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Pytheas von Massilia (griechisch: Πυθέας; * um 380 v. Chr.; † um 310 v. Chr.) war ein griechischer Händler, Geograph und einer der großen Entdecker der Antike.
Zur selben Zeit, als Alexander der Große im Osten bis an die Grenzen der damals in Europa bekannten Welt vordrang, erforschte Pytheas den unbekannten Nordwesten Europas. Sein Reisebericht Über den Ozean (Περὶ τοῦ ᾿Ωκεανοῦ, Perí tou Okeanoú) ist nicht erhalten. Die wenigen Fragmente des Buches kennt man von Zitaten anderer Autoren (u. a. Strabo, Eratosthenes oder Plinius der Ältere), die Pytheas allerdings zum Teil als Lügner bezeichneten, weil sie seine Reisen für unmöglich hielten oder sich (wie Polybios) selbst als Kenner der Materie profilieren wollten. Weitere Hinweise finden sich in den Werken antiker Astronomen wie etwa Hipparchos von Rhodos.
Leben
Über Pytheas’ persönlichen Hintergrund ist wenig mehr bekannt, als dass er aus der phokäischen Kolonie Massalia (lat. Massilia, heute Marseille) stammte und Händler war. Unklar ist auch, ob er nur eine oder gleich mehrere Reisen in den Norden unternahm, und wie sein weiteres Leben nach seiner Rückkehr verlief. Mehr oder weniger sicher ist aber, dass sich die Ereignisse um 320 v. Chr. abspielten.
Pytheas’ Reiseroute
Pytheas gelangte möglicherweise durch die Straße von Gibraltar. Die Annahme eines Zinnmonopols Karthagos und einer Blockade der Meerenge zur Aufrechterhaltung dieses Monopols sind äußerst zweifelhaft. Entsprechende Mutmaßungen, Pytheas' Schiff sei durch ein Kontrollsystem geschlüpft, daher ebenso. Die Textstellen zur Stützung der Blockadetheorie sind dürftig und erlauben auch andere Interpretationen. Die notwendigen Einrichtungen zum Unterhalt einer Blockadeflotte an der Straße von Gibraltar sind nicht nachgewiesen, und Pytheas' Heimatstadt Massilia verfügte mit dem Rhodanus selbst über einen erträglicheren Handelsweg für Zinn.
Ebenso unklar ist, ob Pytheas überhaupt die Iberische Halbinsel umschifft hat, da der entsprechende Hinweis bei Strabon – Pytheas habe die Küsten Europas „von Gades bis zum Tanais“ bereist – auch metaphorisch als „von einem Ende Europas zum anderen“ zu verstehen ist. Der englische Archäologe Barry Cunliffe nimmt sogar an, dass Pytheas nicht mit einem eigenen Schiff reiste, sondern zunächst über Aude und Garonne an die gallische Atlantikküste gelangte und von dort aus mit einheimischen Seefahrern seine Reise etappenweise fortsetzte, wozu auch Strabons Bemerkung, Pytheas habe Britannien „durchwandert“, passen würde.
Sein weiterer Reiseweg muss ihn über die Mündung der Loire, die Halbinsel Armorica, das zu Cornwall gehörende Kap Belerion, die Irische See und den Nordkanal bis zu den Hebriden geführt haben. Dies folgt aus den oben genannten Zitaten und Breitengradangaben antiker Astronomen, die auf Sonnenstandsmessungen Pytheas’ zurückgehen sollen und in etwa mit der Nordküste der Bretagne, der Insel Man und der Hebrideninsel Lewis übereinstimmen.
Pytheas’ Beobachtungen
Auch einige geographische und ethnographische Bemerkungen Pytheas’ sind überliefert. So beobachtete er etwa das für Griechen unbekannte Phänomen von Ebbe und Flut und brachte es als erster richtigerweise mit den Mondphasen in Zusammenhang. Auf den Britischen Inseln beobachtete er selbst, wie Zinn geschürft, geschmolzen und zu Barren geschmiedet wurde, die über einen Damm zur Insel Ictis transportiert wurden, von wo sie an fremde Händler weiterverkauft wurden. Bei Ictis könnte es sich der Beschreibung und der Lage der prähistorischen Zinnminen nach um St. Michael’s Mount oder Mount Batten vor der Südküste Cornwalls gehandelt haben.
Vom Meer aus vermaß Pytheas die Küstenlänge Albions und errechnete dabei 42.500 Stadien (etwa 7.800 Kilometer). Ebenso bestimmte er mit Hilfe der unterschiedlichen Schattenlänge seiner Sonnenuhr die Entfernung von der Nordspitze Schottlands zum Heimathafen Massalia und kam auf 1.700 Kilometer (tatsächlich: 1.815 km). Von Schottland aus segelte er weiter in nördlicher Richtung und bemerkte dabei, dass die Sommertage länger wurden.
Thule und Abalus
Endpunkt und weiterer Verlauf von Pytheas’ Reise liegen im Dunkeln. Bei Strabon ist eine allgemeine Bemerkung über die Länder „nahe der Frostzone“, deren Bewohner Wasser, Hefe und Honig zu Hydromeli (Met) mischten, sich von Früchten und Milch ernährten und ihr Getreide in Speicherhäusern droschen, überliefert; an anderer Stelle wird als am weitesten entferntes Reiseziel Pytheas’ die Insel Thule genannt, die sechs Tagesfahrten nördlich Britanniens liegen solle. Je nachdem, ob man die beiden Zitate auf ein und denselben Ort bezieht oder die erste Bemerkung nur allgemeinen Charakter hat, könnte es sich bei Thule um Norwegen oder um Island handeln. Tacitus nahm vier Jahrhunderte später als weitere Möglichkeit an, dass die Shetlandinseln gemeint seien.
Dass Pytheas in den hohen Norden gefahren ist, lässt sich allerdings nicht bezweifeln, denn eine Tagesfahrt nördlich von Thule stieß er laut Solonius auf das „träge und geronnene Meer“ (lat. pigrum et concretum mare) und beobachtete somit als erster Grieche Treibeis. Ebenso berichtet er von Polarlicht und Mitternachtssonne, im Mittelmeer gänzlich unbekannten Erscheinungen. Hinter Berichten von Phänomenen wie diesen vermuteten die Gelehrten der damaligen Zeit sowie der folgenden Jahrhunderte Fiktion, während sie sich heute einfach erklären lassen. Unklar ist allerdings Pytheas’ Erwähnung einer „Meereslunge“ (pleumōn thalassios, im Mittelmeer der Name einer Qualle), die als metaphorische Beschreibung des „gallertartigen“ Übergangsgebiets von Nebel, Wasser und Eismeer gedeutet worden ist.
Von Thule aus segelte Pytheas in südlicher Richtung und erreichte ein Ästuar namens Metuonis, das sich über 6.000 Stadien (ca. 1100 km) erstreckt habe und von dem Stamm der Guiones bewohnt sei. Eine Tagesfahrt entfernt habe die Insel Abalon (oder Abalus) gelegen, an deren Stränden Bernstein angespült werde, das Pytheas als erster Autor zutreffend als fossiles Baumharz beschrieb. Für Metuonis und Abalon wurden verschiedene Deutungen vorgetragen, etwa der dänische Sund (den Pytheas mit dem Mündungstrichter eines Flusses verwechselt hätte) mit den dänischen Inseln oder die gesamte Wattenmeerküste von West- bis Nordfriesland mit Helgoland, das allerdings zur fraglichen Zeit keinesfalls „eine Tagesreise“ vor der Küste lag. Ebenso möglich ist, dass Pytheas nicht selbst an der jütischen Bernsteinküste oder in der Ostsee gewesen ist, sondern Erzählungen über eine mythische Toteninsel (vgl. das keltische Avalon), vermengt mit einer möglichen Funktion Helgolands oder einer nordfriesischen Insel für den Bernsteinhandel, wiedergegeben hat.
Rezeption
Als Obsession einer Romanfigur ist Pytheas im Otto Babendiek (1926) von Gustav Frenssen ein literarisches Motiv.
Eine literarische Spekulation über Pytheas’ letzte, nicht überlieferte, Lebensetappe und seinen Tod schuf Arno Schmidt 1949 mit seiner Erzählung Gadir (vermutlich über die Lektüre Frenssens vermittelt).
Eine literarische Form von Pytheas' Lebensgeschichte vermittelt Raoul Schrotts Roman Finis Terrae (1995).
Im Schwedischen wurde das Thema von Alf Henrikson aufgegriffen Pytheas resa till Thule. Bokförlaget Bra Böcker, Avesta 1985.
Literatur
Barry Cunliffe: The extraordinary voyage of Pytheas the Greek. Allen Lane, London 2001, Penguin, London 2002. ISBN 0-14-029784-7
Hans Peter Duerr: Rungholt. Die Suche nach einer versunkenen Stadt. Insel, Frankfurt am Main 2005. ISBN 3-458-17274-2
Dietrich Stichtenoth: Über das Weltmeer. Die Fragmente. Böhlau, Weimar/Köln 1959.
Pedro A Barceló: Karthago und die iberische Halbinsel vor den Barkiden. Habelt, Bonn 1988. ISBN 3-7749-2354-X
Walter Ameling: Karthago. Studien zu Militär, Staat und Gesellschaft. C.H.Beck, München 1993. ISBN 3-406-37490-5
Barry Cunliffe, Marie-Geneviève l' Her: Pythéas le grec découvre l'Europe du Nord. éd. Autrement, Paris 2003. ISBN 2-7467-0361-0
Hugues Journès, Yvon Georgelin et Jean-Marie Gassend: Pythéas, explorateur et astronome. Éd. de la Nerthe, Ollioules 2000. ISBN 2-913483-10-0
Thibaud Guyon, Jeanine Rey et Philippe Brochard: Pythéas l'explorateur: De Massalia au cercle polaire. Éd. École des loisirs, Paris 2001. ISBN 2-211-06251-2
Jean Mabire: Thulé, le Soleil retrouvé des hyperboréens. Éditions Pardès, Puiseaux (Loiret) 1975. ISBN 2-86714-287-3
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