186) Iulius Civilis, ein Bataver, Führer eines gefährlichen Aufstandes germanischer und gallischer Völkerschaften im J. 69–70 n. Chr.
Der Bericht darüber ist fast ausschließlich bei Tacitus überliefert, im IV. und V. Buch der Historien (weiterhin nur als Tac. zitiert); doch ist das Ende dieser Ereignisse nicht mehr erhalten, das V. Buch bricht mitten in der Erzählung derselben ab. Auch abgesehen davon, vermittelt Tacitus keine vollständig klare Vorstellung von den Geschehnissen, da er hier wie auch sonst in der Erzählung militärischer Ereignisse (vgl. auch Mommsen RG V 165, 1; aber in dem Bericht über den germanisch-gallischen Krieg im J. 69 und 70 nimmt Münzer Bonn. Jahrb. CIV 98 vielleicht mit Recht den günstigen Einfluß des älteren Plinius als Geschichtsquelle an) der künstlerischen Darstellung und Hervorhebung ethisch wie psychologisch bedeutsamer Momente die Genauigkeit in der Darlegung der Vorgänge, der militärischen Operationen und in der Angabe der Örtlichkeiten und Zeitumstände opfert. Diesen Mangel können die spärlichen Notizen, über die wir sonst verfügen, nicht im geringsten ersetzen. Was wir aber sonst noch nur Rekonstruktion der Vorgänge aus der ,Archäologie des Spatens‘, aus [551] unserer Kenntnis römischer Heeresverhältnisse und aus sonstigen Erwägungen zu gewinnen vermögen, das hat an diesem konkreten Beispiel H. Nissen Bonn. Jahrb. CXI/CXII 60–80 gezeigt.
Als seinen Namen finden wir bei Tac. IV 13 im Mediceus Claudius Civilis überliefert, für den seines Bruders hingegen Iulius Paulus; das beruht auf Verwechslung der Gentilnamen, deren Verschiedenheit bei den Brüdern wohl auf Bürgerrechtsverleihung durch verschiedene Herrscher des Iulisch-claudischen Kaiserhauses zurückzuführen ist, wie wir auch andere Angehörige derselben Familie kennen, die teils Claudier, teils Iulier waren (Claudius Victor, Iulius Briganticus). Daß der Name Iulius Civilis, den Tac. I 59 angibt, richtig ist, wird bestätigt durch Ps.-Frontin strateg. IV 3, 14. Bei Plut. Ἐρωτικός c. 25, IV p. 459 Bern, hat Madvig statt des überlieferten ΚΙΟΥ ΛΙΟΣ unzweifelhaft richtig ΚΙΟΥΙΛΙΟΣ eingesetzt, ebenso Gelenius bei Joseph. bell. Iud. VII 80 statt des οὐίτιλλος der Hss.; denn auch sonst wird I. stets nur als Civilis angeführt.
Einer der mächtigsten unter den Batavern, von fürstlichem Geschlecht (Tac. I 59. IV 13), trat er um das J. 45 in römische Kriegsdienste (Tac. IV 32). Er war praefectus cohortis (Tac. IV 16. 32), und zwar einer Batavercohorte (vgl. Mommsen RG V 118. Münzer a. a. O. 86, 1. Bang Die Germanen im röm. Dienst 35f. 89f.; dessen Ansicht, daß diese Cohorte erst unter Vitellius gebildet sei, ist unrichtig, da I. schon so viele Jahre an ihrer Spitze stand). Zu Ende der Regierung Neros wurden er und sein Bruder (sie dienten im niederrheinischen Heer), wie es scheint mit Unrecht, des Aufruhrs bezichtigt. Der Legat von Niedergermanien, Fonteius Capito (cos. 67 n. Chr.), ließ Paulus hinrichten und schickte I. als Gefangenen nach Rom. Dort war mittlerweile Nero gestürzt worden, und Galba gab den angeklagten Bataverfürsten frei, Tac. IV 13. 32. I. kehrte auf seinen Posten zurück, geriet aber schon nach kurzer Zeit in eine neue Gefahr. Als nämlich am 1. Jänner 69 zuerst das obergermanische Heer dem Galba den Eid verweigerte und dann am 3. Jänner alle Legionen in Germanien Vitellius zum Kaiser erhoben (vgl. Plut. Galba 22), mußte dieser der mordlustigen Soldateska so manchen ihr verhaßten Offizier preisgeben. Auch gegen I. richtete sich die Wut der Truppen, aber Vitellius bemühte sich, ihn zu retten, weil er auf die Bataver und besonders ihre tapferen Cohorten Rücksicht nehmen mußte. So entging I. dem Tode, Tac. I 59. IV 13. 32.
Von da an hegte er den Gedanken an Vergeltung (vgl. Tac. IV 32; auch V 25 läßt Tacitus die batavischen Adeligen dem Civilis vorwerfen, daß dies für ihn der Beweggrund zur Erhebung gewesen sei; den ersten Keim des Krieges erblickt Tac. II 69 in der Heimsendung der batavischen Cohorten nach der Schlacht bei Betriacum). Doch gelang es ihm bei den damals herrschenden Thronwirren, den Plan eines Abfalls vom römischen Reich geschickt zu verbergen, indem er sich als Anhänger Vespasians ausgab und somit scheinbar nur die Herrschaft des Vitellius bekämpfte. In der Tat konnte er auf die Freundschaft Vespasians von früher her und auf sein Einvernehmen mit den hohen Offizieren der flavischen Partei hinweisen: [552] der Statthalter von Obergermanien, Hordeonius Flaccus, kam persönlich mit ihm zusammen und forderte ihn auf, die für Vitellius aufgebotenen Auxilien (vgl. Tac. II 97; Münzer a. a. O. 101f. will die hier erwähnten Auxilia für verschieden halten von denen in IV 13, weil er mit Unrecht einen Widerspruch in den dazu gehörigen Angaben des Tacitus erblickt; in Wahrheit ist an der ersten Stelle nichts davon gesagt, daß Vitellius damals auch schon den Verrat des Antonius Primus erfahren hatte, sondern er wußte nur von dem Abfall der dritten Legion in Mösien) und die Legionen, die nach Italien ziehen sollten, unter dem Vorwand eines Aufruhrs in Germanien zurückzuhalten, und dasselbe Verlangen stellte bald auch (M.) Antonius Primus brieflich an ihn, Tac. IV 13. 32. V 26.
Daraus ergibt sich auch der Zeitpunkt für den Beginn des batavischen Aufstands: nach der Erhebung Vespasians, also nach dem 1. Juli 69 (damit stimmt auch Joseph. bell. Iud. VII 75 überein: als Vespasian in Alexandria war; man könnte noch weiter herabgehen, wenn man bedenkt, daß die erwähnte Aufbietung der Auxilien von Tac. II 97 nach der Feier von Vitellius’ Geburtstag, II 95, im September erzählt wird). Eine Vorschau über diese Aufstände und Kriegsereignisse gibt Tac. III 46, wo er auf die spätere Erzählung verweist.
Der Kampf um den Kaiserthron und die Schwäche der römischen Rheinarmee, deren Legionen hier größtenteils aus dürftigen Cadres bestanden (nomen magis exercitus quam robur sagt Tac. IV 15, vgl. auch I 61; die Aushebung des Ersatzes erfolgte in aller Eile durch minderwertige Mannschaften aus Gallien, vgl. Tac. II 57. IV 19 subito dilectu), während die Hauptmacht durch Vitellius nach Italien abgezogen war, die Unzufriedenheit der freiheitliebenden Germanen, insbesondere der Bataver, sowie auch der Gallier mit der Römerherrschaft kamen den Plänen des I. zustatten (vgl. Joseph. bell. Iud. VII 75–81). So begann der Aufstand damit, daß die von Vitellius angeordnete Aushebung von Kriegsmannschaft aus dem Volk der Bataver auf I.s Anstiften vereitelt wurde, was umso leichter gelang, als die Bataver über das verbrecherische Treiben der mit der Aushebung Betrauten ohnedies aufs äußerste erbittert waren, Tac IV 14. 15. Nun wurden überall Bundesgenossen geworben; man gewann die benachbarten und stammverwandten Cannenefaten; vor allem aber wurden die schon erwähnten acht Cohorten der Bataver, die als Auxilien der Legio XIV Gemina in Britannien gedient hatten, dann aber von Vitellius nach der ersten Schlacht bei Betriacum (April 69) nach Germanien zurückgeschickt worden waren (Tac. II 69; der Schriftsteller weist hier auf die verhängnisvolle Bedeutung dieses Ereignisses für den kommenden gefährlichen Krieg hin) und damals in Mogontiacum standen (vgl. Tac. IV 24), in den Plan eingeweiht. Schon bald nach ihrer Rückkehr von Italien hatte Vitellius auf die Kunde von der Erhebung Vespasians und dem Abfall mehrerer Provinzen sie und die Cohorten der Cannenefaten von neuem aus Germanien abberufen: aber auf ihrem Zuge nach Rom traf sie die Botschaft des Civilis, dessen Rufe sie Folge leisteten, [553] Tac. II 97. IV 15. 17. 19 (ob daneben noch eigene Cohortes Cannenefatium mitzogen, scheint mir auch nach Cichorius o. Bd. IV S. 267 und Bang a. a. O. 39, 329 zweifelhaft; vgl. Münzer a. a. O. 90. 94). Die schwächliche und zugleich zweideutige Haltung des Hordeonius Flaccus erleichterte ihnen den Abfall; sie zogen nach Niedergermanien, um sich mit Civilis zu vereinigen. Auch der Befehl des Flaccus an den Legaten der Legio I in Bonn, Herennius Gallus, die Bataver aufzuhalten, konnte nicht durchgeführt werden, weil Flaccus seine Zusage, daß er selbst während des Kampfes die Bataver im Rücken angreifen werde, nicht einhielt, sondern seinen Befehl in einem zweiten Schreiben wieder aufhob. So versuchte Gallus, von seinen Soldaten gedrängt, mit unzulänglichen Mitteln den meuternden Cohorten entgegenzutreten, erlitt jedoch eine schwere Niederlage, Tac. IV 19. 20. 24. 25. Die Sieger aber, die schon vor dem Kampf erklärt hatten, sie wollten nicht gegen Rom Krieg führen, sondern nur den Kriegsdienst nach so langer Zeit endlich verlassen, vermieden es, Köln zu berühren, und wagten auch auf ihrem Weitermarsch keine Feindseligkeiten; sie zogen geraden Weges zu Civilis, der nun schon über recht ansehnliche Streitkräfte gebot, Tac. IV 20. 21. Mittlerweile war auch schon an anderen Orten Blut geflossen und der Abfall des Civilis offenkundig geworden, wenngleich über die Ziele der von ihm eingeleiteten Bewegung noch keine Klarheit herrschte. Die Cannenefaten hatten unter Anführung des tollkühnen Brinno und im Verein mit den jenseits des Rheins wohnenden Friesen das Winterlager zweier Cohorten angegriffen, erobert und zerstört (vgl. Tac. IV 32), auch mehrere römische Kaufleute und Marketender überfallen. Die Cohorten zogen sich auf Befehl ihrer Präfekten auf einen höher gelegenen Teil der Insula Batavorum zurück, wo sie unter dem Kommando des Primipilaren Aquilius standen; aber freilich war auch ihnen die kriegstüchtigste Mannschaft durch Vitellius entzogen worden, und was übrig geblieben war, zu ernstem Kampfe wenig geeignet, Tac. IV 15. Zuerst gebrauchte Civilis die List, daß er den Präfekten noch Vorwürfe machte, weil sie das Kastell verlassen hätten, er werde mit der von ihm befehligten Cohorte schon allein der Cannenefaten Herr werden; auf diese Weise hoffte er, die Feinde zu zerstreuen und so einzeln leichter überwältigen zu können. Doch wurde seine Absicht durchschaut, und er mußte sich nun in einen offenen Kampf einlassen. So stellte sich die geordnete Schlachtreihe der Bataver, Cannenefaten und Friesen den römischen Truppen gegenüber, bei denen auch die an diese Stelle des Rheins gebrachten Schiffe waren. Aber der Verrat der Bundesgenossen fügte den Römern eine verlustreiche Niederlage zu; sowohl die Cohors Tungrorum als auch die batavische Rudermannschaft ging zum Feind über, der somit 24 römische Schiffe erbeutete, Tac. IV 16. 17. Dieser Sieg der Germanen war von um so größerer Bedeutung, als er den Aufständischen immer mehr Bundesgenossen gewann, und zwar nicht nur bei den anderen Germanen, sondern, was für Rom besonders verhängnisvoll war, auch bei den Galliern (s. S. 558), die Civilis durch geschicktes und großmütiges Verhalten für seinen Abfall gewann. [554] Ihnen gegenüber machte er kein Hehl daraus, daß er nicht etwa für Vespasian gegen Vitellius Partei ergreife (was man anfangs in der Stadt Rom selbst noch glaubte, vgl. Tac. IV 12), sondern für die Freiheit und Unabhängigkeit von der römischen Herrschaft überhaupt kämpfe, Tac. IV 17. (Wenn Münzer a. a. O. 89 sagt, daß nach dieser Schlacht die Batavercohorten sich für ihn noch nicht entschieden, keinesfalls mit ihm vereinigt hatten, so ist nur dieses richtig, nicht aber jenes.)
Hordeonius Flaccus aber raffte sich auch jetzt noch nicht zu energischem Vorgehen auf; er entsendete gegen die Aufrührer nur den Legaten Munius Lupercus, der nebst den noch zurückgebliebenen Soldaten zweier Legionen (V Alauda und XV Primigenia) und unzuverlässigen Auxilien ahnungslos auch die Ala Batavorum mitnahm, die schon für den Aufstand ihrer Landsleute gewonnen war. Zwar war ihr Präfekt Claudius Labeo ein persönlicher Gegner des Civilis, aber die Truppe selbst ging während der Schlacht zum Feind über und die Hilfstruppen der Ubier (es dürften die Tac. IV 28 erwähnten cohortes Ubiorum sein; vgl. Cichorius o. Bd. IV S. 345. Nissen a. a. O. 66. Bang 41) und Treverer (es ist die Ala Treverorum, deren Präfekt Iulius Classicus war) ergriffen die Flucht; nur die Legionäre hielten dem Angriff des Civilis eine Zeitlang stand, mußten sich aber dann nach Castra Vetera zurückziehen, Tac. IV 18; den Ort des Kampfes gibt Tacitus nicht an, es dürfte auch noch die Insula Batavorum gewesen sein. Claudius Labeo wurde als Gefangener zu den Friesen geschickt.
Nach außen hin trat aber Civilis auch jetzt noch als Parteigänger Vespasians auf und nahm seinen Truppen den Eid auf Vespasian ab, ja, er ließ sogar die eben von ihm besiegten zwei Legionen in Vetera auffordern, den gleichen Eid zu leisten. Doch erklärten diese, dem Vitellius als ihrem Kaiser unverbrüchliche Treue halten zu wollen, und bezeichneten Civilis und die Bataver unverhohlen als Deserteure. Erbittert darüber holten die Empörer zu einem neuen Schlag aus; die Bructerer und Tencterer schlossen sich nun schon dem Unternehmen an, und noch andere Stämme des freien Germanien wurden dafür gewonnen, Tac. IV 21. Damit hatte die Aufstandsbewegung den Charakter eines bloßen Bürgerkrieges verloren (vgl. Tac. IV 22 mixta belli civilis externique facie. II 69 interno simul externoque bello. I 2 bella civilia … externa … permixta), der Bestand der römischen Herrschaft in den Rheinlanden stand am Spiel und die vespasianisch gesinnten Generale konnten der Mächte nicht mehr Herr werden, die sie selbst entfesselt hatten.
Die beiden Legionslegaten in Vetera, der schon genannte Munius Lupercus und Numisius Rufus, setzten im Hinblick auf die bevorstehende Belagerung die Festungswerke besser instand, ließen aber die notwendige Fürsorge für eine längere Verpflegung der Truppen außer acht. Das Lager, das für zwei Legionen bestimmt war, wurde von nur 5000 Bewaffneten verteidigt, so daß auch Troßknechte als Kriegsmannschaft verwendet werden mußten. Civilis zögerte nicht mit der Einschließung, die durch den Anmarsch seiner Truppenmacht zu beiden Ufern des Rheins eingeleitet [555] wurde und am Flusse selbst durch die Fahrzeuge, welche das Germanenheer begleiteten (es sind wohl die 24 erbeuteten Schiffe), vervollständigt wurde, Tac. IV 22. Da der erste Ansturm abgeschlagen wurde, versuchte man keinen neuen, sondern beschloß, die Festung auszuhungern, zumal da es den Germanen bekannt war, daß die Vorräte nur auf ganz kurze Zeit reichten, Tac. IV 23.
Hordeonius Flaccus war angesichts dieser Wendung der Dinge in der schwierigsten Lage. Offen durfte er bei der Stimmung des Heeres nicht als Parteigänger Vespasians auftreten, wurde doch die Erbitterung der Soldaten schon dadurch genährt, daß sie einem so kraft- und energielosen kranken Greise gehorchen sollten. So mußte Flaccus wider Willen den Legaten der XXII. Legion, Dillius Vocula, von Mogontiacum mit Elitetruppen (aus der genannten Legion und der Leg. IV Maced.) zum Entsatz von Vetera abschicken, während er selbst nur langsam zu Schiff nachkommen konnte; er mußte ferner die Briefe Vespasians öffentlich vorlesen und ein Einverständnis verleugnen, den Boten Vespasians dem Vitellius ausliefern, Tac. IV 24. Das half aber nur für den Augenblick. Denn als er nach Bonn kam, meuterten die Soldaten der I. Legion, die, wie erwähnt, kurz vorher eine Niederlage gegen die Veteranen der Batavercohorten erlitten hatten und die Schuld daran einem Verrat ihres Feldherrn zuschoben. Um sich von diesem Verdacht zu reinigen, demütigte sich Hordeonius Flaccus soweit, daß er zu seiner Rechtfertigung die von ihm ergangenen Befehle und Verfügungen den Soldaten vorlesen ließ, noch ehe sie den Offizieren bekannt geworden waren. Seine auch sonst schwächlichen Versuche, die Empörung zu unterdrücken, erregten den Verdacht und den Unwillen der Truppen nur noch mehr; erst als das Heer nach Köln kam, rettete Dillius Vocula, der hier wohl die Ankunft seines Vorgesetzten abwartete, durch sein entschlossenes Auftreten die Situation, so daß Flaccus ihm die weitere Führung überlassen mußte, Tac. IV 25. In Bonn waren mit dem Hauptheer nebst der I. Legion unter ihrem Legaten Herennius Gallus die auf Befehl des Flaccus ausgehobenen (Tac. IV 24) gallischen Auxilien vereinigt worden; auf dem Weitermarsch schloß sich in Novaesium noch die dort garnisonierende Legio XVI an. Hier blieb Flaccus zurück. Ehe der entscheidende Entsatzkampf stattfinden sollte, schlug das Heer bei Gelduba ein gesichertes Marschlager auf. Von hier aus unternahm Vocula vorerst mit dem Gros der Truppe einen Streifzug ins Gebiet der Cugerner, die sich an Civilis angeschlossen hatten. In Gelduba aber blieb mit dem Rest des Heeres Herennius Gallus zurück. Nun war infolge ungewöhnlicher Dürre ein empfindlicher Mangel an Lebensmitteln sowie Wassernot eingetreten. Der Rhein sank auf einen so niedrigen Wasserstand, daß man das Ufer doppelt scharf bewachen mußte, weil der Fluß leicht von den Feinden überschritten werden konnte, und daß ein Getreideschiff auffuhr und von den Germanen erbeutet wurde. Gallus schickte eine Cohorte hinüber, um ihnen die Beute zu entreißen, doch wurden die Römer mit starken Verlusten zurückgeworfen. [556] Wieder wurde Verrat der Führer gewittert, und Gallus, dem seine eigenen Soldaten mit Tätlichkeiten zusetzten, glaubte sich nicht anders retten zu können, als wenn er alle Schuld auf Hordeonius Flaccus schob. Erst als Vocula zurückkehrte, trat wieder Ordnung ein, Tac. IV 26. 27. Mittlerweile gewann I. unter den Germanen immer mehr Bundesgenossen; Chatten, Usiper und Mattiaker vereinigten sich zur Belagerung des von Truppen entblößten Mogontiacum (vgl. Tac. IV 37). Andere zogen gegen die römerfreundlichen Völkerschaften, besonders die Ubier, deren Cohorten nun im vicus Marcodurum (= Düren) überfallen und aufgerieben wurden; dasselbe Schicksal hatten diejenigen von ihnen, die plündernd in das rechtsrheinische Germanien eingefallen waren. Auch die Menapier und Moriner wurden auf Befehl des Civilis in ihrem eigenen Lande bekämpft und angegriffen, ebenso die Treverer, die dazumal noch den Römern treu waren und ihre Grenzen durch einen stark befestigten Wall schützten (vgl. IV 37). I. selbst erneuerte den Sturm auf Vetera, aber mit ebensowenig Erfolg wie das erstemal, so daß er sich wieder nur mit der Einschließung der Festung begnügen mußte. Nur suchte er mit verdoppelter Wachsamkeit den Verkehr der Belagerten mit der Außenwelt zu verhindern und durch Versprechungen sowie durch falsche Nachrichten von Niederlagen der Römer die eingeschlossenen Legionen in ihrer Treue wankend zu machen, Tac. IV 28-30; vgl. 32. 34. Als dann Ende Oktober 69 die Vitellianer bei Cremona vollständig besiegt worden waren und die Nachricht davon mit der Aufforderung, sich dem Vespasian anzuschließen, zu den Truppen in Germanien drang, nahmen diese mit gemischten Gefühlen Kenntnis von der neuen Wendung der Dinge. In Novaesium nahm Hordeonius Flaccus den dort befindlichen Truppen den Eid für Vespasian ab. Während die gallischen Auxilien sogleich von Vitellius abfielen, folgten die Legionssoldaten nur widerwillig dem Gebot ihrer Offiziere, Tac. IV 31. Der Vorgang wiederholte sich in Gelduba, zumal da das Mißtrauen der Truppen rege wurde, als der (oben erwähnte) Brief des Antonius Primus an I. bekannt ward. Nun sollte es sich zeigen, ob I. wirklich bloß für Vespasian die Waffen ergriffen hatte oder für einen Abfall vom Römerreich. Der Treverer Alpinius Montanus, ein Cohortenpraefect in dem bei Cremona besiegten vitellianischen Heer, der nach der Schlacht auf Befehl des Antonius Primus dem germanischen Heer die Botschaft davon überbracht hatte (Tac. III 35. IV 31. V 19), wurde zu I. geschickt, um ihn zur Niederlegung der Waffen aufzufordern, wurde aber von diesem insgeheim als Anhänger gewonnen und kehrte zurück mit der Angabe, seine Mission sei ergebnislos geblieben, Tac. IV 32.
Endlich hatte Civilis doch die Maske fallen lassen; nun mußte auch der Leichtgläubigste einsehen, daß der Krieg nicht gegen einen Thronprätendenten, sondern gegen das ganze römische Reich geführt wurde. Es ist ein Beweis für die beispiellose Verwirrung, die damals in Rom und in den Provinzen herrschte, wenn es so lange möglich war, daß beide einander bekämpfenden [557] Truppen die Anerkennung desselben Kaisers auf ihr Panier geschrieben hatten.
Wechselvoll war das Schicksal der auserlesenen Truppen, die Civilis von dem Belagerungsheer abtrennte und unter dem Befehl des Iulius Maximus und seines Neffen Claudius Victor (beide waren wahrscheinlich Präfekten von Batavercohorten) dem römischen Entsatzheer entgegenschickte. Es gelang diesen Batavern, eine in Asciburgium (Asberg) garnisonierende Ala (die Vermutung von A. Oxé Bonn. Jahrb. CII 131, daß es die Ala Moesica sei, wird gestützt durch das seither gefundene Militärdiplom, Altertümer unserer heidn. Vorzeit V [1911], Taf. 33, dazu v. Domaszewski, S. 181–185; vgl. Ritterling Korr.-Bl. d. westd. Ztschr. 1906, 20–28, wonach sich dieser Truppenkörper im J. 78 in Niedergermanien befand) zu überfallen und Gelduba so unerwartet zu stürmen, daß Vocula nicht mehr Zeit fand, seine Streitkräfte zu entwickeln und die Bataver ein furchtbares Gemetzel anrichteten. Da wurde durch das unvermutete Eingreifen der cohortes Vasconum, die im Rücken angriffen, den Batavern eine vollständige Niederlage bereitet, Tac. IV 33. 34, vgl. 58. Doch nützte Vocula den Sieg nicht aus, sondern ließ erst mehrere Tage verstreichen, ehe er sich zum Weitermarsch entschloß und vor Vetera erschien, das sich noch immer standhaft hielt. Wieder mußte der Feldherr von den Soldaten zu rascherem Handeln gedrängt werden, das dann durch den Ausfall der Belagerten unterstützt wurde. Die Römer siegten, da die Bataver, als Civilis vom Pferd stürzte, entmutigt die Flucht ergriffen. Aber auch jetzt noch fehlte dem Vocula die Initiative zu kräftigem Angriff. Er beschränkte sich darauf, das befreite Vetera noch besser zu befestigen und für die Herbeischaffung der notwendigen Vorräte zu sorgen, die er von Novaesium bringen ließ, Tac. IV 34. 35. 58. Diese Verpflegskolonne erreichte nur einmal ihr Ziel. Dann unternahm I., nachdem er sich von dem ihm zugefügten Schlag erholt hatte, auf den leeren Train (vgl. Henderson Civil War 278, 1) einen Angriff, der ihm durch die Sorglosigkeit der Römer ermöglicht wurde. Doch blieb das Treffen unentschieden, und die römischen Cohorten erreichten Gelduba. Nun verließ Vocula mit seinem Entsatzheer wieder Vetera, ja er nahm noch eine 1000 Mann starke Vexillation der V. und XV. Legion mit, und andere schlossen sich ohne Befehl dem Zug an, so daß die Besatzung dieses Lagers noch mehr geschwächt war, Tac. IV 35. Das Heer zog nach Gelduba und von hier nach Novaesium, in dessen Nähe die Römer in einem Reitergefecht siegten (Tac. IV 36 scheint der Satz Civilis capit Geldubam eingeschoben zu sein). Doch brach dann in Novaesium unter den Truppen wieder eine Meuterei aus, der Hordeonius Flaccus zum Opfer fiel, während Vocula nur mit knapper Gefahr dem gleichen Schicksal entging. Nun trat Verwirrung unter den führerlosen Truppen ein; sie und die benachbarten Gaue der Belger stellten noch Bildnisse des Vitellius auf, obwohl dieser inzwischen schon getötet war (um den 20. Dez. 69). Dann zogen sie dem Civilis, der sich anschickte, Vetera zum zweitenmal zu belagern, entgegen, wurden aber, da keine einheitliche Führung vorhanden [558] war, leicht in die Flucht geschlagen und Vetera ward so von neuem eingeschlossen. Reuig folgten die I., die IV. und die XXII. Legion wieder dem Vocula, der ihnen dann (vielleicht, wie üblich, am 1. Januar; vgl. Siebourg Bonn. Jahrb. CVII 174, 1) von neuem den Eid für Vespasian abnahm. Mit diesen Truppen wurden zunächst die Chatten, Usiper und Mattiaker, die, wie erwähnt, Mogontiacum belagert hatten, aber schon abgezogen waren, gezüchtigt. Auch die Treverer hielten sich immer noch tapfer gegen die Angriffe der Germanen, Tac. IV 36. 37, vgl. 77. Eine summarische Kennzeichnung des damaligen Zustandes gibt Tac. IV 49: nutantes Gallias, paratam Germaniam.
70 n. Chr. Die folgenschwere Wendung des Bürgerkrieges, die sich in den letzten Tagen des J. 69 vollzog und schließlich Vespasian den unbestrittenen Besitz des römischen Kaiserthrones verschaffte, führte in Germanien nicht, wie man hätte erwarten können, das Ende des Aufstandes herbei, sondern nur ein weiteres Umsichgreifen des Krieges. Auf die Nachricht vom Brande des Kapitols und durch übertriebene Meldungen vom Unglück der römischen Waffen fühlten sich auch die Gallier zum Abfall ermutigt, und die Legionen, die dem Vitellius so standhaft ihre Treue bewahrt hatten, wollten auch nach seinem Tode nichts von der Herrschaft Vespasians wissen. Besonders gefährlich war es nun, daß der Geist des Aufruhrs die gallischen Auxilien im römischen Heer ergriff und zu einem Massenabfall führte, Tac. IV 54. 55. Wie schon erwähnt, hatte I. es geschickt verstanden, die Gallier, denen er das schmeichelnde Truggebilde eines selbständigen Imperium Galliarum vor Augen führte, seinen Plänen dienstbar zu machen. Seine Ziele waren aber anderswohin gerichtet, ihm schwebte ein unabhängiges germanisches Fürstentum vor. Er wußte auch stets seine und der Gallier Interessen scharf voneinander zu sondern (vgl. Tac. IV 61; vielleicht denkt daran Ps.-Frontin. strateg. IV 3, 14, wenn er sagt bello quod Iulius Civilis in Gallia moverat).
Zuerst setzte sich Iulius Classicus, der Präfekt der Ala Treverorum, mit Civilis in Verbindung, andere folgten seinem Beispiel, so z. B. sein Landsmann Iulius Tutor, dem Vitellius die Überwachung eines Teiles der Rheingrenze übertragen hatte, und der Lingone Iulius Sabinus. In einem Privathaus der Colonia Agrippinensis kamen die Verschwörer zusammen und berieten über die zunächst zu treffenden Maßnahmen, Tac. IV 55. Die Beschlüsse, die hier gefaßt wurden, zielten darauf ab, die Legionslegaten zu töten, das Heer aber für den Aufstand zu gewinnen und ebenso ganz Gallien zum Anschluß aufzufordern; dann brauchten nur die Alpenpässe besetzt zu werden und Gallien wäre frei. Es war gewissermaßen die konstituierende Versammlung des neu zu errichtenden gallischen Reiches. Nun drangen wohl auch zu Vocula Gerüchte von einem gegen die Römerherrschaft gerichteten Plan der Gallier, aber er mußte alle diese Anzeichen unbeachtet lassen, da er sich bei der geringen Zahl und bei der Unzuverlässigkeit der Truppen nicht stark genug fühlte, der Aufstandsbewegung Herr zu werden. Ehe er von Köln aus zum zweitenmal zum Entsatz [559] von Vetera ausrückte, kehrte Claudius Labeo, aus der Gefangenschaft der Friesen entkommen, zurück und erbot sich, mit entsprechender Mannschaft die Bataver wieder zum Gehorsam zurückführen zu wollen. Doch vermochte er seine Zusage nicht einzuhalten, sondern errang nur bescheidene Erfolge, die überdies bald darauf zunichte gemacht wurden, Tac. IV 56, vgl. 66. Der Zug des Vocula aber gestaltete sich durch den Verrat der gallischen Offiziere zur Katastrophe. Schon nahe von Vetera trennten sich Classicus und Tutor vom Heere unter dem Vorwand, zur Gefechtsaufklärung vorauszuziehen. Als aber ihr Verrat offenkundig war und die Bemühungen Voculas, sie zur Treue zu bewegen, vergeblich blieben, mußte dieser nach Novaesium zurückkehren, während der Abfall im römischen Heer immer weiter um sich griff. Tac. IV 57. Auch dieser Bewegung konnte sich Vocula nicht mehr mit Erfolg entgegenstemmen; er fand den Tod durch die Mörderhand eines Deserteurs der I. Legion, den Classicus dazu entsendet hatte. Die Legionslegaten Herennius Gallus und Numisius Rufus wurden gefangen genommen, und die Truppen leisteten dem Classicus, der mit den römischen Feldherrninsignien im Lager erschien, den Eid auf das neue gallische Reich, Tac. IV 58. 59; vgl. 77. Nach Tac. IV 62 gab es Vexilla des gallischen Reiches, verschieden von den römischen. Daß von Classicus auch die Prägung von Münzen der Gallia mit dem Revers Fides (Cohen I² 343, 361) ausgegangen ist, hat Mommsen Gesch. des röm. Münzwesens 745, 17 wahrscheinlich zu machen gesucht, vgl. RG V 126 und Borghesi Oeuvres VIII 423–425; zweifelnd äußert sich darüber Jullian IV 181, 4, und jüngst erst hat Mary B. Harris Zeitschr. f. Numism. XXXII (1915) 72–78 gute Gründe dafür beigebracht, daß die Münze autonome Prägung von Lugudunum ist aus der Zeit, als Vitellius Herr der Stadt, aber noch nicht allgemein als Kaiser anerkannt war, Anfang 69. Über die Einrichtung des gallischen Reiches auch P. Guiraud Les assemblées prov. dans l’empire rom. (Paris 1887), 204–206 (die Heranziehung der Lyoner Weihinschrift CIL XIII 1675 = Dessau II 4537, die mit diesem Aufstand wohl nichts zu tun hat, beruht nur auf unrichtiger Ergänzung). Jullian IV 205-207.
Energisch und zielbewußt unternahmen nun Classicus und Tutor die weiteren Schritte zur Niederwerfung der Römerherrschaft. Dieser eroberte die Colonia Agrippinensis und zwang auch deren Besatzung geradeso wie die Truppen am oberen Rhein zum Eid auf das neue Reich; doch mußten in Mogontiacum vorerst die höheren Offiziere beseitigt werden. Classicus vermochte durch Boten aus der Reihe der Abgefallenen die eingeschlossene Besatzung von Vetera, wo die Not aufs äußerste gestiegen war, zur Übergabe des Lagers und der Vorräte und zum Eidschwur auf das neue Gallien zu überreden. Aber den traurigen Überresten der V. und XV. Legion hielten die siegestrunkenen Germanen nicht Treuwort und Versprechen. Während der Eskorte vom Lager wurden die Besiegten zum größten Teil niedergemetzelt, was I. allerdings Öffentlich mißbilligte. Diejenigen, welche, um dem Blutbad [560] zu entrinnen, ins Lager zurückgeflüchtet waren, kamen dort in den Flammen um, da das Lager geplündert und in Brand gesteckt wurde, Tac. IV 59. 60. Dieselbe Untreue und unbändige Wildheit mußte der Legat Munius Lupercus erfahren, der nebst Geschenken zur Seherin Veleda geschickt, aber schon unterwegs getötet wurde. Gleichzeitig mit Vetera wurden auch alle anderen römischen Lager in Germanien, ausgenommen Mogontiacum und Vindonissa, vernichtet, die Besatzungen wurden an anderen Orten interniert. Aus Novaesium mußte die XVI. Legion mit ihren Auxilien nach Trier ziehen, stets von der Sorge gequält, daß ihr dasselbe Schicksal wie den Legionen von Vetera widerfahre. Ihr gesellte sich die Bonner Legion (die I.) zu. Nur die ala Picenti(a)na verließ den schmachvollen Zug, ohne daß es der Führer der Eskorte, der einäugige Claudius Sanctus, verhindern konnte, und begab sich nach Mogontiacum, ja, hiebei fand sogar Voculas Mörder den Tod, Tac. IV 61. 62, vgl. 70. 76.
Kaum schien die römische Fremdherrschaft am Rhein beseitigt, so drohte auch schon unter den siegreichen Gegnern Eifersucht und Zwist auszubrechen. Namentlich schwankten Civilis und Classicus, ob die reiche und schöne Colonia Agrippinensis, deren römische Pracht und Üppigkeit den freien Germanen, besonders den Nachbarn und Nebenbuhlern der Ubier, den Tencterern, ein Dorn im Auge war, bestehen bleiben solle. Deren Vorschlag, wenigstens die Mauern zu schleifen und die Stadt zu einem allen Germanen zugänglichen Ort umzuwandeln, wurde von den Agrippinensern ebenso abgelehnt, wie die Zumutung, alle Römer, die sich noch in ihrem Gebiet befanden, niederzumachen und deren Besitz als Gemeingut zu erklären. Nur freier Zuzug zu friedlichen Zwecken wurde den Tencterern gewährt. Civilis und Veleda wurden als Schiedsrichter und Bürgen des neuen Vertrages angenommen, Tac. IV 63–65, vgl. 79. Und immer neue Völkerschaften suchte I. zum Anschluß zu gewinnen oder mit Gewalt dazu zu bringen. Nach den Ubiern kamen die Sunuker an die Reihe, die in Cohorten formiert wurden. Der Versuch des Claudius Labeo, weiteren Erfolgen entgegenzutreten, mißglückte: ein Treffen an der Maasbrücke (= Maastricht ?) blieb unentschieden, aber die Germanen durchschwammen den Fluß, ja, Civilis bewog durch seine geschickte und gewinnende Rede die von Labeo geführten Tungrer (mit ihren Häuptlingen Campanus und Iuvenalis, es war die Miliz des Volkes; eine Cohorte der Tungrer war schon in der ersten Schlacht, die Civilis den Römern lieferte, übergelaufen, s. o. S. 553), Baetasier und Nervier, gleichfalls zu ihm überzutreten, Tac. IV 66.
Im eigentlichen Gallien aber wurde der weiteren Ausbreitung des neuen Herrschaftsgebietes durch den Sieg der römertreuen Sequaner über den ,Caesar‘ Iulius Sabinus ein Ziel gesteckt; Sabinus mußte flüchten und hielt sich dann noch 9 Jahre lang in einem unterirdischen Raum verborgen. Gleich den Sequanern suchten auch die Remi wieder Frieden mit dem römischen Reich zu erlangen und beriefen die gallischen Stämme zu einem Landtag zusammen, Tac IV 67; vgl. Dio exc. LXVI 3, 1. 2. 16, 1. Plut Ἐρωτικός [561] c. 25 (p. 459 Bern. IV). Dem regulären gallischen Provinziallandtag von Lyon wurde nun die Versammlung der Vertreter aller aufrührerischen gallischen Gaue entgegengestellt (vgl. Jullian IV 208–211.) Bei den widersprechenden Meinungen gewannen hier schließlich die Friedensfreunde die Oberhand, namentlich im Hinblick auf die Maßnahmen, die inzwischen von den Flavianern getroffen waren. Denn die Nachrichten, die nach Rom kamen, stellten die Sachlage womöglich noch schlimmer dar, als sie war. Dort hatte C. Licinius Mucianus mit Umsicht und Energie die Leitung inne, und er war nun auch die Seele des Krieges, der jetzt unternommen werden mußte, um die gefährliche Hydra des gallisch-germanischen Aufstandes endgültig niederzuschlagen. Gewaltige Streitkräfte werden aufgeboten (vgl. auch Tac. IV 76: die Ziegelstempel, die Mommsen Herm. XIX 437–441 veröffentlicht und auf diese Ereignisse bezogen hat [auch RG V 127f., 1] gehören einer späteren Zeit an, vgl. dazu und zu den in diesem Krieg verwendeten Legionen überhaupt Jünemann De legione Romanor. I Adiutrice, Leipz. Stud. XVI 1894, 35–38f. 59f. Gündel De legione II Adiutrice, Diss. Leipz. 1895, 23, 2. Nissen a. a. O. 76. Ritterling Österr. Jahresh. VII B. 26. Filow Klio VI. Beiheft 28-31), auf (Q.) Petillius Cerialis (Caesius Rufus) als Führer die größten Hoffnungen gesetzt. Demgemäß überwog in der Versammlung der Gallier, die im Remergau stattfand, die Friedensstimmung. Nur der leidenschaftliche Trevererjüngling Iulius Valentinus schürte zum Kriege gegen die Römer, aber die Meinung des Remers Iulius Auspex drang durch, auch deshalb, weil die Eifersucht der gallischen Stämme aufeinander zu groß war, als daß sie einem von ihnen die Führung überlassen hätten. Dennoch fügten sich die Treverer, von Valentinus aufgereizt, auch jetzt nicht dem gemeinsamen Beschluß, und so wurde der Krieg, wenn auch nur von einem Teil der Gallier, hauptsächlich den nordgallischen Völkern der Treverer und Lingonen (vgl. Tac. IV 70. 71. 77), fortgesetzt, Tac. IV 68. 69. Doch fehlte ein einheitlicher Plan in der Kriegführung der Aufständischen. Während Civilis im Gebiet der Belger ganz zwecklos die Zeit mit der Verfolgung des Claudius Labeo vergeudete, blieb Classicus untätig, und auch Tutor, der am oberen Rhein verweilte, tat nichts, um das Heranrücken der Gegner etwa durch Besetzung der Rheinufer und der Alpenpässe zu verhindern. Daher konnte die Legio XXI Rapax aus Vindonissa ungehindert anmarschieren, gleichzeitig erschienen Auxiliarcohorten aus Raetien unter Sextilius Felix (vgl. Tac. hist. III 5) und die Ala Singulariam unter Iulius Briganticus, dem Neffen des Civilis, mit dem er verfeindet war. Nun aber erwachte wieder Tutors Energie, er verstärkte seine Treverer durch rasche und zum Teil gewaltsame Aushebungen im Gebiet der Vangionen, Caeracaten und Triboker. Es gelang ihm, eine der Cohorten des Sextilius Felix zu vernichten (das Gefecht fand im Elsaß oder in der Pfalz statt), aber beim Herannahen des Hauptheeres gingen die zum Anschluß an Tutor gezwungenen Legionäre von Mainz wieder zum römischen Heer über, und ihrem Beispiel folgten [562] die eben genannten Gallier. Nur die Treverer harrten bei ihrem Führer aus, der es vermied, nach Mogontiacum zu kommen, vielmehr direkt nach Bingen eilte, das er verstärkte, und wo er die Brücke über die Nahe abbrechen ließ. Sextilius Felix jedoch folgte ihm auf dem Fuße, seine Truppen fanden eine Furt in dem Fluß und bereiteten so den Treverern eine Niederlage. Das bewog manchen unter ihnen, sich denjenigen gallischen Stämmen anzuschließen, die den Frieden mit den Römern anstrebten. Doch die beiden Führer Tutor und Valentinus gaben den Widerstand und die Feindschaft gegen die Römer noch nicht auf. Sie töteten die Legaten (Herennius Gallus und Numisius Rufus) der gedemütigten Legionen, die aus Bonn und aus Novaesium nach Trier geführt worden waren und sich nunmehr, nachdem sie den Eid auf Vespasian geleistet hatten, zu den Mediomatrikern begaben, Tac. IV 70. Das war die Situation, in der Petillius Cerialis nach Mainz kam. Voll Kampfbegier, aber auch mit verhängnisvoller Unterschätzung der Feinde und der noch bevorstehenden Gefahren schickte er die aufgebotenen Gallier wieder heim; nur mit Legionssoldaten wollte er siegen. Dadurch gewann er wieder das Vertrauen der Gallier und deren Zuneigung zu den Römern. Überdies waren I. und Classicus durch die Niederlage des Tutor mehr betroffen als dieser selbst. Cerialis aber rückte unaufhaltsam vor; in Mainz wurde die gesamte Garnison in die Marschkolonne eingereiht. Das nächste Ziel war Rigodulum an der Mosel (Riol unterhalb Trier), das von Valentinus verteidigt wurde. Die Festung wurde im Sturm genommen, Valentinus und andere Belger gerieten in Gefangenschaft, Tac. IV 71; vgl. 76. 85. V 24. Am folgenden Tage konnte Cerialis in Trier einziehen; dem Wunsch der Soldaten, die Stadt für ihren Abfall durch Zerstörung und Plünderung zu strafen, gab er nicht nach. Auch den beiden Legionen (I und XVI), die sich so unrühmlich benommen hatten und die er nun aus Metz (vgl. c. 70) herbeikommen ließ, erwies er sich gnädig; er duldete auch nicht, daß die Soldaten von den siegreichen Truppen verhöhnt wurden, sondern richtete sie zu neuer Tapferkeit auf, Tac. IV 72. Noch milder erwies er sich den besiegten Treverern und Lingonen, die er so durch Nachsicht gewonnen zu haben schien, Tac. IV 73. 74. In Trier erhielt er trügerische Angebote von Civilis und Classicus, durch die er allerdings nicht getäuscht wurde, ohne doch die Vereinigung der Feinde zu hindern, Tac. IV 75. Civilis zögerte noch, eine sofortige Entscheidung herbeizuführen, und wollte lieber vorerst die Ankunft der überrheinischen Germanen abwarten, ließ sich aber dann durch das Drängen Tutors, dem auch Classicus beitrat, doch dazu bewegen. Schon war der erste Ansturm auf das römische Lager in Trier so gut wie geglückt. Durch den konzentrierten Angriff dreier Treffen unter der Führung des Civilis, des Classicus und des Tutor wurden die römischen Truppen so rasch zurückgeschlagen, daß Cerialis vollständig überrumpelt wurde. Aber seine Geistesgegenwart und mutige Entschlossenheit vermochte das Schlimmste abzuwehren, und es gelang ihm, den gesunkenen Mut der geschlagenen Legionen wieder zu heben, [563] die den Schimpf der vergangenen Tage nicht von neuem auf sich laden wollten. Die noch intakte XXI. Legion gab den Ausschlag; die anfangs siegreichen Feinde wurden in die Flucht geschlagen und verfolgt, ihr Lager zerstört, Tac. IV 76–78; vgl. V 16. 17. Über die Örtlichkeit dieses Kampfes s. J. Asbach Westd. Ztschr. XVI (1897) 193-199; vgl. auch Henderson Civil War 302. Jullian IV 215 bezieht darauf den Bericht Dios (exc. LXVI 3, 3) von der mörderischen Schlacht zwischen Römern und Germanen.
Die alte Gegnerschaft zwischen den Ubiern und den übrigen Germanen kam nunmehr den Römern zugute (vgl. auch V 24). Die Agrippinenser lieferten die Gattin und die Schwester des Civilis und die Tochter des Classicus aus, die bei ihnen als Geiseln zurückgeblieben waren, metzelten die in der Stadt befindlichen fremden Germanen nieder und überfielen in Tolbiacum eine Cohorte, die aus Chauken und Friesen bestand und auf die Civilis große Hoffnungen gesetzt hatte. Gleichzeitig eilte Cerialis herbei, und die schon früher erwartete (Tac. IV 68. 76) Legio XIV (Gemina Martia Victrix) erschien aus Britannien unter ihrem Legaten Fabius Priscus und brachte die Nervier und Tungrer wieder zur Unterwerfung (vgl. Tac. hist. IV 66). Zwar eine Reihe von Unfällen beeinträchtigte dann wieder die Erfolge der Römer. Die Cannenefaten brachten der britannischen Flotte eine schwere Niederlage bei und besiegten auch die eben erst unterworfenen Nervier; die Reiterei, welche Cerialis auf seinem Zuge gegen Köln nach Novaesium vorausgeschickt hatte, wurde von Classicus geschlagen, Tac. IV 79. Aber zur endgültigen Entscheidung des Krieges trug dies alles nicht bei.
Als die Nachricht von den Erfolgen des Cerialis im Gau der Treverer in Italien einlangte, wußte Mucianus den jungen Domitian davon abzuhalten, daß er die Beendigung des Krieges selbst in die Hand nehme. Der Prinz begnügte sich dann damit, nur bis Lugudunum zu ziehen, Tac. IV 85. 86; vgl. 68. 75. Suet. Dom. 2, 1. Ps.-Frontin. strateg. IV 3, 14. Das stellt Joseph. bell. Iud. VII 85–88 in übermäßig stark aufgetragener Schmeichelei so hin, als ob durch das bloße Gerücht von der Ankunft Domitians in Gallien die Aufständischen sich ergeben hätten; so berichtet es auch der Fortsetzer von Frontins strateg. (a. a. O.), der selbst die bedingungslose Übergabe der Lingonen entgegennahm, s. Schanz Röm. Literaturgesch. II 2³, 511f. Teuffel-Kroll Röm. Lit. II⁶ § 327, 5. Vgl. auch Martial. II 2, 4. VII 7, 3 und Sil. Pun. III 608 Iam puer auricomo praeformidale Batavo. Zur Sache s. Gsell Domitien 10-13.
Civilis hatte nach dem unglücklichen Ausgang der Schlacht bei Trier seine Streitkräfte im freien Germanien verstärkt und gesammelt und lagerte nun in Castra Vetera, wo er alsbald dem Angriff des ihm folgenden Cerialis zu begegnen hatte, der inzwischen durch drei Legionen (II Adiutrix, VI Victrix und die schon erwähnte XIV Gemina Martia Victrix, s. Tac. IV 68. 76. 79; die Annahme Filows a. a. O. 31, daß hieher auch noch die XIII. Legion zu rechnen sei, ist zu gewagt) und neue Auxilien sein Heer verdoppelt hatte. Das sumpfige Terrain war besonders den schwer bewaffneten [564] und mit der Örtlichkeit nicht vertrauten Römern hinderlich, und I. vergrößerte das Überschwemmungsgebiet durch die Anlage eines Staudammes im Rheinstrom. Dennoch vermochten die Germanen dem römischen Heere keine namhaften Verluste beizubringen, und der zweite Kampftag endigte mit der Niederlage und Flucht der Germanen, Tac. V 14–18. Nun wurde die XIV. Legion dem anderen Führer in diesem Kriege, Annius Gallus (vgl. Tac. IV 68), dem neuen Statthalter von Obergermanien, zugewiesen, während zum Heer des Cerialis die Legio X Gemina aus Spanien eintraf. So näherte sich der Krieg seinem Ende. I. war so entmutigt, daß er den (am linken Rheinufer gelegenen) Hauptort der Bataver preisgab und sich auf die Insula Batavorum zurückzog, da er wußte, daß den Römern die Schiffe zum Übersetzen des Flusses fehlten, ja er zerstörte sogar den von Drusus begonnenen Rheindamm (vgl. Tac. ann. XIII 53), so daß sich gewaltige Fluten in den südlichen Rheinarm ergossen. Und auch jetzt noch blieben ihm Tutor und Classicus und überhaupt die Treverer treu (nicht weniger als 113 Notabeln dieses Stammes fanden sich bei ihm ein, auch der schon erwähnte Alpinius Montanus und sein Bruder Decimus) und gewannen auch einige rechtsrheinische Germanen für ihre Sache, Tac. V 19. Daher wagte I. von neuem einen Ansturm auf verschiedene römische Positionen. Die X. Legion wurde in Arenacum, die II. in Batavodurum, die Auxilien wurden in Grinnes und Vada angegriffen. Der Hauptangriff auf Arenacum hatte keinen Erfolg, aber der Lagerpräfekt der X. Legion sowie einige Centurionen und Soldaten wurden, als sie außerhalb des Lagers Arbeiten verrichten wollten, überfallen und getötet. Auch Batavodurum konnte sich halten; entscheidend waren aber die Vorgänge vor Grinnes, das Classicus, und vor Vada, das I. belagerte. Der schon genannte treue Römerfreund Iulius Briganticus, des Civilis Neffe, der als Praefectus alae diente, fand nebst anderen tapferen Kriegern den Tod. Die Ordnung, die dadurch bei den Römern gestört zu werden drohte, stellte Cerialis wieder her, indem er im rechten Augenblick mit einer Kerntruppe hier eintraf und I. zurückschlug. Dieser und sein Neffe Verax retteten mit Mühe das nackte Leben. Auch Classicus und Tutor (die Kämpfe scheinen auf nahe beieinander befindlichen Plätzen am Flusse Waal geführt worden zu sein) mußten flüchten. Cerialis verdankte diese Erfolge der Federkraft seiner Entschlüsse, die er immer mit so großer Schnelligkeit faßte, daß ihre pünktliche Ausführung Schwierigkeiten bereitete; so hatte diesmal wieder die Flotte versagt, indem sie nicht so rasch zur Stelle war, wie der Befehl verlangt hatte, Tac. V 20. 21. Auch andere Fehler, die Cerialis aus Leichtsinn und Sorglosigkeit beging, mußte seine unerschütterliche Festigkeit, aber auch sein Soldatenglück wieder gut machen. Da der Herbst gekommen war (vgl. auch Tac. V 23), ließ er seinen Truppen die Winterlager von Bonn und Novaesium herrichten und fuhr zur Inspektion dieser Lager mit der Flotte fast ohne geordnete Sicherung den Rhein hinauf. Diese Schwäche nutzten die Germanen sogleich zu einem nächtlichen Überfall aus, bei welchem sie mehrere Schiffe kaperten, [565] darunter auch das Admiralsschiff, das Cerialis, wenn wir dem ihm offensichtlich mißgünstigen Tacitus glauben dürfen, aus Pflichtvergessenheit verlassen hatte; dadurch entging er aber der Gefangenschaft. Sein Schiff wurde der Veleda als Geschenk übersandt, Tac. V 22. Nun konnte I. sein durch die erbeuteten Schiffe vermehrtes Geschwader an der Maasmündung zur Schau stellen, zugleich mit der Absicht, die Zufuhr von Gallien her zu unterbinden. Cerialis kam mit seiner an Zahl schwächeren, aber sonst überlegenen Flotte auch dorthin, aber die beiden Geschwader machten nur schwache Versuche, sich gegenseitig zu beschießen, und fuhren dann aneinander vorbei. Hierauf zog sich I. ganz zurück und gab auch die Insula Batavorum preis, die nunmehr von den Römern verwüstet wurde. Aber die Herbstregen verwandelten bald die Insel in einen Sumpf und drohten das Heer ganz einzuschließen, Tac. V 23 (hier ist das genauere Datum durch aequinoctium gegeben). In diesem gefährlichen Augenblick gelang es dem Cerialis, die Aufständischen zur Ergebung zu bewegen. Dem Civilis stellte er Verzeihung in Aussicht, wenn er vom Aufstand ablasse, und auch zu Veleda schickte er eine Botschaft, in der er in kluger Weise auf die bisherigen Erfolge der Römer, auf den Schaden, den die Germanen durch den Krieg erlitten, auf die mißliche Lage ihres Führers I. hinwies und so in gleicher Weise durch Drohungen und Erweckung von Hoffnungen die Gegner umzustimmen vermochte. Als die Bataver selbst für den Frieden gewonnen waren, da schien jeder Widerstand aussichtslos. So entschloß sich I. zur Unterwerfung und kam mit Cerialis auf einer in der Mitte zerstörten Brücke über die Nabalia (einem der nördlichen Rheinarme) zusammen, um über die Bedingungen zu verhandeln, Tac. V 24 – 26. Was dann geschah, erfahren wir nicht aus den erhaltenen Partien der Historien. Aus Tac. Germ. 29 geht hervor, daß die Bataver unter ehrenvollen Bedingungen wieder in das Römerreich aufgenommen wurden: sie blieben abgabenfrei und hatten nur Truppen zu stellen (vgl. V 25). Dio exc. LXVI 3, 3 erwähnt kurz die Unterwerfung.
Folgen des Aufstandes. Die römische Reichsregierung hat aus den bösen Erfahrungen dieses Krieges gelernt. Er war der Anstoß zu einer neuen Heeresorganisation. Zunächst wurden diejenigen Truppenkörper, die sich am meisten kompromittiert hatten, kassiert. Dieses Schicksal traf die I. Legion, die Legio IV Macedonica, XV Primigenia und XVI (Gallica); von den Auxilien u. a. einige Cohorten der Bataver, der Cannenefaten und eine Cohorte der Tungrer sowie die Ala Treverorum, s. Bang Die Germanen 36. Mommsen R.G. V 130f.; Ges. Schr. VI 98f. Hardy Studies in Roman history (1906), 213, 175. Aber für die Folgezeit versah man sich der Wiederholung einer so großen Gefahr. Mit dem System, die von einem Volksstamm ausgehobenen Truppen im Lande zu belassen und sie einheimischen Führern zu unterstellen, wurde gründlich gebrochen. Fortan wurden diese Hilfstruppen in Gebiete disloziert, die von der Heimat möglichst weit entfernt waren; ja, die aus einem Gau ausgehobene Mannschaft wurde in die verschiedensten Auxilien eingeteilt und verlor somit [566] den Charakter der Geschlossenheit; wenigstens läßt sich dies für Germanien und Belgien nachweisen, vgl. Mommsen Ges. Schr. VI 58f. 64. So z. B. ist auch das oben (S. 557) erwähnte Militärdiplom aus dem J. 78 einem Treverer verliehen worden, der in der ala Moesica am Niederrhein diente. Vgl. ferner Bang a. a. O. 37. Henderson Civil War 330. 331, 2.
Persönlichkeit. Die eben erzählten Ereignisse kennzeichnen I. hinlänglich als einen überaus verwegenen und fähigen Führer (vgl. Tac. IV 13 ultra, quam barbaris solitum, ingenio sollers), der Verschlagenheit und diplomatische Geschicklichkeit bei Unterhandlungen und in der Behandlung von Menschen mit Unerschrockenheit und Feldherrnbegabung verband. Auf seine zunächst vielleicht aus äußeren Rücksichten schwankende Politik bei der Anzettelung des Aufstandes ist schon hingewiesen worden. Sicher ist, daß der Bund mit den Galliern durchaus nicht ehrlich gemeint war, sondern nur dazu dienen sollte, seine eigenen ehrgeizigen Pläne zu verwirklichen (vgl. Tac. IV 61), während die ungetreuen oder überwältigten Legionen den Eid auf das gallische Reich leisteten. I. wollte vor allem die völlige Unabhängigkeit seines Volkes erreichen und damit zugleich auch, wie schon hervorgehoben, die Befriedigung persönlicher Rachsucht erlangen.
Über sein Äußeres erfahren wir einiges durch direkte Schilderungen. Das auffallendste Merkmal seiner Erscheinung war wohl, daß er einäugig war, so daß er mit Hannibal und Q. Sertorius (s. Plut. Sert. 1. 4. Sall. bei Gell. II 27, 2) verglichen wird, Tac. IV 13. Er selbst tat sich auch viel darauf zugute, wie er denn überhaupt seit seinem Abfall vom römischen Reich sich das wilde Äußere des Barbaren zu geben liebte: er ließ sich das Haupthaar wachsen und rot färben (vgl. Martial. VIII 33, 20 spuma Batava) und, einem Gelübde folgend, erst nach der Niedermetzelung der Legionen (Tac. IV 61) wieder schneiden.
Familie. I. gehörte wie gesagt zum Fürstengeschlecht seines Stammes (regia stirpe, Tac. IV 13); seinen reichen Besitz erwähnt Tac. V 23: agros villasque Civilis. Sein Bruder Claudius (?) Paulus ist schon erwähnt worden. Zu Beginn des Aufstandes waren seine Mutter und mindestens zwei Schwestern noch am Leben, Tac. IV 18. Eine dieser Schwestern und seine Gattin sind IV 79 erwähnt; sie waren als Unterpfand des Vertrages mit den Agrippinensern in der Stadt zurückgelassen worden. Aus seiner Ehe stammte ein Sohn, der damals noch im Knabenalter stand, Tac. IV 61. Ob es derselbe ist, der nach IV 63 in Köln beim Beginn des Aufstandes in ehrenvollem Gewahrsam gehalten wurde, läßt sich nicht entscheiden. Wir kennen auch drei Schwestersöhne des Civilis, Iulius Briganticus (Tac. IV 70. V 21, vgl. II 22), Verax (Tac. V 20. 21) und Claudius Victor (Tac. IV 33).
Literatur. H. Schiller Gesch. der röm. Kaiserzeit I 2. 500–506. Mommsen RG V 118–132. A. Riese Das rheinische Germanien in der antiken Literatur 131–150. F. Münzer Bonn. Jahrb. CIV (1899) 85-103. H. Nissen ebd. CXI/CXII (1904) 60-80. M. Bang Die Germanen im röm. Dienst (Berlin 1906), 33–37. [567] Filow Die Legionen der Provinz Mösien (Klio VI. Beih., 1906), 28–32. F. Kauffmann Deutsche Altertumskunde I (1913), 360–366. v. Domaszewski Gesch. d. röm. Kaiser II 114–127. Fabia Rev. de philol. XXXIV (1910) 5–42; Studi Romani II (1914), 153–188. B. W. Henderson Civil War and Rebellion in the Roman Empire (London 1908), 231–333. 350–352. C Jullian Hist. de la Gaule IV (1914) 199–222.
[Stein.]
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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