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Kapernaum (Καφαρναουμ), Stadt in Galilaea, im Alten Testament noch nicht genannt, der Wohnort des Petrus und des Andreas (Marc. 1, 16ff.) und ein Hauptschauplatz der galiläischen Wirksamkeit Jesu, so daß K. geradezu ‚seine Stadt‘ ἡ ἰδία πόλις (Matth. 9, 1) genannt wird. Hier hat Jesus in der Synagoge gelehrt (Marc. 1, 21) und viele Heilungen vollbracht, Marc. 2, 1ff. Luc. 4, 31ff. Matth. 8, 5ff. Näher lag K. an der Grenze von Sebulon und Naftali (Matth. 4, 13), am See von Galilaea. (Matth. 4, 13), am Westufer (Marc. 4, 35), und da es neben Bethsaida genannt wird (Matth. 11, 20ff.)‚ so muß es näher am Nordwestufer gesucht werden. Es besaß ein Zollamt‚ Marc. 2, 14 (τελώνιον), und einen königlichen Beamten, Joh. 4, 47 (βασιλικός), nebst einer Besatzung, von deren judenfreundlichem Hauptmann (Luc. 7, 5) eine Synagoge gebaut worden war.
Das K. der Evangelien ist wahrscheinlich identisch mit dem heutigen Tell-Ḥûm, einem den Franziskanern gehörenden Ruinenfeld am Nordwestufer des Gennezarsees. Ist nämlich das heutige Chirbet-Kerâze das Χοραζείν (Matth. 11, 20), so stimmt zu der Nachricht des Hieronymus, daß K. zwei römische Milien von Chorazin entfernt lag, die Lage des heutigen Tell-Ḥûm. Auch weisen die Angaben des Josephus auf den gleichen Ort. Denn 1. ist das in der Vita Jos. § 72 genannte Κεφαρνώμη (andere Lesart dafür Κεφαρνωκον) als die erste, westlich von der Jordanmündung gelegene Örtlichkeit anzusehen, was zu Tell-Ḥûm stimmt; 2. hat die bell. Iud. III 10‚ 8 erwähnte Quelle Καφαρναουμ, die der Ebene Gennezar ihre große Fruchtbarkeit verleiht, den gleichen Namen wie das K. der Evangelien. Diese Quelle aber entspricht der auf den nördlichen [1890] Hügeln entspringenden Quelle ʿAin eṭ-ṭâbiġa (Buhl Geogr. des alten Palästina 114), d. i. dem von den mittelalterlichen Pilgern geschilderten Heptapegon ,Siebenquell‘. Die Quelle ʿAin eṭ-ṭâbiġa ist von Tell-Ḥûm etwa 3 km entfernt und dann eben nach der Stadt benannt.
Die Lage K.s wäre aber etwas anders zu bestimmen, wenn des Josephus Quelle Καφαρναουμ identisch wäre mit der ʿAin eṭ-ṭîn ‚Feigenquelle‘ (vgl. über die Lage Bädeker-Benzinger Palästina und Syrien⁷ 238). Dann würde nämlich K. gleichzusetzen sein dem Chân Minje, einer etwas vom Ufer entfernt, südlich von Tell-Ḥûm gelegenen Trümmerstätte. Für diese Lage K.s, etwas landeinwärts, wie Chân Minje, in der Ebene Gennezar, wird häufig Matth. 14, 34. Marc. 6, 45. 53 angeführt, wo (entgegen Joh. 6, 16f. 21ff.) Jesus, als er vom Ostufer des Sees kommend nach K. will, in die Ebene Gennezar gelangt. Indessen genügt diese Argumentation nicht, da Matth. 4, 13 K. παραθαλασσία heißt. Auch der Name Chân Minje, aus dem für die Gleichsetzung mit K. Material zu schlagen versucht worden ist, ist nicht beweiskräftig. Denn Chân Minje bedeutet nicht ‚Herberge der Ketzer‘ (unter Anspielung an die in Chân Minje = K. ansässigen Judenchristen, d. i. Mîn מין) – die Deutung ist nur ein jüdischer Volkswitz –‚ sondern Minje (mit kurzem i, während מין langes i hat) ist das arabische Fremdwort ,Wohnung‘ (aus griechisch-koptischem mone = mansio Ztschr. d. Deutsch-Paläst.-Vereins IV 194ff.). Vor allem aber fällt jede Beziehung von K. zu Chân Minje hin, da von der tiefer als ʿAin eṭ-ṭâbiġa gelegenen Quelle ʿAin eṭ-ṭîn nicht gesagt werden konnte, daß sie die Ebene Gennezar bewässere. Dann bleibt es also dabei, daß K. viel richtiger mit Tell-Ḥûm gleichgesetzt wird. Der Name Tell-Ḥûm ist entweder aufzufassen als eine Verkürzung von Tell-Naḥum ‚Hügel Nahums‘ für K. ‚Dorf N.‘. Oder Tell-Ḥûm ist umgewandelt aus Tenḥûm. ‚Denn die jüdischen Pilgerschriften haben für Kefar naḥum ... auch den Namen Tanḥûm‘ (Buhl a. a. O. 224). K. war jedenfalls zur Zeit Jesu eine größere Stadt (vgl. die obigen Daten), und das paßt auch weit besser für Tell-Ḥûm als für Chân Minje. Denn die Ruinen des ersteren Ortes machen einen erheblich großartigeren Eindruck als die von Chân Minje. Die schon von älteren Reisenden entdeckten und bewunderten Ruinen von Tell-Ḥûm sind neuerdings durch Nachgrabungen genauer untersucht worden (vgl. Schürer Gesch. d. jüd. Volkes II⁴ 520, 65). Insbesondere gilt dies von den Resten einer großen Synagoge in Tell-Ḥûm. Allerdings werden diese Ruinen nicht von der Synagoge herrühren, die der heidnische Centurio erbauen ließ (Luc. 7, 5), jedoch stammen sie aus der Blütezeit rabbinischen Lebens in Galilaea‚ etwa aus der Zeit 200 n. Chr., d. i. der Zeit des judenfreundlichen Kaisers Severus (193–211). Viele der damals gebauten Synagogen sind kaiserliche Stiftungen, woraus sich auch grade bei der Synagoge von Tell-Ḥûm, wie anderwärts, der für streng jüdisches Empfinden verletzende, reiche bildliche Schmuck erklärt; vgl. Kohl und Watzinger Antike Synagogen in Galilaea (29. Veröffentlichung der Deutschen Orient-Gesellschaft) 1916 und dazu die Anzeige von [1891] Lietzmann in der Theolog. Lit. Zeitung 1916 nr. 18/19.
[Beer.]
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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