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Jagrenat, auch Dschagernat, Jugurnaut und Dschaganatha (Ind. M.), »das Land des Königs der Welt«. Der Name bezeichnet zuerst eine Stadt in der vorderindischen Provinz Orissa, nahe den Ausflüssen des Ganges, sodann den Gott, der vorzugsweise hier verehrt wird, über dessen Bedeutung aber die wünschenswerthe Klarheit noch nicht erreicht ist. Die Braminen geben ihn für eine Awatar des Wischnu aus, indem die noch nicht ganz vollendete Awatar des Krischna hier als Buddha fortgesetzt werde. Es scheint wirklich mit dem hier Statt findenden, übrigens dem Bramaismus angehörigen Gottesdienst viel Buddhistisches verschmolzen zu sein, wohin das Aufhören des Kastenunterschieds und das Unbegrabenbleiben der Leichname gehört. Die Pagode von J. hat drei Tempel und einen mächtigen Obelisk zum Eingangsthor; im innersten Gürtel der Mauer ist der Tempel des Götzen; derselbe ist aus Holz geschnitzt und hatte zwei ungeheure Diamanten als Augen, doch eines derselben gefiel einem Pilgrim so sehr, dass er sich in den Tempel einschliessen liess, während der Nacht den Stein aus seiner Höhlung nahm, und am Morgen glücklich damit entwischte. Der Götze ist schwarz, hat einen weit aufgesperrten, blutrothen Rachen und ist überhaupt grässlich bemalt. Das Merkwürdigste ist sein grosses Fest, bei welchem noch jetzt das Blut von tausend Opfern (Menschen) fliesst. Der Götze wird auf einen ungeheuern, von zwei und dreissig sehr starken Rädern getragenen Wagen gesetzt, welcher wie der Thurm einer Pagode gestaltet ist. Dieser ist siebenzig Fuss hoch und enthält neun Stockwerke über einander, in deren jedem viele schöne Mädchen üppige Tänze aufführen. Er ist von seinem Bruder Balaram und seiner Schwester Schubudra, welche beide auf besonderen Thronen sitzen, begleitet. Aus dem Wagen gehen von verschiedenen Stellen der vordern Seite sechs sehr lange und starke Schiffstaue heraus. Die Pilgrime, welche sich zu Hunderttausenden hier versammeln, spannen sich nun vor den Wagen und ziehen ihn unter dem lauten Gesange von Lobeshymnen, unter dem Schalle der lärmendsten Instrumente, und begleitet von den Tänzen der Mädchen, um die Pagode herum. Hier nun werfen sich die alten Leute, welche gerne selig werden wollen und nicht von Neuem auf die Erde zurückkehren mögen, unter die Räder des ungeheuern Wagens und lassen sich zermalmen. Man nimmt dieser Schwärmer alljährlich auf mehr als eine Million und zweimalhunderttausend an, von denen wenigstens drei Fünftel unterwegs auf der Reise vor Mangel sterben, oder, schon krank, durch die Anstrengung aufgerieben werden. Die Zuschauer nehmen solche Handlungen, als höchst gottgefällig, mit lautem Beifall auf; die Priester, wenn ihrem blutdürstigen Sinn nicht genug Blut fliesst, sagen, der Gott zürne über die zu wenigen Opfer, der Wagen könne nicht vorwärts kommen; alsdann stürzt sich gleich wieder ein Haufe betrogener Thoren unter die zermalmenden Räder und haucht unter dem Brüllen der Menge ihren letzten Seufzer aus. Der Haupttempel soll der älteste von ganz Indien, und 4000 Jahre vor unserer Zeitrechnung durch Parikschitu, den ersten König von Orissa, erbaut worden sein. Die Steinbrüche, aus denen die Steine zum Bau der Pagode genommen sind, liegen 30 Meilen von dem Tempel entfernt; dennoch findet man in den Thürmen der Pyramiden Steine von 50 Fuss Länge, 25 Fuss Breite und 10 Fuss Dicke, welche in eine Höhe von 150 bis 180 Fuss über den Erdboden gebracht worden sind: kein Wunder, wenn man glaubt, nur durch ein Wunder könnten diese Gebäude aufgeführt worden sein. Da jeder Indier verpflichtet ist, die Pagode von J. wenigstens ein Mal in seinem Leben zu besuchen, und die Opfer, welche sie bringen, ausserordentlich gross sind, ist natürlich die Pagode die reichste; sie speist täglich über 20,000 Pilger umsonst, und ernährt eine zahllose Priesterschaft; allein sie hat auch schon die Aufmerksamkeit der englischen Regierung in Ostindien auf sich gezogen, so dass diese den Pilgern eine Abgabe auferlegt hat, welche ihre Casse bedeutend füllt. - Merkwürdig ist, dass bei dieser Zusammenkunft der Pilger der Kasten-Unterschied ganz aufhört, und Alle, ausser den Parias, freien Zutritt zur Pagode haben. Das Blachfeld rings umher soll ein ungeheures Leichenfeld sein, auf welchem alle diejenigen, die dort sterben, unbegraben liegen bleiben und ein Raub der vielen Schakals und Hyänen werden, die dort heerdenweise wohnen, und, da sie genug halb verweste Menschen finden, die Lebenden nie anfallen, was natürlich dem Einfluss des Gottes zugeschrieben wird.

Indische Mythologie

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