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Iudicium contrarium kommt in zwei wesentlich verschiedenen Bedeutungen vor. Nach klassischem, im Iustinianischen nicht rezipierten Recht ist i. c. ein dem Prozeßbeklagten neben anderen Instituten ähnlichen Zwecks zustehendes Rechtsmittel, die leichtfertig oder grundlos vorgehende [2482] Gegenpartei in ganz bestimmten Fallen (Gai. IV 177 und dagegen 175) strafend zu treffen. Actoris quoque calumnia coercetur modo calumniae iudicio, modo contrario, modo iureiurando, modo restipulätione. Gai. IV 174. Diese vier Rechtsmittel stehen in elektiver Konkurrenz, 179f. Auf Grund des i. c. konnte der siegreiche Beklagte vom Kläger bei der actio iniuriarum ein Zehntel, bei der missio ventris nomine wie der missio in possessionem gemäß den bei Gai. IV 177 angegebenen Voraussetzungen ein Fünftel der Streitsumme fordern. Das Mittel des i. c. richtete sich, wie Gai. IV 178 hervorhebt, gegen den Kläger insofern besonders streng, als es unabhängig von der in den anderen oben erwähnten Fällen nachzuweisenden mala fides des Klägers gewährt wurde. Auch der von der Begründetheit seines Anspruchs überzeugte Kläger verfiel dieser Prozeßstrafe, die insofern von echter calumnia des Klägers unabhängig ist. Über die Formel des Kondemnationsbefehls beim i. c. s. Lenel Ed. perp. § 119.
Während in diesen Fällen das i. c. eine Klage des Gegners voraussetzt und sich selbst als eine zur Verteidigung dienende Gegenklage des Beklagten darstellt, ist i. c. andererseits ein von der Klage eines anderen unabhängiges, vielleicht erst unabhängig gewordenes Rechtsmittel. Im klassischen Sprachgebrauch ist i. c. nämlich auch die Klage des Commodatars, Depositars, Beauftragten, Pfandgläubigers, Vormunds, auftragslosen Geschäftsführers gegenüber dem Parteigegner. Der spätere Sprachgebrauch, der sich auch in zahlreichen Interpolationen des klassischen ,i. c.‘ ausdrückt (dazu Gradenwitz Interpolat. 110ff.), schreibt dafür meist ,actio contraria‘. Es ist möglich, daß dem eine Entwicklung des Prozeßrechts zu Grunde liegt, indem ursprünglich auch der Commodatar usw. seine kontraktlichen Rechte vielleicht nur gegenüber der Klage der Hauptpartei zur Exzeption stellen konnte. Dafür spricht nicht nur der Gebrauch des Terminus i. c., der bei Gai. IV 174ff. nur in letzterem Sinne vorkommt, sondern auch manches andere, das noch der weiteren Nachprüfung bedarf. Vgl. insbesondere Dig. XIII 6, 17, 1 (Paul.): contraria commodati actio etiam sine principali moveri potest, sicut et ceterae quae dicuntur contrariae. Daß die Unabhängigkeit des i. c. von einer Hauptklage des Gegners hier ausdrücklich hervorgehoben wird, könnte auf Entwicklung beruhen. In jedem Fall wird hier der Gegensatz zu dem bei Gai. IV 174 behandelten i. c. betont. Eine ganz andere Erklärung des Paulustextes gibt Lenel Edict. perp.² 246. In der klassischen Zeit wäre jene Entwicklung aber schon abgeschlossen. Gaius selbst sagt unter genauerer Darlegung: necessariam esse contrariam actionem, Dig. XIII 7, 18, 4. Auch nichtinterpolierte Texte wie Dig. XVII 1, 12, 7ff. (Ulp.) dokumentieren die Selbständigkeit dieser Ansprüche. Diese war damals schon so durchgeführt, daß in anderen Texten wie XIII 6, 18, 4 wieder die Möglichkeit hervorgehoben wird, die konträren Ansprüche auch zur Kompensation zu stellen. Andererseits wird Dig. XIII 7, 8 pr. wieder die Selbständigkeit der actio pigneraticia contraria im ausdrücklichen Gegensatz zur bloßen Retentionseinrede betont. Die [2483] Gegenansprüche des Vormunds wurden während des Bestehens der tutela dagegen noch unselbständig behandelt Dig. XXVII 4, 1, 3ff.
Von Interesse ist, daß die actiones contrariae auch wegen positiver Vertragsverletzung gegeben wurden. Dig. XIII 6. 18, 3. Der Titel Cod. V 58 ,de contrario iudicio‘ zeigt, daß auch die Compilatoren selbst diese Terminologie noch immer übten.
[Manigk.]
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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