, als eine Gerade denkt. So werden z. B. (S. 28) die 60 Einheiten des Radius und die 30 Einheiten seiner Hälfte quadriert zu 3 600 + 900 = 4 500 Einheiten, und aus dieser Summe wird dann die Wurzel in Ganzen und Brüchen gezogen. Hiermit kommen wir zur Hauptsache. Die von Ptolemaios in die trigonometrischen Rechnungen eingeführten τμήματα (wohl zu unterscheiden von den τμήματα oder μοῖραι der Peripherie) sind in arithmetischem Sinne die Einheiten einer beliebigen ganzen Zahl, welche letztere durch Division in Ganze, darüber hinaus aber auch in sexagesimale Brüche zerlegt werden soll. Theo I 111, der ebensowenig wie die späteren Erklärer die μοῖραι der Peripherie und die τμήματα des Diameters auseinanderhält, nennt die μοῖραι schlechthin (also die τμήματα mit inbegriffen) ausdrücklich μονάδες. So war ein fester Rahmen gegeben, innerhalb dessen die Bruchteile so genau, als es nur immer erforderlich schien, bestimmt wurden (vgl. Ptol. a. a. O.: καθόλου χρησόμεθα ταῖς τῶν ἀριθμῶν ἐφόδοις κατὰ τὸν τῆς ἑξηκοντάδος τρόπον διὰ τὸ δύσχρηστον τῶν μοριασμῶν, d. i., wie Theo I 110 richtig erklärt, wegen der Schwierigkeit der Rechnung mit gewöhnlichen Brüchen). Ausserdem aber – und das ist nicht minder wichtig – konnte man nun auch alle Rechnungsoperationen mit Brüchen leicht und sicher ausführen. Betreffs der Addition und Subtraction ist dies unmittelbar ersichtlich. In jeder Abteilung des sexagesimalen Rahmens konnte der Zähler durch Summierung anwachsen bis 59; jede 60 aber rückte als Einheit in die nächsthöhere Abteilung auf und wurde dort dem Zähler zugezählt. Umgekehrt wurde bei der Subtraction, wenn in einer Abteilung der Subtrahendus grösser war als der Minuendus, dem Zähler der nächsthöheren Abteilung eine Einheit entnommen und diese als 60 dem Minuendus zugezählt. Belege hierfür finden sich allerwärts in der Syntaxis des Ptolemaios; ebenso auch für die Multiplication, Division und Wurzelausziehung.

Wie bei diesen letzteren drei Rechnungsarten im einzelnen zu verfahren ist, lehrt Theo im Commentar zum I. Buche (S. 110–119. 185f. Halma, vgl. Planudes ψηφοφ. κατ′ Ἰνδούς 26ff. Gerh. Nesselmann 138ff.). Weniger deutlich sind die Anweisungen über Multiplication und Division in der anonymen, leider durch Schuld des Herausgebers kaum lesbaren Schrift μέθοδοι εὔχρηστοι πρὸς τοὺς ἀπὸ μορίων πολλαπλασιασμοὺς κατὰ τὸν τῆς ἀστρονομίας κανόνα (Opusculum de multiplicatione et divisione sexagesimalibus Diophanto vel Pappo attribuendum ed. C. Henry, Halle 1879; vgl. auch Hultsch Zeitschr. f. Mathem. u. Phys., hist.-litter. Abtlg., XXIV 1879, 199ff. XXVI 1881, 38f. Cantor 459). Doch enthält dieses Fragment immerhin manches von Belang, was sich bei Theo nicht findet, also wahrscheinlich aus dem verlorengegangenen Commentar des Pappos (s. d.) zum I. Buche der Syntaxis entnommen ist, so die schon oben von uns citierte Darstellung der Sexagesimalbrüche, ferner die Bemerkung, dass diese [1077] Methode auch zu allen ausserhalb der Astronomie liegenden Rechnungen wohl passend sei (s. die Textesherstellung und Übersetzung von Hultsch a. a. O. XXIV 200f.).

Ein besonderer Vorzug der sexagesimalen Bruchrechnung lag noch darin, dass die Stelle, wo man mit der Ausrechnung aufzuhören und mit einem Näherungswerte zu schliessen hatte, lediglich nach sachlichen Gründen, nicht (wie bei der gewöhnlichen griechischen Bruchrechnung) durch die Scheu vor allzuschwierigen und nicht mehr übersichtlichen Ausrechnungen bestimmt wurde. Ptolemaios I 9 (S. 26, 27–31) sagt ausdrücklich, dass er bei seinen Rechnungen allenthalben auf die geeigneten Näherungswerte ausgehe und nur unbeachtliche kleinste Werte beiseite lasse (vgl. unten § 15f.).

Endlich wurde die Brauchbarkeit des Systems noch erhöht durch die praktische Bezeichnung der Ganzen sowohl als der Teile. Vor die Einheiten der Peripherie wurde μοῖραι, vor die des Diameters und der Sehnen τμήματα gesetzt, wobei statt μοῖραι auch die Abkürzung μ eintrat (das später übliche Zeichen des Grades ° scheint hierauf zurückzuführen zu sein). Oberhalb der Zahlzeichen der μοῖραι und τμήματα wurde, da es ja Einheiten waren, der übliche Horizontalstrich gezogen. Ferner wurden die ersten, zweiten, dritten Sechzigstel u. s. w., wie heute noch, durch einen, zwei, drei Striche u. s. w., welche der Zahlenbezeichnung des Zählers beigefügt wurden, kenntlich gemacht, so dass die Schreibung des Nenners ganz wegfiel, z. B. μοιρῶν μζ μβ′ μ″ = 47° 42′ 40″ (Ptol. I S. 57, 15), τῶν ρθ μδ′ νγ″ = 109° 44′ 53″ (S. 61, 2), μ β = 2° (Vaticanus des Pappos Bd. II 556, 13. 14 Hultsch), τοιούτων λζ δ′ νε″, οἵων ἡ διάμετρος ρκ, d. i. 37 Ganze (deren jedes = 1 120 Diameter ist) und 4′ 55″, τμημάτων ξζ δ′ νε″ = 67 Ganze + 4′ 55″ (Ptol. I S. 28). War in irgend einer Abteilung keine Zahl zu verzeichnen, so wurde das Zeichen (d. i. οὐδεμία μοῖρα, bezw. οὐδὲν τμῆμα, οὐδὲν ἑξηκοστόν u. s. w.) gesetzt, z. B. ¯ α′β″ ‴ = 0° 1′ 2″ 0‴ (Ptol. I S. 38), ¯ ιζ′ λγ″ = 0° 17′ 33″ (Pappos Bd. II 558, 25, und zwar so, mit nur geringfügigen Abweichungen, hsl. überliefert). Theo zu Ptolemaios und der Anonymus de multipl. sexagesim. pflegen ἑξηκοστά auszuschreiben. Die Minuten werden also durch α (d. i. πρῶτα) ἑξηκοστά, die Sekunden durch β ἑξηκοστά (Theo) oder β′ β′ oder ββα ἑξηκοστά (Anonym.), und entsprechend die dritten, vierten u. s. w. Sechzigstel bezeichnet. Für die ersten Sechzigstel findet sich beim Anonymus häufig ξξα.

12. Die gewöhnliche Bezeichnung der Brüche lehnte sich eng an die Aussprache derselben an. Ein τρίτον wurde Pauly-Wissowa II,1, 1077 b3.jpg oder weiter abgekürzt Pauly-Wissowa II,1, 1077 b5.jpg geschrieben, also auch τέταρτον = ‶ u. s. w. Im modernen Typendruck wird statt dessen am geeignetsten die Bezeichnung γ″ δ″ u. s. w. angewendet, die auch durch Hss. und Papyri bezeugt sind (Hultsch Metrol. Script. I 174; Jahrb. f. Philol. 1893, 750, 1; Histor. Unters. f. Förstemann, Leipzig 1894, 44. 54). In den Hss. des Diophantos finden sich die verschiedensten Compendien, [1078] unter denen Tannery ein Zeichen, das einem liegenden Kreuz ähnlich ist, ausgewählt hat, z. B. ια✕, δ✕ (Dioph. ed. Tannery I S. VIII 6, 21. 120, 7. 312, 4 u. ö.).

Das Zeichen für 1 2 , ἥμισυ, ist Ϲ (häufig auch mit Zeichen geschrieben, die einem griechischen ς oder lateinischen S ähnlich sind). Zwei Drittel sind ein δίμοιρον, bezeichnet durch verschieden geformte Compendien, die teils auf den Zahlbuchstaben B, teils auf eine vielleicht aus Ϲς″ = 1 2 + 1 6 zusammengezogene Ligatur zurückgehen (Gardthausen Griech. Paläogr. 249. Wilcken Rhein. Jahrb. LXXXVI 240. Baillet Le papyrus mathém. d’Akhmîm 11. Hultsch Metrol. script. I 174; Jahrb. f. Philol. 1893, 750, 11). Mehrere Viertel, Fünftel u. s. w. sind τέταρτα, πέμπτα u. s. w. (z. B. τέσσαρα πέμπτα Heronis geom. 74, 24 Hultsch, λεπτὰ τριακοστότριτα κγ′ oder εἰκοσιτρία τριακοστότριτα = 22 33 ebd. 110, 8–11). Diese Nenner werden von Archimedes einfach durch Zahlzeichen, z. B δέκα οα″ = 10 71 (Kreismess. I 270, 9 Heib.), in der heronischen Geometrie aber durch Verdoppelung bezeichnet, z. B. β′ ε″ ε″ = δύο πέμπτα (Hultsch Metrol. script. I 174f. Hero Geom. S. 74ff.). Diophantos setzt zuerst den Zähler des Bruches als Kardinalzahl und fügt den Nenner mit dem Zusatze ἐν μορίῳ oder μορίου hinzu, z. B. τς . ,θ μορ. λγ . ,αψος = 3   069   000 331   776 (I 308, 19 Tannery). Dem allgemeinen Gebrauche nach ist auch hier das als Nenner stehende Zahlwort als Ordinale zu denken, und zwar als zusammengesetztes, so viele Einheiten, Zehner, Hunderte und Tausende auch der Nenner enthalten mag. Darüber hinaus sind die Myriaden als ein besonderes Numerale ausgesprochen worden Nur wenn der Nenner bis zu den Myriaden in zweiter Potenz anschwoll, scheint die Bildung von Kardinalien vorgezogen worden zu sein, z. B. μορίου δευτέρας μυριάδος α καὶ πρώτων (scil. μυριάδων) ηψμζ u. s. w. I 332, 8 Tann. (so nach den Spuren der ältesten Überlieferung verbessert von Hultsch Berl. Philol. Wochenschr. 1894, 806f.). Daneben gebraucht Diophant eine kürzere Bezeichnung, welche das gerade Gegenteil der heute üblichen Form bildet; er setzt nämlich über die Zahlzeichen des Zählers die (wieder als Ordinalia zu denkenden) Zahlzeichen des Nenners, z. B. ι θ δ = 4 19 , α . ω ι ς ι γ . τ ϰ α = 130   321 10   816 (I 120, 23. 312, 5 Tannery; über die früher dem Diophantos zugeschriebene, etwas abweichende Bezeichnung vgl. Nesselmann 113ff. Dioph. übersetzt von Wertheim S. 3).

Gern wurden die Brüche, deren Zähler mehrere Einheiten enthält, aufgelöst zu Stammbrüchen, z. B. 15 16 in Ϲ δ″ η″ ις″ = 1 2   +   1 4   +   1 8   +   1 16 , wo die Nenner die Potenzenreihe von 2 darstellen (dass diese Reihe häufiger als andere verwendet wird, ist leicht erklärlich; ist sie doch die einzige in Potenzen des ersten Nenners verlaufende, vermittels deren – natürlich unter der Voraussetzung, dass Anfangs- oder Mittelglieder ausfallen dürfen – [1079] Näherungswerte für alle echten Brüche, einschliesslich der irrationalen, gebildet werden können). Oder es wurden verschiedenartige Nenner derartig ausgewählt, dass eine leicht übersichtliche Reihe entstand, z. B. 1 4   +   1 8   +   1 10   +   1 200   =   12 25 ; 1 2   +   1 3   +   1 42   =   6 7 . Nesselmann 112f. Hultsch Metrol. Script. I 174f. Cantor 118. 303f. Tannery Bulletin des sciences mathém., 2. série, VIII 1 (1884), 329ff. Hultsch Nachr. Gesellsch. der Wiss. Göttingen 1893, 383, 1. 407. In vielen Fällen konnten dann verschiedene Auflösungen, deren jede eine wohlgeordnete Reihe darstellte, gewählt werden, wie die Ausrechnungen in der heronischen Geometrie und Stereometrie zeigen, Tannery a. a. O. 337–343; vgl. zum Beispiel Heronis geom. 119 Hultsch, wo der Bruch 163 224 aufgelöst wird a) in 1 2   +   1 7   +   1 14   +   1 112   +   1 224 , b) in 1 2   +   1 8   +   1 16   +   1 32   +   1 112 , c) in 1 2   +   1 6   +   1 21   +   1 112   +   1 224 .

Wenn mit Brüchen oder gemischten Zahlen weitere Rechnungsoperationen vorzunehmen waren, so ging dies im allgemeinen mit Stammbrüchen leichter als mit gewöhnlichen Brüchen, besonders wenn letztere mehrstellige Zähler und Nenner enthielten. Mehrere ausgerechnete Multiplicationen gemischter Zahlen, deren auslaufende Brüche der Reihe 1 1   +   1 4   +   1 8 u. s. w. entnommen sind, giebt Eutokios zu Archimedes Kreismessung (III 274ff. Heib.). Aber auch das Quadrat von 1838 19 11 hat er (S. 294) auszurechnen versucht und wahrscheinlich auch annähernd ermittelt (in die Hss. hat das Verderbnis 1 9   +   1 11 statt 9 11 sich eingeschlichen, wonach die ganze Bruchrechnung einschliesslich der letzten Hauptsumme in Verwirrung geraten ist: die richtige Ausrechnung geben Nesselmann 116ff. und Heiberg zu Eutok. 295). Ohne Fehler ist in der heronischen Geometrie 83, 2f. das Quadrat von 14 23 33 einzeln ausgerechnet und an einer anderen Stelle, um noch ein Beispiel unter vielen beizubringen, die Multiplication von 3 63 64   ×   7 2 64 ausgeführt (ebd. 36, 8f.; vgl. Friedlein 76f.). Auch Diophantos hat, wie aus vielen seiner Aufgaben hervorgeht, es trefflich verstanden, selbst mit den compliciertesten Brüchen zu rechnen. Doch ist aus seinen Multiplications- und Divisionsregeln (Defin. 4–10), da diese nur den allgemeinen algebraischen Ausdrücken gelten, nicht zu ersehen, wie er die angewandte Bruchrechnung gehandhabt hat. Das oben § 8 a. E. erwähnte Scholion zu Plat. Charmid. 165 E über griechische und ägyptische Multiplications- und Divisionsmethoden bezieht Tannery Géom. grecque 49f. auf den Unterschied zwischen der ägyptischen Rechnung in Stammbrüchen, besonders binären Brüchen (wozu als Analogon auch eine binäre Multiplication erscheint) und der griechischen Rechnungsweise in gewöhnlichen Brüchen.

Die Addition und Subtraction von Brüchen bezeichnet der Scholiast zu Plato Charmid. a. a. O. durch αἱ τῶν μορίων συγκεφαλαιώσεις καὶ διαιρέσεις. [1080] Die Ausrechnung konnte nur bei gleichen Nennern stattfinden. Brüche von ungleichen Nennern mussten also auf gleiche Nenner eingerichtet werden. Schon der Pythagoreer Archytas hat auf diese Weise ermittelt, um wie viel Brüche von verschiedenen Nennern von einander sich unterscheiden (s. § 29).

Die Schwierigkeiten der Bruchrechnungen konnten also, wenn nötig, wohl bewältigt werden; im allgemeinen aber zogen es die Griechen vor, kürzere angenäherte Bruchwerte statt der genauen zu setzen oder auch die auslaufenden Brüche ganz wegzulassen. Über das Verfahren beim Ausziehen von Quadratwurzeln ist noch zu sprechen (§ 14); betreffs anderweiter Näherungen ist vor allem auf Archimedes zu verweisen, der sich bei seiner Kreismessung begnügte, den Wert π zwischen 3 1 7 und 3 10 71 festzusetzen (I 270 Heib.), ferner auf die vielen angenäherten Brüche in der heronischen Geometrie und Stereometrie, z. B. 1 2   +   1 8   +   1 73 statt 327 512 (S. 177, 8 Hultsch, vgl. Tannery Bull des sciences mathém., 2. série, VIII 1, 337ff. Cantor 369ff.). Eutokios zu Archimedes Kreismessung (III 274) setzt 1 6 + 1 15 als kürzeren, genäherten Ausdruck für 1     ( 1 2   +   1 4   +   1 64 = 1 8   +   1 16   +   1 32   +   1 64 )   =   15 64 (zu erklären durch Anwendung der Näherungsformeln 15 64 1 4   15     1 64     4 , d. i. 14 60   =   1 6   +   1 15 ).

13–17. Wurzelausziehen. 13. Wir haben oben (§ 9) aus den von Eutokios ausgeführten Multiplicationen ermittelt, wie die Griechen bei der Division durch mehrstellige Zahlen verfuhren. Da die Exempel des Eutokios die Producte gleicher Factoren darstellen, mithin zugleich als Beispiele für die Quadrierung der Zahlen zu gelten haben, so sind sie gewiss auch von Nutzen zur Auffindung der Regeln über Ausziehung der Quadratwurzeln. Zunächst ist kurz zusammenzufassen, was aus der früheren Darstellung der übrigen Rechnungsoperationen (§ 7–9) hervorgeht, nämlich dass ganze mehrstellige Zahlen in ihre dekadischen Abteilungen zerlegt und somit alles Rechnen zurückgeführt wurde auf Einzelausrechnungen mittelst der Zahlen 1 bis 9. Dies musste auch für das Wurzelausziehen gelten. Eine gesuchte mehrstellige Wurzel wurde aufgefasst als zerlegbar in so und so viele μονάδες, δεκάδες, ἑκατοντάδες u. s. w. (vgl. § 7). Dann war von der Erwägung auszugehen, dass die Quadrate von 1 bis 9 zwischen 1 und 99, die von 10 bis 90 zwischen 100 und 9900 u. s. w. liegen. Es war also möglich, von der zu suchenden Wurzel zunächst die höchste Stelle des dekadischen Systems im Betrage von 1 bis 9 δεκάδες oder ἑκατοντάδες oder χιλιάδες u. s. w. aufzufinden. Setzen wir den Radicandus = q , den aufgefundenen Wert der höchsten Stelle der Wurzel = a und den noch zu suchenden Wert der nächsten Stelle = x , so war nun die Identitätsformel ( a + x ) 2 = a 2 + 2 a x + x 2 (Eukl. Elem. II 4) anzuwenden und aus dem Reste q a 2 die Stelle x der Wurzel zu ermitteln. Setzen wir diese, nachdem sie gefunden ist, = b , so war von q a 2 weiter 2 a b + b 2 abzuziehen [1081] und aus dem verbleibenden Reste eine etwaige dritte Stelle der Wurzel und so fort jede weitere Stelle zu ermitteln, bis alle ganzen Zahlen der Wurzel gefunden waren (über die Berechnung der Brüche s. § 14f.). Dass die griechischen Mathematiker wirklich in dieser Weise verfahren sind und nicht etwa auf ein Ausprobieren und Erraten sich beschränkt haben (wie Nesselmann 110 und Friedlein 81 vermuten), bezeugt Theo zur Syntaxis (I 184f. Halma; vgl. Nesselmann 144f.), indem er unter Berufung auf Eukl. Elem. II 4 nachweist, dass in dem Radicandus 144 zunächst als höchste Stelle der Wurzel 1 Zehner enthalten sei. Dessen Quadrat vom Radicandus abgezogen ergiebt den Rest 44. Darin muss enthalten sein nicht nur das Doppelte der höchsten Wurzelstelle, multipliciert mit der noch zu suchenden zweiten Wurzelstelle, sondern auch das Quadrat der zweiten Wurzelstelle. Da das Doppelte der höchsten Wurzelstelle bereits 20 ergiebt, so lehrt die vorläufige Division 44 : 20, dass als nächste Wurzelstelle voraussichtlich 2 Einer zu setzen sind. In der That ergiebt die Ausrechnung 20   .   2   +   2 2   =   44 ; es verbleibt also kein Rest weiter und 144 ist mit 1 Zehner und 2 Einern glatt ausgerechnet. Es ist gar nicht anders denkbar, als dass auch Archimedes in seiner Kreismessung nach derselben, durch Eukleides vorgezeichneten Methode die verschiedenen, bis in das dritte Tausend reichenden Wurzeln je bis zur letzten Stelle der Ganzen berechnet habe. Versucht man es z. B. in diesem Sinne, die Ganzen von 1   825   200 dem Archimedes (I 266 Heib. nachzurechnen, so ergeben sich der Reihe nach die Tausende, Hunderte, Zehner und zuletzt der angenäherte Einer der Wurzel, nämlich zusammen 1351, und die Ausrechnung weist im einzelnen, übereinstimmend mit Eutokios a. a. O., zunächst den Posten 1 000 000, dann 2 . 1000 . 300 = 2 . 300 000, dann 300² = 90 000 aus, während die übrigen Posten bei der Wurzelausziehung natürlich anders sich gruppieren als bei Eutokios die Posten der mit sich selber multiplicierten Wurzelzahl. Andere archimedische Wurzelausziehungen behandelt Hultsch Nachr. Gesellsch. d. Wiss. Göttingen 1893, 384ff. Dass auch Heron und Pappos die Ganzen der von ihnen auszurechnenden Wurzeln auf dieselbe Weise ermittelt haben, ist an sich wahrscheinlich. Auch spricht dafür die Bemerkung des Eutokios zu Archimedes (III 270 Heib.): ὅπως δὲ δεῖ σύνεγγυς τὴν δυναμένην πλευρὰν τὸν δοθέντα ἀριθμὸν εὑρεῖν, εἴρηται μὲν Ἣρωνι ἐν τοῖς μετρικοῖς, εἴρηται δὲ Πάππῳ καὶ Θέωνι καὶ ἑτέροις πλείοσιν ἐξηγουμένοις τὴν μεγάλην σύνταξιν τοῦ Κλαυδίου Πτολεμαίου. Die Methode Theos ist uns, wie wir eben sahen, in seinem Commentar zur Syntaxis erhalten, und wir schliessen daraus mit Sicherheit, dass schon Ptolemaios selbst die Ganzen von Wurzeln so ausgerechnet hat. Die σχόλια des Pappos zu Ptolemaios sind uns nur zum Teil, und zwar eingestreut, in die theonischen Commentare erhalten. Aber auch diejenigen Abschnitte, welche unter Theos Namen überliefert sind, mögen möglichst eng an des Pappos Vorarbeiten sich angeschlossen haben. Sicherlich kann Pappos, anlangend die ptolemaeische Wurzelausziehung, [1082] nichts wesentlich anderes gelehrt haben als Theo, wie ja auch Eutokios beide Namen eng mit einander verknüpft. Von dem Inhalte der μετρικά Herons war wohl nur eine unsichere Kunde zu Eutokios gelangt; doch lässt sich aus den Worten des letzteren, wie sie uns vorliegen, immerhin mit einiger Wahrscheinlichkeit schliessen, dass er die heronische Methode der Wurzelausziehung nicht für grundverschieden von der des Pappos und Theo hielt. Alles dies gilt, wie gesagt, zunächst nur von dem Ausziehen der Ganzen einer mehrstelligen Wurzel. Die dazukommenden Bruchteile wurden teils in gewöhnlichen, teils in sexagesimalen Brüchen ausgedrückt; in beiden Fällen lag aber die gleiche Methode zu Grunde, welche auf die euklidische Formel ( a   +   x ) 2   =   a 2   +   2 a x   +   x 2 zurückging.

14. Ehe wir jedoch dies im einzelnen zeigen, ist noch eine Vorfrage zu erledigen. Wir haben gefunden, dass die Ganzen einer Quadratwurzel von Ptolemaios und wahrscheinlich auch von Archimedes und Heron auf Grund des dekadischen Systems und im Einklang mit den griechischen Sprachbildungen μυριάδες, χιλιάδες u. s. w. ausgerechnet worden sind. Fragen wir nun, wie weiter gerechnet wurde, wenn man zuletzt auf gebrochene Zahlen kam, so ist zunächst eine negative Antwort festzustellen. Die Griechen sind nämlich niemals darauf gekommen, eine irrationale Wurzel nach δέκατα, ἑκατοστά, χιλιοστά u. s. w. zu bestimmen, obwohl dies nach Analogie der δεκάδες, ἑκατοντάδες, χιλιάδες u. s. w. so nahe lag. Wenn hin und wieder Brüche wie 1 10 ,     1 200 vorkommen (vgl. § 12), so sind sie nach Bedarf ebenso wie die nicht decimalen Brüche 1 2 ,     2 3 ,     1 3 u. s. w. entstanden, mithin nicht als Decimalbrüche wie 0,01, 0,005 zu betrachten. Eine eigentümliche Rechnung in Myriadenbrüchen ist zwar von Apollonios und Späteren versucht worden, hat aber nicht als brauchbar sich bewährt. Hultsch Zeitschrift f. Math. u. Phys., hist.-litt. Abteil. XXXIX 1894, 131ff. 161ff.

Aber nicht minder geläufig, wie wir mit Decimalbrüchen, rechneten ja die griechischen Astronomen mit Sexagesimalbrüchen. Wir finden bei Ptolemaios z. B. für 3 und 5 Annäherungen von überraschender Genauigkeit (s. § 16). Wenn nun Heron für 3 den Näherungswert 26 15 hat (Cantor 368f. Günther Quadratische Irrationalitäten, Abhandl. zur Gesch. der Mathem. IV 19), so kann dieser Bruch, insofern er = 104 60 ist, gedeutet werden als eine stark gekürzte Ausrechnung statt des weit genaueren Wertes 103 60 + 55 60 2 + 23 60 3 , den später Ptolemaios ermittelt hat (Günther a. a. O. 22). Man müsste also annehmen, dass Heron 3   =   3   .   60 2   :   60 gesetzt, dann aus 3   .   60 2   =   10800 die bis auf die Einer genäherte Wurzel (vgl. § 13) = 104 gezogen und endlich den Bruch 104 60 auf 26 15 reduciert habe. Allein da bereits Archimedes 3 annähernd gleich 265 153 gesetzt hatte (Günther a. a. O. 11. Hultsch Nachr. Gesellsch. d. Wiss. Göttingen 1893, 385ff.), d. i. auf einen [1083] Bruch, der gewiss nicht aus sexagesimaler Rechnung entstanden ist, und da ferner Heron (Stereom. 185, 5 Hultsch) für 75   =   5 3 einen Wert gefunden hat, wonach 3 auf 1   +   1 2   +   1 5   +   1 40   +   1 80   =   139 80 , mithin ebenfalls auf einen nicht sexagesimalen Wert auskommt, so werden wir die zuerst erwähnte heronische Annäherung 3 = 26 15 als einen kürzeren Ausdruck statt 265 153 , nicht als einen sexagesimalen Wert anzusehen haben (Hultsch a. a. O. 399ff.). Noch weniger ist aus andern angenäherten Wurzelwerten, die uns überliefert sind, auf eine sexagesimale Ausrechnung zu schliessen.

Wir haben uns daher einer dritten Annahme zuzuwenden, nämlich dass von Archimedes, Heron und andern Mathematikern (mit Ausschluss der Astronomen) durch fortgesetzte Anwendung der euklidischen Formel ( a   +   x ) 2   =   a 2   +   2 a x   +   x 2 Annäherungswerte in andern als dekadischen oder sexagesimalen Brüchen gesucht worden sind. Ohne Zweifel war man sich darüber im klaren, dass, sobald an eine grössere ganze Zahl ein Bruch, mithin ein verhältnismässig geringer Wert anzuhängen war, statt a 2   ±   2 a x   +   x 2 die Abkürzung a 2   ±   2 a x (wobei x den zu suchenden auslaufenden Bruch der Wurzel bedeutet) gewählt werden konnte. Wenn also Archimedes z. B. von 1   018   405 (Kreismessung I 270 Heib. vgl. mit Eutok. III 296) zunächst 1009 Ganze ausgerechnet und dabei 324 Ganze als Rest ermittelt hatte, so ergab sich der noch zu suchende Bruch der Wurzel annähernd gleich 324 2   .   1009 , woraus weiter die bequeme Annäherung 1 6 folgte, bei welcher Archimedes sich beruhigt hat. Hultsch a. O. 413ff. Nach derselben Methode hat Heron z. B. 5 0 annähernd zu 7 1 14 , und 7 5 zu 8 11 16 ausgerechnet (Stereom. 184, 13. 185, 5 Hultsch). Um 63 zu bestimmen, lag die Umwandlung in 64 1 nahe, und es ergab sich daraus die Annäherung 8 1 16 (Stereom. 163, 1. Günther 239, 4).

Nach diesen Regeln lassen noch viele andere heronische Wurzeln (zusammengestellt von Tannery Mém. de la Société des Sciences de Bordeaux, 2. série, IV 174ff. und von Günther Quadrat. Irrationalitäten 16ff.) und mehrere von den archimedischen (Nesselmann 108ff. Günther a. a. O. 10ff.) unmittelbar sich erklären. Allein die Nachrechnung anderer archimedischer und heronischer Wurzelwerte führte zunächst zu so grossen Schwierigkeiten, dass verschiedene, zum Teil sehr complicierte Hypothesen aufgestellt wurden, um zu erklären, wie die alten Mathematiker zu solchen Näherungen gelangt sind. Zu erwähnen ist hier nur der Erklärungsversuch von Günther, der die ganze Frage ausführlich in seinen Quadratischen Irrationalitäten (Abhandl. zur Gesch. der Mathem. IV, Leipzig 1882), kürzer in der Gesch. der Mathem. u. Naturwiss.² 239f. erörtert hat. Indem er mit Cantor das Zeichen für ‚annähernd gleich‘ verwendet, zeigt er (Quadrat. Irrat. 53ff.), dass die oben erklärte Näherungsformel ( a + x ) 2 a 2 + 2 a x sich umsetzen lässt zu einer bis zum zweiten Näherungswert ausgerechneten Kettenbruchformel: [1084] a 2   ±   x     a   ±   x 2 a . Indem er dann zum dritten Näherungswerte des eingliedrig-periodischen Kettenbruches fortschreitet, setzt er (a. a. O. 55ff.) a 2   +   x     a   +   2 a x 4 a 2   +   x , d. i. 4 a 3   +   3 a x 4 a 2   +   x , und erklärt unter dieser Voraussetzung eine Anzahl von Näherungswerten, bei denen die einfachere Formel a 2   +   x     a   +   x 2 a zu versagen schien. Einen andern Weg der Erklärung hat Hultsch in der Abhandlung ,Die Näherungswerte irrationaler Quadratwurzeln bei Archimedes‘ (Nachr. Gesellsch. d. Wiss. Göttingen 1893, 367ff.) eingeschlagen. Um die Annäherungen für irrationale Wurzelwerte bis zu jedem gewünschten Grade von Genauigkeit fortführen zu können, hat Archimedes mit Hülfe der von ihm gefundenen Formel a   ±   b 2 a   >   a 2   ±   b   >   a   ±   b 2 a   ±   1 als erste Umgrenzung 7 4   >   3   >   5 3 , demnächst durch Quadrierung von 5 3 die zweite Begrenzung 3   <   26 15 , endlich durch Quadrierung von 26 15 die schliessliche Umgrenzung 1351 780   >   3   >   265 153 erreicht. Die heronischen Ausrechnungen waren durch die Rücksicht auf praktische und möglichst bequeme Annäherungen bestimmt. Es wurde daher zunächst darauf verzichtet, Grenzwerte nach oben und unten festzustellen. Ferner wurde aus der vorläufigen Annäherung in möglichster Kürze derjenige Wert ermittelt, welcher je nach Bedarf als der definitive gelten konnte. Dies sei kurz erklärt an 1 35     11   +   1 2 + 1 14 + 1 21 (Geom. S. 93, 6 Hultsch). Als erste Aufgabe wurde gesetzt 135   =   121   +   14 . Die Näherungsrechnung ergab 11 + 14 22 . Da dieser Wert um ein merkliches zu gross war, musste der auslaufende Bruch etwas verringert werden. Am nächsten lag es, versuchsweise 13 21 statt 14 22 zu setzen (denn da im Bruch 14 22 der Zähler zum Nenner sich nahezu wie 2 : 3 verhält, so muss 14     1 22     1 < 14 22 sein). Der Nenner 21 ist teilbar durch 3; es ist also zu versuchen, ob man eine passende Annäherung erhält, wenn man den Radicandus 135   =   135   .   9 9 setzt und nun 1215 3 = 1225 10 3 ausrechnet. Der Versuch erweist sich als günstig; denn er führt zu der Näherung 35   1 7 3 = 11 13 21 , wie vorher probeweise gesetzt war. Es bleibt also definitiv bei dieser zweiten viel genaueren Näherung, deren auslaufender Bruch zuletzt in die Stammbruchreihe 1 2   +   1 14   +   1 21 umgesetzt wird.

Laut dem Zeugnisse des Eutokios (oben § 13) hat Heron in den μετρικά (vgl. Hultsch Metrol. script. I 14. 16f.) nicht nur gelehrt, die Ganzen einer Wurzel, sondern auch deren Bruchteile aufzufinden. In den uns erhaltenen Resten der heronischen Geometrie ist freilich davon nichts zu finden. Pappos, der von Eutokios zugleich mit Theo als Commentator der Syntaxis erwähnt wird, hat aller Wahrscheinlichkeit nach ebenso wie Theo [1085] das Wurzelausziehen nach sexagesimaler Teilung gelehrt.

Noch ist zu erwähnen, dass der Mathematiker Theodoros (unten § 24) den irrationalen Wurzeln aus 3, 5 … 15, 17 wahrscheinlich durch binäre Brüche einigermassen sich genähert hat (Hultsch Nachr. Gesellsch. d. Wiss. Göttingen 1893, 376ff. Günther Berl. Philol. Wochenschr. 1894, 551f.).

15. Das Wurzelausziehen nach sexagesimaler Teilung ist dem Ptolemaios, wie aus vielen Stellen der Syntaxis hervorgeht, ganz geläufig gewesen. Theo (I 185f. Halma) erklärt, offenbar nach guter Überlieferung, das Verfahren des Ptolemaios mit Hülfe einer geometrischen Figur, also im wesentlichen nach euklidischer Methode (vgl. die ausführliche Darstellung bei Nesselmann 144ff., ferner Günther Quadrat. Irrat. 26ff. und Gesch. der Mathem. u. Naturwiss.² 239. Hultsch Nachr. Gesellsch. d. Wiss. Göttingen 1893, 371, 2). Es erübrigt aber noch, die theonische Ausrechnung in die rein arithmetische Form umzusetzen, wobei wir zugleich vor einer Ungenauigkeit bewahrt bleiben werden, welche im Texte Theos vorliegt.

Nach der allgemeinen griechischen Rechnungsweise (§ 13) hat Ptolemaios (I 28 Halma) von 4500 zunächst die Ganzen = 67 gefunden. Da 67² = 4489 ist, so verbleiben als Rest 11 Ganze, aus denen weiter die Bruchwerte mit den Nennern 60 und 60² zu berechnen sind (denn darüber hinaus ist Ptolemaios in diesem Falle nicht gegangen). Setzen wir der Reihe nach die zu suchenden Zähler = x , y , so haben wir diese aufzufinden nach der Gleichung 4500   =   67 2   +   11   =   67   +   x 60 + y 60 2 .

Wir wenden nun zunächst die Annäherungsformel 11 2.67 x 60 an und finden vorläufig x = 11   .   60 2   .   67 = 660 134     4 (wobei 4 zugleich die Bedingung erfüllt, dass bei der nun folgenden Ausrechnung ein Rest verbleiben wird, aus welchem weiter die zweiten Sechzigstel zu berechnen sind). Nun ist auszurechnen 2.   67   .   4 60   +   ( 4 60 ) 2 = 2.   67   .   4   .   60 + 16 60 2 und dieser Betrag von den obigen 11 Ganzen abzuziehen: also 11   .   60 2     ( 2.   67   .   4   .   60   +   16 ) 60 2 = 7424 60 2 . Somit ist 4500 bestimmt auf 67 + 4 60 , und aus dem verbliebenen Reste haben wir weiter die zweiten Sechzigstel der Wurzel zu ermitteln. Wir setzen also 7424 60 2     2 ( 67   +   4 60 ) y 60 2 , d. i. 7424   .   60     8048 y . Also ist, um y vorläufig zu ermitteln, 7424   .   60   =   445   440 durch 8048 zu dividieren (vgl. oben § 9 z. E.). So erhalten wir 55, nämlich zweite Sechzigstel, und haben nun auszurechnen 2 ( 67   +   4 60 ) 55 60 2   +   ( 55 60 2 ) 2   =   442   640 60 3   +   3025 60 4 . Mit Theo ziehen wir jetzt von 7424 60 2 , d. i. von dem oben verbliebenen Reste, zunächst 442   640 60 3 ab und erhalten (wie auch Theo richtig ausgerechnet hat) 2800 60 3   =   46 60 2   +   40 60 3 . Hiervon sind nun noch die obigen 3025 60 4 abzuziehen, und es würden, genau genommen, aus dem dann verbleibenden Reste ( = 164   975 60 4 ) noch [1086] die dritten Sechzigstel der Wurzel annähernd zu berechnen sein, damit man versichert sei, vorher die 55 zweiten Sechzigstel mit Recht als letzten Bruch der Wurzel gesetzt zu haben (die Ausrechnung ergiebt 4500   =   67   +   4 60   +   55 60 2   +   20 60 3 ). Theo aber begnügt sich damit, zu sagen, dass 46 60 2 + 40 60 3 , d. i. der letzte von ihm berechnete Rest, nahezu gleich sei dem Quadrate von 55 60 2 (mithin keine weitere Restrechnung nötig sei). Er hat also irrtümlich 2800 dritte Sechzigstel mit 3025 vierten Sechzigsteln nahezu gleichgestellt; doch beeinflusst dieser Fehler nicht das ptolemaeische Resultat, das er nachzurechnen unternommen hat. Auch Maximos Planudes (s. d.) hat in seiner ψηφοφορία κατ′ Ἰνδούς S. 45 Gerh. in Anlehnung an Theo 4500 mit demselben Resultate, aber, wie er sagt, nach einer Methode berechnet, die aus der indischen, der theonischen und seiner eigenen gemischt sei. Vgl. Friedlein 87. Günther Quadrat. Irrational. 29ff.

Dass die gleiche Methode der Wurzelausziehung auch anzuwenden ist, wenn der Radicandus eine aus Ganzen und Sexagesimalbrüchen gemischte Zahl darstellt, lehrt Theo I 193, indem er aus 2   +   28 60 die Wurzel 1   +   34 60   +   15 60 2 berechnet (vgl. Nesselmann 147).

16. Es ist noch kurz darauf hinzuweisen, einen wie hohen Grad von Genauigkeit die von Ptolemaios ausgerechneten Wurzelwerte haben. 4500 wurde von ihm, wie wir eben sahen, ausser zu 67 Ganzen, zu 4 ersten und 55 zweiten Sechzigsteln bestimmt. Das sind in Decimalbrüchen 0,082. Da nun 4500 , bis zur vierten Stelle hinter dem Komma ausgerechnet, gleich 67,0820 ist, so ergiebt sich, dass Ptolemaios bis zur dritten Stelle genau gerechnet hat (wenn er noch die dritten Sechzigstel der Wurzel ausgerechnet hätte, so würde dies eine Genauigkeit bis zur fünften Decimalstelle bedeuten). Zugleich ermitteln wir, da 4500 = 30 5 ist, nach Ptolemaios für 5 den bis zur fünften Stelle hinter dem Komma genäherten Wert zwischen 2,23607 und 2,23606, denn 67,082 : 30 berechnet sich auf 2,23607, und ( 67 + 4 60 + 55 60 2 ) : 30 auf 2,23606.

Aus einer astronomischen Rechnung im VI. Buch der Syntaxis (I 421ff. Halma) ergiebt sich für 3 die Annäherung 1   +   43 60   +   55 60 2   +   23 60 3 (Günther Quadrat. Irrat. 21f.). Daraus berechnen wir den decimalen Wert 1,73205 und erreichen damit die richtige Annäherung bis zur fünften Stelle hinter dem Komma. Der oben § 14 erwähnte archimedische Wert für 3 = 1351 780 = 1,732 051 ergab die richtige Annäherung bis zur sechsten Stelle. Über die Genauigkeit anderer Wurzelausrechnungen bei Archimedes vgl. Hultsch Nachr. Gesellsch. d. Wiss. Göttingen 1893, 414. 419. 421. Die Annäherungen bei Heron sind bei weitem nicht so genau.

17. Ausser den Quadratwurzeln haben griechische Mathematiker hin und wieder auch die Kubikwurzeln in den Kreis ihrer Betrachtungen [1087] gezogen. Die Frage ist von vorn herein in geometrischer Form gestellt worden, indem man die Verhältnisse von Würfeln durch Verhältnisse ihrer Seiten auszudrücken versuchte. Auch bei anderen Untersuchungen, die auf kubische Wurzelwerte führten, ist man nicht über die geometrische Auffassung hinausgekommen (vgl. unten § 33 a. E.).

Jedoch scheint Philon von Byzanz (Mechan. synt. IV 51 Schoene) auf arithmetischem Wege mit Hülfe der Formel ( a + b ) 3 = a 3 + 3 a 2 b + 3 a b 2 + b 3 zur annähernden Berechnung der Kubikwurzeln aus 1500, 2000, 3000, 5000, 6000 gelangt zu sein. Hultsch Litter. Centralbl. 1894, 216.

Die Kubikwurzel aus 80 auszurechnen war für Heron in den βελοποιικά leicht, weil er statt der 80 Gewichtsminen, von denen er ausging, 8000 (nämlich Drachmen) einsetzen konnte. Im Anschluss hieran hat Vitruvius andere Ausrechnungen, die genau genommen auf Ausziehung von Kubikwurzeln hätten hinausgehen sollen, durch verhältnismässige Annäherungen an den heronischen Wert 8000 3 bestimmt. Hultsch Jahrb. f. Philol. 1876, 254f.

II. Allgemeine Arithmetik und Zahlentheorie.

18. Die Zahlenreihe ist zuerst von Pythagoras (s. d.) nach verschiedenen Richtungen hin betrachtet, und es sind solche Untersuchungen dann in seiner Schule fortgesetzt worden. Ausgehend von der Unterscheidung der geraden und ungeraden Zahlen (ἄρτιοι und περισσοὶ ἀριθμοί: Philolaos bei Stob. ecl. I 21, 7 c) fand man, dass die fortgesetzte Summierung der ungeraden Zahlen der Reihe nach die Quadrate aller Zahlen ergiebt ( 1 + 3 = 2 2 , 1 + 3 + 5 = 3 2 , 1 + 3 + 5 + 7 = 4 2 u. s. w.). Auf demselben Wege wurde die wichtige Gleichung 3 2 + 4 2 = 5 2 gefunden, welche ihren geometrischen Ausdruck in dem Dreieck mit den Seitenlängen 3, 4, 5 fand. Dieses Dreieck, das durch eine graphische Darstellung als rechtwinklig sich erwies, hat dem Pythagoras vielleicht den Weg gezeigt, seinen Lehrsatz von den Quadraten der Hypotenuse und der Katheten für jedes beliebige rechtwinklige Dreieck zu beweisen. Prokl. zum I. Buch der Elem. 427f. Friedl. Cantor 148. 158ff. 168ff. Allman Greek Geometry, Dublin u. London 1889, 29ff. Hultsch zu Proklos in Platonis remp. 143ff. vgl. mit 42 Schoell. Andere Zahlen aufzufinden, welche ebenso wie 3, 4, 5 die Eigenschaft haben, dass die Summe der Quadrate der ersten und zweiten gleich dem Quadrate der dritten ist, haben Pythagoras, Platon und Proklos gelehrt: s. unten § 35.

19. Eine besondere Stellung nahm in der pythagoreischen Philosophie die Zehnzahl ein, über welche Archytas eine eigene Schrift (περὶ τῆς δεκάδος) verfasst und Philolaos in dem Buche περὶ φύσιος gehandelt hat (Theo Smyrn. 106 Hiller). Sie hiess die vollkommene (τέλειος), weil sie alle Zahlen zu umfassen, ja das ganze Wesen der Zahl in sich zu schliessen schien. Philolaos bei Stob. ecl. I 22, 1. Aristot. Metaph. I 986 a 8; Problem. 15, 3. Nikom. Arithm. II 22, 1. Theo Smyrn. a. a. O. und andere: vgl. Zeller Philosophie der Griechen Ia⁵ 398 (das ursprüngliche Epitheton τέλειος ist zu τελειότατος gesteigert bei Nikom. Arithm. II 22, 1. Sext. Emp. adv. mathem. S. 209, 28. 722, 8 Bekker).

[1088] Diese Auffassung ging von der richtigen Erkenntnis aus, dass die Zahlenreihe eigentlich nur bis 10 reiche und dass man von da wieder von vorn zu zählen anfange; denn 11 ist = 10 + 1 , 12 = 10 + 2 u. s. w., 20 = 2 × 10 u. s. w., oder mit andern Worten, von 11–99 werden Dekaden gezählt und zu diesen die Einer addiert, von 101 bis 999 werden Hunderte (ἑκατοντάδες) gezählt und zu diesen die Einer und Zehner addiert u. s. w. Hierokl. in carm. aur. 45–48 (Mullach Fragm. philos. I 464): τοῦ δὲ ἀριθμοῦ τὸ πεπερασμένον διάστημα ἡ δεκάς. ὁ γὰρ ἐπὶ πλέον ἀριθμεῖν ἐθέλων ἀνακάμπτει πάλιν ἐπὶ τὸ ἕν, καὶ δύο, καὶ τρία· καὶ δευτέραν ἀριθμεῖ δεκάδα πρὸς τὴν τῆς εἰκοσάδος συμπλήρωσιν· καὶ τρίτην ὁμοίως, ἵνα τριάκοντα εἴπῃ u. s. w. Aristot. Metaph. XII 1084 a 12: εἰ μέχρι τῆς δεκάδος ὁ ἀριθμός, ὥσπερ τινές (nämlich Platon nach Vorgang der Pythagoreer) φασιν. Stob. ecl. I 10, 12 (unter Berufung auf Pythagoras und die Pythagoreer). Sext. Empir. adv. arithm. 3 (Mullach Fragm. philos. I 200). Vgl. oben § 5. 7. Zeller a. a. O. 345, 1. 397. Dass genau genommen schon die Zehnzahl den Anfang des neuen Zählens bildet, blieb den Alten unbewusst, da ihnen das Ziffersystem mit der Null fehlte.

Dieser Lehre hat Platon sich angeschlossen, der von Aristoteles nicht deshalb hätte getadelt werden sollen (Aristot. Phys. III 206 b 30; Metaph. XI 1073 a 19. XII 1084 a 12. 29–32. Zeller 397, 5). Wenn also Platon im VIII. Buche vom Staate (546 B) für das göttlich Erzeugte eine Periode hinstellt, ἣν ἀριθμὸς περιλαμβάνει τέλειος, so muss dies ein Zeitraum sein, der durch ein Vielfaches von 10 bemessen ist. Und da aus dem Vergleich mit der dort behandelten geometrischen, für menschlich Erzeugtes gültigen Zahl, sowie aus andern Erwägungen hervorgeht, dass Platon für das göttlich Erzeugte eine sehr lange Periode angenommen hat, so musste er die Zehnzahl bis zu einem hohen (freilich uns nicht näher bekannten) Betrage potenziert sich denken. Gewiss hat hierauf Archimedes (s. d.) in der Sandrechnung sein System der höchsten Zahlen aufgebaut, in welchem er ja auch bis zu ausserordentlich grossen Perioden, immer den Potenzen von 10 000 folgend, sich erhebt. Hultsch Zeitschr. f. Math. u. Phys., hist.-litt. Abteil., XXVII (1882) 56ff.

Weit ausführlicher und mannigfaltiger haben die Pythagoreer die Vollkommenheit der Zehnzahl im Verhältnis zu den Zahlen 1 bis 9 nachzuweisen gesucht. Zunächst fasste man sie auf als die Summe der vier ersten Glieder der Zahlenreihe. Das war die heilige τετρακτύς der Pythagoreer, auf welche sie ihren Schwur leisteten, dabei des Stifters ihrer Schule als des Erfinders dieser Geheimlehre gedenkend (Zeller a. a. O. 398, 5). In dieser τετρακτύς waren die ersten drei Primzahlen und das erste Quadrat ( 4 = 2 2 ) vereinigt. Aber auch die ganze Zahlenreihe von 1 bis 9 wurde mannigfach symbolisiert (Zeller 399–401). Von alledem ist hier zunächst nur hervorzuheben, dass in dieser Reihe noch ein zweites Quadrat ( 3 2 ) und der erste Kubus ( 2 3 ), sowie das erste Product ungleicher Factoren ( 6 = 2 × 3 ) enthalten sind. Ferner hatte von den beiden noch übrigen Primzahlen jede ihre besondere Bedeutung. Wie 6 das Product von 2 und 3, so war 5 die Summe [1089] davon. Wenn Gerade in den Beträgen 3 und 4 die Schenkel eines rechten Winkels bildeten, so war die Hypotenuse = 5 (s. § 18). Dachte man sich auf der letzteren ein Quadrat errichtet, so hatte dessen Diagonale den Wert 50   =   5 2 . Da dies eine irrationale Zahl war, so stellte man daneben 7 als die nächste ganze und rationale Zahl und nannte sie ῥητὴ διάμετρος τῆς πεμπάδος (Plat. de rep. VIII 546 C. Hultsch a. a. O. 48ff.).

20. Zu der pythagoreischen Zahlentheorie gehörte auch die figürliche Darstellung der Zahlenreihe in Form von gleichseitigen Dreiecken. Von einem Punkte anfangend wurden die Zahlen 2, 3 u. s. w. bezeichnet durch gleichweit von einander entfernte Punkte, die man reihenweise unter einander setzte. Dadurch entstanden reguläre Dreiecksformen. Indem man nun die Punkte in jedem Dreieck, immer eine Reihe mehr hinzufügend, zählte, erhielt man die Dreieckszahlen (τρίγωνοι ἀριθμοί), d. h. die Summen der bis zu jedem beliebigen Abschnitte fortgeführten Zahlenreihe, also 1 + 2 = 3 , 1 + 2 + 3 = 6 , 1 + 2 + 3 + 4 = 10 u. s. w., oder in Punkten


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u. s. w. Lukian βίων πρᾶσις 4 (wo die Zehnzahl in dieser Eigenschaft besonders hervorgehoben wird). Nikom. Arithm. II 8. Theo Smyrn. 31. 33 Hiller. Allmann Greek Geometry 28. Cantor 149. 157. Günther 240f. Im allgemeinen haben Dreieckszahlen die Form n ( n + 1 ) 2 , wobei n dasjenige Glied der Zahlenreihe bezeichnet, bis zu welchem die von 1 anfangende Summierung fortschreiten soll. – Anstatt der Punkte setzen Nikomachos und Theo die Zahlzeichen a .

Von den Dreieckszahlen ist schon im 4. Jhdt. v. Chr. Philippos von Opus (s. d.) weiter fortgeschritten zur Theorie der Polygonalzahlen, welche später Hypsikles und Diophantos (s. d.) ausgebildet haben. Zwei überaus grosse Zahlen, deren eine als τετράγωνος, die andere als τρίγωνος gekennzeichnet ist, werden in dem βοεικὸν πρόβλημα, welches entweder von Archimedes selbst herrührt oder doch nicht allzu lange nach seiner Epoche entstanden ist, aufgegeben (s. Archimedes § 18).

21. Wir sind bisher den Pythagoreern gefolgt bei den Summierungen beliebiger Abschnitte der Reihe aller Zahlen und der Reihe der ungeraden Zahlen. Jede Summe von ungeraden Zahlen ergab eine Zahl, die sich als Product von zwei gleichen Factoren herausstellte. Nach geometrischer Auffassung waren dies also τετράγωνα und die entsprechenden Zahlen heissen τετράγωνοι ἀριθμοί, und jede Wurzel derselben gilt als Seite, πλευρά (Plat. Theaet. 147 D; ähnlich wie die τρίγωνοι werden die τετράγωνοι ἀριθμοί durch Reihen des Zahlzeichens a dargestellt von Nikom. Arithm. II 9 und Theo Smyrn. 39 Hiller). Wenn man andererseits die geraden Zahlen summierte, so entstanden die ἑτερομήκεις ἀριθμοί, d. h. solche, deren Factoren ungleich und zwar der eine jedesmal um eine Einheit grösser als der andere sind, also 2   +   4   =   2 3 , 2   +   4   +   6   =   3 4 u. s. w. Nikom. Arithm. II 17, 1 (ebenda § 2 wird die Wortbildung [1090] ἑτερομήκης auf Pythagoras zurückgeführt). Theo Smyrn. 26f. Hiller. Cantor 149.

Wie die Quadratzahlen mit Quadratflächen, so waren die ἑτερομήκεις mit Rechtecken zu vergleichen. Doch vertraten sie nur einen besonderen Fall von oblonger Flächenbildung. Im allgemeinen hiess jede Zahl, welche als Product von zwei ungleichen Factoren, d. i. im geometrischen Sinne als ein Rechteck aufgefasst werden konnte, προμήκης (Plato Theaet. 148 A. Nikom. Arithm. II 17, 2. 18, 2). Dass auch diese Anschauung dem Pythagoras nicht fremd war, beweist Platon, indem er im VIII. Buche vom Staate (546 C), ganz auf pythagoreischer Lehre fassend, das Verhältnis zwischen dem grössern und kleinern Factor einer Zahl eine προμήκης ἁρμονία nennt. Hultsch Zeitschr. f. Math. u. Phys., hist.-litt. Abteil. XXVII 44. 46.

Sowohl auf die Quadratzahlen als auf die προμήκεις (einschliesslich der ἑτερομήκεις) erstreckt sich die Benennung Flächenzahlen, ἐπίπεδοι ἀριθμοί. Diese werden von Eukleides (Elem. VII def. 17) ausdrücklich als Producte zweier Zahlen definiert. Ein Product aus drei Zahlen heisst eine Körperzahl, στερεὸς ἀριθμὸς (ebd. 18). Wie unter den Flächenzahlen die Quadratzahlen, so treten unter den Körperzahlen die Kubikzahlen besonders hervor. Auch die Wurzel einer Kubikzahl wird als Seite, πλευρά, betrachtet. Ausser Eukleides a. a. O. handeln über Flächen- und Körperzahlen Nikom. Arithm. II 6. Theo Smyrn. 36f. Hiller, und vgl. Cantor 153f. Die Kubikzahlen heissen κυβικοὶ ἀριθμοί in den aristotelischen Problemen 15, 3 und bei Nikom. Arithm. II 6, 1, κύβοι ἀριθμοί bei Eukl. Elem. VIII 12. 15. 17. u. ö.; für gewöhnlich werden sie schlechthin κύβοι genannt. Πλευρά nennt Eukleides a. a. O. nicht blos die Wurzel einer Quadrat- oder Kubikzahl, sondern auch die Factoren jeder beliebigen Flächen- oder Körperzahl.

22. Nicht zu verwechseln mit dem pythagoreischen τέλειος ἀριθμός (§ 19) sind die τέλειοι ἀριθμοί, welche zuerst in Euklids Elementen (VII defin. 23. IX propos. 36), dann bei Nikomachos (Arithm. I 16, 2), Theo von Smyrna (45f. Hiller) und anderen erscheinen. Sie werden gebildet durch Summierung der Glieder der Progression 1 + 2 + 4 + 8 … bis zu jeder beliebigen Stelle und Multiplication der Summe mit dem letzten von den Gliedern, aus denen die Summe entstanden ist. Die so gebildeten Zahlen haben die Eigenschaft, dass sie der Summe ihrer aliquoten Teile gleich sind (Cantor 156f.), also
6   =   ( 1   +   2 )   2   =   1   +   2   +   3
28   =   ( 1   +   2   +   4 )   4   =   1   +   2   +   4   +   7   +   14
u. s. w. An die vollkommenen Zahlen schliessen sich bei Nikomachos (I 14f.) und Theo (45f.) die überschiessenden, ὑπερτελεῖς oder ὑπερτέλειοι, und die mangelhaften, ἐλλιπεῖς, so benannt, je nachdem die aliquoten Teile eine grössere oder kleinere Summe als die ganze Zahl ergeben, z. B. 12   <   1   +   2   +   3   +   4   +   6 , dagegen 8   >   1   +   2   +   4 (Cantor 156f. Günther 246).

Aus den überschiessenden und mangelhaften Zahlen sind endlich noch die befreundeten, φίλοι ἀριθμοί, abgeleitet worden (Iambl. zu Nikom. Arithm. 34, 26–35, 7 Pistelli). Dies sind je zwei Zahlen, deren jede gleich der Summe der aliquoten [1091] Teile der andern ist. Als Beispiel führt Iamblichos (a. a. O.) 284 und 220 an. In der That ist die Summe der aliquoten Teile von 284, nämlich 1   +   2   +   4   +   71   +   142   =   220 , und umgekehrt die Summe der Teile von 220, nämlich 1   +   2   +   4   +   5   +   10   +   11   +   20   +   22   +   44   +   55   +   110   =   284 (Cantor 156; dass diese Combination, wie Iamblichos berichtet, schon von Pythagoras, oder, wenn nicht von ihm selbst, doch in seiner Schule aufgefunden worden ist, erscheint nicht unglaublich; nur ist zu bedenken, dass die befreundeten Zahlen aus den ὑπερτελεῖς und ἐλλιπεῖς, diese aber wieder aus den euklidischen τέλειοι abgeleitet sind: man müsste also annehmen, dass Pythagoras, dem ja die Zehnzahl nach ganz anderen Voraussetzungen als τέλειος galt, statt des später von Euklid angewendeten Ausdruckes τέλειος einen anderen gebraucht habe).

23. Wir haben gesehen, wie die natürliche Reihe der Zahlen seit Pythagoras verschiedentlich gruppiert und die Anfänge einer Zahlentheorie geschaffen wurden. Auch die Teilung der Zahlen ist frühzeitig in Betracht gekommen, zuerst vielleicht am ἐπίτριτος λόγος, d. i. dem Verhältnis der Katheten des rechtwinkligen Dreiecks, welches Pythagoras nach der Zahlengleichung 3 2   +   4 2   =   5 2 gebildet hatte (§ 18). Denn es konnte nicht verborgen bleiben, dass nicht nur 6   :   8 , 9   :   12 u. s. w., sondern auch 1 4   :   1 3 u. s. w. sich wie 3   :   4 verhielten. Alle Zahlen der natürlichen Zahlenreihe und ebenso die aus derselben Reihe abgeleiteten Teile von Zahlen, sei es, dass lediglich nur ein Teil, wie τρίτον, τέταρτον, sei es, dass mehrere Teile, wie δύο τρίτα, τρία τέταρτα u. s. w., gezählt wurden, waren aussprechbar, ῥητοί (vgl. Plato de rep. VIII 546 C: πάντα προσήγορα καὶ ῥητὰ πρὸς ἄλληλα ἀπέφηναν, und dazu Hultsch Zeitschr. f. Math. u. Phys., hist.-litt. Abteil., XXVII 42. 44f.). Allein gerade die wichtige Erfindung, dass die Summe der Quadrate der Katheten dem Quadrate der Hypotenuse gleich sei, musste den Pythagoras auf unaussprechbare Verhältnisse und Zahlen führen. Die Katheten von 3 und 4 Längeneinheiten ergaben für die Hypotenuse einen ῥητός ἀριθμός, und demgemäss waren auch die Verhältnisse jeder Kathete zur Hypotenuse aussprechbar. Allein in unzähligen anderen Fällen führten aussprechbare Kathetenzahlen zu einem ἄρρητον für die Länge der Hypotenuse und zu einem ἄλογον für die Verhältnisse der Kathete zur Hypotenuse. Es genüge die Erklärung des denkbar einfachsten Falles, nämlich dass beide Katheten einander gleich waren. Jede Kathete galt mithin als 1 (Längeneinheit), und das Quadrat über der Hypotenuse hatte den Flächenwert 2. Also musste die Hypotenuse des Rechtecks mit den Katheten 1 und 1, oder sagen wir lieber die Diagonale des Quadrates über 1. einen Längenwert haben, der mit sich selber multipliciert die Flächenzahl 2 ergab. Es war aber leicht zu zeigen, dass es (nach griechischer Anschauung) keine aussprechbare Zahl gebe, welche mit sich selbst multipliciert = 2 war. Also war die Diagonale des Quadrates über 1 ἄρρητος und deshalb auch ausser Verhältnis (ἄλογος, irrationalis) oder incommensurabel (ἀσύμμετρος) zur Seite desselben Quadrates. Somit waren die ἄρρητοι ἀριθμοί, die ἄλογοι γραμμαί [1092] und im allgemeinen die ἄρρητα und ἄλογα oder ἀσύμμετρα μεγέθη gefunden. Pythagoras im Mathematikerverzeichnis bei Proklos zu Eukl. Elem. I 65, 19 Friedl. Demokritos bei Diog. Laert. IX 47. Platon a. a. O. und im Theaet. 147 D. Aristot. Analyt. pr. I 22, 11. Eukl. Elem. X defin. 1–4; vgl. propos. 117 (Bd. III S. 408ff. Heiberg). Proklos zu Eukl. Elem. I 427, 18–428, 6 vgl. mit 6, 20. 278, 19–24. Cantor 169ff. Günther Quadrat. Irrational. 5ff.

Platon (Theaet. 147 D–148 B) ist von der Unterscheidung der τετράγωνοι und προμήκεις (einschl. ἑτερομήκεις) ἀριθμοί weiter gegangen zu folgenden Sätzen: jede Zahl, welche nicht Quadratzahl ist, lässt sich als eine oblonge auffassen (also eine Primzahl p als das Product 1 × p ); jede oblonge Zahl kann geometrisch als ein Rechteck dargestellt und dazu kann ein dem Rechteck gleiches Quadrat construiert werden; solche aus oblongen Zahlen hervorgegangene Quadrate sind zu einander commensurabel, nicht aber die Seiten zu den Seiten; dagegen sind die aus Quadratzahlen hervorgegangenen Quadrate nicht blos nach ihren Flächen zu einander commensurabel, sondern auch die Seiten zu den Seiten.

24. Der bisherige Gedankengang ist nun noch einen Schritt weiter zu verfolgen. Neben das pythagoreische Dreieck mit den Katheten 3 und 4 ist das gleichschenklige rechtwinklige Dreieck, also auch neben ein ἑτερόμηκες (§ 21) ein ἴσον ἰσακίς, d. i. ein Quadrat, gestellt worden. Aber da die Zahlen 1 bis 4 den τέλειος ἀριθμός des Pythagoras bildeten (§ 19), so ist es an sich höchst wahrscheinlich, dass nicht nur das Quadrat über 1 und das Oblongum 3 × 4 in Bezug auf die Wurzelwerte ihrer Diagonalen untersucht, sondern dass auch die übrigen, zwischen 1 und 4 noch möglichen Combinationen erörtert worden sind. Die Diagonalen der Quadrate über 2, 3 und 4 ergaben sich sofort als das Zwei-, Drei- und Vierfache von 2 . Das Oblongum 2 × 4 war im Verhältnis 4   :   1 ähnlich dem Oblongum 1 × 2 ; seine Diagonale war also auf 2 5 zurückzuführen. So blieben nur noch übrig die Rechtecke mit den Seiten 1 und 2, 1 und 3, 1 und 4, 2 und 3, deren Diagonalenquadrate der Reihe nach die Werte 5, 10, 17, 13 haben. Nun berichtet Platon (Theaet. 147 D), Theodoros von Kyrene (s. d.) habe gezeigt, dass die Seiten der Quadrate im Betrage von 3 und 5 Quadratfuss zu der Seite eines Quadratfusses incommensurabel seien, und weiter habe er auch die Quadrate bis zu 17 Quadratfuss untersucht; hierbei aber sei er stehen geblieben. Das heisst mit andern Worten: er hat 3 und 5 , ferner 6 bis 17 (natürlich mit Ausnahme von 9 und 16 ) erstens geometrisch construiert, zweitens dieselben als irrational nachgewiesen. Warum hat er aber die erste Zahl, welche eine irrationale Wurzel hatte, nämlich 2, bei Seite gelassen? Gewiss nur deshalb, weil dies schon durch Pythagoras erledigt war (Cantor 170. Hultsch Nachr. Gesellsch. d. Wiss. Göttingen 1893, 368ff.). Denn Pythagoras hat, wie sicher überliefert ist, das Irrationale gefunden. Um dazu zu kommen, musste er neben seinem Rechteck mit den Seiten 3 und 4, welches innerhalb der Combinationsreihe bis 4 allein eine [1093] rationale Diagonale hatte, wenigstens noch ein Rechteck (oder Quadrat) innerhalb derselben Reihe in Betracht ziehen. Die später von Theodoros untersuchten Rechtecke (und Quadrate) sind uns bekannt; es bleibt also für Pythagoras nur das von Theodoros nicht behandelte Quadrat über 1 übrig. Beiläufig folgt hieraus auch, dass wahrscheinlich schon Pythagoras den Näherungswert 7 5 für 2 gefunden hat. Denn die von Platon erwähnte und oben § 19 auf die pythagoreische Zahlenlehre zurückgeführte ῥητὴ διάμετρος τῆς πεμπάδος stellt den nächsten rationalen und ganzen Zahlenwert für die Diagonale des Quadrates über 5 dar. Das Quadrat über dieser Diagonale verhält sich zum Quadrat über 5 wie 50 : 25, mithin verhalten sich die Seiten dieser Quadrate wie 50   :   25 , oder angenähert wie 7 : 5. In dem gleichen Verhältnisse aber stand die Diagonale des pythagoreischen Quadrates über 1 zur Seite desselben Quadrates; es verhielt sich also auch 2   :   1 annähernd wie 7 : 5, d. h. 2 war nahezu gleich 7 5 (Hultsch a. a. O.).

Nachdem also Pythagoras 2 behandelt hatte, verfolgte Theodoros weiter die Combinationen der Rechteckseiten 1 bis 4 und kam dadurch, wie vor kurzem gezeigt wurde, zunächst auf 5 ,   10 ,   13 ,   17 . Ausserdem hat er noch, wie Platon bezeugt, die Wurzeln von 3, 6, 7, 8, 11, 12, 14, 15 als irrational nachgewiesen, mithin auch construiert. Ohne Zweifel ist er zunächst von dem rechtwinkligen Dreieck, dessen kleinere Kathete = 1 und dessen Hypotenuse = 2 ist (d. i. von der Hälfte des gleichseitigen Dreiecks), ausgegangen und hat so die grössere Kathete = 4 1   =   3 gefunden. Mit der Kathete = 1 oder ihrem Doppelten konnte er dann ohne Schwierigkeit weiter operieren, um auch die übrigen, soeben verzeichneten Wurzeln darzustellen. Alles dies denke man sich in Einzelconstructionen und umständliche Einzelbeweise aufgelöst. Auf das neuere Verfahren, an die Hypotenuse des Dreiecks Pauly-Wissowa II,1, 1093 b.jpg ein zweites Dreieck mit den Katheten 2 und 1 anzulegen, so die zweite Hypotenuse 3 , und entsprechend in den weiter angelegten Dreiecken 4 ,   5 u. s. w. zu gewinnen, ist Theodoros noch nicht gekommen. Sowohl die Thatsache, dass er über 17 nicht hinausgegangen ist, als der Vergleich mit den ältesten Bestandteilen der euklidischen Elemente, würden einer solchen Annahme widersprechen (s. das Nähere bei Hultsch a. a. O. 376ff.).

25. Durch die Unterscheidung der geraden und ungeraden Zahlen hatte Pythagoras zugleich den ersten Schritt zu den Untersuchungen über die Teilbarkeit der Zahlen gethan. Hierher gehörte alles, was vorher über die vollkommenen Zahlen des Eukleides und die daraus abgeleiteten Kategorien bemerkt worden ist (§ 22). Dass 5040 durch alle Zahlen von 1 bis 10, ausserdem aber noch durch 49 andere teilbar ist, wird gelegentlich von Platon bemerkt (Gesetze V 737f.). Durch [1094] solche Erörterungen muss man auch frühzeitig auf die Primzahlen gekommen sein. Sie heissen bei Eukleides (Elem. IX 20) πρῶτοι ἀριθμοί, bei Nikomachos und Iamblichos (Arithm. I 11, 1. 13, 2 und dazu Iambl. 30f. Pistelli) πρῶτοι καὶ ἀσύνθετοι, und es werden ihnen die teilbaren als δεύτεροι καὶ σύνθετοι gegenübergestellt. Da zu den letzteren alle geraden Zahlen gehören, so hatte sich das Aufsuchen von Primzahlen nur auf die ungeraden Zahlen zu erstrecken. Wurden diese von 3 an in möglichst langer Folge (ὡς δυνατὸν μάλιστα ἐπὶ μήκιστον στίχον Nikom. I 13, 3) aufgeschrieben, so war hinter 3 je die dritte Zahl teilbar durch 3, hinter 5 je die fünfte teilbar durch 5, hinter 7 je die siebente teilbar durch 7 u. s. w. Wenn also in der aufgeschriebenen Reihe alle teilbaren Zahlen etwa durch Striche oder durch Beifügung der Zahlzeichen ihrer Teiler (Hoche zu Nikom. S. 31) in Wegfall gebracht wurden, blieben zuletzt die Primzahlen dieser Reihe übrig. Dies hat Eratosthenes (s. d.) nachgewiesen, und weil die teilbaren Zahlen gewissermassen durch ein Sieb gefallen und nur die unteilbaren zurückgeblieben waren, so nannte man diese graphische Darstellung das Sieb (κόσκινον, cribrum) des Eratosthenes (Nikom. Arithm. I 13, 2–8. Iambl. zu Nikom. 30 Pistelli. Nesselmann 186. Cantor 317f.). Dass es unendlich viele Primzahlen gebe, hatte schon Eukleides erwiesen (Elem. IX 20. Cantor 253). Freilich reichte die Methode des Eratosthenes nur für solche Reihen aus, die ihm selbst zwar möglichst lang erschienen (vgl. vorher), in der Praxis aber doch nur auf engeren Raum beschränkt bleiben mussten (Nesselmann 186f.).

Da Eratosthenes die Primzahlen aus der Reihe der ungeraden Zahlen, und zwar von 3 an, entnommen hatte, so denkt sich Nikomachos (I 11) alle Primzahlen als ungerade, und noch bestimmter sagt Iamblichos (a. a. O. 30f.), Eukleides habe irrtümlich 2 für eine Primzahl gehalten. In der That aber hat Eukleides Recht, und Iamblichos ist einem offenbaren Irrtume verfallen (vgl. Nesselmann 242).

26. Es sind bisher verschiedene Beobachtungen über die Zahlenreihe mitgeteilt worden, deren Anfänge auf eine sehr frühe Zeit zurückgehen. Dabei waren jedoch nur einzelne Eigenschaften der Zahlen herausgegriffen und untersucht worden. Allein ebenso früh, wie solche Einzelheiten, ist die allgemeine Regel gefunden worden, dass die Zahlenreihe an sich eine stetige Proportion darstellt. Wie kam man aber auf den uns so geläufigen Begriff der Proportion? Alle Glieder der Zahlenreihe sind offenbar gleichartige Grössen (ὁμογενῆ μεγέθη, mithin nach Eukl. Elem. V defin. 3 fähig, mit einander verglichen zu werden). Die erkennbare und durch gewisse Formeln darstellbare Beziehung, welche eine beliebige Zahl zu einer andern hat, heisst im weitesten Sinne λόγος. Die beiden mit einander verglichenen Glieder der Zahlenreihe heissen ὅροι. Wenn bei mehr als zwei Gliedern das gleiche Verhältnis wiederkehrt, so verhalten sich diese paarweise ἀνὰ λόγον (wofür unsere Texte nach hsl. Überlieferung die zusammengezogene Form ἀνάλογον bieten), und die Übereinstimmung im Verhältnisse wird ἀνάλογία genannt. Arist. Eth. Nikom. V 1131 a 31–b 11. [1095] Eukl. Elem. V defin. 3–8. Nikom. Arithm. II 21, 3. Iambl. zu Nikom. 238–241 Tennul. Die lateinische Übersetzung von λόγος ist ratio bei Varro de l. lat. X 2, portio bei Censorin. de die nat. 10, 9 u. ö. (s. Index von Hultsch). Ἀνὰ λόγον geben Varro a. a. O. und Censor. 11, 7 durch pro portione wieder. Derselbe Ausdruck ist in der allgemeinen (nicht mathematischen) Bedeutung ,nach Verhältnis‘ seit Cato üblich. Ἀναλογία wird durch proportio übersetzt von Cic. Tim. 4 und Varro a. a. O.

Um eine Analogie festzustellen, müssen mindestens drei Glieder vorhanden sein, deren mittleres dann das erste Verhältnis schliesst und das zweite eröffnet. Dadurch wird eine stetige Proportion (ἀναλογία συνημμένη oder συνεχής) gebildet, welche entsprechend weiter geführt werden kann (so dass immer das Schlussglied eines Verhältnisses das Anfangsglied des folgenden Verhältnisses bildet). Wenn jedoch alle einzelnen Glieder verschieden von einander sind, so heisst die Proportion eine getrennte (διεζευγμένη). Auch diese kann beliebig viele Paare von Gliedern enthalten. Arist. Eth. Nikom. V 1131 a 31–b 3 (dieser zählt, abweichend vom Sprachgebrauche der Mathematiker, auch bei der stetigen Proportion vier Glieder, nämlich das mittlere zweimal). Eukl. Elem. V defin. 8. Archim. de plan. aequil. II 9 und dazu Heiberg S. 219, 2. Nikom. Arithm. II 21, 3–5. Theo Smyrn. 82 Hiller. Pappos Synag. III 1 u. ö. (s. Hultsch Index zu Pappos S. 5 b). Nesselmann 212f.

Die Glieder einer Proportion werden als ὅρος πρῶτος, δεύτερος u. s. w. gezählt. Bei der stetigen Proportion wird das zweite Glied gewöhnlich als das mittlere, μέσος ὅρος, das erste und dritte als die äusseren Glieder, ἄκροι ὅροι, bezeichnet. Philolaos bei Nikom. Arithm. II 26, 2 (vgl. unten § 29). Archytas bei Porphyr. in Ptolem. Harmon., Wallisii Opera math. III 267f. (vgl. Hartenstein De Archytae Tar. fragm. philos. 44f. Zeller Philosophie der Griechen I a⁵ 292. III a³ 103ff.). Arist. Eth. Nikom. II 1106 a 33–36. V 1131 b 11. 1132 a 29. Eukl. Elem. V defin. 5, propos. 2. 3 u. ö. (nur dass dieser statt ὅρος πρῶτος, δεύτερος u. s. w. μέγεθος πρῶτον, δεύτερον u. s. w. zählt). Nikom. Arithm. I 8, 14. 23, 15 u. ö. Theo Smyrn. 113, 15. 114, 9–21 Hill. u. ö. Pappos Synag. III c. 30. 40. Eutok. zu Archim. 40, 26. 146, 27–29 Heib. u. ö. In einer Zahlenproportion heisst das Mittelglied μέσος ἀριθμός bei Eukl. Elem. VIII 11. 18. 20. Theo Smyrn. 113, 25. Eutokios 144, 25. 146, 4 u. ö.; schlechthin μέσος gebraucht z. B. Aristoteles Eth. Nikom. II 1106 a 33, indem er zwischen den Zahlen 10 und 2 μέσα τὰ ἕξ setzt. Μέσον, nämlich μέγεθος, findet sich zuerst bei Archimedes de plan. aequilibr. I 5.

27. Unmittelbar mit dem Zählen prägte man Reihen von Verhältnissen aus. Mochten diese nun als Summen oder als Differenzen angesehen werden, jedenfalls waren die hieraus abgeleiteten Proportionen durch das Zählen entstanden, und sie hiessen daher arithmetische. Um allenthalben die Zurückführung auf kleinste Zahlen zu ermöglichen, wurde eine Gleichheit von Differenzen, nicht von Summen, dargestellt, also in der stetigen Form z. B. durch 3 2 = 2 1 , oder 5 3 = 3 1 u. s. w., in der getrennten Form durch 4 3 = [1096] 2 1 , oder 5 3 = 4 2 , oder 7 5 = 3 1 u. s. w. Aristoteles Eth. Nikom. II 1106 a 33–36 (wo 10 6 = 6 2 als Beispiel angeführt wird). V 1132 a 1 und 29. Nikom. II 23, 1f. In beiden Fällen hiessen die Glieder der ersten Differenz die grösseren, die der zweiten Differenz die kleineren (Archytas bei Porphyr. a. a. O.). Auch bei den übrigen Proportionen (und Medietäten) wurden die Glieder, vom grössten anfangend, geordnet.

Um die allgemeine Formel aufzustellen, haben wir daher, wie auch im folgenden, vorauszusetzen, dass die Glieder a , b , c bezw. a , b , c , d in dieser Reihenfolge vom Grössern zum Kleinern hinabsteigen. Dann hat die stetige arithmetische Proportion die Form a b = b c , und die getrennte die Form a b = c d .

Hieraus ergiebt sich unmittelbar als Eigenschaft dieser Proportion, dass die Summe der äussern Glieder gleich der Summe der innern Glieder ist, d. h. a + c = 2 b und a + d = b + c . Nikom. Arithm. II 23, 5.

Als eine zweite Eigenschaft der stetigen arithmetischen Proportion ist anzuführen, dass das Quadrat des Mittelgliedes, wenn man das Product der äussern Glieder davon abzieht, gleich wird dem Quadrate der constanten Differenz, d. h. b 2 a c = ( a b ) 2 = ( b c ) 2 . Nikom. II 23, 6. Nesselmann 213f.

Drittens haben sowohl die stetige als die getrennte Proportion die Eigenschaft, dass a   :   b   <   b   :   c bezw. <   c   :   d ist. Dies wird unten (§ 29) erörtert werden.

28. War einmal die arithmetische Proportion als die Gleichheit zweier Differenzen dargestellt, so konnte die andere, naturgemäss aus der Zahlenreihe sich entwickelnde Proportion, welche auf Teilung beruht, nicht verborgen bleiben. Weil diese Proportion am leichtesten auch auf andere Grössen, wenn sie nur ihrem Ursprung nach gleichartig (ὁμογενῆ μεγέθη) waren, übertragen werden konnte, und weil die allerälteste und bald am weitesten verbreitete Übertragung diejenige auf geometrisches Gebiet war, so hiess die Proportion selbst die geometrische, ein Name, der schon zur Zeit des Archytas allgemein üblich gewesen ist. Auch definierte dieser (a. a. O.) die stetige geometrische Proportion als die Gleichheit der Verhältnisse des ersten zum zweiten und des zweiten zum dritten Gliede.

Die genaue Feststellung der geometrischen Proportion finden wir bei Eukleides (Elem. V defin. 1–8), nur dass hier nicht mehr von Zahlen, sondern allgemein von Grössen die Rede ist. Lediglich von der Zahlenproportion handelt Nikomachos (Arithm. II 24f.), aus dessen Darlegung sich ohne weiteres die Beispiele sowohl für die stetige Form ( 4   :   2   =   2   :   1 , oder 9   :   3   =   3   :   1 u. s. w.) als für die getrennte ( 8   :   4   =   2   :   1 , oder 8   :   4   =   6   :   3 , oder 27   :   9   =   3   :   1 u. s. w.) ergeben. Erwähnt wird die γεωμετρικὴ ἀναλογία auch von Aristoteles Eth. Nikom. V 1131 b 12 (vgl. unten § 32). Schlechthin ἀναλογία heisst sie bei Plato Tim. 31 C, vgl. ebenda 32 C; Phaedo 99 A, ferner Gorg. 508 A: ἡ ἰσότης ἡ γεωμετρικὴ καὶ ἐν θεοῖς καὶ ἐν ἀνθρώποις μέγα δύναται. Über γεωμετρικὴ ἁρμονία s. § 30.

Die allgemeinen Formen sind (unter der § 27 bemerkten Voraussetzung) a   :   b   =   b   :   c und a   :   b   =   c   :   d .

[1097] Hieraus ergiebt sich unmittelbar als Eigenschaft dieser Proportion, dass das Product der äussern Glieder gleich dem Product der innern Glieder ist, d. h. a c = b 2 und a d = b c . Nikom. II 24, 4. In geometrischer Form sind diese Sätze aufgestellt und bewiesen bei Eukl. Elem. VI 16f. Vgl. auch Theo Smyrn. 114, 7–13 Hiller.

Eine zweite Eigenschaft teilt Nikomachos (II 24, 3) der stetigen geometrischen Proportion zu, nämlich dass die Differenzen der Glieder sich wie die Glieder selbst verhalten, d. h. a b   :   b c = a   :   b = b : c . Diese Form wird unten (§ 31) als die geometrische Medietät wiederkehren; auch wird sich dort zeigen, dass ebenso die getrennte Form sich umbilden lässt, nämlich a c   :   b d = a   :   b = c   :   d (oder, wie aus § 32 hervorgeht, a b   :   c d = a   :   c = b   :   d ).

Eine dritte Eigenschaft der stetigen Form ist nach Nikomachos (II 24, 3) dahin zu definieren, dass sowohl die Differenzen von zwei benachbarten Gliedern als auch die Differenzen dieser Differenzen gleiche Vielfache des jedesmaligen Subtrahendus sind, und zwar ist dieses Vielfache um 1 kleiner als der Exponent der Proportion. Wenn wir also den Exponenten = n setzen, so ist

a b = b ( n 1 )
b c = c ( n 1 )
( a b ) ( b c ) = ( b c ) ( n 1 ) .

Bei Nikomachos S. 128, 9 Hoche ist statt τὸν ὑπ’ αὐτὸν zu lesen τὸν ὑπόλογον, d. i. das kleinere Glied des Verhältnisses. Aus der Vulgata hat Nesselmann 214, 2 zwar richtig erkannt, dass Nikomachos a b = b ( n 1 ) setzt; aber er lässt die zweite von den obigen Gleichungen weg und fügt irrtümlich hinzu, dass ( a b ) ( b c ) = c ( n 1 ) sei.

Wenn wir die erste und zweite von diesen Gleichungen vereinigen zu der Formel

b = a b ( n 1 ) = c + c ( n 1 )

und damit die zweite Eigenschaft der harmonischen Proportion (unten § 29) vergleichen, wonach

b = a a n = c + c n

sich herausstellt, so haben wir damit die Erklärung der schwerverständlichen Angabe des Thrasyllos (bei Theo Smyrn. 85, 11–15 Hiller vgl. mit 107, 5. 114, 1–7) gefunden, dass nämlich das mittlere Glied sowohl der stetigen geometrischen als der harmonischen Proportion sich derartig nach seinem Unterschiede von den äussern Gliedern darstellen lässt, dass in jeder dieser Differenzen oder Summen bei der geometrischen Proportion ein gleiches Verhältnis, bei der harmonischen ein gleicher Teil erscheint. Im griechischen Text bezeichnet ὑπερέχουσαν die Gleichungen b = c + c ( n 1 ) , bezw. c + c n , ὑπερεχομένην die Gleichungen b = a b ( n 1 ) , bezw. = a a n .

29. Es hatte also die Subtraction zur arithmetischen, die Division zur geometrischen Proportion geführt. Indem man nun diese anscheinend zwiespältigen Rechnungsarten zu einem harmonischen Einklang mit einander brachte, entstand die dritte Proportion, welche eben davon ἁρμονική genannt worden ist (Nikom. II 25, 5 vgl. mit Philolaos bei dems. II 26, 2, auch Iambl. [1098] 108ff. Pist. und im allgemeinen über die Harmonienlehre der Pythagoreer Zeller Philosophie der Griechen Ia⁵ 357ff. 401ff.). Ursprünglich hiess sie ὑπεναντία (subcontraria), nämlich zur arithmetischen; allein schon Philolaos hat sie die harmonische benannt, und dabei ist es seitdem geblieben.

Philolaos spricht zwar an einer von Nikomachos im Auszug gegebenen Stelle von der harmonischen μεσότης, nicht ἀναλογία, doch liegt darin kein sachlicher Unterschied, denn die harmonische Medietät ist, wie sich bald zeigen wird (§ 31), identisch mit der harmonischen Proportion. Es gilt also auch für die letztere die Definition des Philolaos: ὡς οἱ ἄκροι (ὅροι) πρὸς ἀλλήλους, οὕτως ἡ τοῦ μεγίστου παρὰ τὸν μέσον διαφορὰ πρὸς τὴν τοῦ μέσου παρὰ τὸν ἐλάχιστον διαφοράν. Wenn wir also, wie vorher, von den äusseren Gliedern das grössere durch a , das kleinere durch c , das mittlere Glied aber durch b bezeichnen, und die von Philolaos angedeutete Form der Gleichung so ordnen, dass die beiden Differenzen voranstehen, so erhalten wir die allgemeine Formel

a b   :   b c = a   :   c .

Philolaos bei Nikom. Arithm. II 26, 2 (an der Echtheit dieser auf Philolaos zurückgeführten Überlieferung ist nicht zu zweifeln: vgl. Zeller Ia⁵ 286ff.). Archytas bei Porphyrios (s. § 26 a. E.). Nikom. II 25, 1. Pappos III c. 30. Nesselmann 214f. Cantor 154f.

Als Beispiele seien angeführt aus Nikomachos (II 25, 2) 6 4   :   4 3 = 6   :   3 , und 6 3   :   3 2 = 6   :   2 , aus Philolaos (a. a. O.) 12 8   :   8 6 = 12   :   6 .

Ihrem Ursprunge nach ist die harmonische Proportion immer eine stetige, niemals eine getrennte.

Es ist nun zu erklären, warum die harmonische Proportion ursprünglich ὑπεναντία hiess, womit zugleich eine hauptsächliche Eigenschaft derselben festgestellt werden wird. Wenn man die natürliche Zahlenreihe 1 , 2 , 3 , 4 , 5 u. s. w. hinschrieb und die Abstände (διαστήματα) betrachtete, welche eine beliebige Zahl von jeder andern, z. B. 5 von 3 , und 3 von 1 hatte, so waren bei gleichen Abständen arithmetische Proportionen gegeben (§ 27). Wenn man nun zunächst die stetige arithmetische Proportion ( a b = b c ) berücksichtigte und die Verhältnisse a   :   b und b   :   c bildete, so erhielt man in den allermeisten Fällen wenigstens einmal, wenn nicht beidemal, gebrochene Zahlen, z. B. 5 3 und 3 (aus der Proportion 5 3 = 3 1 ), oder 8 6 und 6 4 (aus der Prop. 8 6 = 6 4 ). Es sollte nun aufgefunden werden, welches von diesen Verhältnissen grösser als das andere ist. Dazu musste man Brüche von gleichem Nenner haben, also beim ersten Beispiele 5 3 und 9 3 , beim zweiten 8 6 und 9 6 . Nunmehr brauchte man blos die Zähler der Brüche zu vergleichen, und es ergab sich unmittelbar aus dem Einblick in die vorher aufgeschriebene Zahlenreihe, dass beim ersten Beispiele das διάστημα von 1 bis 5 kleiner ist als das von 1 bis 9 , und entsprechend in allen andern Fällen. Es liess sich also erweisen, dass bei der stetigen (und ebenso bei der getrennten) arithmetischen Proportion jedesmal a b < b c (bezw. a b < c d ) [1099] ist (Archytas bei Porphyr, a. a. O., vgl. Nikom. Arithm. I 3, 3. II 6, 3. 23, 6. Theo Smyrn. 81f. Hiller. Iambl. zu Nikom. 16. 100f.). Bildete man aber anderweit aus den Gliedern einer harmonischen Proportion die Verhältnisse a b und b c , z. B. 6 4 und 4 3 (aus der Proportion 6 4   :   4 3 = 6   :   3 ), so ergab sich, nachdem man diese Brüche zu 18 12 und 16 12 umgebildet hatte, dass von 1 ab der Zähler 18 ein grösseres διάστημα hat als der Zähler 16 , mithin 6 4 > 4 3 ist. Und so in allen übrigen Fällen. Mithin war als eine Eigenschaft der harmonischen Proportion festgestellt, dass a b > b c ist. Verglich man nun damit die vorher angeführte Eigenschaft der arithmetischen Proportion ( a b < b c ) , so ergab sich die harmonische als ὑπεναντία zur arithmetischen, und das ist, wie Archytas meldet, der ursprüngliche Name der harmonischen Proportion gewesen. Die Unterscheidung, dass bei der arithmetischen Proportion a b < b c , bei der harmonischen aber a b > b c ist, hat dem Archytas a. a. O. als etwas bereits früher Erwiesenes vorgelegen. Statt ὑπεναντία hat schon Philolaos, wie aus Nikom. II 26, 3 hervorgeht, ἁρμονική (μεσότης) gesagt, wonach es erklärlich ist, dass Archytas den letztern Ausdruck als den zu seiner Zeit üblichen bezeichnet. Danach ist Iamblichos (100, 22) zu berichtigen, nach welchem erst Archytas und Hippasos die Benennung ἁρμονική neu eingeführt haben sollen.

Zwischen der arithmetischen und harmonischen Proportion mit den Eigenschaften a b < b c , bezw. a b > b c , stand die geometrische, welche ihrer Definition nach die Gleichung a b = b c darstellte (§ 28).

Eine zweite Eigenschaft der harmonischen Proportion definiert in altertümlicher Weise Archytas (bei Porphyrios a. a. O.) dahin, dass das erste Glied das zweite um den gleichen Teil seiner selbst, wie dieses mittlere Glied das dritte um den Teil des dritten übertrifft. Schon vorher ist dem Philolaos diese Eigenschaft bekannt gewesen, wie Nikomachos (II 26, 2) bezeugt, nur dass dieser die Worte des Philolaos, die wahrscheinlich umständlicher gelautet haben, zusammenfasst zu der kurzen Formel: ὁ μέσος ἑνὶ καὶ τῷ αὐτῷ αὐτῶν τῶν ἄκρων μέρει καὶ μείζων καὶ ἐλάττων ὑπάρχει. Setzen wir n als den gleichen Teil sowohl von a als von c , so muss nach Philolaos und Archytas sein

b   =   a     a n   =   c   +   c n ,

woraus sich n   =   a   +   c a     c ergiebt. Wirklich folgt aus den beiden Gleichungen b   =   a     a n und b   =   c   +   c n die harmonische Proportion a     b b     c   =   a c , und daraus ferner 1 c     1 b   =   1 b     1 a (Cantor 155).

Eine dritte Eigenschaft derselben Proportion giebt Nikomachos nach Philolaos mit folgenden Worten an (S. 135, 20–22 Hoche): ὁ μέσος ἄλλῳ μὲν ἑαυτοῦ μέρει μείζων ἐστὶ τοῦ ἐλάττονος, ἄλλῳ δὲ ἐλάττων τοῦ μείζονος. Setzen wir m und n [1100] als die betreffenden Teile von b , so muss nach Philolaos sein

  b   =   a     b m   =   c   +   b n ,

woraus sich m   =   b a     b , und n   =   b b     c ergiebt. Wirklich folgt aus diesen Gleichungen die harmonische Proportion a     b b     c   =   a c .

Endlich ist als vierte Eigenschaft dieser Proportion nach Nikomachos (II 25, 4) anzuführen, dass ( a + c ) b = 2 a c ist.

30. Die Ausdrücke ἀνάλογον und ἀναλογία erscheinen zuerst bei Archytas an der mehrmals angeführten Stelle (s. § 26 a. E.). Zunächst wird dort die arithmetische Proportion als ἀναλογία und die Gleichheit der Differenzen als ein ἀνάλογον εἶναι bezeichnet. Also war nach Archytas auch die Differenz selbst ein λόγος (vgl. § 26). Indes sind λόγος und ἀνάλογον frühzeitig im engern Sinne auf die Verhältnisse der geometrischen Proportion übertragen worden, und seit Eukleides war dies der allgemeine Sprachgebrauch (in den Elementen kommen λόγος, λόγον ἔχειν, ἐν λόγῳ εἶναι, ἀνάλογον und ἀναλογία nur in diesem Sinne vor). Der λόγος der arithmetischen Proportion erscheint schon bei Archytas als διαφορά (differentia), später gewöhnlich als ὑπεροχή, d. i. Überschuss des grösseren ὅρος über den kleineren. Demnach wird hier die Gleichheit durch τῷ αὐτῷ (oder ὅσῳ – τοσούτῳ) ὑπερέχειν und ähnliche Formeln bezeichnet, während die Ausdrücke ἐν τῷ αὐτῷ λόγῳ εἶναι oder τὸν αὐτὸν λόγον ἔχειν, ferner εἶναι oder λόγον ἔχειν ὡς – πρός – οὕτως – πρός u. s. w. der geometrischen Proportion vorbehalten blieben.

Für den Bereich der geometrischen Proportion ist aber als ein weit älterer Ausdruck ἁρμονία überliefert. Philolaos (bei Nikom. Arithm. II 26, 2) hat den Würfel als eine γεωμετρικὴ ἁρμονία bezeichnet, weil die drei Dimensionen desselben durchgängig nach dem Verhältnis der Gleichheit gefügt sind (ἀπὸ τοῦ κατὰ τὰ τρία διαστήματα ἡρμόσθαι ἰσάκις ἴσα ἰσάκις). Platon nennt an einer Stelle, welche ganz nach Vorbild der ältesten pythagoreischen Zahlenlehre abgefasst ist, sowohl das Quadrat als das Oblongum eine ἁρμονία, und zwar das erstere eine ἴση ἰσάκις, das letztere eine προμηκής (de rep. VIII 546 C, vgl. Hultsch Zeitschr. f. Math. u. Phys., hist.-litt. Abteil., XXVII 44f.). Nun ist hier einzuschieben, dass ebenso gut, wie Quadrat und Oblongum als Producte von zwei Factoren aufgefasst werden, die Verhältnisse der Seiten als Quotienten gelten können (diese Anschauung geht unabänderlich durch die ganze alte Mathematik hindurch; auf ihr beruht die ganze Proportionenlehre bei Eukleides [vgl. Elem. V defin. 1. VII defin. 3. 5. 21]; sie bildet die Voraussetzung für die διαστήματα des Archytas [§ 29]; sie ist schon vor Archytas demjenigen, der aus der ῥητὴ διάμετρος τῆς πεμπάδος einen angenäherten Wert für 2 ableitete [§ 24], geläufig gewesen). Wenn also Pythagoras, wie sicher verbürgt ist, den nach ihm benannten Satz von den Quadraten der Katheten und vom Quadrate und den Rectangeln der Hypotenuse erfunden hat, wenn er ferner, was nicht minder feststeht, seinen Satz, dass 3 2 + 4 2 = 5 2 ist, in Verbindung mit dem entsprechenden rechtwinkligen Dreieck, [1101] also auch mit dem dazu gehörigen Oblongum gebracht hat, wenn er endlich die Diagonale des Quadrates über 1 als ἄρρητος nachgewiesen, mithin auch mit der Seite 1 verglichen hat (§ 24), so kann nicht bezweifelt werden, dass er auch die Verhältnisse der Seiten dieser Flächenfiguren in Betracht gezogen hat. Wie er diese Verhältnisse benannte, wissen wir nicht; doch spricht alle Wahrscheinlichkeit dafür, dass er selbst schon ἁρμονία, wie später Philolaos, dafür gebraucht hat.

Auch die arithmetische und geometrische Proportion ist gewiss schon dem Pythagoras selbst bekannt gewesen. Dagegen deuten einige Spuren darauf hin, dass die ἁρμονικὴ ἀναλογία erst von Philolaos hinzugefügt worden ist (vgl. § 31 und Nikom. II 26, 2).

31. Weiter wurden die Proportionen in einer eigentümlichen Weise zu den Medietäten (μεσότητες) umgebildet. Da die harmonische Proportion nur als stetige bestand, so lag es nahe, sie mit der arithmetischen und geometrischen in eine anschauliche Beziehung zu setzen. Dies konnte nicht besser geschehen, als wenn man von der getrennten arithmetischen und geometrischen Proportion ganz absah und nur die stetigen verglich. So hatte man als gemeinsam bei allen drei Proportionen das μέσον (vgl. § 26 a. E.) und konnte jedes dieser Mittel als eine Function des ersten und dritten Gliedes bestimmen. Wenn wir, wie vorher, das erste und grösste Glied mit a , das dritte und kleinste mit c bezeichnen, so ergiebt sich der Reihe nach

 das arithmetische Mittel b   =   a + c 2

 das geometrische Mittel b   =   a c

 das harmonische Mittel b   =   2 a c a + c .

Allein noch eine andere Erwägung trat ein, und diese ist für die Form der μεσότητες entscheidend gewesen. Durch die harmonische Proportion war es gelungen, unter drei Gliedern das Verhältnis von zwei Differenzen dem Verhältnis von zwei Gliedern gleich zu setzen (§ 29). Eine entsprechende Gleichung ergab sich von selbst für die stetige arithmetische Proportion, denn dort steht a b zu b c in dem Verhältnis von gleich zu gleich. Aber auch die geometrische Proportion konnte dahin umgebildet werden. Denn wenn in der getrennten Form a   :   b = c   :   d sich verhalten, so ist auch a c b d = a b = c d . Der Beweis hierfür ist uns zwar erst aus späterer Zeit, nämlich durch Eukleides (Elem. V 19, vgl. u. § 32) überliefert; allein die entsprechende Formel für die Summe hat schon früher Aristoteles gekannt (§ 32), und so müssen wir, weiter zurückschreitend, annehmen, dass auch die eben angeführte Formel der Differenz schon früher bekannt, ja von dem Erfinder der harmonischen Proportion auch bewiesen war. In der stetigen Form lautete sie a b b c = a b = b c , und damit war aus der geometrischen ἀναλογία die geometrische μεσότης entwickelt. Also lauteten nach einander die Formeln der arithmetischen, geometrischen und harmonischen Medietät in einer unverkennbaren Symmetrie [1102]
 I. a b b c = a a = b b = c c

 II. a b b c = a b = b c

 III. a b b c = a c .

Als Archytas, wahrscheinlich in der Schrift ἁρμονικόν (Nikom. I 3, 4), περὶ μεσοτήτων handelte, lagen ihm diese drei Medietäten als etwas schon Bekanntes vor (Porphyr. in Ptolem. Harmon. a. a. O.). Da nun aus dem Auszuge bei Nikomachos (II 26, 2) hervorgeht, dass Philolaos die Zahlen der Kanten, Ecken und Flächen des Würfels auf die harmonische Medietät 12 8 8 6 = 12 6 zurückgeführt hat, so kann dieser vielleicht als der Erfinder sowohl dieser als der beiden andern Medietäten gelten. Hierzu sind bald darauf von Archytas und Hippasos noch drei andere erfunden, und diese von Eudoxos, dem Schüler des Archytas, in seinem Lehrbuche den drei ursprünglichen beigefügt worden, und zwar eine ὑπεναντία zur harmonischen und zwei zur geometrischen, nämlich

 IV. a b b c = c a (mit dem Mittel b = a 2 + c 2 a + c ),

 V. a b b c = c b , und VI. a b b c = b a .

Iamblichos zu Nikom. 116 Pist. (vgl. auch 113, 16) nennt Archytas und Hippasos als die ersten Erfinder dieser Medietäten. Damit steht das Mathematikerverzeichnis bei Proklos (zum I. Buche der Elem. 67 Friedl.) nicht im Widerspruch: Εὔδοξος ὁ Κνίδιος – τῶν καθόλου καλουμένων θεωρημάτων τὸ πλήθος ηὔξησεν καὶ ταῖς τρισὶν ἀναλογίαις ἄλλας τρεῖς προσέθηκεν. Dagegen liegt eine Ungenauigkeit in der von Iamblichos 101, 1–3 angeführten Notiz vor: οἱ περὶ Εὔδοξον μαθηματικοὶ ἄλλας τρεῖς προσανευρόντες μεσότητας.

Spätere Mathematiker (nach Iambl. 16, 5 Myonides [früher vulgo Τεμνωνίδης] und Euphranor) erfanden noch vier Medietäten hinzu, um, wie Nikomachos sagt, die Zehnzahl, als den τελειότατος ἀριθμός der Pythagoreer (§ 19), zu erfüllen.

Die drei ersten Medietäten werden behandelt von Nikomachos Arithm. II 23–26. Theo Smyrn. 113f. Hill. Pappos Synag. III c. 30–43 (vgl. auch Theo 84f. 106f. Iambl. zu Nikom. 100f.). Über die von Archytas und anderen hinzugefügten Medietäten vgl. Nikom. II 22, 1. 28, 1–11. Theo 106. 115–119. Iambl. 113–118 (eine elfte, nämlich ,die vollkommenste, drei Dimensionen begreifende und alle übrigen umfassende‘ führt Nikomachos II 29 an: vgl. Iambl. 118ff. Nesselmann 216). Pappos III 47ff. (S. 86–104 Hultsch, vgl. Theo 116f.) weist nach, dass alle 10 Medietäten aus der geometrischen Proportion abgeleitet werden können. Im allgemeinen vgl. Cantor 155. 226f. Tannery Mém. de la Société des sciences de Bordeaux, 2. série, III 359ff.

32. Wie schon bemerkt wurde, fand die sogenannte geometrische Proportion ihre hauptsächliche Verwendung bei der geometrischen Beweisführung. Doch ist sie nie dem Gebiete der Arithmetik fremd geworden. Dass die Griechen, wie von Neueren beobachtet worden ist, verhältnismässig selten die Division anwendeten, erklärt sich aus der Vorliebe für die geometrische Proportion, welche in vielen Fällen eine förmliche Division und die Anwendung von Brüchen ersparte. [1103] Nach diesem Gesichtspunkte ist oben § 24 der Näherungswert 7 5 für 2 entwickelt worden.

Die Beweise im V. Buche der Elemente, welches ganz dieser Proportion gewidmet ist, sind von Eukleides nach geometrischer Methode geführt worden. Sie lassen sich aber auch auf arithmetischem Wege, und dann für unsere Anschauung meistens leichter, darstellen. Ebenso ist zu vielen anderen Beweisen die Anwendung der Definitionen und Lehrsätze des V. Buches für uns in arithmetischer Form bequemer als in der geometrischen. Es möge hier genügen, einige von den Formeln, welche Eukleides zu Anfang des V. Buches aufstellt und die allerwärts von Späteren verwendet werden (vgl. Hankel 390f. Hultsch zu Pappos Bd. I S. XXIIIf.), im arithmetischen Ausdrucke wieder zu geben. Wenn a b   =   c d ist, so ist
ἐναλλὰξ λόγος . . . . . . . . . . . . . . . . a c = b d
ἀνάπαλιν λόγος . . . . . . . . . . . . . . . b a = d c
σύνθεσις λόγου       (συνθέντι oder
     κατὰ σύνθεσιν)       a + b b = c + d d
διαίρεσις λόγου       (διελόντι oder
     κατὰ διαίρεσιν)       a b b = c d d
ἀναστροφὴ λόγου (ἀναστρέψαντι)      a a b = c c d .

Schon vor Eukleides hat Aristoteles die Formel ἐναλλάξ gekannt und angewendet (Eth. Nikom. V 1131 b 5: ἔσται ἄρα ὡς ὁ α ὅρος πρὸς τὸν β, οὕτως ὁ γ πρὸς τὸν δ, καὶ ἐναλλὰξ ἄρα ὡς ὁ α πρὸς τὸν γ, ὁ β πρὸς τὸν δ). Auch die übrigen eben angeführten Formeln sind wahrscheinlich aus älteren Quellen von Eukleides übernommen worden. Beiläufig sei erwähnt, dass Aristoteles phys. auscult. VIII 266 b 18 durch κατὰ τὴν ἀντιστροφὴν τῆς ἀναλογίας ,umgekehrt proportionale‘ Grössen bezeichnet.

Ferner bleibt eine Proportion unverändert, wenn je das erste und dritte, sowie das zweite und vierte Glied zu einander addiert oder das kleinere vom grösseren abgezogen wird; also

  a ± c b ± d = a b = c d .

Ältester Gewährsmann für die Formel der Summe ist Aristoteles Eth. Nikom. V 1131 b 13: ἐν γὰρ τῇ γεωμετρικῇ (ἀναλογίᾳ) συμβαίνει καὶ τὸ ὅλον πρὸς τὸ ὅλον ὅπερ ἑκάτερον πρὸς ἑκάτερον, demnächst Eukleides Elem. V 12 (vgl. Hultsch zu Pappos Bd. I S. XXIII). Die Formel für die Differenz folgt aus Eukl. Elem. V 19; sie ist aber weit früher schon dem Philolaos bekannt gewesen, denn die geometrische Medietät ist nichts anderes als die Differenzformel der stetigen geometrischen Proportion, nämlich a b b c = a b = b c (oben § 31).

Hierzu kommen zwei Formeln, welche auf der συνημμένη ἀναλογία (§ 26. 28) beruhen. Wenn nämlich erstens
  a   :   b = d   :   e , und
  b   :   c = e   :   f
ist, so ist auch
  a   :   b   :   c = d   :   e   :   f ,
und nach der Formel δι’ ἴσου (Elem. V defin. 17, propos. 22)
  a   :   c = d   :   f .

[1104] Diese Formel lässt sich auch ansehen als hervorgegangen aus der Multiplication
  a b b c = d e e f ,

und so entstand zweitens, wenn eine stetige und eine getrennte Proportion zu vereinigen waren, die Formel des συνημμένος oder συγκείμενος λόγος.

Wenn nämlich
  a   :   b = d   :   e , und
  b   :   c = f   :   g
ist, so ist auch
  a c = d f e g .
Eukl. Elem. VI defin. 5, propos. 23. Archimedes, Apollonios und Pappos an den von Heiberg und Hultsch in den Indices unter συγκεῖσθαι und συνάπτειν nachgewiesenen Stellen. Eutokios zu Archim. Bd. III 140ff. Heib., vgl. Hultsch zu Pappos Bd. I S. XXIV; Berliner Philol. Wochenschr. 1891, 776ff. Heiberg Quaestiones Archim. 48.

33. Eine besondere Anwendung findet die geometrische Proportion auf die oben erwähnten Flächen- und Körperzahlen (§ 21), wenn diese einander ähnlich, d. h. wenn ihre Factoren der Reihe nach einander proportional sind. Der Ausdruck ὅμοιοι ἐπίπεδοι καὶ στερεοὶ ἀριθμοί (Eukl. Elem. VII defin. 22. Theo Smyrn. 36f. Hiller) ist der Geometrie entnommen. Die Flächenzahl wurde verglichen mit einem Quadrat oder Rechteck, die Körperzahl mit einem Kubus oder rechtwinkligen Parallelepiped; also entsprechen die proportionalen Factoren dieser Zahlen den ähnlichen oder homologen Seiten jener Figuren. Vgl. Elem. VI defin. 1, propos. 4ff. 19ff. VIII 18f. X 28 lemma 1, S. 80, 21f. Heiberg.

Nach Eukleides giebt es zwischen ähnlichen Flächenzahlen ein, zwischen ähnlichen Körperzahlen zwei geometrische Mittel (Elem. VIII 11f. 18f., vgl. Nikom. Arithm. II 24, 6f.).

Das geometrische Mittel der Quadratzahlen folgt unmittelbar aus der Formel der geometrischen Proportion (§ 28. 31). Denn wenn wir die Wurzel der einen Quadratzahl mit a , die der andern mit b bezeichnen, so ist a 2 b 2 = a b das Mittel zwischen den beiden Zahlen a 2 und b 2 . Bei Eukleides und Nikomachos heissen die Factoren sowohl der Quadrat- als der andern ähnlichen Zahlen schlechthin πλευραί. Als Beispiele giebt Nikomachos (II 24, 8) 1   :   2 = 2   :   4 , und 4   :   6 = 6   :   9 .

Um zu zwei Kubikzahlen die zwei mittleren Proportionalen zu finden, haben wir von ihren dritten Wurzeln, die wir, wie vorher die zweiten Wurzeln, mit a und b bezeichnen, auszugehen. Dann ergeben sich zwischen a 3 und b 3 sofort die Mittelglieder a 2 b und a b 2 , denn es ist
  a 3   :   a 2 b = a 2 b   :   a b 2 = a b 2   :   b 3 .

Als Beispiel giebt Nikomachos (II 24, 9) 8   :   12 = 12   :   18 = 18   :   27 , d. i. 2 3   :   2 2   .   3 = 2 2   .   3   :   2   .   3 2 = 2   .   3 2   :   3 3 .

Bei andern ähnlichen Flächen- und Körperzahlen sind zunächst die Factoren a , b , bezw. a , b , c der einen Zahl mit denen der andern a , b u. s. w. zu vergleichen. Da nach der Voraussetzung die Verhältnisse a   :   a , b   :   b u. s. w. einander gleich sind, so können wir n als das gleiche Verhältnis, mithin a = a n , b = b n u. s. w. setzen. Daraus ergeben sich, ähnlich wie vorher, statt der geometrischen [1105] Darlegung bei Eukleides (Elem. V 18f.) die arithmetischen Formeln, und zwar für die ähnlichen Flächenzahlen a b und a b
  a b   :   a b n = a b n   :   a b n 2 ,

und für die ähnlichen Körperzahlen a b c und a b c
  a b c   :   a b c n = a b c n   :   a b c n 2 = a b c n 2   :   a b c n 3 .

Bei den bisherigen Erörterungen war stillschweigend vorausgesetzt, dass die Factoren der zu vergleichenden Zahlen ganze, mithin auch rationale Zahlen seien. Die Aufgabe, zwei beliebige Zahlen als Flächenzahlen zu setzen und ihr geometrisches Mittel zu finden, lief auf das Ausziehen der Quadratwurzel aus dem Producte dieser Zahlen hinaus, war also für die Alten ebenfalls lösbar (§ 13–16). Auch sind ihnen etwaige Vereinfachungen in der Rechnung, wie z. B.
10   .   14   =   2 5   .   7 , gewiss nicht unbekannt gewesen.

Die weitere Aufgabe, zwei beliebige Zahlen als Körperzahlen zu betrachten und sie nach ihren dritten Wurzeln zu vergleichen, ist frühzeitig gestellt, jedoch nie auf geradem Wege gelöst worden (vgl. § 17). Das vielbesprochene delische Problem (s. Geometria) war zurückzuführen auf die Aufgabe, zu der Kante eines gegebenen Würfels die Kante eines doppelt so grossen Würfels zu berechnen. Statt nun 2 3 nach arithmetischer Methode zu ermitteln, versuchte man durch verschiedene gemometrische Constructionen, oder auch auf mechanischem Wege, zwischen zwei gegebenen Geraden zwei mittlere Proportionalen zu finden. Um einen gegebenen Würfel zu verdoppeln, setzte man ausser der Geraden, welche die Kante des gegebenen Würfels darstellte, auch die doppelt so grosse Gerade als gegeben. Wenn nun zwischen diesen beiden Geraden die zwei mittleren Proportionalen gefunden waren, so stellte die erste mittlere Proportionale die Kante des gesuchten, doppelt so grossen Würfels dar. S. das Nähere unter Geometria. Vorläufig sei verwiesen auf Pappos III c. 1 a. E. 21. 96ff. IV 42–44. VIII S. 1028, 18–21. Proklos zum I. Buch der Elemente 213, 2–11 Friedlein. Hultsch Jahrb. f. Philol. 1873, 493ff. Cantor 152–154. 198–200. 212–222. 335f. 338. 420. 424.

34. Alles, was bisher aus dem weiten Gebiete der allgemeinen Arithmetik zur Erörterung gekommen ist, stand in naher Beziehung zur natürlichen Zahlenreihe und stellte zugleich die ältesten Untersuchungen griechischer Philosophen und Mathematiker über Eigenschaften und Verhältnisse von Zahlen dar. Der Zeit nach sind wir dabei bis zum Ende des 3. Jhdts. v. Chr. geführt worden und würden nun weiter die griechische Arithmetik von Eukleides an zu verfolgen haben. Es lässt sich aber das Arithmetische in dessen Elementen und Data passenderweise nur bei einer zusammenhängenden Darstellung des Inhalts dieser Werke betrachten, muss also für den Artikel Eukleides aufgespart werden. Archimedes und Apollonios sind schon vorher an Ort und Stelle erwähnt, und es ist dabei zugleich auf die ihnen gewidmeten Artikel verwiesen worden. Auch Herons von Alexandreia ist bereits gedacht worden. Aus seinen lediglich der Praxis gewidmeten geometrischen und stereometrischen Rechnungen lassen sich manche Regeln der allgemeinen Arithmetik [1106] ableiten; doch kann auch das erst später geschehen, wenn Heron besonders zu behandeln sein wird. Aus des Nikomachos arithmetischem Lehrbuche ist schon vieles mitgeteilt worden; das übrige, was noch in Betracht kommt, ist unter Nikomachos zu erledigen. Auch unter Theo von Smyrna, dessen Zeugnis im Vorhergehenden oft anzuführen war, wird ein zusammenhängender Bericht zeigen, was die Autoren, auf die er sich beruft, und er selber zu Förderung des arithmetischen Wissens beigetragen haben. Endlich werden auch des Pappos arithmetische Leistungen an Ort und Stelle ihre Würdigung finden. In Kürze sei auch auf die Commentatoren alter Mathematiker Iamblichos, Theo von Alexandreia, Proklos und Eutokios verwiesen.

III. Unbestimmte Analytik.

35. Auch zu diesem Gebiete der Arithmetik hat Pythagoras den ersten Zugang eröffnet. Ausgehend von den Summierungen ungerader Zahlen hatte er gefunden, dass 3 2 + 4 2 = 5 2 ist (§ 18). Dies war eine Speciallösung der unbestimmten Gleichung x 2 + y 2 = z 2 . Allein es war zu erwarten, dass ebenso, wie zu 3 , zu jeder andern ungeraden Zahl eine zweite derartige Zahl sich finden lasse, dass die Summe der Quadrate beider Zahlen wieder eine Quadratzahl sei. Aus 3 2 war 4 abzuleiten durch die Formel 3 2 1 2 , und 5 durch die Formel 3 2 + 1 2 . Wenn nun a ein beliebige ungerade Zahl bezeichnete, so ergab sich allgemein b = a 2 1 2 und c = a 2 + 1 2 , und es war in jedem Falle a 2 + b 2 = c 2 . Dies ist zu folgern aus Proklos zum I. Buche der Elem. S. 428f. Friedl., vgl. Cantor 211f. Günther 240f. Tannery Revue philos. XI (1881) 287.

So wurden der Reihe nach zu den ungeraden Zahlen 5 , 7 , 9 u. s. w. als Werte für b 12 , 24 , 40 u. s. w. gefunden; denn es war, wie
 3² + 4² = 5², so auch
 5² + 12² = 13²,
 7² + 24² = 25²,
 9² + 40² = 41² u. s. w.

In der pythagoreischen Grundformel lag zugleich die erste Lösung der Aufgabe, zu einer geraden Zahl eine zweite derartige Zahl zu finden, dass die Summe der Quadrate beider Zahlen wieder eine Quadratzahl sei; denn zu 4 war 3 als diese Bedingung erfüllend gefunden worden. Nun hat Platon (wie aus Proklos a. a. O. zu folgern ist) aus 4 die Werte 3 und 5 durch die Formeln ( 4 2 ) 2 1 und ( 4 2 ) 2 + 1 entwickelt, und damit war zugleich die allgemeine Lösung dieses Falles gefunden. Denn wenn a eine beliebige gerade Zahl bezeichnete, so ergab sich b = a 2 4 1 und c = a 2 4 + 1 , und es war in jedem Falle a 2 + b 2 = c 2 .

Es berechneten sich also der Reihe nach zu den geraden Zahlen 6 , 8 , 10 u. s. w. für b die Werte 8 , 15 , 24 , und es war, wie
 4² + 3² = 5², so auch
 6² + 8² = 10²,
 8² + 15² = 17²,
 10² + 24² = 26² u. s. w.

Eine dritte Fundstätte für je zwei Zahlen, deren Quadrate zusammen wieder ein Quadrat [1107] darstellen, erschliesst Proklos in seinem Commentar zu Platons Büchern vom Staate (S. 30. 33ff. Schoell, und dazu Hultsch S. 140ff.). Er bildet nämlich rechtwinklige Dreiecke mit den Katheten 27 und 36, 36 und 48, 48 und 64, 75 und 100, also durchgängig nach dem Verhältnisse 3 : 4 (vgl. den ἐπίτριτος πυθμήν bei Plato de rep. VIII 545 C), und nimmt als erwiesen an, dass zu jeder dieser Zahlengruppen auch eine ganze Zahl für die Hypotenuse gegeben sei. Aus den bei Proklos (S. 42) hsl. überlieferten Figuren sind ausserdem noch die Gruppen 9, 12, 15 und 12, 16, 20 zu entnehmen. Endlich wird im Texte gelegentlich noch das Dreieck mit den Seiten 90, 120, 150 erwähnt (S. 30, 6, und dazu Hultsch S. 146f.). Es waren also von Proklos in Betracht gezogen die Gleichungen

9 2 + 1 12 2 = 1 15 2 12 2 + 1 16 2 = 1 20 2 27 2 + 1 36 2 = 1 45 2 36 2 + 1 48 2 = 1 60 2 48 2 + 1 64 2 = 1 80 2 75 2 + 100 2 = 125 2 90 2 + 120 2 = 150 2 .

Damit war zugleich die allgemeine Regel angedeutet, dass alle Paare von Zahlen, welche zu einander sich so verhalten wie je a : b in den durch Pythagoras und Platon gegebenen Gleichungen, die Bedingung erfüllen, dass die Summe ihrer Quadrate wieder ein Quadrat darstellt.

36. Ein anderer Beitrag zu der Bildung solcher Reihen lässt sich aus dem ersten Lemma zu Eukleides Elem. X 28 entnehmen. Was dort nach geometrischer Weise erwiesen wird, läuft in arithmetischer Fassung darauf hinaus, dass, wenn man zwei ähnliche Zahlen, zu denen auch die Quadratzahlen zu rechnen sind (oben § 33), mit einander multipliciert, zu diesem Producte, welches allemal ein Quadrat ist (Elem. IX 1), eine andere Quadratzahl derart gefunden werden kann, dass, das erstere Product zusammen mit der letzteren Quadratzahl wieder ein Quadrat bildet.

Um Brüche zu vermeiden, stellt der Verfasser dieses Lemmas noch die besondere Bedingung, dass die ähnlichen Zahlen entweder beide gerad oder beide ungerad seien; allein dasselbe gilt, wie sich leicht erweisen lässt, allgemein für alle ähnlichen Zahlen. Schon Proklos a. a. O. hat, wie aus den dort überlieferten Figuren hervorgeht, seine Betrachtungen über solche Summen von Quadraten auf gebrochene Zahlen ausgedehnt. Denn eine der Figuren weist ein rechtwinkliges Dreieck mit den Katheten 4 und 5 1 3 nach. Diese Zahlen verhalten sich wie 3 : 4 ; also ist auch die Hypotenuse desselben Dreiecks rational, und ihr Quadrat ( 20 3 ) 2 = 4 2 + ( 16 3 ) 2 . Proklos S. 42 Schoell, und dazu Hultsch S. 144. Auch die Seitenzahlen 2 , 4 3 2 und 5 3 2 sind daselbst angedeutet: vgl. Hultsch S. 145f.

Zu einem vollständigen Abschluss konnten diese Betrachtungen erst dann gelangen, wenn man fragte, ob das Quadrat jeder beliebigen Zahl in zwei Quadrate (mit rationalen Wurzeln) aufgelöst werden kann. Was Eukleides Elem. X 29 in geometrischer Form aufgiebt und erweist, kann zwar hierher gezogen werden; aber es bedarf einer recht [1108] umständlichen Umformung, um zu arithmetischen Ergebnissen verwendet werden zu können, und diese führen, wie es scheint, schliesslich doch nicht zu dem hier gesuchten Resultat. Die einfache und erschöpfende arithmetische Lösung hat dem Diophantos als erwiesen vorgelegen; denn aus II 8f. (vgl. mit III 22 [19]) geht hervor, dass eine beliebige Quadratzahl in unendlich viele Summen von je 2 Quadraten aufgelöst werden kann, sobald es nur gestattet ist, diese Einzelquadrate auch von gebrochenen Zahlen aufzubauen (Nesselmann 450f. Wertheim zu Dioph. II 8). Wollte man aber die Auflösungen auf ganze Zahlen beschränken, so waren darauf hin die Primzahlen zu untersuchen (denn die Quadrate anderer Zahlen sind ja Producte von Quadraten der Primzahlen). Die oben nach Pythagoras und Platon aufgestellten Reihen beginnen mit 5 2 = 4 2 + 3 2 und weisen ferner nach, dass die Quadrate von 13, 17, 37, 41, 61, 101, 113 u. s. w. in je zwei Quadrate ganzer Zahlen aufgelöst werden können; aber es fehlt in dieser Reihe zuerst die Primzahl 29, deren Quadrat = 20 2 + 21 2 ist. Hier hat Fermat, angeregt durch Diophantos III 22, festgestellt, dass alle Primzahlen, welche die Form 4 n + 1 haben, Quadrate bilden, welche wiederum in 2 Quadrate zerlegt werden können. Ausserdem hat er noch nachgewiesen, quoties numerus datus sit hypotenusa trianguli rectanguli, d. h. ob und wie vielfach das Quadrat einer gegebenen Zahl in zwei Quadrate ganzer Zahlen zerlegt werden kann. Oeuvres de Fermat publiées par Tannery et Henry I, Paris 1891, S. 293ff., vgl. die deutsche Übersetzung von Wertheim zu Diophantos III 22 (19 Tann.) S. 111–115.

37. Mit der Erwähnung des Diophantos sind wir an das Ende der Leistungen des Altertums im Gebiete der unbestimmten Analytik gekommen. Weit seine Vorgänger überragend hat er ganz neue Wege des arithmetischen Denkens eröffnet, neue Bezeichnungen geschaffen, allenthalben vom einzelnen Falle sich erhoben zur allgemeinen Anschauung, endlich auch da, wo er selbst innehielt, die Bahnen gezeigt, auf denen die Neueren weiter fortgeschritten sind. Alles das wird unter Diophantos zu behandeln sein.

Es ist aber hier noch mit wenigen Worten auf die algebraischen Epigramme der griechischen Anthologie zu verweisen. Sie sind in volkstümlicher Form abgefasst und enthalten zumeist ganz elementare Aufgaben, welche auf die Lösung einer Gleichung mit einer Unbekannten hinausgehen. Platon empfiehlt gelegentlich in den Gesetzen (VII 819 B. C), dass die freigeborenen Knaben, wie das in Ägypten allgemein üblich sei, zugleich mit dem Lesen auch die Anfangsgründe der Mathematik, und zwar beim fröhlichen Spiel, lernen sollen. Dies werde erreicht durch verschiedentliche Verteilung von Äpfeln, Kränzen oder Schalen (μήλων τέ τινων διανομαὶ καὶ στεφάνων – οἱ δὲ καὶ [φιάλας] ὅλας πως διαδιδόντες), durch wechselnde Aufstellungen der Kinder zu den Kampfspielen, ja auch durch Vorzeigung von goldenen, silbernen und ehernen Schalen verschiedenen Gewichts und Aufgeben der einfachsten Mischungsrechnungen (so ist κεραννύντες φιάλας χρυσοῦ u. s. w. zu erklären). Aufgaben dieser Art liegen uns nun in der That in der Anthologie vor, und es ist damit [1109] erwiesen, was schon an sich, sowie durch Vergleich mit den ältesten griechischen Rätseln und rätselartigen Orakelsprüchen wahrscheinlich war, nämlich dass der Ursprung solcher algebraischen Aufgaben mindestens bis zum 5. Jhdt. v. Chr. zurückreicht. Allein zu der uns überlieferten Form und Gestaltung kann diese Sammlung im ganzen nicht früher gekommen sein als in der Epoche Constantins des Grossen; denn zu dieser Zeit etwa hat Metrodoros gelebt, unter dessen Namen die Mehrzahl von diesen Aufgaben zusammengestellt ist. Über die Platonstelle vgl. Tannery Revue philos. XI (1881) 286 und zu Rhabdas S. 11 (Notice sur les deux lettres arithmétiques de Nicolas Rhabdas in Notices et extraits des manuscrits XXXII 1, Paris 1886). Über Metrodoros vgl. Jacobs Animadv. in epigramm. anthol. III 917f. Die hierher gehörigen Epigramme finden sich Anth. Pal. XIV 1–4. 6. 7. 11–13. 48–51. 116–147, dazu Append. VII 2. Sie sind ins Deutsche übersetzt und erläutert worden von Zirkel Die arithm. Epigramme der griech. Anthol., Gymnasialprogr. Bonn 1853, und von Wertheim zu Diophantos S. 330ff. Vgl. auch Nesselmann 477ff. Cantor 271f. 432f.

Ganz wie Platon es andeutet, ist die Aufgabe, Äpfel verschiedentlich zu verteilen, beim Kinderspiel geübt worden laut Epigramm XIV 48. Eine Anzahl von Äpfeln ist zu gleichen Teilen erst unter die 3 Gratien, dann unter diese und die 9 Musen zusammen zu verteilen. Da jede von den zwölf Trägerinnen in ihrem Körbchen eine Mehrheit von Äpfeln haben soll, so ist die erste Lösung 24, aber auch alle höheren Zahlen von der Form 12k entsprechen der Aufgabe. Wir haben also hier theoretisch ein nach oben unbegrenztes Beispiel unbestimmter Analytik; allein praktisch war es begrenzt durch den Vorrat an Äpfeln, der beim Austeilen zur Verfügung stand.

Gleichungen mit bestimmter Lösung liegen vor in den Aufgaben über Verteilung von Äpfeln oder Nüssen XIV 3. 116–120. 138. Daraus erklären sich die μηλῖται ἀριθμοί, welche von Proklos zum I. Buche der Elem. S. 40, 5 kurz erwähnt werden; es sind bestimmte Zahlen von Äpfeln, welche die Lösung der vorher auf eine unbekannte Grösse gestellten Aufgaben enthalten. Μηλίτης ἀριθμός ist also gebildet wie μηλίτης οἶνος, Apfelwein, bei Plut. quaest. conviv. III 2, 1, und hat nichts zu thun mit Herden von Kleinvieh (μῆλα), wie der Scholiast zu Plat. Charmid. 165 E (Bd. VI 290 Hermann) die μηλίτας ἀριθμούς durch den Zusatz ἐπὶ ποίμνης deutet.

An die φιάλαι Platons werden wir zunächst erinnert durch XIV 12 und 50, wo jedoch lediglich das Gewicht von metallenen Schalen bestimmt wird, ebenso wie von Statuen in XIV 2. 13. 144; allein eine förmliche und zwar verhältnismässig schwierige Mischungsaufgabe ist in XIV 49 überliefert, und damit ist dann weiter das Epigramm bei Diophantos V 33 zu vergleichen. Von den φιάλαι sind, ähnlich wie vorher, die φιαλῖται ἀριθμοί benannt worden (Proklos und Scholiast zu Platon a. a. O.).

Vertreten in der Anthologie sind ferner Aufgaben über Füllung eines Wasserbehälters durch Röhren von verschiedener Weite, Aufgaben über Verteilung von Geldbeträgen und verschiedene andere. [1110] Die Verteilung der Rinder des Augeias auf verschiedene Weideplätze wird in XIV 4 aufgegeben. Die einfachen und leichtverständlichen Zahlenverhältnisse, welche hier vorliegen, sind in dem sogenannten βοεικὸν πρόβλημα zu ausserordentlich verwickelten Combinationen gesteigert worden. Da dieses Gedicht dem Archimedes zugeschrieben wird, so ist es dort (§ 18) behandelt worden.

Ähnliche Aufgaben wie in der Anthologie finden sich in ziemlicher Anzahl bei Rhabdas (s. d.) in dessen zweitem Briefe § 26–43 (Tannery s. o. S. 1109, 13). Trotzdem dass Rhabdas erst am Ausgange des Mittelalters schrieb, hat sich bei ihm doch manches erhalten, was offenbar auf älterer Tradition beruht. Auch Maximos Planudes (s. d.) hat gegen Ende seiner ψηφοφορία κατ’ Ἰνδούς eine derartige Aufgabe (S. 46 Gerhardt).

IV. Rechenkunst und Arithmetisches bei den Römern.

38. Im Rechnen sind die Römer nie weiter gegangen als es der alltägliche Bedarf des privaten und öffentlichen Lebens verlangte. Schon die Thatsache, dass sie an der schwerfälligen Zahlenbezeichnung durch I, II, III, IIII oder IV, V u. s. w. (s. Zahlzeichen) bis zuletzt festhielten, beweist dies. Damit waren recht wohl die Haushaltungsrechnungen zu erledigen, deren Führung jedem Hausvater oblag. Wenn dann später die schlichten Haushaltungsbücher sich erweiterten zu den umfänglichen Rechnungen des Staatshaushaltes oder zu den Contobüchern der Banquiers, für welche die grosse Einheit von 100 000 Sesterzen etwa dasselbe bedeutete wie für den gemeinen Mann der einzelne Sesterz, so liess sich immer noch mit den einmal üblichen Zahlzeichen und mit abgekürzten Wortbildungen auskommen. Die Schwierigkeit lag eigentlich nur in den Rechnungen bis 1000; denn bis zu diesem Bereiche liefen die verschiedensten Zahlzeichen durch einander und es war nicht möglich, ähnlich wie mit den griechischen Zahlzeichen (oben § 7f.), eine Anordnung durchzuführen, welche dem dekadischen Stellensystem einigermassen entsprach. Hier hat allenthalben das gesprochene Zahlwort den Vorrang vor den geschriebenen Zeichen gehabt. Das Kopfrechnen folgte unbewusst dem dekadischen System: so wurden Zahlen zu einander addiert oder die eine von der andern subtrahiert, so wurde auch beim Multiplicieren und Dividieren immer mit einzelnen, gesprochenen Zahlen verfahren. Jedes so erhaltene Einzelresultat wurde durch die Aussprache zerlegt in so und so viele Einer und Zehner, oder Zehner und Hunderte u. s. w., und dann erst das Ausgesprochene durch Zahlzeichen fixiert. So ging es Schritt für Schritt weiter, zwar recht langsam und umständlich, aber doch sicher. Leider fehlt es noch an einer genügenden Zusammenstellung der Ausdrücke, welche die Römer beim Rechnen anwendeten. Die Wendung duos addere ad decem lässt sich aus Ovid. fast. IV 702 ableiten; unum et unum duo, duo et duo quattuor sagten die Schulknaben her nach Augustin. confess. I 13 a. E.; centum nummos deducere, d. i. abziehen, sagt Cic. de leg. II 53 (und vgl. addendo deducendoque videre, quae reliqui summa fiat bei demselben de off. I 59). Ter terna ducere, d. i. multiplicieren, sagt Gellius [1111] I 20, 5; die ausgeführte Multiplication bis bina sunt quattuor lässt sich aus Cic. de nat. deor. II 49 herleiten (das Distributivum bina steht jedenfalls, wenn die allgemeine Regel gegeben wird; in der einzelnen Ausrechnung kann es ebensowohl auch bis duo, tria u. s. w., ter duo, tria u. s. w. heissen). Die Exempel a) 90 000 × 6 = 540 000 , b) 540 000 216 000 = 324 000 , c) 540 000 × 3 50 = 32 400 , d) 324 000 + 32 400 nahezu = 360 000 rechnet Cicero in Verr. III 116 aus. Wie mit den Zwölfteln des Asses in der Schule gerechnet wurde, zeigt Horat. de arte poet. 325ff.; die hier gebrauchten Ausdrücke lassen sich auch auf ganze Zahlen übertragen: si de quinque unum remotum est, superant quattuor, und si ad quinque unum redit, fiunt sex. Mehrere Multiplicationsaufgaben und ihre Lösungen finden sich bei Boethius instit. mus., z. B. II 29: si octies decies XIII ducas, efficies CCXXXIIII, oder II 30: ex CCXLIII octies multiplicatis fit numerus M. DCCCCXLIIII. Bei der ersten Aufgabe war zunächst auszurechnen tres octies decies, dies ergab als festes Glied des gesuchten Productes IIII, und für den Posten der Zehner waren vorzumerken L. Dann war auszurechnen decem octies decies; dies ergab CLXXX; dazu kamen aber noch die vorgemerkten L, also zusammen CCXXX. Mithin betrug das ganze Product CCXXXIIII. Ähnlich war bei der zweiten Aufgabe zunächst octies ter zu nehmen, mithin IIII als definitives Glied des Productes hinzuschreiben, XX aber vorzumerken. Zu dem zweiten Einzelproduct octies quadraginta = CCCXX kamen die vorgemerkten XX; also waren definitiv hinzuschreiben XL und vorzumerken CCC u. s. w.

Mit den Tausenden begann, wie bei den Griechen, die Zahlenbezeichnung wieder von vorn. Zwar wurde noch mille selbst durch M oder ∞ bezeichnet, zuweilen auch duo milia durch MM oder ∞∞, tria milia durch MMM (Plin. n. h. XXXVI 84); allein schon neben MM kommt II vor; statt der schwerfälligen MMM ist III die gewöhnliche Bezeichnung, und so geht die Zählung der Tausende weiter bis 999 000 (vgl. z. B. DXL, CCVI, CCXXIV u. s. w. bis herab zu XC bei Cic. in Verr. III 116). Von 1000 000 an musste mit den Zahladverbien weiter gezählt werden, also decies centena milia u. s. w. (Plin. n. h. XXXIII 133). Es war aber nicht verwehrt, auch für die Zahlen von 200 000 bis 900 000 die Adverbia bis, ter u. s. w. centena milia zu verwenden. So bildeten die centena milia eine neue Zahlengruppe, das Zehnfache der griechischen μυριάς. Von da an wurde die Zählung, wie durch die eben bemerkten Zahlworte bis, ter u. s. w., so durch die gewöhnlichen Zahlzeichen in der Weise fortgeführt, dass die Umrahmung einer Zahl, wie |II|, |III| u. s. w. deren Vervielfältigung mit centena milia bedeutete. Ja diese beiden Worte konnten auch in der Aussprache der Zahl weggelassen werden, da ja das Zahladverb an sich den genügenden Hinweis gab. Besonders häufig kam dies bei der Geldzählung vor, in welchem Falle auch der Name der Münze, nummus oder sestertius, wegbleiben konnte. Zu Anfang seiner Regierung liess Vespasian das Deficit im Staatshaushalte [1112] zusammenstellen. Es ergab sich (nach Sueton. Vesp. 16), dass quadringenties milies nötig war, um sowohl die einmaligen ausserordentlichen Ausgaben als die laufenden Bedürfnisse des Staates zu bestreiten (Schiller Gesch. der röm. Kaiserzeit I 2, 514f.); das waren also 40 Milliarden Sesterzen, und diese ungeheure Geldsumme war mit nur zwei Worten ausgesprochen. Die Belege für die Bezeichnungen II, III u. s. w. finden sich, ausser an den schon angeführten Stellen, vielfach bei Cicero (in Verr. III 72ff.), Plinius (n. h. praef. 17. II 242ff. III 3f. 10. 16ff. IV 1ff. V 1ff. VI 3ff. XXXIII 135ff. und häufig auch an anderen Stellen), Boethius (instit. mus. II 29ff.) und anderwärts bei Schriftstellern und in Inschriften (vgl. Marquardt Römische Staatsverw. II² 40; Privatleben der Römer I² 97). Die Zahl 788 000 schreibt Plinius (n. h. XXXIII 137) |VII| |LXXXVIII|, 60 Millionen Sesterzen derselbe (ebd. 135) HS. |DC|, und so an vielen andern Stellen, vgl. II 242ff. u. s. w. (wie vorher), Friedlein in Boncompagnis Bulletino delle scienze matematiche I 48ff. Betreffs der Aussprache und Bezeichnung von Geldbeträgen ist das Nötigste zusammengestellt von Hultsch Metrologie² 293ff.

39. So haben also die Römer trotz ihrer schwerfälligen Zahlenbezeichnung an das dekadische System, das ihnen mit der Sprache gegeben war, beim Rechnen möglichst sich angeschlossen. Ganz augenfällig wurde diese Gliederung der Zahlenreihe, wenn der Abacus (s. Bd. I S. 9f.) zu Hülfe genommen wurde; denn hier waren Einer, Zehner, Hunderte u. s. w. deutlich abgegrenzt, mithin war auch die Regel ersichtlich dargestellt, dass allemal 10 Einheiten in der niedern Columne gleich 1 Einheit der nächsthöhern Columne sind. Was jedoch den Abacus mit verschiebbaren Knöpfen anbelangt, so konnten, wie schon bemerkt wurde, nur die einfachsten Rechnungen damit ausgeführt werden. Man denke sich (wie Friedlein 87ff. annimmt) eine bestimmte Zahl durch die nach der Mitte geschobenen oberen und unteren Knöpfe auf dem Abacus dargestellt, z. B. 2 Einer, 5 Zehner, 8 Hunderte. Sollte dazu nun eine andere Zahl, z. B. 378. addiert werden, so war diese nebenan hinzuschreiben, denn die schwerfällige Einrichtung der Knöpfe gestattete es nicht, unmittelbar auf den Abacus diesen Summandus zu dem bereits dargestellten hinzuzufügen. Wenn nun zu den 2 Einern, die auf dem Abacus standen, 8 hinzugerechnet wurden, so gab es keinen Einer mehr. Die zuerst dastehenden 2 Einerknöpfe mussten also aus der Mitte weggeschoben werden, gleichzeitig aber war 1 Zehner zu merken. Es begann nun die Addition der Zehner: 5 waren auf dem Abacus dargestellt, 7 danebengeschrieben, 1 von der Addition der Einer hinzuzunehmen. Man hatte also statt des anfänglich dagestandenen oberen Knopfes 3 untere Knöpfe in die Mitte zu rücken, und 1 Hundert vorzumerken. Sodann kamen durch Addition in der dritten Columne 2 untere Knöpfe und in der vierten Columne 1 unterer Knopf zur Mitte. So stand endlich die Summe der beiden zum Addieren aufgegebenen Zahlen auf dem Abacus da und konnte mit den Ziffern MCCXXX niedergeschrieben werden. In ähnlich umständlicher Weise verlief eine Subtraction. [1113] Versuchen wir aber nur eine ganz leichte Multiplication, z. B. die oben von Boethius gestellte Aufgabe 18 ✕ 13, auf dem Knopfabacus auszuführen, so müssen so viele Einzelausrechnungen Schritt für Schritt daneben geschrieben werden, dass eine Verkürzung des Ausrechnens schlechterdings nicht erreicht wird. Genug, eine Erleichterung gewährte der Knopfabacus nur bei den denkbar einfachsten Rechnungen, wo überhaupt nichts aufzuschreiben nötig war, so dass sowohl die Aufgabe als auch alle einzelnen Zwischenrechnungen so lange gemerkt werden konnten, bis die ganze Rechnung beendigt war.

Wo aber Zwischenrechnungen, sei es durch Niederschrift, sei es durch Marken aus freier Hand, zeitweilig fixiert werden mussten, kam ein geübter Rechner nur dann schneller vorwärts, wenn er entweder auf der Staubtafel (s. Bd. I S. 9f.) die Columnen sich zog, darin bezw. daneben die Aufgabe niederschrieb und Schritt für Schritt in jeder Columne Zahlzeichen durchstrich und andere dafür einschrieb, oder wenn er in feste Columnen die Rechensteine, von denen er einen ausreichenden Vorrat haben musste, Zug um Zug einsetzte. Die häufige Erwähnung der calculi bei den Alten zeigt, wie verbreitet diese Rechnungsweise war. Columella, der de r. r. I 3, 8 im allgemeinen von der ratio calculorum spricht, legt III 3, 7–11 die von Graecinus aufgestellte Ertragsrechnung einer Weinpflanzung vor: nämlich anfängliche Kosten für Land, Rebenpflanzung und Zubehör 29 000 Sesterzen, hierzu auf 2 Jahre, während deren es noch kein Erträgnis giebt, 6% jährliche Zinsen (vgl. unten § 41); macht 3480 Sesterzen; also zusammen 32 480 Sesterzen Anlagekapital. Dieses nun müsse jährlich mindestens 6% Zinsen = 1950 Sesterzen abwerfen (1950 sind rund statt 19484/5 gerechnet). Zu Anfang aller dieser Ausrechnungen, zu denen ja viele Zwischenrechnungen gehörten, bemerkt Columella: ut diligens ratiocinator calculo posito videt, und zum Schluss: hic calculus, quem posuimus, Graecini rationem continet; die ganze Rechnung war also seiner Meinung nach vermittelst der Rechensteine ausgeführt worden.

40. Wie bei den Griechen, so ist auch bei den Römern das Fingerrechnen von den frühesten Zeiten an üblich gewesen. Plinius (n. h. XXXIV 33) und Macrobius (Sat. I 9, 10) berichten, dass ein vom König Numa errichtetes Standbild des Ianus durch die Stellungen der Finger die 365 Tage des Jahres (nämlich nach Macrobius die Zahl 300 mit den Fingern der rechten und 65 mit denen der linken Hand) ausgedrückt habe. Auch sonst wird das Fingerrechnen von alten Schriftstellern erwähnt (Plaut. mil. glor. 204. Quintil. XI 3, 117. Sueton. Claud. 21. Iuvenal. X 249. Plin. n. h. XXXIV 88. Apul. apol. 89. Macrob. Sat. VII 13, 10). Im allgemeinen übten es die Bauern (Quintil. a. a. O.) und die niedere städtische Bevölkerung, allein selbst Kaiser Claudius scheute sich nicht, es darin dem gemeinen Manne gleich zu thun (Sueton. a. a. O.); ja die Redner mussten es förmlich studiert haben, um Ausrechnungen, die sie etwa vorzutragen hatten, durch die richtigen Fingerbewegungen zu verdeutlichen (Quintil. I 10, 35). Was der gelehrte Mönch Beda zu Anfang des 8. Jhdts. de loquela per gestum digitorum [1114] niederschrieb (Bedae opera, Colon. 1688, I 127ff., vgl. dazu E. F. Wüstemann in Jahns Jahrb. f. Philol. Suppl.-Bd. XV 1849, 511ff.), beruht teilweise gewiss auf antiker Überlieferung; denn es sind römische tesserae erhalten, auf denen ganz ähnliche Fingerstellungen, wie bei Beda, abgebildet und durch beigeschriebene Zahlzeichen gedeutet sind. Cantor 491. 778ff. Marquardt-Mau Privatleben der Römer I² 98f. R. Bombelli Studi archeologico-critici circa l’antica numerazione italica, parte I, Rom 1876, 101ff. Stoy Zur Gesch. des Rechenunterrichtes 31ff. Froehner Le comput digital, Annuaire de numismatique 1884.

41. Die Bruchrechnung ist bei den Römern fast durchaus an die duodecimale Teilung des Asses gebunden gewesen. As (s. d.) bedeutet jede beliebige Einheit, aber stets mit der Bedingung, dass dieselbe in Zwölftel, unciae, geteilt werde. Jedes dieser Zwölftel hatte seine besondere Benennung. Dazu kamen die sescuncia = 1/8 des Ganzen, die semuncia = 1/24, der sicilicus = 1/48, die sextula = 1/72, das scripulum = 1/288. Der Bruch 1/36 wurde durch duae oder binae sextulae, 1/144 durch dimidia sextula ausgedrückt. Auch 1/576, d. i. dimidium scripulum, kommt vor. Hultsch Metrologie² 144f. 149, wo die Belege aus den alten Schriftstellern und einige Nachweise aus Inschriften zusammengestellt sind. Marquardt Römische Staatsverw. II² 48ff.

Unter den Einheiten, auf welche diese Teilung übertragen worden ist, seien hier in Kürze angeführt der Fuss als Längenmass, der Digitus als kleinste Einheit des Längenmasses, das Iugerum, der Sextarias und die Hemina, das Pfund, die attische Mine, der As als Kupfermünze, der Denar, der Tag, die Stunde; aber auch ein beliebiges Grundstück, die Erbschaftsmasse, die centesima als der normale Zinsfuss von 1% monatlich u. s. w. Hultsch Metrologie² 148, vgl. Jahrb. f. Philol. 1876, 255ff. Marquardt a. a. O. 49ff. 60f.

Wie die Knaben in der Schule mit den Zwölfteln rechnen lernten, zeigt Horatius de arte poet. 325ff. an zwei Beispielen: 5 12 1 12 = 1 3 und 5 12 + 1 12 = 1 2 (vgl. Hultsch Jahrb. f. Philol. 1889, 335f. 338f.). Auf den Denarius gingen 16 Münzasse; jeder Betrag von 1–15 solchen Sechzehnteln des Denarius wird von Maecianus distrib. 48ff. (Metrol. Script. II 67f.) auf Uncialbrüche reduciert, z. B. 1 16 = semuncia sicilicus, 2 16 = sescuncia, 3 16 = sextans sicilicus u. s. w. (Hultsch Metrol. Script. II 17f. Marquardt Röm. Staatsverw. II² 51). Sehr complicierte Rechnungen in Uncialbrüchen bis herab zum scripulum des digitus haben dem Frontinus in seiner Schrift de aquis urbis Romae vorgelegen. Da nämlich die lichte Weite von Röhren mit kreisrundem Querschnitt sowohl nach dem Flächeninhalt dieser Kreise als nach deren Durchmesser zu berechnen war, so mussten die scripula des Längendigitus, d. i. Brüche mit den Nennern 2, 3, 4, 6, 8, 12 u. s. w. bis 288, quadriert und umgekehrt aus den [1115] Brüchen des Quadratdigitus Brüche des Längendigitus berechnet werden. Wenn es auch wahrscheinlich ist, dass diesen Ausrechnungen die archimedische Kreisformel (π ∼ 3 1 7 ) zu Grunde gelegen hat, so treten doch den Versuchen, die von Frontinus angeführten Näherungswerte durch Nachrechnen zu controllieren, Schwierigkeiten entgegen, die zur Zeit noch nicht völlig gelöst sind. Vgl. Bücheler Frontin. de aqu. S. Xff. Cantor Römische Agrimensoren 93f. 202. Friedlein 91ff.

Statt der Uncialbrüche konnten gelegentlich, wohl unter dem Einflusse griechischer Quellen, auch Stammbrüche mit beliebigen Nennern eintreten, welche geeignete Abrundungen darstellten (vgl. oben § 12). Plinius VI 210 bestimmt annähernd die Flächenverhältnisse von Europa, Asien und Africa in ganzen Zahlen und Stammbrüchen mit den Nennern 2 und 6. Hieraus berechnet er (wieder in Stammbrüchen), welche Teile des Orbis terrarum jeder dieser Continente für sich darstellt, nämlich Europa >   1 3   +   1 8 , Asien =   1 4   +   1 14 Africa =   1 5   +   1 60 . Diese Brüche ergeben in Summa =   837 840 , d. i. nahezu 1. Plinius hat also richtig gerechnet; denn von dem Betrage für Europa =   1 3   +   1 8 hatte er ausdrücklich gesagt, dass er etwas zu niedrig angesetzt sei. Sollte die Rechnung glatt stimmen (was jedoch nach den Voraussetzungen des Plinius nicht zu verlangen ist), so müssten wir Europa =   1 3   +   1 8   +   1 280 setzen. Mit Unrecht ändert Friedlein 90f. den richtig überlieferten Bruch quartamdecimam in sextamdecimam.

Die Anfänge einer decimalen Bruchrechnung waren den Römern mit Einführung ihrer Hauptsilbermünze, des denarius, d. i. des Zehnfachen des Kupferasses, gegeben. Merkwürdigerweise wurde diese Teilung später auf das Viertel des Denars, den sestertius, übertragen. Das Zehntel hiess nach dem sicilischen Litrensystem libella. Diese wurde ihrerseits in Hälften, sembellae, und Viertel, teruncii, zerlegt. Die Rechnung nach solchen Brüchen hiess ratio sestertiaria. Mommsen Röm. Münzwesen 197ff. (Traduction Blacas I 235ff.). Hultsch Metrologie² 275f. Maecianus distrib. 64–73 (Metrol. script. II 69f.; vgl. Hultsch ebd. 19f.).

Noch entschiedener war die Decimalteilung seit der Zeit Sullas bei der Zinsrechnung ausgeprägt. Als normaler Zinsfuss galt eine centesima für den Monat, d. i. 12% jährlich. Auf diesen Ansatz wurde man wohl zuerst durch die Erwägung geführt, dass ausgeliehene Kapitalien in den allermeisten Fällen Vielfache von 100 Sesterzen darstellten. Dazu kam, dass von jeher die Zinsen monatlich berechnet zu werden pflegten und der Zinsfuss von 1% monatlich zeitweilig in der That üblich war. Endlich war die Ausrechnung von centesimae partes in gesprochenen Zahlwörtern (§ 38), wenn auch durch die römische Zahlenbezeichnung nur wenig unterstützt, jedenfalls weit leichter als die Uncialteilung, wenn diese bis zu den scripula durchgeführt wurde. Nachdem nun diese centesima als Einheit für die Zinsrechnung [1116] geschaffen war, wurden höhere Zinsen, die oft genug vorkamen, als binae centesimae = 24% jährlich, ternae centesimae u. s. w. bezeichnet. Im allgemeinen aber stand der Zinsfuss niedriger als 12% jährlich; es waren also Teile der centesima, in denen dann der Zinsfuss ausgedrückt wurde. Hier trat nun wieder die Uncialteilung ein. Eine Verzinsung zu 6% jährlich, d. i. nach Columella de r. r. III 3, 9 semisses usurarum, ist oben (§ 39) erwähnt worden. Dabei galt also als Zinsfuss statt der monatlichen centesima nur deren Hälfte; ausserdem kommen usurae quincunces = 5% jährlich, trientes = 4%, quadrantes = 3% vor. Hiermit waren die Vorbedingungen gegeben, um für jedes Kapital und nach jedem in Praxis vorkommenden Zinsfuss die Zinsen auf jede gegebene Zeit so leicht zu berechnen, als es mit römischen Zahlwörtern und Zahlzeichen nur immer möglich war. Marquardt Röm. Staatsverw. II² 60f. Hultsch Jahrb. f. Philol. 1889, 335ff.

42. So haben die Römer mit ihrem auf das Praktische gerichteten Sinne die Rechenkunst nach verschiedenen Seiten hin ausgebildet. Was sie ausserdem noch auf dem Gebiete der Arithmetik geleistet haben, beschränkt sich auf die Benutzung und Verarbeitung einiger in griechischen Quellen behandelten Stoffe. Wir geben hier nur einen Überblick und verweisen dabei ein für allemal auf die Einzelartikel, welche den einzelnen 10 Autoren gewidmet sind. Terentius Varro hat die arithmetica im V. Buche der disciplinae, d. i. seiner Encyclopädie über die neun artes liberales behandelt. Bei Columella und den Agrimensoren findet sich mancherlei, was der heronischen Geometrie entnommen ist, meist Geometrisches, aber auch einiges Arithmetische (Cantor 509ff.). Die ἀριθμητικὴ εἰσαγωγή) des Nikomachos wurde von Apuleius von Madaura um die Mitte des 2. Jhdts. ins Lateinische übersetzt (Cassiodor. instit. II 586 b Garet). Um 400 schrieb Macrobius seine Commentare zum somnium Scipionis, in denen neben anderen mathematischen Erläuterungen auch einige arithmetische Notizen vorkommen. Schon ganz am Ende des Altertums stehen Victorius mit seinem Rechenbuch, das er argumentum calculandi betitelte, und Martianus Capella, der im VII. Buche seines Sammelwerkes de nuptiis philologiae et Mercurii nach dem Muster des Nikomachos und im engen Anschlüsse an Varro de arithmetica handelte. Im 6. Jhdt. hat Boethius in 2 Büchern de institutione arithmetica vielen wertvollen Stoff aus älteren Quellen zusammengetragen. Auch auf Cassiodorius, der in seinen institutiones divinarum et saecularium litterarum an Varro und Martianus Capella sich anlehnte, und auf Isidorus im III. Buche seiner Origines ist zum Schluss noch zu verweisen.

[Hultsch.]

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