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3) Sohn des Stratonides aus dem Demos Deiriadai der Phyle Leontis (Schol. Aristoph; Lysistr. 313), attischer Staatsmann und Feldherr in der zweiten Hälfte des Peloponnesischen Krieges. Nach dem abfälligen Bericht des Redners von [Lys.] XX 11 war er von niederer, ländlicher Herkunft; er habe, so heißt es, in seiner Jugend das Vieh gehütet und später in der Stadt das Gewerbe eines Sykophanten betrieben, was in dem Advokatenjargon der damaligen Zeit nur bedeutet, daß er sich als Parteimann im politischen Leben betätigte, wozu er nach dem Zeugnis des Thukydides nicht unbefähigt war (οὐκ ἀξύνετος ὢν εἶναι ἔδοξε VIII 27, 5). Zum erstenmal wird er Frühjahr 422 von Aristophanes in den Wespen v. 1302 erwähnt, wo er als das Haupt einer Clique von jungen Männern erscheint, in die Philokleon beim Gastmahl hineingerät. Als seine Genossen werden Lykon, Lysistrates, Theophrastos und Antiphon genannt, wobei es dahingestellt bleiben muß, ob es sich bei diesem um den berühmten Redner handelt oder den Sohn des Lysonides, der später unter den Dreißig hingerichtet ward (s. o. Bd. I S. 2526). Jedenfalls gehörte P. zur oligarchischen Partei, wenn auch nicht zu ihren extremen Vertretern. Zehn Jahre später im Frühjahr 412 ward er zum Feldherm gewählt und ging Ende Sommer desselben Jahres zusammen mit Skironides und einer beträchtlichen Verstärkung nach Samos ab (Thuk. VIII 25. 1), wo sich die Flotte nach einem siegreichen Gefecht gerade zum Angriff auf Milet anschickte. Allein gleichzeitig erhielten auch die Spartaner in Milet eine bedeutende Verstärkung und in dem Kriegsrat, der darauf folgte, widersetzte sich P. dem Verlangen der übrigen Feldherrn, die trotz der feindlichen Übermacht losschlagen wollten, indem er ausführte, daß man [908] sich in der gegenwärtigen kritischen Lage Athens nur dann auf eine Entscheidung einlassen könne, wenn der Sieg ganz sicher sei: jeder Mißerfolg könne verhängnisvoll werden (Thuk. VIII 27, 1-5). Mit dieser verständigen Ansicht drang er auch durch und die Flotte zog sich nach Samos zurück, wodurch freilich Iasos verloren ging, das von den Lakedaimoniern genommen ward (c. 28). P. blieb nun bei der Flotte, wo er unter den höheren Offizieren manche Gesinnungsgenossen fand, die mit der gegenwärtigen Lage unzufrieden und daher sofort zu allem bereit waren, als im Beginn des Winters die Umtriebe des Alkibiades unter den Flottenoffizieren begannen (Nov /Dez. 412, die Zeit nach Ed. Meyer G. d. A. IV 582). In der daraufhin abgehaltenen Versammlung trat P. sehr energisch gegen jede Umsturzbewegung auf und mahnte zur Einigkeit, die jetzt vor allem not tue; Alkibiades sei ein sehr unzuverlässiger Patron, der außerdem die politische Lage, sowie die Stimmung am persischen Hofe wie unter den attischen Bundesgenossen ganz falsch beurteile (c. 48, 4-7). Allein diesmal hatte P. kein Glück; die Versammlung schickte Peisandros nach Athen, der dort Alkibiades’ Rückkehr und den Sturz der Demokratie betreiben sollte. Für P.‚ der sich so scharf gegen Alkibiades und den Umsturz ausgesprochen hatte, war dieser Beschluß recht unbequem und er griff deshalb zur List, indem er die Stellung des Alkibiades bei den Persern und im spartanischen Heer zu erschüttern suchte: er wandte sich im geheimen an den spartanischen Admiral Astyochos und unterrichtete ihn über die zweideutige Rolle, die Alkibiades am Hofe des persischen Satrapen spiele. Der Spartaner aber hatte nichts Eiligeres zu tun, als die ganze Sache Tissaphernes und Alkibiades zu unterbreiten, worauf dieser aufs höchste erbittert von den Mitverschworenen in Samos P.’ Beseitigung forderte (c. 50‚ 1–4). In dieser gefährlichen Lage entschloß sich P. zu einem zweiten, sehr gewagten Schritt: er wandte sich abermals an den spartanischen Admiral und erbot sich, das ungeschützte Samos und die athenische Flotte dem Feinde in die Hände zu liefern, wobei er damit rechnete, daß Astyochos auch hiervon am persischen Hofe Mitteilung machen würde, was auch sofort geschah. Inzwischen aber verlangte P. im Kriegsrat, daß die Stadt Samos sofort befestigt würde, da er Nachrichten habe, wonach ein feindlicher Überfall unmittelbar bevorstehe; er drang auch damit durch und ordnete dann persönlich alles Nötige an, so daß Samos binnen kurzem eine vollständige Befestigung erhielt (c. 51, 1-2). Als dann Alkibiades’ Brief anlangte, in dem er P.’ Verrat enthüllte, verpuffte er völlig wirkungslos und diente nur dazu, Mißtrauen gegen Alkibiades zu erregen, so daß P. ganz unbehelligt blieb. Inzwischen aber hatte Peisandros in Athen das seinige getan, um den unbequemen Mann loszuwerden, hauptsächlich indem er ihm die Schuld an dem Verlust von Iasos zuschob (c. 54, 3); worauf der Demos ihn und Skironides absetzte und an ihrer Stelle Leon und Diomedon entsandte. Beide langten zugleich mit Peisandros beim Heere in Samos an (c. 54, 4 etwa Febr. 411), worauf P. sich genötigt sah, nach Athen zurückzukehren. Hier angelangt mußte er sich bald davon überzeugen, [909] daß der Umsturz bereits im Gange und nicht mehr aufzuhalten war: er schloß sich daher, zumal die Rückberufung des Alkibiades seit dem Mißerfolg von Peisandros’ Gesandtschaft bei Tissaphernes nicht mehr auf ihrem Programm stand, rückhaltlos der Bewegung an (Thuk. VIII 68, 3, und gelangte bald nach außen hin an ihre Spitze (Aristot. pol. 1305 b 27)‚ während nach dem Zeugnis des Thukydides Antiphon das geistige Haupt der Bewegung war. Wenigstens den Zeitgenossen galt er als der Hauptführer und die Einsetzung der Vierhundert als sein Werk (Thuk. VIII 68, 3. Lys. XXV 29. Aristoph. Ran. 689) und ebenso urteilt auch Aristoteles an der angeführten Stelle, während er in der Polit. Athen. c. 32, 2 P. nicht einmal dem Namen nach erwähnt. Als dann bald darauf die Herrschaft der Vierhundert infolge der ablehnenden Haltung des Heeres auf Samos ins Wanken geriet, griff er zum äußersten Mittel und ging mit Antiphon zusammen über Dekeleia nach Lakedaimon, um unter allen Umständen einen Ausgleich mit den Lakedaimoniern zu finden, kehrte aber unverrichteter Dinge heim. Unmittelbar nach seiner Rückkehr ward P. von einem Sicherheitspolizisten (τῶν περιπόλων τις Thuk. VIII 90, 1-2) auf offenem Markt am hellichten Tage ermordet (etwa August 411).
Über die Vorgänge bei der Ermordung des P. liegen uns drei Berichte vor, die zum Teil voneinander abweichen, Thuk. VIII 92, 2. Lys. XIII 70-76 und Lykurg. Leokr. 112f.; der vierte bei Plut. Alc. 25 (vgl. Suid. s. (Φρυνίχου παλαίσματα) ist nichts weiter als ein Auszug aus Thukydides mit einer falschen Angabe über den Mörder am Schluß, die aus einer Verbindung von Thuk. c. 92, 2 mit § 5 entstanden ist (Ed. Meyer G. d. A. IV 597 A.), wobei es zweifelhaft bleibt, ob der Irrtum Plutarch selbst oder seinem Mittelsmann in Rechnung zu stellen ist. Dazu kommt die Inschrift IG² 8 57 = Syll.³ 108, das Ehrendekret für den Mörder, das merkwürdigerweise erst 18 Monate nach der Tat erlassen ist. Nach Thukydides geschah die vorher geplante Tat am hellen Mittag auf offenem Markt nicht weit vom Rathaus; der Mörder, ein Sicherheitspolizist, der wohl an seiner Amtsausrüstung erkannt ward, entkam. Dagegen ward sein Begleiter, ein Argiver, ergriffen und verhört; da er aber den Anstifter nicht nennen und auch sonst nur Belangloses aussagen konnte, ließen die Vierhundert, die andere Sorgen im Kopf hatten, die Sache fallen (§ 2 οὐδενὸς γεγενημένου ἀπ’ αὐτοῦ νεωτέρου). Damit stimmt Lys. im wesentlichen überein; auch er spricht von einem Komplott, nennt aber die Namen der Täter, Thrasybul von Kalydon als den eigentlichen Mörder, und Apollodor von Megara; beide entkamen in dem entstandenen Auflauf. Dagegen behauptet Lykurg, der Mord sei nachts verübt, und zwar ‚an der Quelle im Weidengebüsch‘, also an einem ziemlich abgelegenen Orte, wozu dann freilich nicht recht stimmt, daß die beiden Täter sofort auf frischer Tat ergriffen und ins Gefängnis geworfen werden. Dagegen machen die weiteren Angaben des Redners einen durchaus glaubhaften Eindruck. Danach wurden die Gefangenen vom Volk befreit und eine Untersuchung ward angestellt, die den Verrat des P. ergab. Die Leiche des P. ward darauf ausgegraben und über [910] die Landesgrenze geschafft (§ 113), alles auf Antrag des Kritias, wohl des späteren Häuptlings der Dreißig, der freilich allen Grund hatte, jetzt den Oligarchenfeind zu spielen, da wenn nicht er selbst, so doch sicher sein Vater Kallaischros Mitglied der Vierhundert gewesen war. Dasselbe berichtet der Schol. zu Aristoph. Lysistr. 313, der noch die Zerstörung des Hauses hinzufügt; das Urteil war auf einer Erztafel aufgezeichnet (Plut. vit. X orat. 834 b). Läßt man die Angabe Lykurgs über Zeit und Ort, die wohl auf einer Verwechslung oder auf Ausschmückung beruht, beiseite, so ergibt sich etwa folgender Hergang. Es hatte sich eine Verschwörung gebildet, die P. als das anerkannte Haupt der Vierhundert beseitigen wollte. Die Tat ward von Thrasybul ausgeführt, der sich in Begleitung Apollodors befand, und zwar auf offenem Markt in der Nähe des Rathauses gegen Mittag. Die Täter entkamen im entstandenen Auflauf, blieben also zunächst unbekannt und hatten auch allen Grund, sich in Verborgenheit zu halten. In dieser Form ward der Hergang Thukydides, der sich nicht in Athen befand, berichtet und von ihm in seine Darstellung eingetragen. Erst nach dem Sturz der Vierhundert, als die Prozesse gegen sie begannen, bekannten sich die Mörder öffentlich zu ihrer Tat; sie wurden zunächst in Untersuchungshaft genommen, aber vom Demos befreit, der nunmehr gegen P. eine Untersuchung verlangte. Dabei kamen nun die mannigfachen Verfehlungen des P. ans Licht, insbesondere auch die zweideutige Rolle, die er in Samos gespielt hatte, die Φρυνίχου παλαίσματα, auf die Aristoph. Ran. 689 anspielt (vgl. Schol. z. d. Stelle, Suid. s. v. und die Parömiographen Diogenian VIII 29. Apost. XIX 39. XX 40. Hesych. s. v.). Jedenfalls hat der Dichter den Prozeß, der damals großes Aufsehen erregte, mit erlebt und ebenso Lysias, der sich ebenfalls damals in Athen befand und daher seine genaue Kenntnis schöpfte. Aber auch Thukydides muß er bekannt geworden sein, wie seine Kenntnis der samischen Vorgänge beweist, aber er hat seine Darstellung in c. 92, 1—2 nicht danach ergänzt, entweder weil er es für unnötig hielt oder weil er nicht mehr dazu gekommen ist. Es fragt sich nur, wann der Prozeß stattgefunden hat, der jedenfalls mit dem Prozeß gegen Antiphon, Archeptolemos und Onomakles zusammenhängt, aber wie es scheint, kurz vorher verhandelt ist (Plut vit. X or. 834 b am Ende). Nun fällt der Ratsbeschluß über die Verfolgung der drei (Plut. a. O.) noch unter Theopomp, aber wahrscheinlich ganz ans Ende, d. h. Juni 410. Mit der Fahndung wird längere Zeit vergangen sein, ehe man beschloß, auf Onomakles’ Ergreifung zu verzichten; die Prozesse werden also kaum vor dem Winter 410/09 zur Verhandlung gekommen sein, wodurch es sich auch erklärt, daß das Ehrendekret für Thrasybul IG I 59 = Syll.³ 108 erst 18 Monate nach der Tat ausgefertigt ist. Fraglich ist nur, wie sich dies Dekret zu den von Lysias XIII nach § 71 und 72 verlesenen verhält. Das nach § 71 ist es nicht, da in diesem nach Lysias’ Worten Thrasybul und Apollodor zusammen genannt und der Name des Agoratos nicht erwähnt war; beides trifft auf IG² I 59 nicht zu. Dagegen könnte es mit dem nach § 72 [911] verlesenen identisch sein, da in ihm auf dasselbe betrügerische Manöver Bezug genommen wird, das auch Lysias § 72 erwähnt. Genaueres läßt sich wegen der Lücke im Text des Lysias nicht sagen.
Unter den verlorengegangenen Reden des Lysias befand sich nach Blaß Att. Bereds. I 166 (bei Harp.) auch eine mit der Bezeichnung περὶ τῆς Φρυνίχου θυγατέρος. Danach scheint es, daß P. verheiratet war und eine Tochter hatte, die jedenfalls durch die Einziehung des väterlichen Vermögens (Schol. Aristoph. Lys. 313) schwer betroffen war.
Quellen a) Zeitgenössische: Aristoph. Vesp. 1302. 1490; Ran. 689. Thuk. VIII 25, 1ff. - 92‚ 2. Lys. XIII 70-76. XX 9-11. XXV 9. IG² I 59 = Syll.³ 108.
b) Spätere: Lyc. Leocr. 112ff.
c) Abgeleitete: Plut. Alc. 25. Polyain. III 6. Suid. s. Φρυνίχου παλαίσματα (Adler IV 707). Hesych. desgl. Schol. Aristoph. Vesp. 1302; Lysistr. 313; Ran. 689.
Neuere Darstellungen. Ed. Meyer G. d. A. IV 373 A. 561. 566. 576ff. (1901). Busolt GG III 2, 1434ff. 1460ff., bes. 1503 mit A. 1 (1904). Beloch GG II² 1, 279. 282 (1914), der aber seine Tätigkeit in Samos übergeht. Vgl. auch Kirchner Prosop. Att. 15008.
[Thomas Lenschau.]
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