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6) Vornehmer Makedone, Sohn des Kerastos aus der Landschaft Orestis (Joseph. Ant. XI 8, 1. XIX 13, 1) einer der ἑταῖροι, bei Diod. XVI 93, 4 σωματοφύλαξ bei Pap. Oxy. I 12 col. III 24 δορυφόρος, also ein Offizier aus dem Stabe König Philipps, den er bei den Hochzeitsfeierlichkeiten seiner Tochter mit Alexander von Epeiros im Herbst 336 zu Aigai ermordete.

Über diesen Vorgang besitzen wir neben Einzelerwähnungen mehrere unabhängige Berichte, von denen der erste bei Diod. XVI 93, 4–94, 6 zu finden ist. Danach war P. wegen seiner Schönheit ein Liebling des Königs gewesen; als dieser aber dann seine Neigung einem anderen Jüngling zuwandte, der denselben Namen trug, ließ sich P. zu einer sehr gehässigen Beschimpfung seines Nebenbuhlers hinreißen, die diesen so tief verletzte, daß er den Tod suchte und auch bald darauf im Kampf gegen die Illyrier fand, als er mit seinem Leibe den König gegen die feindliehen Geschosse deckte. Vorher hatte er den ihm zugefügten Schimpf dem ihm befreundeten Attalos mitgeteilt, und dieser beschloß, den Toten an dem Schänder seiner Ehre zu rächen. Er lud P. zum Gastmahl ein, machte ihn vollständig betrunken und gab ihn in diesem Zustand seinem Stallpersonal preis. Als P. von seinem Rausch erwachte und nun inne ward, was mit ihm geschehen war, war er aufs tiefste empört, und da er sich wohl an dem hochgestellten Attalos [2399] nicht rächen konnte, verklagte er ihn beim König und verlangte von ihm Attalos’ Bestrafung. Dadurch geriet nun Philipp in eine unangenehme Verlegenheit; er mochte gegen den Oheim seiner zweiten Gemahlin und hochgestellten Offizier, dem er erst kürzlich mit Parmenion zusammen die Führung des Expeditionskorps nach Asien anvertraut hatte, nicht vorgehen und suchte deshalb P. durch Geschenke und Beförderung zu beruhigen. Dieser aber, als er sah, daß er vom König sein Recht nicht erlangen würde, wandte seinen Haß nun auf diesen und, gereizt durch die hetzerischen Reden des griechischen Philosophen Hermokrates, beschloß er, den König zu töten. Die Gelegenheit bot sich ihm während der Hochzeitsfeierlichkeiten, als der König, der sein Gefolge vorausgehen ließ, allein das Theater betrat: P. stürzte auf ihn zu und streckte ihn durch einen wohlgezielten Dolchstoß tot zu Boden. In der entstehenden Verwirrung flüchtete er und hatte die bereitgestellten Pferde bereits erreicht, als er sich beim Aufsteigen in eine Ranke verwickelte (s. Berve 309) und nun von den Leibwächtern Leonnatos, Perdikkas und Attalos erreicht wurde, die ihn sofort niederstießen. So weit der Bericht Diodors, der die bestimmte Absicht erkennen läßt, die ganze Schuld dem Mörder zuzuschieben. Er ist es, der durch seine Beschimpfung des Rivalen das Schicksal ins Rollen bringt. Dieser zweite P. ist nur erfunden, um das rüde Benehmen des Attalos zu erklären, und wird dann durch seinen Heldentod wieder beseitigt; auch der griechische Philosoph mit seinem verhängnisvollen Einfluß wird nicht vergessen. Dagegen wird Philipps Benehmen mit seiner Zwangslage entschuldigt und von den tiefgehenden Zerwürfnissen in der königlichen Familie, die dem Mord vorausgingen, fällt kein Wort. Mit einem Wort, es ist der offizielle am Hofe umgehende Bericht, dem deswegen auch Aristoteles folgt, wenn er polit. VIII 5, 10, 1311 b die Tat unter die Tyrannenmorde rechnet, die allein aus persönlichen Rachemotiven entstanden sind; als er die Worte niederschrieb, waren noch einige der Beteiligten am Leben, worauf der Philosoph Rücksicht zu nehmen hatte.

Ganz anders der zweite Bericht, der sich bei Iustin. IX 6, 4—7, 14 findet. Von dem zweiten Pausanias und dem griechischen Philosophen ist hier keine Rede, die Gemeinheit des Attalos ist unmotiviert und liegt schon Jahre zurück (§ 5); der König weist P. trotz vielfachen Anliegens immer wieder ab und verhöhnt ihn noch dazu (§ 8); im Augenblick der Tat ist er nicht allein, sondern betritt zwischen seinem Sohn und Schwiegersohn von beiden geleitet das Theater (§ 3); endlich, der Mörder wird nicht auf der Flucht ereilt und sofort niedergestoßen, sondern endet, wie man im Verlauf der weiteren Darstellung erfährt, am Kreuz (P. caput in cruce pendentis c. 7, 10). Und gerade in diesem Punkt stimmt nun der dritte Hauptzeuge, ein ungenannter Historiker bei Grenfell-Hunt Pap. Oxy. 1798, der von Wilcken S.-Ber. Akad. Berl. 1923, 151 mit großem Scharfsinn behandelt und ergänzt ist, mit Iustin überein. Weiter ersieht man aus ihm, daß damals noch mehrere andere Personen das Schicksal des P. [2400] geteilt haben, und zwar auf das Urteil der makedonischen Heeresversammlung hin, der Alexander auch später die Entscheidung überlassen hat, wenn es sich um Verbrechen gegen sein Leben handelte, wie in dem Pagenprozeß des Hermolaos (Arr. IV 10, 2). Aus dem Vorstehenden ergibt sich also, daß P. nach seiner Ergreifung noch einem Verhör unterworfen ward, in dem noch mehrere Personen bloßgestellt wurden, die dann auch von der Heeresversammlung abgeurteilt dasselbe Schicksal erlitten, wie P.

Daß dieser Bericht dem offiziellen Diodors vorzuziehen ist, liegt auf der Hand; damit aber rückt der ganze Vorgang in ein ganz anderes Licht. Philipp ist also nicht allein dem Rachegefühl des P. zum Opfer gefallen, sondern einer vielleicht weitverzweigten Verschwörung, die sich des P. als Werkzeug bediente. Die Gründe für diese Annahme hat Beloch III² 1, 605ff. sehr klar auseinandergesetzt und auch das Vorhandensein einer alexanderfeindlichen Stimmung im Volke hervorgehoben (Plut. d. Alex. fort. c. 8 p. 387. Curt. VI 9, 17) auch Kaerst Hellenismus I³ 317 und Berve Alexanderreich schließen sich ihm an (II 309). Für die Teilnahme an der Verschwörung kommen nach allen dreien die Brüder aus dem von Philipp abgesetzten lynkestischen Herrscherhause in Betracht, die damals mit Ausnahme des jüngsten ebenfalls hingerichtet worden sind, und ebenso der persische Minister Bagoas, wie Willrich a. O. gezeigt hat; Hauptfrage aber ist, ob auch Olympias und sogar Alexander selbst beteiligt waren, wie das Iustin berichtet. Für Olympias hat das seinerzeit schon Ulrich Köhler S.-Ber. Akad. Berl. 1892 behauptet; sie hat aber in Willrich Herm. XXXIV 174ff. einen Verteidiger gefunden, und so viel ist jedenfalls zuzugeben, daß sich ein juristisch haltbarer Beweis nicht führen läßt Lediglich Iustins Bemerkung, daß sie es war, die die Pferde zur Flucht des P. bereitstellte, würde gegen sie ins Gewicht fallen, wenn sie besser bezeugt wäre; alles andere, was Iustin anführt, bezeugt nur ihre Freude über den Tod des Gemahls, der ihre Ehre als Gattin ebenso andauernd wie gröblich verletzt hatte. Aber es gab einen zweiten Punkt, in dem Olympias noch viel empfindlicher war, und das war sie gegenüber allen Ereignissen und Entwicklungen, die die Erbfolge ihres Sohnes Alexander in Frage stellen konnten, und da glaubte sie auch allen Grund zu haben, das Schlimmste zu befürchten. Wenn sich ein Mann wie Attalos mit seiner taktlosen Bemerkung (Plut. Alex. 10) bereits an die Öffentlichkeit wagte, was dann erneut einen schweren Zusammenstoß zwischen Vater und Sohn nach sich zog, so konnte man nach all den vorangegangenen Zerwürfnissen mit einer unvorhergesehenen Sinnesänderung Philipps rechnen, die dann am sichersten durch seinen plötzlichen Tod verhindert ward. Insofern ist also eine Beteiligung an der Verschwörung bei Olympias nicht unwahrscheinlich, vgl. auch Strasburger o. Bd. XVIII S. 178. Anders liegt die Sache bei Alexander selber. Daß alles das, was an Äußerungen und Handlungen über ihn bei Iustin. IX 7 und Plut. Alex. 10 berichtet wird, nicht genügt, auch nur den leisesten Verdacht [2401] der Mittäterschaft auf ihn zu werfen, sollte ohne weiteres klar sein. Aber möglich wäre es doch, daß Alexander im Gespräch mit der Mutter auf deren Bitte hin, ihr die Auseinandersetzung mit Philipp zu überlassen und alles, was ihm selbst übel ausgelegt werden konnte, zu vermeiden, sich absichtlich von der Sache ferngehalten und dem Schicksal seinen Lauf gelassen hat. Die Entscheidung in dieser Frage wird stets subjektiv bleiben müssen und von der Gesamtbeurteilung abhängen, die man sich über Alexanders Charaker gebildet hat; es ist daher nur folgerichtig, wenn Droysen, Kaerst und Wilcken jeden Verdacht gegen Alexander von vornherein abweisen, während Beloch, der ja überhaupt Alexander nicht so günstig beurteilt, einer weniger wohlwollenden Auffassung zuneigt, wie seine, übrigens an sich vollkommen richtige Bemerkung auf S. 607 eben zu beweisen scheint, daß Alexander es war, der die Früchte des Verbrechens erntete.

Quellen: Diod. XVI 93, 4–94, 4. Iustin. IX 6, 4–7, 14. Pap. Oxy. ed. Grenfell-Hunt nr. 1798; dazu noch Einzelstellen wie Paus. VIII 7, 7 und Plut. Alex. 9–10. Ailian. var. hist. III 45 u. a.

Neuere Bearbeitungen: nach Droysen Gesch. d. Hellenismus I. Ulrich Koehler S.-Ber. Akad. Berl. 1892. H. Willrich Herm. XXXIV 174ff. (1899). Beloch GG III² 1, 605ff. U. Wilcken S.-Ber. Akad. Berl. 1923, 151ff. H. Berve Das Alexanderreich II 308/09. U. Wilcken Alexander d. Gr. 53ff. (1931). Kaerst Gesch. d. Hellenismus P 316f., ferner Cambr. Anc. Hist. VI 268 (Tarn) und Glotz Hist. grecque IV.
[Thomas Lenschau.]

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