ART

Die Tabula Peutingeriana, auch Peutingersche Tafel, ist eine Karte, die das Straßennetz (Römerstraße) im spätrömischen Weltreich von den britischen Inseln über den Mittelmeerraum und den nahen Osten bis nach Indien mit dem Ganges, der Insel Sri Lanka (Insula Taprobane) im Indischen Ozean und China wiedergibt.

Geschichte

Das Original der Straßenkarte aus der 2. Hälfte des 4. Jh. enthielt eine graphische Darstellung der damals bekannten Welt, in der die Straßen als Verbindungslinien zwischen einzelnen Etappenorten eingetragen waren. Der bis heute nicht ermittelte Autor wollte nach dem Vorbild antiker Weltkarten eine einheitliche Darstellung der Terra habitabilis des 4. Jh. geben; es fehlen weitgehend die germanischen Gebiete rechts des Rheins und Nordeuropa. Das spätrömische Original lässt sich zurückverfolgen auf verschiedene Vorläufer, darunter die Weltkarte des Marcus Vipsanius Agrippa (64 v. Chr. - 12 n. Chr.); nach seinem Tod war diese Karte in den Grabstein eingemeißelt worden, der sich im Porticus Vipsaniae, nicht weit von Friedensaltar, an der Via Flaminia in Rom befindet. Als weitere Vorläufer kommen in Betracht: das Itinerarium Antonini (ein Straßenverzeichnis in Buchform des 3. Jh.) und mehrere Überarbeitungen einer älteren Straßenkarte des Römischen Imperiums. Die Originalkarte muss nach 328 angefertigt worden sein, da sie bereits die im Jahr 328 gegründete Stadt Konstantinopel zeigt. Jedoch war sie nicht auf dem damals aktuellen Stand, da auch die Stadt Pompeji zu sehen ist, die nach dem Ausbruch des Vesuv 79 nicht wieder aufgebaut worden war. Andererseits sind einige Orte in der Provinz Germania Inferior eingezeichnet, die im 5. Jahrhundert zerstört worden waren.

Die spätrömische Straßenkarte ist nicht im Original, sondern nur in einer einzigen mittelalterliche Kopie aus dem 12. Jahrhundert erhalten geblieben. Diese im wesentlichen originalgetreu gefertigte Nachzeichnung der römischen Straßenkarte stammt wahrscheinlich aus dem Skriptorium des Klosters Reichenau. Ob die Nachzeichnung aber direkt dem spätantiken Original entsprechend oder über den Umweg eines karolingischen Zwischenglieds geschaffen wurde, ist heute nicht mehr eindeutig festzustellen.

Im Kloster Reichenau - oder einer anderen süddeutschen Klosterbibliothek - könnte der Wiener Humanist Conrad Celtis (alias Konrad Bickel) (1459-1508) die Handschrift um 1507 entdeckt und anschließend in Augsburg an seinen Freund Konrad Peutinger (1465-1547) übergeben haben. Peutinger bewarb sich dann um die kaiserliche Druckerlaubnis und bereitete eine Edition vor; dazu kam es aber erst 1598 durch den Augsburger Markus Welser, einen Verwandten der Familie Peutinger, der zusammen mit Abraham Ortelius in Antwerpen die erste Ausgabe drucken ließ. Danach blieb die Tabula wieder unbeachtet, bis sie 1720 auf Umwegen an Prinz Eugen von Savoyen und nach dessen Tod 1736 mit seiner gesamten Bibliothek in die Kaiserliche Hofbibliothek zu Wien gelangte. 1863 wurde die Tabula in der Österreichischen Nationalbibliothek aus konservatorischen Gründen in ihre Einzelsegmente zerlegt und zunächst zwischen Glasplatten aufbewahrt, die dann 1977 durch Acrylplatten ersetzt wurden.

Beschreibung

Den Namen Tabula Peutingeriana erhielt die Straßenkarte zum ersten Mal in der gedruckten Ausgabe von Peter Bertius (Leiden, 1618/19). In der Österreichischen Nationalbibliothek trägt sie die Bezeichnung Codex Vindobonensis 324. Kopien finden sich heute - außer in der Faksimile-Ausgabe Graz 1976 - in zahlreichen Museen, aber auch in Städten, die auf der Karte mit ihren römischen Namen verzeichnet sind.

Die Tabula Peutingeriana bestand ursprünglich aus einer Pergamentrolle, ca. 675 cm lang und ca. 34 cm breit, die heute in 11 Segmente zerlegt ist; das erste von ursprünglich 12 Segmenten war nicht mehr vorhanden. Das ursprünglich zweite Segment der Tabula zeigt die Britischen Inseln, die Niederlande, Belgien, einen Teil Frankreichs und den Westen Marokkos; die Tatsache, dass die Iberische Halbinsel auf keinem der Blätter vorhanden ist, lässt vermuten, dass es ein erstes, heute verlorenes Segment gegeben hat, auf dem die Gebiete Spaniens und Portugals sowie ein Teil Westenglands dargestellt waren.

Die Karte ist mit brauner Tinte gezeichnet; die Staßenverbindungen sind mit roten Linien, die Städtenamen und Entfernungsangaben mit dunkler Tinte eingetragen. Die Beischriften in karolingischen Minuskeln des 12. Jh. deuten auf ein süddeutsches Skriptorium hin. Das Waldgebirge des Schwarzwalds wird als Silva Marciana bezeichnet. Weil dieser Terminus im 4. Jh. nur bei Ammianus Marcellinus und der Tabula einerseits und dem Reichenauer Chronisten Hermannus Contractus im 11. Jh. andererseits vorkommt, ist gefolgert worden, dass die Vorlage der Tabula im Kloster auf der Reichenau verwahrt worden war, wo in einem Bücherverzeichnis des 9. Jh. dementsprechend auch eine Mappa mundi in duobus rotulis bezeugt ist, was der Tabula mit den ehemals 12 Segmenten entsprechen würde.

Für den südwestdeutschen Raum hat die Tabula noch eine besondere Bedeutung: Das Gebiet des Imperium Romanum wird bis zu seiner Nordgrenze dargestellt und darüber hinaus nur noch ein schmaler Landstreifen östlich des Rheins. Am rechten Ufer des Oberrheins sind die Namen ALAMANNIA für das Siedlungsgebiet der Alemannen und Silva Marciana für den Schwarzwald eingetragen. Zeichnerisch wird der Schwarzwald dargestellt als Bergkette mit phantasievoll geformten "vorsintflutlichen Gewächsen" und "pinienförmigen Bäumen", die den Schwarzwald als unbesiedeltes und schwer zugängliches Gebiet kennzeichnen sollen. Von den am Rhein gelegenen Städten sind nur die linksrheinischen mit ihren römischen Namen vermerkt.

Bedeutung der spätantiken Straßenkarte

Die gezeichnete Straßenkarte des 4. Jh. ist die einzige ihrer Art, die als Itinerarium pictum im Gegensatz zu den häufiger vorkommenden Straßenkarten in Buchform (Itinerarium adnotatum) erhalten geblieben ist. Wahrscheinlich diente die auf einer Rolle aufgewickelte Karte als Verzeichnis der Staatsstraßen innerhalb des römischen Weltreichs sowie der Verbindungslinien für den Fernhandel. Sie war gedacht für Heerführer und Soldaten, Beamte und Kuriere, aber auch für reisende Händler, Handwerker, Künstler, Studenten und Pilger. Entlang der Straßen sind deshalb Knotenpunkte, Etappenorte und Raststätten eingezeichnet, die je nach ihrer Bedeutung durch kleinere oder größere Vignetten klassifiziert werden, beinahe wie in einem modernen Reisehandbuch. Außerdem werden die Entfernungen der Etappenorte untereinander angegeben, und zwar in Anpassung an die lokalen Maßeinheiten, in den germanischen Provinzen also in Leugen, wobei eine Leuga ca. 1.500 römischen Fuß oder 2.450 Meter entspricht. Flußläufe und Seen sind nur selten der Wirklichkeit entsprechend abgebildet, was auch für die eingezeichneten Bergketten gilt. Abgesehen von den Namen einiger Provinzen und Landschaften enthält die Karte keine weiteren Angaben.

Die Karte ist heute von großer kulturhistorischer Bedeutung, da auf ihr zahlreiche Orte eingezeichnet sind und sie die Besiedlung und die Verkehrsachsen der damaligen Zeit wiedergibt. Sie zeigt über 200.000 Kilometer Straßen, aber auch Ortschaften, Meere, Flüsse, Waldgebiete und Gebirge. Aufgrund ihres Formats können Entfernungen und Landschaften nicht realistisch wiedergegeben werden, was auch nicht vom Autor beabsichtigt war. Die Tabula muss vielmehr als stilisierte Karte gesehen werden, ähnlich den heutigen Nahverkehrsplänen. Sie diente der Übersicht über das vorhandene Straßennetz und sollte außerdem die Entfernungen zwischen zwei Orten erkennen lassen.

Etwa 555 Städte und Dörfer sowie 3500 weitere geografische Objekte, z. B. Leuchttürme und wichtige Heiligtümer sind eingezeichnet, häufig mit kleinen Abbildungen versehen. Städte werden durch zwei Häuser gekennzeichnet, Metropolen wie Rom, Konstantinopel und Antiochia durch eine große Vignette.

Literatur

Tabula Peutingeriana. Codex Vindobonensis 324, Österreichische Nationalbibliothek, Wien. Kommentiert von E. Weber. Akademische Druck- u. Verlagsanstalt Dr. Paul Struzl, Graz 2004, ISBN 3-201-01793-0 (Faksimile)

Konrad Miller: Iteneraria Romana. Römische Reisewege an der Hand der Tabula Peutingeriana. Strecker & Schröder, Stuttgart 1916 (Nachdruck: Husslein, Bregenz 1988)

Hans Georg Wehrens: Warum Freiburg auf der "Tabula Peutingeriana" nicht vorkommt; in: Freiburg im Breisgau 1504 - 1803, Holzschnitte und Kupferstiche. Verlag Herder, Freiburg 2004, S. 131 ff. ISBN 3-451-20633-1.

Weblinks

Bibliotheca Augustana: Tabula Peutingeriana

http://www.romansites.com/storia_della_tabula_tedesco.htm

Leugen-Forschung von Jacques Dassié

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