53) [M.] Iulius Agrippa (I.), König aus dem Hause des Herodes (der Namen Iulius in der Ehreninschrift für seine Tochter Berenike IG III 556. Das Pränomen ist nicht überliefert; aber sein Sohn, König M. Iulius Agrippa (II.) – s. u. –, hat es ohne Zweifel vom Vater übernommen. In den Inschriften, auf den Münzen und bei den Schriftstellern heißt er in der Regel Ἀγρίππας allein. Einzelne Münzen geben Ἀγρίπας Head HN² 808. Madden Coins of the Jews 131]. Den Namen ‚Herodes‘, unter dem ihn Apostelgesch. c. 12 nennt, hat er nicht geführt). Agrippa wurde geboren im J. 10 v. Chr., da er nach Joseph. ant. Iud. XIX 350 bei seinem [144] Tode, im J. 44 n. Chr., im 54. Jahre stand. Er war ein Sohn des Aristobulos (s. o. Bd. II S. 909) und der Berenike (s. o. Bd. II a. a. O.) und ein Enkel des großen Herodes (ant. Iud. XVIII 133). Von seinem Großvater hatte er das römische Bürgerrecht geerbt; seinen Namen führte er nach dessen Freund M. Agrippa. Agrippa wuchs in Rom heran, im Verkehr mit den Prinzen des Kaiserhauses, besonders mit Drusus, dem Sohne des Tiberius. Nach dem Tode seines Freundes (im J. 23 n. Chr.) verließ er, von Gläubigern arg bedrängt, Italien und begab sich nach Palästina, wo er mittellos ankam. Sein Schwager Herodes Antipas rettete ihn jedoch vor dem Äußersten und verschaffte ihm ein Munizipalamt in Tiberias (er war dort Agoranomos, ant. Iud. XVIII 149). Bald zerfiel er jedoch mit seinem Schwager und bestand darauf noch eine Reihe peinlicher Abenteuer, bis er im J. 36 wieder nach Italien zurückkehrte (das Datum: ant. Iud. XVIII 126). Dort gewann er die Freundschaft des Thronerben Gaius, wurde aber wegen einer unbedachten Äußerung auf Befehl des Kaisers Tiberius verhaftet und mußte sechs Monate im Gefängnis zubringen. Erst der Tod des Tiberius brachte ihm die Freiheit (im J. 37, vgl. Cass. Dio LIX 8); ja der neue Kaiser Gaius verlieh seinem Freund den Königstitel und ein Reich in Syrien, das Josephus (ant. Iud. XVIII 237) ) als die ‚Tetrarchien des Philippos und Lysanias‘ bezeichnet. Der Staat des Philippos, des Sohnes des Herodes, hatte aus der Batanaia und den angrenzenden Landschaften südlich von Damaskos bestanden. Unter ‚Tetrarchie des Lysanias‘ ist hier wohl das Gebiet von Abila westlich von Damaskos gemeint (s. Schürer Gesch. d. jüd. Volkes I³ 718 sowie o. Bd. I S. 98). Damals erhielt A. auch, auf Antrag des Kaisers, vom Senat die Ornamenta praetoria (Philon in Flaccum § 6; vgl. Mommsen St. R. I³ 464, 4). Im J. 38 trat er die Heimreise an, um die Regierung jener Gebiete zu übernehmen. Als er unterwegs in Alexandreia an Land ging, provozierte er dort durch sein Auftreten die judenfeindliche Bürgerschaft, so daß er der äußere Anlaß zu der großen alexandrinischen Judenhetze wurde (Philon a. a. O. § 5). Die Geschichte des Agrippa bis zur Thronbesteigung erzählt ausführlich Joseph. ant. Iud. XVIII 143ff. Wie weit jedes Detail Glauben verdient, muß natürlich dahingestellt bleiben.
Im J. 40 erfuhr das Reich des Agrippa eine wichtige Erweiterung, indem er auch das Gebiet des Herodes Antipas – Galilaea und Peraea – erhielt (Joseph. ant. Iud. XVIII 252. Zur Chronologie vgl. XIX 351). Noch im selben Jahre reiste er wieder nach Rom, um den Kaiser Gaius zur Zurücknahme des Befehls zu bewegen, daß seine Statue im Tempel zu Jerusalem aufgestellt würde. Seine Intervention hatte auch Erfolg (Philon leg. ad Gaium § 35ff. Joseph. ant. Iud. XVIII 289ff.). Er blieb zunächst in der Hauptstadt, wo er das Glück hatte, beim Thronwechsel des J. 41 dem neuen Regenten Claudius wichtige Dienste zu leisten. Claudius nahm dies zum Anlaß, dem Agrippa auch die römische Provinz Iudaea zu übergeben. So war wieder das ganze Reich des Herodes in seiner Hand vereinigt (Joseph. [145] ant. Iud. XIX 236ff.). Sicher ist Claudius bei dieser Politik nicht allein von persönlichen Motiven geleitet worden. Er wünschte vor allem die direkte Berührung zwischen der römischen Verwaltung und den Juden zu vermeiden, die seit der Einrichtung der Provinz Iudaea so unerquickliche Folgen gebracht hatte (s. Mommsen R. G. V 524). Die Wiederherstellung des Staates des Herodes vollzog sich in Rom unter großen Feierlichkeiten. Agrippa schloß mit dem Populus Romanus ein förmliches Foedus auf dem Forum (Joseph. ant. Iud. XIX 275), die Bronzetafel mit der Vertragsurkunde wurde auf dem Capitol deponiert (Joseph. bell. Iud. II 216). Schließlich verlieh man dem König die Ornamenta consularia, wofür er sich in einer griechischen Rede im Senat bedankte (Cass. Dio LX 8, 2). Zur Erinnerung an diese Vorgänge ließ Agrippa eine Münze prägen, die auf dem Avers nebst zwei verschlungenen Händen folgende Inschrift trägt: (im wesentlichen nach Mommsen Wiener numismat. Zeitschrift III 449; vgl. aber Madden a. a. O. 137. Head a. a. O. 808) [φιλία] βασ(ιλέως) Ἀγρίπα [πρὸς τὴν σύγ]κλητον [καὶ τὸν] δῆμ[ον] Ῥωμαίων κ(αὶ) συμ(μαχία).. Auf die Reise des Agrippa nach Rom im J. 40 und ihren glücklichen Ausgang hat Waddington wohl mit Recht die Inschrift Dittenberger Syll. (or.) 418 bezogen, wo ein treuer Untertan des Königs von einem Gelübde berichtet, das er getan habe: ὑπὲρ σωτηρίας κυρίου βασιλέως Ἀγρίππα καὶ ἐπανόδου.
Die Zuneigung seiner jüdischen Untertanen suchte Agrippa durch eifrige Befolgung des mosaischen Gesetzes zu gewinnen (Joseph. ant. Iud. XIX 293ff.). Im Sinne dieser Politik hat er auch die Führer der christlichen Bewegung verfolgt (Apostelgesch. c. 12). Er identifizierte sich so entschieden mit den Bestrebungen der orthodoxen Partei, daß er am Ende den Verdacht der römischen Regierung erregte. Zwar zeigte er gegen Rom stets Loyalität und überschüttete z. B. die syrische Römerstadt Berytus mit Gunstbeweisen (Joseph. ant. Iud. XIX 335ff.). Als er aber daran ging, die Befestigungswerke von Jerusalem zu verstärken, befahl der Legat von Syrien die Einstellung der Arbeiten (Joseph. ant. Iud. XIX 326). Auch der Plan des Agrippa, einen Kongreß der orientalischen Vasallenkönige Roms in Tiberias abzuhalten, wurde von der Reichsregierung vereitelt (Joseph. ant. Iud. XIX 338). Im J. 44 ist König Agrippa während eines Aufenthalts in Kaisareia plötzlich gestorben (Joseph. ant. Iud. XIX 343ff. Apostelgesch. a. a. O.). In den vielen Wechselfällen seines Lebens hat er eine reichliche Anpassungsfähigkeit gezeigt; er muß auch etwas Gewinnendes in seinem Wesen gehabt haben, wenn er es verstand, zugleich den Caligula, den Claudius und die Pharisäer sich geneigt zu erhalten. Sonst war er jedoch eine durchaus gewöhnliche Natur, und er verdient nur dadurch Interesse, daß er in dem welthistorischen Kampf zwischen Römertum und Judentum eine gewisse Vermittlerrolle gespielt hat und zugleich die Anfänge des Christentums beeinflussen konnte. Der formelle Titel des Agrippa war: Βασιλεὺς μέγας Ἀγρίππας Φιλοκαῖσαρ Εὐσεβῆς καὶ Φιλορωμαῖος (Dittenberger Syll. or. 419); ähnlich auf [146] einer in Kaisareia geprägten Münze: Βασιλεὺς μέγας Ἀγρίππας Φιλοκαῖσαρ (Madden 133. Head 808). Mit dem Beinamen ὁ μέγας bezeichnet ihn auch öfter Josephus (ant. Iud. XVII 28. XVIII 110. XX 104; vit. 33). Münzen prägte er teils mit, teils ohne den Kopf des Gaius und Claudius (s. Madden 129ff.); ein interessantes Münzporträt des Agrippa selbst bei Macdonald Catalogue of Greek Coins in the Hunterian Collection III Taf. LXXVIII 8. Auf ihn könnte sich auch die eine oder die andere Inschrift beziehen, die wir zu seinem gleichnamigen Sohn gestellt haben (s. u.), weil dieser viel länger regierte. Verheiratet war Agrippa mit seiner Base Kypros. Aus der Ehe gingen zwei Söhne hervor: M. Iulius Agrippa (der folgende) und Drusus [Iulius Agrippa], sowie drei Töchter: Berenike (s. o. Bd. III S. 287), Mariamme und Drusilla (vgl. Joseph. ant. Iud. XVIII 131ff. XIX 354ff. sowie den von Otto entworfenen Stammbaum des Hauses des Herodes: o. Suppl. nach S. 16). – Vgl. noch Joseph. ant. Iud. XV 405. XVII 30. XVIII 137. 142. 278. XX 1. 15. 140; vit. 37. Tac. ann. XII 23. Schürer 550ff. Prosop. imp. Rom. II 162f.
[Rosenberg.]
Nachträge und Berichtigungen
53) [M.] I. Agrippa I., König von Iudaea im 1. Jh. n. Chr.; vgl. Herodes Nr. 23 (S II 167).
[Hans Gärtner.]
Anmerkungen (Wikisource)
Vgl. auch den Artikel Herodes 23 zur Namensform.
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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