.
2) Ἀγορά hiess bei den Griechen zur Zeit des heroischen Königtums die allgemeine Versammlung des Volks. Solche Versammlungen gelten bei Homer als unzertrennlich von dem Begriffe eines geordneten Staatswesens, und selbst das rohe Volk der Laestrygonen hat seine A. (Od. X 114); ein rechtloser Zustand ist, wo es keine solche giebt, wie bei den Kyklopen (Od. IX 112). Die allgemeinen Umrisse, in denen sich dergleichen Versammlungen bewegten, liegen in den homerischen Gedichten vor, obgleich eigentliche Volksversammlungen nur in der Odyssee vorkommen und die in der Ilias erwähnten dem in ihr behandelten Stoffe gemäss, mit Ausnahme der XVIII 497ff. geschilderten Gerichtsversammlung, blos kriegerische sind. In der Regel wurden beide durch den Herold vom Oberhaupt berufen, jene von dem Landesfürsten (Od. VIII 1ff.), diese von dem Hauptanführer des Heeres (Il. II 50. VIII 489). Daher war zu Ithaka in Abwesenheit des Oberhauptes 20 Jahre lang das Volk nicht einberufen worden (Od. II 26). Es kommt auch vor, dass ein Edler – wiewohl nicht jeder beliebige, sondern ein Achilleus – es sich herausnimmt, das Heer zusammenzuberufen, und zwar ohne deshalb Einspruch von seiten des Oberanführers zu erfahren (Il. I 54. XIX 40f.). In Abwesenheit des Vaters entbietet der inzwischen erwachsene Telemach das Volk zur Versammlung (Od. II 6); aber es war offenbar ein Ausnahmezustand in Ithaka, der es selbst gerechtfertigt haben würde, wenn irgend ein Andrer, sei es der Jüngeren oder der Älteren, versteht sich aus der Reihe der Edeln, sich dies Recht angemasst hätte, um dem Volke eine Mitteilung zu machen oder öffentliche Angelegenheiten zur Sprache zu bringen (Od. II 25ff.). Aber geradezu regellos und aufrührerisch ist der Auftritt Od. XXIV 420ff., wo das erbitterte Volk aus eignem Antrieb zusammenläuft. [878] Vorbereitet wurden die Versammlungen durch vorgängige Verhandlung des Oberhaupts mit den Häuptern der edlen Geschlechter, die ihm als βουλή oder Kriegsrat im Felde (Il. II 53. X 195; vgl. I 258. II 194; Od. III 127), sonst als Rat der Geronten zur Seite standen, abgehalten im Kriege an verschiedenen Plätzen, wie sich die Gelegenheit bot, im Lager (Il. XVIII 245), bei den Schiffen (Il. II 54. VII 383), auf dem Schlachtfelde selbst (Il. VIII 489), daheim an regelmässig dazu bestimmten Stellen, wie auf dem Markte oder in Troia auf der Burg beim Palast des Königs (Il. II 788. VII 346), bei den Phaiaken in der Nähe des Hafens (Od. VIII 5). Daselbst waren steinerne Sitze angebracht für den König (Od. II 14) und die Geronten (Il. VIII 354. XVIII 503). Das Volk sass oder lagerte nach Massgabe des Raumes (Il. II 96ff.; Od. VIII 16). Wer sprechen wollte erhob sich und erhielt vom Herold das Skeptron zum Zeichen, dass er das Wort habe (Il. VI 101. 279. XXIII 567; Od. II 37). Gelegentlich vertritt dessen Stelle der Speer (Il. VIII 493). Das Wort führen der König und die Edeln, dem gemeinen Manne ziemt es mindestens nicht zu sprechen (Il. XII 212). Wachsmuth (hell. Altertumsk. I 345; vgl. K. O. Müller Dorier II 5. Nitzsch Anm. zur Odysse I 68. Schömann Gr. Alt. I 25) läugnet das Recht für den Mann aus dem Volke mitzusprechen, dagegen hat Friedreich (Realien in Ilias und Odyssee 407) dem Volke dieses Recht vindiciert, während Fanta (Der Staat in der Ilias und Odyssee 87ff.) eine Scheidung älterer und jüngerer homerischer Partien in dem Sinne vornimmt, dass nach dem ältesten Zustand das Volk entscheiden kann unter Vorbehalt eines Vetorechtes des Königs, in dem jüngeren aber blos um zu hören berufen wird. Die Stellen, in welchen blos Beifall oder Missfallen des versammelten Volkes ausgesprochen wird, können natürlich für die Rechtsfrage nicht beigezogen werden. Jedenfalls lässt sich eine Abstimmung nicht nachweisen und zeigt sich, dass der Herrscher durch den Ausdruck der Volksmeinung gar nicht gebunden ist (Agamemnon thut Il. I 24 ihr gegenüber ganz nach seinem Gefallen); denn das Volk hat nur zu hören und zu gehorchen, und in der Regel wird der Fürst demselben nur den bereits – sei es selbständig oder in Gemeinschaft mit den Edeln – gefassten Beschluss zur Kenntnisnahme und Nachachtung mitgeteilt haben.
Der Name ἀγορά als Bezeichnung der Volksversammlung ward bald durch die Benennungen ἁλία und ἐκκλησία verdrängt (in einzelnen Fällen hat sich die alte Bezeichnung noch erhalten; so in den delphischen Inschriften CIG 1693 und bei Wescher-Foucart 14; vgl. Swoboda die gr. Volksbeschl. 269) und ging, während er in Athen nur als Bezeichnung für Versammlungen der Corporationen der Phylen und Demen in Gebrauch blieb (CIA II 555. Aeschin. III 27. Demosth. XLIV 36; vgl. Bekker Anecd. gr. p. 327, 23), auf den Platz selbst über, wo anfänglich in der Regel das Volk zusammenzukommen pflegte (Harpokr. s. πάνδημος Ἀφροδίτη), den Markt als Mittelpunkt des öffentlichen Verkehrs. In Thessalien scheint die Bezeichnung für Markt λιμήν und die für Hafen ἀγορά gewesen zu sein, wie Hesychios (s. ἀγορά und λιμήν) berichtet [879] und durch die Inschrift Collitz Dial.-Inschr. 345 bestätigt wird, in Boeotien ἀγών (Bull. hell. VIII 414). In Sparta war dieser gleich von Anfang an von dem Orte, wo das Volk Rat pflog, getrennt und zu letzterem, dem Geiste der lykurgischen Verfassung gemäss, ein offener, von allem zerstreuenden Beiwerk entblösster und gesonderter Platz „zwischen Knakion und Babyka“ angewiesen (Plut. Lycurg. 6). Eine ähnliche Trennung fand in den Städten Thessaliens statt, wo gleichfalls die sogenannte ἐλευθέρα ἀγορά (vgl. Xen. Cyr. I 2, 3) vom Verkaufsmarkte getrennt war (Arist. Polit. VII 11, 2), und denselben Sinn hat wohl auch die ἀνδρεία ἀγορά zu Kyzikos (CIG 3657) im Gegensatz zu der γυναικεία bei Theophr. Char. 2 und Menander bei Pollux X 18. Ebenso ward auch zu Athen, vermutlich infolge des schnell wachsenden Verkehrs, frühzeitig die Volksversammlung vom Markte weg nach einem anderen Platze verlegt; indes benützte man auch dann noch bei gewissen Gelegenheiten eine Abteilung des Marktes zu Gemeindezwecken, wie zur Abstimmung des ganzen Volks beim Ostrakismos. Plut. Aristid. 7. Pollux VIII 20. Lex. rhetor. ed. Porson p. 675.
Einen Marktplatz hatte begreiflicher Weise jede auch noch so kleine Stadt. Derselbe lag möglichst in der Mitte (vgl. Plat. Leg. VI 778 C. Arist. Av. 1005) – in Seestädten dem Hafen möglichst nahe (Vitruv. I 7) – und also im ältesten Teile der Stadt, ausser wo eine spätere Verlegung stattgefunden hatte, wie für Athen vielfach angenommen und bestritten wurde (vgl. Blümner Privataltertümer 134 A. 3). Diese Märkte wird man sich, zumal bei älteren Anlagen, nicht als planmässig und symmetrisch abgegrenzte, wenn auch als möglichst offene und nach Bedürfnis in die einmündenden Strassen hineinreichende Plätze zu denken haben, von Regierungsgebäuden, Tempeln, Hallen u. s. w. umkränzt (s. die Beschreibung der Marktplätze von Athen bei Paus. I 3ff., Korinth II 2, Sikyon II 7, Argos II 21 [vgl. Plut. Pyrrh. 32], Troizen II 31, Sparta III 11, Elis VI 24, Megalopolis VIII 30, Tegea VIII 48 u. s. w.). Von diesem älteren Stil unterscheidet Paus. VI 24, 2 (vgl. VII 22, 2) ausdrücklich den jüngeren, in den ionischen und anderen Städten Kleinasiens einheimischen, der dann in den römischen Kaiserforen seine Fortsetzung fand und nicht nur in grösserer Regelmässigkeit, sondern auch darin bestand, dass das mit Hallen besetzte Marktquadrat als ein selbständiges Bauwerk nach aussen hin vollständig abgeschlossen war und nur durch Thore mit den benachbarten Strassen in Verbindung stand; vgl. E. Curtius Archäol. Zeit. 1848, 294f. Im eigentlichen Griechenland ist dieser Stil nicht nachweisbar, und auch der nach dem Plane des Milesiers Hippodamos angelegte Marktplatz im Peiraieus (daher Ἱπποδάμεια genannt, Demosth. XLIX 22) wird sich von den älteren Anlagen der Art höchstens nur durch grössere Symmetrie unterschieden haben.
Die Frequenz auf dem Markte von Athen – denn über andere Städte sind wir weniger unterrichtet – war, mit Ausnahme der heissen Nachmittagsstunden, insbesondere in den Stunden 3–6 (9–12), welche daher mit dem Ausdrucke [880] πλήθουσα ἀγορά, περὶ πλήθουσαν ἀγοράν bezeichnet werden (s. die Erklärer zu Herodot. II 173. Thuk. VIII 92. Diod. XIII 48), stets bedeutend. Zwar nach den Grundsätzen der alten strengen Erziehung galt, zumal für junge Leute, der Besuch des Marktes und anderer öffentlicher Orte für nicht geziemend (Arist. Nub. 991. Isokr. VII 48; vgl. Lys. XIX 55. Is. I 1), und sicher in dieser Zeit schon hat das Beiwort ἀγοραῖος, womit man ursprünglich die Bummler und Herumtreiber auf dem Markte bezeichnete (Suid. ἀγοραῖος, ὁ ἐν τῇ ἀγορᾷ ἀναστρεφόμενος ἄνθρωπος), die Nebenbedeutung des Gemeinen, Pöbelhaften angenommen. Allein gar bald, besonders seitdem Perikles begonnen die grosse Masse am öffentlichen Leben lebendiger zu beteiligen und durch Spenden aller Art aus dem Säckel des Staates zu verwöhnen und zu verziehen, ward das περιέρχεσθαι κατὰ τὴν ἀγοράν (Demosth. XVIII 323. XIX 225. XXV 51. Aesch. III 213; vgl. Demosth. IV 10. 48. VI 14. XVIII 158. XIX 288), zu welchem ohnedies der athenische Bürger in Ermangelung eines häuslichen Lebens und einer berufsmässigen Beschäftigung entschiedene Anlage hatte, förmlich Mode und guter Ton für Jung und Alt. Dort auf dem Markte brachte er daher einen grossen Teil seiner Zeit zu. Von dort hatte man nicht weit zur Volksversammlung auf der Pnyx (Arist. Ach. 21f.), die man seit Einführung des Ekklesiastensoldes nicht leicht versäumte. Nicht nur die wichtigsten Regierungsgebäude, wie das Buleuterion, pflegten auf den Marktplätzen errichtet zu werden, sondern namentlich in späterer Zeit umgaben denselben eine Reihe von Hallen, welche ebenso Schutz vor Hitze und Regen gewährten, als sie ein bequemes Stelldichein für Müssiggänger aller Art boten. Namentlich waren es aber die Kaufbuden und die Tische der Wechsler, um welche sich ein grosses Publicum schaarte. Dort trieb sich auch Sokrates herum, um die Jünglinge zu finden, mit denen er seine Gespräche beginnen konnte. In Athen waren von Kimon vor den Hallen Bäume angepflanzt (Plut. Cim. 13; praec. polit. 24, ähnliche Anlagen auf dem Markte zu Anthedon erwähnt Dicaearch. p. 145), unter denen man promenieren konnte (vgl. Demosth. LIV 7), und ward die Hitze zu drückend, so flüchtete man in die Boutiken, wie Barbierstuben, Salbenläden und Werkstätten, in denen man sich erholte und der Unterhaltung pflog (Lys. XXIII 3. XXIV 20. Aristoph. Plut. 337; Av. 1439. Isocr. XVII 9. VII 15. Demosth. XXV 52. Plut. Nic. 30). Lebensmittel und andere Gegenstände werden in Buden (Harpokr. s. σκηνίτης), hauptsächlich in den Vormittagsstunden, aber auch bis gegen Abend (Dem. XVIII 169), feilgeboten, und dem Besuche derselben konnte der Mann sich um so weniger entziehen, da in der Regel er und nicht die Frau (nur eine Hetäre konnte sich das erlauben, Athen XIII 580 C) die nötigen Einkäufe besorgte (Arist. Lys. 555ff. Aesch. I 65); höchstens dass man sich dazu eines Sklaven (ἀγοραστής, Athen. IV 171 A. Pollux III 126) oder einer Magd bediente (Lys. I 16), oder auch durch einen προύνεικος (Hesych. Etym. Gud.), einen der Lastträger oder Eckensteher, die auch κολωνῖται hiessen, weil sie am Kolonos unweit des Marktes ihren Standplatz hatten (Poll. [881] VII 133. Harpokr. s. κολωνῖται), den Einkauf nach Hause schaffen liess. Zum Behuf dieses Verkehrs war der Platz in Sectionen, κύκλοι, eingeteilt (Pollux VII 11. X 18. Aelian. var. hist. II 1. Harpokr. und Hesych. s. κύκλοι. Schol. Arist. Eq. 137), von denen wieder jede nach den dort feilgehaltenen Gegenständen benannt wurde, und zwar so, dass man den Namen der Ware schlechthin zur Bezeichnung des Ortes selbst gebrauchte. Harpokr. s. δεῖγμα. Pollux IX 47. X 19. So hiess der Ort, wo Fische feil waren, τοὖψον (Aesch. I 65; auch οἱ ἰχθύες, Arist. Vesp. 789 und Antiphanes fr. 125 K. = Athen. VII 287 E., sowie ἰχθυόπωλις, Plut. vit. X orat. 849D), wo Gemüse, τὰ λάχανα (Arist. Lys. 557), wo frischer Käse, ὁ χλωρὸς τυρός (Lys. XXIII 6), wo Nüsse und andere Früchte, τὰ κάρυα, τὰ ἀκρόδρυα (Theophr. Char. 11), wo Parfümerien, τὸ μύρον (Arist. Eq. 1375), wo Töpfe, αἱ χύτραι (Arist. Lys. 557), wo Eisenwaren, ὁ σίδηρος (Xen. Hell. III 3, 7), und vieles Andere bei Pollux a. a. O. und anderwärts. Über den ganzen Marktverkehr s. besonders Becker Charikles II 124ff. C. F. Hermann (Blümner) Privataltert. § 18; vgl. auch O. Müller im Ind. lect. Gotting. 1839/40.
[Szanto.]
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