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Koralle. Die Form des Wortes schwankt: gr. κοράλλιον κουράλιον, lat. curalium, corallium. Worauf die Schwankung beruht, bleibt ungewiß. Denn keine Etymologie, die den heutigen Forderungen genügte, ist noch gefunden worden. Von der Natur der K. hatten die Alten recht unklare Vorstellungen. Nach Theophr. de lap. 38 ist sie steinartig, rot und wurzelförmig, wächst ferner im Meere und hat endlich eine gewisse Ähnlichkeit mit dem versteinerten indischen Rohr, worin Lenz Mineralogie 23 die indische schwarze K. erblickt. Diosc. de mat. med. V 121 bezeichnet sie als eine Pflanze im Meere, die hart wird, wenn sie in Berührung mit der Luft kommt. Plinius, der sich n. h. XXXII 21–24 mit ihr ausführlich beschäftigt, sagt: forma est ei fruticis, colos viridis. bacae eius candidae sub aqua ac molles, exemptae confestim durantur et rubescunt qua corna sativa specie et magnitudine. aiunt tactu protinus lapidescere, si vivat. Um die Mitte des 18. Jhdts. wurde die wahre Natur der K. erkannt: sie gehört nicht dem Pflanzen-, sondern dem Tierreich an. Man redet in der Regel von der K. als Stoff und meint dann das Skelett, das einer ganzen Kolonie von Polypen gemeinsam ist. Dieses Skelett bauen sich die Tiere selbst, indem sie aus dem Wasser gelösten kohlensauren Kalk aufnehmen und ihn in fester Form absetzen. Ob die K. sich unter oder über dem Wasser befindet, ist für ihre Konsistenz und Farbe ganz gleichgültig. Wie sind nun die antiken Vorstellungen aufgekommen? Daß die K. hart wie Stein ist, lehrt ja der Augenschein. In ihrer natürlichen Gestalt ähnelt sie einem Strauch (frutex), der seine Blätter verloren hat. Naheliegt dann der Glaube, daß sie dem Meeresgrund entrückt, ihr Leben einbüßt. Hierzu kommt noch, daß Tod durch Versteinerung ein den Märchen geläufiges Motiv ist. Der Kornelkirschbaum (cornus), der auch Dürrlitzen- oder Herlitzenstrauch heißt, hat gelbe Blüten und korallenrote Beeren. Die Perlen, die aus K. hergestellt werden, sind desselben Aussehens und Größe wie die Kornelkirschen (corna). Und [1374] so steht der naive Schluß fertig da, daß die K.-Perlen Beeren (bacae) des K.-Strauches sind.
Man kann sagen, daß, wenn im Altertum von K. die Rede ist, immer die edle oder rote gemeint wird. Aus der Beschreibung des Theophrast, die ich oben anführte, geht das klar hervor. Plinius erwähnt zwar die schwarze, die im Roten Meer und im Persischen Golf vorkommt, aber nur im Vorbeigehen. Im übrigen spielt sie bei ihm keine Rolle. Die rote K. findet sich im Mittelmeer, besonders an den Küsten von Sardinien, Süditalien, Sizilien, Korsika und Algerien. Die Orte lauten ein wenig anders bei Plinius: die hyerischen Inseln, die äolischen Inseln, Trapani, Neapel und Graviscae in Etrurien. Sie wird jetzt auf Bänken in einer Tiefe zwischen 40 und 100 Faden mit einer Art Schleppnetz gefischt. Plinius sagt auch: (aiunt) occupari evellique retibus. Er fährt aber fort: aut acri ferramento praecidi, qua de causa curalium vocitatum interpretantur. Es ist dies vielleicht nur ein Zusatz, um die Etymologie von curalium zu begründen. Man macht sich nicht leicht eine klare Vorstellung von dem Gerät, das acre ferramentum heißt. Denn was abgeschnitten wird, muß auf eine oder die andere Weise auch an die Oberfläche des Wassers gelangen.
Der Periplus des Erythräischen Meeres nennt einen Platz in Arabien (28 Kane) und vier in Indien (39 Minnagara, 49 Barygaza, 56 Muziris und Nelkynda), wohin die K. ausgeführt wurde. Nach Plinius standen daraus gefertigte Perlen bei den indischen Männern in demselben Ruhm wie die indischen Perlen bei den römischen Frauen. Die K. ist noch heute eine wichtige Handelsware, die sogar nach Indien, China und Zentralafrika gelangt. Ob die Ausfuhr seit dem Altertum ununterbrochen fortgedauert hat, ist schwer zu sagen. Jedenfalls war sie schon damals gewissen Schwankungen unterworfen, wie wir sogleich lernen werden.
Nach Plinius hatten die Gallier früher ihre Schwerter, Schilde und Helme damit eingelegt, zu seiner Zeit war die K. selbst in Europa selten. Den Grund gibt er so an, daß die Priester in Indien ihre Befähigung zum Amulett entdeckt hatten, setzt mithin voraus, daß die Nachfrage in diesem Lande eine sehr starke war. Es heißt zum Schluß bei ihm und zwar ohne dabei Indien zu nennen: surculi (sc. curalii) infantiae adalligati tutelam habere credantur. Wogegen der Schutz gewährt werden soll, erfahren wir von Gratius Cyneg. 406 ac sic offectus oculique venena maligni | vicit tutela paz impetrata deorum. In Italien, besonders in Neapel, glaubt man noch heute, den Folgen des bösen Blickes und des Berufens durch Tragen von Amuletten aus K. entgehen zu können.
Wie man aus den Berichten des Dioskurides und Plinius ersieht, wurde die K. in der Medizin vielfach verwendet, eine Verwendung, die sich weit über das Altertum erstreckte. Die Arzneien und die Amulette haben freilich verschiedene Gestalt, im Grunde basieren sie aber auf einem und demselben Aberglauben.
Pind. Nem. VII 116 λείριον ἄνθεμον wird vom Scholiasten alternativ auf die K. bezogen, und zwar mit der Begründung, die wir aus Plinius [1375] kennen, daß sie einer Pflanze in der Tiefe des Meeres ähnelt, obgleich sie über dem Wasser zu Stein wird. Die Begründung klingt nicht eben glaublich. Und so bleiben uns vor der hellenistischen Zeit keine sicheren Zeugnisse zurück.
Was sich an Schmucksachen und Amuletten aus dem Altertum erhalten hat, ist verhältnismäßig wenig. Pottier verzeichnet: 1. ein Amulett aus K., auf Sardinien gefunden, das die ägyptische Brillenschlange darstellt; 2.–3. zwei Stücke K., vermutlich Amulette, in Pompeii gefunden; 4.–7. in der Sammlung Gardabassi zwei Halsketten aus massiver K. mit einem ziselierten Relief in der Mitte, die Fassung eines Ringes mit Inschrift, eine Gemme (Intaglio), die einen bartlosen Faun vorstellt, alle in Italien gefunden; 8. eine Halskette aus allerlei K.-Amuletten, im Grabe eines gallischen Häuptlings in Marne (Frankreich) gefunden; 9. eine kleine Figur, die einen Silen darstellt, in Paris (Cabinet d. Méd.).
Blümner Technologie II 378ff. Pottier Dict. des Antiqu. I 1503ff.
[Lagercrantz.]
Im Lateinischen ist die erste Erwähnung Lucr. II 806, wo aber die Hss. inter caeruleum bieten, wofür Wakefield das von allen neueren Herausgebern aufgenommene und im Zusammenhang besser passende curalium einsetzte; als beweisend kann die Nachahmung der Stelle bei Seren. Sammon. 942 gelten: coralium vero si collo nectere malis (wofür L. Müller: coraliumve utero sicco conectere felis) nec dubites illi veros miscere smaragdos. Die Anschauung von der pflanzlichen Natur der K. kam auch im Mythus zum Ausdruck, welcher erzählt, daß Perseus das abgehauene Haupt der Medusa auf Meersträucher (notae sub aequore virgae) gelegt habe und daß diese gleich erstarrt seien; die Nymphen hätten dann das mehrfach wiederholt und den Samen dieser Sträucher ins Meer gestreut, woraus dann K. geworden sei: nunc quoque curaliis eadem natura remansit, | duritiam tacto capiant ut ab aëre quodque | vimen in aequore erat, fiat super aequora saxum, Ovid. met. IV 741 ff. (vgl. XV 416: sic et curalium quo primum contigit auras | tempore, durescit: mollis fuit herba sub undis); s. auch Orph. lapid. 534ff. Eustath. zu Dion. Per. 1097.
[Blümner.]
Κοράλ[λ]ιον oder κουράλ[λ]ιον, lat. coral(l)ium oder cural(l)ium (Avien descr. orb. 1303. Sidon. carm. XI 110) und corallius (Isid. orig. XVI 8, 1); Adj. corallicus (Cassiod. var. IX 6, 6) und corallinus (Anth. Lat. 989, 13 M.). Etymologie nach Etym. Gud. διὰ τοῦ ι, καὶ ἴσως τὸ ἅλιον ἔγκειται, ἀπὸ τῆς θαλάσσης, ταῖς κόραις κόσμιος· ἡ κοινὴ διὰ τοῦ ο, Ἀττικῶς δὲ διὰ τοῦ ἰῶτα stammt aus Choiroboskos in Cramer Anecd. II 228, 15, wo es nach κόσμιος weitergeht: ποιηταὶ οὖν τὸ α διὰ τοῦ ο, ἡ κοινὴ δὲ διὰ τοῦ ω, Ἀττικοὶ δὲ διὰ τοῦ ο, von Dindorf so verbessert: ποιηταὶ τὴν πρώτην διὰ τῆς ου, ἡ κοινὴ δὲ διὰ τοῦ ω, Ἀττικοὶ δὲ διὰ τοῦ ο. Danach ist auch das Etym. Gud. zu ändern in: διὰ τοῦ ο … ἡ κοινὴ διὰ τοῦ ω Ἀττικῶς δὲ διὰ τοῦ ο. Die Etymologie der Alten ist wohl falsch, es liegt vermutlich hebräisch גוֹרָל zugrunde (Steinchen). Hebräisch selbst heißen die K. פְנִּינִים oder רָאמוֹת, K.-Schnuren חַרוּזִים.
[1376] Über die Verwendung der K. in der Heilkunde spricht sich Diosk. V 121 so aus: ‚Ihre Funktionen sind Zusammenziehen und Kühlen; sie unterdrückt Auswüchse und erweicht Hornhautnarben, auch füllt sie hohle Stellen und läßt Wunden vernarben, ist ziemlich gut gegen Blutsturz, nützt an Harnzwang Leidenden und erweicht, mit Wasser getrunken, Milzverhärtungen.‘ Nach Plin. n. h. XXXII 24 schützen die Reiser, den Kindern angebunden, diese vor der Ruhr (vgl. Cass. Fel. p. 123, 16 Rose) und Blasensteinen; das Pulver, gedörrt und in Wein oder Wasser getrunken, ist bei Fieber schlaffördernd. Auch gegen Blitzgefahr und Wirbelwinde waren sie gut, Plin. n. h. XXXVII 64. An die trockene Gebärmutter einer Katze angebunden, sollen sie ein vorzügliches Mittel abgeben, Ser. Samm. 942. Unter den Ätzmitteln zählt sie Cels. V 8 auf (gegen Zahnschmerz Cass. Fel. p. 66, 4). Wenn eine K. im Hause ist, vertreibt sie jeden Neid und Nachstellungen, Geopon. XV 1, 31.
Die ἐκ τῆς ἁλὸς ἔρια bei Alciphr. I 2, 3 sind höchstwahrscheinlich Kelch-Stern-K. (Astroides calycularis); die Stelle, wo sie leben, ist verdorben (s. d. krit. App. der Ausgabe von Schepers). Das versteinerte indische Rohr, das Theophr. lap. 38 nennt, ist eine Orgel- oder Pfeifen-K. (Fam. Tubiporidae). Einige Kork-K. nannten die Alten wegen ihrer Ähnlichkeit mit Eisvogelnestern ἁλκυόνια. Daß sie sie wirklich dafür gehalten, ist zwar aus der klassischen griechischen Literatur nicht zu belegen; doch bezieht sich wohl auf Kork-K. [Arist.] hist. an. IX 14 p. 611 a 20, ebenso Plin. n. h. XXXII 86, der zuerst erwähnt, daß manche Leute glauben, das sog. Alcyoneum bestehe aus Eisvogelnestern. Die wichtigste Stelle über die verschiedenen Arten Diosk. V 118 ist von Keller Ant. Tierwelt II 56f. übersetzt worden und lautet so: ‚Die erste Art ist dicht und von schwammigem Aussehen, dabei stinkend und schwer, mit Fischgeruch (Alcyoneum cortoneum). Die zweite gleicht dem Augenflügelfell oder einem Schwamm; sie ist leicht, porös und hat den Geruch von Algen (Alcyoneum papillosum). Die dritte ist wurmförmig und fast purpurfarbig; einige nennen sie das milesische Halkyonion (Alcyoneum palmatum), die vierte ist ein Schwamm (s. d.). Die fünfte ist pilzförmig, geruchlos, innen rauh, bimssteinartig, außen glatt und scharf (Alcyoneum fiscus oder aurantium); es wächst am meisten im Marmarameer, bei der Insel Besbikon und heißt landläufig Meerschaum. Das erste und zweite wird zu Pomaden der Frauen genommen, dient auch gegen Leberflecken, Flechten, Aussatz, weiße und schwarze Flecken, Muttermale im Gesicht und am übrigen Körper. Das dritte dient gegen Harnverhaltung und entstehende Blasensteine, dann bei Nierenleiden, Wassersucht und Milzsucht. Gebrannt, und mit Wein als Umschlag, bewirkt es bei Haarausfall dichtes Haar. Das letzte vermag die Zähne weiß zu machen; es wird aber auch mit Salz vermischt zu anderen Reinigungs- und Haarmitteln genommen. Wenn man es brennen will, gebe man es mit Salz in einen rohen irdenen Topf, verschließe dessen Mündung mit Lehm und stelle es in den Ofen. Wenn der Topf glüht, nehme man es heraus und bewahre [1377] es zum Gebrauche auf. Gewaschen wird es aber in der gleichen Weise wie Kadmeia (Galmei)‘. Andere Stellen sind Ovid. med. fac. 77f. (gegen Flecken im Gesicht). Cels. V 6f. (Zahnmittel). 28, 12 (weiße Flecken) Plin. n. h. XXXII 86f. (aus Sextius Niger): er unterscheidet nur vier Arten = Diosk. 1. 2. 3. 5. Art, läßt also die vierte Art, die zu den Schwämmen gehört und keine Verwendung in der Heilkunde fand, aus. Ael. Rom. med. phys. ant. 1365 (gegen Gebärmuttervorfall). Gal. XII 370. Alex. Trall. I 443. 449. II 271. 545. Aët. II 42.
Für die Kenntnis der Seefedern liegt ein Zeugnis vor bei Arist. hist. an. IV 7 p. 532 b 24; denn der dort beschriebene ‚Meerpenis‘ (vgl. Alb. Magn. IV 73) kann wohl nichts anderes sein als eine Pennatula-Art mit fleischfarbenem Schafte, wahrscheinlich Pennatula phosphorea L. (vgl. Aubert-Wimmer und Heck Hauptgruppen d. Tiersystems bei Arist. 19).
[Gossen-Steier.]
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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