ART

12) Iulianus, Bischof von Aeclanum (Eclanum, Eclana), unweit von Benevent in der Provinz Apulien (Campanien), † ca. 454. Geboren etwa 385, weil Augustin ihn bis 430 als ganz jungen [20] Mann behandelt, Sohn eines apulischen Bischofs Memorius (oder Memor) und einer Dame vornehmsten Standes, Iuliana. Als Lektor (um 404?) heiratete er Titia, die Tochter eines Bischofs Aemilius in der Gemeinde seines Vaters; Paulinus von Nola dichtete aus dem Anlaß ein Carmen epithalamium (c. 25). In einem an Memorius gerichteten Brief 408/9 (ep. 101) erbittet Augustinus, der mit der Familie vielleicht durch Paulinus in freundschaftliche Beziehungen getreten war, daß der Sohn I., damals bereits Diakon, ihn besuche. Eine Reise nach Afrika hat dieser auch um 410 gemacht, möglicherweise aber nur nach Karthago. Während der pelagianische Streit tobte, wurde er Bischof in Aeclanum – der erste und einzige, den wir aus dieser Stadt kennen – etwa 416. Zweifellos war er schon damals ein entschiedener Gegner der afrikanischen Erbsündentheorie, die er als Manichäismus verabscheute. Als Bischof Zosimus von Rom nach anfänglicher Begünstigung der Pelagianer in der Epistola tractoria sie verdammte und ein Staatsgesetz alsbald ihre Exilierung verfügte (März 418), verlor der überzeugungstreue I. sein Bistum. Vergebens schrieb er zwei Briefe an Zosimus, also vor Dezember 418, zur Rechtfertigung, bald darauf einen an Bischof Rufus von Thessalonich, der über Rom an Augustin gelangte: der Ton dieser Schriftstücke ließ jede Verständigung mit dem ehemaligen Gönner in Hippo Regius aussichtslos erscheinen. Augustin wies die Anklagen im Brief an Rufus zurück in seinem Traktat Contra II epistulas Pelagianorum. Aber inzwischen hatte I. den direkten Angriff gegen ihn eingeleitet; einem der mit ihm exilierten italischen Bischöfe Turbantius widmete er, wohl 419, vier Bücher, die auf Grund von Augustins erstem Buch de nuptiis et concupiscentia beweisen sollten, daß nach Augustin die Ehe, auch die von Christen, ein Teufelswerk sei. Ein Auszug aus dem Anfangsteil dieses Werks gelangte, vielleicht nicht ohne Zutun des Autors, an einen theologisch interessierten Freund Augustins, den Comes Valerius in Ravenna, der sie schleunigst mit der Bitte um Aufklärung an Augustin weiterbeförderte. Im 2. Buch de nuptiis et concup. bemüht sich dieser, die Vorwürfe I.s zu widerlegen. I. aber beschwerte sich über die Benutzung verstümmelter und gefälschter Exzerpte: Augustin erneuerte darauf die Widerlegung gründlicher und umfassender in den sechs Büchern contra Iulianum, wo die Bücher 3–6, anscheinend in der Regel Stück um Stück, I.s vier Bücher ad Turbantium halb reproduzieren. Mit seinen 8 Büchern ad Florum (Florus ist ebenfalls ein Leidensgenosse I.s) war aber I. wiederum dem Afrikaner zuvorgekommen: er glaubt hier abschließend, übrigens sehr von oben herab dem afrikanischen Manichäer seine zahllosen Denkfehler und Heterodoxien aufzuzeigen. Über der schweren Arbeit der Widerlegung auch dieser Streitschrift ist Augustin 430 gestorben: die sechs Bücher seines Opus imperfectum contra Iulianum reichen nur bis zum Ende des 6. Buches von I. Da aber diesmal jedes Wort I.s dem Leser buchstabengetreu mitgeteilt wird, ehe Augustin seine Einwendungen danebenstellt, sind ¾ von I.s größter Streitschrift uns unverkümmert erhalten (Migne P. XLV 1049–1608).

[21] I.s Leben verlief von der Absetzung an in Unruhe; meist fern von der Heimat, eine Weile in Mopsuestia bei dem berühmten Bischof Theodorus, eine Weile, 428/9–431, in Konstantinopel bei Nestorius Gastfreundschaft genießend, hat er wiederholt eine Rehabilitation in Rom durchzusetzen versucht, aber weder unter Caelestinus I. um 422, noch unter Sixtus III. nach 432 Erfolg erzielt; der spätere Papst Leo I. soll ihm entschieden widerstanden haben. Da die oekumenische Synode zu Ephesos 431 – und zwar beide streitenden Parteien! – den Pelagianismus, zu dem der Osten von Haus aus neigte, anathematisiert hatte, war erst recht im Westen jede Aussicht auf Wiederaufnahme in die Kirche für I. verloren.

Marius Mercator (liber subnotationum in verba Iuliani, Migne P. XLVIII 109–172) bereichert unsere Kenntnisse bezüglich des I. durch seinen gehässigen Klatsch um nichts; dagegen rühmt Gennadius (vir. ill. 46) seine Schriftgelehrsamkeit, seine Vertrautheit auch mit der griechischen Literatur und Beweise von großartiger Wohltätigkeit, die er in Zeiten einer Hungersnot gegeben. Nach Gennadius wäre I. vor seinem Abirren in die pelagianische Ketzerei clarus in doctoribus ecclesiae gewesen. Er scheint also von Schriften I.s zu wissen, die mit den pelagianischen Streitigkeiten nichts zu tun haben, wohl gelehrte Auslegung biblischer Bücher enthalten. Nun bezeugt Beda in der Einleitung seines Kommentars zum Hohenlied, daß in seinen Händen sich ein Kommentar I.s zu diesem Buche befand, eingeleitet durch ein de amore betiteltes Schriftchen. Auch ein Buch de bono constantiae von I. erwähnt Beda; er glaubt vor ihnen trotz ihrer verführerischen Darstellungsform warnen zu müssen; das Gift der Ketzerei sei darin kaum versteckt – was die von Beda mitgeteilten Sätze denn auch bestätigen. Gennadius würde an antiaugustinischen Sätzen nicht solchen Anstoß wie Beda genommen haben; ob die Kommentare erst aus der späteren Zeit von I.s Schriftstellerei stammen, ist nicht festzustellen, keinenfalls bloß dem Gennadius zuliebe eine Periode kirchlicher theologischer Arbeit des I. vor der antiaugustinischen zu postulieren. Was uns außer Buch I–VI ad Florum von den Schriften I.s erhalten geblieben ist, hat A. Bruckner zusammengestellt in Bd. VIII der ‚Neuen Studien zur Geschichte der Theologie und der Kirche‘ unter dem zu wenig besagenden Titel ,Die vier Bücher Iulians von Aeclanum an Turbantius‘ 1910. Seitdem ist aber durch scharfsinnige Entdeckungen unser Besitz an Schriften I.s erheblich gewachsen. G. Morin hat in Revue Bénédictine XXX 1913, 1–24 den Beweis dafür erbracht, daß von I.s Hand ein Kommentar zu Hosea, Joel und Amos stammt, der bisher kaum beachtet als Anhang zu den Werken des Rufinus umlief (Migne P. XXI 959–1104) und Alb. Vaccari S. J. ,Un commento a Giobbe di Giuliano di Eclana, Roma 1915‘ hat soeben auf Morins Fundamenten weiterbauend gezeigt, daß ein unter dem Namen des Presbyters Philippus zuerst 1897 im Spiciligium Casinense III 1, 333–417 veröffentlichter Hiob-Kommentar ebenfalls dem I. gehört. Der letztere Kommentar hat andere Haltung und Form als der zu den Propheten, er bietet Scholien, der Morin’sche [22] das, was bei Origenes τόμοι hieß. Aber Theologie, Sprachgebrauch, exegetische Grundsätze sind die gleichen und vervollständigen das Bild des Gelehrten I. aufs erfreulichste. Er legt, weil er dem Grundtext möglichst nahe kommen will, die lateinische Übersetzung des Hieronymus aus dem Hebräischen (die jetzige Vulgata) zu Grunde, verzichtet auf die von Origenes übernommene Allegoristerei schlechthin, und sucht ganz wie die großen Antiochener, namentlich Theodorus von Mopsuestia und dessen Bruder Polychronius, deren Werke er auch verwertet, aus dem Kontext, d. h. dem Gesamt-Gedankengang und der historischen Situation der Propheten ihre dunklen Worte zu verstehen.

I. schreibt ein gutes, klares Latein mit einzelnen Eigenwilligkeiten. Er verfügt über reiche Kenntnisse, auch außerhalb des theologischen Gebiets; namentlich beherrscht er die Logik bewunderungswürdig und wird so für Augustin ein gefährlicher, an manchen Punkten gar nicht abzuschüttelnder Widersacher. Allerdings fehlt ihm für die religiöse Stellung Augustins jedes Verständnis; mit seinem radikalen Rationalismus und optimistischen Moralismus wurzelt er völlig in der vorchristlichen Antike. Pietätslos bis zur Boshaftigkeit gegen Augustin hat er sich sonst nie etwas vergeben, was die Achtung vor dem Manne mindern könnte, der wie der unerschrockenste Märtyrer seiner Überzeugung treu geblieben ist; der Schriftsteller I. gehört zu den originellsten und lebendigsten Gestalten der altchristlichen Literatur.

Vgl. A. Bruckner: Iulian von Eclanum, sein Leben und seine Lehre (in Texten und Untersuchungen von v. Gebhardt und Harnack XV 3a), Leipzig 1897.
[Jülicher.]

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