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Phrynis, Hauptvertreter des kitharodischen Nomos zwischen Terpandros und Timotheos (Aristot. metaph. 993 b 14-16). Von seinen Texten ist nichts erhalten, so daß wir ausschließlich auf Zeugnisse anderer Schriftsteller angewiesen sind. Diese sind in der Hauptsache bei v. Wilamowitz Timotheos 65ff. behandelt.

1. Biographische Daten.

Der Name des Vaters ist Poll. IV 66 in der Form Kamon überliefert, die v. Wilamowitz 65, 3 für die [926] richtige hält. Sonst erscheint meist Kanops, Timotheos frg. 27 (v. Wil.) ist der Name korrupt. Seine Heimat ist Mytilene (Schol. Aristoph. Nub. 971, von Suid. s. Φρῦνις exzerpiert, Proklos Chrest. 320 a 33). Als sein Lehrer wird (ebd.) Aristokleides genannt (s. d.). Sein erstes Auftreten und sein Panathenäensieg in Athen haben nach demselben Scholion ἐπὶ Καλλίου ἄρχοντος stattgefunden, was auf das J. 456 hinführen würde, das jedoch kein Panathenäenjahr war. Man pflegt eine Verwechslung mit dem Jahr des Kallimachos 446 anzunehmen. Doch scheint eine frühere Ansetzung nicht ausgeschlossen, da als ἀκμή des Lehrers die Zeit der Perserkriege angegeben wird. Die Aristophanesstelle Nub. 970-972, auf die sich das Scholion bezieht, lautet:

εἰ δέ τις αὐτῶν βωμολοχεύσαιτ’ ἢ κάμψειέν τινα καμπήν
οἵας οἱ νῦν κατὰ Φρῦνιν ταύτας τὰς δυσκολοκάμπτους,
ἐπετρίβετο τυπτόμενος πολλὰς ὡς τὰς Μοῦσας ἀφανίζων.

Noch im J. 423 wird also P. als einziger Vertreter der modernen Musik genannt, und es wird vorausgesetzt, daß sein Name dem Publikum schlechthin Inbegriff dieser Kunst war. P. war demnach in Athen gut bekannt und muß sich längere Zeit oder oft dort aufgehalten haben. Timotheos frg. 27 (v. Wil.) heißt es:

μακάριος ἦσθα Τιμόθεος, εὖτε κῆρυξ
εἶπε• νικᾷ Τιμόθεος
Μιλήσιος τὸν Κάμωνος (Κάρωνος oder Κάρβωνος Hss.) τὸν ἰωνοκάμπταν.

P. Maas (Art. Timotheos Nr. 9) hält diesen Sieg über P. und den Sieg mit den Persern für identisch und setzt ihn auf etwa 419-416 an. Der überschwängliche und etwas gehässige Ton des Timotheos und die Tatsache, daß er in seinem Überblick über die Geschichte der Kitharodie Pers. 234ff. P. überhaupt nicht erwähnt, lassen ein persönliches Lehrer-Schüler-Verhältnis zwischen beiden wohl ausgeschlossen erscheinen. Eine Beeinflussung hat trotzdem sicher stattgefunden: Aristot. metaph. 993 b 16 εἰ δὲ μὴ Φρῦνις, Τιμόθεος οὐκ ἂν έγένετο. Nach den angeführten Daten muß die Lebens- und Wirkenszeit des P. ungefähr mit der des Euripides zusammengefallen sein.

2. Dichtung. Wir besitzen kein sicheres Zeugnis dafür, daß man im Altertum Texte und Musiknoten des P. gekannt hätte v. Wilamowitz (73, 3) nimmt an, daß sie nie publiziert worden sind. Tatsächlich lassen sich die Nachrichten, soweit sie über seine Kunst handeln, als Berichte dreier Ohrenzeugen: Pherekrates, Aristophanes, Timotheos und spätere Interpretationen derselben verstehen. Da diese aber fast ausschließlich von der Musik sprechen, ist es um unser Wissen über die Dichtungen des P. schlecht bestellt. Die Rückschlüsse, die sich aus dem Timotheostext oder gar aus dem Euripidestext ziehen lassen, können nicht sehr bestimmt sein, v. Wilamowitz’ Annahme, daß die Kitharodie strophische Responsion nie gekannt habe (Verskunst 111), schließt natürlich auch P. mit ein. Wenn Phainias von Ereses (FHG II 299, vgl. v. Wilamowitz Timotheos 73, 3) Terpandros und P. als Vertreter der guten alten Kunst einigen späteren ‚ποιηταὶ μοχθηρῶν νόμων gegenüberstellt, so ist [927] das ein ganz allgemeines Urteil, und es läßt sich trotz des Wortes ποιηταί nicht mit Sicherheit sagen, wieweit er damit die Dichtung und wieweit die Musik gemeint hat. Eine scheinbare Ausnahme bildet Proklos Chrest. 320 a 33: Φρῦνις δέ ὁ Μυτιληναῖος ἐκαινοτόμησεν αὐτόν (sc. τὸν νόμον)• τό τε γὰρ ἑξάμετρον τῷ λελυμένῳ συνῆψε καὶ χορδαῖς τῶν ἐπτὰ πλείοσιν ἐχρήσατο. P. hätte demnach als erster an Stelle der reinen Hexameter eine Verbindung von Hexametern und freien Rhythmen gesetzt. Doch ist das offenbar Konstruktion. Denn diese Verbindung findet sich bereits in der Parodos zu Aischylos’ Agamemnon, auf deren Abhängigkeit von der Kitharodie v. Wilamowitz Timotheos 101f. und im Apparat zur großen Ausgabe hingewiesen hat, und wo eine Beeinflussung durch P. doch ausgeschlossen erscheint.

3. Musik.

Mehr läßt sich über seine Musik sagen. Im genannten Aristophanes-Scholion heißt es παραλαβὼν δὲ (sc. ὁ Ἀριστοκλείδης) τὸν Φρῦνιν αὐλῳδοῦντα κιθαρίζειν ἐδίδαξεν. P. war demnach ursprünglich Aulode und wurde erst später vom Lehrer, der selbst Nachkomme des Terpandros sein soll, in die Tradition der heimatlichen Schule eingeführt. Doch liegt P.’ Bedeutung weniger in der Fortsetzung der alten Tradition, als darin, daß er neben Melanippides (s. d) der eigentliche Schöpfer all der großen musikalischen Neuerungen seiner Zeit ist (vgl. Art. Musik o. Bd. XVI S. 867f.), denen sich Euripides und Agathon angeschlossen haben, und die von der Komödie verspottet werden. Die Aristophanesstelle nennt die καμπαί (vgl. Poll, IV 66), die man als Koloraturgesang gedeutet hat (Schönewolf Der jung-attische Dithyrambos, Diss. Gießen 1938, 21 u. 28). Die Erklärung des Scholiasten κατακλάσας τὴν ᾠδὴν παρὰ τὸ ἀρχαῖον und ähnlich Suidas s. βωμολοχεύσαιτο und s. δυσκολοκάμπτους trifft wohl nicht ganz das Richtige. Das Hervorheben der Schwierigkeit (δυσκολόκαμπτοι) zeigt, daß der Künstler ein hohes technisches Können besessen haben muß. Hierzu stimmt das ἰωνοκάμπταν des Timotheos, wobei die Erwähnung des Ionischen ebenfalls eine Charakterisierung der Musik zu sein scheint (vgl. v. Wilamowitz 66, 2). Zugleich zeigt die Stelle, daß Timotheos wieder eine größere Strenge für sich in Anspruch nimmt. Andere Seiten schildert Pherekrates im Chiron (frg. 145 FCA, über dessen Echtheit s. Schönewolf 50f., 63ff.). Dort spricht die als Person auftretende Μουσική:

Φρῦνις δ’ ἴδιον στρόβιλον ἐμβαλών τινα
κάμπτων με καὶ στρέφων ὅλην διέφθορεν
ἐν πέντε χορδαῖς δώδεχ’ ἁρμονίας ἔχων.

Die komische Übertreibung läßt neben dem κάμπτων den häufigen Wechsel der ἁρμονία, die Modulationen erkennen. Sie werden bedingt durch die Erfindung eines besonderen Wirbels — στρόβιλος (Schönewolf 67), der ein schnelles Umstimmen ermöglicht. Ähnlich spricht Herakleides Pontikos (Ps.-Plutarch de mus. 6, vgl. v. Wilamowitz 89) vom Wechsel der ἁρμονίαι und ῥύθμοι. Ein zweites technisches Mittel, das die neuen künstlerischen Errungenschaften unterstützt, ist die Vermehrung der Kitharasaiten, Die traditionelle Auffassung, daß die Kithara des [928] Terpandros sieben, die des P. neun, die des Timotheos elf Saiten gehabt habe, kann wohl als richtig gelten. Timotheos bezeugt Pers. 242 die Elfzahl seiner Saiten selbst. Für P. kann an einer Vermehrung der Zahl wohl kein Zweifel bestehen, und Plut. Agis 10; Mor. 84 A. 220 C (ähnlich Proklos Chrest. 320 a 33) ist die Erhöhung von sieben auf neun überliefert. Für Terpandros müßte sich schon daraus eine geringere Zahl ergeben. Wir können daher annehmen, daß die Autoren, die ihm mehr als sieben Saiten geben, spätere Reformen auf ihn übertragen.

4. Anekdoten. über P. sind noch zwei — biographisch wertlose — Anekdoten erhalten. Nach der einen (Plut. a. O., vgl. v. Wilamowitz 73) soll der spartanische Ephor Ekprepes von den neun Saiten der Kithara die zwei neu hinzugefügten mit der Axt herausgehauen haben, da sich solche Neuerungen mit spartanischer Strenge nicht vertrugen. Dieselbe Anekdote wird auch von Timotheos, sogar von Terpandros erzählt. Die andere wird vom genannten Aristophanesscholion nach Istros berichtet. P. soll Koch des Tyrannen Hieron gewesen und von diesem zusammen mit vielen anderen dem Aristokleides übergeben worden sein. Zu dieser Anekdote bemerkt bereits das Scholion selbst, daß sie nicht wahr sein könne, da sonst die Komiker sich das Thema nicht hätten entgehen lassen.
[Wilhelm Riemschneider.]

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