6) Arsakide, Sohn des Vonones II., Bruder des Volagases I. (Cass. Dio LXIII 5, 2), mit Zustimmung der Brüder zum König von Armenien bestimmt: Joseph. ant. XX 74. Volagases vertrieb den Iberer Radamistus (vgl. Stein o. Bd. IA S. 35f.) aus Armenien, nahm die Städte Artaxata und Tigranokerta ein, wurde dann aber durch den strengen Winter, Mangel an Lebensmitteln und eine Seuche gezwungen, Armenien zu räumen: 51 oder 52 n. Chr. Jetzt drang Radamistus wieder ein, machte sich aber durch sein Vorgehen gegen Verdächtige so verhaßt, daß die Armenier sich empörten und ihn in der Königsburg angriffen. Er mußte sich durch die Flucht retten, auf der ihn seine schwangere Frau Zenobia begleitete. Auf ihre Bitte, sie zu töten, verwundete er sie und warf sie in den Araxes. Sie wurde aber gerettet und zu T. gebracht, der sie ehrenvoll behandelte: Tac. ann. XII 51f. Wo sich T. damals aufhielt, wird nicht berichtet; doch scheint Armenien zum größten [1442] Teil verlorengegangen zu sein. Radamistus kehrte anscheinend noch einmal zurück, mußte aber 54 das Land wieder räumen, das von den Parthern ohne Gegenwehr besetzt wurde. Die römische Regierung, die von den Ratgebern des jungen Nero, Burrus und Seneca, geleitet wurde, war nicht gesonnen, Armenien ohne Schwertstreich aufzugeben: Schur Klio Beih. XV 711. Tac. ann. XIII 6f. Deshalb wurde Cn. Domitius Corbulo nach dem Orient gesandt, um Armenien den Parthern zu entreißen. Über die Vorbereitungen zum Kriege (54-57) und die Eroberung Armeniens durch Corbulo verweise ich auf Günther Beitr. zur Gesch. d. Kriege zw. Römern u. Parthern, Berlin 1922, 75ff. Schur a. O. 8ff. Vgl. Geyer Art. Tigranes Nr. 6: 58-60 bzw, 57-59. Über die Mitwirkung des T. bei der Verteidigung des Landes wird berichtet: durch Kleinkrieg, bald hier, bald dort auftauchend, suchte er den Römern und den von ihm Abgefallenen Schaden zuzufügen und wich jedem offenen Kampfe aus. Corbulo mußte seine Truppen teilen und suchte den König der Kiliker Antiochos für sich zu gewinnen, während Pharasmanes von Iberien und die Moscher Armenien beunruhigten. Darauf schickte T. Gesandte, um sich über die Feindseligkeit zu beschweren, trotzdem er durch Stellung von Geiseln (vgl. Tac. ann. XIII 9) die Freundschaft erneuert habe; drohend wies er auf die Macht seines Bruders Vologases hin. Da Corbulo ihm riet, Gesandte an den Kaiser zu senden, kam man überein, im Angesicht der Heere zu einer Unterredung zusammenzukommen. T. hielt sich jedoch in solcher Entfernung, daß man ihn kaum hören konnte, so daß Corbulo ohne Verhandlungen in sein Lager zurückkehrte. Nun ging T. wieder zum Kleinkrieg über, ohne gegen die Zufuhr etwas ausrichten zu können. Corbulo aber beschloß, durch den Angriff auf das Kastell Volandum die Armenier zum Schlagen zu zwingen. Nach seiner Eroberung marschierte er auf Artaxata. Um nicht feige zu erscheinen und doch auch sein Heer nicht aufs Spiel zu setzen, umschwärmte T. den feindlichen Heerzug, ohne die Römer zur Aufgabe ihrer Marschordnung zu bewegen. Bald darauf ergab sich Artaxata und wurde zerstört: Tae. ann. XTII 37-41. Cass. Dio XLII 19, 1. Darauf wandte sich Corbulo gegen Tigranokerta, das er nach schwierigem Marsche unter großen Strapazen erreichte; es öffnete ihm die Tore: Tac. ann. XIV 13f. T., der von Medien aus in die Grenzgebiete Armeniens eingedrungen war, wurde zum Verlassen des Landes gezwungen, und der von Nero für Armenien bestimmte König Tigranes aus dem kappadokischen Fürstengeschlecht traf im Lande ein: vgl. Geyer Art. Tigranes Nr. 6. Tac. ann. XV 1 (59 oder 60 n. Chr.). Als Tigranes 61 über die parthische Landschaft Adiabene herfiel und deren Fürst Monobazos sich bei Vologases heftig beschwerte, beschloß der Partherkönig, da Corbulo sich nach Syrien begeben hatte, seinen Bruder T. nach Armenien zurückzuführen, und schmückte ihn von neuem mit dem Diadem. Aber Tigranes setzte Tigranokerta in Verteidigungszustand und schlug den Angriff ab, zumal sich römische Kohorten bei ihm befanden und die Parther sich auf Belagerungen nicht verstanden. Als darauf Corbulo sich bei Vologases über den Einfall [1443] in ein Rom befreundetes Land beschwerte und die Aufgabe der Belagerung verlangte, kam der König diesem Verlangen nach, da er vor Roms Machtmitteln Scheu empfand und das armenische Unternehmen keine Aussicht auf Erfolg bot. Er erklärte, Gesandte nach Rom schicken und um Armenien bitten zu wollen. Wie es scheint, verpflichtete sich zugleich Corbulo zur Räumung Armeniens, womit Tigranes aufgegeben war: Tac. ann. XV 1-6. Vgl. Schur 17ff. Günther 1 88ff. v. Gutschmid 131f. Noch im J. 61 traf der für Armenien neu ernannte Feldherr L. Caesennius Paetus im Orient ein und ging sofort gegen Tigranokerta vor, ohne vor Eintritt des Winters bis zur Stadt zu gelangen. In Rom wollte man anscheinend vor endgültiger Entscheidung über das Schicksal Armeniens das Land wieder-besetzen und die Parther durch einen Waffenerfolg schrecken: Tac. ann. XV 6. 8. Vologases seinerseits entschied sich für den Krieg, als seine Gesandten unverrichteter Sache zurückkehrten: Tac. ann. XV 7. Dabei gelang es ihm im Winter 62, die weit zerstreut liegenden Truppen des Paetus überraschend zu überfallen und vernichtend zu schlagen; Paetus, der seiner Aufgabe in keiner Weise gewachsen war, erbat flehend die Hilfe des Kollegen Corbulo, der von Syrien aus die Parther angreifen wollte. Bevor Corbulo den von den Parthern schwer bedrängten Paetus erreichte, ließ dieser sich zu einer Kapitulation (bei Rhandeia) herbei, durch die er sich verpflichtete, Armenien zu räumen und die Kastelle den Parthern zu überliefern. Der Abzug glich einer schimpflichen Flucht. Vologases erhielt die Erlaubnis zur Absendung von Gesandten an Nero, und man behauptete, Pae-tus habe eidlich das Versprechen gegeben, daß bis zur Rückkehr der Gesandten kein Römer Armenien betreten sollte. Bei seinem Vorgehen handelte Vologases im engen Einvernehmen mit T.: Tac. ann. XV 10-16. Cass. Dio LXII 21, 2.4 Schur 25ff. Günther 93ff. In seinem Schreiben an Nero erklärte der Partherkönig, daß T. bereit sei, vor den Fahnen und dem Bilde des Fürsten die Regierung anzutreten, und diese Erklärung wiederholte T. dem Corbulo durch Abgesandte. Darauf legte T. vor dem Bilde Neros im Angesicht der Legionen das Diadem nieder und schickte sich an, die Reise nach Rom gemäß dem Verlangen des Kaisers (Cass. Dio LXII 22, 3) anzutreten, indem er zugleich seine Tochter als Geisel mit einem demütigen Brief an Nero übergab: Tac. ann. XV 24-30. Cass. Dio LXII 23, 2f. T. trat die weite Reise in Begleitung seiner eigenen Söhne und der des Vologases, Pakoros und Monobazos sowie des Schwiegersohns des Corbulo Annius an (Cass. Dio LXII 23, 6); sein gesamter Hofstaat und 3000 parthische Reiter folgten ihm. Überall wurde er festlich empfangen und auf der ganzen Reise, die neun Monate dauerte, auf Staatskosten verpflegt; sein Weg führte ihn durch Illyricum über das Ionische Meer. Bis an die Grenzen Italiens ritt er mit seiner Gemahlin an der Spitze des Zuges; in Italien bediente er sich eines kaiserlichen Wagens und gelangte über Neapel nach Rom (vgl. Tac. ann. XVI 23), wo er sich, ohne das Schwert abzugeben, mit gekreuzten Armen vor dem Kaiser auf ein Knie niederließ. Nero behandelte den schönen und edlen Fürsten [1444] (Cass. Dio LXIII 2, 1) mit Zuvorkommenheit und veranstaltete ihm zu Ehren Spiele in Puteoli; dabei soll T. von seinem Sitz mit einem Schuß zwei Stiere getötet haben. Darauf wurde ihm in Rom von Nero das Diadem aufgesetzt, während die ganze Stadt geschmückt und beleuchtet war. Die Zeremonie wurde im Beisein einer großen Volksmenge und zahlreicher Soldaten auf dem Forum vollzogen, wobei beide Fürsten kurze Ansprachen wechselten. Trotz der Demütigung vor Nero benahm sich T. durchaus würdig und hatte auch bei den Schauspielen im Theater auszusetzen, daß Nero als Zitherspieler und Wagenlenker auftrat (Suet. Nero 13). Mit reichen Geschenken und zahlreichen Handwerken, die ihm Nero zum Wiederaufbau von Artaxata schenkte, trat er die Rückreise an; über Brundisium und Dyrrhachion ging er nach Kleinasien, baute in der Heimat Artaxata wieder auf und nannte die Stadt Neroneia: Cass. Dio LXIII 1, 2-7, 2. Von der Überlieferung wird hervorgehoben, daß T. hohe Achtung vor Corbulo besaß, während er über Neros merkwürdige, eines Herrschers unwürdige Liebhabereien wenig erbaut war. Vgl. auch Themist. orat. XVI p. 210 a. b. — Aus seiner späteren Regierung erfahren wir von einem Einfall der Alanen, die alles verwüsteten und mit einer ungeheuren Beute auch zahlreiche Menschen mitschleppten; T. trat ihnen entgegen, wurde aber besiegt und entging selbst nur mit Mühe der Gefangenschaft: Joseph. bell. Iud. VII 249ff Zur Zeit des Kaisers Traianus war T. tot: Cass. Dio LXVIII 17, 2. — Vgl. noch neben den genannten Schriften Rawlinson The Sixth Great Oriental Mon. 263ff. Tournebize Hist. polit. et relig. de l’Arménie, Paris 1900, I 32ff. 786ff. Mommsen RG V 382ff. Dessau Gesch. d. röm. Kaiserz. II 189f. 203f. 261f.
[Fritz Geyer.]
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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