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Maroboduus, der Markomannenkönig. Von der bei Tacitus, Velleius und in den meisten Hss. Strabons überlieferten Namensform finden sich nur einzelne Abweichungen: Marobodus Suet. Tib. 37, 4. Epit. de Caes. 2, 8. Vict. Caes. 2, 4, Strabon, der in einigen Hss. μαροβούδου, in einer βαροβούδου bietet; vgl. Ptolem. Geogr. II 11, 14 Μαρόβουδον (Μαρόβουνον). Gegenüber der vorherrschenden Ansicht, daß der Name germanisch sei, tritt Schönfeld Wörterbuch der altgermanischen Personen- und Völkernamen für Ableitung aus dem Keltischen ein; vgl. S. Feist Germanen und Kelten (1927) S. 15 Anm. M. stammte aus edlem markomannischem Geschlecht, war als junger Mann nach Rom gekommen und hatte dort die Gunst des Kaisers Augustus erworben. Nach der Rückkehr in seine Heimat führte er sein Volk, um es von der drohenden Umklammerung der Römer zu befreien, aus seinen bisherigen Wohnsitzen am Main ostwärts in das heutige Böhmen (Boiohaemum Vell., vgl. Βαινoχαῖμαι Ptolem. Geogr. II 11, 10), das seit dem Abzug der Boier menschenarm geblieben war, Vell. II 108. Strab. VII 1, 3, 290. Tac. Germ. 42; ann. II 45 wird dem Arminius der Vorwurf fugax für M. in den Mund gelegt. Die Einwanderung der Markomannen unter M.s Führung erfolgte wohl bald nach der Besiegung dieses [1908] Volkes durch Drusus im J. 9 v. Chr. (s. o. Bd. III S. 2713); vgl. auch v. Premerstein Österr. Jahresh. VII 234, 80. M. erlangte nun, wohl mit Zustimmung Roms, das sein Land als Vasallenstaat betrachten mochte (vgl. Premerstein 235), die Köngswürde und begründete durch Unterwerfung auch anderer germanischer Stämme ein großes mächtiges Reich. Strabon nennt unter den ihm botmäßigen Völkern die Lugier (überliefert Λουίους), die Zumer (sonst nicht bekannt; man hat dafür Buri und anderes einsetzen wollen), die Mugilonen (gleichfalls unbekannt), die Sibiner (nicht sicher zu deuten) und möglicherweise die Semnonen (diese auch bei Tac. ann. II 45), vielleicht auch die Goten (allerdings ist auch hier βούτωνες und βούτονας, nicht Γούτωνας überliefert, und es wird gegen die Änderung der überlieferten Namensform geltend gemacht, daß die Goten doch unabhängig gewesen sein müssen, weil sonst Catualda nicht hätte zu ihnen flüchten können, vgl. L. Schmidt Gesch. d. deutschen Stämme I 52. II 167). Außerdem erfahren wir aus Tac. ann. II 45. 46, daß wenigstens in späterer Zeit auch die Langobarden dem M. unterstanden. Mancher von den deutschen Stämmen wird es vorgezogen haben, sich ihm anzuschließen, statt den Römern zu gehorchen. So scheint sich sein Reich über Böhmen, Mähren, Schlesien und nördlich davon von der Elbe bis zur Weichsel erstreckt zu haben; die Südgrenze war vom Kamm der Alpen, soweit sie Italien begrenzen, nur 200 Millien (rund 350 km) entfernt (Vell. II 109, 4). Auch verstand es M., seine Herrschaft straff zu organisieren, wobei er sich auf ein nach den Grundsätzen der römischen Disziplin ausgebildetes Heer stützen konnte, das nach Vell. II 109 eine Stärke von 70 000 Mann zu Fuß und 4000 Reitern erreichte. So bildete das Markomannenreich unter M. eine ansehnliche Militärmacht, die für die Römer eine ständige Gefahr bedeutete. Dabei war sein Verhalten dem römischen Reich gegenüber keineswegs ganz klar. Ohne selbst Rom anzugreifen, ließ er doch erkennen, daß es nicht geraten wäre, ihn zu reizen. Die Sprache seiner Gesandtschaften in Rom wechselte je nach Bedarf zwischen der Unterwürfigkeit eines Bittstellers und dem Stolz dessen, der sich als Gleicher unter Gleichen fühlt. Aber er verschmähte es auch nicht, sich durch Absendung reicher Geschenke um ein Bündnis mit Rom zu bewerben (Tac. ann. II 45, vgl. 63). Dennoch fanden wiederholt ganze Völker sowie einzelne, die von Rom abfielen, Zuflucht bei ihm, Vell. a. a. O.
Auf die Dauer konnte Rom den Bestand eines so starken Germanenreiches, des einzigen, das noch unbesiegt dastand (Vell. II 108, 1), an seinen Grenzen nicht dulden, das überdies der beabsichtigten Erweiterung und Abrundung des römischen Germanien im Wege stand. Daher wurde eine Besetzung des Markomannenlandes durch römische Truppen geplant. In konzentriertem Angriff sollte C. Sentius Saturninus von Westen her, vom Chattenlande, nach der Rodung der Wälder im hercynischen Gebirge die Legionen nach Boiohaemum führen, Tiberius von Carnuntum her mit den pannonischen Truppen gegen die Markomannen vordringen (Vell. II 109, 5); nicht weniger [1909] als 12 Legionen wurden gegen M. aufgeboten (Tac. ann. II 46). Nur wenige Tage fehlten noch zur Vereinigung der beiden Heere; da brach im Rücken des Tiberius der gefährliche Aufstand der Pannonier und Dalmater aus, Vell. II 110, 1. 2. Diese höchst gespannte Situation nützte M. nur soweit aus, daß er die Römer dazu brachte, ein Friedensbündnis mit ihm einzugehen und so den früheren Freundschaftsvertrag zu erneuern, Tac. ann. II 26. 46 (condicionibus aequis discessum; es ist natürlich wohl zu unterscheiden von dem früher erwähnten Bündnis, um das M. selbst angesucht hatte, Tac. ann. II 45). Dio LV 28, 7. 29, 1. Vgl. Groag u. Bd. II A S. 1523-1525. Solches Vorgehen wurde ihm von seinen Gegnern als Verrat an dem gemeinsamen Vaterlande vorgeworfen, Tac. ann. II 45.
M. änderte seine Haltung auch später nicht. Als nach der Schlacht im Teutoburgerwalde der Leichnam des P. Quinctilius Varus geschändet und das abgetrennte Haupt an M. gesandt wurde, wohl um auch ihn zum gemeinsamen Befreiungskampf aufzufordern, lieferte er es dem Kaiser zur Beisetzung aus, Vell. II 119, 5. So hatte M. in der Schicksalstunde des deutschen Volkes versagt. Doch verschaffte ihm das alles nicht die Freundschaft der Römer, denen er übrigens selbst keinerlei werktätige Hilfe leistete (Tac. ann. II 46), und schadete seinem Ansehen bei den eigenen Volksgenossen, während Arminius als Vorkämpfer der Freiheit gefeiert wurde. Das zeigte sich, als im J. 17 n. Chr. nach der Abberufung des Germanicus der Krieg zwischen Cheruskern und Sueben ausbrach. Arminius gewann nicht nur die bisherigen Bundesgenossen der Cherusker, sondern auch einige von den Völkern, die bisher M.s Oberhoheit anerkannt hatten, wie die Semnonen und Langobarden, fielen von ihm ab. Andererseits trat zu M. Armins Oheim Inguiomerus über, weil er sich nicht dem Befehle des Neffen unterordnen wollte. Mit großer Erbitterung und Heftigkeit kämpften die beiden Völker gegeneinander, lange unentschieden, bis M. durch Abbruch des Kampfes seine Niederlage eingestand. Nun mehrte sich die Abfallsbewegung unter seinen Truppen; er war genötigt, sich auf sein Kernland zurückzuziehen, und wandte sich an Tiberius um Hilfe. Da erst mußte er erkennen, daß ihm alle seine Mäßigung Rom gegenüber nichts genützt hatte. Man warf ihm gerade seine neutrale Haltung in den Kämpfen der Römer gegen die Cherusker vor und verweigerte ihm die Hilfe gegen dieses Volk. Des Kaisers Sohn Drusus wurde mit der Aufgabe betraut, die Beziehungen zu den Germanen zu regeln. Mittlerweile hatten sich auch andere, die sich bisher M. nur widerwillig gefügt hatten, erhoben und manche, die von ihm Übles erfahren hatten, hielten die Gelegenheit zur Rache für gekommen. Catualda, ein markomannischer Edeling, der bei den Goten Zuflucht gefunden hatte (vgl. L. Schmidt Herm. XLVIII 292) fiel (von Tiberius angestiftet? S. L. Schmidt Gesch. d. deutsch. Stämme II 170) in das Herz des Markomannenlandes ein und brachte andere vornehme Markomannen zum Abfall. Sie eroberten die königliche Residenz M.s (auch sie wird Boihemum oder Boihaemum genannt, Tac. Germ. 28. Βουίαιμον Strab. a. a. O.) [1910] und zwangen ihn zur Flucht. M. ging über die Donau nach Noricum und bat um den Schutz des Kaisers, um in seine frühere Stellung eingesetzt zu werden, erfuhr aber eine ablehnende Antwort und mußte froh sein, daß ihm das Leben zugesichert und ein geschützter Aufenthalt in Ravenna angewiesen wurde; hier verbrachte er die letzten 18 J. seines Lebens, Tac. ann. II 45. 46. 62. 63. 88. Diese Ereignisse gehören auch noch in die J. 18 und 19; Nipperdeys Umstellung der Kapitel 59–61 zwischen 67 und 68 befriedigt nicht, weil so zwar das J. 18 durch Ereignisse ausgefüllt wäre, aber hinwieder im J. 19 keine Tat von dort berichtet würde, während Drusus erst am 28. Mai 20 die Ovatio feierte, und zwar ob res priore aestate gestas, Tac. ann. III 11, vgl. II 64. Vell. II 129. Suet. Tib. 37. Vict. Caes. 2, 4. Epit. de Caes. 2, 8.
Die Bedeutung M.s, der das größte Germanenreich seiner Zeit begründete, wie man ein so großes niemals vorher gesehen hatte, aber durch seine eigene Schuld dessen raschen Zerfall wieder herbeiführte, wird von Tiberius vielleicht doch übertrieben, wenn er, um sein eigenes Verdienst und seinen Erfolg gebührend hervorzuheben, ihn eine größere Gefahr für Rom als Pyrrhus, Philipp und Antiochos nennt (Tac. ann. II 63). Sein stattliches Äußere und seinen stolzen Sinn, sein Wesen, das die Eigenart der Barbaren verleugnete, rühmt Vell. II 108, 2; wenn er aber hinzufügt, daß M. eine gesicherte Königsherrschaft mit fester Hand begründete und lange Zeit festhielt, so berücksichtigt er dabei nicht, daß sein Sturz beschleunigt wurde durch die Überspannung seiner Herrschaft über zu viele deutsche Stämme, die sich ihm nicht fügen wollten, auch deshalb, weil sie sein Verhalten zum römischen Reich als unwürdig und unvereinbar mit ihrem Unabhängigkeitssinn ansahen. Er ist der erste uns bekannte König von Böhmen, das von da an über ein halbes Jahrtausend deutsches Land blieb.
[Stein.]
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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