- Kunst Galerie -

 

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Clemens Brentano

Herausgegeben und eingeleitet von Alphons M. von Steinle
Petrus Verlag, Trier, 1912

* Einleitung

In weiter Kammer schlief ich und die Brüder
  Auf stillen Betten, die der Traum umspielet;
  Der Amme Lied ertönte still, und nieder
Die Winternacht mit kalten Sternen zielet.
  Gesegnet seid, ihr ernsten nächt'gen Scheine,
  Die ihr mir in die junge Seele fielet!
Ich fühlte ruhig mich, in Frieden klar und reine;
  Der Brüder Herzen hört ich um mich schlagen,
  Ergötzt war meine Brust, ich wacht alleine,
Hört sie im Traum die kindschen Wünsche klagen.
  Der eine sprach von Wagen und von Rossen.
  "Hinan, hinan!" hört ich die Schwester sagen,
"Ein Auge schließ ich auf der Leiter Sprossen,
  Daß mich der tiefe Abgrund nicht ergrause."
  Sie wußte nicht, daß beide sie geschlossen.
Die andre sprach von ihrem Blumenstrauße,
  Wie er schon wieder frisch erblühen werde;
  Und die ihr nah: "O tritt die Spitzenkrause
Mir nicht so liederlich hin an die Erde!"
  Doch ferner schlummert einer; heftig bebet
  Sein Busen, und mit trotziger Gebärde
Spricht er: "Seht hin, Geliebte, seht, es schwebet
  Der Luftball hoch, ich habe ihn erfunden!"
  Dann wirft er sich im Bette, hoch erhebet
Die Füße er, das Haupt hängt er nach unten.
  Des Fensters Schatten lag gleich einer Leiter
  Auf seiner Decke; künstlich eingewunden
Erseufzt er tief und schlummert lächelnd weiter.
  Auf eines Mägdleins Bette glatt gestrichen
  Erglänzt zur andern Seite Mondschein heiter;
Die weißen Röcklein auf dem Stuhle glichen
  Zwei Engeln, die ihr still zum Haupte wachten.
  Still war sie, bis der Mond von ihr gewichen;
Er senkte sich zur Erde. Sprünge machen
  Sah ich ein Kätzlein schwarz beim letzten Bette;
  Es spielte mit herumgestreuten Sachen,
Ein Strumpfband wars und eine Blumenkette;
  Und als der Mond am Bett hinaufgeschwebet,
  Sah ich's, als ob es glühnde Augen hätte.
Bang hob ich mich, und mir entgegen hebet
  Das Mägdlein sich und sprach: "Wie schön gesungen
  Hat heut die Amme, noch das Herz mir bebet:
Frau Nachtigall, mein Herz ist mir zersprungen."
  So sprach das Kind und legte still sich nieder.
  Ich fühlte mich mit Weh und Lust durchdrungen,
Ein stilles Feuer zog durch meine Glieder.
  Oft hieß es mich empor nach ihr zu sehen,
  Und immer hob ihr lockigt Haupt sie wieder.
Dann sprach sie Worte, mir nicht zu verstehen,
  Gebetet war es, und es war gedichtet,
  Und bis ich sah den Mond mir untergehen,
Blieb mir ihr Haupt genüber aufgerichtet.
  Dann hört ich draußen — harte Worte klangen,
  Bis eine milde Stimm den Streit geschlichtet.
In unsre Kammer leise kams gegangen,
  Von Bette schlichs zu Bette, gab uns Küsse
  Und segnet uns auf Stirne und auf Wangen.
Ich war der letzte. Heiße Tränengüsse
  Fühlt ich aus Mutteraugen auf mich fließen.
  Ich wußte nicht, warum sie weinen müsse,
Ich traute nicht, den Arm um sie zu schließen.
  Und als sie aus der Kammer war geschieden,
  Da mußten meine Augen Tränen gießen,
Da fühlte ich zuerst den Schmerz hienieden!
  Ich betete: "Maria, sei gegrüßet,
  So viele Tränen sie geweint!" und schlief in Frieden.

——

Viel war ich krank, kam wenig an die Sonne,
  Die bunte Decke war mein Frühlinggarten,
  Der Mutter Pflege war mir Frühlingswonne.
Ich konnte oft den Abend nicht erwarten,
  Wenn sie die Wundermärchen uns gesungen,
  Daß rings die Kinder in Erstaunen starrten.
Und keines ist mir so ins Herz gedrungen,
  Als von des süßen Jesus schweren Leiden,
  Wie des Herodes Kindermord mißlungen,
Maria durch Ägypten mußte reiten,
  Und was sie da erfuhr in schweren Nöten,
  Da focht ich in Gedanken gen die Heiden.
Und sah ihr Blut in allen Abendröten. —
  Oft kam ein alter Diener mich besuchen,
  Mit kräftgen Reden meine Zeit zu töten,
Die Tasche leer vom oft versprochnen Kuchen,
  Ein Meister im Versprechen und Beteuern,
  Was oft sich falsch bewärt; dazu ohn Fluchen
Konnt er mit seinen Augen Glaub erneuern.
  Vom Antichrist tät er mir prophezeien,
  Und hat zum Held gen ihn in Abenteuern
Vor allem mich mit einem Schlag geweihet,
  Den scherzhaft er mir auf das Haupt gegeben;
  Doch meine Seele ihn des Ernstes zeihet;
Nichts traf so ernsthaft mich in meinem Leben;
  Der Antichrist erfüllet mich mit Schrecken,
  Und täglich mußt ich vor dem Trüger beben.
Ich sah ihn stets gen mich die Hand ausstrecken:
  Allmächtiger, erleuchte meine Tage
  Und wolle mich vor meinem Feind verstecken!
Und da dem Alten ich die Angst so klage,
  Sprach er: "Wenn du drei Tage ohne Weinen
  Geduldig bleibst, ich dich zur Kirche trage,
Da sollst du dir ein großer Held erscheinen,
  Man wird dich singend bei dem Eintritt grüßen."
  Ich glaubte ihm. Bei aller Krankheit Peinen
Ließ keine Trän ich von den Augen fließen.
  Und als die Stunde endlich war erschienen,
  Ward ich geschmückt vom Kopf bis zu den Füßen.
Ich ließ mich stolz, gleich einem Herrn, bedienen;
  Der Alte selbst trug mich auf seinen Armen
  Und machte übertrieben ernste Mienen.
Ich fühlte mich von Sonnenschein erwarmen,
  Und als wir uns dem alten Kloster nahten,
  Gab an der Pforte ich den frommen Armen,
Die barhaupt bittend uns entgegentraten,
  Was ich besaß: sechs neue blanke Heller.
  Mein Träger ging auf wohlbekannten Pfaden;
Er zeigte links hinab: "Dies ist dein Keller",
  Sprach er, "da hast du deine vollen Fässer
  Mit allen Sorten besten Muskateller!"
Ich glaubte ihm, und mit dem blanken Messer
  Uns da ein schwarz und weißer Mönch begegnet.
  Der Alte sprach: "Nun sieh, stets kommt es besser!"
Und als: "Wer war es?" ich ihm scheu entgegnet —
  "Dies war dein heilger Pater Küchenmeister,
  Was er am Spieße brät, das ist gesegnet.
Er ist aus Schwaben und Marcellus heißt er;
  Er soll den Antichrist zum Spieße stecken,
  Er ist ein Zauberer, beschwöret Geister."
Nun hörte ich durch blühnde Gartenhecken
  Die Orgel aus der Kirche rührend klingen;
  Mich faßte da ein nie gefühlt Erschrecken.
Als endlich zu der Kirche wir eingingen,
  Des Weihrauchs süße Wolken mich umwallten,
  An hohen Säulen goldne Engel hingen,
Der vielen Bilder seltsame Gestalten,
  So stille und so kühl die hohen Bogen,
  Wie unsre Schritte in den Hallen schallten,
Die Orgeltöne jubilierend zogen,
  Und wie die Mönche zu den Stühlen schlichen —
  So wunderbar hat nie mein Herz geflogen.
Der Alte machte mir des Kreuzes Zeichen,
  Mit Weihewasser er mich tüchtig sprengte,
  Befahl mir dann, zu horchen und zu schweigen.
Die Seele sich in meine Ohren drängte.
  Als laut im Chor sie meinen Namen sagen,
  Entzücken sich mit tiefer Angst vermengte.
Die Worte mir wie Feu'r zur Seele klangen:
  "|O clemens, o pia, o dulcis virgo Maria!|"
  Ein ewiges Gefühl hab ich empfangen.
Ruft man mich Clemens, sprech ich still: "|o pia!|
  In meiner letzten Stund dich mein erbarme;
  |O clemens, o pia, o dulcis virgo Maria,|
Empfange meine Seel in deine Arme!"

——

Schon siebenmal war Weihnacht mir erschienen
  Mit ihres Kinderschatzes frommen Glanz;
  Ich konnte lesen und die Messe dienen.
Die Erde stand in Frühlingsfreude ganz;
  Des lustgen Pfingstfests Feier zu begehen
  Schmückt man die Kinder mit dem Blumenkranz.
Zur Kirche sah man tausend Kinder gehen;
  Es teilt die Firmung dort der Bischof aus,
  Daß sie bestätigt in dem Glauben stehen.
In Feierkleidern trat ich aus dem Haus
  Und zog mit vielen Kindern zu der Weihe,
  Wie sie geschmückt mit einem Blumenstrauß.
Am Chore kniend in der langen Reihe
  Hab ich vom Bischof da das Öl empfangen
  Auf meine Sirne, Gott mir Kraft verleihe!
Den Backenstreich empfingen meine Wangen,
  Daß ich gedenke an den ernsten Tag,
  An dem zur Kirch ich neu bin eingegangen.
Derb und empfindlich schien bei mir der Schlag;
  Er sah in mir wohl jenes irdsche Wanken,
  Das zu bestimmen noch ich kaum vermag.
Ich trat erschüttert aus den heilgen Schranken,
  Und meine Stirn umschlang ein blaues Band.
  Jedoch in mir, da schwankten die Gedanken,
Denn mir zur Seite an dem Altar stand
  Ein kleines Mägdlein, das mich tief gerühret;
  Ich faßte heftig ihre kleine Hand
Und habe sie zwei Schritte wohl geführet.
  Da sprach mein Führer: "Laß das Mägdlein stehn!
  Dergleichen Spiel allhier sich nicht gebühret."
Sie schied von mir, ich mußte weitergehn;
  Verschlungen ward dies Kind mir von der Menge,
  Und nimmer hab ich wieder es gesehn.
Von Sehnsucht wird noch jetzt die Brust mir enge;
  Ich suche jetzt wohl noch nach jenem Kinde,
  Und immer mehr tritt mirs aus dem Gedränge.
Traf mich des Priesters Hand dort nicht gelinde,
  So traf mich schärfer noch mit seinem Pfeil
  Der kleine Cupido mit seiner Binde.
Des Priesters Schlag rührt mich nur kurze Weil,
  Und nie genas ich von der Liebe Wunden;
  Der Tod empfängt den Kranken noch nicht heil.
Du zartes Mägdlein, dir mir dort verschwunden,
  Siehst du auf Erden noch das süße Licht,
  Hast du gelebt und hast du Leid empfunden,
Begegnet dir dies dunkele Gedicht:
  Nimm hin den Gruß und Dank, du Namenlose,
  Im irdschen Traum du himmlisches Gesicht!
Und schläfst du schon in unsrer Mutter Schoße,
  So falle dir aus meinem ernsten Kranz
  Ein Opfer auf das Grab: die weiße Rose!

——

Getrennet lebte fern ich von den Meinen
  In strenger und unmütterlicher Zucht.
  Denk ich der Zeit, seh ich sich mir versteinen
Die Tage in des Lebens Blumenflucht,
  Wie kleine Gärten zwischen steilen Mauern,
  Die nie ein Sonnenstrahl hat heimgesucht,
Wo kalte Marmorkinder einsam trauern,
  Die wilder Buchs und Salbei trüb umkreist.
  Ihr kennet wohl des Knaben einsam Trauern!
Ich fühlte elend mich und tief verwaist.
  Du, Schwester, die die trüben Tage teilte,
  Du fühltest auch, was fremde Pflege heißt.
Den Genius, der früh bei mir verweilte,
  Den sah ich dort zuerst, als unerkannt
  Er mir das junge Herz begeisternd heilte.
Da schmückt ich mich mit einem blauen Band,
  Und fesselt mich mit goldpapiernen Ketten,
  Trug einen Schäferstab in kindscher Hand
Und auf der Brust geweihte Amuletten.
  Ein alter Scherbenhügel war mein Thron;
  Ich sprach: "Wer will den armen Sklaven retten?"
Fürst, Schäfer war ich, und verlorner Sohn,
  Und sehnt mich zu den zarten Wolkenschafen,
  Die durch den Himmel überm Haupt mir flohn.
So war ich einst begeistert dort entschlafen.
  Schon stiegen die Gestirne aus dem Blau,
  Die gütig mich mit ihrem Segen trafen;
Es spiegelte der Traum sich in dem Tau,
  Der meine Stirne kühlend schon benetzte;
  Er führte mich auf eine stille Au,
Wo eine Kinderschar sich laut ergötzte.
  Fremd schienen sie; ich stand an einem Baum,
  Zu dem ich scheu mich endlich niedersetzte.
O seliger, o himmelvoller Traum!
  Ich sah hinauf. Aus deinem Himmel, Linde,
  Zog nieder eines weißen Kleides Saum,
Und nieder stieg ein Kind aus dem Gewinde
  Der Zweige, die es neidisch mir versteckt,
  Ein Ebenbild von jenem Firmungskinde.
Sehnsüchtig hatte ich die Arme ausgestreckt,
  Da kamen sie, dich boshaft mir zu rauben,
  Die Unverständ'gen haben mich geweckt.
Nie blüht ihr wieder mir, ihr Jugendlauben,
  Im Fackelschimmer nie betrogner Lust!
  Die Liebe starb, die Hoffnung und der Glauben.
Was füllet jetzt die narbenvolle Brust?
  Verbrannt das Herz! wie knirscht die tote Kohle!
  Das habt ihr stillen Tränen wohl gewußt.
Zur Stube mußt ich, harte Worte holen,
  Zur Strafe büßt ich ein mein Abendbrot,
  Als hätte ich, was Gott mir gab, gestohlen:
Des selgen Traumes tiefes Abendrot.
  Da war mein Herz im Innersten ergrimmet,
  Ich fühlte recht, was mir zum Dasein not:
Ein Himmel blau, in dem die Hoffnung schwimmet,
  Ein Schmerz in meiner freien starken Hand,
  Die ihn nach ihren Melodien stimmet.
Und alles dies, was da zuerst ich fand,
  Ward mit Moralien und trocknen Blicken
  Zertrümmert mir, was niemals ich verstand.
Entschuldigend erzählt ich mein Entzücken;
  Da lachte man den armen Träumer aus,
  Den Scherbenkönig, drehte mir den Rücken;
Und als ich weinte, bracht man mich hinaus
  Zum dunklen Gartensaal voll Malereien,
  Der immer mich erfüllet hat mit Graus.
Es schienen da in traurig langen Reihen
  Die Bilder von den Schatten überbebt,
  Die mondumspielte Rebenlauben streuen.
Den Richter sah ich, der das Schwert erhebt,
  Vor Salomon das Kindlein zu zerspalten;
  Es schwankt das Laub, er zuckt, er scheint belebt.
Ich schauderte und konnte mich nicht halten
  Und kniete nieder vor Mariens Bild.
  Die Hände hab ich innig da gefalten
Und flehte kindisch zu der Mutter mild:
  "O, Mutter Gottes, hilf dem armen Kinde!"
  Da deckte sie mich mit allgütgem Schild;
Mein Schmerz zerfloß im Beten hin gelinde,
  Es senkte nieder sich der ernste Traum,
  Ich schlummert ein im Schatten jener Linde.

* Romanzen vom Rosenkranz
** Romanze I: Rosablankens Traum

"Bitte für uns arme Sünder
Jetzt und in dem Tode, Amen!"

Spricht sie — und vom Stern der Frühe
Weissagt auch die fromme Schwalbe,
Und des Traumes schwülen Flügel
Spannt sie über Rosablanken.

Auf der goldnen Locke Fülle,
Schwer vom blanken Nacken wallend,
Sinkt ihr schlummernd Haupt zurücke,
Himmelsspiegel wird die Wange.

Schüchtern um die rosgen Füße
Ihr der Tau die Traumflut sammelt,
Und der West mit kühlem Flüstern
Dunkle Schlummersegel spannet.

Und der Traum spielt, sie berückend,
Auf der Wimpern goldnen Strahlen,
Die zum Schlummer sind entzücket
In des Morgensternes Glanze.

Und es kreuziget die Süße
Fromm gewohnt sich Stirn und Wange,
Legt in Gottes Hand die Zügel
Der nachtwandelnden Gedanken.

Von den lichtergrauten Hügeln
Nieder zu des Tales Garten
Durch die Nebelwege düster
Sieht sie einen Jüngling wallen.

Zu des Gartens Rosengrüften,
Wo die Düfte schlummernd schwanken,
Eilet Rosablanka schüchtern;
Jener folget ihrem Pfade,

Wandelt ernsthaft durch die Türe,
In der Rechten einen Spaten,
Und sie wagt nicht, ihn zu grüßen,
Also hell und finster war er.

Und sie pflückt gebückt in Züchten
Süße Blümlein, die noch schlafen,
Die unschuldgen, ohne Sünde,
Ohne Taufe, ihm zum Kranze.

Da sie scheu den Kranz schon ründet,
Steht vor ihr der trübe Wandrer,
Spricht: "Wohl selig sind die Blüten,
Die du tötetest im Schlafe;

Selig in der Nacht gepflücket,
Die in Unschuld sind empfangen,
Die nicht traf der Fluch der Sünde,
Starben selig vor dem Apfel.

Aber uns tut not zu büßen,
Denn das Weib ward durch die Schlange
Zu dem Gottesraub verführet,
Den sie teilte mit dem Manne.

Und so hat der Herr erzürnet
An die Erde uns gebannet;
In der Mutter muß ich wühlen
Nach dem göttlichen Erbarmen.

Mit dem Fleische ist die Sünde
Aus der Erde aufgegangen;
In der Mutter muß ich wühlen,
Bis der Vater sich erbarmet!"

Und vor Rosablankens Füßen
Fing der Ernste an zu graben,
Und da er die Gruft erwühlet,
Hat die Erde ihn umfangen.

Mit ihm zu der Erden Grüften
Sinken auch des Tales Schatten;
Aus den Gründen zu den Hügeln
Tritt die Nebelwoge wachsend.

Trüb getürmt auf düstern Füßen
Schwankt der Riese auf am Walde,
Schwingt die Nacht auf seinen Rücken,
Kalt die Nebelfäuste ballend.

Trügend rüstet sich der Lügner
Mit dem Sonnengott zum Kampfe,
Der auf goldnen Flügelfüßen
Flammet aus dem Ozeanen.

Seinen Spiegel stellt er lügend
In der Dünste giftgem Walle
Antichristisch ihm genüber;
Jeder wache, nicht zu fallen!

Wo der Traum in irdschen Gründen
Barg den Mann, will Rosablanke
Ganz in tiefer Angst entzücket
Ihren Blumenkranz begraben.

Aber ihr entgegen züngelnd
Reckt sich eine bunte Schlange,
Und mit heilgem Mut gerüstet
Betet bebend Rosablanke:

"Sei verflucht, du Geist der Lügen,
Dich zertrat des Weibes Samen;
O Maria, sei gegrüßet,
Mutter Gottes, voller Gnaden!

Amen!" und aus Himmelsflüssen Gießt sich aus ein Meer des Glanzes: __Maris Stella__ sei gegrüßet, __Semper virgo, ave, salve!__

Und der Jungfrau Heldenfüße
Traten auf das Haupt der Schlange;
Kindisch ihre Schuld zu sühnen
Gibt dem Kranz ihr Rosablanke.

Aber auf des Tales Hügeln
Glüht die Sonne, und es wallen
Schon die Bienen nach den Blüten,
Und es eilt die fromme Schwalbe,

Kühlt des Traumes schwülen Flügel
Auf dem Spiegel klarer Wasser,
Und beträufelt mit dem Flügel
Weckend Rosablankens Wange.

** Romanze II: Kosme und Rosablanka

Auf des Fensters Efeuranken
Spielt der Strahl der jungen Sonne,
Und des Laubes Schatten schwankend
Weckt den greisen Vater Kosme.

Schlummerstille ist die Kammer
Rosablankens, als er horchet,
Und er trägt den Krug zum Bache,
Füllet ihn mit frischem Borne.

Aus dem Wasserspiegel mahnet
Ihn des Alters ernster Bote;
"Du wirst bald die Schuld bezahlen!"
Spricht des Hauptes Silberlocke.

Betend senkt er in dem Schatten
Seine Stirne an den Boden;
Mit ihm betet auch das Wasser
und des Gartens heilge Rose.

Und des Tales Sänger alle,
Blumen, Bäume, hohe Wolken,
Schallend, wachend, atmend, wandelnd,
Opfern fromm der goldnen Sonne.

Aber zu der Kinder Lallen
Weint der graue Büßer Kosme,
Denn um seine Hütte wachsen
Weiße, rote, gelbe Rosen.

Schamvoll, schuldvoll überschwankend
Wiegt die rote, blutge Rose —
Ach, sie treffen ihn gleich Stacheln —
Stumm zwei Knospen an der Sonne!

Abgewendet von dem Alten
Unterm Zorn der dunklen Dornen
Läßt die gelbe Rose wanken
Tränenschwere Trauerglocken.

Und die weiße Rose, zagend,
Gleicht dem Geiste einer Nonne,
Bleicht den Schleier weinend, wachend
Ewig unter Mond und Sonne.

Jetzt auch zu dem Bache wandelt
Rosablanka, während Kosme
Betend liegt; mit kühlem Wasser
Netzt sie Wange, Brust und Locke,

Ihre Stimme noch umfangen
Von des Traumes Nebelkrone,
Und die Augen scheu umflattert
Von der Sonnenbilder Flocken.

Doch des Wassers Spiegel mahnet
Zu dem frommen Wunsch die Fromme:
"Könnte alle Schuld ich zahlen
Mit der goldnen Flut der Locken!"

Ihre Worte hört der Alte,
Und spricht zu ihr: "Fromme Tochter,
Sei gesegnet an dem Tage,
Da du bist zum Licht geboren!

Aber bleich sind deine Wangen,
Und die Augen trüb umfloret?" —
"Vater, schwere Träume brachte
Diesen Morgen mir Aurore.

Überm Haupte bang gespannet
Schwankt und droht des Traumes Bogen,
Den zerbrochen mir die Schwalbe,
Niederträufelnd einen Tropfen." —

"War es Feuer, war es Wasser,
Rosablanka, was dir drohte?
War erwühlet dir der Garten?
Bebte unter dir der Boden?" —

"Ja, es waren Tränen, Vater,
Und es war die Glut der Rosen,
Und um göttliches Erbarmen
Ward erwühlt des Gartens Boden." —

"Wehe! wehe! Rosablanka,
Der gewühlet in dem Boden,
Fand er göttliches Erbarmen
Oder blieb sein Werk verloren?" —

"Er ging unter still ermahnend,
Über ihm ist aufgeschossen
Eine bunte, schöne Schlange,
Dringend hin nach meinen Rosen."

"Wehe! wehe! Rosablanka,
Gabst du hin die heilgen Rosen?
Hat die bunte, schöne Schlange
Dich mit bunter Luft betrogen?"

"Von dem Himmeln kam gegangen
Die den Heiland hat geboren;
Sie zertrat das Haupt der Schlange
Und ich gab ihr hin die Rosen." —

"Sei gesegnet, Rosablanke,
Für die Worte voller Trostes!
Daß sich mein der Herr erbarme
Mag ich nun in Demut hoffen." —

Tiefbeweglich sprach der Alte,
Und es wagte nicht die Fromme
Nach der Rede Sinn zu fragen,
Sie sah schüchtern an den Boden.

Aber zu der Hütte wandeln
Beide nun, und Vater Kosme
Spricht: "Nun gehe zu dem Garten,
Fülle deinen Schoß mit Rosen,

Während ich die Honigwaben
Und das Wachs, das diese Woche
Ich zu Kerzen zog und malte,
Dir in deinen Korb geordnet.

Nach Bologna mußt du wandern,
Eh noch höher steigt die Sonne,
Dort verkaufe deine Ware
Bei den schwarz und weißen Nonnen.

Zwanzig Soldi nur an barem
Gelde nehme ich vom Kloster;
Was dir bleibt von deinem Wachse,
Tausche ein um weiße Brote.

Bringe mir auch Purpurfarbe,
Einen Gran geriebnen Goldes,
Und Ultramarin zwei Asse
Aus dem Kram am römschen Tore.

In dem Kloster zu Sankt Claren
Gibt dem Meßner zwanzig Soldi,
Daß er morgen, eh es taget
Eine Seelenmesse ordne.

Morgen sind es zwanzig Jahre
Daß die Mutter dir gestorben.
Herr, dich ihrer Seel' erbarme
Durch die Mutter deines Sohnes!

Ew'ge Ruhe gibt den Armen,
Die der Erde Schoß bewohnen." —
Amen! betet Rosablanke,
Und geht weinend nach den Rosen.

Da sie kehret, hat der Alte
Ihr den Korb schon wohlgeordnet,
Drüberhin ein Tuch gespannet,
Darauf gießt sie aus die Rosen.

"Was dir bleibet, Rosablanke,
Gib den Armen oder opfre;
Gehe in Gottes Namen." —
Und sie gehet mit dem Korbe.

Kosme schließt das Tor des Gartens
Und der Hütte kleine Pforte,
Riegelt ein sich in der Kammer,
Wäre gern allein verschlossen.

Aber nicht am Tor des Gartens,
Nicht an seiner Hütte Pforte,
Noch der Kammer, hört den Hammer
Er des strengen Gläubgers pochen.

In den Bußen wohnt der Mahner
Alter Sünde, und die Rose
Mahnt am Fenster, und die Schwalbe,
Seiner Armut Gast, mahnt Kosme.

Und die fromme Rosablanke,
Die mit goldner Flut der Locken
Möchte alle Schuld bezahlen,
Ist der strengste Gläubger Kosmes.

Zu der Hütte letzter Kammer
Schleichet bang der alte Kosme,
Dort hält er den Schatz des Jammers
Sich im festen Schrank verschlossen.

Eine Locke blonder Haare,
Die Gewande einer Nonne
Nimmt er weinend aus dem Kasten,
Und dann eine schwere Rolle.

Er befestigt sie am Rande,
Und es rollet zu dem Boden
Ein Gemälde, das der Maler
Unvollendet, halb entworfen.

Unten auf dem Meer der Schatten
Schwankt, umwogt von dunklen Wolken,
Ohne Steuer, ohne Flagge,
Bleich der Kahn des halben Mondes.

An den Seiten aufwärts wallen
Opfersäulen grauer Wolken,
Die den Regenbogen tragen,
Des Triumphes Friedenspforte.

Um des Tores Bogen ranken
Engel sich, aus rotem Golde,
Und von ihren Händen fallen
Purpurrote Morgenrosen.

Wo sie zu dem Monde fallen
Scheinet er von blankem Golde
Eine Sichel, die am Abend
Rosen streute für Auroren.

Aber nächtlich hat die Schlange
Um die Sichel sich gerollet.
O erscheine, Herr des Gartens,
Tritt den Lügner an den Boden!

Denn inmitten dieser Tafel
Ist noch kaum ein Strich gezogen,
Gleich des Blinden Auge starret,
Gott erharrend, hin der Bogen.

Jährlich nur an diesem Tage
Weint vor dem Gewand der Nonne
Und der Locke goldner Haare,
Büßt vor diesem Bilde Kosme.

Wie, an heilgen Jahrestagen
Nur, die Kirche die Kleinode,
Die Reliquien des Schatzes
Auftut, zu der Frommen Troste,

So auch liegt der Schatz des Jammers
Jährlich vor dem Büßer offen
Da geboren Rosablanke,
Da die Mutter ihr gestorben.

Die in schwerer Schuld empfangen,
Die in schwerer Schuld gestorben,
Und es ist der Sünde Vater
Rosablankas Vater Kosme.

Bis in tiefer Reue Flammen
Der Verzweiflung Erz geschmolzen,
Weinet Kosme in der Kammer
Vor dem Bild und Kleid der Nonne.

Und als in des Büßens Asche,
Wie der Blick geschmolznen Goldes,
Hoffnung ihm entgegenlachet,
Geht bereiten er das Opfer.

Er gießt aus gebleichtem Wachse,
Das im Mittagsstrahl zerflossen,
Eine hohe Totenfackel,
Einer Schlange gleich geformet.

Malt sie an mit bunten Farben,
Schmückt sie auch mit Punkten Goldes;
Brennen soll sie am Altare
Bei der Totenmesse morgen.

Und so hat er still gemalet,
Bis zum Garten ging des Mondes
Blanke Sichel, und des Abends
Rosen streute für Auroren.

** Romanze III: Meliore und Apone

Ruhig steht mit seinem Buche
Schon Meliore auf der Straße,
Vor dem Haus der hohen Schule
auf die Mitgenossen harrend.

Er bedenkt die tiefsten Punkte,
Die Apone vorgetragen,
Wünscht ihm eine leichtre Zunge
Und sich schärfere Gedanken.

Daß die Welt aus Gott entsprungen,
Und doch nicht von ihm erschaffen;
Daß Gott sei im Mittelpunkte,
Wo auch nichts sei und doch alles —

Dieses scheint ihm höchstens dunkel;
Aber da er Apo fragte,
Sprach der Lehrer: "Es war dunkel,
Da das Licht noch war im Schaffen.

Bildend in den Kreaturen,
Hatte es nicht Zeit zu strahlen;
Also sei es dir kein Wunder,
Daß es noch bei dir nicht taget.

Fühlst du erst die Macht des Dunkels,
Dann magst du nach Licht recht schmachten,
Nur der Durstgen Wünschelrute
Wird auf kühle Brunnen schlagen.

Ist es mir erst recht gelungen
Euch ins Dunkle einzufangen,
Dann zu sehn des Lichtes Wunder,
Mögt ihr selbst ins Aug euch schlagen." —

Und so gab er sich zur Ruhe,
Wollte nicht mehr weiter fragen,
Ließ ergeben sich hinunter
In der Weisheit Stollen fahren.

Harmoniam der Naturen,
Welche auf smaragdner Tafel
Nach der Sündflut aufgefunden
Zara, in Hermetis Grabe,

Und der Dinge Signaturen
Hat schon Apo vorgetragen,
Und beinahe ists schon dunkel,
Daß man sich ins Aug möcht schlagen.

Aber heute in der Stunde
Wird er hohe Dinge sagen,
Von der Töne Macht und Wunder
Und der Kunst des Liebestrankes.

O, daß er die ganze Stunde
Lehrte von dem Liebestranke,
Denn Meliore kennt die Wunder
Harfenklanges und Gesanges.

Denn es schlug die Liebeswunden
Ihm Biondettas Wunderharfe,
Die um Tanz und Sang und Tugend
Man die heilge Tänzrin nannte.

Doch nun hört an dem Turme
Eine Viertelstunde schlagen,
Und durchs Fenster in der Schule
Apos Stimme lehrend schallen.

Da er so versäumt die Stunde
Von der Kunst des Liebestrankes,
Will er eilen zu dem Brunnen,
Wo der Trank lebendig wallet.

Trunken schlugen seine Pulse,
Da er ihrer Wohnung nahet;
Wie durch dunkle Grüfte, rufend
Sich, verwandte Quellen wandeln,

Sich in ewiger Unruh suchen,
Aber fest in Stein gefangen,
Murmelnd ungeduldig sprudeln,
Können nicht zusammenfallen.

An Biondettens Fenster duftet
Einer blühnden Linde Schatten,
In den Zweigen gehn zur Schule
Gern die süßen Nachtigallen.

Lauschen in den Dämmerungen
Auf der Jungfrau Sang und Harfe,
Wenn die Meisterin verstummet
Wiederholen sie es lallend.

In Bewundrung ganz betrunken
Singt das Bölklein durcheinander,
Die Studentlein ohne Ruhe
Mit dem Federmantel schlagen.

Oft auch mischt ein frecher Kunde
Drein den ungewaschnen Schnabel,
Und die Sänger all im Sturme
Fassen, rupfen ihm den Kragen.

Und entflohn zum nahen Turme
Lehrt der Star die andern Stare
Eines höhern Standpunkts Schule,
Gründend auf der Wetterfahne.

Klagt auch, daß die andern drunten
Seine Hauptideen stahlen,
Macht ein kunterbunt Gemunkel,
Läßt in alle Welt es tragen.

Doch in den Begeisterungen
Weiß die Jungfrau nichts von allem,
Sie hat nur vor Gott gesungen,
Lauschen gleich die Nachtigallen.

So vergleicht der hohen Schule
Er der hohen Linde Schatten,
Wo in überflüssgen Zungen
Ihm Biondettens Sang verhallet.

Ach! er möchte hin zum Grunde
Stürzen dieses Baumes Schatten,
Oder in den Zweigen ruhend,
Die ihm bloß ertönt, betrachten.

Doch ein Bild von Gottes Mutter
Steht auf einsamen Altare
Bei der Linde, ihre Kuppel
Wölbet ihm des Tempels Halle.

Ihm zur Seite steht ein Brunnen
Einsam wie das Bild, es fallen
Leis der Linde Blüten runter
Auf den Spiegel seines Wassers.

Arm ist wohl das Bild an Schmucke,
Handel-, wandellos die Straße,
Aber nächtlich hört die Mutter
Hell Biondettens süßes: Ave!

Und geht sie, im bunten Putze
Schimmernd, zu der Bühne abends,
Teilt sie fromm die Flitterblumen
Mit Marien, voll der Gnaden.

Auf des Altars öder Stufe
Keimen Blümlein in dem Grase;
Nahe ist das Tor, hier ruhen
Gern, sich ordnend, müde Wandrer.

Denn hier steht ein kühler Brunnen
Einsam wie das Bild, es fallen
Leis der Linde Blüten runter
Auf den Spiegel seines Wassers.

Still an des Altares Stufen
Kniet Meliore und betrachtet
Glaubend, was mit Dämmerungen
Ihm der Schule Geist umnachtet.

Eine Jungfrau kömmt zum Brunnen;
Zu der Stadt trägt Rosablanke
Einen Korb mit Wachs und Blumen,
Sprengt die Rosen an mit Wasser.

Sitzt zu ruhn dann auf die Stufen
Bei dem Jüngling am Altare,
Ihre züchtgen Augen wurzeln
Bang auf der Gestalt des Mannes.

Die erfrischten Rosen rufen,
Und er blickt nach Rosablanken;
Wie der Born geweckt die Blumen,
Weckt sein Blick die Rosenwange.

Von geheimer Macht bezwungen
Spricht die Jungfrau: "Herr, im Garten
Bot ich heut dir diese Blumen,
Und du hast sie ausgeschlagen.

Grubst dir emsig eine Grube,
Und empor schoß eine Schlange;
Du gingst in der Grube unter,
Ach in mir ist dieser Garten!

Es erschien mir Gottes Mutter
Und zertrat die böse Schlange,
Und doch fühl ich mich verwundet,
Da ich lebend dich betrachte!"

Und Meliore spricht verwundert:
"Du klagst einem kranken Arzte,
Rettung müßte ich sonst suchen
Vor der Schönheit meiner Kranken.

Du sagst wahr: Längst ging ich unter
In der Wangen Rosengarten,
Der Gesang des süßten Mundes
War mir eine bunte Schlange.

Aber hier steht Gottes Mutter.
Daß sie unser sich erbarme,
Lasse um die Stirn ihr duftend
Einen Kranz von Rosen prangen!"

Und er sitzet auf den Stufen,
Flichten den Kranz mit Rosablanken;
Da bricht durch der Linde Dunkel
Zu dem Bild Biondettens: Ave!

Und es krönet Gottes Mutter
Schon Meliore mit dem Kranze,
Und Biondettens Lied verstummet,
Bitter weinet Rosablanke.

Ihr zum Herzen hingedrungen
Sind die Fluten des Gesanges,
Ihr im Busen ist entsprungen
Eine Quelle des Verlangens.

Und der Tränen Flut wird suchen
Stets die Fluten des Gesanges,
Bis sie einst durch Gottes Wunder
Selig ineinander fallen.

Doch nun eilet mit den Blumen
Nach dem Kloster Rosablanke,
Weil von Schülern dicht umrungen
Apo sich der Linde nahet.

Er mag gern mit seinem Zuge
Durch Biondettens Straße prangen,
Und sie bei dem nahen Turme,
Wo er hauset, stolz enlassen.

Ernsthaft mit gezogenem Hute
Folgt die Schar dem finstern Manne;
Vom Altare springt herunter
Schnell Meliore, ihn erwartend.

Nahet nach demütgem Gruße
Ruhig dann dem finstern Manne.
"Daß ich heut versäumt die Schule" —
Spricht er — "muß ich leider klagen.

Ungeduldig, ohne Ruhe,
Konnt ich nicht die Zeit erwarten,
Und ging aus, sie aufzusuchen,
Aber ich bin irr gegangen."

Zu ihm spricht mit höhnscher Zunge
Apo, scharf ins Aug ihm fassend:
"Und der Irrgang scheint gelungen,
Angenehm ist dieser Schatten.

Dieser Baum hegt geistge Zungen.
Einen Vogel zu erhaschen,
Bist du zum Altar gesprungen,
Und doch führst du leere Taschen." —

"Meister, nein! das Haupt der Mutter
Krönt ich mit dem Rosenkranze,
Während ich, bis du zum Turme
Kehretest, deiner hier geharret.

Denn ich wollte dich ersuchen,
In der Kürze mir zu sagen,
Was in der versäumten Stunde
Mir vom Liebestrank entgangen.

Denn der Töne Macht und Wunder
Kann ich mir schon deutlich machen;
Dieses Baumes geistge Zungen
Über mich sind ausgegangen."

Apo spricht: "Der Töne Wunder
Lehrte dich der Linde Schatten,
Lerne nun von diesem Brunnen
Auch die Kunst des Liebestrankes." —

"Meister, höchlich ich bewundre,
Wie du fein mich höhnend strafest;
Ach! zu tief ist mir der Bunnen,
Und der Eimer schöpft nur Wasser.

Auf des Glanzes Spiegel unten
Sah ich oft ein Antlitz strahlend
Durch die grünen Zweige funkeln,
Aber nimmer steigts zum Rande.

Treulos immer ists verschwunden,
Wenn ich weisheitsdurstig nahte.
Nur das Bild von Gottes Mutter
Weilte ruhig meinen Klagen.

Und so krönt ich sie mit Blumen,
Daß, nach gleichem Preis verlangend,
Auch das schönre Bild des Brunnens
Gütger meiner Andacht achte.

Doch noch immer muß im Durste
Ich am kalten Rande schmachten,
Möcht hinab zu einem Kusse
Stürzend mich im Tode baden." —

"Trage Wasser in den Brunnen." —
Spricht der Meister — "bis zum Rande,
Dann magst du die durstge Zunge
Bald im kühlen Spiegel laben." —

"Meister, was dir nie gelungen",
Spricht Meliore, "soll ich wagen?
Seit dem Teufel hat die Schule
Wasser in den Born getragen.

Doch des Himmels Spiegel unten
Ist noch nie heraufgewallet;
Von der Schule zu gesunden
Will den Blick ich aufwärts schlagen."

So sprach er im Jugendmute,
Als er fühlt der Rede Stachel.
Apo spricht: "Ich sag dem Kruge:
Gehe, bis du brichst, zum Wasser!

Kühner Knabe, willst du Funken,
Fange eh du streichst die Katze!"
Zornig geht er dann zum Turme,
Und Meliore steht verlachet.

** Romanze IV: Rosablanka und Biondetta

Nieder auf Bolognas Gassen
Brennt die volle Mittagssonne,
Und aus hohen Schloten wallen
Weiß des dichten Rauches Wolken.

In den Kellern klimpern Flaschen,
Und auf kühlem Marmorboden
Wird mit silbernem Gerassel
Schon des Reichen Tisch geordnet.

Suchend hie und da den Schatten,
Schleichen von der Klosterpforte
Auch die Bettler zu dem Mahle,
Mit dem vollen Suppentopfe.

Und der Ochse lauscht am Wagen,
Wiederkäuend in der Sonne
Einsam auf dem heißen Markte,
Auf das Plätschern hoher Bronnen.

Aber in der Linde Schatten,
Wo die fromme Tänzrin wohnet,
Scheint der Mittag selbst entschlafen
An dem lieben, stillen Bronnen.

Leis umgrast von seinem Lamme
Auf dem dicht berasten Boden
Ruht ein süßer, kleiner Knabe,
Schlummerglühnd in goldnen Locken.

Jede Blüte hör ich fallen,
Hör des Knaben leisen Odem,
Und die reine Rosablanke
Tritt einher mit ihrem Korbe.

Auf den Stufen des Altares,
Wo sie früh den Kranz geflochten,
Ladet sie zum armen Mahle
Kindlich ein die Mutter Gottes.

Eine goldne Honigwabe,
Auch ein Stückchen weißen Brotes
Und die milchgefüllte Flasche
Nimmt sie aus dem weißen Korbe.

Da erwacht der blonde Knabe
Und steht harrend bei dem Bronnen,
Und es rief ihn Rosablanke:
"Komm, ich geb dir Honigbrote!"

Und er nahet mit dem Lamme
Freundlich sich der Jungfrau Schoße,
Auch ein Vöglein kommt zu Gaste
Von der Linde abgeflogen.

Liebreich lächelt Rosablanke,
Heißt sie allesamt willkommen,
Und es spricht der blonde Knabe:
"Du bist mild, o fromme Tochter!

Was du teilest mit den Armen,
Das hast du dem Herrn geboten,
Der sich deiner wird erbarmen
In der Stunde deines Todes!"

Von der Gäste lautem Danke
Ward Biondetta hergelocket,
Schaut herab zur offnen Tafel,
Will mit ihrer Kunst sie loben.

Leis ergreift sie ihre Harfe,
Singet still herabgebogen:
"Heil dir, Jungfrau, mit dem Lamme,
Mit dem Knaben, mit dem Vogel.

Über deinem frommen Mahle
Weile gern das Auge Gottes,
Denn so liebe Gäste saßen
Einstens um das Tischlein Josefs.

Herr, dies Mahl laß dir gefallen
Zum Gedächtnis deines Sohnes,
Und die arme irdsche Harfe
Klinge bald am Himmelstore."

Als die Worte niederklangen,
Saß die Jungfrau stille horchend,
Ließt die Gäste munter naschen
Brot und Honig aus dem Schoße.

Und Biondetta flüstert sachte:
"Mägdlein, sieh nach deinem Korbe,
Denn das Lamm hat mit der Nase
Schon das weiße Tuch erhoben.

Kindisch horchend meiner Harfe,
Bist du um dein Brot gekommen:
Darf ich dich zu Gaste laden,
So tritt ein in meine Pforte!"

Doch nun spricht der blonde Knabe:
"Eh du gehest, fromme Tochter,
Gib drei Kerzlein mir vom Wachse,
Daß ich sie heut abend opfre.

Ich will dir ein Lied auch sagen,
Wenn ich wieder zu dir komme,
Von dem Knaben und dem Lamme
Und drei wundervollen Rosen.

Ich kenn deines Vaters Garten;
Will es Gott, so komm ich morgen."
Und sie gibt drei schön gemalte
Kerzen ihm, daß er sie opfre.

Eine rote, eine schwarze:
Und er spricht: "Für dich, du Fromme,
Ist die weiße hier — drei Farben
Will ich für drei Rosen opfern!"

Und nun wendet sich der Knabe,
Spricht: "Gedenke dieses Morgens,
Denk der Schlange und des Mannes,
Folge seinen ernsten Worten.

Daß sich unser mög erbarmen,
Der du gabst die frischen Rosen,
Die zertreten hat die Schlange,
Die den Heiland hat geboren!"

Und nun schied er. Tief erbanget
Denkt die Jungfrau seiner Worte,
Bis Biondetta sie ermahnte
Mit der Saiten goldnem Tone.

Ihren Korb nimmt Rosablanke;
Wie von lieber Hand gezogen
Steigt sie zu Biondettas Kammer
Und spricht schüchtern: "Willst du Rosen?

Rosen, rot wie deine Wangen,
Kerzen, rein und schlank gezogen,
Wie dein klarer Leib gestaltet?"
Sprichts und zieht das Tuch vom Korbe.

Kann die Antwort nicht erwarten,
Setzt sich nieder an den Boden,
Fleht: "O schlage an die Harfe,
Singe, singe rein und golden!"

Und Biondetta spricht: "O klare
Jungfrau, schöne Harfe Gottes,
Woll an meinem Herzen schlagen
Von den Armen lieb umschlossen!"

Und es sinket Rosablanke
Ihr ans Herz, und heilig lodert
Über sie die Gottesflamme,
Daß die Seelen dicht verschmolzen.

Daß von ihren süßen Wangen,
Von den rot und weißen Rosen,
Von dem Klang verborgner Harfen
Heilge Tränenquellen flossen.

"Hörst du, hörst du, wie vom Klange
Mir des Herzen Saiten pochen,
Wie von göttlichem Gesange
Sich ein Netz um uns gezogen?

O, wer bist du? meine Arme
Haben einen Schatz gehoben;
O, wer sind wir, die sich fanden?
Sprich, wo wir uns einst verloren?"

Also ward in süßen Fragen
Ihrer Arme Bund erschlossen,
Der mit heimlichen Gewalten
Ihrer Seele Bund geschlossen.

"Da ich früh heut am Altare
Einen Rosenkranz geflochten,
Fühlte ich in dem Gesange,
Liebe, mich an dich verloren.

Durch die Rosen meines Kranzes
Und durch meines Blutes Rosen,
Die in Lieb und Andacht wachsen,
Flocht ich deine Töne golden!" —

"Da ich dich gesehn beim Mahle
Mit dem Knaben, Lamm und Vogel,
Fühlte ich ein tief Erbarmen,
Daß ich hier so einsam wohne.

Wie ein Himmelsglanz die Kammer
Heilgen Möchen in Visionen
Füllet, also füllte strahlend
Mich Verlangen, Lieb und Hoffen!"

Um sich blicket Rosablanke,
Sieht das Stübchen wohl geordnet,
Spiegelblank sind Stuhl und Tafel,
Schrank und Wand von edlem Holze.

Reicher Stoff in reichen Falten
Schwebet um der Fenster Bogen,
Und ein Bilderteppich spannet
Augerquickend sich am Boden.

Und wo es erwünscht, da ragen
An den Wänden, halb erhoben,
Kunstgebildete Gestalten:
Mensch und Vase schön geformet.

Marmor, Glas und Alabaster,
Erze, Silber, Gold und Bronze,
Die Metalle und Kristalle
Sprechen, was der Meister wollte.

"Reich ist, Jungfrau, wohl dein Vater,
Der dir all dies Gut erworben?
Solchen Reichtum zu betrachten,
Ist mir füher nie geworden." —

"Nur der Welt gehört dies alles,"
Spricht Biondetta, "aber folge
Jetzt mir auch zum eigenen Schatze,
Den ich selber mir erworben.

Trete in die enge Kammer,
Sieh mein Bett von trocknem Moose,
Wo ich mit dem Licht erwache,
Mit der Schwalbe Gott zu loben.

Vor dem Fenster schwebt ein Garten
Auf der alten Mauerkrone,
Wo zwei süße Nachtigallen
Meine Lieder wiederholen.

Aber deine Augen fragen,
Was das Tüchlein dort verborgen
Über meinem Betstuhl halte:
Sieh, das Bildnis einer Nonne.

Schlecht ist nur das Bild gemalet,
Doch in seinen Zügen wohnet
Strenge, die mich liebreich strafet,
Liebe, die mich ernsthaft lobet.

Heiliger als alles, alles,
Ist mir dieses Bild geworden,
Seinen Linnenvorhang achte
Höher ich, als sei er golden.

Aber über deine Wangen
Seh ich sanfte Tränen rollen?"
"Kann ich," saget Rosablanke,
"Vor dem Bild nicht weinen wollen?

Denn ich seh auf seinen Wangen
Blasser Lilien Kelch erschlossen,
Der von Tränen bittren Grames
Bis zum Tode überflossen.

Wer hat dir das Bild gemalet,
Wer hat dir das Tuch gesponnen,
Daß sie lieb dir über alles
Und mir auch so lieb geworden?" —

"Was ich weiß, sollst du erfahren,"
Spricht Biondetta, "doch zu sorgen
Bleibt mir vieles noch heut Abend;
Ich muß meinen Putz noch ordnen;

Muß noch stimmen Leir und Harfe
Und die Lieder wiederholen,
Denn schon mahnet mich der Schatten
Meiner Uhr dort an der Sonne."

Schüchtern fraget Rosablanke:
"Hohe Gäste hat entboten
Wohl dein Vater für heut Abend,
Die so reichen Putz erfordern?" —

"Alles das will ich dir sagen,"
Spricht Biondetta, "doch nun folge
Mir zu meinem Kleiderschranke,
Hilf mir die Gewande ordnen."

Vor den Blicken Rosablankens
Stehn die blanken Türen offen:
Ach die seltsamen Gewande
Und die bunten, reichen Stoffe,

Und die schönen Blumen, wankend
Bei den Sternen silbern, golden,
Wie die zarten Federn schwanken # schwonken
Um die leichten, duftgen Flore,

Wie die Diamanten strahlen
Lachend in rotgoldnen Kronen,
Wie die Perlenschnüre fallen
Weinend durch des Purpurs Wogen.

Und in blanken Silberpanzern
Spiegeln dunkle Seidenrosen,
Windend sich um Schwert und Lanze
Aus des Goldhelms stolzem Schoße.

Muschelhut und Pilgerflasche
Hängt am sarazenschen Bogen,
Falsche Stern und Monde prangen
Auf des Turbans üppgen Wolken.

Flitterschuhe und Sandalen,
Bei Kothurn und Goldpantoffeln
Und gespornten Schienen, paaren
Traulich unten sich am Boden.

"Reich ist, Jungfrau, wohl dein Vater,
Der dir all dies Gut erworben?" —
"Nur der Welt gehört dies alles,
Ich bin freier Künste Tochter.

Muß auf offner Bühne tanzen,
Bin zur Lust der Welt erzogen;
Heute sind es nun sechs Jahre,
Daß ich sang die erste Rolle.

Heute sind es zwanzig Jahre,
Daß ich bin gefunden worden
Als ein Kindlein am Altare,
Wo du früh den Kranz geflochten.

Findelkind Mariens nannte
Mich die Tänzrin, die hier wohnte,
Ihr verdank ich Sang und Harfe,
Sie ist meine Mutter worden.

Was mit Staunen du betrachtest,
Ist das Gut, das sie erworben
Und mir gütig hat gelassen,
Als ich sie im Tod verloren.

Da zur Jungfrau ich erwachsen,
Übernahm ich ihre Rollen,
Und sie hat vom offnen Wandel
Sich zu Gott zurückgezogen.

In dem Kloster zu Sankt Claren
Ward sie endlich aufgenommen.
Und im heilgen Kleid begraben
Als ein Mitglied jenes Ordens.

Sterbend hat sie mir gestanden,
Daß ich ihre Findeltochter,
Und mir Zeit und Ort gesaget,
Da ich bin gefunden worden,

In dem Tüchlein eingeschlagen,
Mit dem Bilde jener Nonne,
Und dem Ringlein, das ich trage,
Am Altare bei dem Bronnen.

Heute sind es zwanzig Jahre;
Freitag nachts, als aus der Oper
Einsam sie nach Haus gegangen,
Nahm sie auf mich von dem Boden.

Hat mit mir sich in der Kammer
Mutterheimlich eingeschlossen,
Und von den gemalten Wangen
Liebestränen auf mich flossen.

Da sie sterbend mir dies sagte,
Fragt ich: wer hat mich geboren?
Doch sie konnte mirs nicht sagen,
Ihre Lippe war verschlossen.

Ihre Blicke, aufgeschlagen,
Sahen nach dem Bild der Nonne,
Und auf ihre bleichen Wangen
Kalte Tränen niederflossen,

Die noch traurig darauf standen
Als ich ihr das Aug geschlossen;
Und so sind mit ihr mir Armen
Beide Mütter mir gestorben:

Die mich hilflos mußte lassen
Als sie mich zum Lichte geboren,
Die mich treu in ihre Arme
Als ein Kind hat aufgenommen.

Heute nun zum letzten Male
Will ich tanzen in der Oper,
Will ich meine Wangen malen
Meiner Lehrerin zum Lobe,

In der Künste bunter Flamme
Ihrem Leben noch dies Opfer,
Und dann fromm die jungen Tage
Opfern ihrem selgen Tode."

Alles höret Rosablanke,
Dinge, die sie nie vernommen,
Über manches möcht sie fragen,
Stünd der Schrank nicht vor ihr offen.

Lange steht sie vor den Masken,
Wie umgafft von fremden Volke;
Kindisch wagt sie nicht zu fragen,
Wer die Augen ausgestochen.

Doch fragt sie bei Armors Larve,
Der ein Band von leichtem Flore
Um die Augen war gefaltet:
"Ist ihm auch das Aug genommen?" —

"Da ich einstens trug die Larve,
Sprach Apone unterm Volke:
Wer darf deine Mutter tadeln,
Wenn du spielst des Vaters Rolle!

Da erglühten meine Wangen,
Durch die Maskenöffnung rollten
Heiße Tränen, und die Farben
Um die Augen her verloschen.

Darum hab ich mit dem Bande
Diesen Schaden schnell verborgen,
Und blieb ferner an dem Abend
Von dem Toren unverspottet.

Aber nun sollst du die Haare
Mir für heute Abend ordnen,
Wie um eine Silbernadel
Du die deinen hast geflochten.

Willst du mir die Zöpfe machen?
Ich knie nieder an den Boden,
Und indessen sollst du sagen,
Wer dein Vater, wo du wohnest."

Und sie flicht Biondettens Haare,
Windet sie in feste Knoten,
Während sie vom Rosengarten
Spricht und von dem Vater Kosme.

Wie im Traume heut die Schlange
Gegen sie emporgeschossen,
Wo der ernste Mann gegraben,
Der versunken in den Boden.

Wie dann später am Altare
Sie ihn wieder angetroffen:
"Ach, da hört ich deine Harfe,
Hab mit ihm den Kranz geflochten!

Und jetzt hat der blonde Knabe
Mit dem Lamme und dem Vogel
Zu bedenken ernst ermahnet,
Was der ernste Mann gesprochen.

Ach, ich bin mit Angst umfangen!
Mich umdrängen diesen Morgen
Jener Mann, der Knab, die Schlange,
Du, dein Glanz, das Bild der Nonne!

Beten will ich noch heut Abend,
Beten, recht von Herzen, morgen
An der armen Mutter Grabe,
Die mich sterbend hat geboren.

Auch sie ruhet bei Sankt Claren;
Ich hab morgen angeordnet
Ihre Messe, eh es taget;
Willst auch du hin beten kommen?

Aber halte fest, du wankest!
Sieht, jetzt durch den Flechtenknoten
Steck ich meine Silbernadel,
Bleib der Geberin gewogen!"

Und Biondetta spricht: "Die Nadel
Will ich heut ins Herz mir stoßen,
Wenn ich auf des Spieles Bahnen
Mich dem schönsten Tode opfre.

Wenn die Fluten des Gesanges
Weltlich alle sind zerronnen,
Wenn die Schwingungen des Tanzes
Alle nieder sind gezogen.

Wenn die Saiten meiner Harfe
Weltlich alle sind gebrochen,
Denk ich deiner, Rosablanke,
Dient die Nadel mir zum Dolche!

Und das Ringlein, das ich trage,
Das mit mir gefunden worden,
Nimm es hin zur Gegengabe!
Also bin ich dir gewogen!

Aber wähl auch aus dem Schranke
Irgend ein Gewand dir, Holde!
Zur Erinnrung dieses Tages
Zeige es dem Vater Kosme.

Morgen will ich Sankt Claren
Zu der Totenmesse kommen,
Und dann dir zum Rosengarten
Deines ernsten Vaters folgen."

Lange wählet Rosablanke
Welch Gewand sie nehmen sollte,
Und Biondetta singt zur Harfe,
Ihre Rolle wiederholend:

"Lebet wohl, ihr falschen Farben,
Eitler Tränen Regenbogen,
Sterne, die mit falschem Glanze
Dienten einem Flittermonde!

Meine Tränen sollen wachsen,
Daß sie mit den bittern Wogen
Ganz mein Irdsches überwallen,
Bis die Schuld ist hingenommen.

Aus dem Argen in die Arche
Geh ich, eine Tochter Noä,
Kleide mich in schwarzer Farbe,
Wie der Rabe ausgeflogen.

Kleide schwarz mich gleich dem Raben,
Der als Bote ausgeflogen,
Und so traurig auf den Wassern
Schwebte, bis sie abgenommen.

Schleire mich mit weißer Farbe
Gleich der Taube, die als Bote
Wiederkehrte mit dem Blatte,
Das dem Friedensbaum entsprossen.

Sei gegrüßt, du Tag der Gnade!
Durch den Friedensbogen Gottes
Will ich zu den Vätern wallen
Auf der Opferflamme Wolken."

Also sang sie. Rosablanke
Wählt das Röcklein einer Nonne,
Weiß den Schleier, schwarz den Mantel,
Wie die beiden Friedensboten.

Da sie dies im Korb bewahret,
Und ihn auf das Haupt gehoben,
Singen scheidend sie zusammen,
Wie Biondetta angehoben:

"Lebet wohl, ihr falschen Farben,
Eitler Tränen Regenbogen,
Sterne, die mit falschem Glanze
Dienten einem Flittermonde!"

** Romanze V: Guidos Bild

Welch Getümmel in der Ferne,
Welche wilde, freche Stimmen?
Ach, ich höre Degen wetzen,
Höre böse Klingen klirren!

Näher, näher um die Ecke,
Ganz von Fechtenden umringet,
Weicht Meliore, mit dem Degen
Hebt er künstlich auf die Stiche.

"Freistatt!" ruft er dann befehlend,
Springend nach Mariens Bilde,
"Diese Zuflucht müßt ihr ehren!"
Und sein mutger Ruf gelinget.

Denn ein Angesehner stellet
Sich an seiner Gegner Spitze.
"Wackre Knaben, meine Herren,
Lassen Sie uns hier besinnen,

Fromm und höflich unsre Degen
Senken und fein salutieren,
Höflich schöner Frauen wegen,
Fromm vor dem Marienbilde!

Daß Meliore eingestehe,
Daß uns Zucht und Sitte bindet,
Wie für Wissenschaft gesehen
Er die raschen Klingen blinken.

Darum will ich mit ihm reden,
Unsern Streit nun auszumitteln!"
Sprichts's und tritt dem Feind entgegen,
Den die ganze Schar umzingelt.

Doch an den Altar gelehnet,
Lauscht Meliore auf zur Linde,
Er hat allen Streit vergessen,
Denn er hört Biondettens Stimme.

Jener aber spricht: "Mein Bester,
Keine Wahrheit ist zu finden
Hier in diesem bunten Leben,
Darum laßt uns Frieden stiften!

Und da Liebe nur im Sterben
Kann gefunden" … "Stille, stille!"
Spricht Meliore, "ach, es wehet
Auch kein Lüftchen in der Linde!" —

"Willst du's kurz?" fragt dann der Redner.
Und Meliore spricht ergimmet:
"Schweigt sie, magst du ewig reden,
Schweige ewig, wenn sie singet!"

Jener spricht, zurück sich wendend:
"Schweigen sollen wir, sie singet!"
Aber in dem Kreis erheben
Heftig schreiend sich die Stimmen:

"Er soll gleich zurück jetzt nehmen,
Was er Apo sprach zum Schimpfe;
Laßt uns mit dem Degen wetzend
Überlärmen seine Dirne!"

Und ein frecherer Geselle
Schreit hinauf: "Ha! schweig sie stille,
Heilge Jungfrau, um die Wette
Wollen wir mit ihr eins singen!"

Aber wütend an der Kehle
Packt Meliore ihn und ringet
An den Boden hin den Frevler,
Und es heben sich die Klingen.

Alle dringen ihm entgegen;
Auf den Altar fliehend springet
Nun Meliore, sich das Leben
In der heilgen Freistatt fristend.

"Seinen Mantel werfe jeder
Nieder, der zu fechten willens,
Jedes Klinge will ich messen,
Dem ich Ehre abgeschnitten;

Und da vor so vielen Gegnern
Ich wohl keine Rettung finde,
Darum laßt zu Gott mich beten
Nur noch wenge Augenblicke!"

Eine tiefe Stille ehret
Seine Bitte, und er kniet;
Und von zwölfen breiten elfe
Ihre Mäntel um die Linde.

Wie zwei aufgeschreckte Rehe
In gehemmter Flucht erzitternd
Stehn die Jungfraun stumm am Fenster,
Niederblickend durch die Linde.

Als Meliore sie ersehen
Ruft er aufwärts: "Wenn ich sinke,
Liebesengel, Todesengel,
Bete für mich, wenn ich sinke!"

Und nun springt er an die Erde,
Seinen Rücken deckt die Linde,
Zierlich grüßt er mit dem Degen
Jeden in dem weiten Ringe.

Doch zuerst tritt ins Gefecht
Den er niederwarf im Grimme,
Und in tiefen Ängsten schwebend
Stehn die Jungfrauen und singen:

"Gott und Vater, soll er sterben,
Lasse seinen Zorn sich stillen,
Daß er möge Heil erwerben
Um Herrn Jesu Leiden willen!

Gott und Sohn! Schirm den Gerechten,
Decke ihn mit deinem Schilde,
Lasse ihn mit Ehren fechten
Hier vor deiner Mutter Bilde!

Heilger Geist, das Herz erhelle
Ihm, dem frommen Schwertumklirrten,
Daß der böse Feind nicht stelle
Schlingen dem im Streit Verwirrten!

Und Maria, Mutter, helfe,
Daß er seinen Judas finde,
Denn hier stehen wieder zwölfe,
Wie bei deinem heilgen Kinde!" —

"Gleiche Rechte, gleiche Rechte!"
Ruft der Gegner, "Brüder singet!
Hat er sich Musik bestellet,
Laßt mir auch ein Lied erklingen!"

Und es bricht aus vollen Kehlen
Ein Gesang mit wildem Grimme;
An den stillen Mauern brechen
Widergellend sich die Stimmen:

"Blanke Jungfern, blanke Degen
Muß man küssen, muß man schwingen;
Der Schwertfeger weiß zu fegen,
Sind sie rostig, unsre Klingen!

Wenn der Metzger Messer wetzet,
Muß sein Weib ein Lied ihm singen,
Und das Kalb, vom Hund gehetzet,
Hilft sie leichter ihm bezwingen.

Wetzt, ihr Brüder, wetzt die Degen,
Weil die schöne Jungfer singet,
Weil das Kalb sie uns entgegen
Singend aus dem Stalle bringet.

Blanke Jungfern, blanke Degen,
Muß man küssen, muß man schwingen;
Der Schwertfeger weiß zu fegen,
Sind sie rostig, unsre Klingen!"

Und schon mehret sich die Menge,
Hergelockt aus allen Winkeln,
Und es drohet aus der Ferne
Schon der schwere Tritt der Sbirren.

Von dem wilden Sang erwecket,
Kam nun Apo auch zu Sinnen,
Der in seiner Weisheit Netzen
Hing wie eine giftge Spinne.

Und kaum trat er auf die Schwelle,
Nähert sich der heilgen Linde,
Als ein Lebehoch entgegen
Ihm von allen Lippen dringet.

Aber vor ihm fliegt ein Degen,
Senkrecht in die Erde dringend,
Den Meliore seinem Gegener
Kräftig aus der Faust legierte.

Und Apone fragt verlegen:
"Wer hat diesen Gruß geschicket?"
Und Meliore spricht: "Vergebet,
Es ist meines Gegners Klinge.

Nicht um Ehre, noch um Leben
Fecht ich hier, bloß um die Klinge:
Diese euch zu Füßen legend,
Wählt mein Glück euch selbst zum Richter.

Und ich reich euch meinen Degen,
Weil ich kann mit beßrer Sitte
Weder rechten hier, noch fechten!"
Spricht Apone — "Werdet stille!

Denn es ist ein schwerer Frevel,
Jetzt Tumulte anzuspinnen,
Da der ganze Staat sich trennet
In zwei feindliche Partien.

Wer jetzt offnen Lärm erreget,
Gleicht der Krähe, welche pickend
Auf dem hohen Alpenschnee
Anstoß gibt zu den Lawinen,

Die sich wälzend mächtig schwellen
Und verderbend niederdringen,
Mit des kalten Eises Decke
Städt und Dörfer überrinnend.

Übt ihr also meine Lehre,
Die euch auf die stolze Spitze
Höhrer Anschauung gestellet
Der Natur und der Geschichte?

O, ihr kramt noch im Elenden,
Streitend um gemachte Lichter,
Ihr, die ich so frei gelehret
Mit den Sternen umzuspringen!

Wollt ihr hier die Gieremei
Und die Lambertazzi spielen,
Die blind gen einander fechtend
Töricht hier ihr Blut vergießen?

Welcher Jammer könnt entstehen,
Wenn, in euern Lärm sich mischend,
Die argwöhnenden Geschlechter
Sich erblickten und erhitzten?

Und schon seh ich allerwegen
Müßig Volk heran sich ziehen.
Stecket ruhig ein die Degen,
Tretet um mich bei der Linde.

Wer war unter euch zugegen
Und nicht in den Streit verwickelt?
Er soll treulich das Entstehen
Dieses Kampfes mir berichten."

Aufgefordert naht der Redner,
Beißt rhetorisch sich die Lippe:
"Meister, deine Weisheit ehrend,
Preis ich selig mein Geschicke,

Daß mir ward ein großer Lehrer,
Der mich lehrte Frieden stiften.
Früher schon war mein Bestreben,
Diesen Zwiespalt zu vermitteln.

Doch mir war der Wind entgegen,
Der hier weht durch diese Linde,
Und die reizende Sirene,
Die in diesen Meeren singet.

Er verachtete mein Reden,
Und mit frecher Hand beschimpfte
Jenen er, der von Biondetten
Eine Pause wollt erzwingen.

Aber nicht um eigne Ehre
Hat der Kampf sich so erhitzet;
Herr, es galt um deine Lehre,
Die er traf mit giftgem Witze!"

Also schloß der falsche Gegner. —
Apo spricht: "Nun ins Gesichte
Wiederhole mir die Reden,
Knabe, die du sprachst zum Schimpfe!"

Doch Meliore hat vergessen,
Daß er stehet im Gerichte;
Er gedenket an Biondetten,
Wie sie sang die Totenhymne.

Was sie fromm für ihn gebetet,
Als er flehend zu ihr blickte,
Fühlt er schon als Himmelssegen
Sich durch alle Adern rinnen.

Wie in geisterfüllte Segel
Blickt er ins Gewölb der Linde,
Freudig stößt er ab die Erde,
Hin nach schönrer Heimat dringend.

Aber wie am Sterbebette
Rechnend gern der Teufel sitzet,
Zerrt ihn nun Apones Rede
Vom Unendlichen zur Ziffer.

"Meister, was Ihr habt begehret,
Laßt mich gütig nochmals wissen,
Sagt mir's schnelle, denn die Schwelle
Meines irdschen Hauses zittert."

Apo spricht: "Was meiner Ehre,
Meiner Lehre du zum Schimpfe
Sprachst, des Streites freche Quelle,
Sollst du in den Bart mir spritzen!"

Und Meliore spricht: "Vollendet
Hatte Guido grad, der Bildner,
Ein Gemälde voller Schrecken
Und zur Schau es ausgestellet.

Wie Aglaure und die Schwestern
Wild vom Wahnsinn sind ergriffen,
Kniend um den Korb Athenes,
Den sie treulos aufgerissen.

Giftig aus dem Korbe strecken,
Um das Kind Erechtheus ringelnd,
Sich zwei Schlangen, und Entsetzen
Packt die törichten Geschwister.

Um den Busen will sich Herfe
Gürtend eine Schlange winden,
Und es steigt ihr Haar zu Berge,
Denn das Tier hängt an dem Kinde.

Und Aglaurens Fäuste treffen
Rasend ihre eigne Stirne,
Während Krampf die Füße hebet
Und zu wilden Sprüngen zwinget.

Und Pandrosa zuchtvergessen
Hat sich das Gewand zerrissen;
Antlitz, Busen, Schoß und Lende
Sind ein Spiegel der Erynnen.

Hinter ihnen steht Athene,
Ernst in Marmor gottgebildet;
Bösen Fluges Vögel schweben
Um der fernen Tempel Zinnen.

Still und mannigfach erreget
Hatten wir dies Bild umringet,
Bis, sich ja nicht zu vergessen,
Einer alle schnell erinnert:

"Jedes Kunstwerk, das vollendet",
Sprach er und zog hoch die Stirne,
"Muß, um klar sich auszusprechen, # wird niemals beendet
Stehen auf ewigen Begriffen.

Doch, wie ich mich auch mag setzen,
Vor und in und nach dem Bilde,
Seh ich tot nur vor mir stehen
Dieses Werk des alten Pinsels. —

Ei, der zweite ihm entgegnet,
Mit der Schlange bei dem Kinde
Ist wohl auf das Leid des Herren
Und den Sündenfall gestichelt. —

Mit den törichten drei Schwestern
Meinet er, sprach dann der dritte,
Juden, Christen, Sarazenen
Streitend um die wahre Kirche. —

Und der vierte nun versetzte:
Die drei Tugenden der Christen
Sind es, die sich toll gebärden:
Glaube, Hoffnung und die Liebe: —

Und ein fünfter sprach: Ich sehe
Hier entsetzt die Charitinnen
Vor dem dreigeeinten Helden
In angstvoller Flucht begriffen. —

Ach, was können, sprach der sechste,
Juden, Sarazenen, Christen
Und die Grazien hier erhellen,
Die doch selbst Allegorien!

Mir sind es die drei Essenzen,
Die das Wesen Gottes bilden,
Im Begriffe eins zu werden
In dem Wahnsinne der Christen.

Und der siebente wollt sehen
Die drei Punkte Syllogismi,
Denen Abälard das Wesen
Der Dreieinigkeit verglichen.

Ja, sprach dann der achte frecher,
Sie sehn drein wie Heloise,
Die den Mittelsatz entbehret,
Weil den Nachsatz er vermisset.

Doch mir sinds drei Fakultäten,
Theologen, Mediziner
Und Juristen, sie umgeben
Tief erschreckt Apones Wiege. —

Und noch schlimmrer Rede Frevel
Stand ich vor dem Schreckensbilde
Mehr als durch es selbst entsetzet,
Doch ich wiederhol sie nimmer!

Und nun trat von seiner Schwelle
Guido selbst heraus zum Bilde;
Kahl, ein Greis, in seiner Rechten
Hielt er eines Messers Klinge.

Und er sprach: Mit frecher Rede
Habt ihr mir das Herz zerrissen!
Hat die rächende Athene
Euch, Gesellen, auch ergriffen?

Wißt, ich war in tiefster Seele
Lang ob dieser Zeit ergrimmet,
Welche zu entblößen strebet,
Was Gott keusch verhüllt will wissen.

Dieses schändlichen Entdeckens
Strafe wollte ich hier schildern,
Und ihr treibt denselben Frevel
Mir vor meinem züchtgen Bilde!

Doch ich folg des Herren Lehre:
Gibt dein Aug dir Ärgernisse
Reiß es aus, tritts an die Erde!
Liebes Bild, ich muß dich richten. —

Und nun riß er mit dem Messer
Zürnend durch des Bildes Mitte,
Und zertrat mit bittren Tränen
Wild sein mühsam Werk mit Füßen.

Seiner lachten noch die Frechen,
Dem das Liebste sie entrissen;
Das traf tief ihn in der Seele,
Und er stand in Tränen zitternd.

Und das Messer aus der Rechten
Mußt liebkosend ich ihm winden,
Daß er nicht zum Mörder werde,
Schmeichelnd in das Haus ihn zwingen.

Seine Axt, die in der Ecke
Stand — er ist zugleich ein Zimmrer —
Mußt die Tochter schnell verstecken,
Als ich ängstlich ihr gewinket.

Denn er war so tief erreget,
Daß er gänzlich schien von Sinnen
Und die Tochter kaum erkennte,
Vor ihm auf den Knien liegend.

Und er schrie: O Himmel, sende
Mir die Bären, die zerrissen
Jene Buben, den Propheten
Ob des nackten Hauptes schimpfend;

Denn mit Lachen seine Fenster
Jene gottlos noch umringten,
Und die Laden vorzulegen
Wollten sie mich schmähend hindern.

Schrieen scherzend: Freund, wir sehen
Uns dir heut sehr tief verpflichtet,
Weil du für uns einen Bären
Angebunden beim Philister! —

Da ich nun hinausgetreten,
Derb die Schmach mir zu verbitten,
Fragte mich dort jener Gegner
Höhnend mit dem frechen Witze:

Lag das Findelkind Biondette
Auch in solchen Schlangenwindeln,
Weil du, gleich den tollen Schwestern,
Sinnlos wardst, sie anzublicken? —

Alle lachten Beifall gebend.
Fassen konnte ich mich nimmer,
Und ich trat ihm wild entgegen,
Sprach zu ihm mit scharfer Stimme:

Schäm der Rede dich! Athene
Schämte auch sich dieses Kindes,
Denn sein Vater war, du Frecher,
Frech und wie dein Gleichnis hinkend!

Willst du deutelnd schärfer treffen,
Sprich: Des Teufels Hirngespinste,
Die mein Lehrer Weisheit nennet,
Sah ich in Erechteus Windeln!

Denn im trunkenem Erfrechen
Will sie sich mit Gott vermischen,
Und empfangen von der Erde
Gleicht sie wohl dem Drachenkinde.

Gleicht das trübe Wortgefechte,
Das die Schule um uns stricket,
Nicht dem Korb, in dem sich's dehnet,
Wenn die Schlangen aufwärts dringen?

Springt der Decke, und ihr stehet
Auf dem Standpunkt: den Alciden
Glaubt ihr in dem Korb zu sehen,
Wie er Schlangen würgt im Schilde!

Schreit auch wohl: "Ich will vergessen,
Daß im Spiegel dies gebildet,
Daß ich selbst ein Gott hier stehe,
Der sich auf sich selbst besinnet!

Und den letzten Flug erhebend
Zu den Göttern aufzudringen,
Bringt, den Gnadenstoß zu geben,
Euch der Teufel gar von Sinnen.

Euch steht nur das Haar zu Berge,
Und dies nennt ihr reines Wissen;
Nennts der Isis Schleier heben,
Hebt ihr schamlos euern Kittel!

Wie durchs Maul und um die Kehle
Schlechte Gaukler Viper schlingen,
Zieht der Teufel eure Seelen
Sich durchs Maul philosophierend.

Und ihr könnet nicht mehr beten
Und ihr könnet nicht mehr dichten.
Die die Schlange hat zertreten,
Ist barmherzig, Gott ist Richter! —

Also habe ich geredet,
Zwar erregt, doch wohl bei Sinnen,
Und sie drängten mit dem Degen
Mich bis zu der heilgen Linde,

Wo ich zu Biondettens Ehre,
Aber nicht zu Eurem Schimpfe,
Ruhig bliebt bei meiner Rede.
Meister, nun seid Ihr der Richter!"

Und Apone zornbeweget
Spricht mit falscher Kälte: "Immer
Betend, horchend, fechtend, redend
Finde ich dich bei der Linde!

Jacopone, dein gelehrter
Bruder, lehrt dich wohl die Schliche;
Er kann auch die Worte drehen
In der Kirch und vor dem Richter.

Er, der die Parteien hetzet,
Um sie künstlicher zu schlichten,
Als wenn ich ein Bein verrenkte,
Um es wieder einzurichten.

Ihn, der naseweis sich stellet
In der Fraktionen Mitte, # Faktionen
Werden einst die Schweine fressen
Weil er sich der Kleie mischet.

Du bist von ihm angestecket,
Dem juristischen Philister,
Der verachtend meine Lehre
Im lateinschen Stalle mistet.

Doch die Gieremei werden
Einst verfluchen seine Listen,
Und die Lambertazzi werden
Einst bereuen seine Pfiffe.

Und ihr Streit wird dann erst enden,
Wenn in seines Herzens Mitte
Ihre Klingen sich begegnen,
Einen ewgen Frieden stiftend!"

Und Meliore spricht: "O Lehrer,
Übel bleibst du bei der Klinge;
Um mich bitterer zu treffen,
Willst du meinen Bruder schimpfen!

Ungerechter, den gerechten
Bruder du statt meiner schimpfest,
Denn du träffst auf den Unrechten,
Schimpftest du ihm zu Gesichte!

Um das Recht mit Spott zu treffen,
Willst die Rechte du beschmitzen,
Doch ich räche den Gerechten,
Deines Beispiels mich bedienend.

Du sprachst, unser Streit sei Frevel,
Weil er leicht das Volk erhitze,
Und im Zorne wirst du selber
Jener Anstoß der Lawine!

Ob dem reinen Glanz des Schnees
Leicht ein dunkler Rab erbittert,
Und den bösen Schnabel wetzend,
Stößt er nieder die Lawine!

Schmähst du meines Bruders Ehre,
Dieser Musenalpe Zierde,
Sonnenglänzend auf dem ewgen
Eispalaste der Juristen,

Schmähst du ewige Gesetze,
Der Gesellschaft Urgranite,
Dann schimpfst du den Kern der Erde,
Der zum Licht dringt in Gebirgen!" —

"Ja, ich schmähe," sprach der Lehrer,
"Die Pandektentitel-Flicker
Und die unfruchtbaren Rechte,
Kahl wie deine Urgranite!

Die sich immer kahl vererben,
So wie öder Berge Gipfel,
Von Geschlechte zu Geschlechte
Ihre alten Knoten schlingend.

Und wie magst du diese Zwerge
In papiernen Nestern nistend,
Noch vergleichen mit den Bergen,
Die juristischen Philister?"

Und Meliore spricht: "Die Zwerge,
Ja sie wohnen in Gebirgen,
Schmieden dort die starken Schwerte,
Eitle Riesen zu bezwingen.

Aus der Tiefe mit den Bergen
Wächst das Eisen auf zum Lichte,
Und von ihnen wiederkehret
Alles zu der Tiefe wieder.

So steigt nieder von den Bergen
Die Natur, und ihren Gipfeln
Sind die weiten Sündflutmeere,
Ist der Zorn zuerst entwichen.

So steigt nieder von den Bergen
Die Geschichte: auf der Spitze
Sinai gab Gott Gesetze
Mosen für die Israliten.

Wenn die Erde längst verwelket,
Steht noch das Granitgerippe,
Und des Wassers Flut begegnend
Heulet drum das Spiel der Winde.

So auch stehen die Gesetze,
Wenn die Staaten rings versinken
Und unzählige Geschlechter
An dem alten Recht sich bilden."

Apo spricht: "Das Recht so kennend,
Wirst du das Gesetz auch wissen,
Daß Bologna Repetenten
Nie erkennt ungraduieret.

Und du hast das kaum Erlernte
Dennoch mir hier repetieret;
Du kurzärmiger Geselle,
Wisse, daß du delirierest!

Denn die Kerkerstrafe stehet
Auf dem offnen Disputieren
Von Studenten gegen jeden,
Den die höhern Würden zieren." —

"Ja, ich kenne die Gesetze,"
Spricht Meliore, "und die Pflichten
Eines Christen, daß er rede
Den Verkehrten ins Gewissen." —

"Predge weiter," sprach der Lehrer,
"Und entpflichte dich, mein Christe,
Daß ich dem Gesetz dich gebe
Ungestört in deinen Pflichten!"

Und Meliore sprach: "Ich nenne
Jene Berge, euch Gewitter;
Euer dunkelmaulend Wesen
Ist nur dunkel, um zu blitzen.

Seit die Welt im Zirkel gehet,
Kühlet sich das Wetter blitzend,
Doch, als sei's das erst und letzte,
Bläht sich jegliches Gewitter.

Nur daß man die Sterne heller
Sehe auf der Berge Gipfel,
Lasset ihr, euch selbst verwetternd,
Euren trüben Schwall verwittern.

Und wo werdet ihr dan stehen,
Wann zuletzt der ewge Richter
Nach den ewigen Gesetzen
Euch und jene kommt zu richten?

Die geschimpfet auf die Recht,
Werden stehen auf der Linken,
Da wo Gottes Affen stehen,
Die gefallnen Engel hinkend.

Die unzähligen Systeme
Frevelnder Philosophien
Werden flehen, bei den Hexen
Auf den Besen aufzusitzen.

Ihr Allfresser, wo des ersten
Magen noch der zweite frisset,
Wenn ihm selbst schon aufgefressen
Seinen Magen hat der dritte!

Ja, der Teufel wird den letzten
Noch zertrennen in der Mitte,
Daß das Maul den Leib kann fressen;
So wird sich die Kete schließen!

Meister, du hast diese Schwerter
In der Schule selbst geschliffen,
Höhre Anschauung mich lehrend
Der Natur und der Geschichte." —

Aber zu dem Volk gewendet
Ruft Apone: "Holla, Sbirren,
Diesen Jüngling führt zum Kerker!"
Und Meliore wird umringet.

Nochmals blickt er nach Biondetten,
Folget freudig dann den Sbirren,
Als sollt er zur Hochzeit gehen,
Denn er höret ihre Stimme.

Und zu seinem Turme kehret
Apo wird, finstern Blickes;
Brach er gleich den Speer der Rede,
Haftet tödlich doch der Splitter.

Freudig nichtig, gleich Raketen,
Luftgetragen auf den Stimmen
Hört er noch ein Vivat brennen,
Und der Schwarm verliert sich singend.

Leise Lüfte hör ich wehen,
Schüchtern kehren zu der Linde
Auch die Vögel, und es treten
Aus dem Haus die beiden Kinder.

Rosablanka und Biondette
Grüßen sich mit stummen Winken;
Da sich ihre Wege trennen,
Lassen sie die Blicke sinken.

** Romanze VI: Pietro

Sieh, es schürzet Rosablanke
Sich ihr Röcklein vor dem Tore,
Rückt den Korb, daß er nicht wanke,
Sich bequemer auf dem Kopfe.

Ganz befangen in Gedanken
Und erfüllt mit neuer Sorge
Eilet durch das Feld die Schlanke
Wie auf traumbeschwingter Sohle.

Höret nicht den "Guten Abend",
Den der Wandrer ihr geboten,
Und erwidert kaum das Amen
Auf ein: Jesus sei gelobet!

Aber an den letzten Garten
Steht des Gärtners Fenster offen:
"Rosablanke, Rosablanke!"
ruft er ihr mit freudgem Tone.

"Willst du so vorüber wandeln?
Nimm vorlieb; hier sind Melonen,
Feigen, Ananas, Orangen,
Alle bloß für dich gebrochen!

Lange hab ich dein geharret;
Die mit dir zum Markte zogen,
Sind schon lang zurückgewandert.
Wo hast du so lang verzogen?"

Und die Jungfrau spricht, sich sammelnd:
"Bald hätt ich mein Wort gebrochen,
Aber lieber mirs erlasse,
Denn es sinket schon die Sonne!

Ängstlicher, als du geharret,
Harret mein der Vater Kosme.
Sieh, wie lange schon die Schatten!
Wäre ich den Berg erst oben!

Sei Geleitsmann deinem Gaste,
Ich will deine Güte loben!"
Also bittet Rosablanke;
Jener greift nach seinem Korbe,

Füllt ihn unten mit Orangen,
Legt die zarten Feigen oben,
Hängt zur Schulter ihn am Stabe,
Tritt heraus und schließt die Pforte.

Und er spricht zur Seite wandelnd:
"Zürnen hätt ich mit dir sollen,
Sehnlich hab ich dein geharret,
Und nun ist auch dies verloren!

Dies ist ihrer Schritte Schallen,
Glaubt ich, wenn mein Herz so pochte,
Blickte ängstlich durch die Kammer
Ob auch alles sei geordnet.

Und wenn ich dann wieder dachte:
Sie versprach dirs nur zum Hohne,
Fühlt das Herz ich lauter schlagen
Als den Tritt der leichten Sohlen.

Wer mir bot den guten Abend,
War an mir zum Lügner worden,
Und die schnellen Stunden standen
Boshaft still an meiner Pforte."

Also sprach er. Tränen drangen
Ihm ins Aug, geheime Boten
Züchtger Flamme, die gefangen
Lag bis jetzt im Jugendstolze.

Doch dies fühlt nicht Rosablanke.
Ungeschickt zu seinem Troste
Spricht sie: "Gib mir die Orangen,
Die du für mich abgebrochen!"

Nimmt die goldne Frucht und danket.
Mutiger spricht er: "O Holde,
Wolltest du mit gleichem Danke
Nehmen, was du selbst gebrochen!

Was vertraulich bei dem Mahle
Ich, dein Wirt, dir bieten wollte,
Dieses Herz muß auf der Straße
Scheu und unstet ich dir opfern.

Mich ernähret wohl mein Garten;
Um Bologna aller Orten
Siehst du keinen so gewartet
Und so vorteilhaft geordnet.

Und, verzeih, ich muß es sagen;
Also hab ich ihn erzogen
In dem heimlichen Verlangen,
Daß du drinnen mögest wohnen.

Wärst du mit hineingegangen,
Unter bunten Blumenkronen
Eine Königin, empfangen
Hätt ich dich mit dieser Krone!"

Und nun setzt er Rosablanken
Auf das Haupt die Blumenkrone,
Die er in dem Korb bewahret,
Ruhend auf den Früchten oben.

Und die Jungfrau in Gedanken
Gehet mit bekränzten Locken
Ihm zur Seite durch den Abend,
Gleichend einer stummen Flore.

Pietro aber spricht: "Dein Vater
Könnte dann bei uns auch wohnen,
Und er wäre nie verlassen,
Eines blieb ihm stets zum Troste.

Und an manchem schönen Abend
Kömmt mein Bruder Jacopone,
Der an Weisheit hochgeachtet,
In den Garten, sich erholend.

Und zur Freundin wirst du haben
Rosarosen, seine fromme
Stille Gattin; dir gefallen
Wird mein Bruder auch, Meliore."

Aber stumm bleibt Rosablanke,
Und der Jüngling spricht betroffen:
"Schweige nicht, o laß mich Armen
Nicht in zweifelhaftem Troste.

Seit als Gärtner deinem Vater
Ich gepflegt die roten Rosen,
Trag ich heimlich, Rosablanke,
Weißer Rosen bittre Dornen.

Ich versetzte ihm im Garten
Weiße, rote, gelbe Rosen
Und begehrt am letzten Abend
Eine weiße mir zum Lohne.

Da gabst du von deinem Stamme
Mir ein Zweiglein, dicht in Moose
Hüllt ich's, trug's zu meinem Garten,
Stellt es in den besten Boden.

Schonend ist der Sonne Wagen
Über dieses Reis gezogen,
Segnend hat des Mondes Schale
Guten Tau zu ihm gegossen.

Hoch bei goldnen Pomeranzen
Rankt sie aus den grünen Wolken,
Deines Namens Sternbild strahle
Günstig meinem Horizonte!

Paradiesisch blüht der Garten,
Seit die Rose bei mir wohnet,
Und ich gleich dem ersten Manne,
Eh das Weib geschaffen worden."

Aber Rosablanke dachte
Nun des Traums von diesem Morgen,
"Pietro," sprach sie, "eine Schlange
Rankt um deinen Baum die Rose!

Und der Herr hat sie geschaffen
Aus der sehnsuchtvollen Woge
Seines Busens; des Entschlafnen
Herz entstieg die Traumgeborne.

Die Orange wird zum Apfel,
Und der Apfel wird zum Tode,
Willst du schließen in die Arme,
Die dir in dem Herzen wohnet.

Heute früh in meinem Garten
Grub er traurig bei den Rosen
Nach dem göttlichen Erbarmen,
Das er mit dem Weib verloren.

Und die bunte, böse Schlange
Drang zu mir und meinen Rosen,
Doch Mariens Füße traten
Nieder diese Schuld des Todes.

Nimm zurücke die Orange,
Die du mir vom Baum gebrochen,
Denn ich teile keinen Apfel
Weil der Herr um mich gestorben."

Also redet Rosablanke.
Pietro schweigt, und tief betroffen
Legt der Jüngling die Orange
Zu den andern in dem Korbe.

Schweigend gehn sie nun zusammen
Bis zu der Kapelle oben,
Und des Abends Zaubergarten
Schwankt vor ihrem Aug entrollet.

Aus den Tälern wächst der Schatten,
Und es betet schon die Sonne
Ihren Abendsegen, schwankend
Auf des Waldes goldnen Kronen.

Durch des Himmels Gründe wallen
Wolkenschafe, goldgeflocket;
In dem Abendmeere badend
Trinken sie die Purpurwoge.

Und zum Rosengarten wandelt
Sich zu baden nun die Sonne,
Einen Mantel webt im Schatten
Ihr die Nacht aus grauem Flore.

Als sie schwebet ob dem Bade,
Gleicht es einem Feueropfer,
Sie dem Phönix, der mit Flammen
Sich verjünget in dem Tode.

Aber rings aus Luft erstarren
Hohe Purpurburgen, golden
Wundervolle Inseln wachsen
Aus des Äthers glühnden Wogen.

Und die Inseln werden Drachen
Und die Burgen all Sankt George
Und der Sonne Strahlen Lanzen,
Gen die Drachen blank erhoben.

Aber ewig sich verwandelnd,
Wo sie aufeinander stoßen,
Ziehn sie eine Bucht kristallen
Um der Sonne Bad voll Rosen.

Wie ein Schäfer scheu und schmachtend,
Lauschend schleicht auf leichten Sohlen
Zu der spröden Hirtin Bade,
Zieht der Mond schon hinter Wolken.

Nieder zuckt sie gleich Dianen;
Jungfräulich erglühnd im Zorne
Spritzt empor sie Goldkristalle,
Birgt den Schoß im Wellenschoße.

Und der Mond, den Tropfen trafen,
Steht gehörnt gleich Aktäone,
Und zu Sternen rings erstarren
Um ihn her die goldnen Tropfen.

Mahnend zieht die Nacht den Mantel
Vor des Unterganges Tore,
Und die Herzen fühlen alle,
Wer verloren, wer gewonnen.

Seine Schmerzen nicht mehr fassend,
Spricht nun Pietro: "Deine Rosen,
Sonne, sind im Abendgarten
All verblutet an den Dornen.

Paris gab den goldnen Apfel
Liebend hin der Schaumgebornen,
Aber mir ward ausgeschlagen
Die Granate, scheu geboten!

Und die Sonne gleicht dem Apfel,
Paris gleicht dem Silbermonde,
Und das Meer des Unterganges
Der entschleierten Dione.

Aber ach, meine Granate
Gleicht den Äpfeln von Gomorrha,
Innen voll von giftger Asche,
Außen lustig und voll Wohnne.

Und es drohet mir die blanke
Todessichel dort des Mondes,
Wie in meinem armen Garten
Tödlich steht die weiße Rose!" —

"Pietro!" spricht nun Rosablanke,
"Umschaun hat der Herr verboten,
Sahst du in den Abendflammen
Sodom und Gomorrha lodern.

Gab zurück ich dir den Apfel,
Denk getröstet meiner Worte:
Keinen Apfel mit dem Manne
Teil ich; Jesus ist gestorben!

Lasse sinken all dies Trachten,
Lasse sinken diese Sonne,
Lasse wachsen diese Schatten!
Sinkt zur Ruhe, wächst zum Troste!

Sieh, die Kerne der Granate,
Die verglichen du der Sonne,
Sind als Sterne aufgegangen,
Leuchtend zu den Ewgen Lobe.

Betend sollst du nun betrachten,
Wie gehütet von dem Monde
Sie wie Gottes Lämmer wandern,
Und du sollst nicht trauern wollen.

Trauern nicht um die Granate,
Trauern nicht um eine Rose,
Trauern nicht um Rosablanke,
Die dem Himmel sich verlobet!"

Und nun nimmt sie die Gewande
Von Biondetten aus dem Korbe,
Legt sie an und fromm verwandelt
Steht sie eine weiße Nonne.

Pietro spricht: "Leb wohl, zum Garten
Kehre ich, die Hochzeitskrone
Pfleg ich dir, dir muß sie tragen
weiße Rosen, mir die Dornen!"

Und zur Erde kniet er jammernd,
Aus den dunklen Augen flossen
Tränen heiß, und seine Arme
Hielt er schmerzemporgehoben.

Aber in den Büschen raschelt's,
Und die Jungfrau spricht: "Es kommen
meine Freunde, ausgegangen
Sind die Hirsche, mich zu holen.

Beten werd ich noch heut abend,
Daß die kühlen Tauestropfen
Diese Nacht dein Herz erlaben,
Und dich ruhig seh der Morgen."

Pietro spricht: "Es wird die Flamme
In der Nacht noch wilder lodern,
Büßend streue meine Asche
Sich ins falbe Haar Aurore!"

Doch sie schreitet zu dem Walde:
"Jesus Christus sei gelobet!"
Pietro spricht ein leises Amen,
Und der Mond tritt aus den Wolken.

** Romanze VII: Kosmes Buße I

Allem Tagewerk sei Frieden,
Keine Art erschallt im Wald,
Alle Farbe ist geschieden,
Und es raget die Gestalt.

Tauberauschte Blumen schließen
Ihrer Kelche süßen Kranz,
Und die schlummertrunknen Wiesen
Wiegen sich in Traumes Glanz.

Wo die wilden Quellen zielen
Nieder von dem Felsenrand,
Ziehn die Hirsche frei und spielen
Freudig in dem blanken Sand.

In der Düfte Schwermut wiegen
Sich die Rosen in den Schlaf,
Das Geheimnis ruht verschwiegen,
Das sie in den Busen traf.

Und es wandeln, die sich lieben,
Flüsternd auf dem selgen Pfad,
Wo sie gestern Scherze trieben,
Zu des Meeres Glanzgestad.

Die Sirene stimmet wieder
Ihre giften Lieder an,
Und die Herzen tauchen nieder
In untiefen süßen Wahn.

Denn es schied die Sonne wieder
In der ewgen Flammen Pracht,
Und es hebt die dunklen Glieder
Abermals die alte Nacht.

Und die Erde aufgeriegelt
Sendet ihren Geist heran,
Um das Haupt schwebt sternbesiegelt
Ihm der blaue Weltenplan.

Und des Waldes dunkle Riesen
Drängen sich ums enge Tal,
Und durch ihre Kronen gießen
Sterne geisterhaften Strahl.

Aus der Tiefe aufgewiegelt
Wachsen stumme Brunnen an,
Drinnen schaun sich mondumspiegelt
Die Gedanken traurig an.

Vor der Hütte setzt sich nieder
Kosme, lauschet nach dem Wald,
Ob nicht aus der Ferne wieder
Seines Kindes Stimme schallt.

Ob sie jenseits aus der Tiefe,
An dem schroffen Felsenhang,
Nicht das treue Echo riefe
In dem nächtlich späten Gang.

Aber nur die Melodieen
Höret er der Nachtigall,
Und zu seinem Herzen ziehen
Nicht der Töne Flug und Fall.

Ihm ergießet keinen Frieden
Der prophetschen Sterne Strahl,
Alle seine Pulse schmieden
Eines bösen Schwertes Stahl.

Die Milchstraße sieht er liegen
In des blauen Himmels Bahn;
Da stehn aller Waisen Wiegen,
Lehret ihn ein frommer Wahn.

Und er denkt der bösen Liebe
Und der Früchte, die sie gab,
Die in sündlich frechem Triebe
Er dem Schicksal übergab.

Und die Sünde warf ihn nieder,
Fesselt ihn in schwerer Acht,
Und mit bitterem Gefieder
Rauscht um ihn die böse Nacht.

Tief in Ängsten schon erlieget
Er des Herzens bangem Schlag,
Denn in dieser Nacht gewieget
Wird verhängnisvoll ein Tag.

Denn das Weib, das er geliebet,
Ging zu Grabe diese Nacht,
Und die Tochter, die er liebet,
Kam zum Leben diese Nacht.

Und die Sünde, nie besieget
Durch der Reue bittre Macht,
Jene Schuld, der er erlieget,
War erzeuget diese Nacht.

Und er wühlet in der Tiefe
Seiner Brust der Sünde nach,
Daß die Reue nicht entschliefe,
Schreit er seine Tote wach.

Und er sieht sie heilig knieen,
Wie er sie durchs Gitter sah,
Sieht sie dann die Glocke ziehen,
Da der böse Feind ihm nah,

Der die Farben ihm gerieben,
Als ein heilig Bild er malt,
Und den Schuldbrief ihm geschrieben,
Den nur ewger Tod bezahlt.

Ach! auch sie ist da erschienen
Seinen Augen keusch und klar,
Wie sie als Modell sollt dienen
Zu dem Bilde am Altar.

Mit den frommen heilgen Mienen,
Mit den Rosen in dem Haar;
Seinen Augen, brünstgen Bienen,
Sie die süße Blume war.

Lust und Sünde sieht er wieder,
Bis sie tief im Elend starb,
Die Verzweiflung reißt ihn nieder,
Weil er sie durch Lust verdarb.

Ach, daß alle Berge fielen
Und bedeckten ihn im Tal!
Wollten doch die Blitze zielen
Auf sein nackte Haupt zumal!

Ach, daß alle Wasser stigen,
Und es säh der neue Tag
Öde, weite Fluten liegen,
Wo er heute weinend lag!

Möchte dann die Taube fliegen
Mit dem milden Frühlingsblatt,
Sich en Friedensbogen biegen,
Wo er schwer gebüßet hat.

Aber weh! das Nachtgefieder
Schwingt der Rabe wild und hart,
Stürzt sich auf sein Haupt hernieder
Das in bösem Traum erstarrt.

Kalte Schrecken um ihn fließen,
Und Entsetzen sträubt sein Haar:
Wehe, dorten auf den Wiesen
Werden die Gesichte wahr!

An dem Walde ist erschienen
Eine weibliche Gestalt,
Von dem Haupte mondbeschienen
Das Gewand herniederwallt.

Gleich wie weiße Schwäne fliehen
An der dunklen Wälder Rand,
Sieht er eine Nonne ziehen
Längs des Gartens Schattenwand.

Jetzt sieht er den Schleier fließen,
Sieht die Füße blank und bar,
Sieht den Strick den Leib umschließen
Und die Rosen in dem Haar.

"Wehe, wehe, noch hienieden
Schwebst du, teure Seele, arm!
Wehe, wehe, noch kein Frieden!
O, daß sich der Herr erbarm!"

Und der Schrecken reißt ihn nieder,
Doch ihn faßt kein kalter Arm:
"Vater, find ich so dich wieder?
O, daß Gott sich dein erbarm!"

** Romanze VIII: Kosmes Buße II

Nieder stieg die Sonne wieder
Auf des stummen Hügels Rand
Und sieht scheidend ernst hernieder
In das dämmervolle Land.

Ihre Strahlen fallen schiefer
An der engen Kammer Wand,
Malend an der Kerze, tiefer
Sinket Kosme fleißge Hand.

Lang nach jenem Bilde sieht er,
Das er hänget an die Wand,
Und zur Erde kniet er nieder,
Weit die Arme ausgespannt.

Und er spricht: "O Herr, den Frieden
Gabst du, an das Kreuz gespannt,
Und das Kreuz, es blieb hienieden,
Du hast dich zu Gott gewandt.

Sieh gekreuzet mich hier knieen
In der schweren Sünde Last,
Bis du, Herr, auch mir verziehen,
Auch für mich gelitten hast.

Ach, das Herz ward dir durchspießet
Von verräterischem Stahl,
Blutge Versöhnung sprießet
Aus der heilgen Wunden Mal.

Aber ach, die Sonne spielet
Ewig nur mit meiner Qual,
Ewig, ewig sie mir zielet,
Nimmer tötet mich ihr Strahl.

Wenn so rasch die Wolken fließen
Um den nackten Feuerball,
Alle Narben sich erschließen,
Aufstehn meine Sünden all.

So wenn einst die Engel ziehen
Mit der Zornposaune Schall,
Nahn die Toten aufgeschrieen
In des Wahnes Widerhall.

Nieder schmilzt der Sonne Siegel
Vor des Richters jüngstem Tag,
Es zerbricht des Todes Riegel,
Klar steht, was verloren lag.

Und der ewgen Schönheit Spiegel
Spiegelt jegliche Gestalt,
Und des Rechtes Feuertiegel
Prüfet jeglichen Gehalt.

Wohin soll ich dann mich schmiegen-
Wenn das Licht hoch überwallt?
In dem Staube werd ich kriechen
Mit der Schlange Mißgestalt.

Weh, die Sonne sinkt, vergießend
Blutge Tränen ohne Zahl,
Und aus ihren Tränen sprießen
Tausend Tränen bittrer Qual.

Und es weinen die Verliebten
Einsam in vergeßner Schmach,
Und es weinen die Geliebten,
Denen man die Treue brach.

Unter gingst du, Lustgezierte,
Der die Ehe mich verband,
Der aus schändlicher Begierde
Pflicht und Treue ich entwand.

Blutschuld ist die Rosenzierde
In der Sonne Untergang:
Fluch der teuflischen Begierde,
Die mit Sünde dich verschlang.

Alle Tränen, die du gießest,
Sinkend auf der ewgen Bahn,
Bis du deine Augen schließest,
Wachsen mir zur Sündflut an.

Und auf ihrer Woge ziehet
Dort des Mondes bleicher Kahn,
Aber keine Taube fliehet
Mit dem Ölblatt mir heran.

Mond, wie blinkst du bleich und siechend
An des Abends Rosengrab,
Wo die Sonne still versiegend
In den Schatten sinkt hinab.

Rosalata, du sankst nieder
Mit dem roten Rosenkranz,
Rosatristis, du kehrst wieder
Mit der weißen Rose Glanz.

Mond, ich sah dich mahnend ziehen
Wie ein Geist die Wolkenbahn,
Und ich muß hier weinend knieen,
Klagen mich der Sünde an.

Eile nicht, vorüberfliehend
Mit der Sichel scharf und blank;
Schneide ab den Stamm, der knieend
An der Erde welk und krank.

Eine Wagschal, hoch auffliegend,
Hebt die Buße dich hinan,
Meine Sünde nie aufwiegend
Klagest du vor Gott mich an.

Wie so weiß dein Schleier fliehet,
Nonne, durch den Sternensaal,
Mit dir betend, büßend, ziehet
Still der Sterne Nacht-Choral.

Aus der Unschuld Paradiesen,
Wo du trugst den Rosenkranz,
Irrest du, durch mich verwiesen
Mit des Schwertes Feuerglanz."

Doch der Mond zog stillverschwiegen
Hinter eine Wolkenwand,
Ließ ihn ungetröstet liegen,
Wo er ihn in Tränen fand.

Und er hebt sich von den Knieen,
Als er sein Gebet vollbracht;
Aber ihm ward nicht verziehen.
Auf dem Tale lag die Nacht.

** Romanze IX: Apo und Moles auf dem Turme

In des Turmes höchster Kuppel,
Unter seinem Fuß die Glocke,
Sitzt Apone, und die Uhren
Rasseln unter ihm im Boden.

In des hohlen Spiegels Runde,
Gegenüber einem Loche,
Sieht die weite Stadt er ruhen
Abgetürmt am Horizonte.

Doch des Meisters Blicke suchen
Rings umher im weiten Bogen,
Bis sie auf der hohen Kuppel
Des Theaters fest geworden.

Also mit den Augen wurzelnd
Sieht er ziehn die wilden Wolken,
Und die hohen Sterne funkeln
Aus des Himmels tiefer Woge.

Und er spricht mit finsterm Munde:
"Venus, du bist mir gewogen,
Du hast mich zu guter Stunde
Immer mächtig angezogen!

Alle kenn ich euch, ihr Kunden,
Die, man sagt, den Herren loben,
Doch der Herr sitzt manchmal unten
Und die Diener stehen oben!

Sterne, ich bin euch verbunden,
Ich hab mich mit euch verwoben,
Und ich kenne eure Stunden,
Lasse euch nicht warten droben.

Auf der Erde gehn die Dummen,
Wissen nicht, was ihr nur wollet,
Doch ich kenne eure Summen,
Ja, ich weiß auch, was ihr sollet!

Halb nur sind die Kreaturen,
Denen Gott die Stirn erhoben
Und die göttlichen Naturen
Nicht erkennen, die da droben.

Als der große Geist des Grundes
Wollte überm Lichte wohnen,
Überschlug er sich im Sturze,
Und das Schwere ward geboren.

Und das Leichte muß sich suchen,
Daraus ward das Licht geboren;
Schweres Dunkel war nun unten,
Leichtes Licht, das schwebte oben.

Und das Schwere war umrungen
Von dem Leichten, und es rollet,
Bis geboren war das Runde,
Das unendlich ist geformet.

Da das Licht dazu gedrungen,
Ist das Feuer aufgelodert,
Hat mit seiner bösen Zunge
Schnell das Wasser hergelocket.

Und aus dieses Kampfes Schwunge
Ward der Raum zur luftgen Woge,
So daß, wenn der eine zucket,
Wird der andre angestoßen.

Und dem Kampfe ist entsprungen,
Was hienieden irdisch wohnet,
Was da droben himmlisch rundet,
Was im Ganzen göttlich thronet.

Der gespalten, was verbunden,
Ist der Geist zum Fleisch geworden,
Aber Fleisch war eine Zunge,
Und die Zunge ward zum Worte.

Und der Mensch, der irdisch fußet,
Suchet seinen Gott im Hohen,
Der doch ist im Mittelpunkte
Und ihn reißet zu dem Boden.

Doch ich habe ihn gefunden:
Er der all den Streit erhoben,
Der gestört die tote Ruhe,
Ihm ist diese Welt entsprossen.

Er trägt mich mit festem Grunde,
Er hat mich aus Staub geboren,
Und die Sterne, die nicht ruhen,
Ziehn mich neidisch auf im Zorne.

Adam aus dem Erdengrunde
Ward als Geisel ausgeboren,
Und das Licht ab einen Funken
Als ein Unterpfand von oben.

Erde, feste Burg gerundet,
Schwebest in des Lichtes Wogen
Sicher, wie kein Schiff in Fluten,
Wie kein Kind im Mutterschoße.

Denn es sitzt am Steuerruder
Selbst des Lichts unehl'che Tochter,
Die Philosophia schlummert
Nie, und hält das Richt'ge oben.

Und Astronomia suchet
Rastlos an dem Himmelsbogen
Und dem Kompaß; alle Stunden
Geht die Welt nach ihren Polen.

Medizina heilt die Wunden
Mutig ringend mit dem Tode,
Und Magia hat des Sturmes
Flügel und des Windes Rosse.

O Magia, du des Dunkels
Schwarze, lichtentsprungne Tochter,
Du allein genügst zum Schutze,
Mag das Licht auch ewig toben!

Doch zum frechen Überflusse
Hat der Erdgeist auch geboren
Flaggen jeglicher Naturen,
Die allfarbgen Religionen.

Wenn das Schiffsvolk steht und murret
Und nicht trauet dem Piloten,
Wird die Flagge aufgewunden,
Und Begeistrung strahlt die Sonne.

Plagt die Krankheit und der Hunger,
Und das Wasser ist verdorben,
Da suffliert der Erdgeist dunkel,
Und sie beten, die Kujonen!

Also schwebt die Erde munter
Um des dunklen Geistes Pole;
Und sie dienen, dem sie fluchen,
Und er schämt sich, sie zu holen.

Doch das Licht und auch das Dunkel
Haben beide sich sich belogen,
Und die Lüge war das Wunder,
War das Wort, das Fleisch geworden.

Denn der Mann aus irdschem Grunde
War um Erdgeist nur geformet,
Daß das Licht, in ihm gebunden,
Sei gefesselt an den Boden.

Und vom Lichte nur durchdrungen
Ward der Mann, der Erdgeborne,
Daß der Erdgeist, sei gezwungen
In dem Manne hin nach oben.

So im wechselnden Betruge
Ist der Streit zum Fleisch geworden,
Und er herrscht im Mittelpunkte
Des unendlich ewgen Zornes.

Da das Licht den Schlaf erfunden,
Ward dem Mann das Weib geboren,
Durch den Baum des Bös und Guten
Führt der Erdgeist uns zum Tode.

Nach uns greift das Licht hinunter,
Ziehet mächtig uns nach oben,
Die Metalle schwer und dunkel
Ziehen nieder uns zu Boden.

Beiden Welten so verbunden
Wehet betend auf der Odem,
Wer erkennen will, was unten,
Stiehlt das hohe Licht von oben.

Als ich war im Licht betrunken
Und um Weisheit fleht von oben,
Sprach das Wort: Du sollst gesunden,
Wenn du mir das Fleisch willst opfern!

Wenn das Böse du verblutet,
Wenn versiegt der irdsche Bronnen,
Wenn du wandelst in dem Guten,
Magst du schauen in die Sonne.

Fasten sollte ich und hungern
Und entbehren alle Wonnen,
Recht in Schmerzen sollt ich wurzeln,
Um im Lichte aufzusprossen.

Mit dem Licht stieg ich hinunter,
Und der Erdgeist, leicht gewonnen,
Gab zu trinken mir das Dunkel,
Das in mir zum Licht geworden.

Und in diesem Licht betrunken
Ist mir die Erkenntnis worden,
Ich hab meinen Geist gefunden
Und verstehe seine Worte.

Wie die Sterne oben runden,
Die Metalle unten wohnen,
Wie die Sonnen gehen unter,
Wie herauf sich ziehn die Monde,

Fühl ich all in meinen Pulsen,
Und mein Fuß fühlt in dem Boden,
Wo die goldnen Schätze wurzeln,
Wo die Quellen gehn verborgen.

Eva, Eva! schlaue Mutter,
Hast den Apfel du gekostet,
Hat die Schlange dich versuchet,
Hast du uns den Tod geboren,

Hast das Böse und das Gute
Du erkennet, soll verloren
Mir nicht sein die teure Kunde,
Um die du das Heil verloren!

Bin der Erde ich verbunden,
Bin ich an den Tod verloren
Um ein Schnitzchen sauren Obstes,
Dreht um mich sich doch die Sonne!

Und ich will nicht eher ruhn
In dem dunkeln Erdenschoße,
Bis ich aller Sinnen Brunnen
Überfüllend ausgesogen!" —

Also sprach Apone murmelnd
Und bedeckt mit heißem Odem
Seines Wunderspiegels Runde,
Daß er trüb war und umfloret.

Und der rote Mond steigt blutend
Über Wolken auf im Osten;
Da er in den Spiegel funkelt,
Heult der schwarze Hund Apones.

Und der Meister wischt mit Fluchen
Von dem Spiegel seinen Odem:
"Will des Theater Kuppel
Noch nicht auf in Flammen lodern?"

Er nimmt einen Schwefelkuchen
Und ein Glas voll goldnem Korne,
Und den Schwanz von einem Fuchse
Aus dem Kasten an dem Boden.

Und den Wetterhahn, der funkelnd
Stehet auf des Turmes Knopfe,
Nimmt er, greifend durch die Luke,
Setzt ihn zu dem goldnen Korne.

Peitschet dann den Schwefelkuchen
Mit dem Fuchsschwanz aller Orten,
Und es springen helle Funken
In das Glas zum goldnen Korne.

"Simson," spricht er, "deine Wunder
Hab ich kürzer mir geordnet;
Mir auch muß vom Schwanz des Fuchses
Der Philister Korn auflodern!

Ja, Geselle, werde munter!"
Spricht zum Hahne dann Apone,
"Beug den Schnabel zu dem Futter,
Wartest du, daß ich dich stopfe?

Der du in den Blitzen fußest,
Der du krähest in dem Donner,
Der du in der Sonne funkelst
Und die Flügel schlägst im Monde,

Wettermacher, armer Schlucker,
Du bestehst auf deinem Kopfe?
Wart, ich will dich lehren schlucken,
Daß dich Feuer reißt im Kropfe!"

Und er schlägt den Hahn mit Ruten,
Bis der Kamm ihm schwillt im Zorne,
Hetzet ihn mit seinem Hunde,
Und nun neigt er mit dem Kopfe,

Schluckt das Feuerkorn mit Hunger,
Das ihn brennt wie glühe Kohlen,
Seine Flügel schon erfunkeln
Und die roten Augen rollen.

Seine Sichel sprühet Funken,
Sein Metallgefieder lodert,
Plötzlich beide Flügel zucken
Breit hinaus mit heftgem Tone.

Und er greift ganz ungeduldig
Nach dem schwarzen Feuerhorne,
Setzt es an am dunklen Munde,
Lenkt hinaus es zu dem Loche.

Setzt den Hahn bereit zum Fluge
In das weite Maul des Hornes,
Der wie eine Feuerzunge
Durch die Luft stürzt aus dem Horne.

Apo läßt die Feuerrufe
Durch die klare Nacht hindonnern,
Und auf des Theaters Kuppel
Fliegt der Hahn, die hell auflodert.

Feuer! Feuer! schreit man unten,
Und die Hörner schreien oben,
Hoch die Glocken gehn im Sturme,
Tief das Rasseln wilder Trommeln.

Aus des blauen Reno Ufern
Eilen bald die gütgen Wogen,
Hilfreich zu der Flammenkuppel
Durch die Hände emsgen Volkes.

Hundert Eimer um die Brunnen
Kommend, gehend, Wasser fordernd;
Der Metallsirenen Busen
Schimmert in der Fackeln Lohe.

Und die marmornen Neptune
Und die blasenden Tritonen
Gießen aus die vollen Muscheln
In die Urnen rings erhoben.

In dem Widerscheine funkelnd
Halten rings, die Menge ordnend,
Blankgestahlte Reuter Runde,
Jeder steht an seinem Orte.

Aus der fernen Klöster Dunkel
Tragen schon die frommen Orden,
Stille Litaneien murmelnd,
Wasser zu in Prozessionen.

Niederstürzend aus den Stuben
Sammeln schnell sich die Legionen
Der Studenten, und sie rufen:
|Pereat Incensus!| drohend.

Auf den festen Sammelpunkten
Ordnen sich die Nationen,
Und es schallen, sie berufend,
Rings die Stimmen der Senioren.

Lärmend eilen zu den Pumpen
Bald die munteren Franzosen,
Und die Hebel auf und unter
Hört man kreischend, jammernd toben.

Und die langgehosten Ungern
Ziehn auf ihren kleinen Rossen
Durch die weite Stadt umtummelnd,
Wache haltend nach dem Tore.

Bei dem schiefen Eselsturme
Sammeln sich mailändsche Chore,
Senden rüstige Patrouillen
Den Palästen ihrer Nobels.

Bei der Kirche Sankt Proculens
Stellet sich der Römer Horde
Auf zum Schutz der hohen Schule
Und der edlen Professoren.

Sankt Januari Blut anrufend
Füllen ihre Wasserrohre
Zu der Büchersäle Schutze
Neapolitansche Chore.

Und die festen deutschen Bursche,
Mit den Ellenbogen stoßend,
Schleppen auf den breiten Schultern
Feuerleitern, Haken, Kloben.

Bald mit Macht hinangeschwungen
Zu der hohen Fenster Bogen
Nun die sichern Leitern ruhen,
Allen Fliehenden zum Troste.

Viele retten sich im Sprunge;
Andre, an den Feuerkloben
Fest sich klammernd, hoch im Schwunge
Kommen nieder in dem Bogen.

Denn zum wilden Rettungssturme
Sind zu eng des Hauses Tore,
Und auf ewig wird verschlungen
Mancher in des Ausdrangs Woge.

In dem Brausen des Tumultes
Bricht des Kerkers Tor Meliore,
Eilet zu Biondettens Brunnen,
Einen Eimer voll zu holen.

Und ein kleiner blonder Junge
Hat den Eimer voll schon oben,
Spricht: "Geh hin und hilf, du Guter,
Traue auf die Allmacht Gottes!"

Bei der Kirche Sankt Proculens,
Wo der Maler Guido wohnet,
Steht Meliore, heftig rufend:
"Komme, alter Guido, komme!

Werft die Äxte mir herunter:
Ich und du und deine Tochter
Steigen auf des Brandes Kuppel,
Denn die Hilfe kömmt von oben!"

Und zum Feuer hingedrungen
Mit dem Meister und der Tochter,
Sieht aus einem Fenster, rufend:
"Leitern, Hilfe!" Jacopone.

Jacopone, der sein Bruder,
Hält die Gattin hoch erhoben,
Und um sie im Hintergrunde
Schon die roten Flmmen lodern.

"Rosarosa, spring herunter!
Weihe dich der Mutter Gottes,
Sie tut heut noch manches Wunder,
Hält in ihrer Hut die Frommen!"

Rosarosa springt im Fluge,
Stürzt sich in den Arm Meliores;
Neben sie stürzt auch im Sprunge
Jacopone an den Boden.

Als Meliore sie umschlungen,
Schrie sie laut: "Gott sei gelobet!"
Und erblasset; Ströme Blutes
Stürzen von ihr aller Orten.

Und vier deutsche brave Bursche,
Einen Manteln breit aufrollend,
Tragen heim sie auf dem Tuche,
Jammernd folget Jakopone.

Aber mit dem Wasserkruge
Dringet aufwärts nun Meliore
Auf der Jakobsleiter Stufen
Mit dem Maler und der Tochter.

Die die Leiter hierher trugen.
Sie sind göttliche Genossen;
Hoch zu des Theaters Kuppel
Steigen sie die lichten Sprossen.

Und nun hauet ohne Ruhe
Guido und die rüstge Tochter
Eine Öffnung in die kuppel,
Seinen Krug leert Meliore.

Segen ist in seinem Kruge;
Wie er gießt in stetem Strome,
Ist er nimmer leer, o Wunder!
Guido kniet und seine Tochter.

Und die Hände fest verschlungen
Beten sie, den Herren lobend.
Aber in des Hauses Runde
Springet kühn nun Melire.

Eine Stimme hört er rufen;
Wo sie rufet, wird er folgen,
Rief aus der Hölle Schlunde,
Rief sie von des Himmels Throne.

Als er stürzet mit dem Kruge,
Ist die wilde Feuerlohe
Bald in seiner Flut ertrunken,
Und die Not ist rings erloschen.

Niedersenket sich die Ruhe.
Mit des Wasser schneller Woge
Rinnen auch des Volkes Fluten
Ab zum Bette ihres Stromes.

Ruhig schaut von seinem Turme
In den Jammer hin Apone;
Wenn die Flammen aufwärts zucken,
Fühlt er froh sein Herz erhoben.

Aber als er auf der Kuppel
Sah den Maler und die Tochter,
Grüßt er sie mit bösem Fluche
Und den tapfern Meliore.

Denn aus einem armen Kruge
Löschet er die wilde Lohe,
Und so viele schwere Stunden
Hat ihn selbst sein Hahn gekostet.

Als solches denkt, da rufet
Laut der Hahn, der zu dem Knopfe
Wiederkehrte, und im Turme
Tönt herauf die Pfortenglocke.

Apo öffnet mit dem Zuge,
Lauschet nach des Trittes Tone,
Wie er auf den Wendelstufen
Hell sich aufdreht hin nach oben.

Dumpfer schallte es von unten —
Es war schier, als sei er doppelt —
Schwerer in dem halben Turme,
Als trüg man die Last nach oben.

Weiter oft der Tritt verstummet,
Denn der Träger holet Odem,
Endlich auf den letzten Stufen,
Bald wird's an der Türe klopfen.

Apo blicket durch die Stube,
Ob auch alles sei geordnet,
Jagt den Hund vom roten Stuhle,
Den er vor den Spiegel rollet.

Und mit einem Kranz von Blumen,
Belladonna, Hundsviolen,
Frauenschuh und Eisenhute,
Kränzet er des Stuhles Stollen.

Zeichnet dann mit einer Rute
In den Mehltau, auf dem Boden,
Seinem Gast zum bösen Gruße
Schnell ein magisches Willkommen.

Aber mitten in der Stube
Brennt an einem Totenkopfe,
Der in grüner Urne ruht,
Eine zauberische Lohe.

Eine süße Laube duftend,
Von des Mondes Strahl durchflochten,
Scheint des Turmes rußge Stube,
Als die Rosenflamme lodert.

Und die Flamme scheint ein Brunnen,
Funkelnd in des Mondes Wonne,
Wundersüße Träume murmelnd
Durch den Duft wollüstger Rosen.

Und es pocht. Herein zur Stube
Tritt der Famulus Apones,
Moles, seufzend ob dem Buche,
Das er anschleppt auf dem Kopfe.

"Du allein! Elender Bube!"
Flucht entgegen ihm Apone,
"Prahler! ist dir nicht gelungen,
Was du frech mir zugeschworen?

Wo ist sie, die heilge Jungfer?
Hat ein andrer sie gewonnen?" —
"Meister, schone deine Zunge!"
Spricht und lacht der schlaue Moles.

"Du sitzt hier im Mondschein munkelnd
Bei wollüstger Brunnen Wonne,
Eine andere Laube funkelnd
War um mich und andre Bronnen!

Trug ich gleich die süße Jungfer,
Sprach sie doch unselge Worte;
Ihr half eine andre Jungfer,
Der ich nicht bin mächtig worden.

Auch sprang von des Hauses Kuppel
Auf mich ein der Meliore,
Und des Feuers wilde Zungen
Leckten mich bis auf den Knochen.

Aber dummer als das Dummste
War der Weihewasserbronnen,
Den ein Mönch — im Höllenpfuhle
Durst er — auf mich ausgegossen.

Meister, Meister, trotz der Gluten,
Trotz dem scharfen Weihebronnen
Schwör ich, nimmer will ich ruhen,
Bis Biondette uns geworden!

Ach, wer dieses Leibes Wunder
Einmal trug in seinen Pfoten,
Wer den Druck des süßen Busens
Fühlte und den Duft des Odems —

Disteln sind mir alle Blumen,
Seit mir nah des Mundes Rose;
Der Kometen Haar gleicht Ruten
Vor der Goldflut ihrer Locken.

Und der Brüste Dioskuren,
Aus der Leda Ei geboren,
Durstig wie des Schwanes Busen,
Da er taumelte in Wonne.

Unter ihrer Brauen Runde
Lag der Venus Stern verschlossen,
Wie in Wolkenbetten schlummern
Liebestrunkne Nebelsonnen.

Und der Flammen durstge Zungen
Konnten nicht die Luft austrocknen,
Die, als ich sie trug, im Blute
Mir ein süßer Quell ergossen.

Welche Hölle kann verdunkeln
Dieses Himmels Wollustsonne?
Ja, die Sünde hat Minuten,
Wert des Lichtes ewge Kronen!" —

"Schweige, du berauschter Bube!"
Spricht Apone nun im Zorne —
"Soll mich in der Zauberbude
Trösten dein verdorbner Odem?

Ich glaub, von dem schweren Buche
Wardst du toll in deinem Kopfe;
Bringst du mir vielleicht vom Juden
Dieses Buch zum schlechten Troste?" —

"Meister, Meister, wollt nicht fluchen,
Denn von aller Liebeswonne
Und von aller Schönheit Wunder
Wird dies Buch nicht aufgewogen!

Bringe mir Biondetten ruhend
In dem Schoße süßer Moose,
Singend, von Gewürzen duftend,
Wie das Lied des Salomone —

Nicht kauf ich sie mit dem Buche!
Vor ihm seien die Kleinode,
Die in Licht und Dunkel ruhen,
Eine taube Nuß gescholten!

Ein Geschenk mit diesem Buche
Mach ich dir, wenn du gelobest,
Mir zu stellen diese Stunde,
Ja jetzt gleich, die Horoskope.

Mir gab's meine selge Mutter,
Die drum einen Mönch ermordet.
Der es in dem Sarg gefunden
Eines zauberischen Mohren,

Der von einem alten Juden
Es getauscht um heilge Brote
Wahren Leibs und wahren Blutes,
Die er vom Altar gestohlen.

Und der Jude, einen Hunnen
Hat er um das Buch betrogen,
Der von einem Arzt beim Sturme
Von Cracovia es erobert.

Und der Arzt kam zu dem Buche
Durch die Erbschaft eines Kopten,
Dessen Stamm durch manch Jahrhundert
Es erhielt, Gott weiß wie, woher!

Doch daß über Adams Schulter
Einsten an dem dritten Morgen
Es ein Engel abschrieb munter,
Stehet auf dem letzten Bogen." —

"Wie kam Adam zu dem Buche?" —
"Wisse, wann des Himmels Sonne
Und die Sterne gehn zur Schule,
Ist dies Büchlein in der Mode.

Da der Herr die Welt erfunden,
War die Welt von wenig Worte;
Alles war sehr kurz gebunden,
Auf die lange Bank geschoben.

Des Vokals belebend Wunder,
Ehgeheimnis der Diphthonge,
Und der Konsonanten Hunger
Lernt er draus zu Worten kochen.

In dem A den Schall zu suchen,
In dem E der Rede Wonne,
In dem I der Stimme Wurzel,
In dem O des Tones Odem,

In dem U des Mutes Fluchen,
Hat er aus dem Buch geholet,
Als im H des Hauches Wunder
Gottes Geist in ihm gegossen.

Auch das große Vaterunser
Und der Herr Gott wir dich loben
Findst du drin in grobem Drucke,
Wie es beten Mond und Sonne.

Und manch Rätsel von der Tugend
Und vom Fiat, fein verschoben;
Die Auflösung stehet unten
In verkehrt gedruckten Noten.

Fabeln mischen sich mit drunter,
Wie die Tiere sich besprochen,
Wie der Adam sich verwundert,
Da die Eva kam in Wochen,

Da sie trug ein groß Gelüsten
Nach ausländschem Himmelsobste,
Wie die Schlange sie entbunden,
Und wie sie moralisch worden.

Unterhaltung und auch Nutzen
Sind verbunden hier gar vornhem,
Denn du findest angebunden
Kunstrezepten aller Sorten:

Färberkuppen, Tintenpulver,
Surrogate für die Toten,
Restaurantia für die Tugend,
Manch Rezept zu Religionen.

Freier Wille ist des Buches
Höhrer Titel in zwei Worten,
Gottes Wille heißt's im Grunde,
Seit die Freiheit ging verloren.

Und Notwendigkeit am Schlusse
Heißt es auch mit anderen Worten,
Not ist hier die wahre Wurzel,
Und das Wenden wird verboten.

Gott sprach zu den Menschen: |Surge,
Eheu, eheu Christofore,
Nam ad scholam tempus nunc est!|
Und weckt ihn mit seinem Odem.

Und vom Himmel kam herunter
Diese A-B-C-Methode,
Und die neugeschaffne Jugend
Ist daraus zum Doktor worden.

Aber schwer sind die Geburten,
Nötig sind die Rotationen,
Und fatal ist das Versuchen,
Seit das Weib den Tod geboren.

Und du lernst aus diesem Buche,
Wie der Kaiserschnitt zu ordnen,
Daß lebendig bleibt die Mutter
Und das Kind auch sei gewonnen!

Denn wie alle ihre Wunder
In den ersten Schriftleinsbogen
Die Gelehrten gern hermustern,
So ging's hier auch den Autoren.

Und weil Adam bei dem Buche
Sich den Kopf zu sehr gebrochen,
Fragte Eva, Rat sich suchend,
Andere Kommentatoren.

Was im Stile oben dunkel,
Hellen auf die untern Noten;
Über oben, über unten
Schrieb am Rand ein Geist die Glosse.

"Schweig, es ist genug; verstumme!"
Spricht zu Moles nun Apone,
"Ich weiß nicht, ob du den Dummen
Spielest oder ob du spottest!

Hatt ich das in dir gesuchet?
Redest du mir Kinderpossen,
Oder bist du ein Verruchter,
Der mich höhnisch denkt zu foppen?

Hat ein Arzt dies Buch beim Sturme
Von Krakovia verloren,
Und hieß Amber Herr des Buches?
Rede, sage es unverhohlen?" —

"Amber, ja, so steht im Buche,
Und er war ein Äthiope." —
"Hei! so ist ein Schatz gefunden!"
Spricht in Freuden jetzt Apone,

"Gib es her!" — "Nein!" spricht der Bube,
"Stelle mir die Horoskope,
Jetzt, sogleich, in fünf Minuten,
Und dir geb ich's, wie gelobet!"

Und Apone fragt mit Murren:
"Wann bist du geboren, Moles,
Sag das Jahr, den Tag, die Stunde,
Und ich stell die Horoskope." —

"Meister, meine letzte Mutter
Hat mich dieses Mal geboren
In dem Jahre Siebenhundert,
Am Geburtstag des Herodes,

In der lustgen roten Stunde,
Da die Kindlein man gemordet.
Sie hat selbst es in dem Buche
Angemerkt mit kurzen Worten."

Apo merkt sich diese Punkte,
Hat der Kreise viel gezogen
Und geschrieben viele Nummern
An dem Boden mit der Kohle,

Und hierauf die ganzen Summen
Von den halben abgezogen,
Dann sich ernstlich drob verwundert,
Als er fand die Horoskope.

"Du bist heut im Jahr der Stufen,"
Sprach er, "hüte dich vor Rosen!
Du bist heut in diesen Stunden
Von Gefahren schwer bedrohet!

Hüte dich, denn ob dir runden
Die Gestirn recht im Zorne,
Einge Stellen bleiben dunkel,
Die vom Feuer und vom Tode.

Denn dein Schicksal ist verbunden
Mit unzähligen Legionen,
Unbekannt ist eure Mutter,
Um Betrug wirst du betrogen

Und wirst sein von großen Nutzen
Einem hohen Philosophen,
Und dies ist schon mit dem Funde
Deines Buches eingetroffen.

Aber dunkler wird's und dunkler,
Denn ich sehe die drei Rosen,
Die zu einem starken Bunde
Gegen dich sich fest verschworen.

Hüte dich vor einem Brunnen,
Wo die Kinder drinnen wohnen,
Denn du teilest diese Punkte
Mit dem Tage des Herodes.

Und in manchen Konjunkturen
Stehen meine eignen Pole
Mit den deinigen verbunden,
Denn mir drohen auch die Rosen.

Durch dich, was mich gar sehr wundert,
Wird entstehen einst ein Kloster,
Und die böse Rosenblume
Wächst im Garten dieses Klosters.

Einem ungeheuern Sturze
Bist du auch noch unterworfen;
Jetzt wird's klarer: Deine Stunde
Wird dir mit dem Feuer kommen."

Und nun greift er nach dem Buches.
"Nimm es hin!" sprach lachend Moles,
"Du weissagst mir wenig Gutes,
Mein Geschick ist nicht zu loben."

Aber an dem Turme unten
Schallet heftig nun die Glocke,
Und da Apo schaut hinunter,
Sieht er seiner Schüler Horde.

"Was nur mag zu dieser Stunde
Dieser Troß von mir doch wollen?"
Und er öffnet mit dem Zuge
Schnell des Turme kleine Pforte,

Löschet in der grünen Urne
Schnell das Licht des Totenkopfes,
Und es gleicht die schwarze Stube
Einem alten dunkeln Boden.

Da die Schüler auf den Stufen
Seiner Türe näher kommen,
Spricht: "O Meister, laß mich suchen
Einen Winkel!" zu ihm Moles.

"Weil in diesen bösen Stunden,
Wie du sprachst, Gefahr mir drohet;
Daß die Schüler dich besuchen,
Macht mich ängstlich und betroffen."

Apo spricht: "Hier hinterm Stuhle
Bist du gänzlich wohl verborgen;
Ich verhäng dich mit dem Tuche,
Das ihn rings bedeckt zum Boden."

Und es öffnet sich die Stube.
Apo sitzt wie auf dem Throne,
Und in eine halbe Runde
Sich die Schüler um ihn ordnen.

Einer tritt dann mit der Urne
Vor ihn, spricht: "O Herr, des Moles
Asche in der Urne ruhet!
Er starb eines seltnen Todes.

Ja sein Tod war recht ein Wunder,
Denn die Sängrin retten wollend,
Stürzten zu ihm alle Gluten,
Brannten ihn vor uns zu Kohlen!

Und wie auch des Wasser Fluten
Rings wir auf ihn niedergossen,
Brannt er bis zum letzten Funken,
Und es blieb auch nicht ein Knochen!

Da ein Mönch geweihten Brunnen
Zu ihm sprengte ein'ge Tropfen,
Ward er Asche; in der Urne
Haben wir sie aufgehoben.

Herr verzeih, daß wir zur Stunde
Uns hieher zu dir erhoben,
Denn wir kommen hoch verwundert
Zu dir, und entsetzt, erschrocken!"

Apo höret ihre Kunde,
Und ihm stockt fast der Odem;
Ängstlich spricht er: "Deine Zunge,
Schüler, hat sie nicht gelogen?"

Alle sprechen in der Runde:
"Meister, es ist nicht gelogen,
Denn es sah's die ganze Schule,
Und es sahens alle Ordnen.

Und es schrieen alle: Wunder!
Die gelöschet in der Oper,
Da sie unsern teuern Bruder
Sahn zu Asche niederlohern!" —

"So enthüllet mir die Urne!"
Sprach Apone tief erschrocken,
"Daß ich Ehre an ihm tue,
Denn ich war ihm stets gewogen.

Längst wußt ich, daß dieser Stunden
Große Nöten ihn bedrohten;
Seht: Hier mit dem schwarzen Ruße
Stellt ich seine Horoskope.

Er war eine der Naturen,
Die im Zentrum aller Sonnen
Feuer tragen in dem Blute,
Das sich in sich selbst vertrocknet.

Seine Asche untersuchen
Wollen wir am nächsten Morgen,
Daß er uns belehrend, nutze,
Auch noch hilfreich in dem Tode!"

Da enthüllten von dem Tuche
Sie die Urne; eine Wolke
Schoß heraus, ganz dick und dunkel,
Die rings durch die Stube rollte.

Sie drang auf mit solchem Schwunge,
Daß der Schüler stürzt zu Boden,
Und die Treppentüre suchend
Alle übernander stoßen.

Wunderliche Zerrfiguren
Bildete die wilde Wolke,
Flog dann summend, eine Hummel,
In den schwarzen Bart Apones.

Da er sie zu jagen suchte,
Wuchs sie, ihm zu großem Zorne,
Aus dem Bart als Bart herunter
Und flocht sich zu einem Zopfe.

Apo fängt nun an zu fluchen,
Und ein hohles Lachen kollert
Um ihn her. Nichts mehr zu suchen
Hatten die Studenten oben.

Und die Treppe schier kopfunter
Schossen sie hinab von oben,
Ihre Seelen auch mitunter
Diesem, jenem angelobend.

Apo glaubt in falschem Mute,
Daß sie seiner spotten wollten,
Und stürzt nach mit seiner Rute
Auf die armen jungen Toren,

Bis in seinem Bart verschlungen
Er hinabzustürzen drohte;
Denn er stieß mit einem Fuße
Auf dem Weihbrunnkessel oben,

Der hellklingend auf den Stufen
Widerspringend niederrollet
Und der fliehenden Schuljugend
Wie ein böser Donner folgte.

Hei! wie hat ein muntres Fluchen
Da der zornge Mann erhoben!
Aufwärts tappend nach der Stube
Ward er an dem Bart gezogen.

Da er eintrag in die Kuppel,
War der Bart dem Zug gefolget
Und fiel vor ihm in der Stube
Schwarz als Asche auf den Boden.

Apo reißt das Tuch vom Stuhle,
Aber statt des Schelmen Moles
Sieht er dort nur seinen Pudel
Sitzend auf den Hinterpfoten.

Dieser Anblick macht ihn stutzen,
Und es ging sein Zorn verloren;
Vor der Überraschung Wunder
War er innerlich erschrocken.

Er erkannte in dem Hunde
Und in seinem Schüler Moles,
Was er nimmermehr vermutet,
Einen heimlichen Dämonen.

Und sprach nun mit kalter Ruhe:
"Bist du solchen Schrot und Kornes,
Soll dir alles auch zugute,
Wie du mir's geboten, kommen!"

Greifet dann nach einem Buche
Und nach einer Glasesglocke,
Die bezeichnet mit Figuren
Und beschrieben rings mit Formeln.

Und mit seines Fingers Drucke
Töne aus der Glocke lockt er,
Die dem wundersamen Pudel
Peinlich schallten in den Ohren.

Mit dem Winseln eines Hundes
Schrie: "Erbarmen!" laut der Moles.
"Laß mich nicht so schwer verschulden,
Daß ich scherzhaft bin geworden!"

Doch zu quälen ihn nicht ruhet
Apo mit dem Ton der Glocke,
Bis der Geist zu allem Guten
Sich ihm hoch und tief verschworen.

"Sprich, in welcherlei Figuren
Soll ich künftig bei dir wohnen?"
Fragt er, "da ich in den Gluten
Starb, nach deinem Horoskope."

Apo sprach: "Du bleibst mein Pudel;
Aber soll ich deiner schonen,
So erklär die dunklen Punkte
Gleich jetzt deines Horoskopes.

Wer war deine erste Mutter?
Wer hat dich zuletzt geboren?
Wie steht es mit jenem Buche?
Was bedeut der Haß der Rosen?

Was hast du mit einem Brunnen,
Welchen Kinder klein bewohnen?"
Nun spricht aus dem Hundeknurren
Zu dem Herrn der schlaue Moles:

"Ich weiß nichts von jenem Brunnen
Und auch nichts von jenen Rosen,
Sie sind mir wie dir so dunkel,
Auch die Stiftung jenes Klosters.

Denn es gibt gar manche Wunder,
Die mir ewig sind verschlossen:
Aber ganz auf andre Spuren
Hab ich suchend mich geworfen!

Wenn Biondetten du errungen,
Wenn getötet du Meliore,
Wenn ohn Abendmahls Genusse
Starb das Weib des Jacopone,

Wenn verzweifelt, ohne Buße,
Starb der Fackelgießer Kosme,
Und wenn stürzt in schwere Schulden
Seine jungfräuliche Tochter,

Und in Raserei zugrunde
Geht der Bruder Jacopones,
Pietro, der die schönen Blumen
Ziehet vor dem römschen Tore:

Dann magst du und ich in Ruhe
Ewig hausen vor den Rosen
Und dem Kinde jenes Brunnens
Und vor jenem neuen Kloster!

Aber willst du meine Mutter
Kennen, lies die ersten Bogen
Des dir hochgepriesnen Buches
Von dem Weib des Erdensohnes!"

Also sprach der Geist. Zum Buche
Sitzt begierig nun Apone,
Ihm zu Füßen liegt der Pudel
Augenfunkelnd an dem Boden.

Doch die Lettern dieses Buches
Sind ihm unbekannte Formen,
Und erzürnt der Meister fluchet,
Moles mit den Füßen stoßend.

"Was soll mir der welsche Plunder?
Wahrlich, diese Schrift ist toller,
Als im Schnee die krausen Spuren
Hungrig scharrnder Hühnerpfoten!"

Zu ihm schwänzelnd spricht der Pudel:
"Meister, diesen Fall ich lobe.
Lang ging ich zu deiner Schule,
Nun kannst du zu meiner kommen.

Ich will dir zur rechten Stunde
Bald ein paar Tinkturen kochen,
Und hast du davon getrunken,
Liest du alle Hühnerpfoten!

Und dann geb ich dir in kurzem
Auch die rechte Lesmethode,
Wie von oben du nach unten,
Und von unten liest nach oben.

Denn das ist des Buches Wunder,
Trotz dem Werk der Philosophen:
Du magst lesen drüber, drunter,
Immer gleich bleibt dir geholfen.

Weil auf Schlüssen es beruhet,
Die von hinten aus nach vornen
Was nach oben, was nach unten
Ward verknüpfet, schnell entknoten.

Konsequenz allein ist Tugend,
Und das Ding verkehrt genommen,
Was man kann, weil es gerundet,
Kann das Laster selbst uns frommen.

Hast du Kraft dazu gefunden,
Magst du immer unverhohlen
Schwimmen gen den Strom des Flusses,
Streichen gen des Wuchs die Borsten.

So findst du der Freiheit Wurzel,
Dringst vom Abgrund du nach oben;
Allen Zwang hat überwunden,
Wer entwurzelt das Verbotne!" —

"Schweig mit der Moral der Hunde!"
Sprach beschämet nun Apone,
"Sage her des ersten Buches
Inhalt!" — Und zu ihm spricht Moles:

"Du liest in dem ersten Buche,
Wie unendlich war ergossen
Or Haënsoph ohne Dunkel,
Ein unendlich Leuchten Gottes.

Wie dem Lichte ist entsprungen,
Sich rückziehend durch das Wollen,
Dunkler Raum im Mittelpunkte,
Worin ward die Welt geboren.

Wie sich in des Rückzugs Spuren
Kreisend dann das Licht ergossen,
Mannigfach des Raumes Dunkel
Licht erringend hat umschlossen.

Und wie, alles durchfiguret,
Adam Kadmon war geboren,
Aus sich selbsten ausnaturend
Die zehn Kräfte Sephirote.

Wie vier Welte sind entsprungen,
Da lebendig war das Wollen:
Asia, Briat, Aziluthe
Und Jezirah, Antlitz Gottes.

Die Jezirah ist durchdrungen
Von zehn hohen Engelchoren,
In astralschen Leiber funkelnd
Sind sie alle schon personet.

Die Asia ist die untre,
Materialisch schon geformet,
Drin die bösen Geister wurzeln,
Die in Gottes Zorn geboren.

Sie ist aus dem Streit entsprungen,
Als das Ebenbildnis Gottes,
Adam Kadmon, zu bewundern
Gott die Engel aufgefordert.

Luzifer ist aufgedrungen
Und hat da im ersten Stolze
Adam Kadmon ausgerufen,
Nicht als Bild, nein als den Gott selbst.

Denn als Gott sich ausfiguret
In der Kraft des ewgen Wollens,
Wollte Luzifer naturet,
Über ihm als Herr nun thronen.

Aber aus dem Licht ins Dunkel
Ward er da hinabgestoßen;
So entstand die Schwere unten,
So ward untre Welt geformet.

Die nun materialisch rundet
Als die Erde, Mond und Sonne,
Aber doch in ihrem Schwunge
Ist der obern unterworfen.

Und so sind in Gott entsprungen,
Aber doch in ihrem Wollen
Widerstreitend scharf zwei Punkte:
Ewges Licht und ewges Dunkel.

Wer nun in der Tiefe suchet,
Wo die starken Geister wohnen,
Der wird stark in ihrem Bunde;
Jeder ist dem Geist willkommen.

Selig aber sind die Dummen,
Sie gehn auf im Schoße Gottes,
Wissen nicht das was sie tuen;
Hast du Lust dazu, Apone?

Geißle blutig dir den Buckel,
Schlafe auf dem harten Boden,
Küß kein Weib und bet hungre,
Gehe stolz einher im Spotte!

Und vor allem sei ein Kluger,
Wählst du in den Religionen
Unter Heiden, Christen, Juden,
Daß du triffst die rechte Pforte!

Oder willst du im Abgrunde
Mit dem hohen Geiste wohnen?
Willst du leuchten in dem Dunkel
Vor den andern Philosophen?

Jauchze dann in ewger Jugend,
Plätschre in des Lebens Wogen,
Daß dich heben Wollustfluten
Übers Tor des ewgen Todes!

Denn das ist das hohe Wunder
Und der Teufelsquell des Trostes,
Daß wir nimmer gehen unter,
Weil wir streben nur nach oben!

Wir allein sind fest gefußet,
Sind es durch Erkenntnis worden
Von dem Bösen und dem Guten;
Stürzen können die von oben,

Steigen können die von unten!" —
Also sprach der schlaue Moles,
Und begann von seiner Mutter
Die Geschichte dann, wie folget.

** Romanze X: Schöpfungsgeschichte des Moles

"Als das Licht sich hat entzweiet,
Stieg was leicht und sank was schwer,
Und das Eine war gezweiet
Zwischen Gott und Luzifer.

Luzifer, dem stolzen Geiste,
Diente nun der feste Kern,
Und was unterridisch kreiste,
Nannte ihn den mächtgen Herrn,

Der von unten aufwärts greifet
Und mit Wonne und mit Schmerz
Was unsicher oben schweifet
Niederreißt ans erzne Herz.

Und der Oberfläche Zweifel
Stehet an der Scheide Weg,
Und das eben ist der Teufel,
Daß so eben ist sein Weg.

Aber nieder sah mit Neide
Gott zum festen Erdenstern,
Und er wollte, daß sie beide
Anteil hätten an dem Kern.

Wollte, daß als Friedensgeisel
Einer zwischen beiden geh,
Und, des großen Künstlers Meißel
Lobend, an der Sonne steh;

Der, den Geist der Erde preisend,
Hafte an dem Grunde schwer,
Mit der Stirne aufwärts weisend,
Mit dem Leibe irdisch wär.

Und der Herr sprach: "Nieder reise
Zu der Erde, Gabriel,
Bring in ihre sieben Kreise
Des Allmächtigen Befehl,

Daß sie dir des Staubes reiche
Aus den sieben Tiefen schnell,
Daß ein Bildnis, das mir gleiche,
Ich ihr draus zum Herren stell."

Als der Seraph niedersteigend
Zu der irdschen Feste schwebt,
Lag die Erde einsam schweigend,
Von der Geister Puls durchbebt.

Wo des Engels Flug ausgreifet,
Spaltet sich das Firmament,
Und aus seinen Ufern schweifet
Bang das nasse Element.

Und es dreht sich das Eisen
Schmerzlich in der Erde Herz,
Daß die Quellen los sich reißen
Aus der Tiefe himmelwärts.

Auf den Fittichen gebreitet
Steht der Seraph vor dem Kern:
"Erde, dir ist Heil bereitet
Durch den Willen deines Herrn!

Sei gegrüßt, Gebenedeite!
Denn mit dir will sein der Herr,
Und aus deinem Eingeweide
Soll erstehen dir der Herr.

Und die Frucht aus deinem Leibe
Soll dem Herren ähnlich sehn;
Daß dir Gottes Liebe bleibe,
Soll sein Bild aus dir erstehn.

Drum aus deinen sieben Reisen,
Von der Rinde bis zum Kern,
Laß mich eine Handvoll greifen;
Also ist der Will des Herrn!"

Vor des Engels lautem Schreie
Widertönt der Erde Erz,
Und mit einem tiefen Schreie
Tönet auf aus ihr das Herz:

"Gabriel! zum Herrn ich schreie,
Tief in innrer Angst erbebt,
Daß er mir den Wunsch verzeihe,
Daß ich bleibe unbelebt.

Daß ich jungfräulich im Scheine
Seines Lichtes freudig steh,
Nimmer um den Menschen weine,
Nicht in Sünde untergeh.

Jetzo bin vor Gott ich reine;
Soll ein Herr aus mir erstehn,
Wie soll bleiben er der meine,
Wenn er in das Licht gesehn?"

Und den Seraph hat das Weinen
Der Jungfräulichen bewegt,
Zu des ewgen Lichtes Scheinen
Ihn der Flügel wieder trägt.

Und wo er im Flug verweilet
In der weiten Himmelshöh,
Geht die Sonne, da er eilet,
Auf, daß sie die Erde seh.

Und er sprach: "O Herr, verzeihe!
Mich durchdrang ihr rührend Flehn;
Ihre Bitte, Herr, verleihe,
Laß in Reinheit sie bestehn!"

Doch der Herr sprach: "Will im Scheine
Meiner Sonnen keusch sie gehn,
Will sie bleiben immer reine,
Eh ihr auf die Augen gehn?

Sie liegt in des Traumes Zweifel,
Wenn mein Bild nicht auf ihr lebt;
Aus ihr schreiet nur der Teufel,
Wenn sie zierend widerstrebt."

Und der Herr sprach: "Niedersteige
Zu der Züchtgen, Michael!
Daß sie dir des Staubes reiche,
Nach des Ewigen Befehl!"

Als der Seraph sie umkreisend
Sieht im Mittagsglanze stehen
Und, des Herren Milde preisend,
Sich im Sonnenstrahl ergehn,

Rühret ihn, den göttlich Freien,
Der nicht kannte irdisch Weh,
Ihr metallisch heißes Schreien,
Daß ihr hart Gewalt gescheh.

Und er blieb, zur Höhe eilend
Bittend vor dem Ewgen stehn,
"Herr!" sprach er, "hör Gnad erteilend
Schonend an der Erde Flehn!

Ich hab sie im Sonnenkleide
Also schuldlos schlummern sehn,
Aller Tränen Augenweide
Unter meines Fittichs Wehn.

Als ich meine Flüge breitend
Sie mit meinem Flug erweckt,
Ihre Schmerzen tief mitleidend,
Hat mich ihr Geschrei erschreckt!"

Und der Ewge sprach: "So steige
Zu der Jungfrau, Raphael,
Daß sie dir des Staubes reiche,
Bringe ihr des Herrn Befehl!"

Und der Seraph niederschweifet
Überm blauen Wogenmeer,
Und die Erde lag umreifet
Von dem Abendglanz umher.

In dem roten Sonnenscheine
War sie so in Trauer schön,
Stille lauschend, wie sie weine,
Blieb er auf den Wogen stehn.

Und von ihrem heißen Weinen
Wurden seine Flügel schwer,
Und er mußte mit ihr weinen
Nieder in das dunkle Meer.

Da er in die Wogen weinet,
Da erbitterte das Meer,
Und ihr Herz in Schmerz versteinet
Floß in salzgen Quellen her.

Und der Engel wollte weichen,
Da die Sonne stieg zur See,
Und er stellt zum Friedenszeichen
Ihr den Mond in blauer Höh.

Da er zu dem Licht aufreisend
Durch das hohe Himmelsfeld,
Rollen seine Tränen kreisend
Um die Erd das Sternenzelt.

Und der Herr sprach: "Niedersteige
Zu der Erde, Azrael!
Daß sie dir des Staubes reiche,
Bringe ihr des Herrn Befehl!"

Und der Seraph weit ausbreitet
Er die Flügel um sich her,
Daß der Schatten mit ihm schreitet
Und die Nacht so tief und schwer.

Ihn soll nicht ihr Schmerz ergreifen,
Er will sie nicht trauern sehn,
Und vor ihm an ihren Reifen
Mond und Sonne untergehn.

Von der neuen Lichter Scheine
Die Geblendeten vergehn,
Als sie freudg und alleine
In ihr eigenes Herz gesehn,

Und fand allerlei Gebeine,
Die das Licht in ihr erregt,
Fand in sich die edlen Steine
Dunkel schimmernd ausgelegt.

Und traumwandelnd sie beschleichet
Nun der schlaue Azrael,
Und die Träumerin sie reichet
Sieben Staube dem Gesell.

Da er zu dem Ewgen steiget,
Ließ er sie im Schlafe stehn,
Der der Erde hat gezeiget,
Daß sie müsse untergehn.

Da den Staub dem Herrn er reichet,
Spricht der Ewge: "Azrael!
Wer das Leben so beschleichet
So vollbringet den Befehl,

Der soll alle Seelen leiten
Zu dem Himmel, zu der Höll,
Die sich von dem Leben scheiden,
Todesengel Azrael!"

Und die Erden schärfer scheidend
Ließ des Meisters Will entstehn,
Tiere immer höher schreitend
Kriechen, schwimmen, fliegen, gehn.

Und die sieben Erden einet
Er zum Menschen noch zuletzt;
Der da lachet und auch weinet
War zum Erdherrn eingesetzt.

Ihn haucht an der Herr der Geister,
Hat ihm einen Geist geschenkt,
Daß er ähnlich sei dem Meister,
Irdisch lebend göttlich denkt.

Von der Erd zum Sternenkreise
Reicht er, wenn er aufgestellt;
Sonnen gleich zu Gottes Preise
War das Antlitz ihm erhellt.

Ruhend ihm die Stirne reichte,
Wo die Sonne aufersteht;
Ruhend ihm die Ferse reichte,
Wo die Sonne untergeht.

Und die Tiere und die Geister
Blieben betend vor ihm stehn,
Glaubten ihn den ewgen Meister,
So war herrlich er und schön!

Doch da sie ihm näher schreiten,
Haben sie ihn erst erkennt,
Da er schrie: "Die Herrlichkeiten
Gottes sind ohn Zahl und End!"

Aber Gott sah ihn mit Neide,
Wollte ihn verkleinern gern,
Auf daß künftig unterscheide
Man den Diener von dem Herrn.

Ließ vom Schlafe ihn beschleichen,
Den erfunden Azrael,
Zu ihm, zu den irdschen Reichen
Stieg er, daß er ihn bestehl.

Machte um viel Ellen kleiner
Und beraubt sein eigen Werk,
Streute um ihn her die Beiner,
Daß er seine Herrschaft merk.

Und da Adam war alleine,
Sah die Tiere paarweis gehn,
Wollt der Herr, daß er nicht weine,
Ihm nach einem Weibe sehn.

Und er rief: "Hernieder steige
in die Tiefe, Azrael!
Daß sie dir des Staubes reiche,
Bringe ihr des Herrn Befehl!"

Aber alle sieben Kreise
Waren durch und durch belebt,
Daß den Staub er zu sich reiße,
Harten Kampf der Geist erhebt.

Als er in der Nacht ausgreifet,
Griff er in ein Pfauennest,
Und den Vogel hochgeschweifet
Steckt im Wolkengurt er fest.

Weiter fassend zu ihm schleichet
Eine Katze augenhell,
Funken sprühen, wenn er's streichet,
Aus dem glatten Schmeichelfell.

Aus der Wurzel sodann reißt er
Belladonna Azrael,
Und Fünffingerkraut; der Meister
Wird schon wissen, was ihm fehl.

Eine Purpurschnecke reichet
Ihm sodann das weite Meer,
Und aus seiner Höhle steiget
Basiliskus zu ihm her.

Und mit diesen Sechsen einet
Er den König, der sich hebt,
Und in roter Schminke scheinet,
Wenn Merkur bei Sulphur lebt.

Diese böse Sieben reichet
Klug dem Engel Luzifer,
Der vor ihm im Dunkel schleichet,
Als wenn er die Erde wär.

Diese Sieben formt zum Leibe
Nun der Herr, die sonst getrennt,
Gibt dem Adam sie zum Weibe;
Lilith war das Weib genennt.

Adam! Adam! du mußt leiden,
Dir ist bös ein Weib gesellt!
Wer mag dich von Lilith scheiden,
Die vom Herrn dir ward bestellt?

Schreiend, widergellend, keifend
Eifert sie und widerbellt,
Mit den tausend Augen schweifend,
Die der Pfauenschweif enthält.

Und da heuchelt sie und schmeichelt
In dem weichen Katzenfell,
Und wenn er betört sie streichelt
Kratzt und beißt sie den Gesell.

Nach der Belladonna weisend
Er sie etwas giftig nennt,
Bald auf seinen Wangen beißend
Das Fünffingerkraut entbrennt.

Purpur und Zinnober weiset,
Wie es mit der Wahrheit steht,
Wenn der Basiliske gleißend
Aus der falschen Schminke geht.

Ewig waren sie entzweiet,
Sie erkannt ihn nicht als Herrn,
Den Schemhamphorasch laut schreiend
Flog sie in die Lüfte fern.

Da sprach Adam: "Herr der Geister,
Lilith floh aus meiner Welt;
Sie will nicht, daß ich als Meister
Über sie sei aufgestellt!"

Gott ließ nun drei Engel reisen,
Die sie fanden überm Meer;
Sie zur Güte hinzuweisen,
Machte sie den Engeln schwer.

Und nichts konnte sie erweichen,
Daß sie zu dem Adam kehr,
Und die Engel, daß sie schweige,
Drohn zu stürzen sie ins Meer.

Da schwur sie, zur Qual alleine
Sei geschaffen sie zur Welt,
Zu der eignen Kindlein Peine
Sei zum Leben sie bestellt.

Und der Herr sprach: "Ja, so bleib es!
Doch, um sie zu bändigen,
Sollen Kinder ihres Leibes
Täglich hundert untergehn!"

Und seit diesen Fluch der Meister
Ließ ergehen für ein Recht,
Sterben täglich hundert Geister
Aus der Lilith Urgeschlecht.

Um den Adam zu beschleichen,
Gott sein Haupt in Schlummer senkt,
Stiehlt die Rippe ihm, ein Zeichen,
Daß der Mensch denkt und Gott lenkt.

Denn er war durch Schaden weiser,
Scheute sich vor Luzifer,
Und er geht Werke leiser,
Will nun keine Erde mehr.

Und die Rippe wird zum Weibe;
Heva hat er sie genennt,
Sie war Fleisch von Adams Leibe,
Und sie haben sich erkennt.

Ihre Locken zu den Seiten
Flocht und schmückte ihr der Herr,
Salbte sie, und tanzend schreiten
Mußte sie zu Adam her.

Tausend Engel, sie zu preisen,
Vor dem klaren Weibe gehn,
Singend, spielend sie umkreisen
Rings mit himmlischem Getön.

Und es tanzten rings den Reigen
Sonne, Mond und Sterne fern
Nach der Engel Harf und Geigen
Vor der Braut des Erdenherrn.

Während seinen Segen beiden
Reichet gütig nun der Herr,
Zu der Mahlzeit sie zu leiten
Eilten dann die Engel her.

Auf dem Tisch von Edelsteine
Da die Hochzeitsspeisen stehen,
Schenkend wohlgekühlte Weine
Engel um die Tafel gehn.

Gott zeigt in dem Paradeise
Einen Baum, der hoch aufstrebt,
Spricht: "Die Frucht nehmt nicht zur Speise,
Sie ist tödlich!" und entschwebt.

Da er von der Erde weichet,
Von dem Herren zum Geschenk
Raphael ein Buch ihm reichet,
Daß er seiner Liebe denk.

Aller Schöpfung Heimlichkeiten
In dem Buch verzeichnet stehn,
Und die Engel aller Seiten
Schleichen, in das Buch zu sehn.

Hinter seinem Rücken schreibet
Ab das Buch der Samael,
Luzifer ihn dazu treibt,
Daß auch nicht ein Buchstab fehl.

Doch zu viel sitzt seinem Weibe
Bei dem Buche der Gesell,
Und sie schweift zum Zeitvertreibe
Durch den weiten Garten schnell.

Und sie sieht zur ihr herreiten
Auf dem ragenden Kameel,
Der sie will zur Freiheit leiten,
Stolz den hohen Samael.

"Wollet mich zum Baum doch leiten",
Spricht er, "der im Garten steht,
Der verboten ist euch beiden,
Auf daß ihr euch nicht erhöht!

Aus des Buches Heimlichkeiten
Hab ich heute eingesehn:
Wer der Früchte ißt, wird schreiten
Auf zu Gott, ja gleich ihm stehn."

Und geführet von dem Weibe
Greift zum Baume Samael;
Daß er ungetötet bleibe,
Zeigt er essend ohne Hehl.

Und das Weib zum Baume greifet;
Aber wehe! vor ihr schnell
Zu der Erde niederschweifet
Todesengel Azrael.

Sie gedacht in tiefem Leide,
Daß sie nicht alleine sterb.
"Sterben wir doch besser beide,
Daß kein Weib ihn mehr erwerb."

Zu dem Mann ist sie geeilet,
Der bei seinem Buche steht;
Bis die Sünde er geteilet,
Eher sie nicht von ihm geht.

Und der Herr sah es mit Neide,
Und aus Adams Händen schwebt
Weg das Buch, daß er mit Leide
Seinen Blick zu Gott erhebt.

Und er schlug sein Haupt und weinte,
In den Gichon-Fluß sich stellt,
Und so jammerte und weinte,
Daß er bis zum Haupt ihm schwellt.

Und der Schimmer seines Leibes
Rostet und wird träg und schwer,
Und es wird zum Fluch des Weibes,
Daß mit Schmerzen sie gebär.

Gott stürzt sie vom Paradeise,
Und sie stürzten ab, getrennt;
In der Erde tiefstem Kreise
Adam sich zuerst erkennt.

Erez Hattachtona heißet
Sie und Welt im finstern Kern;
Aber Luzifer beweiset
Sich als einen guten Herrn.

Er schickt zu dem zweiten Kreise
Adamah, den Erdgesell,
Daß den Boden er aufreiße
Und das Bergwerk ihm bestell;

Wo er hundert Jahre bleibet.
Lilith drang da zu ihm her,
Und mit diesem bösen Weibe
Zeuget Zwerg und Riesen er.

Heva lebt im tiefern Kreise
Mit dem Geiste Samael,
Zeugt mit ihm in gleicher Weise
Geister und Dämonen schnell.

Da bevölkert er die Kreise,
Wie er wollte, Luzifer,
Ließ er sie zur Arka reisen,
Die die vierte Erde wär.

Und hier fanden sie sich beide,
Und da sie sich hier erkennt,
Ward geboren ihrem Leide
Stolz ein Sohn und Kain genennt.

Und nun stiegen nach der Reihe
Um drei Erden still einher
Bis zur Tebhel alle dreie,
Unsere Erde, unser Meer.

Adam hier ein Buch aufschreibet,
Was er unten hat gelernt,
Und was ihm erinnerend bleibet
Aus dem Buch, das Gott entfernt.

Viel vom Bann und Glück der Geister
Ihm die Eva auch erzählt,
Wenig hat ihr starker Meister
Samael vor ihr verhehlt.

Alles in das Buch er schreibet,
Alles in dem Buche steht,
Und das hohe Buch es bleibet
Als er stirbt dem Sohne Seth.

Von dem Seth zum Tubalkaine
Hat sich dann das Buch entfernt,
Der die harten Eisensteine
Daraus künstlich schmieden lernt.

Jubal lernt daraus der Geigen
Und der Flöten süß Getön,
Und aus seines Stammes Zweigen
Alle Pfeifer auferstehn.

Und so steigt es immer weiter
Von Geschlechte zu Geschlecht,
Und auf seiner ewgen Leiter
Stehen alle Künste recht.

Mündlich, schriftlich, stets erweitert
Geht es durch die trübe Welt,
Die es mit der Kunst erheitert,
Mit Erkenntnissen erhellt.

Noah schrieb hinein die Reise
Durch der Sündflut hohes Weh
Und der Tiere Art und Weise,
Ihrer Sprache A B C,

Und des Weines Zaubereien,
Und wie man am Firmament
Aus der Sterne klaren Reihen
Menschliches Geschick erkennt.

Abram, daß die Kunst mög bleiben
Die Gestirne zu verstehn,
Wollte sie auf Körper schreiben,
Die durch Feu'r und Wasser gehn.

Er schrieb sie zum Trost der Seinen
Auf zwei Säulen himmelwärts,
Eine von gebrannten Steinen
Und die andre war von Erz."

So sprach Moles zu dem Meister,
Der in hoher Freude steht,
Daß die Weisheit aller Geister
Nun in seinen Händen steht.

"Aber sag," spricht er zum Geiste,
"Wie sich deine Mutter nennt?"
"Heva," sprach er, "mit mir kreiste
Durch den Vater Samael.

Und du selber, starker Meister,
Stammest von der Lilith her;
Dein Urvater, Adam heißt er,
Und der Taufpat Luzifer.

In Ägypten hat verbreitet
Sich dein mächtiges Geschlecht,
Und durch deinen Vater streifte
Es herüber ungeschwächt."

"He! mein Vater, he! wie heißt er?"
Spricht nun Apo zum Gesell.
"Amber, Amber, lieber Meister,"
Spricht der Hund, "doch ist's nicht hell!

Denn es mag die Heimlichkeiten,
Die die Liebe zwirnt und dreht,
Selbst der Teufel nicht entscheiden;
Mancher erntet ungesät."

Also sprachen diese beiden,
Bis es an dem Turme schellt,
Apo zu den letzten Leiden
Einer Kranken ward bestellt.

Und der Geist ward immer dreister:
"Mach, daß sie das Sakrament,"
Sprach befehlend er zum Meister,
"Nicht empfängt vor ihrem End!"

** Romanze XI: Biondetta in dem Theater

Schwarze Damen, schwarze Herren
Wandeln durch Bolognas Straßen.
Werden sie zur Leiche gehen?
Wen bringt man so spät zu Grabe?

Doch kein Priester wird gesehen,
Kreuz und Fahne nicht getragen;
Alles strömet laut und rege,
Und die schnellen Wagen rasseln.

Nicht zur Mette oder Vesper,
Miserere, Salve, Ave,
Auch zu keiner Totenmesse:
Diese liest man nicht am Abend.

Nein, sie gehn zur letzten Ehre,
Trauernd all in schwarzer Farbe,
Was sie lieben anzusehen
In die Runde des Theaters.

Denn die herrliche Biondette
Wird der Bühne heut entsagen,
Morgen dann den Schleier nehmen
In der Kirche zu Sankt Claren.

Und der Schein unzähl'ger Kerzen
Füllet leuchtend schon die Hallen,
Und es lodern alle Herzen
In unsichtbar schönen Flammen.

All die schwarzen Fraun und Herren,
All die Diamanten strahlend
Und die schwarzen Augen brennend
Reihen blendend sich zum Kranze.

Bis lebendig alle Wände
In viel tausend Herzen schlagen,
Jeder Blick ein Aug muß treffen,
Jeden Ton ein Ohr muß fassen.

So gleich einem Firmamente
Mit viel guten Sternen flammend,
Baut sich wundersam ein Tempel,
Um Biondetten zu umfangen.

Da der Vorhang ruhig schwebet,
Sonne, bist du aufgegangen,
Leise Kühlung duftend wehet
Um die sehnsuchtsheißen Wangen.

Liliensäulen sich erheben
Eine Rosenkuppel tragend;
Unter einem Blumentempel
Steht Biondetta mit der Harfe.

Ach, sie war ein klarer Engel,
Voll von lieblichen Gedanken,
Einer frommen Jungfrau Seele
An der Himmelspforte zagend.

Alles Licht zu ihr sich sehnet,
Zu ihr alle Strahlen fallen,
Alles schweigt und liebt und betet
Recht in selgem Wohlgefallen.

Also schwieg die junge Erde,
Da der Mensch, der Gottgeschaffne,
In dem Kelch des jungen Lebens
Sinnend schwankt und weint und lachte.

In ihr nur war alles Denken,
In ihr alle Herzen schlagen,
Mit ihr jedes Aug gesenket
Oder freudig aufgeschlagen.

Nun erhebet sie die Rede,
Und die tausend Hörer alle
Fühlen ihrer Lippe Beben
Still in freudigem Erwachen.

Züchtig sprach sie: "Hochgeehrte!
Schonend habt ihr mich vor Jahren
Aufgenommen in den Tempel,
Habt geduldet mich seit Jahren.

Wollet heute auch in Ehren
Eure Dienerin entlassen,
Daß mich rein ein reinrer Tempel
Aus der Künste Haus empfange.

Als ein Opfer will ich geben
heut des äußren Lebens Fabel,
Daß ich dann das innre Leben
Morgen opfre am Altare!"

Und nun stieg des Tempels Schwelle.
Mit Biondetten, einsam ragend
Stand ein Fels in ödem Meere,
Ein Marienbildlein tragend.

Rings die tausend Lichter blendend
Sanken ein, die Diamanten
Blickten schüchtern, ferne Sterne,
An dem dunklen Firmamente.

Eine weite Dämmrung streckte
Sich umher, und keine Schranken
Schienen um den Fels zu stehen,
Als nur liebende Gedanken.

Bei dem Bildlein saß Biondette
In dem Scheine einer Lampe,
In den weißen Arm gelehnet
Schimmerte die goldene Harfe.

Schweigend glich das Volk dem Meere,
Über dem ein Gott hinwandelt;
Als ruht und wogt die Menge
In Biondettens Sang und Harfe.

Und es sind des Meeres Wellen
An der Jungfrau Lied gebannet,
Weh und Wonne fluten, ebben,
Wie sie will in allen Adern.

Hell auf meerumwogten Felsen
Hebt sich über ewges Wasser
Ein Marienbild; des Meeres
Stern auf ihrem Haupte flammet.

  "Meerstern, wir dich grüßen,
  Die durch Tränenwüsten
  Aus der sündedunkeln Zeit
  Einsam steuern müssen
  Zu den hellen Küsten
  Der gestirnten Ewigkeit."

Nächtlich steigt zur ihr Sirene,
Opfert Perlen und Korallen,
Singt auf mondbeglänzter Schwelle
Zu kristallner Harfen Schalle:

  "Jungfrau, laut verkünden
  Von des Himmels Bühnen
  Engel deine Herrlichkeit;
  Und aus Meeres Gründen
  Steigt, dich zu versühnen,
  Was da lebt in irdschem Streit."

Aber dunkle Wolken treten
Vor den Mond, das weite Wasser
Sträubt das Wogenhaar zu Berge
Vor den tosenden Orkanen.

  "Jungfrau voller Güte,
  Wie das Meer sich türme,
  Stehest du in Heiterkeit;
  Wie gefallne Blüten
  Schütten dir die Stürme
  Himmelssterne auf dein Kleid."

Ach, im zorngen Elemente
Schwankt ein Schifflein notumklammert!
Leuchte, leuchte, Stern des Meeres,
Einer Mutter dich erbarme!

Ach, sie flehet nur zu retten
Ihren Säugling, den umarmend
An der Brust sie nährt zum Leben,
Schwankend selbst im Untergange.

Dir, o Meerstern, weiht sie betend
Den sie unterm Herz getragen,
Nun zur Wogenwiege leget
Aus den sichern Mutterarmen.

  "Denk, o Mutter süße,
  Wie du durch die Wüste
  Unsern Herren trugst in Pein,
  Daß er für uns büße,
  Trank er deine Brüste,
  Sog er deine Milde ein."

Schon zerbricht des Sturmes Segel,
Und der Blitze Feuerflagge
Zucket einsam auf den Wellen,
Wo das Schiff in Nöten schwankte.

Nieder zur der Gruft der Meere
Sank das Schiff; es folgt dem Sarge
Schwarz der Donner, ernstlich betend,
Und der Blitze Leichenfackel.

Und es suchen kleine Sterne
Einsam durch die dunklen Wasser
Nach der Mutter, ach vergebens!
Fromme Kerzen ihres Grabes.

  "Jungfrau, Himmelstüre,
  In des Todes Gründe
  Senke deiner Strahlen Schein
  Und helleuchtend führe
  Aus dem Meer der Sünde
  Uns zum Quell des Lichtes ein!"

An dem Himmelsdome brennet
Still des Mondes ewge Lampe;
Zu dem Felsen rauscht Sirene,
Einen Schatz im Arme haltend.

Denn sie trug das Kindlein flehend
Zu dem steilen Felsenrande,
Das die Mutter untergehend
Legte in Mariens Arme.

Die, ein heller Stern des Meeres,
Trägt den Scheiternden Erbarmen,
Hat es sicher durch die Wellen
In Sirenens Arm getragen.

Aus dem wilden Elemente
Trug sie nun das Bild der Gnade
Freudig aufwärts zu dem Felsen,
Ganz in neuer Lieb erwallend.

Liebvoll löst sie ihre Flechten,
Teilt die Locken sich am Nacken,
Bildet draus am warmen Herzen
Für das Mägdlein weich ein Lager.

Setzt sich an des Bildes Schwelle
Mit dem süßen Wunderpfande
Und spricht fromm: "O Stern des Meeres,
Lasse mich dies Kind erlaben!"

Und nach ihren Brüsten wendet
Sich das Kind und findet Gnade;
Die es lebend hielt in Wellen,
Gab barmherzig ihm die Amme.

Alle die keuschen Lebensquellen
Über ihrem Herzen wallen,
Muß sie süße Blicke senken
Zu dem Kind in Mutterarmen.

Und dann singt sie; schlummerwebend
Tönt das Lied und rauscht das Wasser,
Und es wandeln Mond und Sterne
Leise, daß das Kind entschlafe.

"Da der Morgen wiederkehrte,
Lag ich in kristallner Kammer;
Auf der weichen Purpurdecke
Spielten goldne Sonnenstrahlen.

Und am Mittag wiegt Sirene
Mich in glatten Muschelschalen,
Und ich schlief bis sie mich weckte
Mit Gesang und süßer Harfe.

Rötet Abendlicht die Welle,
Trug sie mich in Mutterarmen
Zu dem Bilde, für mein Leben
Der Gebenedeiten dankend.

Wenn um Mitternacht die Sterne
Sinnend in dem Meere schwankten,
Flocht mir durch den Traum Sirene
Ihrer Lieder heilge Schlangen.

Also in dem Land des Lebens
Und in Andacht schon erwachsen,
Nannte sie das Kind Biondette
Ob der goldnen Flut des Haares.

Frühe lehrt sie mich zu schweben
Auf des Tanzes Wunderbahnen,
Früher noch die Blicke heben
Und zu Gott die Händlein falten.

Und sie lehrt die junge Seele
Sich erschwingen im Gesange
Und mit Engeln auf der Töne
Himmelsleiter freudig tanzen.

Aber endlich sprach Sirene:
`Folge mir in meine Kammer;
Fest ist schon in dir das Leben,
Lerne nun, dich zu verwandeln!

Alles Leben lerne leben,
Alle schöne Klage klagen,
Alle Freude schön erheben,
Alle Geister aufwärts tragen!

Alle Herzen sollen beben
In dem Klange deiner Harfe!
Bannen sollst du alle Seelen
In die Kreise deines Tanzes!

Mit der Künste heilgem Zepter
Schlage an das Herz der Sklaven,
Die du in den Sinnen fesselst,
Um im Geist sie zu entlassen!'

Also sprach zu mir Sirene,
Hüllend mich in einen Mantel,
Der sich wie der Leib der Seele
Allgestaltend um mich faltet.

Nieder stieg ich. Tief im Felsen
Tut sich auf ein bunter Garten,
Rauschet, strömet Toneswellen
Um das Eiland aller Farben!"

Also schwieg das Lied Biondettens.
Neben ihr die kleine Lampe
Ward zu einem Kranz von Sternen,
Um das Bild Mariens strahlend.

Dies erhob sich leis vom Felsen
Zu dem Himmel aufgetragen;
Mit dem Felsen sank Biondette
Knieend und die Harfe schlagend.

Und die wilden Elemente
Schieden sich, sie zu empfangen;
Es stieg aus dem öden Meere
Einen Wunderinsel prangend.

Tonumflutet vom Orchester
Trennte sich das Kunstgestade
Von dem Garten des Parterres
Und der Logen Glanzterrassen.

Auf den stillen Blumenbeeten
Blinkt der Tau der Diamanten
Und die stillen Tränenperlen
In dem Blick der schwarzen Damen.

Und es stieg hoch überschwellend
Melodie aus allen Schranken,
Aus den Wänden tausend Kerzen,
Aus dem Boden tausend Lampen.

Von Marien niederwehend
Sank der himmelblaue Mantel,
Schürzt sich feierlich zum Zelte
In des Ölbaums grünen Armen.

Aus dem Zelte tritt Biondette,
Eingeflochten ihre Haare,
Stolz geschmückt mit milden Perlen,
Edelstein und goldnen Spangen.

Schwer ein Schwert faßt ihre Rechte,
Von der linken Schulter wallet
Eine blutge Purpurdecke,
Hüllend, was die Linke trage.

Und sie schürzt die Decke, sprechend:
"Den durch Gott ein Weib geschlagen,
Seht das Haupt des Holofernes,
Seht die Decke seines Lagers!

Und so wahr der Herr uns lebet,
Rein sein Engel mich bewahrte,
Die ohn Sünde wiederkehret,
Nur mit Freud und Sieg beladen!"

Nun tritt sie zurück zum Zelte,
Das nach ihr hernieder wallet,
Aber rings Gesang sich hebet,
Freudig Flöt und Zimbeln klangen.

Jauchzend durcheinander wehten
Alle Töne, und es schwangen
Triumphierend sich die Chöre
Wie ein Wald voll Siegespalmen.

Schneller, jubelnder und heller,
Bis zu einer wilden Flamme,
Die sich wieder selbst verzehrte,
Bis zur stillen glühen Asche.

Da trat still einher Biondette
Unter weißem Rosenkranze,
Ihre Locken, goldne Flechten,
Von der Stirn zum Gürtel fallen.

Um die zarten Glieder bebet
Ihr ein schlichter, weißer Mantel,
An des Gürtels Silberkette
Hängt ein Brot und eine Flasche.

Ihrer Augen blaue Quellen
Lassen Tränenperlen fallen
In der Maienglöckchen Kelche
An dem goldnen Knauf der Harfe.

Als die zarten Finger beben
Durch der Saiten goldnen Garten,
Blühen ihrer Lippen Nelken
Und das Rosenfeld der Wangen.

Und sie sang ein Lied bewegend
Von dem Tode eines Lammes,
Das, die Schuld von uns zu nehmen,
Starb in heilger Opferflamme.

Als schleiert sich in Nebel
Oft der Mond; aus keuschen Strahlen
Einen Heilgenschein sich webend,
Weint er umd die trüben Tage;

Also tönt ein Schwan im Sterben,
Der im Spiegel klarer Wasser
Stumm sein Sternbild angesehen,
Grüßt es scheidend im Gesange.

"Lebet wohl, ich will mich wenden
Zum Gebirge; einsam wandelnd
Will die reine Tochter Jephtas
Weinen um die jungen Tage!

Weinen um den Schein des Lebens,
Weinen um den Duft des Kranzes,
Weinen, daß die Seele heller
Scheine, als des Opfers Flamme!"

Und nun wendet sich Biondette
Trauernd zu dem Felsenpfade,
Der bald sichtbar, bald verstecket
Aufsteigt an des Berges Rande.

Wo der Steg zu Tal sich wendet,
Stand sie grüßend mit der Harfe,
Ferne Sehnsuchtsklänge sendend
Zu verlaßnen Frühlingstalen.

Rings die Hirtenflöten flehen,
Und der Herden Glocken stammeln,
Und die Abendlieder schweben
Klagend aus der Büsche Schatten.

Sie geleitend steigt am Felsen
Sonnenschein zum Untergange,
In der Tritte Spuren senket
Dämmerung den ernsten Mantel.

Aber schaut! Nun steht Biondette
Hoch am dunklen Tor des Waldes,
Niederkniet sie und singt betend
In die Welt, die sie verlassen:

"Lebet wohl, ihr falschen Farben,
Eitler Tränen Regenbogen,
Sterne, die mit falschem Glanze
Dienet einem Flittermonde!

Meine Tränen sollen wachsen,
Daß sie mit den bittren Wogen
Ganz mein Irdsches überwallen,
Bis die Schuld ist hingenommen.

Aus dem Argen in die Arche
Geh ich gleich der Tochter Noä,
Kleide mich in schwarzer Farbe,
Wie der Rabe ausgeflogen.

Kleide schwarz mich gleich dem Raben,
Der als Bote ausgeflogen
Und so traurig auf den Wassern
Schwebte, bis sie abgeronnen.

Schleire mich in weißer Farbe
Gleich der Taube, die als Bote
Wiederkehrte mit dem Blatte,
Das dem Friedensbaum entsprossen.

Sei gegrüßt, du Tag der Gnade!
Durch den Friedensbogen Gottes
Will ich zu den Vätern wallen
Auf der Opferflamme Wolken!"

Aber in den Wald nun senket
Sich die Sonne, und mit Flammen
Scheint Biondetta rings umgeben,
Schwarz geschleiert, nur ein Schatten.

Da der Wald im Glanze stehet,
Schweigen rings die Flöten alle,
Und ein Chor von Hörnern schwebet
Klagend auf im Widerhalle.

Und das Volk lauscht tief beweget,
Denn die Sonne widerstrahlend
Spielet, die nicht auszusprechen,
Lieder durch die goldne Harfe.

Und so stille war die Menge,
Daß man hört die Tränen fallen
Und die heißen Seufzer wehen
Und die bangen Herzen schlagen.

Wie ein Kahn auf stillem Meere
Mondumspielet träumend wanket
Und der Fischer hingestrecket
Schlummert ein in dem Gesange:

Also waren alle Schmerzen
In Biondettens Lied entschlafen,
Scheiden kann sie von den Herzen,
Die in Wunderträumen wandeln.

Doch es treibt das Schiff zum Felsen
Und füllt sinkend sich mit Wasser;
Nacht ist's und der Mond bedecket,
Und der Mann starb unerwachet.

Aber weh! nicht so die Schmerzen,
Schlummernd, träumend im Gesange,
Hier im süßen Schlafe starben,
Wie der Fischer, Mond und Rachen.

Um Biondetten wird es heller:
"Wehe, wehe, das sind Flammen!
Feuer, Feuer, Helft! o helfet!"
Schreiet alles im Theater.

"Feuer! Helfet!" schreit Biondette. —
"Stürzet das Gerüst zusammen,
Ist sie nimmermehr zu retten":
So erfüllt das Haus ein Jammer.

Nach den Türen, zu den Treppen
Stürzen alle Herrn und Damen,
Und die Menge des Parterres
Will sich wogend überschlagen.

Bald in allen Fenstern stehen
Hohe Leitern; Herrn und Damen
Drängen sich, hinab zu klettern,
Und hinauf die Herrn Soldaten.

Dieser will sein Liebchen retten
Und faßt seine alte Base;
Jener, der die Frau will heben,
Wird umklammert von dem Manne.

Und die duftgen Cicisbeen
Müssen gar zu harter Strafe
Helfend auf und nieder klettern,
Wie die nassen Katzen jammernd.

Denn den Fliehend entgegen
Springen schon die Wasserstrahlen;
Wer im Feuer nicht kann leben,
Muß sich durch das Wasser baden.

Schreien, Weinen, Fluchen, Beten,
Steigen, Klettern, Ohnmachtfallen,
Trommelschlag und Brandtrompeten,
Wagenrasseln, Glockenschlagen.

Und schon windet sich die Menge
Kapuziner, Domnikaner
Sich in braun, schwarz-weißer Kutte,
Wassereimer eilig langend.

Doch die mutigen Studenten
Springen jubelnd zum Theater,
Stürmen die papiernen Felsen,
Niederreißend rings die Lampen.

Oben an des Haues Decke
Hört man schwere Äxte fallen,
Sieht auch bald die Zimmrer stehen,
Niederstürzend Fluten Wassers.

Und schon ordnet sich die Menge,
Massen bilden sich und Straßen,
Alles stehet, geht und kehret,
Keiner hindert mehr den andern.

Aber unter den Studenten
Achtet einer nicht der Flammen;
Er hat gar ein wildes Wesen,
Gleichet einem Salamander.

Und schon klagt man um den Helden,
Den umkrachten alle Sparren,
Doch er kehrt und trägt Biondetten
In den dunklen, harten Armen.

Da er eilet in die Szene,
Schreit die Jungfrau: "O erbarme
Dich, Maria! Rette, rette
Mich von ihm in Jesus Namen!"

Da springt von der offnen Decke
Kühn ein Jüngling, wütend packet
Er den Räuber von Biondetten,
Doch der stehet ganz in Flammen.

Alle Glut zu ihm sich wendet,
Und wie auch die Wasserstrahlen
Auf ihn stürzen, wills nicht helfen,
Und man hört ihn gräßlich lachen.

Und wie Wirbelwinde drehen
Zu ihm hin sich alle Flammen,
Die wie Haare um ihn wehen,
Wenn er also gräßlich lachet.

Und so hat er lachend, brennend,
Eine lange Zeit gestanden,
Da das Feuer rings geendet,
Und das Volk schrie laut: Mirakel!

Da ein Priester zu ihm sprenget
Einen Strahl geweihten Wassers,
Ward er, allen zum Entsetzen,
Nur ein Häuflein dunkler Asche.

Und das Volk kniet ringsum betend.
Von der Höhe des Theaters
Sprach der Priester dann den Segen,
Und es schallt ein lautes: Amen!

Fromme Litaneien betend,
Ziehn die Mönche still gepaaret,
Und die hilfreichen Gewerke
Folgen betend aus den Hallen.

In des Hauses weiter Leere
Schallet das Geträuf des Wassers;
Rings die stummen Wachen stehen
Bei dem wilden Schein der Fackeln.

Aber die Studenten stehen
Staunend um das Häuflein Asche;
Den die Flamme hat verzehret,
War der beste Kandidate.

Er war Famulus des Lehrers,
Und sie brechen aus in Klagen,
Bis die rufenden Pedellen
Sie zur Heimkehr laut ermahnen.

In den Weihewasserkessel,
Den die Mönche stehn gelassen,
Sammelt unter Tränen jeder
Des verbrannten Freundes Asche.

Und dann ziehen die Gesellen,
Die geliebte Urne tragend,
Trost sich singend, von der Schwelle,
Um Apone es zu klagen.

Schweigend steht das Haus. Es sehen
Durch die Öffnungen des Daches
Stille nieder Mond und Sterne,
Traurig spiegelnd in dem Wasser.

An der Erde ruht Biondette;
Als sie nannte Jesu Namen,
Ließ der fürchterliche Retter
Sinken sie aus seinen Armen.

Bei ihr kniet mit seinem Schwerte
Stumm Meliore; in die Harfe
Hat er sorglich sie gebettet,
In den himmelblauen Mantel.

Er verließ im Lärm den Kerker,
Er war's, der den Sprung gewaget
Von der Decke, sie zu retten
Aus des Räubers dunklen Armen.

Da es stille war, erhebet
Sich Biondette, und den Mantel
Schlingt sie um sich, von der Erde
Hebt sie dann die goldne Harfe.

Spricht, sich zu Meliore wendend:
"Sei gegrüßt! In Jesu Namen
Hast du mich von ihm gerettet
Und gehütet in dem Schlafe.

Einen Traum hab ich gesehen:
Asche war ich, und zu Asche
Soll ich einstens wieder werden,
Wenn erfüllet sind die Tage.

Für dich hab ich heut gebetet,
Da du fochtest am Altare;
Und du hast für mich gebetet
Jetzt in dringenden Gefahren.

Du hast liebend mich gerettet
Aus des ewgen Todes Banden,
Und ich werde dir's vergelten
Bald in übervollem Maße.

Laß die Sinne untergehen,
Liebe nicht, was irdisch schwanket;
Die du irdisch angesehen,
Wird dir göttlich liebend danken.

Hier auf dieser öden Stelle
Wird es einstens göttlich tagen.
Sieh, es haben schon die Sterne
Ihren Strahl den Weg gebahnet.

Wenn hier an des Altars Schwelle
Eine Jungfrau wird entsagen,
Werd ich durch dich auferstehen
Aus der irdschen Leibesasche.

Und du wirst die Asche nehmen,
Streuen sie in deine Haare,
Weil die Schlange wird zertreten
Von des Weibes heilgem Samen.

Was in Träumen ich gesehen,
Hab ich alles dir gesaget;
Denn auch du bist ausersehen
Zu unendlich großen Gnaden.

Wir gehn auf demselben Wege;
Lasse uns im Geiste wallen,
Lasse uns nie Abschied nehmen,
Gehe hin in Gottes Namen!"

Da geendet sie die Rede,
Konnt er nicht den Blick ertragen;
Also mächtig war ihr Wesen,
Daß er schweigend ging von dannen.

Und zur Harfe sang Biondete:
"Lob sei Gott dem Herren! Amen!"
Und das öde Haus erbebte,
Widerhallend: Amen, Amen!

Amen! sprachen Mond und Sterne,
Träufelnd sprach das Wasser: Amen!
Und da sie verließ die Schwelle,
Riefen rings die Wachen: Amen!

** Romanze XII: Jacopone und Rosarosa

Von Folianten rings umgeben
Sitzt der stolze Jacopone;
Hochgeehrt von den Klienten
Ist der junge weise Doktor,

Ausgetreten seine Schwelle;
Denn mit vollen Händen kommen
Taufend, um in ihren Rechten
Weise Sprüche sich zu holen.

Täglich, nächtlich kommen, kehren
Zu ihm, von ihm schnelle Boten,
Fern und nah muß er die Texte
Streitigen Parteien ordnen.

Und vor seinem Hause stehen
Oft der Fürsten stolze Rosse,
Er ist rings im Land gebeten,
Und man wünscht ihn allerorten.

Er verstand wohl die Gesetze
Gleich dem griechschen Hermodore.
Die zwölf Tafeln hergestellet
Hätt er, wären sie verloren.

Und wie Flavius gelernet
Auswendig die Aktionen,
Kannte auch wohl alle Leges,
Alle Formeln Jacopone.

Mutius hat er gelesen
Und den Brutus wohl erwogen,
Den Manilius versteht er,
Ist Sulpicio gewogen.

Des Antistius Labeo Gegner
Folget er, des Capitonis
Schüler, des Sabini Regeln,
Sabinianischer Methode.

Er hielt streng bei den Gesetzen
und schrieb |dissertationem|,
Die ihn bracht zu hohen Ehren:
|De bonorum possessione|.

Salvium Julianum kennt er,
Gaji Institutionen,
Papinian, Ulpiano strebt er
Und Herennio zu folgen.

Ehre hätte dem Katheder
Zu Beryt, Konstantinopel
Und zu Rom er einst gegeben,
Wie jene Antecessores.

Hätte damals er gelebet,
Die drei Codices zu ordnen
In den Justinianschen, neben
Tribonian würd er gelobet.

Und die Sechzehn, die mit jenem
Die Pandekten ausgeboren,
Wären Siebzehn dann gewesen;
Also war sein Geist zu loben.

Zum Behufe der Pandekten,
Auf die fünfzig Dezisionen
Für Justinian zu stellen,
Wär er mitbeehret worden.

Dem Theophilo wohl neben
Dorotheo zugeordnet
Wär er, Triboniano helfend
Bei den Institutionen.

Er wär recht der Mann gewesen
|Repetitae praelectionis
Codicem| ins Licht zu stellen,
Und |nearai diataxeis|.

Aber spätrer Zeit zur Ehre
War er recht ein Schmuck geboren
Auf Bononischem Katheder
|Magnae matris studiorum|

Wo Irnerius gelehret
Seine Justinianischen Glossen,
Bulgar, Gosias gelebet,
Hugo und Glossatoren.

Weil er ganz besonders ehrte
Jakob vom Ravenner Tore,
Hat er sich nach ihm genennet
Gar bescheiden Jacopone.

Und Accursius war sein Lehrer,
Otofredus diesem folgte;
So hat er das Recht erlernet
Nach der Summa des Azzonis.

Und kaum dreißig Jahre zählt er;
Um die hohe Stirne Locken
Wallen braun aus dem Barette,
Und sein Bart ist schön geordnet.

Wenn er im Ornate stehet
Und kreieret die Doktoren,
Fließet ihm die stolze Rede
Gleich dem zweiten Cicerone.

Wüßten das, was er vergessen,
Manche andre Professoren,
Wäre ziehenden Studenten
Öfters aus der Not geholfen.

Und so ganz in Ehren schwebend,
Lebte er in seinem Stolze;
Seinem Ruhm sind nah und ferne
Tausend Schüler nachgezogen.

Dunkler Herkunft zu entstreben,
Hat ihn so sein Fleiß erhoben,
Denn nicht seinen Vater kennt er,
Seine Mutter starb verborgen.

Er begann sein Jugendleben
Mit zwei Brüdern in dem Kloster;
Pietro ward ein Blumengärtner,
Noch studieret Meliore.

Da er stieg zu dem Katheder,
Nahm zum Weib er Rosarosen,
Eine Jungfrau auserlesen,
Eines Arztes Pflegetochter.

Als er ging zur Doktorehre
Durch der Aula hohe Pforte,
War die Züchtge ihm begegnet,
Und er sprach zu ihr die Worte:

"Schöne Jungfrau! Ihr begegnet
Mir an sehr gefährlchem Orte,
Jetzo ich zu streiten gehe
|De bonorum possessione|.

Und die Schätze aller Welten
Habe ich bei Euch verloren,
Nichts besitz ich auf der Erde,
Da Ihr mich mir selbst genommen.

Was ich künftig nun erwerbe,
Habt Ihr schon von mir gewonnen.
Geht und betet, daß die Ehre
Mir nicht gehe heut verloren!"

Rosarose sah beschämet
An den glatten Marmorboden:
"Ich erfleh Euch, Herr, die Ehre",
Sprach Sie, "und halt Euch beim Worte:

Daß Ihr mir sodann die Ehre
Teilet, die ich Euch erworben,
Und nie nehmet mir die Ehre,
Die um jene Gott ich opfre!"

Ach, zu spät verstand die Rede
Rosarosas Jacopone,
Und es hat ihn sehr beschweret,
Was er damals ihr versprochen.

Und sie schieden; sie zum Tempel,
Er zu dem Juristenhofe;
Sie erfleht ihm Gottes Segen,
Er den Doktorhut erobert.

Als er austritt hochgeehret
Unter der Schalmeien Chore,
Wird bei Pauken und Trompeten
Ihm drei "Vivat hoch!" erhoben.

Doch er blicket allerwegen
Nach der Jungfrau dieses Morgens,
Ihm will auch der Wein nicht schmecken
Bei dem Doktorschmause oben.

Ach, wenn sie den Trank kredenzte,
Säh er in des Bechers Golde
Spiegelnd ihre Augen brennen;
Ach, wie er dann trinken wollte!

Ach, und wo ihr Mund den Becher
Selbst entsauget einen Tropfen,
Durstig hätte er die Stelle
Ausgebissen aus dem Golde.

Und in dem Tumult des Festes
Schleicht er aus dem lauten Chore,
Irret auf verschiednen Wegen,
Denn er wußt nicht, wo sie wohnet.

Wo vor Stunden sie sich trennten,
Geht er, ihren Weg verfolgend,
In den Garten, nah gelegen,
Von Sankt Clarens stillem Kloster.

Längs den still beblumten Feldern
Wiegen sich die vollen Rosen,
Von den Tönen tief beweget
Einer süß gerührten Orgel.

Und im stillen Garten stehet
Tief erschüttert Jacopone;
Lang hat ihn nicht angewehet
Der unschuldge Odem Gottes.

Lange hat er nicht gesehen
In das offne Herz der Rosen,
Und so frommer Töne Wehen
War entfremdet seinen Ohren.

Er war in der Bücher Menge
Ganz verriegelt und verschlossen,
Und hier, wo die Blumen scherzten,
Ist ihm auf das Herz gebrochen.

Brach ihm auf in Liebesschmerzen,
Recht wie eine Blumenknospe
Ihn Geschmeide keusch ausleget
In dem Kuß der jungen Sonne.

Wie verschloßne Felsenquellen
Traurig in dem Dunkel wohnen,
Jauchzend dann zutage brechen
Zu den Sternen, zu der Sonne,

Und mit bunten Steinen scherzend
Und mit Fischen spielend wogen,
Wo die Blumen spiegelnd stehen,
Von Libellen leicht umflogen.

Wie, dem Kinde gleich, die Welle
Gern um Tand die Körner Goldes
Hingibt, die im Schoß der Berge
Sie mit Angst vom Geiz erworben,

Und den süßen Blütenregen
Freudig zu dem Fluß hinwoget,
Freudiger dann Fischersegel
Trägt, und durch die Mühle toset,

Hohe Masten dann bewegend
In den breiten starken Flossen,
Und dann kühne, volle Segel
Führet, recht in hohem Stolze,

Dann dem ganzen Elemente
Sich hingebend, abwärts tosend
In die hohen, vollen Meere,
Stirbt in Wiedersehens Wonne;

So fand er sich tief beweget
Und, dem Bücherstaub entronnen,
Neue Liebe in dem Herzen,
Zwischen Blumen in der Sonne.

Doch da eine Stimme schwellend
Sich ergießt zum Orgelstrome,
Schreitet er zu der Kapelle,
Die in Büschen steht verborgen.

Und er wurzelt auf der Schwelle;
Rosarosa schlägt die Orgel
Singend, ohne ihn zu sehen,
Zwischen Engelbildern golden.

Auf dem kleinen Orgelwerke
Steht das Bild der Mutter Gottes,
Frische Rosen reicht ein Engel
Unserm Herrn in ihrem Schoße.

Und das Bild des andren Engels
Hebt empor in goldnem Korbe,
Singend auf und niederschwebend,
Einen süßen, bunten Vogel.

Und die leichten Bälge tretend,
Sieht er einen goldumlockten,
Schönen Knaben freudig schweben.
Ach! er glich dem Liebesgotte,

Wäre nicht so fromm sein Wesen;
Doch ihm fehlen Pfeil und Bogen,
Und ein Kreuz im Arm ihm lehnet
Aus zwei jungen Weidensprossen.

Einen Rosenstrauß am Herzen,
Schlummert still sein Lamm am Boden;
Niedersinket auch zur Stelle
Auf die Kniee Jacopone.

Ihr Gesang sich so erhebet:
"Heilge Jungfrau! Mutter Gottes,
Denke, wie sandst im Tempel
Jesum, den du glaubst verloren,

Streitend mit den Schriftgelehrten,
Mit den Ärzten, Philosophen,
Wie er als ein Kindlein redet
Wunderbare, hohe Worte.

Als er fragt: `Ihr Männer, wessen
Sohn Messias wird geboren?'
Alle kecklich zu ihm sprachen:
`Davids Sohn wird er geboren!' —

`Warum dann,' dein Kind versetzte,
`Nennt ihn David seinen Obern?
Sprach der Herr zu meinem Herren:
Du sollst mir zur Rechten thronen,

Daß ich dir zu Füßen werfe
Deine Feinde an den Boden!' —
`Hast die Bücher du gelesen?'
Fragte Jesum dann ein Doktor.

Und dein Kind sprach: `Ja, gelesen
Und auch das, was drin verborgen.'
Dann erklärt er dem Propheten
Satzungen und dunkle Worte.

Allen war er ein Entsetzen;
Ärzte und die Philosophen,
Pharisäer, Schriftgelehrte
Mußten Kinderweisheit loben.

Hohe Mutter, o gedenke,
Wie dein Herz in Freuden wogte,
Da du dort in solchen Ehren
Wiederfandest den Verlornen.

Zu ihm sprachst du: `Warum setztest
Mich und Joseph du in Sorgen,
Die dich suchten allerwegen,
Glaubten, du seist uns verloren?'

Und dein Kind sprach, zu dir redend:
`Warum sucht ihr nach dem Sohne,
Dem ihr selbst als Zucht gelehret,
In des Vaters Haus zu wohnen?' —

O Maria! denk der Ehren,
Die die Meister dir da boten,
Preisend deines Leibes Segen,
Der so weis ein Kind geboren!

O, verleihe deinen Segen
Jenem Jüngling, der heut morgen
Mir so huldvoll ist begegnet
An des Rechtshofs hoher Pforte!

Für ihn bring ich meine Ehre
Deinem Gottessohn zum Opfer,
Lasse ihn das Recht vermehren
Zur Vermehrung des Lob Gottes!

Laß geehrt nach Haus ihn kehren,
Recht zu seiner Mutter Wonne,
Denk der Freude, denk der Ehre,
Die du sahst an deinem Sohne!"

Als sie so das Lied geendet,
Gab der Knabe gute Worte:
"Ich will singen, ich will beten;
Schlag auch meinem Lied die Orgel!"

Und die Jungfrau ohn Bedenken
Seiner frommen Bitte folget,
Und er singt, die Bälge tretend,
Wie ein Engel klar aus Wolken:

"O, mein Jesulein, gedenke
Deiner hohen, weisen Worte,
Als Zachäus dich belehren
In dem Aleph Beta wollte!

`Sage Aleph!' sprach der Lehrer;
`Aleph, hast du fromm gesprochen;
Nun sprich Beth!' der Mann begehrte;
Da sprachst du zu ihm die Worte:

`Nein, ich sprech Beth nicht eher,
Bis mir Aleph deutlich worden;
Du sollst erstlich mich belehren,
Warum Aleph so geformet.'

Und da sahst du deinen Lehrer
In Unwissenheit betroffen;
Sprachst: `Ich will dich nun belehren,
Wie das Aleph ist geformet.

Aus drei Strichen es bestehet,
Weil auch steht die Einheit Gottes,
Dieses Aleph alles Lebens,
In drei göttlichen Personen!' —

Als dein Lehrer ob der Rede
Dich, o Jesu, schlagen wollte,
Mußte er zur Stunde sterben,
Der gen Gott die Hand erhoben!

O du Anfang, o du Ende
Aller Weisheit ausgeboren,
Allbarmherziger, o spende
Weisheit zu der Frommen Troste!"

"Amen!" sang die Jungfrau bebend,
"Amen!" sang da Jacopone,
Und da sie ihn sah, sich wendend,
Blühen ihrer Wangen Rosen.

Und sie geht aus der Kapelle;
Auch der Knabe hin ihr folget,
Wo in einem Rosenzelte
Freudig tanzt ein frischer Bronnen.

Und zu Rosarosen redet
Zärtlich dankend Jacopone:
"Gott erhörte gern dein Beten,
Durch dich bin geehrt ich worden.

Was ich heut von dir erflehet,
Ist mit Ruhm an mir erfolget,
Um dich ward mein Haupt bedecket
Mit dem Doktorhut der Rechte.

Und nun möchte ich die Ehre
Mit dir teilen, Fromme, Holde;
Ach, wie auf so selge Wege
Hast du, Jungfrau, mich gelocket!

Aus dem dunklen Bücherkerker
In den Blumensaal der Sonne,
Zu der heimlichen Kapelle,
In den selgen Klang der Orgel!

Sieh, es tanzet meine Seele
Auf dem frohen Strahl des Bronnens,
Und sie faltet ihre Hände,
Dir ihr Herz in Liebe opfernd!"

Rosarosa ihm entgegnet:
"Freund, ich bin dir wohlgewogen,
Doch ich kenne keine Eltern;
Kannst du lieben eine solche?

Mich gefunden und gefleget
Hat des Arztes Weib Dolores;
Sie erbaute die Kapelle,
Stiftete die kleine Orgel.

Dort fand sie des Grabes Stelle,
Und ich lebe von vier Soldi,
Die sie täglich ausgesetzet,
Daß ich sing und spiel die Orgel.

Mir zum Vormund ist gesetzet
Fromm ein Priester, der Benone,
Bis ich in den Ehstand gehe
Oder trete in ein Kloster.

Sonst kann ich auch schreiben, lesen,
Schnüre wirken und auch Borten,
Spinnen und Tapeten weben,
Sticken Silbernes und Goldnes.

Und daß ich nicht müßig gehe,
Habe ich im Klosterhofe
Eine Schule angeleget
In des Kreuzgangs hohen Bogen.

Oft auch hier bei dieser Quelle
Zu mir meine Kinder kommen,
Mannigfaltge Schulgesellen
Sich aus allen Winkeln holend.

Hier der Knabe war der erste,
Der sich selbst mir angeboten,
Und mit seines Lammes Schelle
Andre Kinder angelocket.

Wie sich meine Schüler nennen,
Weiß ich nur durch ihre Worte,
Kenne keines einzgen Eltern,
Meine Schul ist frei und offen.

Und die Mütter stehn oft ferne,
Lauschend an der Gartenpforte;
Täglich mehret sich die Herde,
Und ich lehr um Gottes Lohne.

Und die gute Hirtin nennen
Mich die Kinder, und ich wollte,
Hätt ich nimmer dich gesehen,
Keinen andern Namen borgen." —

"Hättst du nimmer mich gesehen!"
Jacopone wiederholet;
"Hätt ich nimmer dich gesehen!
O, wie sind dies goldne Worte!

Wären nimmer sie geredet
Mit so liebem, süßem Tone,
Möchte ich in diesem Leben
Nimmer sehen diese Sonne!

Unser Los ist gleich gestellet,
Unser Würfel gleich geworfen;
Auch ich kenne keine Eltern,
Ward im Kloster auferzogen.

Willst du deine Hand mir schenken,
So will ich dir angeloben:
Du magst deine Kinder lehren,
Du magst spielen hier die Orgel.

Wenn mein Reichtum sich vermehret
Durch den Ruhm, den ich erworben,
Will ich in das Haus noch nehmen
Meinen Bruder Meliore.

Einen Garten auch erwerben
Pietro, dem Zuletztgebornen
Meiner Mutter, der jetzt lernet
Blumen pflegen in dem Kloster."

Und dann hat er ihr gegeben
Einer Rose Doppelknospe,
Und mit scheuen Fingern trennen,
teilen sie die Zwillingsrose.

Tief sich in die Augen sehend
Waren sie vor Gott verlobet,
Wußten nicht, wie es geschehen,
Waren still und voller Wonne.

Aber Rosarosa redet,
Da sie hört des Lammes Glocke:
"Lebe wohl, auf Wiedersehen!
Meine Schüler hör ich kommen!"

Jacopone spricht: "Ich gehe
Hin zum alten Mönch Benone,
Unsern Bund ihm vorzulegen."
Und dann eilt er von dem Bronnen.

Einsam Rosarosa stehet,
Blicket in den Strahl des Bronnens;
Wie er sinket, wie er schwebet,
Fühlt sie in dem Herzen pochen.

In den Händen die getrennte,
Sonst gepaarte Zwillingsrose,
Und es fließen ihre Tränen
Auf die stille Rosenknospe.

Eilet dann zu der Kapelle,
Findt an der belaubten Pforte
Ihre kleine Schülerherde
Feierlich im Kreis geordnet.

Und der Knabe trägt in Händen
Einen Kranz von weißen Rosen,
Einen Schäferstab, weiß blendend,
Sprach zu ihr die süßen Worte:

"Du hast dich in der Kapelle,
Hirtin, heut dem Herrn verlobet,
Der ein treuer Hirt, die Herde
Weidet an dem Himmelsbogen.

Und darum soll ich dich kränzen
Mit dem Brautkranz weißer Rosen
Und den Schäferstab dir geben,
Daß du denkest deiner Worte!"

Rosarosa kniet zur Erde,
Und er kränzt die dunklen Locken
Mit den weißen Rosen blendend,
Gibt den weißen Stab der Holden.

Und die Kinder sie umgeben,
Freuen sich der Rosenkrone;
Jacopones und des Herren
Denket weinend Rosarose. —

Wenig Sonnen untergehen,
Und herauf ziehn wenig Monde,
Wenig volle Rosen sterben
Aufgekeimt sind wenig Knospen,

Da geschmückt am Altar stehen,
Vor dem alten Mönch Benone,
Rosarosa, weiß bekränzet,
Rotbekränzet Jacopone.

Als sie goldne Ringe wechseln,
Fällt das Ringlein Jacoopones
Springend nieder an die Erde,
In dem Kreise weit hinrollend.

Und dem Knaben, der zugegen,
War es endlich zugerollet,
Der es in dem Lilienkelche,
Den er trug, der Braut geboten.

"Nimm den Ring im Lilienkelche",
Sprach das Kind, "und denk des Opfers,
Da du um des Jünglings Ehre
Deinem Herrn dich hast verlobet!"

Und er schied. Sie nahm erbebend
Nun den Ring, und Jacopone
Wußte nicht, was sie beschwerte,
Da sie schwer das Ja gesprochen.

Und der Priester sprach den Segen;
Traurig weinte Rosarose,
Als sie still von dannen gehen;
Freudig weinet Jacopone.

An des Tempels Marmorschwelle
Sprach die Jungfrau: "Jacopone,
Laß mich gehn zu der Kapelle,
Einsam meinen Herrn zu loben.

Daß ich fromm am Abend kehre,
Bei dir in dem Haus zu wohnen;
Einen Trunk aus unsrer Quelle
Bring ich dir und viele Rosen."

Einsam geht nun der Geselle,
Seine Kammer schön zu ordnen.
Pietro hat zum Schmaus gebeten
Er, und auch den Meliore.

Und es steigt im Abendmeere
Feurig nieder schon die Sonne,
Und es zieht die Sternenherde
Vor dem Monde durch die Wolken.

Rosarosa noch nicht kehret;
Pietro spannt die Blumenbogen,
Und es zündet hundert Kerzen
In der Kammer Meliore.

In der Kammer Mitte stehet
Blank ein Tischlein, wohlgeordnet,
Zierlich ist da aufgedecket
Für vier fröhliche Personen.

Pietro Rosarosens Teller
Ziert mit einer Myrtenkrone,
Und zwei künstliche Sonette
Legt dazu ihr Meliore.

Aber von dem Hochzeitsbette
Springet traurig Jacopone:
"Will mein Weib denn noch nicht kehren,
Gehe ich, sie mir zu holen!

Was des Kaisers ist soll geben
Man dem Kaiser, Gott was Gottes,
Und der Mann, er soll sich nehmen,
Was ihm ward vor beider Throne!"

Seinen Mantel umgeleget
Hat er dann im Liebeszorne,
Und mit raschen Schritten geht er,
Doch der Garten ist verschlossen.

Er vernimmt ein leises Reden,
Doch das Sprudeln jenes Bronnens
Und der Büsche flüsternd Wehen
Überrauschet ihm die Worte.

Eifersucht seine Herz durchbrennet,
An sich hält er seinen Odem,
Aber nur der Büsche Wehen
Hört er, und des Herzens Pochen.

Und er findet eine Stelle
An der Mauer ausgebrochen,
Und behutsam überkletternd
Kommt er an des Gartens Boden.

Durch die Gänge schleicht er, geht er;
Der wollüstge Duft der Rosen
Schüret ihm die Brust noch enger,
Und er greift nach seinem Dolche.

Ach, es spiegeln sich die Sterne
In dem blanken, bösen Dolche.
Ach, wie schrecklich sind die Sterne,
Denkt im Herzen Jacopone.

Unbekümmert um mein Elend
Spielen sie mit meinem Dolche;
Nein, sie sollen ihn nicht sehen!
Und er haucht ihn an mit Odem.

Aber seine Tränen nehmen
Stets den Odem von dem Dolche.
Und die Sterne ruhig sehen
In den Stahl den Himmelsbogen.

Und nun hört er wieder reden,
Und er hört die leisen Worte:
"Du wirst mich nicht wiedersehen
Als bei deinem frühen Tode!

Was du unterm Herzen trägest,
Ist ein Pfand von dem Verlobten;
Wolle nie des Leibes Tempel
Einer andern Liebe opfern!"

Rosarosa dann entgegnet
Sammelnd liebestrunkne Worte:
"Ja, ich bin die Magd des Herren,
Dem ich liebend bleib verlobet!

Was ich trage unterm Herzen,
Bleibt dir treulich aufgehoben,
Durch dich mag es heimlich leben,
Durch mich werde es geboren.

Nimmer habe ichs gesehen,
Nimmer werde ichs sehen wollen,
Unbekannt ie meine Seele,
Die durch Gott den Leib bewohnet.

Stünd geschrieben mir am Herzen
Gar die Stunde meines Todes,
Nimmer würde sie gelesen,
Und ich stürbe unverhoffet.

Keusch bleibt meines Leibes Tempel
Dem Geliebten nur geopfert,
Meine Blicke haben selber
Nimmer Teil an mir genommen.

Wenn der Himmel ist bedecket,
Ohne Sterne, Mond und Sonne,
Hab ich hier in dieser Quelle
Einsam kühl das Bad genommen.

Meines Herren Aug erhellte
Mir das Herz mit Liebeswonnen,
Unter Beten, unter Flehen
Bin ich ihm so lieb geworden.

Und sah ich am Tag die Quelle,
Die mich nächtlich kühl umschlossen,
Schamrot konnte ich wohl wetten
In der Röte mit den Rosen.

Leb dann wohl, auf Wiedersehen,
Du geliebter Blondgelockter!
Werde in des Todes Wehen
Rosarosen einst zum Troste!" —

Und nun höret jemand gehen
Durch den Garten Jacopone,
Und er sucht ihm zu begegnen,
Irret durch die Laubenbogen.

Ach, in seinem Herzen wehen
Höllenflammen tiefen Zornes,
Den Geliebten Rosarosens
Will er mit dem Dolch durchstoßen!

Mondhell fand er eine Stelle,
Und es rauschet Laub am Boden;
Mit gezücktem Dolch verstecket
Er sich im Gebüsch der Rosen.

Schon sieht er den Schatten schweben
Des verhaßten Blondgelockten,
Und er hat in bösem Streben
Seinen Dolch schon hoch erhoben,

Als der Knabe vor ihm stehet
Und ihm ruhig sagt die Worte:
"Jacopone, wiedersehen
Wirst du mich bei deinem Tode!"

Und er fühlte sich gefesselt
Und stieß nieder mit dem Dolche
In die kalte, harte Erde;
Hat sich lange nicht erholet.

Als er wieder sich erhebet,
War sein Sinn ganz wild verworren,
Auch der Himmel war bedecket
Mit dem Mantel schwarzer Wolken.

Und an Rosarosen denkt er:
War der Knabe nur ein Bote?
Sie muß selbst den Herrn mir nennen
Oder sterben von dem Dolche!

Und nun tappt er nach der Quelle
Durch die dunkeln Laubenbogen,
Und er höret Rosarosen
Badend plätschern in dem Bronnen.

Und in seinem Herzen reget
Sich ein Strahl geheimer Wonne.
"O, wie boshaft seid ihr, Sterne,
Daß ihr jetzt euch habt verborgen!

Meine Augen, Feuerspeere,
Möchten gern die Nacht durchbohren,
Daß der helle Tag anbreche
Glänzend mit der vollen Sonne;

Daß ich meine Braut könnt sehen
In dem Schoß kristallner Wogen,
Süß errötend in dem Tempel,
Taufend voller Liebesrosen!

In den Arm wollt ich sie nehmen,
Und mit lustberauschten Worten
Meines Gartens Rosen brechen
Beim Geläut der Blumenglocken!"

Also denkt er, und es hebet
Sich ein lauer Wind von Osten,
Der die Bäume leis beweget
Und im Laube laut ertoset.

Und es wirft zur Badequelle
Viele Rosen Jacopone,
Doch im Bad die Jungfrau denket,
Daß der Sturm sie abgebrochen.

"O Geliebter", spricht sie betend,
"Nicht mit Rosen, nur mit Dornen
Deine arme Dienrin treffe,
Weil sie dir das Wort gebrochen!"

Doch nun schleicht zu der Kapelle,
Zündet an der Ampel Dochte
Jacopone eine Kerze,
Trägt sie unterm Hut verborgen.

Da er kehrt zum Rosenzelte,
Da er nah des Bades Bronnen,
Füllt er plötzlich mit der Kerze
Schein die dunkle Blumengrotte.

Rosarose taucht erschrecket
Schreiend nieder in den Bronnen,
Alle Sinne ihr vergehen,
Als wär sie vom Blitz getroffen.

Und es löschte aus die Kerze
Vom Gespritze. Jacopone,
Ach, er hat sie nackt gesehen,
Nimmer wird der Anblick frommen!

Und sie weinet, und sie flehet,
Daß er fliehe ovn dem Orte;
Aber er war tief verblendet,
Sprach zu ihr die harten Worte:

"Für mich bist du nicht zu sehen,
Aber für den Blondgelockten;
Das, was du trägst unterm Herzen
Soll mir ewig sein verborgen!

Ihm willst du nicht Treue brechen,
Aber mir ist sie gebrochen;
Aber jetzt sollst du ihn nennen,
Und dann will ich dich durchbohren!

In des frechen Blutes Quelle
Soll erröten dieser Bronnen,
Sich und dich der Lüge schelten,
Denn hier hast du mich belogen!"

Stammelnd ihm entgegnet:
"Herr und Gatte, hör mein Flehen!
Ehe du mich willst ermorden,
Laß mich an die Kleider legen,

Daß mich nicht errötend sehe
So entblößt der junge Morgen;
Herr, nur aus der Laube trete,
Ich will rufen dich zum Morde!

Denn ich kann dir nimmer nennen,
Was mir unterm Herzen wohnet,
Da ichs nimmer hab gesehen,
Da es immer bleibt verborgen.

Herr und Gatte, hör mein Flehen!
Laß mich beten vor dem Tode,
Laß mich nicht so elend sterben
Ohne Sakramentes Troste!"

"Das will ich dir zugestehen!"
Sprach voll Unwill Jacopone,
"Doch die Kleider dir verstecke
Ich, daß du nicht kommst vom Orte.

Ich will bald zurücke kehren
Mit dem alten Mönch Benone;
Der den bösen Bund gesehen,
Seh zerhauen auch den Knoten!"

Und mit ihrem Mantel gehet
Schnell von dannen Jacopone.
Hartes Weh ist ihr geschehn,
Die zurückblieb in den Wogen.

Doch den Herrn um Hilf anflehend,
Ist ihr Herz erstärket worden,
Mutig stieg sie aus der Quelle,
Und die Nacht ist dunkler worden.

Da sie nackt in der Kapelle
Bleibe vor dem Licht verborgen,
Breitet sie der Haare Flechten
Um sich her bis auf den Boden.

Und auf ihre Augen senket
Nieder sie den Kranz der Rosen,
Den als Braut sie aus dem Tempel
Traurig trug in ihren Locken.

Da sie tritt zu der Kapelle,
Ist die Lampe schnell erloschen,
Ihre Keuschheit zu verehren;
Und sie suchet an der Orgel,

Wo der goldne Schlüssel hänget
Zu dem Grabe der Dolores;
In verzweifeltem Gebete
Hat sie dann die Gruft erschlossen.

Und die Stufen abwärts tretend
Sprach sie: "Heil euch, heilge Toten!
Wollet meine Blöße decken,
Einer armen züchtgen Tochter!"

Und sie hört die Stimme beben
Der verstorbenen Dolores:
"Liebe Tochter, wir dir geben
Hilfe, kniee an den Boden!"

Und sie fühlt sich um die Lenden
Ein Cilicium geschlossen,
Und von einer schnellen Schere
Ihre Locken abgeschoren,

Dann mit seidenen Gewändern
Ihren züchtgen Leib verborgen,
Hört dann nahe vor sich reden
Die unendlich süßen Worte:

"Den Bußgürtel um die Lenden
Trage, bis bei deinem Tode
Deine arme Schwester erbet;
Büß um meine Schuld, o Tochter!

Trage züchtig, die dich decken,
Diese farbgen Seidenstoffe,
Und die Schuld, die sie beflecket,
Helf mir büßen, liebe Tochter!

Einstens werd ich bei dir stehen;
Zu unendlich süßem Troste
Wirst du deine Mutter sehen;
Jetzo gehe, süße Tochter!"

Und es scheidet Rosarose
Freudig von der gütgen Toten,
Hängt den Schlüssel an die Stelle,
Da sie hat die Gruft verschlossen.

Und die Lampe brennet helle;
Sie setzt freudig sich zur Orgel,
Läßt ein Requiem erschwellen,
Recht in freudig vollem Tone.

Als in des Benone Zelle
Eingetreten Jacopone,
Lag der Alte im Gebete
Und sprach hörbar diese Worte:

"Herr, dein Aug nicht von mir wende,
Wenn ich steh in bösem Zorne!
Herr, o leite meine Seele
Durch des Sündenmeeres Toben!

Herr, laß keinen trostlos sterben,
Ohne heilge Sakramente,
Laß den Sünder nicht verderben,
Ohne Buß vor seinem Ende!"

An der Zelle Türe stehet
Dieses hörend Jacopone,
Und von Schrecken ganz erbebet
Pochet er und ruft: "Benone!"

Und, die Tür geöffnet, redet
Ernst der Mönch: "O Jacopone,
Gott hat mein Gebet gesegnet,
Daß du bist an diesem Orte!

Doch du hast ein wildes Wesen,
Was willst du mit diesem Dolche?
Deine Haare um dich wehen,
Kommst du, mich hier zu ermorden?

Oder hast du Rosarosen,
Deine fromme Braut, erstochen?
Fremde Lieb bei ihr erkennend,
Was der Herr verhüten wolle?

Oder hast du gen dich selber
Diesen bösen Stahl erhoben,
Willst in blinder Wut du sterben?
O, du armer Jacopone!

Weh, ich seh Rosarosens
Mantel deinem Arm entrollet!
Rede, rede, du Entstellter,
Gibt dem stummen Schrecken Worte!"

"Vater, zu dem Garten gehe,"
Spricht nun bebend Jacopone,
"Wo mein Weib in der Kapelle
Täglich singet zu der Orgel.

Trete zu ihr an die Quelle,
Wo sie badet in dem Bronnen,
Laß sie beichten, laß sie beten,
Eh sie stirbt von diesem Dolche.

Daß sie nackt die Flucht nicht nehme,
Hab ich ihr Gewand genommen;
Du magst rücklings hin es werfen,
Wenn du zu dem Bronnen kommest."

Und der Mönch schließt seine Zelle,
Folgt zum Garten Jacopone.
Da sie an der Brücke stehen,
An des Reno blauen Wogen,

Spricht der Mönch zu dem Gesellen:
"Wirst du mich nicht hier durchbohren,
Mich dann in den Reno werfen?
Sieh, ich trau nicht deinem Dolche;

Gib ihn mir doch aufzuheben!"
Und es gibt ihn Jacopone,
Und sie gehn. Doch unbemerket
Wirft der Mönch ihn in die Wogen.

Vor dem Garten nun begehret
Seinen Dolch der Jacopone:
"Er ruht in des Reno Wellen!"
Spricht zu ihm der Mönch Benone.

Und die Arme um ihn legend
Küßt die Stirn er Jacopone,
Spricht: "Zu deiner Kammer kehre,
Deine Seele steht im Zorne!

Dir zum Troste wiederkehren
Will ich bald mit Rosarosen.
Gott verleih dir seinen Segen!"
Und es gehet Jacopone.

Und auf seinem Weg begegnet
Suchend ihn der Meliore,
Fragt ihn bang nach Rosarosen,
Doch es schweiget Jacopone.

Da sie in die Stube treten,
Schlummert Pietro an dem Boden,
Abgebrannt sind tief die Kerzen,
Traurig stehn die Blumenbogen.

Jacopone spricht: "O wehe!"
Und bricht aus im Tränenstrome,
"Weh, ihr dunkeln Hochzeitskerzen,
Weh, ihr armen Blumenbogen!

Nieder brennt ihr in dem Herzen
Und erlöscht im Tränenstrom,
Nieder welkt ihr in den Schmerzen
Unter meiner Klage Odem!

Kehret nicht zum Firmamente,
Sterne, Mond und hohe Sonne1
Ewig an des Himmels Schwelle
Steh blutweinende Aurore!

Also ewig stille stehen
Soll der Puls im Herz gebrochen,
Ewig meine Hochzeitskerze
Niederbrennen unverloschen!

Ewig meine Kränze welken,
Von den Tränen nur begossen,
Stille ewig sterbend leben
Nur die bittren Tränen rollend!

Blumenkränze, Hochzeitskerzen,
Sterne, Mond und hohe Sonne,
Ewgen Schmerzes Tränenquellen
Und blutweinende Aurore:

Welket, brennet, steht in Schmerzen!
Nimmer lachet Jacopone;
Die die Liebste mir gewesen,
Sie ist schlecht mir vorgekommen!"

Aber zu dem Mahl einkehret
Nun der alte Mönch Benone,
Ihm zur Seite traurig stehet
Rosarose ohne Locken.

Pietro, vom Geräusch erwecket,
Springet auf; die Myrtenkrone
Reichet er der neuen Schwester,
Lieb und Treue ihr gelobend.

Dann putzt schnell er rings die Kerzen,
Daß es helle ward. Meliore
Grüßt sie, reicht ihr die Sonette
Und blickt schüchtern an den Boden.

Aber auf dem Hochzeitsbette
Lieget jammernd Jacopone:
"Die die Liebste mir gewesen,
Sie ist schlecht mir vorgekommen!" —

"Nun genug der frevlen Reden!"
Spricht zu ihm der Mönch Benone,
Daß, der du ihr lieb gewesen,
Ihr nicht schlechter vor mögst kommen!

Hier empfange Rosarosen,
Und bei Gott im Himmel droben
Bist gleich ihr du reines Herzens,
Will ich dich vor Engeln loben.

Ich hab all ihr Tun gesehen,
Da ich bin ihr Beichtger worden,
Konnt des Herren Leib ihr geben
Ohne Absolutionen.

Sie hat dir auch schon vergeben,
Daß du sie ermorden wolltest.
Die du hast entblößt im Leben,
Ward gekleidet von den Toten."

Aber Rosarosa redet:
"Denke meiner ersten Worte:
`Ich erflehe eure Ehre,
Gebe meine Gott zum Opfer.

So bin eine Braut des Herren
Ich, und dennoch Euch verlobet,
Teile mit euch eure Ehre,
Meine bleibe unverloren!

Was im Garten hat geredet
Jener Knabe, dunkle Worte
Sind es mir wie dir; erhellen
Müssen sie zukünftge Sonnen!"

Und sie knieet vor dem Bette,
Nimmt die Rechte Jacopones,
Auf ihr nacktes Haupt sie legend
In den vollen Kranz der Rosen.

Und der Jüngling, tief beweget,
Spricht: "O Weib, wo sind die Locken,
Die ich wollte liebend flechten?
Was soll mir der Kranz voll Dornen?"

Liebvoll Rosarosa redet:
"Ich ließ sie den gütgen Toten,
Die dein nacktes Weib bedecket,
Das du hast entblößt im Zorne.

Auch den Hochzeitsmantel schwebend,
Den zurück mir gab Benone,
Hab ich ihnen hingegeben,
Ihre Güte zu belohnen.

Herr, o wolle dich erheben,
Sieh, es kehret schon Aurore,
Wolle mich zu dir aufnehmen,
Züchtig will ich bei dir wohnen!

Eine Magd mich dir bequemen,
Spinnen dir zur Nacht, zum Morgen.
Für dich beten, für dich sterben;
Herr, entsage deinem Zorne!"

Jetzt erhebt er sich, doch sehen
Kann er nicht, ein Regenbogen
Schwebt um sie von seinen Tränen
In dem Schein des Morgenrotes.

Und sie trocknet seine Tränen,
Still mit ihres Kranzes Rosen,
Und Benone gibt den Segen,
Will dann kehren nach dem Kloster.

"Trink des Brautweins einen Becher,
Heilger!" flehte Jacopone.
"Gib ihn mir, ich will zur Messe
Ihn verwandeln!" spricht Benone.

"Dort will eurer ich gedenken
Und als Christi Blut ihn opfern!"
Und nun kehrt zu seiner Zelle
Still der alte Mönch Benone.

Rosarosa spricht nun: "Denke,
Lieber, was ich dir versprochen:
Hier ist Wasser aus der Quelle,
Hier sind unsres Gartens Rosen.

Lasse unsre Augen netzen,
Die getrübt vom Weinen worden."
Und nun auf die Tafel setzet
Sie das Glas bekränzt mit Rosen.

Und sie kühlen mit der Quelle,
Den die Tränen all entquollen,
Ihrer Augen heiße Quellen;
Sieh, da steigt herauf die Sonne.

"Sie will sein bei unserm Feste!"
Spricht der stille Meliore;
Aber Pietro laut erhebet
Seine Stimme ihr zum Lobe:

"Grüß dich, Held des Orientes,
Grüß dich, Gottes Morgensonne,
Grüß dich, Heiland aller Wesen,
Grüß dich, Heiland voller Rosen!

Grüß dich, Trost der dunklen Felder,
Grüß dich, Quell der Tauestropfen,
Grüß dich auf dem Himmelswege,
Grüß dich, goldne Morgensonne!

Singt mir, was sie spricht, ihr Lerchen,
Singt die sieben letzten Worte,
Singt den Held des Orientes,
Der die schwere Nacht gebrochen!"

Also sang er, während betend
Die drei andren zu ihm horchen,
Und die volle Sonne sehen
Sie, und waren voll des Trostes.

Und sie trinken einen Becher
Brautwein, haben angestoßen
Einer zu des andern Segen,
Und dann aßen sie des Brotes.

Da ertönt das Glöcklein helle
An dem wohlbekannten Kloster,
Und sie gehen zu der Messe
Ihres alten Freunds Benone. —

Also liebte er ihr Wesen,
Hat sich so mit ihr versprochen,
Feiert so die Hochzeitsfeste,
Der gelehrte Jacopone.

Und sie war ihm tief ergeben,
Eine Magd ihm unterworfen,
Winke waren ihr Befehle
Und Gesetze seine Worte.

Auf sein Haus strömt voller Segen,
Und man pries ihn allerorten;
Die er führte, die Prozesse,
Waren alle bald gewonnen.

Und sie füllte spinnend, webend,
Seine Schränke an bis oben,
Nähte ihm wohl hundert Hemden,
Die sie alle selbst gewoben.

Sie half ihm die Bücher stellen,
Wußte sie gar wohl zu ordnen,
Schrieb ihm ab viel dicke Hefte
Und gar manchen schweren Codex.

Als sie einst ihm die Pandekten
Heimlich schrieb mit flüssgem Golde
Auf schneeweißem Pergamente
Und ihm gab am Christtagsmorgen,

War er gar in Lieb beweget,
Schenkte ihr, die sie gesponnen
Und gewebet, all die Hemden
Und dazu viel Münzen Goldes.

Und sie ließ auf allen Wegen
Zu sich bald die Armen kommen,
Ihre Linnen sie ausspendet,
Recht zu aller Frommen Troste.

Und so lebten sie in Segen,
Wohl vier Jahre ohne Sorgen,
Und es wußte kaum zu bergen
Seinen Reichtum Jacopone.

Und Bologna war getrennet
In Parteien. Die des Volkes
Sich die Gieremei nennen,
Stritten für das Recht des Volkes.

Lambertazzi, ihre Gegner,
Für des Adels Recht erhoben;
Von zwei feindlichen Geschlechtern
War der Namen angenommen.

Und da diesen eigenen Händeln
Sich noch fremde eingeflochten,
Ghilbellinen und die Guelphen,
Ward die Sache mehr verworren.

Und so ward gar viel gerechtet,
Manches Blut im Streit vergossen,
Daß die Frauen bittre Tränen
Um die Toten weinen konnten.

Oft erteilte den Geschlechtern
Seinen Rat auch Jacopone,
Und in ihrer Mitte stehend
Mußte Freund und Feind ihn loben.

Wenn in diesem stolzen Leben
War sein irdscher Mut erhoben,
Sah er oft sein Weib beschämet
Neben sich so still verborgen.

Die den Schleier nie ableget
Von des schönen Hauptes Locken,
Die mit Edelstein und Perlen
Nimmer vor ihm prangen wollte.

Und sie wollte niemals gehen
Zu dem Tanze, zu der Oper,
Ging vor Tag nur in die Messe
Und zu der Kapelle Orgel.

Endlich hat er sie erbeten,
Ihm zu folgen in die Oper,
Da die Sängrin Biondette
Wollt entsagen zu dem Kloster.

Und er hat ihr angeleget
Schwere Spangen roten Goldes,
Edelsteine, reiche Perlen
Und Rubinen, blutge Rosen.

Als er ihr den Schmuck anlegte,
Stand sie wie ein Lamm des Opfers,
Und er sprach: "Den Schleier lege
Ab, laß flechten mich die Locken!"

Doch sie wollt ihn nicht ablegen,
Bis er zürnend es befohlen;
Ach, was muß erschreckt er sehen:
Schneeweiß sind des Hauptes Locken!

Ruhig sie da zu ihm redet:
"Darum hielt ich sie verborgen.
Seit sie von der Totenschere
Fielen, sind sie bleich geworden!"

Ach, wie recht im tiefsten Herzen
Traf die Rede Jacopone,
Da er sah die Jungfrau stehen
Mit des Alters grauen Locken.

"Könnte ich mit meinen Tränen
Dir das Silberhaar vergolden!
Ach, ich habe dich dem Schrecken
Jener Schere unterworfen!"

Und er hat die Silberflechten
Mit Rubinen ihr durchzogen,
Wie ein Busch im Blütenschnee,
Vom Johanniswurm umflogen.

Wunderbar war sie zu sehen,
Eine Diamantensonne,
Und es freut an Rosarosen
Wie ein Kind sich Jacopone.

Wie die Flitterkränze schweben,
Und die flimmernden Goldrosen
Zitternd auf der Jungfraun Särgen,
Schien sie in der Glorien Krone

Eine selge Braut der Engel,
Eine Königin der Toten,
Eine hochzeitliche Seele,
Ein gestirnter Geist voll Wonne.

Schier geneigt, sie anzubeten,
Ging bei ihr der Jacopone.
Da sie ins Theater treten,
Ging ein Flüstern durch die Logen.

Nie noch hatte man gesehen
Die Gemahlin Jacopones,
Und nun wie ein höhres Wesen
Stand sie blendend vor dem Volke.

Und in der erstaunten Menge
Hat ein Klatschen sich erhoben,
Bis beschämt in tiefstem Herzen,
Sie den Schleier umgenommen.

Als die liebliche Biondette
Sang ihr Leben vor dem Volke,
War die schöne Rosarose
Tief im Herzen scharf getroffen.

"Daß du mich mit dir zu gehen
Hast bewogen, Jacopone,"
Sprach sie, "dank ich dir ohn Ende.
O, wie ist mir wohl geworden!

Diese Jungfrau anzusehen
Ist mir nie genossne Wonne,
Und ich könnte ruhig sterben,
Spräch sie zu mir süße Worte!

Ach, ich fühle ihrem Wesen
Meine Seele tief verwoben,
O, ich werde nie genesen,
Steht sie mir nicht bei im Tode!"

Und sie war so tief beweget,
Da die Jungfrau ihre Rollen
Wiederholt als Judith, Jephthe,
Daß sie nachsprach alle Worte.

Aber als sich um Biondetten
Hat die wilde Glut erhoben,
Hat sie, nicht um sie, um jene
Nur, das Hilfsgeschrei erhoben.

Und es brachte sie zu retten
Mit Gewalt nun Jacopone
Hinzu einem hohen Fenster,
Da ersah sie Meliore.

Keine Leiter ruht am Fenster,
Rings schon alles um sie lodert,
Und sie sprang, sich Gott befehlend,
Nieder in den Arm Meliores.

Glücklich nieder zu der Erde
Folgt ihr springend Jacopone,
Doch er findet sie mit Schrecken
Blaß und schon ihr Aug geschlossen.

Und rings unter ihrem Herzen
Blutge Tropfen niederflossen,
Doch sie sprach: "Mein Herr, ich lebe
Annoch durch die Hilfe Gottes!"

Und vier rheinische Studenten
Sie auf ihren Mantel hoben,
Trugen still sie durchs Gedränge,
Weinend folget Jacopone.

Und sie ward auf ihren Wegen
Angestaunet von dem Volke,
Wie ein Kunstwerk von Juwelen
Und ein Bild von lauterm Golde.

Nimmer ward von solchem Werte
Ein geheimer Schatz gehoben,
Und die tragenden Studenten
Nimmer von ihr blicken konnten,

Wenn sie in dem Schein der Sterne
Oder in dem Glanz des Mondes
Auf dem weißen Mantel blendet,
Wie auf Schätzen Flammen lodern.

Hätte sie nicht von Biondetten
Oft den Namen ausgesprochen,
Für die Leiche eines Engels
Hätte man sie halten sollen.

Über ihres Hauses Schwelle,
Bis zu ihrer Kammer oben,
Auf sein keusches Hochzeitbette
Ließ sie tragen Jacopone.

Dann entließ er die Studenten,
Ihre Treue zärtlich lobend,
Und zu ihm sprach Rosarose:
"Höre mich, mein Jacopone!

Da ich aus dem Leben gehe,
Soll dir bleiben unverborgen,
Was ich mußte dir verhehlen,
Das Geheimnis jenes Bronnens.

Warum du mich wolltest töten,
Als den Knaben du gehorchet.
Wisse, daß ich deine Schwester,
Deinem Vater bin entsprossen!

Und ich danke, daß du ehrend
Meine Unschuld nicht verdorben,
Daß von Blutschuld unbeflecket,
Keusch wir bei einander wohnten.

Aus versündeten Geschlechtern
Sind wir sündenvoll geboren,
Und die Sünde wird erst enden,
Wenn ein schweres Jahr verflossen.

Von der eitlen Welt dich wende,
Geh in einen frommen Orden,
Wo das Schauspielhaus verbrennte,
Laß erbauen mir ein Kloster!

Aber jetzo, eh ich sterbe,
Hole mir den Greis Benone,
Daß ich nehm die Sakramente,
Zu der Seele letztem Troste!"

Jacopone steht entsetzet,
Ohne Regung, ohne Worte,
Nur sein Haar hebt sich zu Berge;
Doch er eilet zu Benone.

Aber auf der Treppe schellet
Schon des kleinen Lammes Glocke,
Und zu Rosarose gehet
Ein der Knabe blondgelocket.

"Grüß dich Gott zum Wiedersehen1
Ei, wie bist du schön geworden,
Meine liebe Rosarose!"
Hat das Kind zu ihr gesprochen.

Und sie sprach: "Mein guter Engel,
Du kamst, wie du mir versprochen,
Doch du bleibest stets derselbe,
Du bist größer nicht geworden!"

"Mir ist", hier das Kind versetzte,
"Dieses Maß gegeben worden.
Ach, es war nicht zu ermessen,
Als dies Maß war voller Wonne!"

Doch nun fühlt die Jungfrau Schmerzen;
Klagend sprach sie: "O, Benone,
Komme bald zum Trost der Seele
Und geselle mich den Toten!"

Und der Knabe sorglich legte
Auf die Stirn ihr eine Rose,
Und von ihrem Duft erwecket,
Hat die Jungfrau sich erholet.

"Du hast dich zum Hochzeitsfeste",
Spricht er, "schön geschmückt mit Golde,
Und mit Perlen und Juwelen
Strahlst du in der Jungfraunkrone!

Wird dein Bräutigam dich auch kennen,
Der dich sonst nur sah mit Rosen?"
"Ja," sprach sie, "er wird mich kennen
An dem Blut, das ich vergossen!"

** Romanze XIII: Tod der Rosarosa

Wie in dunklen Meereswogen
Ein verbranntes Schiff entmastet
Unterm weiten Himmelsbogen
Traurig steht auf ödem Sande,

Wie die Flamme scheu noch lodert,
Von den Fluten rings belagert,
Bis die traurig tote Kohle
Leicht umschaukelt in dem Wasser,

Fern schon ziehn die dunkeln Wolken,
Die geübt die böse Rache,
Und die Sterne vor dem Monde
Ziehn heran, unschuldig fragend:

Wo ist hin das segelvolle
Freudge Schiff, so hoch bemastet,
Das wie eine Braut die Wogen,
Buhlend mit dem Wind, durchtanzte?

Wo sind hin die Schifferchöre,
Die in feuchten Tauen tanzten?
Ist von all dem stolzen Volke
An dem Fels der Ruf verhallet?

Und das Meer spielt mit den Toten,
Mit den Segeln, mit den Masten;
Sterbend zischen noch die Kohlen,
Und dann schweigt und ruhet alles.

Und die Sterne zu dem Monde
Brechen aus in bittre Klagen:
Ach! wo ist die schöne Tochter,
Die uns grüßte mit Gesange?

Die gelöst die goldnen Locken,
Ließ in freudgen Lüften flaggen,
Unsern Spiegel in den Wogen
Betend grüßt mit Harfenklange?

Muß sie auch im Wasserschlosse,
Von Untieren rings bewachet,
Bei Sirenen und Tritonen
Fern von uns nun sein gefangen?

Also klagen sie dem Monde,
Der zu ihrer Klage lachet
Und das blaue Feld der Wogen
Überschüttet weit mit Glanze.

Und was schimmert dort so golden,
Rauschend durch die Wasserbahnen,
Zieht gleich einem Arione
Ruhig durch die Meere, harfend?

Heil! Es ist die schöne Tochter;
Sie steht auf dem Wundermantel
Sicher, wie auf starkem Boote,
Und ihr Schleier ist die Flagge.

Und die Sterne freudig horchen,
Denn es zieht durch ihre Harfe
Äolus mit süßem Tone,
Daß die Ufer rings entschlafen:

Also unterm Himmelsbogen
Stand zerstöret das Theater,
Um die trüben Säulentore
Schauerten der Wachen Fackeln.

Also in dem Glanz des Mondes
Trat Biondette mit der Harfe
Aus den hohen, dunkeln Pforten,
Wie in lichter Geist umwandelt.

Unterm hohen Sternendome
Steht sie auf dem öden Platze,
Unter ihren leichten Sohlen
Knirscht die Kohle auf den Platten.

Und zum Monde auf sich wolket
Noch der Rauch des toten Brandes,
Dumpf schallt fernes Wagenrollen
Und es rinnet rings das Wasser.

Und des blauen Reno Wogen
Lauter durch die Nacht hinwallen,
Lauter rauschen auch die Bronnen
Siegreich ob dem Feuerkampfe.

Und Biondetta wiederholet:
"Lebet wohl, ihr falschen Farben,
Eitler Tränen Regenbogen,
Sterne hell von falschem Glanze,

Ihr dient einem Flittermonde!"
Sprachs, da klang es in der Harfe,
Und zwei hohe, weiße Nonnen
Geistig ihr zur Seite standen.

Von dem Schleier ganz verborgen
Schienen sie zwei selge Schatten,
Winkend, ihnen nachzufolgen,
Sie Biondetten still ermahnten.

Eine schweift in einem Bogen
Um sie, Freudenzeichen machend,
Und die andre sah zu Boden,
Traurig ihr Hände faltend.

"Sprechet, was ihr von mir wollet,
Fromme Schwestern von Sankt Claren?"
Frug die Jungfrau. Nachzufolgen
Winkend jene sie ermahnten.

Und Biondetta folgt den Nonnen,
Die wie Geister vor ihr wallen,
Zu dem Hause Jacopones,
Zu der Rosarosa Lager.

"Sei willkommen mir im Tode!"
Sprach die Kranke, und vom Lager
Hat sie leis ihr Haupt erhoben,
Unterstützet von dem Knaben.

"Daß dem Feuer du entkommen,
O, Biondetta, Gott ich danke;
Wolle nun zu meinem Troste
Mir ein Lied zur Harfe schlagen!"

Als die Jungfrau harfen wollte,
Sah sie an den blonden Knaben:
"Sah ich heut dich nicht am Bronnen
Mit dem Vogel, mit dem Lamme,

Bei der Jungfrau mit den Rosen,
Bei der süßen Rosablanke,
Die heut früh den Kranz geflochten
Für Marien am Altare?"

Und der Knabe hat gesprochen:
"Reicher als heut am Altare
Ward auch hier ein Kranz geflochten,
Und du wirst die Dornen tragen.

Als der Gärtner säte Rosen
In der Buße bittren Garten,
Fiel dein Körnlein in die Dornen,
Und du kennst nicht deinen Namen.

Denn du heißest Rosadore,
Jene heißet Rosablanke,
Rosarosa, rote Rose,
Ihr seid aus demselben Stamme!

Seid geschenkt der Mutter Gottes,
Als sie vor zwölfhundert Jahren
Auf der sündgen Erde wohnte;
Jetzt erst seid ihr aufgegangen.

Doch noch seid ihr kaum entsprossen!
O erscheine, Herr des Gartens,
Hüte deine heilgen Rosen
Und zertritt die falsche Schlange!" —

"O, Benone, mir zum Troste
Eile!" nun die Kranke klaget,
"Denn es wirft die Lebenssonne
Über mich schon lange Schatten!"

Und der Knabe spricht: "Zum Kloster
Gehe ich, ihn zu ermahnen;
Doch zuvor, o fromme Tochter,
Muß ich deiner Treue danken.

Denn ich kann nicht wiederkommmen,
Eh erfüllet sind die Tage,
Daß wir alle durch die Pforte
Der Barmherzigkeit einwandern.

Heil sei dir und ewge Wonne,
Daß in Unschuld du gewandelt,
Und, zu hören Gottesworte,
Kinder gern um dich versammelt!

Viele dich am Himmelsthrone
Palmen schwingend schon erwarten,
Und sie singen dort im Chore,
Die du sie gelehrt, die Psalmen.

Heil sei dir und ewge Wonne,
Daß in Unschuld du gewandelt,
Daß du dich dem Herrn verlobet
Und die Treue ihm gehalten!

Also ist auch Jacopone
In die Blutschuld nicht gefallen,
Und so bricht der Tod dich Rose
Zu der Sühnung ewgem Kranze!

Heil sei dir und ewge Wonne,
Daß in Unschuld du gewandelt,
Und das Kleid der gütgen Toten
Unbeflecket hast erhalten!

Den Bußgürtel scharf gedornet
Trugst du still und ohne Klagen,
Und so halfst du, fromme Tochter,
Deiner Mutter Sünde tragen.

Heil sei dir und ewge Wonne,
Daß in Unschuld du gewandelt.
Was dir unterm Herzen wohnet,
Hast du nimmer mich gefraget!

Aber nun vor diesen Nonnen
Öffne ruhig die Gewande,
Zeige deines Herzen Rose,
Dieses Siegel deines Stammes!

Und es soll auch Rosadore,
Die man sonst Biondetten nannte,
An des eignen Busens Rose
Wahr erkennen ihren Namen.

Heil sei dir und ewge Wonne,
Daß in Unschuld du gewandelt,
Wisse, daß dir stets zu folgen,
Mich mein eigen Heil ermahnte.

Denn ich harre der drei Rosen
Länger als zwölfhundert Jahre.
Eine bist du, bald gebrochen,
Bald auch breche ich die andre!

Als der Heiland ward geboren,
Hab ich auch das Licht empfangen,
Und ich gab ihm meine Rosen,
Da er spielte bei dem Lamme.

Und er gab mir eine Knospe
Aus den Gräsern seines Lagers,
Hat dann liebvoll auch gesprochen:
`Agnus castus sei dein Name!'

Und wo ich bis jetzt gewohnet,
Sät ich dieser Pflanze Samen,
Ehrt sie höher als Kleinode,
Weil der Herr auf ihr geschlafen.

Agnus castus aller Orten
Heißt, wie ich, nun diese Pflanze.
Weißt du noch, wie ich dir Mosse
Sammeln sollte mit den Knaben,

Weil du dir bereiten wolltest
Deiner Hochzeit keusches Lager,
Wie ich dir zu deinem Schoße
Nichts als Agnus castus brachte?

Und du hast sie angenommen,
Dankend für die Hochzeitsgabe,
So schliefst du und Jacopone
Wie der Herr auf dieser Pflanze.

So hat eurem frommen Wollen
Gern der Heiland beigestanden,
Und das Lager deines Todes
Blieb durch ihn der Keuschheit Lager.

Bald steht deines Herzens Rose
Nun im selgen Himmelsgarten
Und schmückt ihm die Dornenkrone,
Die er hat für uns getragen!"

Als der Knabe so gesprochen,
Ging er betend aus der Kammer:
"Jesus Christus sei gelobet!"
Und die Sterbende sprach: "Amen!"

Doch jetzt nahten sich die Nonnen,
Die verschleiert fern gestanden,
Leis hinschwebend an dem Boden,
Rosarosens Sterbelager.

Und es knieet Rosadore
Eingehüllet in den Mantel.
Stille war es, nur der Odem
Wehte und das Licht der Lampe.

Und die eine sprach: "O Tochter,
Ich bin deiner Mutter Schatten.
Weh mir, daß ich es geworden!
Rosatristis ist mein Name.

Und auch du, o Rosadore,
Hast durch mich das Licht empfangen;
Fürchte nichts, erheb vom Boden
Deinen Blick, der mich erlabet.

Ach, so kann ich nach dem Tode
Mutterfreuden erst erlangen!
Wie unendlich ist die Wonne
Unergründlichen Erbarmens!"

Und nun schweift sie wie ein Vogel
Freudig um das Bett der Kranken,
Und umschwebet Rosadoren,
Streifend kühl durch ihre Haare.

Rosarosens Lebenswoge
Hebt sich nochmals Wellen schlagend,
Stumme Freudentränen flossen
Nieder von der bleichen Wange.

Denn sie hört im Ton der Worte
Jene Stimme widerschallen,
Die ihr einst das Haupt geschoren,
Ihrer Blöße sich erbarmend.

Durch die Seele Rosadorens
Bebt ein tiefes, süßes Bangen;
Furchtlos hat emporgehoben
Sie die Arme nach dem Schatten.

Denn sie sieht in dieser Nonne
Jenes Bildlein ihrer Kammer,
Das mit ihr gefunden worden,
Das sie stets so wert gehalten.

Rosatristis nun voll Wonne
Löst der Kranken Brustgewande,
Daß des Busens heilge Wogen
Schimmernd zu dem Lichte drangen.

Eine rote blutge Rose
Rosarosens Brust bestrahlet;
Was ihr unterm Herzen wohnet,
Hat sie so im Tod erfahren.

Während leis zu Rosadoren
Sich die andre Nonne nahte,
Und sie sah, die sie erzogen,
Rosalätens heilgen Schatten.

Rührend sprach sie: "Rosadore
Die ich sonst Biondette nannte,
Teure Jungfrau, zeig die Rose,
Die dir gab den neuen Namen.

Lasse, die dich hat geboren,
Meiner armen Schwester Schatten,
Lasse ihres Heiles Rose
Vor ihr blühn im keuschen Garten!"

Und in Zucht löst Rosadore
Ihres Mieders goldne Spangen,
Und des Herzens banges Pochen
Hört man durch die Stille schlagen.

Eine kleine goldne Rose,
Über ihrem Herz gemalet,
Zeigt im Spiegel ihr die Nonne
Als das Zeichen ihres Stammes.

Rosatristis spricht voll Wonne:
"O, gesegnet ist der Garten,
O, wie herrlich stehn die Rosen,
Und derHerr wird sich erbarmen!

Aber eine weiße Rose
Muß ich traurend noch erwarten, # trauernd?
Sehen darf ich nicht die Tochter,
Die unschuldge Rosablanke!"

Und nun hat sie aufgeschlossen
Den Bußgürtel, der die Kranke
Noch umgürtete — da flossen
Ströme Blutes von der Armen.

Stürzend in den Arm Meliores
Aus dem Fenster bei dem Brande,
Hatte von des Gürtels Dornen
Tiefe Wunden sie empfangen!

Rosatristis spricht zum Troste:
"Du stehst recht im Rosengarten,
Den der Herr bei seinem Tode
Für die Märtyrer gepflanzet.

Deines Blutes jeder Tropfen
Fällt auf meine Seele labend;
Heilig hast du es vergossen,
Das in Sünden du empfangen."

Und sie gürtet Rosadoren
Mit des Gürtels scharfen Stacheln:
"Wolle ihn um mich, du Tochter,
Treu wie deine Schwester tragen!

Gebe ihn bei deinem Tode",
Spricht die Nonne, "Rosablanken!"
Peinumgürtet steht die Fromme,
Klaglos für die Marter dankend.

Und nun sinkt sie mit den Worten
Froh in Rosarosens Arme:
"Laß, o Schwester, deinen Odem
Mich von deinen Lippen fangen!" —

"Sei willkommen, Todessonne!"
Spricht die Kranke liebesstammelnd,
"Mir ins Herz mit Siegeswonne
Fallen deiner Augen Strahlen!

Aber, was du mir versprochen,
Singe mir ein Lied zur Harfe,
Daß die Seele vor dem Tode
Auf dem Klang vorüber wandle!"

Da ergreifet Rosadore
Geistberauschet ihre Harfe,
Also süße Töne lockend,
Daß die Nonnen selig schwanken.

Doch es tritt nun Jacopone
Heftig ein mit einem Arzt:
Der unheilige Apone
Folgt ihm stolz und dreist zur Kammer.

Und vom Zug der Tür erloschen,
Starb das Licht der kleinen Lampe.
"Licht her, Licht!" schreit wild Apone,
"Was tun hier die alten Ammen?"

Denn er sieht die beiden Nonnen
Geistig schimmernd bei dem Lager.
Und es eilet Jacopone,
Anzustecken schnell die Lampe.

Und es folgen ihm die Nonnen,
Geistig rauschend durch die Harfe,
Rufen: "Wehe, weh Apone!
Fluch der Schlang und ihrem Samen!"

Und nun griff der Arzt im Zorn, # Zorne?
Und erfasset bei der Harfe
Die versteckte Rosadore,
Und die Jungfrau schreit: "Erbarmen!"

"Ha!" spricht Apo, "sei willkommen,
Schöne Nachbarin! Zu fangen
Solch ein Vöglein ich nicht hoffte
Bei dem Bette einer Kranken!

Hat der kluge Jacopone
Dich zu seinem Trost belanget?
Die Juristen bei den Toten
Gerne sich an Leben halten!"

Und nun will er Rosadoren
Scherzend um die Hüfte fassen;
Doch sie war erstarkt im Zorne,
Reißt ihm schmerzlich an dem Barte.

"Also halt ich dich, du Toller,"
Spricht die Jungfrau, "bis die Lampe
Wiederbringet Jacopone,
Daß er sehe deine Schande!"

Frech erwidert ihr Apone:
"Wenn du mich nicht fester fassest,
Sind mir eine rechte Wonne
Solche Händlein in dem Barte!"

Und nun kehret Jacopone
Mit der Lampe in die Kammer,
Und es läßt den Bart Apones
Rosadore schamhaft fahren.

"Herr," spricht sie, "wie magst du zum Troste
Deines Weibes du den alten,
Ehrvergessnen Buben holen?
Weh mir, daß ich hier gestanden!"

Aber nun zu Jacopone
Spricht mit schwachem Ton die Kranke:
"Um den tröstenden Benone
Bat ich meinen Herrn und Gatten!"

Und er spricht: "Auch er wird kommen,
Jetzt vertrau dem großen Arzte;
Dieser Aesculap Bolognens
Wird dich, Theure, mir erhalten. # Teure?

Conciliator, dich, Apone,
Man ob hoher Weisheit nennet,
Dich versühnend wolle folgen
Der Bedeutung deines Namens."

Aber nun zu Jacopone
Spricht mit schwachem Ton die Kranke:
"Um den tröstenden Benone
Bat ich meinen Herrn und Gatten!"

Und er spricht: "Auch er wird kommen,
Jetzt vertrau dem großen Arzte.
Wolle, daß die Kunst Apones,
Teure, dich mir noch erhalte!" # Theure?

Und zum Arzt spricht er die Worte:
"Herrlicher, vergiß des Kampfes,
Der uns trennte oft im Zorne,
Nimm die Hand zum Friedenspfande!

Dienen will ich deinem Lobe;
Kannst du mir mein Weib erhalten,
Geb ich dir zweitausend Kronen,
Geb ich mehr noch, geb ich alles!"

Und zum Lager tritt Apone,
Reißt die Decke von der Kranken,
Doch es stürzt sich Rosadore
Über sie mit ihrem Mantel.

Und der Arzt spricht wild im Zorne:
"Was soll hier ich besser machen,
Wo man meiner nur will spotten?
Nackt muß ich die Kranke haben!

Über ihrem Herzen drohend
Einen Flecken von dem Brande
Sah ich schwarz. Sie ist des Todes,
Wenn ich sie nicht heilend salbe!"

"Nimmer," spricht nun Rosadore,
"Sollst du sie berühret haben,
Ihres Herzens heilge Rose
Nimmer sehen, böse Schlange!"

Und erbittert flucht Apone:
"Nun, so soll ich sein verdammet!
Schöne Buhlrin, dir zum Hohne
Sollst du mir zur Seite wandeln!

Du sollst deine Jungfraukrone
Selber mir ins Haus eintragen,
In den Spuren meiner Sohlen
Sollst du liebekrank herwandeln! # liebeskrank?

Abends an mein Lager kommen,
Deinen Leib mir anzutragen,
Und mit Füßen weggestoßen
Sollst du in der Brunst verschmachten!

In der Kirche, vor dem Volke,
auf dem offnen vollen Markte
Sollst du mir verbuhlet folgen,
Wie dem Leibe folgt der Schatten!"

Ihm erwidert Rosadore:
"Mein wird sich der Herr erbarmen;
Vor dem Fluch, den du geschworen,
Wird er seine Magd bewahren!

Eher sollen alle Rosen
Mit den Wurzeln abwärts wachsen
Und die vollen Liebeskronen
In der Erde Nacht begraben,

Eher all die bleichen Toten
Aus der Tiefe blühend wandeln
Und was lebet an der Sonne
Fluchend in die Gräber tragen,

Eh der Mond vom Sternendome
Buhlend in ein Nest voll Drachen
Steigen und im keuschen Schoße
Ungeheure Brut empfangen,

Und eh soll die lichte Sonne
Weichen aus des Himmels Bahnen,
Durch der Hölle Tor zu wandeln,
Eh ich tret in deine Pforte.

Ja, eh wird dem Feinde Gottes,
Dem satanschen Sündenvater,
Auch ein Gottsohn ausgeboren,
Keusch von einer Magd empfangen,

Und zu lösen uns vom Tode,
An das heilge Kreuz geschlagen!
Gott verzeihe mir die Worte,
Antwort ungeheurer Fragen!

Nein! nein! nein! Du hast gelogen!
O erscheine, Herr des Gartens,
Tritt den Lügner an den Boden,
Trete auf das Haupt der Schlange!"

"Kind," spricht Apo, "heiße Kohlen
Möchtest auf mein Haupt du sammeln,
Aber mir auch blühen Rosen;
Gut lacht, wer am letzten lachet!"

Doch indes fragt Jacopone
Flehend die geliebte Kranke,
Wie sie so viel Blut vergossen?
Und sie hat es ihm gestanden.

Und nun bietet er Apone,
Daß er helfend ihm mög raten,
Abermals zweitausend Kronen,
Nimmt das Gold gleich aus dem Schranke.

Jener aber spricht: "Die Dornen,
Die ihr schwer den Leib durchstachen,
Wirf in einen tiefen Bronnen
Oder in ein fließend Wasser;

Dann, so wie der Gürtel rostet,
Schließen sich die Wundenmale;
Doch vor allem einen Tropfen
Nehme sie aus dieser Flasche!"

Und nun reichet ihr Apone
Eine Flasche; doch die Kranke
Winkt verneinend mit dem Kopfe,
Und Apone weicht vom Lager;

Denn er höret eine Glocke;
Fackelschein erhellt die Gasse,
Weil begleitet von dem Volke
Sich der Leib des Herren nahet.

Mit dem Sakrament gezogen
Kommt Benone durch die Straße,
Und die Kranke hebt frohlockend
Und getröstet sich vom Lager.

"Bleibe liegen!" sprach Apone.
"Willst du dir dein Weib erhalten,"
Sagt er dann zu Jacopone,
"Hüt sie vor dem Abendmahle!

Sie stirbt eines schnellen Todes
Bei der letzten Ölung Salbe.
Da ich sie hab übernommen,
Werd ich dieses nie gestatten!" —

"Jacopone, Jacopone,"
Seufzt nun angstbewegt die Kranke,
"Willst du mich zur Hölle stoßen?
Hüte mich vor diesem Drachen!"

"Seht, sie raset," spricht Apone,
"Sie ist nicht mehr bei Verstande,
Denn sie spricht verwirrte Worte,
Taugt jetzt nicht zu heilgen Sachen!"

Doch nun tritt herein Benone,
Nahet sich dem Bett der Kranken,
Und sie spricht: "O Herr, willkommen!
Wolle meine Beicht empfangen!"

Und der Priester will, es sollen
Alle nun allein ihn lassen.
"Rosadore, Jacopone
Mögen bleiben," spricht die Kranke.

"Und ich geh nicht," spricht Apone,
"Bis der Gürtel liegt im Wasser,
Bis getrunken sie die Tropfen.
Wer bringt meine Pflicht zu wanken?"

Und zu weichen hat Benone
Nochmals friedlich ihn ermahnet;
Aber höhnisch ihm der Stolze
In das würdge Antlitz lachet.

Nun erst fühlet Jacopone,
Welcher Geist in diesem Arzte,
Und er spricht in schnellem Zorne:
"Weich aus meinem Haus, du Laster!" —

"Hast du mich mit Schmeichelworten
Hergelocket," spricht der Arge,
"Bringst du mich mit bösem Trotze
Wahrlich nimmermehr von hinnen!" —

"Weh uns!" jammert Jacopone,
"Wer mag diesen Teufel bannen!"
Und es nahet Rosadore,
Spricht: "Ich wags in Gottes Namen!"

Und sie zieht gleich einem Dolche
Jene Nadel Rosablankens
Aus dem Haar, das Gold der Locken
Fließt, sie rüstend, von dem Nacken.

Und im heilgen Zorne Gottes
Springt die Kranke von dem Lager,
Und ein Kreuz von rotem Golde
Dienet ihr zur frommen Waffe.

Aber beiden reißt Apone
Von dem Busen die Gewande.
Da er sieht die heilgen Rosen,
Fühlt er seine Sinne wanken.

Und er fluchet: "Moles, Moles!
Dies ist unser Rosengarten.
Daß er ewiglich verdorre,
Mußt du dich zur Arbeit halten!"

Doch am Fenster ruft Benone
Dem Geleite, und mit Fackeln
Dringen sie herauf; Meliore
Tritt einher vor allen andern.

Doch er stehet schwer erschrocken,
Da er Apo sieht, und fraget:
"Meister, lebet ihr hier doppelt?
Eben hab ich euch verlassen!

Pietro kam als schneller Bote
Zu dem Vater Rosablankens,
Der erkrankte, euch zu holen,
Und Ihr seid mit ihm gegangen.

Habt mir selbst die Hand geboten,
Spracht, daß ihr des alten Hasses
Gänzlich nun vergessen wolltet,
Weil ich brav gelöscht beim Brande.

Dann hast du mich angesprochen
Um ein Büschel meiner Haare;
Sprachst: `Aus blondem Haar gesponnen
Wird zur Wundennaht der Faden.'

Und ich gab dir eine Locke —
Sieh, hier fehlt sie mir im Nacken —
Folgte weit dir vor dem Tore,
Bis in meines Bruders Garten,

Wo du eintratst, weiße Rosen
Und Arzneikraut einem Kranken
Zur Erquickung gleich zu holen;
Dorten hab ich dich verlassen.

Denn es war dort bei den Rosen
Solch ein heftger Duft entstanden,
Daß mir schier gebrach der Odem;
Wankend ging ich aus dem Garten.

Jetzt — wie find ich dich hier oben?"
Doch ihn bei dem Arme fassend
Spricht Apone: "Freund Meliore.
Jetzt geleite mich von dannen!

Denn die Gattin Jacopones
Will das Sakrament empfangen,
Gönnen wir ihr Raum zum Troste!"
Und nun gehen sie zusammen.

Ihnen folgen, die vom Volke
Mit den Fackeln aufwärts drangen.
In den Armen Jacopones
Ruht ohnmächtig noch die Kranke.

Da sie wieder sich erholet,
Segnend ihr der Priester nahet,
Und sie spricht mit leisen Worten,
Matt aufrichtend sich vom Lager:

"Der du an der Stätte Gottes,
Höre, wie ich mich anklage,
Was ich sündlich hab verbrochen,
Seit auf Erden ich gewandelt,

Mit Gedanken, Werken, Worten.
Und zuerst nun mit Gedanken:
Ich gedachte, meinem Gotte
Könnt ich Sünderin gefallen.

Und ich sündigte mit Worten,
Weil ich Gott nicht Wort gehalten,
Als das ja ich Jacopone
Treulos gab an dem Altare.

Und mit Werken," sprach die Fromme,
"Da ich sprang von dem Theater;
Denn ich glaubte fest, des Todes
Würd ich an die Erde fallen;

Glaubt in meinem bösen Stolze
Ohne Sakrament empfangen
Käm ich doch zu meinem Gotte,
Sündigte auf sein Erbarmen.

Doch mich nicht verderben wollend,
Hat er mich zur Buß erhalten,
Die von ihm durch dich, Benone,
Ich zerknirschet nun erwarte!" —

"Rosarosa," sprach Benone,
"Keiner noch trat ohne Makel
Vor den Thron des ewgen Gottes;
Er wird dein sich auch erbarmen!

In des Vaters, in des Sohnes,
In des heilgen Geistes Namen
Sei dir, meine fromme Tochter,
Deine Schuld erlassen! Amen.

Fühlst du jetzt dein Haus geordnet,
Deinen Herren zu empfangen,
Speis ich mit dem Himmelsbrote
Dich zu diesem letzten Pfade." —

"Bis zum neuen Morgenrote
Harret noch", spricht leis die Kranke,
"Einen Bissen weißen Brotes
Aß ich heut von einer Armen,

Der durch dich, mein Jacopone,
Ward ihr kleines Feld erhalten
Gen den Anspruch eines Großen;
Sie bracht mir das Brot zum Danke,

Bat: `O esse von dem Korne
Jetzt aus Liebe zu dem Manne,
Der gerettet mir den Boden
Dem dies Brot für mich entwachsen!'

Aber hört, die elfte Glocke
Schlägt! Noch eine Stunde harret;
Reicht indes zum letzten Troste
Mir des heilgen Öles Salbe!"

Doch nun klaget Jacopone,
Der bis jetzt in stummen Jammer
Saß an ihrem Lager oben:
"Weh, o weh, ich muß dich lassen!

O dich, aller Jungfraun Krone,
Keusch und duldend gleich dem Lamme,
Das die Schuld hat hingenommen,
Das für uns das Kreuz getragen,

Rosarose, heilge Sonne
Meiner irdisch trüben Tage,
Firmament voll Lichtessonne,
Ewig gleiche Friedenswage! # waage?

Herr, was hab ich denn verbrochen,
Daß ich in der Nacht soll wandeln,
Daß aus meines Himmels Dome
Nun erlischt die heilge Lampe?

Weh, o weh, du süße Rose,
Dornen dir das Herz zerbrachen,
Die du fromm vor mir verborgen;
Schuldig muß ich mich anklagen!

Weh, ich bins, der dich gemordet,
Blind an jenem Hochzeitsabend,
Da durch mich du von den Toten
Hast den Dornengurt empfangen!

Und ich habe zu der Oper
Dich geführet heute Abend:
Weh, durch mich wards du durchbohret
Von dem Gürtel bei dem Brande!

Deine letzte Zeit verdorben
Hab ich dir aus falschem Wahne
Durch den Bösewicht Apone,
Hoffend, dich mir zu erhalten!

Ach, ich diene bösem Stolze!
Die ich nie besessen habe,
Die mir ewig war verloren,
Wollt ich mir durch Kunst erhalten!

Weh, mein Weib, du Jugendrose,
Auf dem Wasser der Demanten
Spiegelt deiner Schönheit Sonne
Ihres Abendrotes Flamme!"

Also jammert Jacopone.
Ihm erwidert dann die Kranke:
"Wolle nicht mit harten Worten
Gegen Gottes Willen klagen.

Lasse uns den Herren loben,
Daß er uns zurückgehalten
Von dem Abgrund ewgen Todes,
Von der Blutschuld hartem Laster.

Wenn der Schleier wird gehoben
Über unserm dunklen Stamme,
Singst du bis zu deinem Tode
Gott und seiner Mutter Psalmen.

Seit das Weib den schwer verbotnen
Apfel teilte mit dem Manne,
Bringt das Weib das Kind des Todes
Zu der Welt mit Not und Jammer.

Und wir durch die Güte Gottes
Haben schuldlos uns erhalten,
Und er wird uns nicht verstoßen
Aus des Paradieses Garten.

Auch ich muß von diesem Orte
In den Willen des Erbarmers;
Dich, bei dem so gern ich wohnte,
Muß ich einsam nun verlassen.

Und du sollst, wie Christen sollen,
Deinem irdschen Gut entsagen,
O, mein Bruder, wolle folgen
Eines schwachen Weibes Rate.

Geh in einen frommen Orden;
An die Stelle des Theaters
Laß erbaun ein heiles Kloster;
Dort auch ruhe meine Asche!

Lasse jetzt von armen Volke
Stille mich zu Grabe tragen,
Bis erbauet ist das Kloster
Zur Kapelle bei Sankt Claren.

Und den Schwestern dieses Ordens
Dann das neue Kloster lasse,
Weil sie jetzt nur ärmlich wohnen
Und das Haus sie kaum mehr fasset.

Meinen Sarg, geschmückt mit Rosen,
Laß von armen Jungfraun tragen;
Lasse auch die Kinder folgen,
Die ich stets geliebet habe.

Allen spende aus zum Lohne
Meine vollen Kleiderladen,
Aus dem Tuch, das ich gesponnen,
Lasse allen Hemdlein machen.

Mein Geschmeide, silber, golden,
Alle Perlen und Demanten,
Die mir deine Huld erworben,
Schenke ich zu dem Altare.

Lasse eine Mutter Gottes
Recht vor allen herrlich malen
Und ihr vor dem hohen Chore
Himmlische Musik erschallen.

Mit des Weihrauchs süßen Wolken,
In wollüstger Düfte Kampfe,
Soll ein Wald unzählger Rosen
Um der Kirche Säulen ranken.

Kelche, Lampe, Weihebronnen,
Leuchter, Rauchfaß und Monstranzen:
Alle seien goldne Rosen,
Durch der Künstler Fleiß gestaltet.

Und die groß und kleine Glocke
Und der Taufstein und die Kanzel
Seien Rosen gleich geformet.
O, welche frommer Rosengarten!

Als ich bin getragen worden
Sinnlos weg von dem Theater,
Hat sich ein Gesicht ergossen,
Hab ich diesen Wunsch empfangen.

Unter einem hohen Dome
Sah ich Weihrauchwolken wallen
Und Gesang und Klang der Orgel
Durch die Säulenwälder wachsen.

Und ich sah den Greis Benone
Eine Totenmesse halten,
Aber alles war voll Wonne,
Alles war voll selgen Glanzes!

Und ich sah viel fromme Nonnen
Einsam betend in der Kammer,
Sah sie nächtlich in dem Chore
Himmlische Gebete lallend.

Und vor allen glanzumflossen
Sah ich eine mit der Nadel
Weiße, rote, schwarze Rosen
Wirken in die Meßgewande.

Und das Bild der Mutter Gottes,
Gnädig blickend vom Altare,
Glich dir, meine Rosadore,
Aber heilger, höher strahlend.

Und ich selbst lag eingeschlossen
Kühl in einem Marmorsarge;
Auf der schweren Decke oben
Schlief der Knabe mit dem Lamme.

Rings um mich geliebte Tote
Schlummerten zum letzten Tage;
Doch kein Sinn war mir verschlossen,
Und ich sah und hörte alles.

Ach, wie mag die Visionen
Alle ich in Worte fassen!
Durch der Kirche hohe Bogen
Himmelschöre niederdrangen!"

Und nun sagte Rosadore:
"Ja, des Himmels Tore standen
Über diesem Tempel offen,
Von den Seligen umscharet.

Und es stand die Mutter Gottes
Und der Heiland mit dem Lamme
Ganz bekränzt mit süßen Rosen
In des Lichtes ewgen Glanze.

Und der Engel Legionen
Sangen: Gnade! Gnade! Gnade!
Tausend Kränze heilger Rosen
Sah ich zum Altare fallen.

Und den Schleier einer Nonne
Sah ich nehmen Rosablanken;
Eine Goldflut ihrer Locken
Vor der Schere niedersanken.

Singend stand ich auf der Orgel,
Vor mir stand die goldne Harfe;
Aber stille und gestorben
Lag mein Herz in kalten Banden,

Wie in bösem Traum der Boden
Fliehenden die Füße bannet,
Hilferufenden der Odem
Kämpfend in der Brust erstarret.

Lebend und doch eine Tote,
Sehend und doch dicht umnachtet,
Stumm, doch singend vollen Tones,
War ich wie von Stein umfangen.

Neben mir stand schwarz Apone.
Weh, o weh, was er gesaget,
Was er sprach vorhin im Zorne,
Füllet mich mit tiefem Bangen!

Doch am Altar aufgezogen
Ward ein himmelblauer Mantel,
Und das Bild der Mutter Gottes
Grüßte laut des Volkes Ave.

Und ich hört in meinen Ohren:
Ave, Salve, Mater! schallen,
Und aus meinen Augen quollen
Wieder Tränen auf die Wangen.

In der Kirche hohem Dome
Schmetterten die Nachtigallen,
Ganz durchzucket von dem Tone
Fühlt mein Herz ich wieder schlagen.

Und ich bin emporgeflogen,
Eine Stimme, singend Ave,
Bin des Engels Gruß geworden,
Ave, Salve, Dei Mater!

Dies Gesicht war mir ergossen,
Da ich sinnlos in der Harfe
Ruhete, von Meliore
Fromm gerettet bei dem Brande." —

"Was du sahest, Rosadore,
Sah ich alles," sprach die Kranke,
"Herr! du hast in Visionen
Wunderbar dich uns erbarmet!"

Und in stiller Wonne schlossen
Beide sich in ihre Arme.
Ruhig sprach nun Jacopone:
"Herr, tu mir nach Wohlgefallen!"

Aber nun tritt durch die Pforte
Agnus castus mit dem Lamme,
Knieet betend an dem Boden
Neben Rosarosens Lager.

Nach der Sanduhr sieht Benone,
Eine Schelle rührt der Knabe,
Niederknieet Rosadore,
Jacopone bei der Kranken.

Beim Gesang des frommen Volkes,
In dem Scheine heller Fackeln,
Hat sie leis das Haupt erhoben
Und des Herren Leib empfangen.

Und dann sprach sie noch die Worte:
"Herr, du hast dich mein erbarmet,
Herr, dein Wille sei gelobet,
Meine Seele nun empfange!"

Mit dem heilgen Öl Benone
Haupt und Hand und Fuß ihr salbet.
Und sie sprach: "Des Herzens Rose
Wirft unendlich weiten Schatten!

O der Wonne, o des Trostes,
O des wundersüßen Garten!
Singe, meine Rosadore,
Mit des Himmels Nachtigallen!

In dem Schatten meines Todes
Lasse Gottes Lob erschallen!"
Und es sang nun Rosadore
Zu dem Klang der goldnen Harfe.

Solch ein Lieb, so selgen Tones,
Hat nur da die Luft getragen,
Als der Heiland ward geboren
Und die Engel Gloria sangen.

Also sang des Lichtes Bogen,
Da den Lustkreis aller Farben
Gott durch seinen Raum hinrollte
In dem Glanz des ersten Tages;

Also tönt des Wassers Woge,
Mit dem Rund des Erdenballes
Selig spielend in der Sonne,
Jauchzend an dem ersten Tage.

In so süßen Tones Strome
War die Luft aus Gottes Atem
Um die junge Welt ergossen,
In der Lust des ersten Tages.

Und die neue Erde rollte
Unter also freudgem Klange
In den Kreis von Mond und Sonne,
Jubelnd an dem ersten Tage.

Also sang das Blut, ergossen
Durch des neuen Menschen Adern,
Also sang der Mensch voll Wonne,
Da er zu der Welt erwachte.

Doch annoch viel höhern Tones
Wird das Lied der Selgen schallen,
Wenn sie aus dem Haus des Todes
Zu dem Antlitz Gottes wandeln.

Aber nun zieht mit dem Volke,
Betend bei dem Schein der Fackeln,
Nach dem Kloster hin Benone.
Einsam steht der Toten Lager.

Und es küßt ihr Rosadore
Tränenlos die bleiche Wange,
Grüßet scheidend Jacopone
Und verläßt ihn mit der Harfe.

Einsam sitzet Jacopone
Auf dem stummen Sterbelager,
In der Toten Demantkrone
Mit des Schmerzes Blick hinstarrend.

Keine Träne ihm entrollet;
Seine tiefe Trauer raget
Wie die Wüste öd und trocken
Auf, am Horizont verschmachtend,

Ohne Schatten, und die Sonne
Selbst ein tiefer Feuerschatten,
Der sich wie ein weiter Bogen
Über seinen Scheitel lagert.

Die Gedanken an dem Boden
Schleichend, in dem gleichen Sande,
Alle Spuren von dem Odem
Heißen Sturmes stets verwaschen.

An dem Himmel keine Wolke,
An der Erde keine Pflanze,
Auch kein einzger kühler Tropfen
In dem ungeheuren Plane.

Also sitzet Jacopone
In der Wüste seines Jammers,
In die helle Demantkrone
Der geliebten Leiche starrend.

Aber auf die Schulter klopfet
Agnus castus ihm, der Knabe,
Reicht ihm einen Korb voll Rosen:
"Jacopone, jetzt erwache!

Kränz des Todes Braut mit Rosen;
Sie sind aus demselben Garten,
Wo die Rosen ihr gebrochen
An dem ersten Hochzeitsabend.

Nimm ihr ab die Demantkrone,
Die du ihr hast heute abend
In das Silberhaar geflochten;
Deiner letzten Pflicht gewarte! # gewahre?

Einst werd ich am rechten Orte
Wunderbare Dinge sagen;
Du wirst, die dir war verborgen,
Deines Namens Schuld erfahren."

Sprachs. — Da jener nahm die Rosen,
Schied er betend aus der Kammer:
"Jesus Christus sei gelobet!"
Jacopone saget: "Amen!"

Als er löst die Demantkrone
Aus dem Strom des Silberhaares,
Ist des Schmerzes Kern gebrochen,
Und des Jammers Quellen sprangen.

Da er ihr den Kranz der Rosen
Legte in die Silberhaare,
Sind die Augen in dem Strome
Heißer Tränen ihm vergangen.

Da der arme Jacopone
Ihr die kalten Hände faltet,
Ist der Trauring roten Goldes
In die Hand ihm schwer gefallen.

Da er ihr das Aug geschlossen,
Brach er aus in lauten Jammer,
Ganz in einem Tränenstrome
Der Geliebten Antlitz badend.

Als die Nacht war hingezogen,
Stand des Morgensternes Fackel
An dem stillen Horizonte,
Wie ein Irrlicht auf dem Grabe.

Wie in eines ausgestochnen
Auges leere Höhle, zagend
Sah des neuen Tages Sonne
In das Herz des armen Mannes.

Und wie an dem Hochzeitsmorgen
Pietro, sie begrüßend, sagte:
Grüßt sie an dem Todesmorgen;
Jacopone, laut aufjammernd:

"Grüß dich, blutge Todessonne,
Grüß dich, Held des Unterganges,
Grüß dich, Heiland voller Dornen,
Grüß dich, Sichel meines Gartens!

Grüß dich, lichter Trauerbote,
Grüß dich, Tauestränensammler,
Grüß dich, Wecker aller Toten,
Grüß dich, Feuerheld des Grabes!

Singt die sieben letzten Worte,
Singt sie mir, ihr grauen Schwalben!
Singt ihn mir, den Schild des Todes,
Singt den Held des Unterganges!"

** Romanze XIV: Apo und Meliore

Durch die stillen Straßen schreiten
Apo und Meliore hin,
Gleiche Pfade führen beide
Zu dem Turm, zur Tänzerin.

Wo das Mondgefild sich breitet
Um des Brandes Trümmer hin,
Ruht ihr Weg, und tief erweitet
Fühlt Meliore seinen Sinn.

Und er spricht zum ernsten Meister,
Den er bei der Rechten nimmt:
"Selig, wer gleich dir die Geister
Leicht nach seinem Willen stimmt.

Spricht, o Herr! auf welche Weise
Reißest du mich jetzt zur dir?
Da du heut im lauten Kreise
Also hart begegnet mir?

Da du zürntest mir im Streite,
Sieh, da scheute ich dich nicht;
Jetzo friedlich dir zur Seite
Alle Kühnheit mir gebricht.

Daß der, den ich erst geleitet
Zu des Pietro Garten hin,
Wieder mir zur Seite schreitet,
Will mir nimmer in den Sinn.

Sprich, wie soll ich nur begreifen
Deiner Künste tiefe List,
Daß ich hier dich kann ergreifen,
Der erst dort vor kurzer Frist.

Meister sprich, und dann verzeihe,
Daß ich also heut mit Schimpf
Traf des hohen Hauptes Weihe;
Zeige deines Herzens Glimpf!

Kenntest du des Jünglings Leiden,
Der so kühn dich heut bestritt,
Ach, du würdest Trost bereiten
Mir, der deinen Zorn erlitt.

Lass mich zum Kerker weichen,
Dem das Feuer mich entriß,
Kannst du mir die Hand nicht reichen,
Daß mir deine Gunst gewiß!"

Apo gab die Hand: "Dein Eifer,"
Spricht er, "wisse, war mir lieb;
Herrlich wirst du, wenn du reifer,
Denn dich treibet hoher Trieb.

Doch es muß vor der Gemeine
Leiden, wer zutage springt,
Daß nicht aus dem Chor alleine
Einer andre Weise singt.

Ob du würdig könntest leiden,
War zu forschen ich gewillt;
Nebst dem Schwerte zu dem Streiten
Führe auch der Mann das Schild.

Und nun nenn ich dich den Meinen,
Zeigte dir mein Doppelbild;
Wird der dritte dir erscheinen,
Ist das Ganze dir enthüllt.

Zeugnisgebende sind dreie,
Und die dreie eines sind;
Du hast einen Grad der Weihe,
Noch bist du ein blindes Kind.

Wisse, der Dreieinigkeiten
Schweben in dem Zirkel viel;
Wer sie alle kann durchschreiten,
Dreht den Zirkel hin zum Ziel.

Doch nun laß uns andre Kreise,
Die uns näher liegen, ziehn,
Daß ich tätig dir beweise,
Wie ich dir gewogen bin.

Einsam sind wir und alleine,
Ich und du und die Begier;
Sprich, nach welchem Zauberweine
Lechzt die trockne Zunge dir?

Fein ist diese Zeit; es schweifet
Süß das trunkne Mondenlicht;
Wer jetzt nach den Äpfeln greifet,
Der verfehlt die reifen nicht.

Von der Venus Tau bereifet,
Schwillt der Früchte süß Gewicht:
Sage, welche Lust gereifet
Dir aus heißem Busen bricht" —

"O, mein hoher Herr und Meister,
Du bist weis," Meliore spricht,
"Und es reichen alle Geister
Deinen Augen gern ihr Licht.

Sehe, hier stehn wir im Freien,
Unterm hohen Wolkenschild,
Und des Brands Ruinen streuen
Auf den Plan ihr Schattenbild.

Kannst du aus der Sterne Reihen
Sagen, ob die Zukunft hier
Andre Schatten wird verleihen
Dieses Platzes hoher Zier?

Ob nicht seinen Schatten breiten
Hier ein heilger Tempel wird,
Wo wir jetzt durch Trümmer schreiten,
Die des Wassers Flut durchirrt?"

Doch Apone sprach: "O schweige,
Anderes begehr von mir,
Daß ich anderes dir zeige,
Was mir lieber ist und dir!

Denn nicht diese toten Steine
Heben zu dem Licht den Blick;
Nur des Lichtes Sohn alleine
Liest gestirnet sein Geschick.

Geisterschwer erblühn die Zeiten
Heute aus dem Sterngefild,
Durch den reichen Himmel schreiten
Seh ich wunderbar Gebild.

Denn die Jungfrau hebt den Schleier,
Und der Widder freudig springt,
Und der Stier erhebt sich freier,
Da der Schwan verbuhlet sind.

Und die Zwillinge, sie weinen,
Da die eine Wage sinkt,
Und der Steinbock will nicht scheinen,
Weil der Schütz den Bogen schwingt.

Amors Pfeil der Pfeil heut gleichet,
Sieh, wie er zur Jungfrau ziel;
Wie der Fisch zum Fische streichet
Und in Wogenschimmer spielt.

Nach des Bechers süßem Weine
Greift der Wassermann und trinkt,
Bär und Hund, der groß und kleine,
Tanzen, der Triangel klingt.

Pegasus mit Wiehern schreiet
Zu dem kleinen Pferde hier,
Des Zentauren Lust sich zweiet
Zu der Jungfrau, zu dem Tier.

Und der Walfisch, ein Hochzeiter,
Jauchzend im Eridan springt,
Und das Schiff, es flagget heiter,
In dem Pol sein Ruder klingt.

Bei dem Hafen jagdlich schweifen
Sehe ich Orions Licht,
Doch vor ihm die Flucht ergreifen
Heute die Plejaden nicht.

Liebend denket er mit Schweigen
Der Hyperboreerin,
Und vor Herkuls Seele streichen
Alle Thespiaden hin.

Cepheus, Cassiopeia neigen
Liebend zueinander sich,
Und Andromeda erreichen
Seh den starken Perseus ich.

Freudig laut der Fuhrmann geißelt,
Und das Böcklein zu ihm springt,
Und der Löwe lustgekräuselt
Seinen Schweif zur Jungfrau schwingt.

Wie im Paradiese schweifet
Dort die Schlange lustgeringt;
Weil die Feigen sind gereifet,
Hoch der Rab den Becher schwingt.

Frei strömt, wie zur Hochzeitsfeier,
Berenicens Locke hin,
Und im Klang von Orpheus Leier
Schaukelt trunken der Delphin.

Den Antinous umkreisend,
Hoch des Adlers Fittig klingt,
Der, sie von der Erde reißend,
Götterknaben aufwärts schwingt.

Eine Schlange tragend weilen
Seh den Polyides ich,
Minos lehrte sie ihn heilen,
Dich zu heilen lehrt sie mich.

In der Nordkron goldne Reife
Eine Myrte süß sich schlingt,
Und der Drach mit brünstgem Schweife
Heiß den kalten Pol umringt.

Zu geheimer Liebe Feier
Hell des Altars Glut entglimmt;
Die Südkrone schimmert freier,
Und in Lust der Südfisch schwimmt.

Ihre Scheren brünstig breiten
Krebs und Skorpion zum Licht,
Und der Wolf in Himmelsweiden
Trübt der Lämmer Quelle nicht.

Also glühend sind die Zeiten,
Also brünstig ist das Licht,
Wie die Rose, die den Bräuten
Venus durch die Locken flicht.

Die Granate senkt gereifet
Ihrer Kerne Goldgewicht,
Trunken durch die Blätter schweifet
Amor, der sie taumelnd bricht.

Selig ist wohl der zu heißen,
Der in Liebe selig ist;
Sprich, kann ich dich selig preisen,
Der du also liebend bist?

Meliore, sei der meine;
Sage ohne Hinterlist,
Ob Biondette je die deine
Ganz und gar gewesen ist?

Ob dein selger Mund alleine
Ihres Leibes Rosen bricht,
In der Augen Sonnescheine,
In des Busens Mondenlicht?

Ob du in die Wollustkreise
Ihrer Mitternächte blickst,
Daß dich jauchzend an sich reiße,
Die entzücket du entzückst?"

Doch entsetzet hier den Meister
Meliore unterbricht;
"Bei dem Gott der selgen Geister
Schwöre ich: das tat ich nicht!

Und will einer des sich preisen,
Ich nenn einen Teufel ihn;
Will mit Händen den zerreißen,
Der sie solcher Schmach geziehn!

Gott und Vater! wüßt ich einen
Solches denkend, sein Gehirn
Schlüg ich ihm mit kotgen Steinen
Aus der unverschämten Stirn!

Denn die Sterne sind nicht reiner,
Als der Leib Biondettens ist,
Und der Schoß, er war nicht reiner,
Der empfangen Jesum Christ!

Doch du machst aus Weltenkreisen,
Wo der Engel Palmen schwingt,
Und, den Ewigen zu preisen,
Gloria die Sphäre singt,

Einen Tummelplatz der Heiden,
Wo die Sünde Lanzen bricht,
Und ein ekles Wolluststreiten,
Dem die Geilheit Kränze flicht!

Könntest du mir auch beweisen,
So sei meiner Liebe Ziel,
Möge mich der Stern zereißen,
Der jetzt dort vom Himmel fiel!"

Also sprach er, und es breitet
Apo seinen Mantel hin,
Fing den Stern, der niedergleitet:
"Sieh, was dir ein Stern erschien!

In dem trüben, kalten Schleime
Hier, erkennest du das Licht?
Stürzend durch des Himmels Räume
Wahrlich, dies erschlägt dich nicht!

Alles ist nicht Gold, was gleißet,
Und was glühend dir erschien,
Sich als faules Holz erweiset,
Nahest du dem Wunder kühn.

Und das eben macht den Weisen,
Daß er in dem Sonnenlicht
Kann die Mitternacht beweisen,
In dem Leichten das Gewicht.

Daß selbst in des Lichtes Leichte
Er die Wucht, die niederzieht,
In dem Abgrund auch das Seichte,
In dem Seichten Abgrund sieht.

Sollt ich dich nicht selig preisen,
Wäre solch ein Weib dein Spiel?
Um die Erde möcht ich reisen
Nach so wunderbarem Ziel!

Doch die Jugend möchte steigen,
Um den Himmel zu erfliehn,
Und das Alter muß sich neigen,
Sieht ihn an der Erde blühn.

Willst du nun die Lust erreichen,
Die dir durch die Adern rinnt,
Einen Trank will ich dir reichen,
Der dir ihre Gunst gewinnt.

Läßt du dir das Recht entreißen,
Das dir Lust und Jugend gibt,
Wird dich schwer der Neid zerreißen,
Wenn sie andern sich ergibt.

Daß zum Falle sie gereifet,
Seh in ihren Sternen ich,
Wenn kein andrer sie ergreifet,
Nenne einen Lügner mich!" —

"Den möcht ich jetzt gleich dich heißen,"
Zürnend nun Meliore spricht,
"Solche Unschuld kann nicht gleißen,
Gottes ist ihr Angesicht!

Körner streust du; ich soll gleiten,
Aber Gott erhalte mich!
Sündflut aller Eitelkeiten,
Hier vor Gott verfluch ich dich!

Ja, gleich leicht magst du beweisen,
Diesen Himmel ernst und still
Sehest du vom Blitz zerreißen
Und von donnerndem Gebrüll;

Und die Stadt im Mondenscheine
Fülle jetzt der wilde Krieg,
Und daß jetzt, wo wir alleine,
Weit ein Feld voll Leichen lieg;

Daß Bologna ihre weite,
Hochgetürmte, feste Stirn
Niederbeuge jetzt im Streite
Vor dem himmlischen Gestirn!

Daß du doppelt kannst erscheinen,
Weil ichs sah, bewiest du mir;
Doch Biondettens Schuld verneinen,
Selbst sie sehend, würd ich dir!" —

"Malst du an die Wand den Teufel,"
Apo zu dem Jüngling spricht,
"Hält er dir auch ohne Zweifel
Zu der Malerei das Licht!"

Sprachs. Und plötzlich donnernd steiget
Um den Mond die Finsternis,
Und so weit der Himmel reichet,
Hell ein Blitz die Nacht zerriß.

Und rings durch die Stadt verbreitet
Sich ein tosend Stahlgeklirr;
Näher, immer näher streitet
Her der Stimmen Kampfgewirr.

Meliore bebt. Es schreiten
Tausend Bürger in den Ring,
Und mit Wut von allen Seiten
Hebet sich das Schwertgekling.

Und es sinket Reih auf Reihe
Auf dem blutgen Mordgefild,
Daß von Wut- und Wehgeschreie
Laut ertost das Wolkenschild.

Weh! da stürzen auf die Streiter
Rings Bolognas Türme hin,
Doch sie kämpfen immer weiter,
Nichts erschrecket ihren Grimm!

Zu den Füßen seinem Meister
Sinnlos hin Meliore sinkt,
Bis das Spiel der bösen Geister
Dieser in den Abgrund winkt.

Und von Schrecken ganz gebleichet
Richtet auf der Jüngling sich:
"Du hast Böses mir gezeiget,
Meister, nun entlasse mich!"

Apo spricht: "Du prophezeitest
Dieser Stadt dies Ungeschick,
Weil du sie so toll vereidest
Für Biondettens Tugendglück.

In der Wage liegen beide,
Leg dich zu der Tänzerin;
Daß dein Vaterland nicht leide,
Gebe dich der Freude hin!

Größre Wunder könnt ich zeigen —
Eines Wortes leicht Gewicht,
Eines nichtgen Blickes Steigen
Führt oft her ein schwer Gericht.

Und so stehn die Himmelszeichen:
Es erfüllt sich dies Gesicht,
Brichst du von Biondettens Zweigen
Heut die reifen Früchte nicht!" —

"Läßt so leicht vom Himmel reißen
Dieses Landes Schicksal sich,"
Spricht Meliore, "will verheißen
Eine schönre Zukunft ich!

Hohe Nacht, ihr Sternenreiche,
Mond, du keusches Angesicht,
Euch Biondetten ich vergleiche,
Sie weicht euch an Friede nicht.

Und so fest und ungebeuget
Stehet ihrer Tugend Zier,
Als einst fromm ein Tempel steiget
Aus des Brands Ruinen hier!

Sieh! beweget sind die Steine,
Ordnen auf zu Mauern sich;
Diese Geister sind die meinen,
Und ihr Meister bin auch ich!

Freudig auf die Pfeiler steigen;
Hörst du, wie Biondette singt?
Wie nach ihrer Harfe Reigen
Stein auf Stein zum Himmel dringt?

Wie nach ihren Melodeien
Kuppel sich an Kuppel ringt,
Und die Säule ihre Reihen
Mit dem Palmenknauf verschlingt?

Der Kapellen Einsamkeiten
Ordnen sich in Harmonie;
Wo die Töne sich durchschneiden,
Wölbt des Chores Halle sie.

Wo die Töne höher steigen,
Heben sich die Türme spitz,
Die zum Firmamente reichen
Mit der Kreuze goldnem Blitz.

Wo sie sich zur Tiefe neigen,
Zu der Grüfte Labyrinth,
Seh ich trauernd niederschleichen
Still der Treppen Steingewind.

Heilig scherzt in tausend Weisen
Blum um Blume, Bild um Bild,
Und, die Meisterin zu preisen,
Widerhall dem Stein entquillt.

In der Kerzen selgem Scheine
Bebt der Altar feierlich,
Und gleich einem Frühlingshaine
Füllt das Haus mit Jubel sich.

Silbernem Gefäß entkreisend
Süß der Weihrauch aufwärts dringt,
Und des Himmels Tor aufreißend
Hochgesang in Wonne ringt.

Sieh, wie zu des Tempels Weihe
Rings die frommen Bürger ziehn;
Meister! Gott uns Trost verleihe,
Laß uns betend niederknien!"

Spricht Meliore, und den Meister
Will er an dem Mantel ziehn;
Helfet! alle guten Geister!
Er sieht vor sich doppelt ihn!

Einer trägt ein Feuerzeichen
Auf der hohen, dunkeln Stirn,
Kalt sie sich die Hände reichen,
Und es bebet das Gestirn.

Lachend sie von dannen schleichen,
Sieh, da kehrt das Mondenlicht;
Durch das nächtlich tiefe Schweigen
Meliors Stimme bricht:

"Weh! Bologna, weh! Sich neigen
Sah ich deiner Türme Zier,
Sah ein blutig Feld der Leichen
Über deinem Herzen hier!

Weh! in deinen Eingeweiden
Reget sich ein Drachenkind,
Und es streun die dunklen Zeiten
Deine Asche in den Wind!

O, wie muß ich den beneiden,
Der den Stamm, des Sohn er ist,
Kennt, daß er den Fluch der Leiden
Nicht in seinem Schuldbuch liest!

Einen Schuldgen suchend, reißen
Um das Schiff die Stürme sich;
Weh! ich kann mich des nicht preisen,
Daß den Fluch nicht trage ich!

O Allmächtiger, o zeige,
Ob der Sünde ich entspring,
Daß ich zu der Flut mich neige
Und ein sühnend Opfer bring!"

Also fleht er um ein Zeichen,
Und sein Flehen ihm gelingt:
Durch das tiefe nächtge Schweigen
Hell die Totenglocke klingt.

Und der Glocke Schall geleitet
Zu Biondettens Wohnung ihn;
Wo der Baum die Schatten breitet,
Kniet er bei dem Altar hin.

"Herr! die Seele, die jetzt streitet,
Richt in deinem Zorne nicht;
Herr! die Seele, die jetzt scheidet,
Sehe bald dein Angesicht!"

Und er höret an dem Zeichen,
Daß ein Weib gestorben ist,
Weil die Zahl der Glockenstreiche
Zweimal unterbrochen ist.

"Jacopones frommem Weibe
Wohl das dunkle Auge bricht.
Ob ich gehe, ob ich bleibe?"
Bang der Jüngling zu sich spricht.

"Denn nicht lang mehr kann verweilen
Die geliebte Tänzerin;
Sah ich sie, dann will ich eilen
Tröstend zu dem Bruder hin.

Ach, schon hör ich aus der Weite
Leichter Füße Flügelschritt!"
Von der monderhellten Seite
Bang er in den Schatten tritt.

"Soll ich singen, soll ich schweigen,
Wenn sie mir vorüberzieht?
Gerne gäb ich ihr ein Zeichen,
Daß ein Liebender sie sieht!"

Doch ein dunkler Fechter schreitet
In dem Schatten vor ihn hin,
Und zum Kampfe schnell bereitet
Meliore sich gen ihn.

Aber in des Degen Kreisen
Seine Klinge ihm zerspringt,
Ihn durchbohrt des Feindes Eisen,
Und er spricht, indem er sinkt:

"Herr! die Seele, die jetzt streitet,
Richt in deinem Zorne nicht;
Herr! die Seele, die jetzt scheidet,
Sehe bald dein Angesicht!"

** Romanze XV: Meliore und Biondetta — Biondettens hohes Lied

Gieße, Mond, dein Silber milder
Durch die blauen Himmelsmeere;
Blicket fromm, ihr Heldenbilder,
Nieder aus dem Sternenheere.

Einsam kühle Nachtluft, stille
Grüße aus dem Himmel sende;
Blüten, Blumen, eure Fülle
Duftend sich der Nacht verschwende.

Philomela, süßer stimme
Deines Traumes Wonn und Wehe,
Daß es zu den Sternen glimme
Und um Gottes Liebe flehe.

Klang der süßberauschten Zither
Unter Liebchens Fenster bebe;
Still eröffne sie das Gitter,
Daß sie Liebesworte gebe.

Jünglingen, die schlummernd liegen,
Komm ein Liebestraum entgegen;
Auf die Kindlein in den Wiegen
Senke sich ein Engelsegen.

Und die Wünschelrute sinke
Jedem auf des Schatzes Schwelle,
Und dem Durstgen, daß er trinke,
Sei der Schatz die kühle Quelle.

All ihr Bronnen, selig zielet
In die mondberauschten Becken;
Leis im West, ihr Blätter, spielet,
Um die Vöglein nicht zu wecken.

Nacht, in deines Zaubers Schlingen
Soll sich Liebesscham verketten,
Unter lustbetrauten Schwingen
Bräutliches Entzücken betten.

Was die Seele, was die Sinne
Hoch begeistert, tief erreget,
Deines Glücksrads Lustgewinne
Seien alle ausgeleget.

Spinnet bei dem Mondenlichte
Eure feinsten Netze, Elfen,
Und die schlauen Zauberwichte,
Alle Zwerge sollen helfen.

Felsbewohnende Sibyllen,
Leichte Nymphen flüchtger Quellen,
Einet alle euren Willen,
Diese Netze aufzustellen.

Locket, locket, süßer singend,
In die Netze, ihr Sirenen,
Und den Tönen nicht gelingend,
Laßt gelingen es den Tränen.

Denn es will uns heut entfliehen
Der melodischste der Schwäne,
Will zu heilgerm Himmel ziehen,
Daß sein Herz sich nicht mehr sehne.

Königin der Sternenzinne,
Priesterin verklärter Herzen,
Lehrerin geheimer Minne,
Heldin, Trösterin der Schmerzen,

Nacht! durch deines Tempels Mitte
Sehe ich Biondetten gehen,
Scheu verhüllt in züchtger Sitte;
Du wirst sie nicht wiedersehen.

Auf dem Platze mondbeschienen
Bleibt sie ruhig schauend stehen,
In die düsteren Ruinen
Noch einmal zurück zu sehen.

Sie beginnet leis zu singen;
In der Nachtluft einsam Wehen
Ihre Töne sich verschlingen
Wie der Andacht schwankend Flehen.

"Herr, ich steh in deinem Frieden,
Ob ich lebe, ob ich sterbe;
Starb mein Heiland doch hienieden,
Daß ich sein Verdienst erwerbe.

Will der Schmetterling zum Lichte,
Muß die Larve er zerbrechen,
So hast du dies Haus vernichtet,
Meine Freiheit auszusprechen.

Laß die Flügel mich erquicken,
In der Andacht sie erstrecken,
Und zum Himmelsgarten zücken
Durch der Buße dornge Hecken!

O, wie hast du hoch gezieret
Diese Weltnacht, mir die letzte;
Eine Seele triumphieret,
Deren Tod mich hoch ergötzte.

Solchen Tod laß mich gewinnen,
Herr, nach einem solchen Leben,
Laß mich mit so klaren Sinnen
Dir die Seele wiedergeben!

Denn in deinen Händen liegen
Alle demutvollen Herzen,
Wie die Kindlein in den Wiegen,
Still entschlummert, ohne Schmerzen."

Also sang sie, und geschwinde
Eilt sie auf verschlungnen Wegen,
Und schon höret sie die Linde
Nächtlich grüßend sich bewegen.

Rascher flügelt sie die Schritte
Ihres Hauses Tor entgegen,
Da begegnet ihrem Tritte
Klirrend ein entblößter Degen.

Ach, und weiter noch zwei Schritte
Liegt, vom Mantel leicht bedecket,
Der den bösen Mord erlitten,
Stumm ein Jüngling ausgestrecket!

Da sie zu ihm niederblicket,
Will er noch die Blicke heben;
Den der Tod schon fest umstricket,
Kann die Schönheit noch beleben.

Gleich dem frommen Samariter
Hebt die mutige Biondette
Mühsam nun den toten Ritter,
Trägt ihn hin nach ihrem Bette.

Lebend konnts ihm nie gelingen,
In ihr Kämmerlein zu sehen,
Und er mußte, einzudringen,
Durch des Todes Pforte gehen.

Schnell die Lampe angezündet
Unter bangen Herzensschlägen!
Ach, das Herz, das sie verbindet,
Schlägt noch liebend ihr entgegen!

Balsam macht sie aus den Giften,
Die sie sonst im Tanz umgeben,
Mit der Öle süßen Düften
Ruft sie wieder ihn zum Leben.

Und sie löset ihm geschwinde
Seinen Koller überm Herzen,
Sauget ihm sein Blut gelinde
Aus der Wunde mit den Schmerzen.

Ach! und ihren frommen Lippen
Strömt die Torheit frech entgegen;
Quelle böser Zauberklippen,
Liebesgift war an dem Degen!

Auf der Brust ihm eingeschnitten
Ihren Namen liest Biondette,
Und ihr Bild, nach Liebessitte,
Hängt darauf an goldner Kette.

Doppelt ihren Schleier windet
Sie, mit Tränen ihn benetzend,
Und die Wunde sie verbindet,
Sich der Blöße nicht entsetzend.

Und sie eilt und schmückt das Zimmer,
Zündet an wohl hundert Kerzen,
In der Spiegel Widerschimmer
Gold und Silber freudig scherzen.

Ihres Putzschranks Flügeltüren
Öffnet sie mit leichten Händen,
Daß ein eitles Triumphieren
Rings entstrahle allen Wänden.

Und die falschen Götterbilder
Schmücket sie mit Flitterkränzen,
Aus dem Schoße goldner Schilder
Läßt sie seidne Röslein glänzen.

Reiherbüsche pflanzt sie flitternd
Auf des Boden Purpurdecken,
Diamantne Nadeln zitternd
Zäumt sie ein mit Federhecken.

In der Torheit Garten glimmend
Rüstet sie ein Weihrauchbecken,
Daß die Weihrauchwolken schwimmend,
Lüstern halb den Glanz bedecken.

Weh! wer hat sie so verrücket?
Alle Blumen muß sie brechen;
Wie des Wahnsinns Braut geschmücket,
Muß ihr keusches Herz erfrechen.

Schamlos tritt sie vor den Spiegel,
Ihre Brust zu Tag zu legen,
Weh! da blicket Gottes Siegel,
Die Goldrose ihr entgegen.

Doch sie ist so tief verstricket,
Nichts kann ihre Glut erschrecken,
Ihre Blöße sie entzücket,
Und sie mag sich nicht bedecken.

Und mit süß vertrauten Blicken
Sitzt sie auf des Jünglings Bette;
Weltlicher nicht konnt sie blicken,
Wenn sie nie gebetet hätte.

Und sie fühlt in allen Sinnen
Ein unheiliges Ergötzen
Wild durch ihre Adern rinnen,
Und sie muß die Zucht verletzen.

Seine Lippen, seine Stirne,
Ihren Namen ihm am Herzen,
Küsset heiß die arme Dirne
Unter suß berauschten Schmerzen.

Und in seinen Locken spielen
Ihre zarten Hände bebend,
Doch umsonst die Küsse zielen,
Seine Lippen nicht belebend.

An den Busen ihn zu drücken,
Seinen Namen laut zu nennen,
Fühlet sie ein wild Entzücken,
Doch er will sie nicht erkennen.

"Meliore," spricht sie liebend,
"Deine Augen zu mir wende,
Süßen Dank der Huld ausübend,
Die ich zärtlich dir verschwende!

Sieh, es will der gütge Himmel
So dich an das Herz mir legen,
Wie ich in des Brands Getümmel
An dem deinen bin gelegen!

Wenn du auch nicht wiederküssest,
Winkend nur ein Zeichen gebe,
Mir zum Troste, daß du wissest,
Wie ich dich nicht überlebe!"

Und die Harfe nimmt die Süße,
Läßt die Saiten wild erbeben;
Ach, die heißen Liebesgrüße
Können nicht sein Aug erheben.

Keuscher Tod, du drückst sie nieder,
Solche Raserei zu sehen,
In dem Klang der giftgen Lieder
Soll er sie nicht wiedersehen.

"Ihn, den meine Seele liebet,"
Singt sie, "sucht ich in dem Bette,
Sucht ihn durch die Straßen ziehend,
Fand ihn doch an keiner Stätte.

Und ich fragt die Wächter bittend,
Die da durch die Straße gehen:
Ihn, den meine Seele liebet,
Habet ihr ihn nicht gesehen?

Und vorübergehend finde
Ich den Liebsten meiner Seele,
Ihn mit Rosenketten binde,
Ihn auf ewig mir vermähle!

Und ich halt ihn, laß ihn nimmer,
Den ich fand auf meiner Schwelle,
Führ ihn in der Mutter Zimmer,
Führe ihn in meine Zelle.

Sieh, ich bin ein Rauch von Myrrhen,
Auf sich aus der Wüste hebend,
Und, wie Bienenschwärme irren,
Küsse meinem Mund entschweben.

Weiß und rot ist, den ich minne,
Golden sich sein Haupt erhebet;
Wenn ich seinen Locken spinne,
Schwarz die Nacht den Mantel webet.

Seine Augen mich erquicken
Und die Seele mir erhellen,
Wie die Taubenaugen blicken
Zu den klaren Wasserquellen.

Wie Gewürze duftend, grüßen
Seiner Wangen Blumenzellen,
Süße Myrtenöle gießen
Seiner Lippen Rosenquellen.

Goldne Türkisringe zieren
Seine klaren Silberhände,
Elfenbeinern und saphieren
Trägt der Goldfuß seine Lende.

Und er stehet aufgerichtet,
Wie die Zedern auserwählet,
Wie der Libanon umlichtet,
Der dem Himmel sich vermählet.

Wie mein Saitenspiel, erklinget
Süß und lieblich seine Kehle,
Und zu seinen Lippen dringet
Lustberauschet meine Seele.

O, du Büschel süßer Myrrhen,
Zwischen meinen Brüsten hängend,
Sag, wo deine Schafe irren,
Sich im Mittagsstrahle drängend.

Töchter Zions, meine Bitte
Höret und den Freund mir wecket,
Schlummernd vor der Zedernhütte
Unter Rosen ausgestrecket.

Daß er blühend aufgerichtet:
Süße Freundin, zu mir spreche,
Komme her, die Gott gedichtet,
All die Rosen mit mir breche!

Sieh, verschwunden ist der Winter,
Und dahin ist Sturm und Regen,
Und die Blumen, Frühlingskinder,
Spielen schon auf grünen Wegen.

Meine Wangen lieblich flimmern,
In den Spangen, in der Kette
Sehe meinen Hals erschimmern,
Und es grünet unser Bette!

Wie die Traube Copher schwillet
Zu Engeddi in den Gärten,
Und der Lippen Kelch erfüllet,
Küß ich meinen Lustgefährten!

Zedern fest das Haus uns stützen,
Unsre Latten sind Zypressen,
In dem Schatten will ich sitzen
Und der Schmerzen all vergessen.

Unterm Schatten will ich sitzen;
Des die Seele mir begehret,
Wie der Apfelbaum bei wilden
Bäumen, ist mein Freund verehret.

Deiner Lieb Paniere schwinge
Über mir, du Hoch und Heller,
Und du Freundlicher, mich bringe
In des süßen Weines Keller!

Und mit Blumen mich erquicke,
Mich zu laben Äpfel gebe;
Krank bin ich vor Liebe; blicke,
Blicke auf, mich zu beleben!

Unter deinem Haupt die Linke
Muß dich meine Rechte herzen,
Wenn ich deinen Kuß nicht trinke,
Muß verdürsten ich in Schmerzen!

Sieh, die Honigbienen irren
In dem honigsüßen Lenze,
Und die Turteltauben girren;
Komme, mein Freund, daß ich dich kränze!

Sieh, dem Feigenbaum entspringen
Knospen; aus dem Aug der Reben
Süße Wollusttränen dringen;
Also weint mein junges Leben!

Wie in dunklen Felsenritzen
Turteltauben auf dem Neste,
Also will ich bei dir sitzen
In dem Glanz der Blütenäste.

Und es tönet meine Stimme
Süß, o süß ist meine Kehle,
Bis wetteifernd süß ergrimme
und verglimme Philomele.

Und ich singe zu dir nieder:
Mein bist du und mir gegeben,
Und es sehn dich meine Lieder
Unter Rosen weidend schweben!"

Wie sie also töricht singet,
Spricht Meliore: "Meine Schwester,
Fromme Taube, ach, es schlinget
Sich des Todes Band nur fester!

Nachttau mir vom Haupte fließet,
Und es wecket mir im Herzen,
Wenn sich gleich mein Auge schließet,
Deine Liebe bittre Schmerzen!

Mein Gewand, ich legt es nieder,
Soll ich wieder an es legen?
Nach dem Bad die Füße wieder
Mir besudeln auf den Wegen?

Deine Augen gleichen Blitzen,
Deine Augen von mir wende!
Meinem Herzen Degenspitzen
Scheinen deine zarten Hände!"

Aber wehe! nicht vernimmet
Sie den schweren Namen Schwester,
Glühender ihr Wahn entglimmet,
Sie umklammert ihn noch fester.

Und sie spricht: "Der Kelch der Lilien
Unserm Bett das Rauchfaß schwenket,
Unser Dursten zu vertilgen
Sich der Traube Becher senket.

Unsre Tür umgeben Früchte,
Ich bewahrte dir, mein Leben,
Heurige und fernge Früchte,
Beide kann ich dir nun geben!

O, du Liebe in Wollüsten!
O, du schön und lieblich Schweben!
Trauben gleichen meine Brüste,
Trauben wundersüßer Reben!

Einer Palme aufwärts dringend
Gleichet meines Leibes Länge,
Wie der Wein hinan sich schlinget:
O, wer sich hinan so schwänge!

Laß uns durch die Felder ziehen,
Ob uns sieht das Aug der Reben,
Ich will, wenn Granaten blühen,
Dort dir meine Brüste geben.

Dich, der meiner Mutter Brüste
Saugte, Bruder, dich den Schönen,
Wenn ich dort dich brünstig küßte,
Ach, wer wollte mich verhöhnen!"

Als sie diesen Frevel singet,
Springt sein Blut ihr neu entgegen;
Der Verband, der Hilfe bringet,
Kann die Raserei nicht legen.

Und von ihrem Nonnenbilde
Reißt sie in der Angst die Decke,
Daß damit das Blut sich stillte,
Und es dienet ihrem Zwecke.

Als sie zu dem Bilde blicket,
Fühlet sie ein tief Erschrecken,
Scham sie wie ein Schwert durchzücket,
Und sie eilt, sich zu bedecken.

Von des Bildes Augen fließen,
Wunder Gottes! bittre Tränen,
In die Arme muß sies schließen,
Ach, sie möchte es versöhnen!

Und dem Bilde gegenüber
Sitzt zur Harfe sie am Bette,
Und die Augen strömen über
Der verlorenen Biondette.

"Wo ist die, die aus der Wüste
Aufgeht, auf den Freund gelehnet?"
Spricht Meliore nun, und grüßte
Sie, nach der sein Herz sich sehnet.

"Auf dein Herz gleich einem Siegel
War sie wahrlich doch gesetzet.
Goldne Rose, deinen Spiegel
Hat die Schlange bös verletzet.

Um den Apfelbaum sich schlingend,
Der die Mutter dir bedeckte,
Als sie rang, zur Welt dich bringend,
Bös die Schlange mich erweckte!"

Aber traurend sitzt die Süße,
Läßt die Harfe leis erbeben,
Daß ihn schön das Leben grüße,
Das die Liebe ihm gegeben.

Wie die Töne sich ergießen,
Fühlt die Jungfrau in dem Herzen
Wunderbaren Zauber fließen
Und so süße, wilde Schmerzen.

Höher sie die Saiten schwinget,
Denket nicht mehr des Gesellen;
Wie der Schwan im Tode singet,
Glühend ihre Töne schwellen.

Tausend Töne, die sonst schliefen,
Aus der Harfe lebend brechen,
Und in allen Herzenstiefen
Hört sie laut das Echo sprechen.

In dem Tode hallt es wider;
Schüchtern zu des Lebens Schwelle
Rufen ihn die Zauberlieder,
Seine Blicke werden helle.

Wer erklärt ihm die Gesichte,
Wer ergießt des Himmels Segen?
Ist so mild das Weltgerichte,
Kommt die Gottheit ihm entgegen?

"Süßer Tod, den ich erlitten!
Goldne Töne zu mir gehen,
Selig in des Himmels Mitten
Soll ich wieder auferstehen!"

Aus Biondettens frommen Mienen
Strömet ihm das selge Wähnen,
Gottes Mutter sei erschienen,
Und er betet unter Tränen.

Doch die arme Jungfrau singet
Unter bittren, bittren Tränen,
Während sie die Hände ringet:
"O, welch schmerzlich glühes Sehnen!

Schwarz bin ich, doch voller Liebe,
Wie die Hütten Kedars stehen,
Wie die bunten Teppche schimmernd
Salomons im Tempel wehen.

Die Weingärten zu behüten,
Setzten sie mich ein zum Wächter,
Meinen konnt ich nicht behüten,
Von Jerusalem ihr Töchter!

Wie der Tod so stark ist Liebe,
Fest der Eifer wie die Hölle,
Glut und Feuer meine Triebe,
Wie des Herren Blitz so schnelle.

Und wenn alle Wasser stiegen,
Und wenn alle Ströme rännen,
Würden sie sie nicht besiegen,
Nimmer sie erlöschen können!

Was in meinem Haus sich findet,
Alles Gut, wenn ichs wollt geben
Um die Liebe, die mich bindet,
Ach, ich hätte nichts gegeben!

Schön und lieblich meine Füße
In den goldnen Schuhen stehen,
Und mein Haupt, wenn ich ihn grüße,
Ist wie eines Helmbuschs Wehen!

Wie zwo Spangen schön sich schwingend,
Von des größten Meisters Händen
Eben aneinander dringend,
Stehen freudig meine Lenden!"

Doch nun lischt der Kerzen Schimmer
Und Biondette singet: "Wehe,
Wehe, Wehe, Lebensschimmer,
Holdes Leben, nicht vergehe!

Sterbet nicht, ihr süßen Lieder,
Wollt, o wollt nicht von mir schweben!
Sterbet nicht, ihr raschen Glieder,
Laßt euch froh zum Tanze heben!"

Eh die Lampe auch verglimme,
Will sie freudig nochmals schweben;
Doch sie hört nicht ihre Stimme,
Fühlt nicht ihrer Füße Schweben.

Weh! es walten böse Künste,
Laut die frühen Hähne krähen;
Kehrt, ihr Geister, aus dem Dienste,
Denn der Tag will auferstehen!

Und Meliore kömmt zu Sinnen.
Licht und Lied und Lieb entschweben,
Mächtig fühlt er sich von hinnen
Auf die öde Straße heben.

Kühl umwehn ihn Morgenwinde,
Wunderbar ist ihm geschehen,
Denn er kann noch ihre Binde
Auf der frischen Wunde sehen.

Und die nahe Glocke klinget,
Und er hört die ersten Messen:
Bete, bete, nie gelinget,
Die Geliebte zu vergessen!

** Romanze XVI: Kosme krank — Pietros Garten brennt

Wenn du gleich den Vögeln schwebest,
Über dir der blaue Bogen,
Unter dir die grüne Erde
Und des Wassers Silberwoge;

Und du wolltest niedersehen,
Wo du ruhig möchtest wohnen,
Wo du deinem kleinen Neste
Eine Stelle suchen solltest;

Flöhest du der Städte Elend
Und die Armut eines Dorfes,
Und zögst über Land und Felder
Zu dem stillen Tale Kosmes,

Wo die stillen Bächlein gehen
Durch den Schatten, durch die Sonne,
Durch die Büsche, durch die Felsen,
Bis zum Garten voller Rosen,

Und du bautest dir dein Nestchen,
Wo die klare Jungfrau wohnet,
Und sie ging dir aus dem Wege,
Wenn du ruhig brüten wolltest,

Und du sängst ihr an dem Fenster
In des Lorbeerbaumes Krone;
Futter würde hin sie legen
Alle Abend, alle Morgen,

Und dir schiens ein selig Leben,
Ging zu beten früh die Fromme,
Flögst du mit ihr zur Kapelle,
Die am Felsen höher oben;

Und wenn sie aus vollem Herzen
Unter Tränen spräch die Worte:
Herr, ach schau zu meinem Herzen,
Es ist ganz von Schmerz umdornet!

Herr, um deines Sohnes Schmerzen
Richte auf den Vater Kosme,
Laß ihn nicht verzweifelnd sterben,
Öffne ihm die Gnadenspforte:

Dann wär deine Lust zu Ende,
Deine Seligkeit zerronnen,
Denn nicht ferne von den Menschen
Überall das Elend wohnet.

Und es ist kein öder Felsen
Und kein Bächlein oder Bronnen,
Keine waldumschlossne Stelle
Unterm Monde und der Sonne,

Wo ein Mensch das Licht gesehen,
Wo nicht wär gesündigt worden,
Wo nicht wären bittre Tränen
Vor dem Herrn vergossen worden.

Und du würdest Abschied nehmen
Vor der nächsten Morgensonne,
Sängst noch einmal ihr am Fenster,
Flögst dann weiter unbesorget. —

Wärst du einer von den Sternen,
Die am hohen Himmelsbogen
Ewig auf und unter gehen,
Wie der Herr es hat geboten,

Und du wolltest dich bedenken,
Wo du deine Strahlen solltest
Rein und freudig niedersenken,
Daß sie widerspiegeln sollten

In dem Spiegel weiter Meere;
Sähest du das Schiff hinwogen,
Das die Sünde aus der Fremde
Bringet zu entfernten Zonen;

Auf der stadtbesäten Erde
Sähest du die Menschen morden;
In den Tälern, auf den Bergen
Sähest du die Sünde wohnen;

In des Klosters enger Zelle,
In dem gleichen Tun des Dorfes,
In des Marktes regem Leben,
Im erstarrten Tun des Schlosses:

Wo du deine Strahlen senkest,
Findest du ein Herz gebrochen,
Findest du ein Werk des Bösen,
Findest du ein Kind des Todes.

Und, wer seine Blicke lenkte
Zu dir flehend hin nach oben,
Wäre trunken ganz von Tränen,
Wäre dürstend nach dem Troste.

Doch du würdest dich nicht wenden,
Strahltest ruhig Gott zum Lobe,
Wollte untergehn die Erde,
Wollten auferstehn die Toten.

Was hier klaget, muß vergehen,
Schmerz und Sünde sind des Todes,
Und die Leiden tun nur wehe,
Weil sie sterblich sind geboren.

Aber was da ewig stehet
Sündenlos im Schaffen Gottes,
Kann sich nur in ihm bewegen,
Ist ein Freud- und Leidenloses.

Sieh, der göttliche Geselle,
Phosphoros, der Held des Morgens,
Funkelt von des Himmels Schwelle
Ruhig in den Garten Kosmes.

Und im Morgenwind beweget
Träumen still des Gartens Rosen;
Doch die Hütte ist voll Elend,
Und sie ist ein Haus der Sorgen.

Rosablanka sitzt in Tränen
An dem Bett des kranken Kosme,
Den ein leiser Schlummer decket,
Nur vom Seufzern unterbrochen. # von?

Und sein müdes Haupt erhebet
Nun der Alte zu der Tochter,
Spricht: "Mein Kind, jetzt mußt du gehen
Zu der Messe in das Kloster!" —

"Vater, lasset hier mich beten
Zum allgegenwärtgen Gotte,
Daß ich eurer Krankheit pflege; # eure?
Fern bin ich um euch in Sorgen!" —

"Armes Kind, ich kann genesen
Nur in einem selgen Tode,
Nur vom Schmerz kann mich erlösen
Blut des eingebornen Sohnes!" —

"Vater, schrecklich ist gewesen
Euer finstrer Arzt Apone,
Und ich muß noch Kräuter lesen,
Die er alle hat verordnet!" —

"Kind, hast alle du gehöret,
Die er zu mir sprach, die Worte?
Sie zerschnitten mir die Seele
Wie viel hundert giftge Dolche!" —

"Das, was ich davon gehöret,
Ich doch nicht verstehen konnte:
`Kosme, was dein Herz verzehret',
Sprach er, `ist die Härte Gottes!

Kräftig hast du einst dem Leben,
Was des Todes ist, geopfert,
Und nun opferst du das Leben,
Das dir übrig bleibt, dem Tode!

Du treibst hier ein töricht Wesen,
Machst zur Närrin deine Tochter,
Und die Löcher deiner Seele
Willst du mit der ihren stopfen!

Höre auf, sie zu bestehlen,
Tritt ihr nicht in ihre Sonne,
Laß sie lesen die Poeten,
Gehe in der Stadt zu wohnen!

Du magst ewig dich bekehren,
Was verloren, ist verloren;
Besser solltest du noch scheren,
Die dir übrig bleibt, die Wolle!' —

Dann hat er mich angesehen,
Wie der grimmige Herodes,
Als die Kindlein er zu töten
Seinen Knechten hat befohlen.

Und ich war recht in dem Herzen
Von dem giftgen Blick durchbohret,
Bin, Marien anzuflehen,
Zur Kapelle dann geflohen.

Und am Wege sah ich stehen,
Den am Morgen bei den Rosen
Ich ein Grab hatt graben sehen,
Da die Schlang emporgeschossen.

Aber er hat nicht geredet,
Winkte mit dem Finger drohend,
Griff mir nach der Hand behende,
Nach Biondettens Ringlein golden.

Doch ich wollt es ihm nicht geben;
Da versank er in den Boden,
Und ich eilte zur Kapelle,
Sank ohnmächtig an den Boden.

Und ich sah auch einen Engel
Jubelschreiend in den Wolken,
Er schwang sich wie eine Lerche
Jubilierend hin gen Morgen.

Vater, was ich da gesehen
Klar, wie bei dem Licht der Sonne,
Hat mir ganz verwirrt die Seele;
Jetzt kann ichs nicht wiederholen.

Als ich zu dir kam, da brennte
Über mir der Himmelsbogen,
Es ist Feuer wohl gewesen
In der Gegend, in Bologne.

Vor Marien bin in Tränen
Betend ganz und gar zerflossen,
Gnädig ist sie mir gewesen,
Und ich bin gestärket worden."

Kosme sprach: "Des Arztes Wesen
Ist stets schecklicher geworden:
In der Seele mir zu lesen,
Hat er mir das Herz zerbrochen.

Ach, er kennt mein ganzes Leben,
Und mit jedem harten Worte
Hat er, ihn auf mich zu werfen,
Von mir einen Berg gehoben.

Und so lieg ich ganz zerschmettert,
Als sei ich gesteinigt worden;
Er hat mich mit einer Kette,
Die ich schmiedete, umzogen.

Aus dem Leibe nah dem Herzen
Meine Eingeweide zog er,
Hat, mein Übel draus zu lesen,
Frech sie in die Luft geworfen.

Und ich sah es ohne Schmerzen.
Seit sie wieder eingeschlossen,
Wars, als seien tausend Zentner
In der Seele Haus gezogen.

Boshaft sprach er: `Du genesest,
Wenn auf Erden die drei Rosen
In der Hand der Venus sterben,
Die jetzt stehn im Garten Gottes.

Wenn dein Kind ins Kloster gehet
Und bekränzt mit Liebesrosen
Als Modell dem Maler stehet,
Ist dir, ihr und mir geholfen.' —

Und nun rief ich: `Wehe, wehe!
Wehe über diese Worte!'
Und als ich ihn angesehen,
Ist er deutlich mir geworden.

`Jener Bube bist du, Frecher,
Der die Farben mir im Kloster
Rieb, als ich in Gottes Tempel
Bin ein böser Sünder worden.

In dem Namen Jesus hebe
Dich von mir!' — Da floh Apone.
Ach, er ist es nicht gewesen,
War der Widersacher Gottes!" —

"Vater, nicht so traurig redet!
Ja, es war der Arzt Apone,
Den ich gestern noch gesehen
Zu Bologna bei dem Bronnen.

O, beschwert nicht eure Seele,
Die in Träumen ist verworren;
Wendet ruhig im Gebete
Euch zum allbarmherzgen Gotte!" —

"Gutes Kind, lies mir den Zettel,
Der vom Arzt geschrieben worden,
Daß ich dir die Orte nenne,
Wo die Kräuter sind zu holen.

Denn der Arzt sprach: `In der Nähe,
Ja, in deines Gartens Boden,
Werden diese Kräuter stehen,
Deren Trank ich dir verordne'."

Rosablanka liest den Zettel:
"Aus Sankt Clarens Garten Rosen
Um die Mitternacht zu brechen
Und mit Keuschlamm einzukochen.

Unser Liebfrau Bettstroh nehme,
Mische es mit Venusrosen,
Zu Marienschühlein menge
Teufelsklau und Hahnensporen.

Und Mariensiegel breche
In dem Schein des vollen Mondes,
Mit Marienmantel leg es
In den dir bekannten Bronnen.

Liebfraumilch und Liebfrautränen
Mit unschuldger Kindlein Rosen,
Findelkraut und Venusnelken
Destilliere durch neun Monde.

Alle Stunden einzunehmen
Und so lang zu wiederholen,
Und dem Arzte schnell zu melden,
Wenns nicht helfen will. Apone!"

Als sie dies Rezept gelesen,
Sprach der Kranke: "Meine Tochter,
Jetzo eile nach der Messe,
Kehre wieder mit Benone!

Also heißt, der sie wird lesen;
Er ist recht ein Heilger Gottes;
Beichte will ich ihm ablegen,
Meiner armen Seel zum Troste!" —

"Soll ich nicht zum Wald erst gehen,
Vater, und die Kräuter holen,
Weil ich sie wohl alle kenne,
Außer Teufelsfuß und Krone?"

"Nein, ich muß sie selber brechen
Unter Tränen, fromme Tochter;
Wo ich gehe, liege, stehe,
Blühen sie ja allerorten!

Gehe nun, mein Kind, und flehe
Für mich um die Gnade Gottes!
Mein Bekenntnis abzulegen,
Will indes mein Herz ich ordnen.

Nimm die Fackel, die ich gestern
Einer Schlange gleich geformet,
Am Altare laß sie brennen,
Bei der Mutter Totenopfer!"

Und sie nimmt die Fackel betend;
Ihre Tränen niederflossen
Auf den Alten, der sie segnet,
Und sie wandelt aus der Pforte.

Wie sie durch den Garten gehet,
Weinen morgenlich die Rosen,
Und in tiefen Träumen wehen
Über ihr des Waldes Kronen.

Und es wirft schon durch die Stämme
Ihre Strahlen hin Aurore.
Aber sieh! zur Link und Rechten
Glüht am Himmel heut der Morgen.

Doch jetzt sieht bei der Kapelle
Sie ins Tal herab von oben;
Weh! die Röte ihr zur Rechten
Ist des Pietro Hütte lodernd.

Nieder durch die Felsenwegen
Eilt sie, achtend nicht der Dornen.
Da sie zu dem Garten gehet,
Fühlt ihr Fuß den glühen Boden.

Und der Hütte Asche hebet
Wild emport der Sturm des Morgens,
Der sich sonst zu wiegen pflegte
In dem Busen tausend Rosen.

Als sie durch den Garten gehet,
Lief um sie die wilde Lohe,
Schlangen, Drachen, sengend, brennend
Blum und Baum und Laubenbogen.

"Pietro, Pietro!" ruft sie bebend,
"Ob er in der Glut gestorben?"
Sieh, bei jener weißen Rose
Steht er, die sie ihm geschenket.

Alle Bäume rings gefället
Hat er zu dem Schutz der Rose,
Und ihr immer Wasser gebend
Geht und kehrt er zu dem Bronnen.

Als die Jungfrau er gesehen,
Spricht er: "Du hast lang verzogen,
Dich zum Opfer einzustellen,
Das zu deiner Ehre lodert!

Alles, was du hast verschmähet,
Hat die Flamme angenommen,
Und sie will mich drum vermählen
Mit der Asche, ihrer Tochter.

Sieh, schon kommen Hochzeitsgäste,
Die Gesellen ohne Sorgen,
Morgenwinde, lustig heben
Sie der grauen Braut die Locken!

Ach, ich lieb sie ohne Ende!
Göttlich ist sie, hochgeboren,
Denn der herrlichste der Helden
Stahl das Feuer von der Sonne.

Meine Braut ist deine Schwester,
Du auch bist des Helden Tochter,
Dem der Geier nagt am Herzen,
Weil das Feuer er gestohlen.

Von den Göttern hoch gesegnet
War die Mutter dir Pandore,
Alle Freuden, alle Wehen
Sind aus ihr nächst dir geboren.

So ist aller Lust des Lebens
Buße zugeordnet worden;
Meine Braut, die Asche, schwebet,
Spielt die Flamme mit den Rosen.

Ach, ich liebe sie ohn Ende,
Denn ich bin aus ihr geboren,
Und will wieder Asche werden,
Weil ich dich nicht hab erworben.

Wahrlich, sie ist deine Schwester,
Denn die schöne, weiße Rose
Hat sie brennend nicht verzehret,
Weil sie hat für mich geworben.

Sei willkomm beim Hochzeitsfeste!
Sieh die rosige Aurore
Ihre gelben Locken mengen
Mit der Asche meiner Rosen!

Hoch ist dies Fest geehret:
Gestern hab ich dich verloren,
Heute Nacht starb Rosarose,
Meine Rosen diesen Morgen!"

Und nun weint er bittre Tränen
Seinen sinnverwirrten Worten.
Rosablanka tief beweget
Spricht: "O Pietro, denke Gottes!

Pietro, du stehst ganz in Frevel,
Seine Hand von dir gezogen
Hat der Herr! O Pietro, bete,
Daß er dein nicht denk im Zorne!

Nie bin ich dir lieb gewesen,
Du hast gestern mich betrogen,
Denn ich sehe deine Seele
Tief in irdscher Not verworren.

Laß dem Feuer seine Rechte,
Das du gen dich aufgefordert;
Deine Seele zu erretten,
Folge mir zur Kirche Gottes!

Und erzähl mir auf dem Wege,
Was dir so den Sinn verworren!
Ich will liebreich mit dir reden,
Folge mir von diesem Orte!"

Pietro spricht: "O Gottes Engel,
Wie du mild bist in dem Zorne!"
Eine Handvoll Asche nehmend
Beugt er sich dann zu dem Boden.

Und sie unter Tränen mengend
In die taubereiften Locken,
Spricht er, nochmals um sich sehend,
Schmerzdurchdrungen diese Worte:

"O, du liebes, armes Leben!
Bunter Thron des ewgen Todes!
Blutig Schlachtfeld des Verderbens!
O ihr aschevollen Rosen!

Meiner Hütte klare Fenster,
Von Jasmin so still umzogen,
Und du schattig Dach der Reben
Über meiner kleinen Pforte!

Weh, es grinset wie Gespenster
An im glühen Blick der Kohlen,
Und der Rasen, den ich pflegte,
Knirschet unter meinen Sohlen.

O ihr tausend frommen Engel,
In den Lilien, in den Rosen,
Morgens mit dem Gärtner betend,
Sterne, Sonnen, Kelche, Kronen,

Zeihet mich mit dürrem Stengel,
Daß ich alle euch gemordet,
Daß ich, folgend dem Verderber,
Hab gestört den Tempel Gottes!

Fromme Priester fleißger Zellen,
Goldne Bienen, euer Kloster,
Eures Gottesdiensts Kapellen,
Eurer Andacht Stationen,

Alle liegen sie versenget,
Und die Glut des bösen Opfers
Und der Rauch des Feuerfrevels
War für euch des Todes Odem.

Kühler Labung Marmorbecken,
Glatter Rand des treuen Bronnens,
Du bist in dem durstgen Lecken
Dieser wilden Brunst zerborsten.

Stiller Mahner des Gescäftes,
Stundenzeiger, Freund der Sonne,
Du bist, Feuerschatten werfend,
In der bösen Glut zerschmolzen.

Hütte, Garten, Blumen, Reben,
Fromme Bienen, süße Rosen,
O, du unschuldvolles Leben,
Ich hab dich von mir gestoßen!

Einsam nur im Garten stehet
Dort die hohe, weiße Rose;
Paradies mußt untergehen,
Ewig steht der Baum des Todes!"

Und nun mit der Jungfrau gehet
Zu der Stadt der Trauervolle,
Und sie wechseln stille Reden,
Niedersehend an den Boden.

"Wann ist, Pietro, Rosarose,
Deine Schwester, dir gestorben?" —
"Des Theaters Glut entgehend
Fiel sie in den Arm Meliores.

Niedersprang sie von dem Fenster,
Und der Sturz führt sie zum Tode.
Jetzt zu ihrem Leichenfeste
Gehe ich zu Jacopone." —

"So war dies die Glut, die gestern
Ich sah an dem Himmel lodern!
Ach, die herrliche Biondette,
Ward sie heil dem Brand entzogen?" —

"An der Schwester Sterbebette
War sie noch mit Jacopone!" —
"Ist dein Bruder unverletzet,
Der getreue Meliore?" —

"Ich hab ihn nicht mehr gesehen,
Ich hab ihn nicht sehen wollen,
Und ich will ihn nicht mehr sehen,
Er hat mein Geschick verdorben!

Er, der Buhler von Biondetten,
Er hat mir dein Herz entzogen,
Und durch ihn starb Rosarose,
Sank mein Haus und meine Rosen!

Ich bin nicht zur Stadt gewesen;
Als die wilde Glut da tobte,
Saß ich still in meiner Zelle,
In verschmähter Lieb verloren.

Und zu deinem Vater gehend,
Führt Meliore den Apone,
Und der falsche Bruder kehrte
Zu der Stadt von meiner Pforte.

Und der weise Arzt erzählte,
Kräuter in dem Garten holend,
Mir den Tod der Rosarose
Und die Buhlerei Meliores.

Und er warf mir in die Seele
Einen Brand, der ewig lodert,
Der den Garten mir verzehrte,
Der mich selbst noch treibt zum Tode!"

Rosablanka rief nun: "Wehe,
Wehe dir, du Höllenbote!
Apo ist es nicht gewesen,
Wahrhaft sprach der Vater Kosme.

Deinen Schritt zurück noch wende,
Du erweckende Aurore,
Lasse, was der Böse säte,
Nicht erblühn in deiner Sonne!

Schauertrunkne Nacht, o kehre!
Decke, die du tot geboren,
All die Lügen und Gespenster
Unterm Dunkel deines Zornes!"

Also spricht sie. Doch es stehen
Glühnd des Morgens goldne Kronen,
Zeugen ihres Angstgebetes,
Auf Bolognas hohen Domen.

Und da sie beisammen stehen
Bei der Linde, bei dem Bronnen,
Sich schon Tagesstrahlen senken
In den Schein der Mutter Gottes.

"Pietro," spricht sie, "Gottes Segen
Leuchte dir in deinem Zorne!"
Scheidend sah er da die Tränen,
Die ihr aus den Augen quollen.

Und sie sah verwirrt umwehen
Finstre Stirn die dunkeln Locken;
Denn schon auf die Gipfel leget
Niederschauend sich die Sonne.

Die da ewig sinkt und kehret
Sündenlos im Schaffen Gottes,
Kann sich nur in ihm bewegen,
Ist ein Freud- und Leidenloses.

** Romanze XVII: Totenmesse — Meliore und Rosablanka beichten

Stille herrscht in den Straßen,
Und es rauscht ein Morgenwehn
Durch der Gärten Lustterassen,
Wo die Blumen träumend stehn.

Eine Perle, eine Träne
Legt es jeder in das Herz,
Und sie wenden also schöne
Ihre Kelche sonnenwärts.

Und es wehen ihre Düfte
Durch die schlummerstille Stadt,
Durch die kühlen, regen Lüfte
Weht ein einsam Blütenblatt.

Und ein Vöglein aus der Linde
Flieget und das Blättlein fing,
Glaubt es spielend in dem Winde
Einen bunten Schmetterling.

Läßt betrogen dann es fallen
In des Springbrunns Marmorrand,
Und er spielt mit süßem Lallen
Mit dem süßen Frühlingstand.

Und der Vogel ohne Sorgen
Stürzet aus dem Bann der Nacht,
In den goldnen, lieben Morgen,
Der auf Turmesspitzen lacht.

Sonn und Vogel golden lachet
Auf dem Kreuz, das himmlisch thront,
Und es sinket überwachet
In das Licht der blasse Mond.

Durch den grauen Morgen dringet
Der prophetsche Hahnenschrei,
Und die Schwalbe dichtend singet
Ihres Traumes Phantasei.

Sieh, in einem frommen Blitze
Fängt das Kreuz den Sonnenschein,
Senkt ihn von des Turmes Spitze
In die stillen Straßen ein.

Und der Bettler, der geschlafen
Vor des Palasts Säulenkranz,
Hebt sich, da ihn Strahlen trafen,
Still und dreht den Rosenkranz.

Und es gehet Rosablanke
Durch das römsche Tor herein,
Eine Kerze trägt die Schlanke
Und ein Kännlein Opferwein.

Als sie an des Altars Stufen
Vor Biondettens Wohnung steht,
Will die Tänzerin sie rufen,
Daß sie mit zur Kirche geht.

Aber wie ward sie betroffen!
An dem kleinen, stillen Haus
Steht die Türe nächtlich offen:
Ging so früh die Jungfrau aus?

Nein, dann hätte sie geschlossen
Ehrbar hinter sich das Tor.
Und nun steigt sie unverdrossen
Zu der Kammer leis empor.

Und sie findet ganz zerrücket
Dieser Stube Ebenmaß,
An der Erde lag zerstücket
Manche Urne, manches Glas.

Blumen, Federn bunt zerstreuet
Und Gewänder hie und da,
Das, was gestern sie erfreuet,
Heute sie mit Schrecken sah.

Die zerrissnen Perlenschnüre
Säten eine Tränensaat
Zu des Schlafgemaches Türe,
Der sich Rosablanka naht.

Und sie pochet: doch die Kammer
Schweiget, und sie geht hinein.
Ach! Da tritt in tiefern Jammer
Noch die bange Jungfrau ein.

Weh, das Bettlein blutbeflecket,
Und zerstört das Saitenspiel!
Rosablanka tief erschrecket
Auf die Kniee niederfiel.

Zu dem kleinen Nonnenbilde
Rief sie unter Tränen aus:
"O, du Antlitz, ernst und milde,
Blut und Tod befleckt dies Haus!"

Und mit Angst und mit Entzücken
Fühlte sie, wie wundervoll
Aus des Bildes stillen Blicken
Eine helle Träne quoll.

Und so ganz von Angst durchdrungen
Weilt sie in dem bösen Haus,
Streckt die Hände schmerzgerungen
Zu dem Morgenlichte aus.

Wie verspätete Gespenster
Gaben hundert Kerzen Schein,
Tiefgebrannt, und durch die Fenster
Sah erschreckt der Tag herein,

Den die Nachtigallen grüßen
Auf des Fensters Gartenbeet,
Wo ihr Bauer unter süßen
Blumen eingezäunet steht.

Rosablanka geht zum Bauer,
Läßt die Sängerinnen frei:
"Flieht und sucht, wo eurer Trauer,
Meiner Trauer Heldin sei!

Schwinget euch zu ihrer Leiche,
Rufet ihren Mörder aus,
Daß die Rache den erreiche,
Der befleckt dies heilge Haus!"

Und die kleinen Vögel lenken
Zu dem Lichte erst den Flug,
Werden aber bald sich schwenken
Nach des Herzens innrem Zug,

Wie das Schiff vom Lande rauschet
Freudig erst ins Element
Und die freie Lust dann tauschet
Mit des Schiffers Ziel und End.

Doch nun kömmt der kleine Knabe,
Dem sie gestern am Altar
Teilte ihre Honigwabe,
Sprach mit seiner Stimme klar:

"Rosablanka, nicht vergesse
Über dieses Hauses Schmerz
Deiner Mutter Totenmesse,
Trage ins Gebet dein Herz!

Größre Trauer zu bestehen
Stehet deiner Seele vor,
Durch die Dornen mußt du gehen
Zu des Himmels Rosenflor!

Es verließ die kleine Zelle
Schon der treue Gottesmann,
Kerzenhell ist die Kapelle
Und der Glockenruf getan.

Zünde deine Schlangenfackel
An der ewgen Lampe Licht,
Sie sei vor dem Tabernakel
Des Erlösers aufgericht!"

Rosablanka spricht: "O sage
Mir, du blondes Wunderkind,
Ob ich die, um die ich klage,
Je im Leben wiederfind?"

Und er sprach: "Die Seele stehet
Wieder licht in Gottes Hand,
Nur der Leib, der irdisch gehet,
Ist dem Dunkel zugewandt!"

Und nun wendet er sich stille,
Und die Jungfrau folget nach.
"Es geschehe Gottes Wille!"
Sie ergeben vor sich sprach.

Und er führt sie zu Sankt Claren
Durch den Klostergarten ein,
Wo sich tausend Blumen paaren
In des neuen Tages Schein.

Vor des Kirchleins Marmorschwelle
Sproßt der schönste Rosenstrauch
Und erfüllet die Kapelle
Mit der süßen Düfte Hauch.

Wunderbar ist er gewunden
Und geranket tausendfach,
Einer Schlange gleicht er unten
Und umzieht das ganze Dach.

Wo er aus der Erde dringet,
Ist er dürr und ungestalt,
Wo er höher an sich schwinget,
Grünt und sproßt er mit Gewalt.

Links wohl alle Rosen trauern,
Rechts sie freundlich lachend glühn,
Und es stehn des Kirchleins Mauern
Wie in Mond- und Sonnenschein.

Doch drei Sprossen sendet oben
Frisch der recht und linke Zweig;
Alle sechse dicht verwoben
Blühen freudig alle gleich.

Durch das Kuppelfenster schauen
Still sechs Rosen zum Altar,
Ihre Tränen nieder tauen
Auf Mariens Schleier klar.

Aber von den sechsen schimmert
Eine rot und eine weiß,
Und die dritte golden flimmert
Aus dem wunderbaren Gleiß.

|Rosa mystica Maria|
Heißt der heilge Rosenbund;
|Virgo dulcis, clemens, pia|
Grüßet sie des Volkes Mund.

Als die Jungfrau fromm sich neiget
Und zum Weihbrunn führt die Hand,
Wunderbar ein Anblick steiget
Auf an seinem Marmorrand.

Vor ihr steht zwei geistge Nonnen,
Blicken zu ihr ernst und mild,
Reichen ihr den heilgen Bronnen;
Eine glich wohl jenem Bild.

Jene, die da stand zur Linken,
Wo die Rosen traurig sind,
Ließ voll Schmerz die Augen sinken,
Wie die Mutter auf das Kind.

Als die Magd von ihren Händen
Das geweihte Naß empfing,
Suchte sie ihr zu entwenden
Von der Hand Biondettens Ring.

Als die Jungfrau dies empfindet,
Schloß sie schreckhaft ihre Hand
Und das Nonnenpaar verschwindet
Seufzend an des Brunnens Rand.

Aber in der Seele stehet
Ewig nun dies Antlitz fest,
Wo sie ruhet, wo sie gehet,
Dieses Bild sie nie verläßt.

Doch nun steckt sie Kosmes Kerze
An der ewgen Lampe Glut,
Will sie dann mit frommen Schmerze
Pflanzen, wo die Mutter ruht.

Doch sie findet aufgedecket
Der geliebten Toten Gruft,
Und: "O Jungfrau, nicht erschrecke!"
Eine Stimme zu ihr ruft.

Und es tritt der blonde Knabe,
Der sie bis hierher geführt,
Lächelnd aus dem offnen Grabe
Zu ihr, die sein Anblick rührt.

Denn es war, als stieg das Leben
Aus dem schweren, tiefen Tod;
Also wird ein Engel schweben
In dem letzten Abendrot.

Und er wird der Sonne winken
Die dann sinket nimmermehr,
Und die Erde wird ertrinken
In des ewgen Lichtes Meer.

Alle Schatten werden leuchten,
Alles Dunkel wird erglühn,
Und die Welten werden beichten
Vor dem Lichte auf den Knien.

Und der Knabe sprach: "Geschauet
Hab ich Rosarosens Gruft,
Wo sie heut wird Gott vertrauet,
Bis der Herr uns alle ruft.

Rosatristis, die begraben
Hier mit Rosaläta steht,
Sie wird heut Gesellschaft haben,
Blumen, die sie ausgesät.

Schön ist diese Gruft geweitet,
Für sechs Särge ist noch Raum,
Daß die Wurzel sicher breitet,
Wie den Zweig, der Rosenbaum.

Vor der offnen Gruft nicht bange,
Stell vor deines Stammes Haus
Hell die Fackel; eine Schlange,
Spricht sie wohl die Sünde aus.

Bete! Ich muß von dir scheiden,
Denn ich führ das Kinderchor,
Um die Leiche zu begleiten,
Hier zu ihres Tempels Tor!"

Nun verließ er die Kapelle.
Zum Altar Benone zieht,
Ihm zu dienen auf der Schwelle
Meliore betend kniet.

Als die Jungfrau ihn erblicket,
Von der Wunde siech und bleich,
Fühlet sie das Herz erquicket
Und zerdrücket allzugleich.

Denn er gleicht in allen Mienen
Jenem, dem sie Rosen gab,
Als die Schlange ist erschienen
In dem Garten bei dem Grab.

Mit dem bei des Altars Schwelle
Morgens sie die Kränze wand,
Der den Ring bei der Kapelle
Reißen wollte von der Hand,

Den sie eng mit sich verbunden
Dann in heimlichem Gesicht,
Das sie tief verschweigt, gefunden;
Beten, ach! vermag sie nicht.

Neben ihr das Licht als Schlange
Und die offne Totengruft,
Und der Mann, macht ihr so bange,
Und der tausend Rosen Duft.

Was sie nimmer hat gefühlet,
Woget durch die keusche Brust,
In dem Herzen brennt und kühlet
Ihr ein Leid und eine Lust.

Immer muß sie nach ihm sehen,
Ob er nicht sein Antlitz kehrt,
Und vor Scham möcht sie vergehen,
Wenn er ihren Wunsch gewährt.

Und in züchtig bangen Schmerzen
Werden tausend Wünsche frei;
Ach, sie wünscht, verwirrt im Herzen,
Daß er eine Jungfrau sei.

Und sie möchte mit ihm gehen
In vertrauter Liebeswahl,
Möchte mit ihm niedersehen
Von dem Berge in das Tal.

Würde er wohl träumend schweigen,
Wenn ein Abendvogel singt?
Würde er die Hand mir reichen,
Wenn die Sonne untersinkt?

Ach, ich würde ihn verstehen,
Wüßte stets, was er gedacht,
Würde seine Blicke sehen,
Deckt ihn gleich die stumme Nacht.

Und wenn ewig untersänke
Mir das süße Tageslicht,
Er, den ich so herzlich denke,
Er versänke mir doch nicht.

Ja, er müßte mich erhalten
Mit der treuen, starken Hand,
Wollte sich die Erde spalten,
An des Abgrunds steiler Wand.

Halte, halte, ach ich gleite!
Doch der starre Felsenschlund
Blühet mir an deiner Seite
Wie ein duftger Wiesengrund.

Mondvoll sind die Finsternisse,
Eine Rose ist mein Mund,
Deine Worte werden Küsse
In dem zauberischen Bund!

Also trieb vor ihrer Sonne
Sich der Träume Wolkenflug,
Und in wunderbarer Wonne
Ihre Seele Wogen schlug.

Aber von der Schlangenkerze
Traf ein Funken ihre Hand,
In des Brandes scharfem Schmerze
Sie die Sinne wiederfand.

Bei der Gruft erschien die Kerze,
Gleich der Schlange jener Gruft,
Die heut früh zu ihrem Herzen
Zückte aus dem Rosenduft.

Und Meliore glich dem Manne,
Der so ernstlich warnt und sprach,
Doch mit seines Blickes Banne
Jetzt ihr krankes Herz zerbrach.

Sieh, da küßt die volle Sonne
Jetzt Mariens Altarbild,
Und es deckt mit Glanzeswonne
Nochmals sie der Jungfrau Schild.

Und mit kindlicher Gebärde
Senkt die Magd ihr Lockenhaupt,
Spricht: "Die Schlange tritt zur Erde,
Die dir deine Rosen raubt!"

Und in Tränen ganz zerschwimmend,
Fühlet sie die Gnade mild,
Dennoch in den Tränen glimmend
Sieht sie nur des Jünglings Bild.

Und ihr Herz, sie anzuklagen,
Ewig: "|mea culpa!|" spricht,
Und sie braucht nicht dran zu schlagen,
Weil es schon in Ängsten bricht.

Wie sie auch die Blicke wendet,
Ihn, und immer ihn, sie sieht,
Gleicht dem Auge, das geblendet
Nie dem Sonnenfleck entflieht.

Von des Meßrocks schwarzem Grunde,
Zu des Kelches blankem Gold,
Zu der Kuppel Rosenrunde,
Sie die süßen Augen rollt.

Doch es war ein liebend Schweifen,
Denn sie suchte, was sie floh,
Floh ihn, um ihn zu ergreifen,
Und ward ihrer Sorge froh.

War sie endlich ihm entronnen,
In der Rosen Labyrinth,
Das der Kuppel Fenstersonnen
Wie mit einem Netz umspinnt,

Wo die süß gefangnen Strahlen
Offner Rosen Busen wiegt
Und das Licht, des Duftes Schalen,
Wie ein Schmetterling umfliegt,

Ist die Seele eingeträumet
In des blauen Himmels Aug,
Daß sie selig überschäumet
In des Wohlgeruches Hauch:

Sieh, das rasselt mit der Schelle
Meliore am Altar,
Und sie findet auf der Schwelle,
Dem sie kaum entronnen war.

Also geht des Opfers Feier
Ihr vorüber ohn Gebet,
Und auf ihrem Mund der Schleier
Von den heißen Seufzern weht.

Doch als sich Benone kehret:
"|Ite missa est!|" nun spricht,
Was so ängstlich sie beschweret,
Plötzlich mit ihr niederbricht.

Wie vom Taue überfüllet
Eine Blume niedersinkt
Und ihr Haupt in Staub verhüllet,
Der nun ihre Tränen trinkt,

Also neigt in tiefer Demut
Sie die Stirne voller Schmerz,
Und der Tränenkelch der Wehmut
Sinkt in ihr verwirrtes Herz.

Lämmlein, fromm an sonngen Hügeln,
Stürzt nicht an dem Wasserfall;
Vöglein, unter Mutterflügeln,
Schreckt nicht vor des Sturzes Schall!

Wo auf süß beraster Stelle
Sonst die keusche Hirtin sang,
Da erwühlt sich eine Quelle,
Stürzet von dem Felsenhang.

Und die Lämmer, bunt geflecket,
Stürzet nach dem Abgrund hin,
Aus dem Schlummer aufgeschrecket,
Hält sie nicht die Schäferin.

Hirtin, Hirtin, nach den Höhen
Lenke rettend deine Flucht,
Um der Welle zu entgehen,
Die ja selbst die Tiefe sucht!

Doch sie stehet schon geschürzet
In der heilgen Grotte Raum,
Und die Welle nach ihr stürzet,
Folgend ihres Mantels Saum.

Aber als sie niederknieet
Vor dem kleinen Felsaltar,
In der Höhle Dunkel siehet
Sie gedrängt der Lämmer Schar.

Und sie dankt dem Gnadenbilde
Ihrer Herde Rettung itzt,
Das auch mit dem Wunderschilde
Sie in banger Flucht geschützt.

Und sie findet auf der Schwelle
Ihren Schäferstab und Hut,
Hierher führte ihn die Welle
Von dem Ort, wo sie geruht,

Die nun tiefer ab sich stürzet
Von der steilen Felsenwand,
Wo der Kräuter süß Gewürze
Nun von ihr erquicket stand.

Und die Hirtin tritt ins Freie,
Von den Lämmern bang umdrängt,
Sieht, wie eine neue Weihe
Fels und Tal und Quell empfängt;

Wie der Quell von Felsengipfeln
Stürzt und springt und widerspringt,
In der Schluchten Tannenwipfeln
Sich, ein kühner Jüngling, schwingt;

Wie der Wald sich ihm erbieget
Und in manchen Arm ihn flicht,
Oder wie er stürmisch sieget
Und die Zweige niederbricht;

Und wie heilge Sonnenblicke
Bauen in dem Wasserrschaum
Eine Regenbogenbrücke,
Friede sinket in den Traum.

Und der Adler, den dem Neste
Wild entstürzt die neue Flut,
Staunend ob dem heilgen Feste
Schwebend überm Bogen ruht.

Und es scheut ihn nicht die Taube,
Segelt aus dem Felsenspalt,
Denn ein wunderbarer Glaube
Tuet aller Welt Gewalt.

Und die Lämmer ruhig schauen
Von der steilen Felsenbrust,
Lassen sich ds Vlies betauen
Von des Wasserfalles Lust.

Denn es waltet ein Vertrauen,
Und der Hirtin frommes lied
Tönet durch die selgen Augen,
Bis die Sonne niederzieht.

Solcher Schreck traf Rosablanken,
Solche Ruh hat sie erquickt,
Als aus irdischen Gedanken
Sie ein tief Gebet entrückt.

Als sie wieder sich gefunden,
War schon einsam der Altar,
Und Meliore zeigt die Wunden
Seines Herzen beichtend dar.

An dem Beichtstuhl kniet Meliore,
In der kleinen Sakristei,
Und bekennt des Priesters Ohre,
Welcher Sünd er schuldig sei.

Und erzählt ihm die Geschichte
Dieser wunderbaren Nacht,
Die in einem Traumgesichte
Zu Biondetten ihn gebracht.

Daß die Wunde er empfangen,
Zeigt und fühlte seine Brust,
Was sonst über ihn ergangen
War ihm angstverwirrte Lust.

Und Benone hört mit Schauer
Seiner bangen Worte Hast,
Bis die Tränen seiner Trauer
Lindern seines Herzens Last.

Als der Jüngling lang geweinet,
Da erließ er ihm die Schuld:
"Friede, Herz! Die Sonne scheinet,"
Sprach er: "fühl des Himmels Huld!"

Und zur andern Seite beuget
Rosablanka nun das Knie,
Spricht: "Das Ohr, o Vater, neiget
Einer armen Sündrin hie!"

Sie bekennt ihm die Verirrung
Ihrer Sinne im Gebet,
Wie in seltsamer Verwirrung
Sie seit manchen Tagen geht.

Wie sie in Biondettens Kammer
Heut Verwüstung fand und Schmerz;
Also zeiget sie voll Jammer
Ihm das eigne kranke Herz.

Und vertraut ihm Kosmes Leiden
Und der letzten Nächte Qual,
Bittet ihn, sie zu begleiten
In das stille Tränental.

"Deine Schuld, mein Kind, zu büßen,"
Sprach Benone, "ist genug,
Folgst du fromm mit bloßen Füßen
Rosarosens Leichenug.

Meliore wird dich leiten.
Wenn die Erde sie umschließt,
Will ich dich ins Tal begleiten,
Wo den Vater du verließst."

Ruhig hört sie ihn und weinet,
Da erließ er ihr die Schuld:
"Friede, Herz! Die Sonne scheinet,"
Sprach er, "fühl des Himmels Huld!"

Nun verläßt sie die Kapelle.
An des Weihbrunns Marmorrand
Steht Meliore bei der Schwelle,
Reicht ihr segnend seine Hand.

Abermals die beiden Nonnen
Sieht sie stehn mit tiefem Blick,
Und sie bebt vom Weihebronnen
In erneuter Angst zurück.

Und sie tritt mit dem Gesellen
In den lichten Garten ein,
Und des Lebens rege Wellen
Lachen in dem Sonnenschein.

Und sie fühlen alle beide,
Daß sie ihre Schuld bekannt,
Gehn in Freude sich zur Seite
Durch das blumenvolle Land.

Selig, wer solch Heil gefühlet,
Wer die sündenvolle Brust
In der Beichte hat erkühlet,
In der Reue frommer Lust!

O unendliches Erbarmen,
Ja, ich fühle dich mir nah,
Auch mich trugst du in den Armen,
Daß ich Gottes Antlitz sah!

Zu der Beichte gehn die Sünder,
Schleppend eine tote Welt,
Aus der Buße wie die Kinder
Tummeln sich durchs Blumenfeld.

Alles wird zum Paradiese.
Mensch und Tier versöhnet sind,
Und die Blumen senden Grüße
Von dem süßen Jesuskind.

O, wie lacht der Garten heiter!
Funkeln nicht die Blumen schön?
Und der Himmel scheinet weiter
In der Vögel Lustgetön.

Aber sieh! Zwei Nachtigallen
Flattern bange um sie her,
Wo sie gehen, wo sie wallen,
Und verlassen sie nicht mehr.

Und Meliore bricht das Schweigen:
"Was bedeutet wohl, mein Knd,
Daß die Vögel nicht mehr weichen,
Die doch sonst nicht heimlich sind?"

Rosablanke spricht: "Die beiden
Habe ich wohl gleich erkannt,
Ach, sie klagen uns ihr Leiden,
Haben sich uns zugewandt.

Ihre Herrin ist verschwunden,
Heute früh gab ich sie frei;
Daß sie wieder sie gefunden,
Saget uns ihr Wehgeschrei."

Daß sie von Biondetten spreche,
Wußte zwar Meliore nicht,
Doch es stürzten Tränenbäche
Von dem bleichen Angesicht.

Und sie wagt ihm nicht zu sagen,
Wie sie jener Kammer fand,
Denn schon hatte ihn geschlagen
Allzusehr des Schicksals Hand.

Und sie ließ die Vöglein flehen,
War sie doch wie sie gebannt,
In das Antlitz ihm zu sehen,
Das zur Erde er gewandt.

Meliore sprach: "Ich glaube,
Diese Vögel flehn um Schutz
Vor des wilden Geiers Raube
Oder böser Buben Trutz.

Laß uns ihren Flug begleiten!" —
Ach, er kannte nicht ihr Leiden!
Und hinaus zum Garten schreiten
Ernst und ahnungsvoll die Beiden.

** Romanze XVIII: Biondetta ersticht sich

"Apo, Apo, laß mich ein!"
Rufet aus des Turmes Grunde
Samael, der Herr der Stunde,
Zwölfmal aus kristallnem Munde.

Auf und nieder in dem Turme
Steigt Apone ohne Ruhe;
Weil der König ihn besuchet,
Muß sein Haus geordnet sein;

Seine Kammer macht er rein.
Bibeln, Kreuze, heilger Plunder,
Aller Sprachen Vaterunser,
Lagen da seit seiner Jugend.

Zu den Stufen all hinunter
Stürzet er die heilgen Kunden,
Daß es in dem Turme summet,
Wie zum Brunnen plumpt der Stein.

Alles muß er tun allein,
Und er tut es unter Fluchen,
Daß der untertänge Pudel,
Der abwesend ist zur Stunde,

Daß der Hund im Doktorhute
Seine Kranken jetzt besuchet!
Doch die Not erhält ihn munter
Und des Geistes lautes Schrein.

Seine Kammer schmückt er fein.
Frauenwurz wohl vier Gebunde,
Totenblume, Hundeszunge
Legt er zierlich in die Runde.

Männlein klein von Alraunwurzel,
Ausgerupft im Galgengrunde
Von dem schwer verfluchten Hunde,
Setzt als Wächter er dabei.

Und ein Basiliskenei,
Kinderfinger, einzutunken,
All dem König zum Genusse,
Muß bei diesem Mahle prunken.

Seinen Dolch befleckt mit Blute
Stößt er in die mitte Stube;
An dem Hefte der Karfunkel
Soll des Mahles Fackel sein.

"Apo, Apo, laß mich ein!"
Rufet aus des Turmes Grunde
Samael, der Herr der Stunde,
Zwölfmal aus metallnem Munde.

Apo blickt noch zu dem Buche,
Das ihm Moles aufgefunden:
"Wo verberg ich es jetzunder
Vor dem scharfen, hellen Geist?"

Von dem Pulte er es reißt,
Und an einen Stab gebunden,
Steckt er es hinaus zum Turme
Durch der Kuppel offne Luke,

Daß die Blätter, in dem Sturme
Hin und her geweht, die Wunder
Ihres Inhalts lauf ausrufen,
In dem klaren Sternenschein.

Das könnt ihm verderblich sein;
Doch sie drehen sich so munter,
Eines geht im andern unter,
Und so ists, als wenn es ruhte.

Und der Geist, emporgerufen,
Schwebet leuchtend auf den Stufen,
Und des Turmes Wände funkeln,
Wo sein Silberfittig streift.

Schimmernd durch die Kammer schweift
Dann der Geist und spricht: "Gelungen
Ists dir, Apo, aufzuputzen
Deine Stube zum Besuche!"

An dem golden Weberstuhle
Sitzet Apo, und die Spule
Treibt er hin durch hell und dunkel,
Webt des Geistes Flügel ein.

"Samael, ich webe fein."
Spricht er, "nun erst ists gelungen,
Da ich, Schelm, dich fest gebunden,
Nun entflieht mir nicht die Stunde!" —

Listig hast du mich bezwungen,"
Spricht der Geist und nimmt die Spule,
"Web ich alles dir zum Wunsche,
Läßt du mich dann wieder frei?" —

"Webe bis zum Hahnenschrei!
Ist dir dann das Werk gelungen,
Ist Biondetten mir errungen,
Dann sei Freiheit dir bedungen!" —

"Apo, zähme deine Zunge,"
Spricht der Geist, "du mußt verstummen!
Auf die Spule sieh, und tue,
Was dir mein Gewebe zeigt!"

Apo blicket scharf und schweigt.
Vor ihm fliegt auf dunklem Grunde
Flammend hin und her die Spule,
Seine Sinne gehen unter.

Dunkler bald, bald wieder bunter
Woget er in Traumes Wunder,
Bild und Weber ist verschwunden,
Und er glaubet sich allein.

Sieh! Da springt mit blutgem Schein
Feuerschrift aus dunklem Grunde,
Und die Lettern laufen munter
Wie die Funken an dem Zunder.

Und Apone liest verwundert:
"Fest ist dieser Jungfrau Tugend!
An die Sünde angebunden
Sie wird uns verderblich sein.

Du bist blutig, sie ist rein!
Nur in Blutschuld geht sie unter,
Wenn ein Mann aus ihrem Blute,
Den sie liebt, im Arm ihr ruhte!"

Also las er, und ins Dunkel
Ist die Schrift dann eingesunken.
Schnell greift Apo nun zum Kruge,
Voll von giftgem Zauberwein.

Gießt ein Philtrum noch hinein,
Reißt den Dolch dann aus dem Grunde,
Der im Zauberrunde funklet,
In das Gift ihn tief eintunkend.

Und erinnernd sich des Spruches,
Den er las am Weberstuhle,
Spricht er: "Was auch webt die Spule,
Dennoch lock ich sie herein!

Hat den Jüngling sie allein
An der Türe ruhnd gefunden,
Den ich eile zu verwunden,
Trägt sie ihn gewiß zur Stube!

So mag er im Arm ihr ruhen,
Und verbindend seine Wunde,
Bleiben von dem giftgen Blute
Ihre Hände nimmer rein,

Und sie wird bezaubert mein!
Sicher vor dem kranken Buhler
Bleibt mir ihres Leibes Blume,
Die ich selber will entwurzeln.

Las ich doch in meinem Buche,
Daß ich ihres Vaters Bruder;
Da sie stammt aus meinem Blute,
Sei die Lust der Blutschuld mein!"

Und er folgt dem Feuerschein,
Der noch auf den hundert Stufen
Von des Geistes Flügeln funkelt,
Schleichet murrend aus dem Turme.

Er umgeht das Bild des Brunnens;
Venus dominiert zur Stunde,
Und Maria tut kein Wunder
Freitag nachts im Mondenschein.

An Biondettens Tür allein,
In den Mantel eingewunden,
Sieht er seinen Nebenbuhler
Und versetzt ihm Todeswunden.

Als Meliore hingesunken
Und sein Blut das Gift getrunken,
Eilt Apone zu dem Turme.
Tat ers, war es Zauberei?

Daß er jetzt ein Mörder sei,
Hat er schwerer nicht empfunden,
Als den Weg zum Turm hinunter
Und hinan die hundert Stufen.

In der Kammer sitzt er dunkel;
An dem Dolche den Karfunkel
Traf ein Tropfen von dem Blute,
Und es starb der Edelstein.

"Mag sie nun zu Hause sein?
Ihre Türe hat geklungen!"
Und er blicket von dem Turme
Seufzend nach Biondettens Stube.

Auf Bologna ist die Ruhe,
Mondeskühle hingesunken,
Einsam, nächtlich von dem Turme
Nur der Totenvogel schreit.

Da springt aus der stillen Zeit
Ihre Stimme klangumwunden,
Kerzenhell ist ihre Stube;
Apo sieht das Liebeswunder.

Auf ihr Lager hingesunken
Liegt Meliore, heiß umschlungen
Von Biondetten. Apo fluchet.
"Wehe, wehe!" schreit der Geist,

"Des Gewebes Faden reißt!"
Schreit der Geist am Weberstuhle
Und lebendig schießt die Spule,
Ohne Meister, ungebunden.

"Mußt du Tölpel auch da fluchen,
Da die Arbeit schier gelungen!
Rückwärts fliegt die freie Spule,
Meine Flügel werden frei!" —

"Webe bis zum Hahnenschrei,"
Spricht nun Apo, "wie bedungen!"
Und er hat sich losgerungen
Und gen Morgen hingeschwungen.

Und hineilend durch die Luke,
Riß er gierig in dem Fluge
Aus dem sturmdurchwehten Buche
Wohl der goldnen Blätter drei.

Dann mit einem Jubelschrei
Macht er um den Turm die Runde,
Stürzet jauchzend mit dem Funde
Nieder dann in nächtge Dunkel.

"Soll der Mord mir nun nicht fruchten?
Bleibt Biondette unerrungen?"
Klagt der Meister, und im Turme
Schlägt die Viertelglocke drei.

"Apo zählet eins bis drei:
"Wohl, die dreimal fünf Minuten
Sind mir andre noch gebunden,
Ist der Weber gleich verschwunden."

Nun nimmt aus des Turmes Kuppel
Er die giftig grüne Kugel,
Öffnet sie. Ach! nackend ruhet
Drin ein wächsern Jungfräulein.

Goldner Haare süßer Schein
Fließt ihm von den zarten Schultern,
Türkis sind die Äuglein funkelnd,
Ein Rubin lacht auf dem Munde.

Recht für Engel ein Puppe!
Zwei Rubinen trägt der Busen,
Überm Herzen ihm figuret
Ist ein goldnes Röselein.

Einen roten Faden fein
Schlingt ihm Apo um den runden
Hals und stellt das kleine Wunder
In den Kreis zum Zauberplunder.

Und er betet still mit Murren
In des Zirkels mächtger Runde,
Zieht mit bösen Bannes Zuge
Fremde Gäste in den Kreis.

In das zauberische Gleis
Zieht daher, mit fremdem Schmucke,
Stolz auf des Kameles Buckel,
Sarabot, mit seinem Zuge.

Ihm folgt eine Blume, duftend,
Eine Taube, zärtlich murrend,
Dann wie Sterne rein und funkelnd,
Nackt ein freundlich Geisterweib.

Klar, kristallen scheint ihr Leib;
Aus der Locken tiefem Dunkel
Blicken ihre Augen funkelnd,
Kalt und lachend und betrunken.

Wie der Zug um Apo rundet,
Spricht zu ihm der König murrend:
"Trocken ist mir meine Zunge,
Wer ists, der den Becher reicht?"

Und von dem Kamel steigt
Zürnend er, und mit dem Fuße
Stampft er, daß der Turm im Grunde
Schwanket wie ein Schiff im Sturme.

Und gekrümmt gleich einem Wurme
Beugt sich in des Zirkels Runde
Apo, dunkle Worte summend,
Bis das Schwanken ging vorbei.

Und mit einem lauten Schrei
Klagt das Geisterweib: "Mich dürstet!"
Fragt die Taube nach dem Trunke,
Sprach: "Mich dürstet!" auch die Blume.

Und Apone sprach ermutet:
"Besser wär es, wenn ihr ruhtet,
Von der Eile so durchglutet
Kann der Trunk euch schädlich sein.

Saget erst, nach welchem Wein
Also heftig euch gelustet,
Daß ihr also schreien mußtet?"
Und sie schrieen all: "Nach Blute!" —

"Warum hast du, böser Bube,"
Spricht der König, "mich gerufen,
Da in wenigen Minuten
Schon mein kurzes Reich vorbei?"

Durch das Basilikenei
Bringet Apo sie zur Ruhe,
Und die Taube, schnabelzuckend,
Pickt die Schale schnell hinunter.

Sarabot das Weiße schlucket,
Und das Gelbe zum Genusse
Reicht er, nebst dem Hahnenpunkte,
Hin dem klaren Geisterweib.

Und daß nicht vergessen bleib
Auch die Zauberblume duftend,
Stürzet sie die Schalenkuppe
Über sie gleich einem Hute.

Apo spricht: "Es fehlt am Trunke;
Ach! ein Fäßlein süßen Blutes
Hatt ich halb heraufgewunden,
Als der Strick mir tückisch reißt.

Mir hat Samael, der Geist,
Nicht gehalten, was bedungen,
Hat sich los von mir gerungen
Und gen Morgen hingeschwungen!"

"Und wo ruht der Most jetzunder?"
Fragt der König. "Herr, er ruhet
Unter jenem kühlen Brunnen,
Wo die Sabbatgöttin weilt.

Wollt ihr trinken, o so eilt,
Weil er jetzo gärend sprudelt,
Da der Venusstern noch funkelt
Bis zur mitternächtgen Stunde.

Da ich wußte, was euch munde,
Hängt ich würzend zu dem Spunde
Von Muskaten ein Lunte,
Schwefelglühend, erst hinein!" —

"Wohl, ich sorge für den Wein!"
Spricht der König. "Munter, munter
Sei der Strick hinabgewunden
Aus der Venus Lockendunkel!"

Doch es will das Weib nicht ruhen,
Weil der König heftig rupfet;
Apo gibt ihr drum die Puppe,
Daß sie spielend sich zerstreu.

Und sie treibet Kinderei;
Aus dem Kelch der Zauberblume
Machet sie dem Kindlein Schuhe,
Küßt sie, drückt sie an den Busen.

Doch es glänzt ihr zum Verdrusse
Auf dem Herz der kleinen Puppe,
Und sie riß es gern herunter,
Jenes goldne Röselein.

Und sie drückt das Herz ihm ein
Mit des Fingers hartem Drucke.
So beschäftigt ohne Zucken,
Dient dem Geiste sie zur Kunkel.

Und aus ihren Locken munter
Dreht den Faden er, hinunter
Trägt die Taube ihn die Stufen
Zu Biondettens Kämmerlein.

Dem Kamele an ein Bein
Wird der Faden angebunden,
Und dies macht so lang die Runde,
Bis der Faden aufgewunden.

"Ist das Fäßlein ausgetrunken,
Geb ich dir zum Eigentume
Des Getränkes schönen Brunnen!"
Spricht der König und erbleicht.

Denn schon durch die Kammer streicht
Bang die Taube, und es zucket
Schon der Hammer in dem Turme,
Drohend mit der zwölften Stunde.

Doch es schaukelt mit der Puppe,
Daß gewieget sie entschlummre,
Singt ein Lied, sie einzulullen,
Jetzt das klare Geisterweib:

"Hast du gleich kein Herz im Leib,
Hast du doch zwei ganze Schuhe.
Schlummre, schlummre, ruhe, ruhe,
Träume von der bunten Kuhe!

All die Bienlein, die gesummet
Zu den wunderlichen Blumen,
Belladonna, Frauenschuhe,
Um zu bilden deinen Leib,

Ziehen jetzt zum Zeitvertreib
In die lustge Rockenstube,
Wo die schlanken Wasserjungfern
Drüben bei dem grünen Sumpfe

An des Storches rotem Strumpfe
Stricken, und sie singen Wunder,
Hundert kunterbunte Wunder,
Von dem Meister Langebein.

Wie er holt die Kindlein klein
Aus dem milchgefüllten Brunnen,
Wie dem Mond die karge Mutter
An dem Rock stets tät zu kurze

Und ihm aus dem blauen Schurze
Nimmer ganz die Mütze rundet;
Von des Eichhorns lustgem Sturze
In den kalten Born hinein,

Da sein Schatz im Mondenschein
Wollte lugen in den Brunnen,
Ob sie sehe ihres Buhlen
Abbild in der Wassergrube,

Und um mit hineinzugucken,
Tät er bücken sich und ducken,
Fiel und mußte Wasser schlucken.
Ei, wie lief das Jungfräulein!

Schlaf, mein Püppchen, schlafe ein!
Herdesglut ist eingesunken,
Und das Heimchen grillt im Dunkel
Nun das Märchen von dem Funken,

Der der Köchin, die betrunken
Schlief, eh sie ihr Lied gesungen,
In den wüllnen Rock gesprungen
Und verbrennet ihr den Leib,

Daß sie ward gleich einem Weib;
Und wie aus dem falschen Kruge
Für den Schwulst sie Salbe suchte,
Auf den Besen stieg und fluchte,

Wider Will den Ritt versuchte
Zu der klugen Frauen Runde,
Wo die Hausfrau sie gefunden,
Tanzend um den Bock den Reihn.

Als sie christlich wollte schrein,
Fiel sie durch den Schlot herunter;
Morgens saß sie ganz berußet
In der heißen Aschengruben;

Und die Schornsteinfegerbuben
Singen ihr: "Aus unsrer Schule
Schwatzte heut mit dir dein Buhle,
Doch sein Besen fegt nicht rein!"

"Mutter, es soll Wahrheit sein!"
Sprach sogleich ein schwarzer Junge,
Der mit einem kühnen Sprunge
Aus der Schürze kam gesprungen!

Schlummre, süßes Püppchen, schlummre,
Bist du dumm, es gibt noch Dummre,
Bist du stumm, es gibt noch Stummre,
Schlummre, schlummre, Püppchen, ein!

Bald miau! Die Katzen schrein,
Machen Diebs- und Liebesrunde,
Brünstig, günstig ist die Stunde,
Zu dem Mondmann heulen Hunde.

Sieh! Dort auf dem Wiesengrunde
Tanzen jetzt die Elfen munter
Unterm Knabenkraut hinunter,
Das die Blätter niederstreut.

Kind, sie spielen Lotto heut,
Schreiben auf die Blättchen Nummern,
Und du darfst nur kühnlich schlummern,
Denn dir kommt dein Glück im Schlummer.

Du gewinnst die beste Nummer,
Eine Braut wirst du im Schlummer,
Und dich wecket ohne Kummer
Hochzeit, Hochzeit, hohe Zeit!

Mondschein deckt dein Bettlein breit,
Tu dich zu dem Bräutgam ducken,
Wenn die Wichtlein Jubel rufend
Auf den Stufen ihre Krucken

Brechen, durch die Ritzen gucken
Und zum Schlüsselloch einschlupfen:
Wenn sie an der Decke zupfen,
Strecke nur heraus kein Bein!

Ei, die Nacht ist wunderfein!
Vor der Kröt auf hohem Stuhle
Singen Frosch und Unk im Pfuhle,
Eine heilge Judenschule.

Und der Irrwisch hüpft betrunken,
Wo der Musikant versunken;
Brünstig glühn Johannisfunken,
Wo jüngst fiel ein Jungfräulein,

Als ihr Buhl ihr stellt ein Bein
Und ihr Kränzlein ohn Vermuten
Fiel in eines Schatzes Gluten,
Der im Acker eingetruhet

Blank zu ihren Füßen ruhet.
Heim trug sie den Schatz zur Stunde,
Schwerer war noch viele Pfunde
Ihr lebendger Edelstein.

Schlaf, mein Püppchen, schlafe ein!"
Also hat das Weib gesungen
Mit verwirrter, süßer Zunge,
Und der Zauber ist gelungen. —

Denn Biondette, schlummertrunken,
Folgt des Zauberfadens Zuge,
Geht zur Linde, und am Brunnen
Liegt vor ihr ein Knabe fein.

"Jungfrau, ach, erbarm dich sein!"
Spricht sie, legt den kleinen Buben
Auf des Altars höchste Stufe,
Wo sie einst auch ward gefunden.

"Bleibe unten, bleibe unten,
Bete erst ein Vaterunser!"
Hört sie jetzt den Knaben rufen,
Doch sie soll verloren sein.

Und sie zieht zum Turm hinein,
Steigt hinan die dunklen Stufen;
Immer schwächer hört sie rufen:
"Bleibe unten, bleibe unten!"

Bis die Stimme ganz verschwunden;
Und Biondette, traumumwunden,
Steiget jetzt die letzte Stufe,
Gehet zu dem Mahl hinein.

Rosablankens Nadel fein,
Um die sie das Haar gewunden,
Zieht sie aus dem Lockenbunde,
Die ihr golden niederfluten.

Nächtlich bloß den keuschen Busen,
Tritt sie an die Zauberspuren,
Und von ihrem Herzen funkelt
Hell das goldne Röselein.

"Muß ich denn verloren sein?
O Maria, Gottes Mutter,
Der ich einstens ward gefunden,
In die Windeln eingewunden,

Denke meiner frommen Stunden,
Lasse sterbend mich gefunden!"
Lallt sie, peinlich traumumwunden,
Zu der reinen Seele Heil.

"Sei gegrüßt, du Todespfeil,
Sei gegrüßt mit reinem Munde,
Der nie freche Lust getrunken,
Keuscher Tod in keuscher Wunde!

Flieh, du letzte sündge Stunde!
Märtyrkrone sei errungen!"
Dann ruft sie mit kühner Zunge:
"O Maria, erbarm dich mein!"

Und die goldne Nadel fein
Stößt sie in den reinen Busen
Durch die goldne Rosenblume,
Sinket nieder, heilig blutend.

Und es schlägt die zwölfte Stunde.
"Weh, zu spät ists zu dem Trunke!"
Schreit der König, und geht unter.

** Romanze XIX: Moles in Biondettens Leiche

Triumphiert, ihr guten Geister,
Es zerbrach der falsche Thron!
Apo, dem verfluchten Meister,
Sind die Diener all entflohn.

Heilger Sabbat, betend steige
Auf im Ost dein frühes Rot!
Über dieser Jungfrau Leiche
Schimmre lieblich hin der Tod!

In des Morgenlichtes Streifen
Sehe ich ein Flammenboot
Selig durch die Rosen schweifen,
Mit den Segeln purpurrot.

Rosarosa, still geneiget,
Führt das Steuer treu und fromm,
Rosadora zu ihr steiget,
Daß sie auch zum Heile komm.

Jene keusch den Mantel breitet
Um der Schwester Seele bloß;
Freudig nun der Kahn hingleitet
Durch den blutgen Tränenschoß.

Zu des Traumes Insel streichet
Ihre Fahrt, zum stillen Mond,
Den in Sonn und Tränen bleichend
Die unschuldge Schuld bewohnt.

Wo die kleinen Kindlein weinen,
Die der Tod ums Licht betrog;
Auf dem Totenkränzlein scheinen
Morgens ihre Tränen noch.

Ungetaufet sie verweilen
Singend vor des Himmels Tor,
Und die Tränentauf erteilen
Tauend sie dem Blumenflor.

Rosarosa lehrt die Kleinen,
Die auf Erden sie verlor,
Rosadora wird erscheinen,
Führerin in diesem Chor.

Bis die Rosen sind befreiet
Aus ererbter Sünde Not,
Bis zum Kranze sie gereihet
Selig steigen aus dem Tod,

Singet Jungfraun, Kindlein weinet
An dem goldnen Himmelstor,
Bald Maria euch erscheinet
Mit der Engel selgem Chor.

Aber blickend nach der Reinen,
Taucht die Sonne jetzt empor,
Hüllet dann sich, um zu weinen,
In der grauen Wolken Flor.

Und ein dichter Nebelschleier
Über ihres Hauptes Gold
Zu des Tages Totenfeier
Traurend tief herniederrollt.

Wie ein Trauerhaus bekleidet,
Steht umwölkt das Himmelstor;
Sonnenlos, leidtragend schreite
Bleich der junge Tag hervor.

Asche auf die Hügel streuend
Wandelt hin der Göttersohn,
Und Aurora weint bereuend,
Daß er ihrem Schoß entflohn.

Und sie spricht: "Aus schweren Träumen
Aufgeschrecket muß ich schon
Dir mit blutgem Purpur säumen
Deiner Trauer trüben Thron.

Wo die Nacht den Flügel breitet
Über Schlaf und über Tod,
War mein Lager heut bereitet
Unter böser Träume Not.

Boten auf und nieder steigen
Zwischen Erde, zwischen Mond,
Sah ich zu des Abgrunds Reichen,
Wo die Brut des Fluches wohnt.

Einen hört ich freuig schreien,
Der etwas verkünden wollt,
Und zur Erde niederstreuen
Blätter, deren Schrift von Gold.

Dann in wunderbaren Weisen
Sang er stammelnd Gottes Lob,
Der zu höhern Lichtes Kreisen,
Sein erbarmend, ihn erhob.

Er verschwand mit Benedeien,
Und zum Grund vom blauen Dom
Zog hinab mit Maledeien
Ein gespenstisches Phantom.

Mit der Taube und dem Weibe
Sah ich unter Fluch und Spott
Sein Kamel zum Abgrund treiben
Den verbuhlten Sarabot.

Und er riß vorüber schleichend
Mir vom Haupt des Schlafes Mohn,
Und ich harrte weinend, schweigend
Dein, mein lichter Freudensohn!"

Also sang Aurora leise,
Während still der Tag aufzog,
Und versank im ewgen Gleise,
Das ihr lichter Sohn durchflog.

Aber auf dem Turm alleine
Harret Apo zornestoll;
Daß ihm Moles nicht erscheine,
Füllet ihn mit bitterm Groll.

Es erkaltet schon die Leiche,
Deren Herz noch blutend quoll,
Und die Wangen schon erbleichen
Und die Lippe rosenvoll.

Und er legt metallne Scheiben
Ihr auf Augen, Brust und Schoß,
Um ihr Blut zurückzutreiben
Durch geheimer Kräfte Stoß.

Nieder reißt er ihre Kleider;
Ach, sie hüllt kein schamhaft Rot!
Doch ihr Leichnam nackt und heiter
Ist geheiligt in dem Tod.

Rosarosens Gurt von Eisen
Schützet Lende ihr und Schoß;
Apo will ihn niederreißen,
Doch er zwinget ihn nicht los.

Und mit allen seinen Feilen
Kann mit Mühe er und Not
Den Bußgürtel nicht zerteilen
Der geheiligt Trotz ihm bot.

Nun zum Keller niedersteiget
Apo, wo am feuchten Ort
Springwurz, die jed Schloß erweichet,
Ruhet, daß sie nicht verdorrt.

Als er wiederkehrt zur Leiche,
Sieht er selbst sich oben schon,
Und er spricht: "Laß deine Streiche,
Moles, was soll dieser Hohn?

Hund, du sollst als Hund erscheinen;
Sieh, du treibst es mir zu toll!
Willst du, daß zu deinen Peinen
Ich die Glocke schlagen soll?

Wo bist du so lang verweilet?" —
"Herr, ich tat, was ich gesollt,
Und bin dann zurückgeeilet.
Drum nicht also schmähen wollt!

Einem Kranken Hilfe reichend,
Dessen Heil uns schwer bedroht,
Gab ich Gift, das zäh und schleichend
Ihn verzweifeln läßt im Tod.

Böse Frucht sah ich uns reifen;
Wo ich war, da war man fromm,
Und da muß man seltsam greifen,
Daß man zu dem Pulse komm.

Zürne nicht, mein teurer Meister,
Kam ich doch ums Gastgebot
Meiner anverwandten Geister;
Mir tut auch Zerstreuung not.

Wunderbare Neuigkeiten
Sind auch zu bedenken noch;
Wenn wir nicht zum Flicken schreiten,
Kriegt der Sack ein böses Loch."

Doch Apone spricht: "Jetzt schweige!
Eins nur mildert meinen Groll:
Rate mir, wie ich die Leiche
Auf die Beine bringen soll?"

Moles spricht: "Des Gürtels Eisen
Hindert deine Wünsche bloß,
Kannst du ihn herniederreißen,
Zeige ich dir Wunder groß!

Ich schmeck was von Heiligkeiten,
Drum laß ich die Hand davon.
Du mußt selbst das Schloß bestreiten,
Daß der Schatz dir wird zum Lohn!"

Und die Springwurz hält der Meister
An des Gürtels heilig Schloß;
Nimmer doch den Gurt zerreißt er,
Und er flucht, und sein Genoß.

Moles spricht: "Hier hilft nur Schneiden!
Zeige dich, mein Anatom,
Und wir schicken Heimlichkeiten
Als Reliquien nach Rom."

Apo spricht: "Hinüberschleiche,
Wo die Jungfrau hat gewohnt,
Und mir schnell den Schlüssel reiche,
Daß ihr Leib mir bleibt verschont!"

"Ei, dies mag dir leicht wohl scheinen!"
Sagt der Hund, "bedenke doch,
Was die Frau dazu wird meinen,
Die da steht am Brunnen noch.

Gehe selbst, mein kluger Meister,
Du vielleicht trägst ihn davon,
Doch wir andern jüdschen Geister
Feiern jetzt den Sabbat schon."

Apo geht. — Zum toten Leibe
Spricht der Hund: "Verdammter Spott,
Nicht zum Manne, nicht zum Weibe,
Hast du mich erschaffen, Gott!

Diese Puppe zu zerreißen,
Scheut sich der gelehrte Tor,
Und sieht das geweihte Eisen
Wie die Kuh das neue Tor.

Mensch, um zweie nur beneidet
Dich der Teufel: um den Tod
Und die Lust, die dir bereitet,
Als sie dir den Apfel bot.

Als du ihn mit ihr geteilet,
Warfst du ab des Lebens Joch;
Mir, der ewig sich langweilet,
Ließ der Zimmermann kein Loch.

Allen Quark muß ich beneiden
Und bin allen Quarkes Gott;
Spott ich Gottes Herrlichkeiten,
Tödlich wird mir nie der Spott.

Stift ich tausend Bubereien,
Gehn sie alle auf ein Lot;
Das unendliche Verzeihen
Hilft dem Herrn aus aller Not.

Als ich in der Wüst allein
Ihm die Erdenschätze bot,
Macht er aus dem dummen Steine
Mir zulieb nicht einmal Brot.

Ohne Freude muß ich teuflen,
Und mein Werk wird all zu Kot,
An dem ewgen Leben zweiflen, # zweifeln?
Und erzweifle nie den Tod!

Was ich mühsam hab geleimet,
Ist und bleibt ein schlechter Klotz,
Und in jedem Kraute keimet
Gegen meine Werke Trotz!

Nichts kann ich zu Ende treiben,
Ach, ein Ende wär ein Lohn!
Das Unendliche vertreiben
Kann nicht all mein Spott und Hohn.

Ewig elendes Arbeiten,
Null ist mir wie Million,
Wer den Knoten könnt zerschneiden:
Sohn ist Vater, Vater Sohn!

Arm, blutarm bin ich ein Teufel,
Mutterlos und vaterlos,
Bös erzeuget von dem Zweifel
In der Lüge dunklem Schoß.

Treibe ewge Affereien,
Ohne Freude, ohne Zorn,
Keine Rose kann mich freuen,
Und mich schmerzen kann kein Dorn.

Elende Quacksalbereien,
Wort zum Fleisch und Fleisch zum Wort,
Hänseleien, sieben Weihen,
Jagen mich bald hier, bald dort.

Hab ich mich wo eingefleischet,
Brauchts vom Kreuz ein Stückchen Holz,
Und der Teufel flieht und kreischet
Wie ein Hund vor Pfeil und Bolz.

Doch den alten Bärenhäuter
Hör ich auf der Treppe schon;
Munter, Moles, treib es weiter,
Bett dich, wie des Menschen Sohn!

Sieh einmal zum Zeitvertreibe,
Wie sichs in der Jungfrau wohnt,
Und dem mürrschen Apo bleibe
Doch der Pudel, der ihm front!"

Und der Geist, der stets entzweite,
Treibet einen Höllensproß,
Und von seinem Stamm befreite
Sich der Zweig und reißt sich los.

Und sie machen Höflichkeiten,
Wer das Weib besitzen soll,
Ja, beginnen schier zu streiten,
Also ist der Teufel toll.

"Vater bin ich," schreit der eine,
"Mir gebührt des Lebens Thron!"
"Nein, das Fleisch, es ist da meine,"
Spricht der andre, "ich bin Sohn!

Weh, es fehlt uns nur am Geiste,
Wäre der uns nicht entflohn,
Daß er uns Entscheidung leiste,
Dann wär uns geholfen schon.

Einig sind Dreieinigkeiten,
Vater wird durch Geist zum Sohn,
Zweie sind Zweideutigkeiten,
Zote nur gebiert der Hohn."

"Wechseln wollen wir zuzeiten,"
Spricht der Hohn nun zu dem Spott,
"Denn das Leiden wie das Streiten
Treiben beide wir gen Gott."

Und der Spott dringt in die Leiche,
Und es hilft ihm frech der Hohn,
Daß er in die Wunde schleiche,
Der Biondettens Geist entflohn.

Apo kehrt und spricht: "Es scheinen
Menschen in dem Hause noch,
Eine Stimme hört ich weinen
Und sah Licht durchs Schlüsselloch."

Doch nun richtet sich die Leiche
Auf und nicket mit dem Kopf;
Als sie ihm die Hand will reichen,
Bebet Apo wie ein Tropf.

Moles spricht: "Empfang, Hochzeiter,
Meine Gratulation,
Sieh, dein Glückstern scheinet heiter,
Führe deine Braut davon!

Eine Unschuld sondergleichen,
Ohne Hemdlein, nackt und bloß,
Even muß ich sie vergleichen,
Wie sie stieg aus Adams Schoß.

Fräulein, ich seh von dem Pfeile
Amors euer Herz durchbohrt!
Daß er euch die Wunde heile,
Ihr den rechten Arzt erkort.

Alles ist nicht Gold, was gleißet;
Wenn der Herzensrose Gold
Eure Wunde gleich zerreißet,
Seid ihr drum nicht minder hold."

Apo spricht: "Laß deine Streiche!
Sage, wie du sie erhobst,
Welchen Geist der schönen Leiche
Du belebend unterschobst?"

Und der frechste aller Geister
Spricht: "Ein Wort sagt ich ins Ohr;
|Fiat| heißts beim großen Meister,
Pfui heißts in unserm Chor.

Willig hat sie sich bezeiget,
Etwas blöde freilich noch;
Was die Lippe jetzt verschweiget,
Pocht im Herzen laut und hoch.

Brechet erst diese züchtge Schweigen;
Durch des Treurings rotes Gold
Läßt sie sich vielleicht erweichen,
Gibt den Schlüssel, den ihr wollt.

Die Kleinode laß erscheinen,
Gut erworben hier und dort;
Durch Kleinode kommt der Kleinen
Bald das lustge Fleisch zu Wort!"

Einen Schrein voll Edelsteinen
Und von goldnen Ringen voll
Bringt der Meister, daraus einen
Sich die Braut erwählen soll.

Gierig nun den Schatz durchschweifet
Wild ihr Aug, das dunkel rollt,
Heftig zuckt die Hand und greifet
Einen Siegelring von Gold.

Und als wollt sie ihn zerbeißen,
Zuckt sie ihn zum Mund empor,
Apo wollt ihn ihr entreißen,
Doch verschlang sie ihn zuvor.

Und nun spricht sie: "Herr, die Deine
Bin ich nun, wie du gewollt:
Vor dem Volke und alleine
Dien ich dir um dieses Gold.

Dieses Ringlein auf der Reise
König Pharao verlor,
In dem Roten Meer zur Speise
Sichs ein geizger Hecht erkor.

König Pharao, dem Weisen,
Setzt der Koch den Fisch einst vor;
Als er wollt den Hecht verspeisen,
Kam das Ringlein blank hervor.

In dem Bette seiner Weiber
Kam es wieder ihm davon,
Ein ägyptscher Eselstreiber
Trug es dann als süßen Lohn.

Dems der freche Papageie
Der Herodias entzog,
Und mit einem Freudenschreie
Fand sie es in seinem Trog.

Bei der blutgen Weihnachtsfeier,
Bei der Kindlein lustgem Mord,
Daß er tanz nach ihrer Leier,
Schenkt sie es dem Vater dort.

Und das Ringlein war ihm teuer,
Es besiegelte sein Wort;
Doch es lief ein ungetreuer
Diener mit dem Ring ihm fort.

Und der Ring kam immer weiter,
Keinem hat er noch gefrommt,
Außer dir, mein Herr Hochzeiter,
Dessen Braut er wohl bekommt.

Meines Leibes bist du Meister
Bis zum Gürtel und dem Schoß;
Leider zwingen alle Geister
Diese Last mir nimmer los!

Könnt ich dir den Schlüssel reichen,
Wär ich deiner Lust Genoß;
Aber er ist mir nicht eigen,
Mir gehöret nur das Schloß.

Alles geb ich, nur verweigern
Muß ich dir den Schlüssel bloß,
Deine Kunst, kannst du sie steigern,
Ringt vielleicht dem Feind ihn los.

Ich will offen dich begleiten,
Nach Belieben, wann und wo;
Alle sollen dich beneiden;
Werde dieses Neides froh!

Mich als Nonne einzukleiden
Sag ich auf dem Markt mich los;
Lügen müssen wir verbreiten,
Wie ich ward dein Hausgenoß.

Wie ich in Melancholeien
Hilf von deiner Kunst gehofft,
Wie, die Kranken zu zerstreuen,
Mein Gesang dir diene oft.

Wie die Kunst der Arzeneien
Ich von dir erlernen soll,
Wie nichts könne uns entzweien,
Weil wir eines Gottes voll.

Dieses, jenes, und so weiter
Lüge nur, man glaubt es schon,
Denn du bist ein Teil gescheiter,
Herr und Meister und Patron!

Deine Magd kann ich erscheinen,
Wie es deinen Lüsten frommt;
Nur nicht lachen und nicht weinen,
Weil dies von der Seele kommt.

Soll dein Lager ich beschreiten,
Oder auf der Erde bloß
Ruhn an deines Bettes Seiten,
Oder sitzen dir im Schoß?

Ob ich auf dem Draht, dem Seile,
Dir soll gaukeln liebestoll,
Ob ich dir zur kurzen Weile
Buhlerliedlein singen soll?

Deinen Blicken, Fingerzeigen
Folget deine Dienrin schon,
Darf ich deinen Bart dir streichen,
Ist es mir ein süßer Lohn.

Vor der Welt nach alter Weise
Nenne mich Biondette noch;
Älia Lälia Crispis heiße
Mich in Traulichkeiten doch.

Denn in mir von diesen Dreien
Brennet der gedrillte Docht,
Um die einst in Buhlereien
Mancher römscher Bürger focht.

Ja, ich bin von diesen Dreien
Das gezwirnte Kunstphantom,
Und wie sie will ich nicht schreien,
Küssest du gleich wie ganz Rom.

Will dir mein Besitz verleiden,
Werd ich zu der Lust zu stolz,
Kann dich wieder von mir scheiden
Klein ein Splitter Kreuzesholz.

Aber an dem Jungfernleibe,
Den ich dir zur Lust bewohn,
Daß er unverdorben bleibe,
Zeig jetzt deine Kunst, Patron!"

Und mit Blut zwei Sprüche schreibet
Apo ihr nun hinters Ohr,
Unter ihre Achseln reibet
Salbe er, die er beschwor.

Lüstern die besessne Leiche
Küsset nun der alte Tor,
Moles spielet auf der Geige
Ein vermaledeites Chor.

Und in buhlerischem Eifer
Tanzet, wie der trunkne Lot,
Mit der Braut er einen Schleifer
In fatalem Teufelstrott.

Älia Lälia Crispis schreiet
Mit verruchtem, giftgem Ton,
Und Biondettens Kehl entweihet
Eines frechen Liedes Hohn.

Dies gefällt nicht gnaz dem Meister,
Und er spricht: "Verschon mein Ohr!"
Mit Biondettens Stimme heißt er
Singen sie den Hochzeitschor.

"Denn du sollst Biondette scheinen,
Die zum Freunde ich erkor,
Und die Stadt soll sie beweinen,
Daß sie sich an mich verlor.

Alle sollen mich verschreien,
Und um Silber und um Gold
Will ich ihren Festen leihen
Meine Freundin süß und hold!"

Und die Jungfrau spricht: "So sei es!
Lieb ich gleich nicht jenen Ton,
Freut sich gleich des frechen Schreies
Mehr ein freier Musensohn,

Lieb ich lügend doch zu gleißen;
Und zweideutig will ich Gott
Dir in schiefen Weisen preisen,
Mir zum Lobe, ihm zum Spott!

Mit gedrehten Schlangenhäuten
Lasse mir von Apfelholz
Eine Harfe bald besaiten,
Ich bin auf dergleichen stolz.

Ich will die Akkorde greifen,
Daß du mich gewißlich lobst,
Daß der Weiber Augen greifen
Rings nach dem verbotnen Obst.

Und die Männer werden eilen,
Den verrufnen Apfel rot
Mit den Even schnell zu teilen,
Und sie essen sich den Tod!"

Moles spricht nun zu dem Meister:
"Eine Harfe ist besorgt,
Der galanteste der Geister
Hat die seine mir geborgt.

Ist sie gleich ein bißchen heischer,
Ist sie doch vom besten Ton,
Wird die Sängerin erst keuscher,
Wird sie besser stimmen schon.

Aber jetzt, ihr Hochzeitsleute,
Machet mich nicht länger rot!
Apo, es tut uns für heute
Zu studieren noch sehr not!

Denk, wie du vor kurzen Zeiten
Sahst in meinem Horoskop,
Wie die Rose gen uns beide
Drohnd ein dreifach Haupt erhob.

Uns entzogen hat die eine
Rosarosens selger Tod,
Diese hier ist jetzt die Deine,
Und sie bringt uns keine Not.

Wenn die dritte nun erscheinet,
Ist das böse Kleeblatt voll,
Dem ich einst mit dir vereinet
Tragisch unterliegen soll.

Schnell mein Meister, ohn Verweilen!
Über Rose, über Dorn
Muß das Buch uns Rat erteilen,
Suche hinten, ich such vorn!"

Im Register steht verzeichnet:
Rose golden, weiß und rot,
Die Marien zugeeignet,
Bringen böse Kunst in Not.

Auf der angeführten Seite
Stehet: Suche Jericho!
Jericho nun suchen beide,
Doch es fehlet J bis O.

Und Apone denkt, wie heute
Er das Buch durchs Fenster schob,
Wie der Wind da, Seit auf Seite
Wälzend, in dem Buch getobt.

"Weh, mir Toren!" flucht der Meister.
"Als mir Samael entfloh,
Dacht ich: Ach, mein Buch zerreißt er!
Denn es tönte wahrlich so."

Moles spricht: "Am Wald hinreisend
Sah ich unterm blanken Mond
Samael in Freuden kreisend,
Weil der Herr ihn hat belohnt.

Und ich sah ihn Blätter streuen
Unter hellem Gottes Lob,
Und ich konnt ihn nicht erschreien,
Weil er sich zum Licht erhob.

Das sind böse Neuigkeiten,
Dumm hast dus gemacht, Patron,
Du mußt jetzt im Dunkel schreiten,
Weil die Blätter dir entflohn."

Und sie fangen an zu streiten,
Wechseln harter Worte Zorn,
Älia Lälia Crispis beiden
Schärfet noch des Grimmes Dorn.

Aber ihren Zank durchschneidet
Der geweihten Glocke Ton;
Jacopone zubereitet
Seine Leichenfeier schon.

Älia spricht jetzt: "Schnell mich kleide
In den buntsten Freudenrock,
Hülle mich in Samt und Seide,
Meine Haare üppig lock!

Schütte alle dein Geschmeide
Über meinen Busen bloß,
Daß ich durch das Volk hinschreite
Dir zur Seite leicht und los!

Und dein Kummer wird zur Freude,
Es versinkt dein grimmer Zorn
In dem allgemeinen Neide,
Wie im Meer ein kleiner Born!"

Lächelnd kräuselt ihr der Meister
Nun das Haar in frei Gelock,
Und der hündischste der Geister
Schürzet ihr den Purpurrock.

Und es schmücken sie die beiden,
Gleich der Hure Babylon,
Und sie singet Schändlichkeiten
Ihnen vor im frechen Ton.

Sodomitsche Blumenzweige
Steckt sie ihrem Busen vor,
Und nun führt die falsche Leiche
Apo aus des Turmes Tor.

Wer sie sieht, steht wie versteinert,
Oder mehret ihr Gefolg;
Aber allen unter keiner
Kennt in ihr den Höllenmolch.

Und mit bangem Finger zeiget
Jeder Vater sie dem Sohn,
Und von Mund zu Munde streichet:
"Sahst du heut Biondetten schon?"

Alle, die sie einst beneidet,
Weil sie kunstreich, schön und fromm,
Glauben, wo sie hin nur schreitet,
Daß die irdsche Venus komm.

Also frech ist ihr Bezeigen,
Jedem Buben scheint sie eigen,
Ich erschrecke und muß schweigen.

** Romanze XX: Rosarosens Leichenzug

Frühe Sonne, frühe Sonne,
Ach wo bist du hingesunken!
All des Tages Jugendwonne
Ist im Morgenrot ertrunken.

Deine wunderselgen Augen,
Inseln aus des Himmels Seen,
Sah ich steigen, untertauchen
In des Morgens erstem Wehn.

Und es steigt ein Nebelschleier
Übers tiefe, stille Blau,
Eine einsam tiefe Feier
Breitet sich durch Wald und Au.

Ruhig unbewegte Bäume,
Kein Gesang, kein Blattgeräusch;
Spinnet ihr die nächtgen Träume
Wieder an, ihr Blumen keusch?

O Bologna, deine Zinnen,
Die gelacht im Sonnenstrahl,
Seh ich bösen Schmuck gewinnen:
Schwarze Flaggen überall!

Alle Buden sind geschlossen,
Trauerteppche hängen aus,
Durch die Straßen weit ergossen
Reget sich ein Volksgebraus.

Aber mitten durchs Gedränge
Gehet eine freie Bahn,
Und es wirft die rege Menge
Blumen auf den offnen Plan.

Vor dem Konsularpalaste,
Auf des Marktes weitem Raum,
Der viel tausend Bürger faßte,
Bildet Wache einen Saum.

Und die acht Konsulen treten
Aus des Palasts hohem Tor,
Und der Ältste tritt zu reden
Auf den Marmorstuhl empor.

Und er winkt mit dem Barette
Und der Herold mit dem Stab,
Das Geschmetter der Trompete
Nun zur Ruh das Zeichen gab.

"Seid gegrüßt, ihr freien Bürger!
Seid gegrüßet, edle Ritter!
Seid gegrüßet, ihr Gelehrten!
Seid gegrüßet, ihr Studenten!

Euch die Ursache zu sagen,
Warum heute alle wir
Also reiche Trauer tragen,
Seht ihr mich erscheinen hier.

Jacopone, der gelehrte —
Wer ists, der ihn hier nicht kennte,
Seine Weisheit nicht verehrte,
Nicht ihn einen Gönner nennte?

Über diesen Mann gesenket
Hat sich jüngst ein bittres Leiden,
Und in Tränen ganz ertränket
Ist er nicht mehr zu beneiden.

In des Schauspielhauses Brande
Ward sein herrlich Weib verletzet,
Und zu einem bessern Lande
Von dem Herrn der Welt versetzet.

Sie, die Lehrerin der Waisen,
Seine Hauses treue Wirtin,
Ward in dieser Stadt geheißen
Nur die fromme, liebe Hirtin.

Und sie ist nicht mehr hienieden;
Wo sich alle Lämmlein sammeln
Hat der Hirt sie hinbeschieden,
Gottes Loblied mitzustammeln.

Da sie ihm nun ist geraubet,
Will er nicht mehr grünend leben,
Will er, wie ein Baum entlaubet,
Nimmer wieder Schatten geben.

Und er ist vor uns erschienen,
Hat uns weinend eingeladen,
Alle seinem Leid zu dienen,
Und wir haben uns beraten.

Denn als eine freie Gabe
Gibt der Stadt er seine Gelder,
Liegende und fahrnde Habe,
Seine Häuser, seine Felder.

Alles, was er hat erworben,
Sei ihm auch mit ihr verloren,
Sei ihm auch mit ihr gestorben,
Armut hat er sich erkoren.

Eine Kirche will er bauen,
Wo das Spielhaus ist verbrennet,
Zum Behuf der Klosterfrauen,
Welche man Clarissen nennet.

Und er hat zu diesem Ende
Alle Sicerheit gegeben,
Siegelbrief und Dokumente,
Wo die Gelder sind zu heben.

Und hiefür ward ihm die Bitte,
Seines Schmerzes Trost, gewähret,
Daß mit ungewohnter Sitte
Seine Trauer sei geehret.

Denn die so den Staat bedachten,
Die verdienen solche Ehren;
Solche Bürger hoch zu achten,
Das muß unsre Größe mehren.

Und ich wollte hie verkünden,
Daß im wogenden Gedränge
Sich kein Streiten mög entzünden,
Wo die Straßen krumm und enge.

Denn wir wissen, uns zum Leide,
Daß in unsern treuen Mauern
Zwei Parein zum bösen Streite
Immer auf den Anstoß lauern.

Laßt uns nicht den Tag entwiehen
Einer tugendhaften Toten!
Eintracht möge Gott verleihen
Unser Gruß sei euch entboten!"

Und er winkt mit dem Barette
Und der Herold mit dem Stab,
Und die schmetternde Trompete
Seiner Rede Schluß angab.

Und nun reiten durch die Masse
Herolde und tuen kund
An der Eckejeder Gasse,
Was er sprach, der weise Mund.

Aber aus des Schlosses Bogen
Zieht der Heerwagen der Stadt,
Von acht weißen Stiern gezogen,
Und ein Jauchzen findet statt.

Denn kein Bürger kann ihn sehen,
Wie aus reicher Bilder Zier
Bologneser Flaggen wehen,
Ohne innre Kampfbegier.

Vor dem Wagen ernsthaft schreiten
Acht Trompeter, rot und weiß,
Die acht weiße Stiere leiten,
Dann acht Führer rot und weiß.

Übers Volk, wie aus dem Meere, Sieht man nun den weiten Wagen, Ähnlich einer Prachtgaleere, Mit der hohen Fahne ragen.

Rings mit goldenen Geländern
Er wohl vierzig Reite rfaßt,
Haltend an den vierzig Bändern,
Die sich niederziehn vom Mast,

Der ein silbern Kreuz erhebet,
Das des Lichtes Blick erhellt;
Nieder mit der Fahne wehet
Weiß ein Kreuz im roten Feld.

Und vor dieesr Fahne sitzet
Ein vor allen prächtger Mann;
Wie sein harnisch strahlt und blitzet,
Kaum daas Aug ertragen kann.

Er gleicht einem Martisbilde;
In dem blanken, großen Schwert,
In dem runden Spiegelschilde
Lacht die ganze Pracht verklärt.

Im die Fahne ist vertrauet,
Er des Wagens Ehr bewacht,
Den die Herrn des Rats erbauet
Als den Mittelpunkt der Schlacht.

Als des Staates Bundeslade,
Als Symbol der Bürgerehre,
Als der Thron des Zorns, der Gnade,
Geht der Wagen mit dem Heere.

Wenn er stehet, wenn er schreitet,
Steht und geht die Kriegerschar,
Ihn des Heeres Kern umstreitet
In der dringenden Gefahr.

Und zersprengte Reuterhaufen
Sammeln sich in seinem Kreis,
Und von neuem auszulaufen # um?
Nach des Kampfes blutgem Preis.

Und den Feldarzt trägt der Wagen
Mit des Leibes Arzenein,
All, die blutig sind geschlagen,
Wollen hier geheilet sein.

Auch die Priester auf ihm stehen,
Mit dem heilgen Sakrament
Jeden Krieger zu versehen
In dem ehrenvollen End.

Kehrt der Wagen mit dem Heere,
Dann ward gut die Schlacht geschlagen,
Denn des Heeres Mut und Ehre
Hänget an dem Fahnenwagen.

Fällt er in des Feindes Hände,
Dann sucht Heil in schnöder Flucht,
Wer nicht in des Lebens Ende
Seiner Schande Ende sucht.

Aber wie er in dem Kriege
Ist des Mutes fester Kern,
Wird er nach errungnem Siege
Des Triumphes schönster Stern.

Und von seiner Bühne glänzen
Feindeshelme in Trophäen,
Zwischen stolzen Lorbeerkränzen
Die errungnen Fahnen wehen.

Und in seine Spuren weinen
Sklaven, paarweis hart gebunden,
Nieder zu den kalten Steinen,
Die den nackten Fuß verwunden.

Auch des Friedens Pracht zu mehren
Zieht er aus mit stolzem Prangen,
Als ein Zeichen reiche rEhren
Hohe Gäste zu empfangen.

Gold und Scharlach muß dann wallen,
Weise Männer ihn betreten,
Und von seiner Höhe schallen
Zierlich ausgesprochne Reden.

Oder, mehr ihn zu verschönen,
Höret man das Wort der Richter,
Lieblich stolz auf ihm umtönen
Vn den Liedern heilger Dichter.

Also dient er in dem Streite,
Triumphiert, und trägt die Beute
So zu festlichem Geleite;
Aber anders dient er heute.

Und die dunkle Trauerbühne
Nun die bunte Menge teilet,
Wie ein schwarzes Schiff die grüne
Flut mit scharfem Kiel durcheilet.

Aber tröstlich auf dem dunkeln
Maste, dessen Segel trauern,
Sieht das weiße Kreuz man funkeln,
Wie ein Stern im nächtgen Schauern.

Schwarze Tücher rings verhüllen
Seine kriegerische Pracht,
Und sein Schnitzwerk Rosen füllen,
Sterne einer tiefen Nacht.

Guido hat ihn zu der Trauer
Rosarosens so verzieret,
Um ihn weht ein leiser Schauer,
Weil der Tod hier triumphieret.

Und wo sonst die Schwerter glänzen,
Stehen trauernde Martronen,
Tragend in Zypressenkränzen
Pomeranzen und Zitronen.

Herbe Bitterkeit der Tränen,
Dunkles Laub zur Erde sinkend
Und den Tau mit irdschem Sehnen
Aus des Grabes Blumen trinkend.

Weiß geschmückt, zu beiden Seiten,
An des Mastes schwarzen Schnüren
Haltend, Kinder traurig schreiten,
Ihrer Hirtin Fest zu zieren.

Seht, vor Jacapones Türe
Steht ein schwarzer Baldachin,
Daß das Volk ihn nicht berühre,
Hüten sechzehn Ritter ihn.

Acht vom Stamm der Gieremeen,
Acht vom Lambertazzer Haus
Rechts und links vermischet stehen;
Keiner hat den Rang voraus.

Und es drängt von allen Seiten,
Was zu den Partein gehört,
Zwar ohn Lieb, doch auch ohn Streiten,
So ist der Moment geehrt.

Mit dem Trauerschmuck der Flöre
Haaren rings sich anzuschließen
Die verschiednen Ehrenchöre,
Wenn der Zug sich wird ergießen.

Wenn die Priester angekommen,
Werden tief die Glocken schallen
Und der Leib der lieben Frommen
Wird zu seiner Ruhe wallen.

Aber in des Hauses Kammer
Sitzt der schmerzdurchbohrte Mann,
Öd in tränenlosem Jammer
Sieht er ihre Leiche an.

Engel, die ihr Haupt umschweben,
Die zu ihren Füßen knien,
Konnten ihm nicht Tränen geben,
Tränen sind ihm nicht verliehn.

Seit die Augen sie geschlossen,
Die ihm Lust und Leid gespiegelt,
Ist in Tränen er zerflossen,
Und nun ist ihr Quell versiegelt.

Irdisch kann sie nicht mehr scheinen,
Die der Erde zu vereinen;
Irdisch kann er nicht mehr weinen,
Und seinherz will ihm versteinen.

Ja, ein Grab von Marmorfelsen
Haut der Schmerz in seinem Herzen,
Was nicht springen will, muß schmelzen
Von der Glut der Trauerkerzen.

Ist die Halle erst geweitet,
Wird sie ruhen in den Felsen,
Wenn er stillzur Türe schreitet,
Einen Stein davor zu wälzen,

Also schwer und ungeheuer,
Daß kein andrer ihn beweget,
Als Luft, Erde, Wasser, Feuer,
Wenn sie Gottes Zorn erreget.

Und wenn so die Gruft verschlossen,
Wird er auf den Felsen steigen,
Klipp vor Klippe unverdrossen,
Um den Gipfel zu erreichen.

Und da wird der Feind ihm zeigen
Alle weiten Herrlichkeiten,
Wie die Flüsse silbern schleichen,
Wie die Ufer sie begleiten.

Sonnenschein auf Bergesgipfeln,
Dämmerung in grünen Talen,
Sang und Lust in Waldeswipfeln,
Hochgetürmter Städte Prahlen,

Schiffe segelnd, Wolken ziehend,
Schlosses Dach im Abend glühend,
Schatten übers Meer hinfliehend,
Und ein ganzer Frühling blühend.

Alles wird der Feind ihm zeigen;
Doch er wird es nicht verlangen,
Und die Welt wird sich ihm neigen,
Er wird nur am HImmel hangen.

Freudig ohne niedern Kummer
Wird er an die Erde sinken,
Betend dann in selgem Schlummer
Eines guten Traums ertrinken.

Überm Haupt die Jakobsleiter,
Wird er mit der Engel Reigen
In den offnen Himmel heiter
Zu geliebten Seelen steigen.

Also wird ihm einst geschehen,
Den jetzt solche Schläge schlagen,
Daß er ganz versteint in Wehen —
Dies wollt ich zum Trost uns sagen.

Unbemerkt im eignen Leide,
Knieet Pietro in der Kammer,
Und sie schweigen alle beide,
Jeder in dem eignen Jammer.

Aber nun spricht Jacopone,
Denn er hört ein fernes Singen:
"Wo ist ihre Blumenkrone?
Ach, man will sie von mir bringen!

Wo sind Blumen ihr zum Kranze,
Fromm und keusch, wie sie gewesen?
Erde, küß mit deinem Glanze
Nochmals, die von dir genesen!"

Und zu Pietro er sich wendet,
Spricht: "Hast Blumen du gebracht?
Rosen, die zutag gesendet
Diese tränenvolle Nacht?

O, mein Pietro, die Verblühte,
Zier sie mit des Lebens Bild;
Daß der Schmerz nicht also wüte,
Deck sie mit dem Blumenschild!"

Pietro mit dem Haupt verneinet,
Aber reden kann er nicht,
Und der Tränenlose weinet,
Als er sieht sein Angesicht.

Jacopone ihn umarmet:
"O, mein Bruder! mich erquicket,
Daß mein Leid dich so erbarmet,
Und aus deinen Augen blicket."

Aber jener ihm entgegnet:
"Ach! es ist das deine nicht!
Dann wär wohl mein Los gesegnet,
Und es das meine nicht.

Blumen konnt ich dir nicht bringen,
Weil sie all wie Rosarose
In dem Feuer untergingen,
Bis auf eine weiße Rose."

Pietro wollte weiter reden,
Doch Melior und Rosablanke,
Welche zum Gemach eintreten,
Werden seiner Rede Schranke.

Und er fühlt sich dumpf ergrimmet,
Wenn er zu Meliore blickt,
Denn in seinem Busen glimmet
Eifersucht, die ihn erstickt.

An der Türe schüchtern weilet
Rosablanka. Zur ihr schreitet
Jacopone: "Jungfrau, eilet,
Daß Ihr mir den Kranz bereitet!" —

"Herr, dies kann gar wohl geschehen,
Ich hab Rosen, rot und wieße,
Und ich kann die Kränze drehen,
Doch fehlt mirs am Myrtenreise!" —

"Keine Myrt in ihre Krone!
Einen jungfräulichen Kranz
Winde ihr!" — sprach Jacopone,
Blickend durch der Tränen Glanz.

Und sie naht der Leiche Füßen,
Aus dem Korbe, den sie trug,
Ihre Rosen auszugießen.
Ach, wie ihr das Herz da schlug!

Sie mit Liebe zu begrüßen,
Fühlt sie einen innern Zug,
Und sie soll doch, um zu büßen,
Folgen ihrem Leichenzug.

Wie sie so die Tote schauet,
Wie sie so die stille fühlet,
Mild ihr Aug von Tränen tauet
Und die heiße Wange kühlet.

Und sie nimmt die rote Rose,
Fügt zu ihr der weißen Glanz,
Weiter eine gelbe Rose,
Und so fort den ganzen Kranz.

Bei den roten spricht sie immer:
"Rosarose, bitt für mich!"
Bei der weißen Rosen Schimmer:
"Rosablank geleitet dich!"

Aber bei der gelben Rose
Muß sie an Biondetten denken,
Und dann traurig zu der Rose
Ihre Blicke niedersenken.

Da sie nun den Kranz vollendet,
Sprach sie scheu zu Jacopone:
"Mich that zu dir hergesendet
Heut der Beichtiger Benone.

Meine Schulden abzubüßen,
Will er, daß ich im Geleite
Deine Weibs mit bloßen Füßen
Hinter ihrem Sarge schreite.

Und ich bitte dich zum Lohne,
Daß du dieses mir gestattest,
Als den Preis der Blumenkrone,
Die du ohne mich nicht hattest.

Trauer ist mein Kleid, ich weine
An der Mutter Sterbetage;
Wenn ich dir zu arm nicht scheine,
Laß mich folgen deiner Klage."

Da sprach zu ihr Jacopone:
"Du sollst bei dem Leichenwagen
Ihr die jungfräuliche Krone,
Die du ihr geflochten, tragen.

Dieses ist des Lanes Sitte;
Zwischen Pietro und Meliore
Sollst du schreiten in der Mitte
Mit dem Kranz im Trauerchore."

Aber plötzlich brach das Schallen
Aller Glocken durch die Luft,
Und der Priester in die Hallen
Tritt mit Kranz und Weihrauchduft.

"Es ist Zeit, müssen wallen,"
Spricht er, "weil die dunkle Gruft
Dieser jetzt, wie einst uns allen,
Mit metallner Zunge ruft."

Acht Matronen tief in Trauer
Tragen nun den Sarg hinab,
Stellten ihn zum Trost der Schauer
Unterm Baldachine ab.

Und die Ritter mußten wehren
Mit dem Schwert die Totenschau,
Doch ein jeder wollte ehren
Noch einmal die fromme Frau.

Und es zieht, sie anzuschauen,
Vor ihr hin der Leichenzug;
Ach, wer sieht, sich zu erbauen,
Solch ein heilig Bild genug!

Mit dem Kreuz vorüberziehen
Erst die Priester, traurig singend,
Und das Volk liegt auf den Knieen,
Chöre durch die Lüfte schwingend.

Und die Schwermut der Posaunen
Windet sich durch Litaneien,
Die vorm Ewigen erstaunen,
In der Zeit um Hilfe schreien.

Ihnen folgen fromme Orden,
Ewige Gebete lallend,
Vor den Kreuzen allerorten
Auf das Antlitzt niederfallend.

Und nun treten schwarze Nonnen
Um den Sarg, in weißen Schleiern,
Wie die Strahlen einer Sonnen,
Dieser Frommen Tod zu feiern.

Aber sie auch müssen gehen,
Denn jetzt nahn die Tiefbetrübten;
Seht der Kindlein Fahne wehen,
Traurig bei der Hochgeliebten!

Agnus castus mit dem Lamme
Führt die Mägdlein und die Knaben,
Die mit einem Blumendamme
Nun der Hirtin Sarg umgaben.

Und mit kindisch süßem Flehen
Drängt die Schar zu ihren Füßen;
Jedes Kindlein will sie sehen
Und die milden Hände küssen.

Ach! sie kennen nicht das Scheiden,
Freuen sich des Rosenkranzes
Und des Rocks von Samt und Seiden
Und des Diamantenglanzes.

Doch Bolognas Heereswagen
Mit gedämpften Hörnerklang,
Ihren Leib zur Gruft zu tragen,
Durch die Kinderschar herdrang.

Und den Sarg hinan zu heben
Zaudern noch die ernsten Ritter,
Sich die Hand dazu zu geben
Ist ihr innrer Groll zu bitter.

Als der Konsul dies ersehen,
Fürchtet Störung er der Ruhe
Und beginnt umher zu spähen,
Wer erheben soll die Truhe.

Sieh, da naht mit Flötenschalle
Ernst der Zug sich der Studenten,
Jeder Nation Marschalle
Sich heran zum Sarge wenden.

Jene, die sie nach dem Brande
Heimgetragen mit Verehren,
Nahn dem Konsul als Gesandte,
Schwarz, mit langen Trauerflören.

Und da sie das Zögern sahen
Und des Konsuls Wink empfingen,
Barhaupt sie dem Sarge nahen,
Fassen an den goldnen Ringen.

Heben ihn mit guter Site
Auf den hohen Trauerwagen,
In der Blumen stille Mitte,
Traurend, aber ohn Verzagen.

Als den Wagen sie verließen,
Kehrend hin zu den Gesellen,
Nun die Kinder ihn umschließen
Rings mit freudgen Blumenwellen.

Zwischen schlanken Lilienstengeln
Und den zarten Rosenzweigen,
Rings umwallt von frommen Engeln,
Zieht er hin mit prächtgem Schweigen.

Und es folget Jacopone;
Zwischen Pietro und Meliore
Wanelt mit der Totenkrone
Rosablanka in dem Chore.

Ihre Locken aufgelöset
Traurend um die Schultern wehen,
Ihre Füße sind entblößet,
Sie muß so zur Buße gehen.

Als sie aus dem Haus geschritten,
Zog sie Schuh und Strümpfe ab,
Die sie, auf sein dringend Bitten,
Pietro zu bewahren gab.

Und im Gurt er sie verstecket,
Wie beliebten, reichen Schmuck;
Seines Herzens Schlag erwecket
Der verehrten Pfänder Druck.

In verschiednem Schmerz befangen
Diese Viere vor uns schreiten,
Manche Trän auf frmden Wangen
Ehrt ihr tränenloses Leiden.

Wie ein Christ scheint Jacopone,
Der getrost zum Tode gehet,
Dem die blutge Martyrkrone
Aus dem Himmel niederwehet.

Hinter ihm kommt Rosablanke,
Mit der Blumen süßem Glanz,
Als ob sie vom Himmel schwanke
Zu ihm mit dem Martyrkranz;

Wie ein Engel ungetrübet,
Doch umhaucht von irdschem Leid,
Weil der Herr die Menschen liebet,
Die um ihn bestehn den Streit.

Ihr zur Rechten Meliore,
Wie ein unbesiegter Held
Unter einem Sklavenheere
Durch der Brüder Leichenfeld.

Er ist nach dem Kranz gesprungen,
Fesseln haben ihn umringt,
Er hat selbst das Lied gesungen,
Das der Feind jetzt um ihn singt.

Aber der ist unbesieget,
Der ein Dichter und ein Held,
Weil er in dem Himmel wieget
Seines Schmerzes giftge Welt.

Und es steigt an seinem Leiden
Heilend Sonn und Mond empor,
Unter Sklaven kann er schreiten,
Wie ein Sänger in dem Chor.

Er ist einsam im Getümmel,
Und er geht in selgem Traum,
Und sein Aug steigt zum Himmel
Ewig von dem irdschen Saum.

Aber Pietro geht zur Linken
Wie ein armer Schäferknabe,
Der den Schatz hinab sah sinken,
Den er mühsam ausgegraben.

Immer sieht er vor sich spielen
Noch die goldne Zaubertruhe,
Wo sein Weg auch hin mag zielen,
Flieht der Schatz ihn ohne Ruhe.

Also muß ein Buhler irren,
Dem die Buhle ging zu Grab,
Die aus zaubrischen Geschirren
Ihm die Liebestränke gab;

Also in dem Venusheere
Zieht die liebestörge Brut,
Daß sie ewig sich verzehre,
Ewig wachs in böser Glut.

Ob sin Blick zur Erde nieder
Oder auf zum Himmel schwebt,
Sieht er stets den Rumpf der Hyder,
Der ein neues Haupt erhebt.

Jede Blume möcht er küssen,
Die die Jungfrau ihm zur Rechten
Tritt mit zarten Rosenfüßen,
Und sich einen Kranz draus flechten,

Und mit solchem Schmerz bekränzet,
Steigen durch die finstern Felsen,
Wo kein Stern mehr fröhlich glänzet
Und sich schwarze Bäche wälzen.

Und an einen bittren Bronnen
Möcht er trinkend niedersinken,
Bis zum Ablauf aller Sonnen
Immer schöpfen, immer trinken,

Und dem Quelle wieder weinen,
Ihn mit seinem Schmerz berauschen,
Und zum Felsen dann versteinen
Und den eignen Schmerz belauschen. —

Diesen folgen nun die Armen,
All in neues Tuch gekleidet;
Sterbend hat sie voll Erbarmen
Ihnen diesen Trost bereitet.

Die Konsulen folgen diesen
In dem festlichen Ornat,
Und die Herrn des Rates schließen
Sich an sie, und der Senat.

Weiter alle Professoren
Der juristschen Fakultät
Und Magister und Doktoren,
In der Hand das Samtbarett.

Und nun treten die Pedelle
Mit den Silberstäben her,
Der Studenten Mareschälle
Und so fort ihr ganzes Heer.

In den schwarzen Mänteln steckten
Pursch ealler Nationen,
Kandidaten der Pandekten,
Helden der Institutionen.

Alle seine Schüler ehrten
Jacopones schweres Leid,
So beschlossen und vermehrten
Sie das prächtige Geleit.

Und so schlingt der Zug der Trauer
Sich durch lange Straßen hin
Und ergießt sich durch die Schauer,
Aber alle ehren ihn.

Doch dort auf des Marktes Mitte
Ist ein heftiges Bewegen,
Alles wendet seine Schritte
Einem neuen Bild entgegen.

Als der Sarg zur Stelle schreitet,
Trat zum Zuge her Apone
Mit Biondetten, frech gekleidet,
Dich zum armen Jacopone.

Und ein wunderbar Entsetzen
Bricht durch alle, die sie sahn
So, mit frechem Zuchtverletzen,
Sich der frommen Leiche nahn.

Und der ganze Zug sich hemmte;
Es entstehet ein Gedränge;
"Weg mit diesem Purpurhemde!"
Schreit empört die rege Menge.

Doch will keiner sie ergreifen,
Weil sie so satanisch gleißet,
Und wo ihre Augen schweifen,
Alle Sinne sie zerreißet.

In den Wogen ihres Busens
Alle Sünder untertauchen,
Und wie Schlangenhaar Medusens
Ihre Locken Schrecken hauchen.

Über Apos greisem Haupte
Die zwei Nachtigallen schweben,
Weil er ihre Herrin raubt,
Ihre Klage laut erheben.

Und als sie sich auf der Stirne
Von Biondetten niedersenken,
Scheuchet sie die freche Dirne
Mit des Hauptes freiem Schwenken.

Und so groß ist das Erschrekcen,
Wie sie so verwandelt sei,
Daß nicht Achtung konnt erwecken
RosablankesnHilfsgeschrei,

Der Meliore an der Seite
Sinnlos sank zur Erde hin,
Als er sah, Biondette schreite
Her wie eine Sünderin.

Und sie legt die Totenkrone
Zu dem Sarge auf den Wagen:
"Helft, o helft, zu Jacopone
Mir den kranken Jüngling tragen!" —

"Dahin ist nicht durchzudringen,
Alles füllt der rege Zug,
Können wir ihn seitwärts bringen
Ist es Hilfe schon genug."

Pietro nun mit Rosablanken
Machen sich im Volke Raum,
Und er trägt den stillen Kranken
Zum Altare an dem Baum.

Doch es mehrt sich die Verwirrung,
Und es steiget auf den Wagen
Nun der Konsul, dieser Irrung
Ersten Anlaß zu erfragen.

So erhöhet aus der Menge
Sieht er Apo und Biondetten,
Rings in wogendem Gedränge,
Vor dem Pöbel kaum zu retten.

Und er rufet: "Stille! Stille!
Um das Heil der Republik!"
Endlich sieget dann sein Wille,
Und er spricht mit strengem Blick:

"Wer hat unsern Zug zerrissen?
Vor uns ruht des Todes Friede,
Fromm geschmückt, auf schwarzen Kissen,
Und die Seele ist geschieden.

Und ich seh am Arm des Weisen
Hier mit unverschämter Stirne
Unser frommes Fest zerreißen
Eine sündlich bunte Dirne.

Welch ein Blick, von dieser Leiche
Zu dem frechen Weib getragen!
Brücke zu des Teufel Reiche
Aus dem Himmels Tor geschlagen!

Was verlangst du hier, Apone?
Bist in Wahnsinn du gefallen?
Trittst du so einher zum Hohne
Dir alleinig, oder allen?"

Und Apone ihm erwidert:
"Spreche, Konsul, nicht so gröblich;
Rede, die mich hier erniedert,
Ist nicht ziemlich dir und löblich.

Ich bin dir nicht untergeben,
Ich bin kein Vasall des Staates,
Wer kann sich gen mich erheben,
Als der Rektor des Senates?

Und vor allem mußt du wissen,
Daß ich, von des Volkes Menge
Wider Willen fortgerissen,
Hier gekommen ins Gedränge.

Könnt man doch nicht prächtger trauern,
Wär die Republik gestorben,
Die sich in Bolognas Mauern
Wechselfiebernd hat verdorben.

Da ich all die Glocken hörte
Rufen, mit der Zunge Erz,
Gen die Einsamkeit empörte
Sich im Busen mir das Herz.

Und ich glaubte, man bereite
Für Biondetten diese Feier,
Weil sie ausgesagt, sie kleide
Heut sich in den Nonnenschleier.

Und so führte ich hier nieder
Meine Freundin von der Zelle,
Daß sie durch die Macht der Lieder
Euch, was sie beschloß, erhelle.

Doch die Zeit scheint nicht gelegen,
Alles fühlt des Todes Schauer,
Und ich seh auf allen Wegen
Eine übermäßge Trauer.

Zieht die Republik zu Grabe
Hier auf unserm Heereswagen,
Tiefer Leid könnt man nicht tragen,
Als ich hier gesehen habe.

Sterbt, ihr Bologneser Frauen,
Tut euch recht zu leben not,
Denn galanter ist zu schauen
Als das Leben euer Tod.

Zu dem Wagen, der vor Jahren
Unsrer Schlachten wunde Helden
In Triumpfh herangefahren,
Kann sich nun ein jeder melden.

Ists erhört, in die Monstranzen,
Wo nur wohnt das Sakrament,
Eines Weibes Bild zu pflanzen,
Die im Schauspielhaus verbrennt?

Lambertazzi, Gieremeen,
Wo ist unsrer Ehre Schutz,
Wenn die Staatesflaggen wehen
Über schnöder Leichen Putz?

Rühret euch, ihr tapfern Schläger!
Von dem Wagen mit dem Weib!
Mag der falsche Achselträger
Selbst begraben ihren Leib!"

Also regt mit falschen Reden
Er des Hasses stille Glut;
Allen, di um ihn getreten,
Wallet zürnend auf das Blut.

Und die feindlichen Parteien,
An den Schwertern mit der Hand,
Mit verbissnem Maledeien
Stehn zum Ausbruch angespannt.

In dem Lärm steht unbeweget
Jacopone; wie ein Felsen
In dem Meere sich nicht reget,
Wenn sich Stürme um ihn wälzen.

Doch es wird ihm aufgetragen
Von dem Konsul nun, zu reden,
Und so ist er auf den Wagen
Zu dem Sarge hingetreten.

Doch der Schmerz ihn so durchdringet,
Daß er sich muß niedersetzen;
Alle rings sein Leid bezwinget,
Keiner wagt ihn zu verletzen.

Noch, eh er begann zu sprechen,
Sah mit wild gehobnen Armen
Er das dichte Volk durchbrechen
Seine Freunde, alle Armen.

Und sie schrien mit lauter Stimme:
"Treibt die Ochsen, fahret zu!
Bringet trotz des Toren Grimme
Unsre Mutter jetzt zur Ruh!"

Um den Wagen mit den Kindern
Klaget Agnus castus laut:
"Wer will frech den Brautzug hindern
Einer himmlisch reinen Braut!"

Und das Volk zu beiden Seiten
Treibt die Stiere mächtig an,
Und indem sie vorwärts schreiten,
Zieht die Leiche ihre Bahn.

Daß sich Apo still entferne,
Läßt der Rektor ihn ermahnen,
Und der Schergen Morgensterne
Müssen ihm den Weg schier bahnen,

Bis ihn seine Schüler finden,
Die ihn nun mit Biondetten
Eng mit ihrem Kreis umwinden
Und aus dem Gedränge retten.

Doch es ist das Volk geteilet,
Viele hinter Apo drängen,
Der hin zu dem Rathaus eilet;
Andre sich dem Zug vermengen.

Beide könnte ich geleiten;
Doch ich gehe zu der Linde,
Wo ich an Meliores Seiten
Rosablanken trauernd finde.

Pietro aber steht am Bronnen,
Und von Eifersucht durchpeint,
Fühlt er nicht den Strahl der Sonne,
Die ihm auf den Scheitel scheint.

Brentano, Clemens : Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl, Gockel, Hinkel und Gackeleia, Romanzen vom Rosenkranz,


				

				

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