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Quintus von Smyrna (lateinisch Quintus Smyrnaeus) war ein antiker griechischer Dichter wohl des 3. Jahrhunderts. Er verfasste ein erhaltenes Epos Τὰ μεθ’ Ὅμηρον (ta meth’ Homeron, „Nachhomerisches“, oft zitiert unter dem lateinischen Titel Posthomerica), in dem er Stoffe des trojanischen Sagenkreises verarbeitete.
Leben und Werk
Über das Leben des Quintus von Smyrna ist fast nichts bekannt. Er lebte wahrscheinlich im 3. Jahrhundert;[1] allerdings ist diese Datierung unsicher. Seinen Namen bezeugen die byzantinischen Gelehrten Eustathios von Thessalonike und Johannes Tzetzes sowie Scholien zu Homer. Dass er aus der kleinasiatischen Stadt Smyrna (heute Izmir) stammte, wird aus einem autobiographisch wirkenden Abschnitt seines Epos[2] geschlossen, laut dessen er sich schon in früher Jugend in der Kunst der Poetik versucht habe, als er Schafe nahe dem Tempel der Artemis im Gebiet von Smyrna hütete. Vielleicht handelt es sich dabei aber um eine dichterische Fiktion, denn schließlich soll Smyrna auch die Heimat Homers gewesen sein. Quintus’ Selbstbeschreibung als „Hirte“ ist vielleicht ein literarischer Topos, bei dem Hesiod[3] als Vorlage gedient haben könnte.
Quintus’ Epos Τὰ μεθ’ Ὅμηρον ist sein einziges überliefertes Werk, gehört zu den Nachfolgewerken des verloren gegangenen griechischen Epen-Kyklos um Troja und schildert in 14 Büchern bzw. 8772 Versen den sich an Homers Ilias anschließenden Sagenstoff bis zum Einsetzen der Odyssee. Das Werk ist in viele aufeinanderfolgende, mehr oder weniger unabhängige Einzelerzählungen gegliedert und seine einzelnen Bücher jeweils in sich relativ abgeschlossen.
Das erste Buch der Posthomerica beginnt mit den Begebenheiten nach Hektors Tod. Es erzählt nach der bei den Trojanern über das Ableben ihres Heros herrschenden Trauer von Penthesileia, der Königin der Amazonen, die den Trojanern zu Hilfe eilt, aber schließlich vom griechischen Helden Achilleus getötet wird. Ankunft, Heldentaten und Tod des Memnon, Sohnes der Eos, werden im zweiten Buch geschildert, während das dritte über das Ende des Achilleus handelt, der vom Gott Apollon mit einem Pfeilschuss niedergestreckt wird. Die Bücher 4 und 5 führen die Erzählung mit der Darstellung der Leichenspiele zu Ehren von Achilleus, des Streites des großen Ajax mit Odysseus um Achilleus’ Waffen sowie des Wahnsinns und Selbstmordes des Ajax nach dessen hierbei erlittener Niederlage fort. Damit haben die ersten fünf Bücher der Posthomerica denselben Stoff zum Inhalt wie die verlorene, wesentlich ältere Aithiopis, die Arktinos von Milet zugeschrieben wird.
Nachdem sodann im sechsten Buch die Ankunft des Eurypylos in Troja zwecks Unterstützung der belagerten Stadt berichtet ist, folgt im siebten Buch die Beschreibung des Eintreffens des von der Insel Skyros herbeigeholten Sohns des Achilleus, Neoptolemos, der schließlich Eurypylos tötet, wie das achte Buch ausführt. Die Rückholung des Philoktetes in den Krieg nach dessen lange dauerndem, einsamem Exil auf Lemnos gehört zum Stoff des neunten Buches, woraufhin im zehnten der Tod des Paris und Selbstmord der Oinone folgen, welche Letztere Paris nicht hatte heilen wollen. Nach dem Bericht über den letzten erfolglosen Erstürmungsversuch Trojas durch die Griechen im elften Buch wird im zwölften die Erbauung des Trojanischen Pferdes sowie im dreizehnten die Eroberung und Zerstörung der Stadt erzählt. Das Epos schließt mit der im vierzehnten Buch dargestellten Versöhnung von Helena und Menelaos sowie dem Aufbruch der Griechen in ihre Heimat, wobei sie von einem Seesturm heimgesucht werden und der kleine Ajax im Meer versinkt.
Mit dem Fortschreiten des Epos ist eine künstlerische Reifung seines Verfassers zu registrieren. Quintus’ rhetorische Schulung ist insbesondere bei den seinen Figuren in den Mund gelegten langen Reden sichtbar. Der literarische Stil ist nüchtern und geradlinig, die Sprache im Wesentlichen an Quintus’ Vorbild Homer orientiert, doch finden sich auch Spuren der Verwendung von Ausdrucksweisen späterer Dichter. Im Laufe der Handlung treten mehrfach charakterlich miteinander kontrastierende Personen auf, so etwa der intelligent-listige Odysseus und der aufrichtig tapfere große Ajax; auch der Wahnsinn der Amazonenkönigin wird der Mäßigung Memnons gegenübergestellt. An den Platz von Homers Achilleus tritt als Hauptfigur Neoptolemos, der als idealisierter Held dargestellt wird. Manche Heroen werden auch entgegen der Überlieferung charakterlich glorifiziert gezeichnet. Die Vorstellung einer über allem thronenden göttlichen
Gerechtigkeit durchzieht das gesamte Werk.
Die Frage, auf welche Quellen Quintus von Smyrna sich für die Abfassung seines Epos stützte, ist schwierig zu beantworten und hat zu teilweise umstrittenen Ergebnissen geführt. Vermutlich verwendete er nicht die alten Gedichte des epischen Kyklos, sondern u. a. ein mythographisches Handbuch, wie viele inhaltliche Übereinstimmungen mit der in die gleiche Kategorie fallenden Bibliotheke des Apollodor nahelegen. Die Mythographie benutzte Quintus zur Erstellung eines groben Rasters und füllte diesen mit diversen griechischen Dichtern wie Sophokles, Euripides, Apollonios von Rhodos sowie vielleicht weiteren hellenistischen Poeten entnommenem Stoff auf. Bei mancherlei Details lassen sich stoffliche Berührungen mit der Dictys Cretensis zugeschriebenen Darstellung des Trojanischen Kriegs konstatieren. Nicht eindeutig geklärt ist bis heute, ob Quintus auch römische Dichter wie Vergil, Ovid und Seneca direkt heranzog oder ob inhaltliche Entsprechungen mit einigen Passagen von deren Werken auf Benutzung gemeinsamer griechischer Vorlagen beruhen. So scheint z. B. die Schilderung der Verwendung einer testudo bei der Belagerung Trojas[4] nach der Darstellung in Vergils Aeneis[5] geformt zu sein, ebenso verschiedene Szenen des 12. und 13. Buches der Posthomerica nach entsprechenden Stellen des zweiten Buches der Aeneis.
Quintus von Smyrna wurde seinerseits von etlichen nachfolgenden Dichtern gelesen und diente vor allem Tzetzes als wichtige Quelle für dessen Posthomerica. Die einzige erhaltene Handschrift von Quintus’ Epos wurde 1450 von Kardinal Bessarion in Otranto in Kalabrien entdeckt und die Editio princeps des Werks 1504/05 durch Aldus Manutius besorgt.
Textausgaben, Kommentare und Übersetzungen
Posthomerica, 1541
Quintus Smyrnaeus: Der Untergang Trojas. Griechisch und Deutsch, hrsg., übers. und komm. von Ursula Gärtner. 2 Bände, Darmstadt 2010.
Kevin Hargreaves Lee, Alan W. James: A Commentary on Quintus of Smyrna, Posthomerica V. Brill, Leiden 2000 (= Mnemosyne Supplements, 208).
Quintus Smyrnaeus: Die Fortsetzung der Ilias. Dt. in der Versart der Urschrift von Johann Jakob Christian Donner. 5 Bände, Stuttgart 1866–1867. (Mehrere Auflagen)
Arthur S. Way (Hrsg.): The Fall of Troy. London 1913. (Nachdruck, Cambridge (Mass.) u. a. 2006), (Mit englischer Übersetzung)
Albert Zimmermann (Hrsg.): Quinti Smyrnaei Posthomericorum libri XIV. Leipzig 1891. (Nachdruck, Stuttgart 1969), (Textkritische Ausgabe)
Literatur
Silvio Bär: Quintus Smyrnaeus „Posthomerica“ 1. Die Wiedergeburt des Epos aus dem Geiste der Amazonomachie. Mit einem Kommentar zu den Versen 1–219 (= Hypomnemata. Band 183). Vandenhoeck & Rupprecht, Göttingen 2009, ISBN 978-3-525-25293-2 (zugleich Dissertation, Universität Zürich 2008).
Manuel Baumbach, Silvio Bär (Hrsg.): Quintus Smyrnaeus. Transforming Homer in Second Sophistic epic. de Gruyter, Berlin u. a. 2007, ISBN 978-3-11-019577-4.
Manuel Baumbach, Silvio Bär: Quintus von Smyrna. Posthomerica. In: Christine Walde (Hrsg.): Die Rezeption der antiken Literatur. Kulturhistorisches Werklexikon (= Der Neue Pauly. Supplemente. Band 7). Metzler, Stuttgart/Weimar 2010, ISBN 978-3-476-02034-5, Sp. 783–790.
Ursula Gärtner: Quintus Smyrnaeus und die Aeneis. Zur Nachwirkung Vergils in der griechischen Literatur der Kaiserzeit (= Zetemata. Heft 123). C. H. Beck, München 2005, ISBN 3-406-53133-4 (zugleich Habilitationsschrift, Universität Leipzig 2000).
Ursula Gärtner: Schicksal und Entscheidungsfreiheit bei Quintus Smyrnaeus. In: Philologus. Band 158, 2014, S. 97–129.
Rudolf Keydell: Quintus von Smyrna. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band XXIV, Stuttgart 1963, Sp. 1271–1296.
Rudolf Keydell: Quintus 1. In: Der Kleine Pauly (KlP). Band 4, Stuttgart 1972, Sp. 1311–1313.
Calum A. Maciver: Quintus Smyrnaeus’ Posthomerica. Engaging Homer in late antiquity. Brill, Leiden u. a. 2012, ISBN 978-90-04-23020-0.
Peter Schenk: Handlungsstruktur und Komposition in den Posthomerica des Quintus Smyrnaeus. In: Rheinisches Museum für Philologie. Band 140, 1997, S. 363–385.
Georgios P. Tsomis: Quintus Smyrnaeus. Originalität und Rezeption im zehnten Buch der "Posthomerica". Ein Kommentar (= BAC - Bochumer Altertumswissenschaftliches Colloquium, Bd. 103). Wissenschaftlicher Verlag Trier 2018, ISBN 978-3-86821-752-0.
Anmerkungen
So Francis Vian in der Ausgabe der Posthomerica. Bd. 1, 1963, S. xix–xxii.
Quintus von Smyrna, Posthomerica 12, 306–313.
Vgl. Hesiod, Theogonie 22 f.
Quintus von Smyrna, Posthomerica 11, 358–408.
Vergil, Aeneis 9, 503–520.
Antikes Griechenland
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