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Lukillios. Literatur. Μ. Valerii Martialis epigrammaton libri mit erklärenden Anmerkungen von L. Friedländer 119, 1. O. Roßbach Epica, Jahrb. f. Philol. CXLIII 100–102. H. Usener S.-Ber. Akad. Münch. 1892, 643–645. P. Sakolowski De Anthologia Palatina quaestiones, Lips. 1893, 5ff. R. Reitzenstein s. o. Bd. VI S. 106–108. R. Schmoock De M. Valeri Martialis epigrammatis sepulcralibus et dedicatoriis, Lips. 1911, 94f. E. Pertsch De Valerio Martiale Graecorum poetarum imitatore, Berol. 1911, 21ff. 44ff. K. Prinz Martial und die griechische Epigrammatik. I. 1911 passim. Christ-Schmid Gesch. der griechischen Literatur II 1, 252.
Über Leben und Persönlichkeit des L. ist entweder nichts bekannt oder nur ganz weniges aus seinen ausschließlich in der Anth. Pal. erhaltenen Gedichten zu ermitteln. Jacobs (Animadv. ad Anthol. Gr. 98) und nach ihm Friedländer a. a. O. verlegten seine Zeit richtig nur in Neros Epoche, Usener dagegen, der in ihm einen Grammatiker (vgl. Anth. Pal. IX 10) erkannt hat, wollte wegen seines Spottes auf Chairemon (XI 106f.), auf den Grammatiker Zenon (XI 139 kühn interpretiert), vielleicht jenen Hofgelehrten des Tiberius, endlich wegen seiner Polemik gegen den Soloikisten Heliodoros (XI 134. 137f.; vgl. 183), den man mit dem Verfasser der Homerglossen bei Apollonios identifizieren dürfe, seine Tätigkeit schon in der Zeit jenes Kaisers beginnen lassen. Andere gingen noch weiter: man erklärte ihn, der IX 572 den Kaiser Nero feiert und sich einer klingenden Gabe des Monarchen rühmt, für den bekannten Freund Senecas, Lucilius Iunior, von dem wir ja ein griechisches Epigramm besitzen (IG XIV 889 = Kaibel 810), und glaubte sogar, der Dichter habe von Nero das zum Ritterrange nötige Vermögen erhalten und somit die Beamtenlaufbahn beschreiten können. Aber dies steht alles in der Luft. Dieser pointensüchtige Graeculus, der reine Epigrammatiker und Grammatiker, kann nicht jener wackere Römer gewesen sein, der wohl einmal ein griechisches Epigramm, wohlgemerkt zu praktischem Gebrauche, schuf, sonst aber, gewürdigt der vertrauensvollen Freundschaft Senecas bis in dessen letzte ernsteste Zeiten hinein, als eines ganz anderen Geistes Kind (Sen. ep. mor. I 8, 10. X 3, 5; nat. quaest. III 1; 1, ep. mor. IV 4, 2. I 5, 1), als eine Erscheinung von völlig verschiedener Struktur (Sen. nat. quaest. IV praef. 15ff.; ep. mor. IV 2, 9) vor uns steht. Ebensowenig können die Namen der von L. angegriffenen Typen irgend etwas über die Zeit des Dichters lehren: wie Heliodoros’ Name durchaus konventionell ist und gerade von den verschiedenen Epigrammatikern in ganz verschiedenem Zusammenhange immer wieder verwertet wird (Poseidippos XII 168. Meleager XII 19. Apollonides VII 378. Nikarchos XI 18. Straton XII 138; ἄδ. VI 24. X 39. XI 244), so darf auch Chairemon keine Ansprüche [1778] auf eine geschichtliche Persönlichkeit erheben. Wir haben vielmehr allein dies festzuhalten: L., der sich selbst unzweideutig Λουκίλλιος (XI 196, 3; vgl. auch VI 164, 3, dazu unten das Weitere) nennt und in keiner Weise mit Usener auf Grund der überwiegenden Schreibweise des Palatinus: Λουκίλλου dem Lukillos von Tarrha gleichzusetzen ist, lebte zur Zeit des Nero in Rom und freute sich vernehmbar über ein Almosen, das ihm der Kaiser zuwarf. – Recht schwierig ist nun die Frage nach dem literarischen Eigentum des Dichterlings. Sakolowski a. a. O. hat sie im ganzen sehr vernünftig behandelt (vgl. auch Reitzenstein 107), doch bleibt noch eine Reihe von zweifelhaften Fällen übrig, und ist namentlich das Verhältnis zu den unter Lukianos’ Namen überlieferten Stücken noch einmal gründlich durchzuprüfen. Es kann also zunächst keinen Zweifel leiden, daß diese Epigramme von L. sind: VI 166. IX 55 (das Nebenlemma am Rande Μενεκράτους Σαμίου stammt aus 54). 572. XI 10. 11. 68. 69. 75–81. 83–85. 87–95. 99–101. 103–107. 131–143. 148. 153–155. 159–161. 163–165. 171. 172. 174–179. 183–185. 189–192. 194. 196. 197. 205–208. 210–212. 214–217. 233. 234. 239. 240. 245–247. 249. 253. 254. 256–259. 264–266. 276–279. 294. 295. 308–315. 388–393. Wir haben also fast ausschließlich einen Dichter von skoptischen Epigrammen vor uns, dessen boshafte Muse auch mit dem Weihepigramm (VI 166) spielt. – Nun hat nach Setti Gli epigrammi di Luciano 1892. Sakolowski a. a. O. die Frage nach der Echtheit der lukianischen Epigramme neu untersucht und ist über die summarischen Aufstellungen des Italieners hinaus zu mehreren nicht unwichtigen Ergebnissen gekommen, die hier jedoch noch in größeren Zusammenhang zu bringen sind. Vor allem steht soviel sicher, daß Anth. Pal. VI 164 geradezu vernichtend für das Lemma Λουκιανοῦ Anth. Pal. ist, denn hier nennt sich der Dichter doch im Texte selbst Λουκίλλιος. Konnte aber ein solcher Mißgriff einmal geschehen, so dürfen wir einen weiten Schritt vorwärts tun und überhaupt die Zuverlässigkeit aller dieser Lemmata beanstanden. Das nächste Epigramm demnach, das diesem nachstürzen muß, ist VI 17, das man mit Recht zu XI 174 in Vergleich gesetzt hat; ähnliche Parodien bieten ja auch die noch unten zu behandelnden Stücke auf Faustkämpfer und Athleten. – Gehen wir nun, indem wir die Epigramme des 10. Buches zunächst noch auf sich beruhen lassen, zum 11. Buche über, so finden wir, daß L. in dem Lukianos dieser Reihe geradezu einen Doppelgänger haben müßte. Denn wenn L. über den am Bruche Leidenden spottet (VI 166, XI 393), so tut ‚Lukianos‘ (XI 404: Λουκιανοῦ Ρ. ἀδέσποτον Pl.) das gleiche; wir haben bei diesem (408) das alte Thema des L. von der sich färbenden und schminkenden Vettel (vgl. 68. 69. 310); 396 begegnet eine ähnliche Pointe wie bei L. 295, und damit verfiele auch 397 demselben Schicksale; 435 wird ein Sophist, 410 ein Kyniker verspottet, wie ja L. unter den Philosophen ausschließlich Vertreter des Kynismos angreift (XI 153–155); daß der Samosatenser Lukian dies gelegentlich auch getan hat, bildet keine Gegeninstanz. Dann haben wir 400 ein spöttisches Loblied auf die [1779] Grammatik, mit der sich L.s Epigramme so häufig beschäftigen (z. Β. 132, 2. 138. 140. 279); der mörderische Arzt (401) gemahnt an L. 257 und an seinen Barbier gleiches Wesens (191), zu dessen Schilderung ebenso wie bei jenem in echt lukillischer Weise ein Homervers verwendet wird; 405 begegnet die alltägliche Verhöhnung des Langnasigen, dergleichen ja L. in großer Menge über geduldige Leser ausgeschüttet hat (87–95. 99ff. u. ö.); 402, 1 findet sich ebenso wie 259, 1 Erasistratos angeredet. So zeigen 8 Epigramme des 11. Buches, die Lukians Namen tragen, durchaus das Wesen des L., und es bleiben somit nur 13 von einem Charakter, den man nicht gleich auf den ersten Blick als lukillisch anspricht. Von diesen steht 403 in jener lukillischen Reihe und ist damit ebenfalls erledigt; 435, das wir mit L.s Spott auf allerhand Typen in Beziehung setzten, verdächtigt seine ganze Umgebung: 427–434, 436 als nicht lukianisch. Endlich kann sich 274, das, in lukillischer Reihe stehend (245–247. 249. 253. 254. 256–259. 264–266. 276), nach bekanntem Schema einen Schwätzer geißelt und dazu mit XI 133 Ähnlichkeit besitzt, nicht weiter mit Lukians Namen schmücken.
Ein überraschenderes Ergebnis bringt nun die Betrachtung des 10. Buches der Anthologie. Dessen 10 angeblich lukianischen Gedichten mangelt es an jeder scharfen Pointe, die wir bei einem Lukian voraussetzen müßten wie vollends in L.s gepfefferten Gedichten finden: nichts als ganz banale moralische Sätze wie: genieße dein Gut, als solltest du sterben, spare, als solltest du leben (26 ~ Theognis 903ff.); den Göttern bleibst du nicht verborgen (27); der Reichtum der Seele ist der wahre, der Schätze Sammelnde ist gleich der für andere Honig suchenden Biene (41) u. dgl. Diese Gedichte, die ein durchaus anderes, wenn auch an sich kein originelles Wesen zeigen, gehören m. E. einem bisher unbekannten Dichter Lukianos an, der etwa in der Weise des Gregor von Nazianz sich in moralischen Betrachtungen erging. Zum Eigentum dieses Poeten steuern aber auch noch andere Bücher Reste bei. Das Gedicht VII 308 auf das früh gestorbene, also noch nicht des Elends kundige Kind, von Sakοlοwski a. a. O. 10 zweifelnd Iulian zugesprochen, gehört ebenfalls jenem Dichter an; die ausdrücklich von L. als Eigentum des Samosatensers Lukian bezeichnete Erzählung IX 367 von dem Verschwender, dem nicht zu helfen war, eine Episode, deren Stimmung an die Lebensweisheit des soeben behandelten Epigrammes X 26 erinnert, schließt sich passend an, und der Vergleich eines bösen Menschen mit einem durchlöcherten Fasse IX 120 (Λουκιανοῦ Σαμωσατέως C) hat in keiner Weise bissig boshaften, stark pointierten Charakter. Und so möchte ich denn auch nicht an das Lemma Λουκιλλίου in X 122, das ebenfalls eine rein moralische Sentenz ausspricht, glauben, sondern den Verfasser in dem neu gewonnenen Dichter Lukianos erkennen – freilich nicht etwa allein durch Planudes’ Λουκιανοῦ dazu veranlaßt. – Denn die Epigramme, mit denen dieser unsichere Gewährsmann, der ja so oft die guten Lemmata der Anth. Pal. verfälscht hat, unseren Bestand bereichert, sind nicht einfach zu beurteilen. Zwar gehört von den 4 durch ihn überlieferten Stücken (154 [1780] Lukian-Archias. 163. 164. 238) das letzte sicher dem L., in dessen wohlbekannter Weise (s. o.) eine Weihung verspottet wird; dazu handelt es sich in v. 4 um ein Motiv, das wir auch sonst bei L. treffen (XI 175–177), und endlich wird derselbe Eutychides genannt, der auch in anderen Epigrammen des L. (133, 1. 177, 2. 205, 2f.) begegnet. Über die anderen drei Stücke aber läßt sich kaum Gewißheit gewinnen; sie beziehen sich alle auf Kunstwerke; 163 spielt mit dem bekannten Motiv von der praxitelischen Aphrodite, das mehrfach (160–162. 168) in seiner Nähe angeschlagen wird.
Ist bei diesen also die Sache zweifelhaft, so kann meines Erachtens kein Gedanke daran sein, mit Sakolowski a. a. O. 17 die Reihe XI 111–116 wegen des zu 111 gesetzten planudeischen Lemmas (nicht des Pal., wie Sakolowski meint) für lukillisch zu erklären. Denn es ist ganz deutlich, daß in 111 eine Nachahmung des L. (106, 3ff.) durch Nikarchos vorliegt, der auch sonst (110. 407) L.s alberne Spottgedichte auf kleine oder dumme Wichte nachbildet.
Zwei Epigramme sind uns unter doppeltem Titel überliefert worden. Von dem einen, IX 15, war schon oben die Rede, das andere, V 68, macht insofern größere Schwierigkeiten, als die nur sehr wenig bekannte dichterische Persönlichkeit des politischen Königs Polemon keine Handhabe zur Erklärung des Doppellemmas bietet. Das Gedicht selbst ist eine ziemlich stumpfe sophistische Zuspitzung der allgemeinen Wahrheit, daß zur richtigen Liebe Gegenliebe gehöre, und kann also ebenfalls von L. sein.
Betrachten wir nun das Wesen des L., so ist dieser Dichterling besonders charakteristisch für jene Epoche des tiefen geistigen Niedergangs der Hellenen, in der im schärfsten Gegensatze zu der noch immer kraftvoll sich auswirkenden römischen Dichtung und besonders zu der schöpferischen Phantasie der Orientalen kein Fünkchen originellen poetischen Wollens und Könnens sich regt. Und doch ist in so jämmerlicher Zeit L. von großer kulturgeschichtlicher Bedeutung. Denn er hat dem Epigramm der Griechen seine letzte Form gegeben, er ist bestimmend für den sonst nicht mit ihm in einem Atem zu nennenden Martial gewesen; was wir heute nach Lessing allgemein ‚Epigramm‘ nennen, dieser Begriff dankt L. seinen eigentlichen Inhalt.
L. hat fast nur skoptische Gedichte geschaffen, die, die von Philippos (Anth. Pal. IV 2, 6) betonte ὀλιγοστιχίη befolgend, schnell in eine scharfe Pointe auszulaufen suchen. Die vor L. lebende Generation bewegte sich auf verschiedenen Gebieten; das Liebeslied war noch nicht ganz verklungen, Anathematikon und Epitymbion spielten, wenn auch fast ganz epideiktisch, eine hochbedeutsame Rolle, und, besonders in der Person des Krinagoras, dringt die Behandlung von Ereignissen des Augenblickslebens in der Form zahlreicher Gelegenheitsgedichte in die Epigrammatik ein. Aber man sucht das Leben überhaupt in seiner Ganzheit zu erfassen. Schon Leonidas von Tarent hatte (z. Β. ep. 65. 87 Geffcken) allerhand merkwürdige Ereignisse aus dem Dasein von Fischern und Hirten behandelt. Spätere entwickelten dann diese Motive zur Darstellung [1781] wunderlicher und rührender Erlebnisse. Lebhaft aber bewegte diese Epigrammatiker der Streit der asianischen Rhetorik gegen die Grammatiker und Kallimacheer, wie dies die Gedichte eines Philippos von Thessalonike und seines Landsmanns Antipater sowie des Antiphanes zeigen (Reitzenstein a. a. O. 104). Die Form und auch noch zuweilen die Stoffwahl selbst ist dabei noch häufig leonideisch (vgl. Geffcken Leonidas von Tarent, N. Jahrb. f. Philol. Suppl. XXIII 148), ja, der schlimme Einfluß des Tarentiners erstreckt sich noch bis auf L.s Zeitgenossen Leonidas von Alexandreia. Aber schon entwickelt sich das Spottgedicht, das bereits eine nicht ganz unbeträchtliche Vergangenheit besaß, kräftig, und gerade an diese Vertreter des Genres hat L. angeknüpft. Denn eine Reihe von diesen Epigrammatikern erweisen sich aufs deutlichste als unmittelbare Muster des L. Antipater von Thessalonike verhöhnt XI 158 einen unwürdigen Kyniker, dergleichen zwar auch schon Leonidas, aber in ganz anderer, gebundener Form getan (ep. 33), Philippos’ Spott trifft den Geldgierigen (XI 173) wie sein Nachahmer Antiphanes 168 den Geizhals, Automedon wendet sich 346 gegen einen Bankier wie 324 gegen einen Opferdieb, derselbe verspottet 325 einen schäbigen Gastgeber (vgl. auch K. Prinz a. a. O. 62), Gaetulicus, sonst freilich ein Nachahmer des Tarentiners Leonidas (Geffcken a. a. O.) verhöhnt 409 eine Trinkerin; wie es um das Verhältnis des Alexandriners Leonidas und des L., dem Reitzenstein jenen vorausgehen läßt (a. a. O. 105f.), steht, bedauere ich, nicht ermitteln zu können, da die Frage nach der Abhängigkeit zweier gleichzeitiger Autoren voneinander fast nie zu lösen ist. Genug, L. hatte mehrere Vorgänger und besitzt nun für uns das sehr fragwürdige Verdienst, aus den vereinzelten Versuchen jener eine feste Manier entwickelt und das Epigramm auf einzelne Stände und menschliche Fehler durch eine höchst unerfreuliche Folgerichtigkeit ganz methodisch ausgestaltet zu haben.
Er scheint sich eines neu eingeschlagenen Weges bewußt gewesen zu sein. Er sah seine Vorgänger und auch noch seine Zeitgenossen gleich einem Leonidas von Alexandrien mehrfach von völlig erstarrten literarischen Genres abhängig, dazu auch zum Teil unter dem Banne des Tarentiners Leonidas mit seinen gezierten, angeblich dem Volksleben abgelauschten Bildern des menschlichen Daseins. Da griff er ein und hat durch die scharfe Polemik seiner ganz ergötzlichen Parodien – dieses Lob können wir ihm immerhin lassen – wie durch sein eigenes Beispiel Wandel geschaffen. Das Gedicht von den drei weihenden Dirnen (VI 17; s. o.) trifft Leonidas’ so unheilvoll beliebt gewordenes Epigramm VI 13; XI 194 gilt Leonidas’ bukolischen Anathemata; XI 80 ist ein wieder Leonidas etwas parodierendes (ep. 85, 10 Geffcken ~ XI 80, 1) Gedicht auf einen sehr harmlosen Faustkämpfer, und dem reihen sich andere ähnliche Stücke an, die jene häufigen ruhmredigen Agonistika verspotten (84. 81. 258); eine andere Parodie (312) gilt den epideiktischen Grabgedichten; VI 164 scheint mit seiner schäbigen Weihegabe Philodemos (VI 349) zu verhöhnen.
[1782] Von den Parodien auf Siegerinschriften ausgehend, hat nun der Dichter den ganzen Stand dieser Wettkämpfer lächerlich gemacht (75–78 u. a.), unter denen er noch solche kennt, deren Kraft daheim, gegenüber einem schlagfertigen Weibe, völlig versagt (79). Damit haben wir also den Übergang von der Parodie, d. h. der Kritik an den Vorgängern, zur Satire an ganzen Ständen. Diese bildet sein Hauptthema, in ihr fühlt er sich besonders wohl. Dieses Behauen zeigen besonders seine Ausfälle auf die Grammatiker, die sich in einem sehr wesentlichen Punkte von den literarischen Angriffen des Philippos, Antipater, Antiphanes auf die Grammatiker und Kallimacheer (s. o.) unterscheiden. Denn wenn auch L. (140) sich gegen die homeristischen Grammatiker, gegen die Querköpfe von Aristarcheern wendet, die nur von Nestor und Priamos redeten, so will er von solchem öden Wesen nur beim Mahle nichts wissen, er trifft also im Gegensatze zu seinen eine bestimmte Schule bekämpfenden Vorgängern die weltfremde Pedanterie an sich. Und so gelten alle seine Scherze auf die Grammatiker (138f. 278f.) lediglich dem Stande und seinen Vertretern, die der Dichter (139. 278) auch wohl in recht zweideutiger Lage zeigt. – Ganz ähnlich behandelt er 141 den Advokaten, der anstatt einen Prozeß über Schwein, Ochs, Ziege zu führen, über Othryades und Thermopylai phantasiert, den attizistischen Rhetor (142), ein Thema der Kritik, das uns ja auch aus Lukian (rhet. praec. 18) wohlbekannt ist. Von einem noch etwas stärkeren Kaliber ist dann noch 143, das im Hinweise auf die Höllenfahrt des Rhetors Marcus mit XI 133 (dem Liederdichter Eutychides im Hades) Ähnlichkeit besitzt. – An die genannten Stände schließen sich die Schulmeister (131; die Bemerkung über solche, die am Bruch leiden, ist charakteristisch für L.: 393. 404 = VI 166) und Dichter (131. 133–137) an, deren mörderische Tätigkeit ja ein Gemeinplatz war, ist und bleiben wird; ein wenig individueller wirkt die Vorführung des armen Schauspielers, der seinen ganzen Götterapparat hat verkaufen müssen. Neben diesen Typen stehen die Philosophen (153–155. 410. 430), unter denen der Spott des Dichters allein den Kynikern gilt, der Sophist (435), die Astrologen, die, meist als harmlose Einfaltspinsel verspottet (159. 161, erweitert durch 163. 164), einmal (160) eines fast persönlichen Haßausbruchs gewürdigt erscheinen. Und diesen reihen sich die Epigramme auf die Ärzte (257 = Martialis VI 53; vgl. Friedländer dazu. 401) an, auf die schlechten Maler (212. 214. 215: hier wird der Maler als Hofnarr verspottet), den üblen Schauspieler (185), die schlechten Tänzer (253. 254), den mörderischen Barbier (191). – Ohne den seit ältesten Zeiten beliebten Spott auf die Frauen war natürlich L.s Satire nicht vollständig. Eben darum aber ist sie unoriginell und trotz starker Massivitäten farblos. Wir haben o. S. 1778 Antiphilos’ Epigramm auf eine kokette Alte berührt: Widerspiegelungen dieses Motivs sind L.s Epigramme 68. 69. 256. 310. 408, und daher macht das ep. 196, obwohl der Dichter hier sich selbst als das Opfer einer heiratslustigen Alten aufspielt, durchaus nicht den Eindruck eines persönlichen Erlebnisses. Den [1783] Rest dieser Stücke, auf stinkende Weiber (239. 240), auf eine Häßliche, der ein trügerischer (!) Spiegel angedichtet wird, ist dann ebenso flau wie jene anderen.
Von dieser Gruppe führt kein weiter Schritt zu menschlichen Fehlern und Lastern. Da haben wir den üppigen, podagrakranken Reichen (403), den Geizhals (171. 172. 264. 309. 391, dessen Motiv aus Leonidas’ ep. 95 Geffcken zu stammen scheint. 397), den Schwätzer (274), den Tor (432), den gekreuzigten Neidhammel (192) – dies Epigramm ist nicht ohne Witz – da sehen wir mehrfach die Faulheit karikiert (208: hier begegnet wieder der bekannte Eutychides); da treffen wir den Schamlosen, der vergeblich heiratet, um sich seines schlechten Rufes zu entledigen (217), den Priapeischen (197) und namentlich die Diebe, merkwürdig genug fast ausschließlich die an Götterstatuen sich vergreifenden (174–177. 183. 184. 315).
Auch der Spott über schlechte Gastmahlssitten war, wie wir o. S. 1791 gesehen, schon von Automedon (und Antipater von Thessalonike XI 20) geübt worden. L. hat daraus wieder Methode gemacht (s. auch Prinz a. a. O. 59ff.): er verspottet langweilige Tischgespräche (140 ~ Antip. 20), karge oder schlecht bewirtende Gastgeber (313. 314. – 137, wo der Wirt auch noch unaufhaltsamer Epigrammatiker ist. 402), gefräßige Gäste, die auch noch vom Mahle ‚mitnehmen‘ (11 ~ Martialis III 23. – 205. 207 ~ Mart. II 37), und wenn wiederum 10, ein Vorschlag zu einem geschmackvolleren Tafelbrauch, einen etwas persönlicheren Eindruck macht, so läßt doch die Anrede an den sonst immer wiederkehrenden Aulus das Gedicht nur als eine Variation des beliebten Genres erscheinen.
Was man aber damals einem griechischen Publikum als Witz auftischen durfte, das zeigt jene Reihe von völlig salzlosen Epigrammen auf die Träger körperlicher Unvollkommenheiten, auf Riesen, Zwerge, die von Insekten geraubt werden können, Dünnleibige, die imstande seien, die epikureischen Atome zu durchdringen, Langnasige, und was dergleichen Albernheiten mehr sind (75. 87–95. 99–101. 103–107. 190. 308. 405); die Pointe der epikureischen (93) Atome hat dabei dem Dichter so gut gefallen, daß er sie noch zweimal, darunter auch auf einen unendlich kleinen Acker, anwendet (103. – 249, vgl. 99). Auch auf diesem Gebiete wohlfeilsten Spottes ist der Dichter nicht originell; nimmt man doch an, daß die bekannte bei Athen. 552 b von Philetas’ Dünnheit erzählte Geschichte auf die Komödie zurückgehen dürfte. Aber L. hat es sich nicht nehmen lassen, derartige Witzfunken älterer Zeit aufzufangen und sorgsam zu nähren, bis sie ein trüb schwälendes Feuerchen ergaben.
So sehen wir ihn sich überall über die menschlichen Mängel lustig machen. Dasselbe recht fragwürdige Talent betätigt er auch dem Tiere und den leblosen Sachen gegenüber, sei es in einem Gedichte auf ein faules thessalisches Pferd, das ihn hölzerner als das troische bedünkt (259), oder auf ein schwerfälliges (246), ein durchlöchertes Schiff (245. 247). – Das sind in der Hauptsache seine Vorwürfe, die, konsequent durchgeführt, dem griechischen Epigramm seine letzte [1784] Form gegeben haben. Nur ganz wenige Stücke entbehren des skoptischen Wesens und enthalten reine Betrachtungen über das Leben, freilich unter sehr materiellen Gesichtspunkten (387. 388), ein ganz vereinzeltes schlägt einen noch ernsteren Ton in der Forderung wahrer Freundschaft an (390). Aber von Bestand waren solche Stimmungen nicht; denn wenn L. 393, über den Besitz einer Tochter klagend, lieber mit einem am Bruch Leidenden tauschen will, so segelt er damit in doppelter Beziehung (s. o. S. 1778) in seinem alten Fahrwasser.
Wie die Stoffe dieses Satirikers fast durchweg strengen Schematismus zeigen, so stehen auch die Mittel der Komik trotz ihrer bei der nicht geringen Zahl der erhaltenen Gedichte verständlichen Mannigfaltigkeit doch samt und sonders unter dem Zwange verschiedener rhetorischer Regeln, wie wir dergleichen z. Β. bei Hermogenes p. 451, 10ff. Rabe u. a. treffen (s. darüber die sehr brauchbaren Ausführungen Sakolowskis a. a. O. 27ff.), Da haben wir denn die Parodie, von der schon oben die Rede war, und der, freilich nach einer langen Vergangenheit dieses Literaturgenres, L. in nicht ganz gewöhnlichem Grade mächtig gewesen zu sein scheint. Ganze Gedichte sind, wie wir beobachtet, Parodien eines L. mißfälligen Literaturgenres, daneben aber begegnen auch nur ganz kurze spöttische Zitate, z. Β. aus Antipater Sidonius (XI 174, 1 = XVI 178, 1), oder scherzhafte Umbiegungen von Dichterstellen, z. Β. von Archilochos frg. 19 in 400, 6 (Reitzenstein a. a. O. 107), von ‚Anakreon‘ (IX 715; vgl. XI 178), Aratos (406, 5), wohl auch Kallimachos (frg. 222 = XI 183, 5), Parthenios (frg. 33 Mein. = XI 164), und in echt sophistischer Weise zu Beginn eines Epigramms der Hinweis auf ein bekanntes Poetenwort (IX 572, 1f.). Natürlich wird Homer immerfort, und zwar etwa in der Weise Lukian-Menipps bezw. seiner Vorgänger, zitiert (vgl. Sakolowski a. a. O. 31f.), und es werden auch so kühne Bildungen wie γραμματολικριφίσιν (140, 2) nach Hom. Il. XIV 463 (λικριφίς) versucht. – In neuen Wortschöpfungen ergeht sich überhaupt dieser letzte Ausläufer einer langen Tradition. Zu ihnen gehören natürlich nicht solche Bildungen wie 194, φιλοσπήλυγγι – οὐρεοφοίταις, denn diese karikieren den Stil der Leonideer, wohl aber Worte wie βακτροπροσαίτου (410, 1), μακροφλυαρητὴν Ἡλιοδωρότερον (134, 4), ὠμοβοειότερα (137, 2), νηπυτιευόμενοι (140, 4), τριπιθήκινος (196, 1) u. a. (vgl. Sakolowski 28f. – Es ist ferner selbstverständlich, daß entsprechend den Übertreibungen, deren sich jeder Humorist und namentlich der Satiriker bedient, dieser Spötter, der in der Ausmalung von Körperfehlern schwelgt, unaufhörlich die Hyperbel verwendet, die aber schon ihre älteren Analoga (z. B. Leonidas Tar. ep. 19, 3 Geffcken: καὶ πᾶς τεφροῦμαι) besitzt (vgl. 69, 1 τρικόρωνος 196,1 τριπυθήκινος u. a.; vgl. Sakolowski 33ff.). Dazu kommen Wortspiele (69, 2 νέα – Ῥέα. 314, 3 πείνης – πίνακας u. a.) von recht trivialer Art und landläufigste Metonymien (132, 3 Πριάμωι = Greis; vgl. Sakolowski 28). – Endlich: wie dieser Poetaster sich in seinen Vorwürfen und Witzen stark wiederholt, also daß wir, auch wenn wir nur einen kleinen Teil seines geistigen Eigentums [1785] besitzen sollten, doch nichts Wichtiges verloren haben können, so wiederholt er sich auch auffallend häufig in seinen einzelnen stilistischen Wendungen (90, 2 αὑτὸν ἀπηγχόνισεν = 91, 2. 111, 2. 249, 2. 264, 2. – 138, 2 τὸ στόμα μου δέδεται = 184, 4. – 161, 1 ~ 163, 1 u. a.); vgl. Sakolowski 36, der auch über L.s ganz und gar nicht besonders charakteristische Metrik handelt (25f.).
Von L.s Nachwirkung war schon gelegentlich die Rede. Die Griechen Nikarchos, Pollianos, Ammianos, vielleicht auch noch L.s Zeitgenosse Leonidas von Alexandreia haben ihn nachgeahmt. Nikarchos benutzte eine ganze Fülle seiner Vorwürfe, indem er dabei auch Worte nach dem Vorbilde seines Meisters bildete (110, 2 λεπτεπιλεπτότερος), dessen Personen Heliodoros (18, 1) und Onesimos (74, 1. 243, 1) er sogar übernahm, während er ihn allem Anschein nach im Schmutze übertraf (328. 395); Pollian machte sich L.s Zitierweise zu eigen (130, 5ff.); Ammian scheint die Kynikerepigramme nachzuahmen. Stärksten Einfluß aber hat bekanntlich L. auf Martial geäußert. Dabei machen wir die alte Erfahrung, daß der römische Dichter in tiefer Achtung vor dem griechischen Geiste sein unmittelbares hellenisches Original weit überholt. Wir haben uns damit hier nicht mehr im einzelnen zu beschäftigen: eine solche Untersuchung gehört zur Frage nach Martials Persönlichkeit. Hier sei nur festgestellt, daß diese Überlegenheit sich im ganzen literarischen Charakter wie in der Einzelarbeit zeigt. Der Römer verschmäht es, sich gleich dem Spätgriechen über Knirpse lustig zu machen, ist aber dabei weit reicher an Typen als dieser (Prinz a. a. O. 76. 78ff.) und behandelt das jeweilige Thema viel witziger und kunstvoller (Mart. XII 23, vgl. L. XI 310. – Mart. III 23: L. XI 11). – Ausonius’ Übersetzungen endlich gelten nicht sowohl dem L. als seinem Interesse für die Anthologie überhaupt.
So bleibt L.s und seiner Mitstrebenden ganz ungewolltes Verdienst, durch ihr schwaches Lichtlein die Flamme Martials entzündet zu haben.
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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