ART

Numitor (Νεμέτωρ, Νομήτωρ, Νομίτωρ, Νουμίτωρ), römischer Eigenname nach etr. Numa (W. Schulze Eigennamen 200 u. ö.).

1) König von Alba, durch seine Tochter Rea Silvia (Ilia) Großvater des Romulus und Remus. Hauptquellen: Liv. I 3, 10ff. Dion. Hal. ant. I 71, 4f. 76, 1ff. Strab. V 229. Diod. VIII 3. Plut. Rom. 3ff. (danach Zonar. VII 1 p. 314 A ff.). Ps.-Plut. parall. 36 p. 314 F (angeblich nach Aristeides von Milet, frg. 19 M.). Appian. reg. 1, 2. Polyain. VIII II. Cass. Dio frg. 3, 10ff. Iust. XLIII 2, 1ff. Origo g. R. 19ff. Vir. ill. 1, 1ff. Serv. Aen. I 273. Lyd. mens. IV 150. Die Sage wird von Dion. Hal. und Plutarch im großen und ganzen dem Fabius Pictor nacherzählt (frg. 5 P.), dem sich die älteren Annalisten anschlossen (Dion. Hal. I 79, 4 nennt Cincius, Cato, Calpurnius Piso), während die jüngeren sie entscheidend umgestalteten (s. u.). Bei Ennius und Naevius, wo Aeneas als Vater der Ilia erscheint, ist für N. in dieser Funktion kein Platz; beide erwähnten freilich den Amulius (Enn. bei Porphyr. Horat. carm. I 2, 17. Naev. frg. 24 M.; praetext. 5), doch ist ein verwandtschaftlicher Zusammenhang mit Ilia nicht bekannt.

N. ist ein Sohn des Albanerkönigs Procas (Cass. Dio, bei dem Procas in der Königsliste übersprungen ist, nennt statt dessen den Aventinus, s. Cauer Jahrb. f. Philol. Suppl. XV [1887] 160) und älterer Bruder des Amulius. Von diesem wird er der Herrschaft beraubt (nach Konon 48 getötet; von Anschlägen auf sein Leben berichtet auch Appian). Die Geschichte des Bruderzwistes zeigt verschiedene Varianten, die sich ebenso in der Sage von Eteokles und Polyneikes finden (Robert Gr. Heldens. 905ff.) und von dieser beeinflußt sein werden (s. u.). Während bei Livius, Appian u. a. N. nach dem Willen des Vaters alleiniger Thronerbe ist, geht bei Plut. 3, 2 (= Fab. Pictor frg. 5a P., s. aber Mommsen Ges. Schr. IV 21, 4) und Origo g. R. 19, 1ff. die Herrschaft zu gleichen Teilen auf beide über, und Amulius stellt dem älteren Bruder die Wahl zwischen Thron und Vermögen (vgl. Ps.-Isid. chron. 3 = Chron. min. [1403] ed. Mommsen II 379, wo der Teilungsvorschlag von dem sterbenden Vater ausgeht): bei Plutarch wählt N. den Thron, um später von dem mächtig gewordenen Bruder vertrieben zu werden, in der Origo g. R. und bei Ps.-Isid. dagegen das Vermögen, was nach Mommsen 21 ‚insofern ganz verkehrt ist, als dann die Wiedereinsetzung des Königs N. durch seine Enkel ihres Rechtsgrundes verlustig geht‘, aber seine Entsprechung in dem Verhalten des Polyneikes bei Hellanikos 4 F 98 Jac. hat. Auch Strabon und Iustin. setzen eine gemeinsame Regierung der Brüder voraus. Nach Vir. ill. 1, 1 bestimmte Procas, daß sie abwechselnd herrschen sollen: ein Zug, den Mommsen aus dem Consulat erklärte, obwohl v. Wilamowitz eine Nachbildung der thebanischen Sage (Eurip. Phoen. 69ff. Acc. trag. 586 u. a.) für ,ohne weiteres evident‘ hielt (vgl. Mommsen 21, 8 mit Mommsen und v. Wilamowitz Briefwechsel 107). – Um vor späterer Rache sicher zu sein, läßt Amulius den Sohn des N. – er heißt Aigestos (Dion. Hal.), Egestos (Appian), Aigestes (Cass. Dio), Ainitos (Ps.-Plut.) oder Lausus (Ovid. fast. IV 54f.) – auf der Jagd töten und macht die Tochter zur Vestalin (s. Art. Ilia, Rea Silvia). Diese gebiert von Mars den Romulus und Remus, die auf Befehl des Amulius ausgesetzt, aber glücklich gerettet werden. Als sie herangewachsen sind, wird Remus eines Tages von den Hirten des N., mit denen die Brüder in Streit geraten waren, oder von Räubern gefangen, dem Amulius ausgeliefert und von diesem dem N. übergeben. Nach der Anagnorisis wird Amulius erschlagen und N. von seinen Enkeln (oder vom Volk: Livius, Polyain.) wieder in die Königsherrschaft eingesetzt. Vgl. Art. Romulus.

Der Vulgata stellt Dion. Hal. I 84 eine von ,anderen‘ – wohl Annalisten der sullanischen Zeit (Mommsen RF II 9, 25) – vertretene rationalistische Version gegenüber, in der N. eine wesentlich aktivere Rolle spielt. Er schiebt nach der Geburt der Zwillinge andere Kinder unter (Schwegler RG I 398f. vergleicht die Kyrosfabel, Herodot. I 112f.) und gibt jene dem Faustulus zur Pflege (§ 2, vgl. Plut. 6, 1. Origo g. R. 19, 7 [angeblich nach M. Octavius und Licinius Macer] sowie 21, 1 [Valerius Antias], wo er den Faustulus, der die Kinder töten soll, bittet, den Befehl nicht auszuführen, und sie der Acca Larentia übergibt). Später läßt er sie in Gabii erziehen (§ 3, vgl. Plut. a. O.; fort. Rom. 8 p. 320 E. Origo g. R. 21, 3. Steph. Byz. s. Τάβιοι). N. ist es, der den Streit mit seinen eigenen Hirten inszeniert, um dann von Amulius die Auslieferung der Schuldigen zu fordern und mit den Enkeln zusammen die Rache auszuführen (§ 6ff., vgl. u.). Zu diesem Bild des N., das zu dem milden und passiven Charakter der älteren Sage (Appian: ἡ τῶν ἠθῶν ... πραότης καὶ ἡ πολλὴ ἐπιείκεια, vgl. auch Origo g. R. 19, 3) einen starken Gegensatz darstellt, paßt die weitere Erzählung des Dion. Hal., wo N. eine Neuordnung von Alba vornimmt (I 85, 1), das Stadtgründungsaugurium von Rom (I 86, 1, vgl. Origo g. R. 23, 1) und den Raub der Sabinerinnen veranlaßt (II 30, 2) und überhaupt als Ratgeber des Romulus fungiert (II 3, 1. 4, 1). Auch in dem von jüngeren Zügen durchsetzten Referat über Fabius Pictor weist das überlegte [1404] Handeln des N. (λογισμῷ δὲ κρείττονι τοῦ πάθους χρώμενος) bei dem Tod des Sohnes sowie bei der Beseitigung und späteren Niederkunft der Tochter (Dion. Hal. I 76, 3f. 78, 3ff.) auf den Typus der späteren Sage, und die aktive Mitwirkung beim Königsmord (I 82, 1), wie sie auch bei Livius, Diodor, Iustin, Polyainos vorausgesetzt wird, stimmt zu der Version der Modernen (I 84, 8, s. o.).

Nach Serv. Aen. VI 767 war N. der 13. König von Alba; s. über die Königslisten Cauer 153ff. usw. Augustin sagt, er habe nach der Gründung von Rom mit Romulus zusammen regiert (civ. XVIII 21). In der Nachricht, daß er von dem Enkel erschlagen worden sei (Oros. hist. II 4, 3), liegt eine Verwechslung mit Amulius vor.

Vgl. Aust Myth. Lex. III 478ff. (dort S. 482 über bildliche Darstellungen des N.).
[Groag.]

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