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Hermunduri, ein bedeutender germanischer Stamm, dessen Name, von Cassius Dio Ἑρμούνδουροι, von Strabon Ἑρμόνδοροι geschrieben, deutlich aus Hermin und dura zusammengesetzt ist. Wenn dura ‚kühn‘ bedeutet, so scheint der erste Teil des Wortes, der in dem Namen Herminones (Tac. Germ. 2) allein steht, häufiger aber als verstärkendes Beiwort vorkommt (Irminsul, Ermamarich), auch in H. nur eine Verstärkung des Begriffes ,kühn‘ zu sein. Der zweite Teil des Wortes hat sich offenbar in dem Namen der Thüringer erhalten, der als patronymische Bildung, wie Flaminger von Flamen, zu betrachten ist (Zeuss Die Deutschen und ihre Nachbarstämme 102f. 353f. Bremer im Grundriß d. germ. Philol. v. H. Paul III 939ff. Much Deutsche Stammeskunde 116). — Die H. werden zu den Sueben im weiteren Sinn gerechnet, wie besonders die Markomannen, Semnonen und Langobarden (Strab. VII 290. Tac. Germ. 38. 41. Vgl. Bremer a. a. O. 918ff.). — Als ihre Nachbarn erscheinen an der Werra die Chatten (Tac. ann. XIII 57), am Harz (?) die Cherusker (Caes. bell. Gall. VI 10), an der Elbe die Semnonen (Vell. II 106) und Langobarden (Strab. a. a. O.), in Böhmen die Markomannen und an der Donau die Varisten oder Naristen (Tac. Germ. 42).

In Caesars Zeit und bei den Feldzügen des Drusus im Innern Deutschlands (im J. 11-9 v. Chr.) tritt ihr Name noch nicht auf; sie sind hier ohne Zweifel noch unter den Sueben mit einbegriffen. Nur die Nachricht bei Strabon (a. a. O.): ein Teil der Sueben wohnt auch jenseits der Elbe wie die H. und Langobarden, νυνὶ δὲ καὶ τελέως εἰς τὴν περαίαν οὗτοι γε ἐκπεπτώκασι φεύγοντες (von Zeuss und Bremer ganz bestritten, von Devrient N. Jahrh. IV 51ff. unrichtig auf die Sueben im allgemeinen bezogen), paßt am besten in diese Zeit und besagt, daß die beiden Stämme sich vor Drusus auf die rechte Seite der Elbe zurückzogen, wie auch eben damals die von Drusus besiegten Markomannen vom Main nach Böhmen zurückwichen. Wahrscheinlich im J. 7 v. Chr. (nicht erst im J. 2 , wie Bremer 939 sagt) drang L. Domitius Ahenobarbus (s. o. Bd. V S. 1344f.) als Statthalter von Illyricum von der Donau her bis über die Elbe vor und siedelte die heimatlos umherirrenden, vielleicht eben durch die Markomannen verdrängten H. (d. h. nur einen Teil derselben) ἐν μέρει τῆς Μaρκομαννίδος an (Caes. Dio LV 10 a). Daß damit ein Teil des bisherigen Markomannenlandes (und zwar das obere Maingebiet gemeint ist, zeigt v. Gardthausen (Augustus II 3, 762). Aus der [907] Zeit der späteren Feldzüge des Tiberius werden im J. 5 n. Chr. die H. (also ein anderer Teil des Stammes) neben den Semnonen an der Elbe genannt (Vell. II 106 Albim, qui Semnonum Hermundurorumque fines praeterfluit), nach dem Zusammenhang offenbar jenseits der Elbe, während die Langobarden diesmal dem Feind sich stellten, aber besiegt wurden (fracti Langobardi). Wir bemerken also bei den H. im Norden zweimal ein Zurückweichen über die Elbe, im Süden am Main ein freundliches Verhältnis zu den Römern. Daß sie damals zum römischen Reich gehörten, wie Bremer 940 annimmt, beruht auf unrichtiger Auffassung der Verhältnisse; die Elbe war nicht die Grenze des Römerreichs, sie sollte es erst werden. Die nicht untertänige, aber freundliche Stellung der H. zu den Römern blieb zwar nicht ganz ungestört, wie Mommsen R. G. V 144. 195 angibt, dauerte aber doch bis zum Markomannenkriege. Keinen Anteil nahmen sie an der patriotischen Erhebung unter Arminius; auch später, als es im J. 17 zum Kampf zwischen Armin und Marbod kam, scheinen sie sich zu letzterem gehalten zu haben oder wenigstens neutral geblieben zu sein, während ihre Nachbarn, die Semnonen und Langobarden zu Armin ‚abfielen‘ (Tac. ann. II 45). Als König Marbod (im J. 19) nach fast 30jähriger, machtvoller Herrschaft von Catualda gestürzt war, wurde dieser bald darauf von den H. unter Anführung des Vibilius vertrieben (ebd. II 62f.). Unter ihm erreichte der H.-Stamm den Höhepunkt seiner Macht. Vibilius herrschte, wie Marbod, als König mehr als 30 Jahre lang, und vermochte noch im J. 51 im Bunde mit Lugiern und Iazygen den einst von Drusus d. J. eingesetzten König Vannius (in Mähren) zu stürzen (ebd. XII 29f.). Bald darauf (im J. 58) zeigten die H. auch im Westen ihre Macht und Tapferkeit, indem sie im Kampf um Salzquellen die Chatten besiegten (ebd. XIII 40 57). Dieser Kampf fand wohl bei Salzungen an der Werra statt (Kirchhoff Die Thüringer doch Hermunduren [1882] 11f.), nicht an der fränkischen Saale. 40 Jahre später finden wir die H. im Süden in ausnahmsweise friedlichem und freiem Verkehr über die Donau hinüber bis nach Augsburg (Tac. Germ. 41), während die Tenkterer am Rhein über die strenge und mißtrauische Absperrung der Grenze zu klagen gehabt hatten (Tac. hist. IV 64). Wiederum ca. 70 Jahre später sehen wir sie mit den Markomannen und andern deutschen und sarmatischen Stämmen gegen die Römer verbündet (Hist. aug. vita M. Ant. phil. 22, 1). Von da an verschwindet ihr Name aus der Geschichte fast ganz; sie werden noch auf der Veroneser Völkertafel und dann zum letztenmal von Iordanes (de rebus Get. 22) für die Zeit um 350 genannt als nördliche Nachbarn der Vandalen. Auffallend ist, daß schon Ptolemaios (um 150) ihren Namen nicht mehr nennt, sondem an ihrer Stelle eine Reihe anderer, sonst unbekannter Stämme aufzählt (II 11). Bemerkenswert sind unter diesen die Τευριοχαῖμαι, deren Namen man in seinem ersten Teil mit -duri, in seinem zweiten Teil mit dem deutschen haim (-heim, vgl. Boiohaemum, Bojerheim) in Zusammenhang bringt (Zeuss a. a. O. 103. Bremer 941. Much a. a. O. 110. 116). Jedenfalls ist der Schluß berechtigt, [908] daß der so große und weit ausgedehnte Stamm der H. damals nicht mehr fest zusammenhielt. Ein Teil derselben schloß sich wohl auch zu Anfang des 3. Jhdts. an den Alamannenbund an.

Die genauere Bestimmung ihrer Wohnsitze begegnet erheblichen Schwierigkeiten, einmal, weil das eigentliche Thüringen, der Hauptsitz der seit dem 5. Jhdt. auftretenden Thüringer, als Wohnsitz der H. nirgends bezeichnet ist, und dann, weil Tacitus (Germ. 41) die Elbe in ihrem Gebiet entspringen läßt. Werneburg (Jahrb. d. Akad. zu Erfurt, N. F. X [1880]) suchte nachzuweisen, daß sie nicht im heutigen Thüringen gesessen haben, und daß die Thüringer nicht von ihnen abstammen, daß vielmehr die Cherusker das Gebiet zwischen Werra, Harz, Saale und Thüringer Wald bewohnt haben. Und diese Ansichten wurden trotz Kirchhoffs Gegenschrift (s. o.) aufs neue verfochten von Devrient (N. Jahrh. III 517ff. IV 51ff.). Er läßt mit Berufung auf die Stelle des Tacitus die H. auch das nördliche Böhmen bewohnen. Mit Recht weist aber Kirchhoff darauf hin, daß die Cherusker nach allen sonstigen Nachrichten ihre Wohnsitze weiter nördlich, an der mittleren Weser, hatten, und daß die Bemerkung des Tacitus wegen seiner offen eingestandenen Unsicherheit über die Elbe (flumen inclitum et notum olim, nunc tantum auditur) auf einem Mißverständnis beruhen müsse, daß er vielmehr die thüringische Saale meine (so auch Leop. Schmidt Herm. XXXIV 158f.). Jung hat an die Eger gedacht (Geogr. v. It. orbis Rom.² 111), K. Müller an die Moldau, die nach ihm auch Ptolemaios (II 11, 1) mit der Elbe verwechselt hat. Für den Wohnsitz der H. in Thüringen aber zeugt ihr Kampf mit den Chatten an der Werra (s. o.), ferner die Tatsache, daß kein Volksstamm sich finden läßt, der im Besitz von Thüringen die H. an der Elbe und die an der Donau voneinander getrennt haben könnte, endlich der in der Landschaft und dem entsprechenden späteren Volksstamm fortlebende Name. Die Annahme von Ludwig Schmidt (zuletzt in der Allg. Gesch. d. germ. Völker bis zur Mitte des 6. Jhdts., 182ff.), daß die ‚bayerischen‘ H. schon seit Domitius zu einem selbständigen Volk erwachsen seien, das von dem Hauptvolk jenseits des Thüringer Walds scharf zu trennen sei und eine besondere geschichtliche Rolle gespielt habe, scheint uns weder in den überlieferten Nachrichten noch in allgemeinen Erwägungen begründet.
[Haug.]

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