87) D. Iunius Iuvenalis, der berühmte und für die Weltliteratur höchst bedeutungsvolle Satirendichter zu Anfang des 2. Jhdts. n. Chr.
Über sein Leben wissen wir sehr wenig, da keine alte Vita auf uns gekommen ist; wir haben zwar in zahlreichen Hss. kurze Lebensbeschreibungen des Dichters (ed von O. Jahn Editio maior 1851, 386ff.; J. Dürr Das Leben I.s, Progr. Ulm 1888), aber nur eine hat relativen Wert (die der Hs. P des Montepessulanus saec. X, abgedruckt bei Jahn-Bücheler-Leo Ed min.⁴ 1910, 276): Bücheler hielt sie für ein Werk des ausgehenden 4. Jhdts.; ich glaube eher, daß sie zur Zeit der Karolinger aus verstreuten Scholiennotizen zurechtgemacht ist. Der Zeit nach kann von dem Dichter gesetzt sein die im 18. Jhdt. in der Nähe von Aquinum gefundene Inschrift CIL X 5382 (Dessau 2926) C[ere]ri sacrum, [… Iu]nius Iuvenalis .ri. coh. Delmatarum, II[vir] quinq., flamen divi Vespasiani, vovit dedicavit[q]ue sua pec. Leider ist diese bella tavola di marmo verloren und nur in nicht ganz zuverlässigen Abschriften erhalten, so daß weder der Vorname des Weihenden noch die Charge, die doch nur praefectus oder tribunus gewesen sein kann, noch endlich die Nummer der Cohorte feststeht (s. Cichorius o. Bd. IV S. 283). So bleibt es zwar wahrscheinlich, daß der Dichter den Stein gesetzt hat (die Ceres Helvina von Aquino nennt er 3, 320), aber in welchem Lande er gedient hat, ist nicht zu erschließen (trotz Friedländer Ausgabe S. 17f.).
Sicher ist also nur, was der Dichter selbst von sich gelegentlich erwähnt. Die Scholien und Viten haben aus dem Verse 3, 318 quotiens te Roma tuo refici properantem reddet Aquino erschlossen , daß I. aus dieser Stadt Campaniens stamme; auch das ist vollständig ungewiß: schon sein Vater wohnte in Rom (12, 89 Laribus paternis), und nichts spricht gegen die Annahme, daß der Dichter in Rom selbst geboren sei. In Aquinum wird er nur eine Villa gehabt und dort z. B. gewohnt haben, wenn er wirklich Duumvir dort gewesen ist. Was mit dem agellus paternus 6, 57 gemeint ist, wissen wir nicht. Daß der Tiburtinus ager mit der vilica (11, 65. 69) sein Eigentum gewesen, sagt I. nicht ausdrücklich; möglich ist es. Jedenfalls hat I. zur Zeit, wo er schriftstellerte, hauptsächlich in Rom gelebt. Satire 3 setzt das ohne weiteres voraus, und 11, 190 spricht er von meum limen (vgl. auch 12, 87-89). Geburts- und Todesdatum sind ebensowenig überliefert wie die Namen der Eltern (die Angaben der Vita codicis Barberini über die Mutter Septumuleia, den Schwager Fuscinus, das Geburtsjahr a. 55 [1042] sind Schwindel eines Humanisten: s. I. ed. Friedländer S. 15). Der Vorname Decimus ist durch die Büchersubscriptionen (wenn auch nicht der ältesten Hss.) und eine Scholiennotiz hinlänglich gesichert.
Die Lebenszeit des Dichters können wir nur annähernd bestimmen: wir haben in den Gedichten einige ganz sichere Termini post quem: 6, 407 wird erwähnt ein Komet des J. 115; 13, 17 geschrieben nach oder im J. 127; 15, 27 consule Iunco (Okt. 127); da nun die Satiren in Büchern herausgegeben worden sind, bedeutet das: Buch II (Sat. 6) ist nach dem J. 115 ediert, Buch V (Sat. 13–16) nach dem J. 127. Da ferner I. am Ende der ersten Satire erklärt, seine Angriffe richten sich gegen eine schon verstorbene Generation, diese Generation aber durchweg die der Zeit Domitians ist, so wird man auch das erste Buch (wegen 1, 47ff. sicher nach J. 100) nicht viel vor das J. 115 ansetzen dürfen. Aus der Stelle 1, 25 quo tondente gravis iuveni mihi barba sonabat geht hervor, daß damals seine Jugend schon ziemlich weit hinter ihm lag: augenscheinlich hat aus dieser Stelle der Verfasser des βίος seine Angabe gezogen ad mediam fere aetatem declamavit; die rhetorische Tätigkeit I.s stand ja durch die vorhergehenden Verse (1, 15) et nos ergo manum ferulae subduximus, et nos consilium dedimus Syllae, privatus ut altum dormiret fest (mit denen I. freilich nur sagen will, daß er sich aufs Dichten systematisch vorbereitet habe, nicht daß er in der Tat Rhetor gewesen). Wenn der Dichter wirklich die militärische Laufbahn wenigstens bis zum praef. coh. betreten, so fallen diese Dienstjahre jedenfalls lange vor seine literarische Tätigkeit. Auch die municipalen Ehrenämter von Aquinum sind in diese Zeit zu setzen, natürlich hinter die Dienstjahre. Im J. 92 (Dez.) erwähnt Martial den I. zweimal als seinen Freund (7, 24 und 7, 91, hier mit dem Lob facunde); im J. 100 etwa bedauert er ihn, daß er noch immer in der Cliententoga kreuz und quer durch Rom laufen und vornehmere Leute besuchen muß (12, 18).
Daß der Dichter Schüler des Quintilian gewesen, dürfen wir aus der respektvollen Art, mit der der Rhetor öfters erwähnt wird (6, 75. 280. 7, 186ff.), schließen; auch mit dem Epiker Papinius 8 scheint I. befreundet gewesen zu sein, wenigstens spricht er, der sonst gegen die langen Epen manches zu sagen hat, mit Lob und Interesse von seinen Deklamationen aus der Thebais (7, 82ff. vgl. auch 11, 181). Daß I. zum kaiserlichen Hofe keinerlei Beziehungen hatte, darf man aus dem Schweigen seiner Dichtungen darüber mit Sicherheit schließen: die Art, wie er in der Einleitung von Sat. 7 von dem Kaiser (gemeint ist sicher Hadrian, trotz den Zweifeln früherer Forscher wie Rittweger, Progr. Bochum 1885/6) spricht, bestätigt es positiv.
Die Nachricht von einer Verbannung des Dichters hat man vielfach aus Mißtrauen gegen die Viten als Erfindung betrachtet: das ist nicht ganz unberechtigt, obwohl wir hier Zeugen haben, die von den Viten unabhängig sind. Apollinaris Sidonius sagt carm. 9, 271 nach Erwähnung der Verbannung Ovids nec qui consimili deinde casu … irati fuit histrionis exul, und Joh. Malalas (chron. 10 p. 341 Chilmead) weiß noch mehr: ὁ δὲ αὐτὸς βασιλεὺς Δομετιανὸς ἐφίλει [1043] τὸν ὀρχηστὴν τοῦ πρασίνου μέρους τῆς Ῥώμης, τὸν λεγόμενον Πάριν, περὶ οὗ καὶ ἐλοιδορεῖτο ἀπὸ τῆς συγκλήτου Ῥώμης καὶ Ιοὐβεναλίου τοῦ ποιητοῦ τοῦ Ῥωμαίου ὡς χαίρων εἰς τὸ πράσινον. ὅστις βασιλεὺς ἐξώρισε τὸν αὐτὸν Ἰουβενάλιον τὸν ποιητὴν ἐν Πενταπόλει ἐπὶ τὴν Λιβύην, τὸν δὲ ὀρχηστὴν πλουτίσας ἔπεμψεν ἐν Ἀντιοχείᾳ· ὃς κτίσας οἷκον καὶ λουτρὸν ἔξω τῆς πόλεως ἐκεῖ τελευτᾷ. Dieser Bericht stimmt in der Meldung über die Strafe des Paris nicht zu dem älteren des Cassius Dio (LXVII 3), in der über I. nicht zu Sidonius, dessen Worte doch nur besagen können, daß der Dichter auf Betreiben des erzürnten histrio verbannt worden sei. Der Verfasser der Grundvita hat nun gar die (erst im J. 117 oder 118 gedichteten) Verse 7, 90ff.: quod non dant proceres, dabit histrio … praefectos Pelopea facit, Philomela tribunos zur Ursache der Bestrafung gemacht und den letzten Satz des Malalas (oder seiner Quelle) so verdreht, daß er I. (nicht Paris) in der Verbannung sterben läßt. Wir wissen also nichts weiter, als was Sidonius meldet, wenn nicht schon dieser von einem schwindelhaften Scholion seiner erklärenden I.-Ausgabe getäuscht worden ist. Möglich wäre schon, daß I. wegen einer freimütigen Äußerung (nicht wegen eines Gedichtverses!) etwa in den J. 93–95 von Domitian verbannt und von Nerva wieder begnadigt worden ist. Aber es ist auch nur eine Möglichkeit, mit der man etwa noch den besonderen Haß des Dichters gegen den Parvenu Crispinus, einen Günstling des Domitian, verbinden darf: vielleicht ist er der eigentliche Urheber der Verbannung gewesen (Friedländer Einl. 32). In Ägypten ist der Dichter wirklich gewesen (15, 45 quantum ipse notavi; über Reitzensteins Zweifel s. u.); an einen Aufenthalt in Britannien zu glauben (mit Friedländer Einl. 17) sehe ich keinen Anlaß.
I.s Dichtungen scheinen fast vollständig auf uns gekommen zu sein: nur die letzte Satire ist verstümmelt (sie reißt v. 60 mitten im Satze ab), dazu finden sich einige Lücken. Die Herausgabe ist ohne Zweifel in Form der 5 Bücher erfolgt, die unsere Tradition noch aufweist. An eine zweite Ausgabe von Buch 1–4 und Erstausgabe von Buch 5 nach dem Tode des Dichters, wie sie Leo (Herm. XLIV 1909, 600–617) erschließen zu müssen meinte, vermag ich nicht zu glauben (recht gute Widerlegung Leos bei Rud. Clauss Quaest. crit. Iuv., Diss. Leipzig 1912).
Das erste Gedicht bringt, wie es schon Lucilius, Horaz, Persius gehalten haben, das Programm des Satirendichters. Er muß so viele Gedichte sich vordeklamieren lassen, da will er sich rächen, indem er selbst deklamiert: von den rhetorischen Vorübungen geht er gleich zum Dichten über. In einer Zeit aber, wo geschlechtliche Verkehrtheit aller Art und protzenhafter Reichtum der Parvenus aller Vernunft und allem Anstand ins Gesicht schlägt, difficile est satiram non scribere. Den überreichen Stoff dieser seiner beiden Hauptanklagen gegen das damalige Leben läßt er dann wie in ungestümem Ausbruch seines Zorns in einer Fülle von Bildern an uns vorüberziehen[WS 1], das ἦθος des ehrlich Aufgebrachten auch darin treffend, daß er einiges nur ganz kurz durch ein scharf geprägtes, beißendes Wort (in denen [1044] ist er Meister), anderes durch längere Darstellung anführt, ab und zu auch ohne Übergang auf einen neuen Kopf der Hydra einschlägt. Der Warnung aber, die er sich selbst aussprechen läßt, er werde sich durch solchen Kampf Feinde machen, begegnet er mit der Versicherung, er greife nur ein schon ins Grab gestiegenes Geschlecht an. Wohl das beste Gedicht, das ihm gelungen.
Die zweite Satire wettert gegen die heuchlerischen Männer, qui Ourios simulant et Bacchanalia vivunt. Der Dichter läßt ihnen von Verbrechern und einer übelberüchtigten Laronia gründlich die Wahrheit sagen und verhöhnt noch ausführlich selbst die weibischen Kerle, die mit ihrer Geilheit und Üppigkeit die ganze Welt zu verpesten drohen.
Im dritten Gedicht läßt I. einen alten ehrlichen Freund aus der Großstadt auswandern und beim Scheiden sich in den bittersten Klagen über das unerfreuliche und ungesunde Leben in Rom ergehen; die Einkleidung, an sich hübsch, wird doch nicht recht lebendig gemacht und gelegentlich verletzt. Das Thema wird mit vielen Farben ausgeführt; mancher Gedanke war schon von Horaz oder Martial behandelt worden, gelegentlich werden wir an allgemeinere und ältere Lobsprüche auf Landleben und Sittenreinheit der alten guten Zeit erinnert; aber im ganzen trägt I. seinen Stoff frisch nach dem Leben vor. Das Überwiegen unredlichen oder unsauberen Erwerbes, hauptsächlich unter dem Einfluß der peregrini, die Gier nach Gold in allen Ständen, die Verachtung der Armen, die Unsicherheit des Lebens durch Häusereinstürze und Brände, der Mangel an Ruhe und Stille, die Gefahren der Nächte – das alles schildert Umbricius und siedelt von Rom in die Kleinstadt Cumae, mit dem Versprechen, bald einmal zu dem Freunde nach Aquinum zu kommen, um seine Gedichte anzuhören.
Wie so vieles im I. (gerade nach der literarischen Seite) von den Erklärern nicht verstanden ist die Anlage der vierten Satire. Der Hauptteil (von v. 37 an) parodiert in sehr gelungener Weise ein Stück aus des Statius Bellum Germanicum, eine Staatsratssitzung unter Domitian, indem der Dichter die consilarii auf Geheiß des Kaisers beraten läßt über die beste Art der Servierung eines übergroßen Fisches; der Ton erinnert vielfach an Matron und die σίλλοι des Timon. Dieser epischen Parodie gibt I. scherzhaft, als ob sie eben ein großes Epos wäre, ein besonderes Prooimion mit, in dem er hervorhebt, daß hier der ihm ausnehmend verhaßte Crispinus zum zweitenmal in seinen Gedichten vorkomme (zuerst in der demnach schon früher verfaßten Sat. 1, 26ff.); er schildert diese Kreatur noch einmal mit ein paar scharfen Strichen und findet den Übergang zu seinem Hauptteil, indem er erzählt, daß Crispinus auch einmal einen ungewöhnlich großen Fisch um ein kleines Vermögen gekauft und selbst verspeist habe. Hier ist also alles mit bewußter Kunst komponiert: von Flickerei oder verschiedener Abfassungszeit der beiden Teile (so Lewis und Friedländer) kann keine Rede sein [jetzt wenigstens teilweise richtiger Birt Rh. Mus. LXXIV 1915, 542ff. K.-N.].
Ein dem Satiriker besonders am Herzen liegendes [1045] Thema, die unwürdige Behandlung der Hausfreunde und Clienten fuhrt die fünfte Satire in der Form aus, daß der Dichter einem Trebius, der sich als Client nicht sonderlich gedrückt vorkommt, die Unbilden, deren er gewärtig sein muß, durch die Beschreibung eines Gastmahles beim Patron zu Gemüte führt: das griechische Motiv (δεῖπνον), von den römischen Satirikern besonders gern verwertet, von I. in seiner Weise mit viel Detail ausgeführt. Daß er sich dabei nicht ängstlich an die übliche Speisenfolge hält, wie seine Erklärer hie und da verlangt haben, wird man dem Dichter zugute halten, der auch hier wie sonst seinem Unmut durch allerlei Seitenausfälle freien Lauf läßt.
Ein Hauptstück, der Weiberspiegel, ist I. zu einem ganzen Buche (661 Verse) ausgewachsen: auch hier schlägt er die Form des Abratens (wie in 5 und 7) von der Ehe zu Anfang an, verläßt sie dann aber mit gutem Bedacht, weil die Durchführung allzu pedantisch gewesen wäre. Die ungeheure Fülle des Stoffes berührt sich nur in Allgemeinheiten mit den früheren Dichtern und Philosophen, die seit Semonides und Aristoteles das entartete Weib geschildert hatten: er schöpft durchaus aus dem Leben, dem er die intimsten Züge abgelauscht. Wir könnten uns die Anlage des Ganzen planvoller denken, als sie uns entgegentritt, auch ohne eine schulmäßig genaue Disposition zu verlangen: der Dichter aber läßt sich zwanglos, wie es sein Recht ist, von einem Bilde zum andern treiben: er scheut sich nicht, auch das Krasseste und Gemeinste zu berühren: wir bewundern die Kraft seiner Sprache und die nicht zu übertreffende Anschaulichkeit seiner Schilderungen [vgl. jetzt noch Birt Rh. Mus. LXXIV 1915, 524ff. K.-N.].
Das 3. Buch wird von I. absichtlich mit der siebenten Satire eröffnet, welche die traurige äußere Lage aller geistigen Berufe in den düstersten Farben malt: wenn nicht der neue Kaiser (Hadrian) helfend eingreift, wie zu hoffen, müssen sie verzweifeln. Die Verkennung dieses ganz klaren Zusammenhangs zwischen der an den Kaiser gerichteten Einleitung und den Schilderungen des Hauptteils durch Friedländer (er scheint vor allem v. 36 nicht verstanden zu haben) hat zu ganz unglaubhaften Hypothesen über verschiedene Abfassungszeit der Teile geführt; richtig urteilt z. B. Duff. Über die Anordnung: Dichter, Geschichtschreiber (ganz kurz behandelt), Rhetoren, Grammatiker nach einer üblichen Folge vgl. L. Radermacher Rh. Mus. LIX (1904) 525–531. [Noch nicht gesehen habe ich A. Hartmann Aufbau und Erfindung der 7. Satire I.s., Progr. Basel 1912 K.-N.]
Die achte Satire behandelt den schreienden Gegensatz zwischen vornehmer Geburt und moderner Verkommenheit: malo pater tibi sit Thersites, dummodo tu sis Aeacidae similis. Der an sich dankbare und auch vom Dichter mit viel anziehenden Einzelheiten belebte Stoff wird etwas zu abstrakt behandelt; es fehlt an einer wirksamen Einkleidung.
Das neunte Gedicht ist von sehr starker Wirkung. Die Dialogform ist lebhafter ausgestaltet als anderswo bei I., aber der Haupteindruck beruht auf dem Stoff. Daß ein alter verkommener [1046] Kinäde mit einer solch treuherzigen Offenheit von seinem schmutzigen Gewerbe reden könnte wie ein biederer Handwerksmeister, das überrascht selbst einen Leser des Petron. Die Empörung des Unzuchtmeisters über den Geiz seiner Kunden ist von einer solchen Komik, daß man die Widerwärtigkeit seines Berufes darüber vergißt.
Dagegen ist die lange zehnte Satire ein ziemlich schwaches Produkt. Das Thema ,Worum sollen wir zu den Göttern beten‘ ist recht trivial, in griechischer wie römischer Diatribe abgenutzt: die Disposition schulmäßig pedantisch, die Erläuterung an Beispielen nur hier und da originell: selten finden sich prägnante Dicta, an denen sonst I. fruchtbar ist. Mit der Anweisung zu dem alltäglichen Wunsche ut sit mens sana in corpore sano klingt das Ganze recht nüchtern aus.
In dem elften Gedichte geht I. von einer recht matten Deklamation über Leute, die sich durch übertriebenen Aufwand für Tafelgenüsse ruinieren, zu einer Beschreibung seiner eigenen bescheidenen Lebensbedürfnisse über in der schon von vielen angewandten Form einer Einladung, die dem Freunde aufzählt, was er zu erwarten hat. Eingewebt sind ein paar Ausfälle gegen allerlei Luxustorheiten. Einige sympathische Bilder, spärlicher Humor reichen nicht aus, um das Ganze wirksam zu machen.
Erfreulicher beginnt die zwölfte Satire mit der Ankündigung eines Dankopfers für die Errettung des Freundes Catullus aus schwerer Seenot, die etwas umständlich beschrieben wird. Die bescheidenen Opfergaben an die Capitolinischen Götter entschuldigt der Dichter in üblichen Wendungen: dem öffentlichen Akte soll ein Fest daheim folgen. Zu seiner Erwähnung findet I. es für nötig, zu versichern, daß ihm bei alledem jeder Gedanke an Erbschleicherei fern liege, da sein Freund drei Kinder habe: daran schließt sich eine Invektive gegen die Captatores, die (eine groteske Hyperbel) selbst Elefanten, ja Sklaven zum Opfer schlachten und doch noch genasführt würden. So zerbricht auch hier die Form des Gedichtes, ohne daß man eine Entschuldigung für den Dichter zur Hand hätte.
Im dreizehnten Gedichte tröstet I. einen Freund, der um ein Darlehen von 10 000 Sesterzien betrogen war. Der erste Teil enthält (etwas zu breit) den Nachweis, daß solcher Vertrauensbruch ein ganz alltägliches und nicht einmal eins der schwersten Verbrechen sei, von denen die Welt nun einmal erfüllt werde, nachdem die alte gute Zeit entwichen. Der zweite Teil, kürzer und gegen Ende recht wirksam, führt aus, daß es kindisch sei, aus Rachsucht Bestrafung zu verlangen, da ja der Verbrecher der Pein des eigenen Gewissens nicht entgehe.
Die vierzehnte Satire behandelt in etwas umständlicher, aber durch gute Einzelheiten fesselnder Weise die Gefahren des bösen Beispiels der Eltern für die Erziehung. Als das schlimmste der so, zum Teil mit Absicht der Erzieher, auf die Jugend übergehenden Laster betrachtet I. die Gewinnsucht: sie behandelt er darum ausführlich und schließt mit Warnungen vor ihr, ohne zu seinem Ausgangspunkt, der Erziehung, zurückzukehren.
[1047] In der fünfzehnten Satire beschreibt I., wie nach einem Kampf der Bewohner von Ombi und Tentyra in Ägypten ein Gefangener von den Gegnern roh verspeist wird. Die mit einem gewissen Behagen wie ein Heroenkampf (vgl. Horat. sat. I 7) ausgeführte Geschichte dient dem Satiriker als Ausgang einer Deklamation gegen Menschenfresserei, in der alle Schulbeispiele für diesen Stoff von den Laestrygonen und Polyphem an berührt und dagegen die Lehren der Philosophen angeführt werden. I.s Vorzüge treten in diesem Gedichte wenig hervor: der Stoff ist zu fernliegend, der Einzelfall zu wenig bedeutend für ein längeres Stück: nach Einleitung und Erzählung erlahmt das Interesse des Lesers. Trotzdem ist es übertrieben, mit Friedländer hier ,senile Impotenz‘ zu finden; andererseits vermag ich nicht Reitzenstein zu folgen, der (Hellenist. Wundererzählung. 27ff.) in dem Gedichte ,handgreifliche Parodie‘ über Aretalogie erkennen will: dazu stimmt weder die Erzählung selbst, die absolut glaubhaft ist, noch der Ton des Ganzen: man braucht nur die wirkliche Parodie (sat. 4) zu lesen, um das zu empfinden.
Der Eingang der sechzehnten Satire läßt uns erkennen, daß I. hier einmal wieder mit Glück seinen Stoff mitten aus dem Leben genommen. Indem er vorgibt, die Vorteile des Dienstes in der Garde der Praetorianer preisen zu wollen, wird seine Ironie zum Anwalt der Klagen, die ein Zivilist gegen die bevorzugte Stellung dieser Soldaten vorbringen könnte. Mit dem größeren Teil des Gedichtes ist ohne Zweifel für uns viel interessanter Stoff verloren gegangen.
Aus diesen kurzen Inhaltsangaben ist hoffentlich deutlich geworden, daß ich nicht die weitverbreitete Meinung teile, wir könnten in den Satiren das Altern des Dichters deutlich verfolgen: die letzten Gedichte seien schwache Produkte des greisen Schwätzers. Wir erkennen nur, daß der Dichter nicht immer glücklich in der Wahl seiner Stoffe gewesen ist, daß er bei allzu allgemeinen Themata gelegentlich die Frische der Darstellung nicht erreicht, die ihm sofort zu Gebote steht, wo er auf seine Lieblingsstoffe und auf Selbstgeschautes und -erlebtes zu sprechen kommt.
Über I.s Versbau handelt Eskuche in Friedländers Ausgabe 57–80, wo aber die prosodischen Observationen einiger Korrekturen und Ergänzungen bedürfen; am auffallendsten ist die Kürzung vigilandǒ 3, 232, auch postremǒ 11, 11. Im allgemeinen strebt I. nicht nach Eleganz des Verses und ordnet die Metrik durchaus der Rhetorik unter. Seine Sprache ist ungemein reich (besonders auf erotischem Gebiete) und kann sehr ausdrucksvoll sein, steht aber nicht überall auf gleicher Höhe (nachlässig z. B. 5, 17, überkünstelte Umschreibung von Eigennamen s. Friedländer zu 5, 45, stellenweise überflüssige und nur den Vers füllende Flickwörter und Epitheta). Hingewiesen sei noch auf die zahlreichen griechischen Wörter, griechische Zitate wie 9, 37; auf Vergilverse wird vielfach angespielt; gelegentlich zitiert I., wie schon Horaz, auch eigene frühere Verse (10, 226 = 1, 25. 14, 315f. = 10, 365f. 16, 41 = 13, 137).
I. hat, wenn nicht bei Lebzeiten (davon wissen [1048] wir nichts; die archaisierende Geschmacksrichtung um die Mitte des 2. Jhdts. war ihm freilich nicht günstig), so doch für die spätern Jahrhunderte des Altertums einen vollen Erfolg gehabt: er wird vielfach genannt (s. die Testimonia z. B. bei Jahn-Bücheler-Leo 277ff.) und noch mehr benutzt. Noch stärker ist seine Wirkung auf das Mittelalter gewesen: in zahllosen vollständigen Exemplaren verbreitet, wurde er zudem noch für prosodische und besonders für moralische Florilegien eifrigst exzerpiert (Literatur bei Friedländer 83ff.). Wie seine Sentenzen für andere Gedankengänge verwertet wurden, so mußten seine galligen Schilderungen des kaiserlichen Roms zu Deklamationen gegen den Sittenverfall des Heidentums herhalten. Dieser Unfug hat heute noch nicht gänzlich aufgehört: seine tendenziösen, mit allen Mitteln der Rhetorik wirksamer gemachten Zusammenstellungen und Bilder werden noch viel zu sehr als wahrheitsgetreue Momentaufnahmen aus dem Tagesleben des alten Rom gewertet und geglaubt. I. wird noch heute mehr seines Inhaltes als seiner Kunst wegen gelesen: wir haben freilich auch noch keinen Kommentar, der dem Dichter gerecht wird.
Die Probleme der Überlieferungsgeschichte lassen sich heute nur vermutungsweise lösen: es wird noch viel Fleiß nötig sein, bis eine wirklich auch dafür brauchbare kritische Ausgabe vorgelegt werden kann. Auf Grund des bis dahin erforschten Materials hat F. Bücheler (in Friedländers Ausgabe 113–119; kürzer Vorrede zur Ausgabe 1893; ähnlich Owen Ausgabe S. X) einen Abriß gegeben: das Bild ist nach meiner Meinung, abgesehen von den falschen Vorstellungen über ,Rezensionen‘ des Nicaeus und Epicarpius und von der Sonderstellung des ,Probus‘ im ganzen richtig. Die Auffindung der neuen Verse in der Oxforder Hs. hat dann Leo (Herm. XLIV 617) Veranlassung gegeben, auf Grund seiner Vorstellung von einer postumen Ausgabe ein neues, aber meines Erachtens falsches Bild der Überlieferungsgeschichte zu entwerfen. Statt einer Kritik setze ich hierher, was ich selbst zu sehen glaube. Auf uns gekommen sind nur vier alte, d. h. aus dem Altertum selbst stammende Exemplare des Dichters, davon drei nur ganz unvollständig. 1. Vat. lat. 5750 fol. 32 + 39, ein Palimpsestdoppelblatt aus Bobbio in Capitalis rustica (G. Goetz, Jena, ind. lect. aest. 1884); der Band enthielt einst I. und Persius (in dieser Folge) mit Scholien; erhalten sind nur Sat. 14, 324–15, 43. 2. Ein zerstückeltes Blatt in der Mailänder Ambrosiana in Halbunziale saec. VI; s. Ach. Ratti Rendiconti del R. Ist. Lomb. Ser. II vol. 42 (1909) 961f.: enthaltend Sat. 14, 250–256. 268–284. 285–291. 303–319. 3. Die alte (Casineser?) Hs., aus der in die Vorlage des cod. Oxon. Bodl. Canon. XLI (benevent Schrift saec. XI) die in allen andern vollständigen Hss. fehlenden Verse (34 nach 6, 365 und 2 nach 6, 373; in Faksimile publiziert von E. O. Winstedt Oxford 1909) nachgetragen worden sind. 4. Dasjenige alte Exemplar, aus dem alle unsere Hs. stammen, das einzige fast vollständige, das im Mittelalter fortgepflanzt worden ist. Es war eine Majuskel-Hs., wohl in Capitalis rustica, etwa 15 Verse auf der Seite, die Ränder mit Scholien bedeckt; [1049] als sie dem Karolinger, der sie erstmals abschrieb, unter die Augen kam, fehlte außer kleineren Schäden darin das Blatt, das die Oxforder Verse hinter sat. 6, 365 enthielt, und ebenso der Schluß von sat. 16 (rund 100 Verse, nach dem entsprechenden Quinio der Folia Ambrosiana zu rechnen); möglicherweise waren am Ende noch mehrere Lagen mit 16, 61ff. und dem Texte des Persius abgerissen. Dies Exemplar also hat in mühseliger Arbeit ein gelehrter Karolinger abgeschrieben und dabei die Lücken so gut es ging nach Weise der Zeit verkleistert; aus dieser Abschrift stammen alle die zahlreichen I.-Hss. des Mittelalters samt den Florilegien. Die alte Maiuskel-Hs. wies zwei verschiedene, wahrscheinlich am Ende eines jeden Buches wiederholte, Subskriptionen auf; diese wurden beim wiederholten Abschreiben allmählich überall als unwesentlich weggelassen: erhalten haben sie sich durch Zufall hinter sat. 6 und zwar im Leid. 82 (saec. XI): Legi ego Niceus Romae apud Servium magistrum et emendavi (ähnlich im Laur. 34, 42 saec. XI hinter sat. 5), im Paris. 9345 (saec. XI) legente Aepicarpio scribentis Exuperantio servo. Da der Servius magister doch wohl der bekannte Grammatiker des 4./5. Jhdts. ist, so werden wir anzunehmen haben, daß die Nicaeus-Subskription aus einem älteren Exemplar in unsern Archetypus übernommen ist, daß dieser also aus dem von Nicaeus gelesenen und verbesserten Exemplare stammte; Epicarpius aber kann mit Hilfe seines Schreibers Exuperantius eben unsern Archetypus emendiert haben. In unsern Textvarianten zwischen einer Nicaeus-,Rezension‘ und einer Epicarpius-,Rezension‘ scheiden zu wollen, ist ebenso töricht und aussichtslos wie aus unsern Horaz-Hss. die Mavortius-Lesarten herauszusuchen. – Aus der oben erwähnten ersten Umschrift des Archetypus in Minuskelschrift leiten sich nun zwei Ströme mittelalterlicher Überlieferung her, die eine Zeitlang getrennt von einander flossen, bis sie sich in den jüngern Hss. wieder mehr oder weniger ineinander mischten. Der eine, reiner gebliebene, wird für uns heute hauptsächlich durch die erste Hand des Codex P. (Montpellier 125 saec. IX aus Lorsch) dargestellt: an einzelnen Stellen, wo auch dies Wasser getrübt ist, treten andere Zeugen (Scholien, die Blätter von Aarau usw.) ein. Der zweite Strom (die Masse dieser Hss. bezeichnet man mit ω) ist von Anfang an durch gelehrte, mit oder ohne Absicht verschlimmbessernde Arbeit von Karolingerphilologen ziemlich stark verfälscht worden (Beispiel 7, 139, wo ausdrückliches Zeugnis des Priscian für die Lesung von P vorliegt), natürlich nicht so, daß nicht auch an verschiedenen Stellen ω gegen P das Echte bewahrt hätte. So bleibt eine nicht ganz kleine Zahl von Stellen übrig, wo die Recensio zu keinem völlig sicheren Ergebnis zu bringen ist.
Unser Archetypus führte nun aber auch Scholien, d. h. er war ein Exemplar einer kommentierten Ausgabe, deren Verfasser und Zeit wir nicht mit Sicherheit bestimmen können: wenn man dem Zeugnis des Valla (Ausgabe 1486 prohoemium) glauben will, daß er Probus geheißen, hindert nichts, in ihm den jüngern Probus (saec. IV) zu sehen: aber wir werden dann annehmen müssen, daß er im wesentlichen eine ältere gute [1050] Ausgabe kompiliert hat. Aus diesen Scholien des Archetypus sind nun, genau wie bei der Fortpflanzung des Porphyriokommentars zu Horaz, im Laufe der Zeit zwei Konglomerate entstanden: 1. die gehaltvolleren Scholien des cod. Pithoeanus (P), wozu auch die des codex Vallae gehören; 2. die Scholien der ω-Klasse (der in einigen Hss. als Verfasser genannte Cornutus stammt doch wohl aus der Vita Persii), gegen die der andern Klasse arg verwässert, aber doch hie und da auch wichtiges altes Gut führend. Aus den Scholien sind die zahlreichen I.-Glossen exzerpiert worden (s. Götz in Friedländers Ausgabe 106ff.).
Für die sehr große gelehrte Literatur über I. verweise ich auf die Literaturgeschichten (Schanz II³ 2, 1913, 199–219. Teuffel-Skutsch III⁶ 1913, 3–9) und nenne nur das unbedingt Nötige: Kritische Ausgaben, grundlegend: cum scholiis veteribus rec. et em. O. Jahn, Berlin 1851; die kleine Ausgabe ed. Jahn-Bücheler-Leo⁴, Berlin 1910, dazu Apparates criticus ad Iuvenalem coll. C. Hosius, Bonn 1888; editorum in usum ed. A. E. Housman, London 1905; ed. S. G. Owen², Oxford 1907; eine vollständige kritische Ausgabe mitsamt Scholien und exakter Buchung der indirekten Überlieferung ist heute nötiger denn je. Zur Erklärung: ed. G. A. Ruperti², Leipzig 1819; ed. C. F. Heinrich, Bonn 1839; with a comm. (es fehlen sat. 2. 6. 9) by J. E. B. Mayor (I 1893. II 1888 London); erkl. von L. Friedländer, Leipzig 1895; by J. D. Duff (es fehlen sat. 2. 9), Cambridge 1898; noch nicht gesehen habe ich die Erklärung von H. L. Wilson, Boston 1903 (nur 13 Satiren); es ist noch sehr viel im einzelnen richtig zu erklären, vor allem fehlt genügende literarische Interpretation: nützlicher Anfang bei Alfr. Hartmann De Iuv. inventione capita tria diss., Basel 1908.
[Vollmer.]
Vorlage:vorüberzuziehen
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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