ART

Hageladas, Sohn des Argeios, von Argos, der führende Meister der älteren argivischen Bildhauerschule und Lehrer des Polyklet und des Myron, lebte vom dritten Viertel des 6. Jhdts. bis zum zweiten Viertel des 5. Jhdts. und ist zu scheiden von seinem gleichnamigen Enkel, dem Sohne oder vielleicht Neffen des Argeiadas, der ein Zeitgenosse Polyklets war. Letzterer war den griechischen Gelehrten nur aus einzelnen Signaturen seiner Werke bekannt und wurde daher von seinem berühmten Großvater nicht geschieden. Die Folge war eine heillose Verwirrung der Chronologie, die für uns noch dadurch verschärft wurde, daß ein unwissender Spätling in das Hauptzeugnis, Schol. Aristoph. Ran. 501, in welchem der Herakles Alexikakos des H. nach der großen Pest von 431/0 datiert wird, die zeitlich [2190] widersprechende Angabe einschob, H. sei Lehrer des Pheidias gewesen. Diese Angabe haben dann Suidas und Tzetzes mitsamt einer Korruptel des Namens (Geladas) übernommen. Sie ist gegenüber der wohlbezeugten Angabe, daß Hegias der Lehrer des Pheidias gewesen sei, unbedingt zu verwerfen und auch nicht in der von Furtwängler Meisterwerke 80f. versuchten konziliatorischen Weise durch die Annahme zu halten, daß Hegias Schüler des H. gewesen sei. Weiteres s. den Art. Hegias. Das Datum in dem Scholion stammt von Apollonios, und zwar nach v. Wilamowitz Aus Kydathen 154 dem Sohne des Chairis, der um 100 v. Chr. lebte, geht also auf die beste hellenistische Forschung, vielleicht auf Apollodor von Athen und damit auf urkundliche Zeugnisse zurück. Aus Apollodors Chronik hätte es nach Kalkmann Quellen der Kunstgesch. des Plinius 41 Plin. n. h. XXXIV 49 übernommen. Kalkmann hält demgemäß bedingungslos an der von Thiersch und Sillig aufgestellten, auch von W. Klein früher verfochtenen Annahme fest, daß das Zeugnis gut und daher der Beleg für die Existenz eines jüngeren H. sei (vgl. auch S. 65f.). Er stellte sich damit in Gegensatz zu der von Brunn begründeten, besonders von Overbeck und Robert verteidigten herrschenden Meinung, nach welcher der Gewährsmann des Apollonios eine frühere Pest mit der bekannten großen verwechselt oder gar die ganze Datierung aus dem Beinamen Alexikakos des Herakles, auf welchen das Scholion gar nicht eingeht, erschlossen habe – ein Verfahren, das bei Pausanias, nicht jedoch bei einem hellenistischen Gelehrten verständlich ist. Neuerdings hat Frickenhaus Arch. Jahrb. XXVI alle gegen die Glaubwürdigkeit der Datierung in dem Scholion erhobenen Einwände entkräftet, vor allem die auf den Beinamen Alexikakos begründeten, die sich mit besserem Rechte umkehren lassen: denn wenn der delphische Apollon die Athener anwies, den alten Apollon des Kalamis nach Erlöschen der Pest zum Alexikakos zu ernennen, so spricht das nicht gegen, sondern für die gleichzeitige ἵδρυσις einer Statue des Herakles Alexikakos im alten Herakleion von Melite (den Beweis für das Alter des Heiligtums will Frickenhaus in den Athen. Mitt. XXXVI führen, s. u.). Wer demgegenüber anführt, daß Thukydides die Nutzlosigkeit aller religiösen Mittel bezeuge, vergißt, daß der Glaube die Religion macht und kennt weder Priester noch Gläubige. Endlich beruht die Annahme einer Pest um 500 auf der ganz unsicheren Ergänzung einer Grabinschrift, die überdies älter als 520 zu sein scheint, also vor den Beginn der Tätigkeit des alten H. fällt. Wer es demnach für methodisch möglich hält, eine ältere Pest ad hoc zu erschließen, muß noch die Unwahrscheinlichkeit hinnehmen, daß die Statue von den Persern verschont worden wäre; denn eine Pest nach 480 könnte unmöglich verschollen sein (Beispiele verschonter vorpersischer Bronzen gibt Wolters Athen. Mitt. XVI 160).

Der somit für das letzte Drittel des 5. Jhdts. bezeugte H. kann nicht der Altmeister von Argos sein; denn dieser hat ziemlich sicher vor 507, höchstwahrscheinlich jedoch bereits in den J. 520 und 516 Statuen olympischer Sieger geschaffen. [2191] Brunns Annahme, die Statuen seien viel später als die Siege, scheitert daran, daß der eine Sieger bereits 507 hingerichtet wurde; wenigstens darf man methodischerweise nicht ohne Grund mit der schwachen Möglichkeit rechnen, daß seine späteren Nachkommen dennoch seine Statue geweiht hätten. Damit schwindet zugleich jede Berechtigung dazu, die anderen Statuen für wesentlich jünger als 520 und 516 zu halten (Brunn Gesch. d. griech. Künstler I 68ff., dagegen Robert Arch. Märchen 95). Andererseits muß H. bis gegen 460 gelebt haben, denn erst zu dieser Zeit beginnt die Tätigkeit seines Schülers Polyklet. Da er kaum vor seinem 20. Jahre selbständig gewesen sein kann, wäre er damals etwa 80 Jahre alt gewesen. Es ist deshalb nicht möglich, mit Sicherheit zu entscheiden, ob die ins nächste Jahrzehnt zu setzende Statue des Zeus Ithomatas, die die Messenier für ihre neue Heimat Naupaktos machen ließen und später in die alte zurückbrachten, von ihm oder von seinem Enkel herrührt. Die Überlieferung darüber bei Paus. IV 33, 2 ist neuerdings gut gegen die in der vorigen Generation beliebte, an Willkür streifende Hyperkritik verteidigt worden (Frazer Paus. III 439. Hitzig-Blümner Paus. II 176. Frickenhaus a. a. O.). Für die Familie des H. ergibt sich ein durch fünf Generationen reichender Stammbaum in folgender Weise. Die von mehreren Künstlern signierte Basis des großen Weihgeschenkes des Praxiteles in Olympia, die älter als der Bauschutt des um 460 errichteten Zeustempels ist, trägt unter anderen die Inschrift Αργειαδας ⁝ Ηαγελαιδα ⁝ ταργειo (Dittenberger Inschr. v. Olympia nr. 631. Löwy Inschr. griech. Bildh. nr. 30). Daß Argeios ebenso wie das zugehörige Patronymikon Argeiadas Eigenname, nicht Ethnikon ist, darf hier so wenig bezweifelt werden wie bei Plin. n. h. XXXIV 50, wo ein jüngerer Argeios unter den Schülern Polyklets erscheint; denn nicht nur die Wortstellung: Polyclitus discipulos habuit Argium, Asopodorum ... Demeam Clitorium, die ja zur Not auf Mißverständnis einer poetischen Quelle zurückgehen könnte (Kalkmann a. a. O. 41), verbietet, dem Demeas von Kleitor einen Asopodoros von Argos zur Seite zu stellen, sondern die Verbindung dieser Wortstellung mit der Tatsache, daß Name und Patronymikon häufig in derselben Familie wechseln. Argeiadas ist also der Sohn des H. und der Enkel des Argeios, nicht der Sklave des Argivers H. (v. Wilamowitz Lectiones epigraphicae, Ind. lect. Gott. 1885/6, 12. Robert Arch. Märchen 97). Argeiadas ist älter als Polyklet, Argeios II. jünger: es liegt also sehr nahe, in ihnen Großvater und Enkel, die den Namen des Urahnen Argeios I. fortpflanzen, zu erkennen. Wie von selbst fügt sich nun der jüngere H. als Enkel des älteren in die Lücke und es entsteht folgender Stammbaum (Schöll Hist. philol. Aufsätze für Curtius 117ff. Frickenhaus a. a. O.):

Argeios I
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Hageladas I
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Argeiadas
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Hageladas II
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Argeios II

[2192] Auf Grund der Altersverhältnisse hat früher Robert a. a. O., später Mahler Polyklet 6f. und darnach Klein Gesch. der griech. Kunst I 340. II 142. Michaelis-Springer Handbuch d. Kunstgesch. I9 210, bestritten, daß H. der Lehrer des Polyklet gewesen sei, wie Plinius (n. h. XXXIV 55) aus guter Quelle berichtet (Xenokrates? Kalkmann a. a. O. 55). Mahler will Argeiadas dafür einsetzen. Das ist angesichts der urkundlichen neuen Datierung Polyklets ein methodisch unzulässiges Schematisieren; als ob Künstlergenerationen und Schülerfolgen wie die Kettenglieder aneinandergereiht und nicht vielmehr mannigfach mit einander verzahnt wären. Warum soll der Altmeister H. mit achtzig Jahren nicht so frisch wie Tizian mit neunzig Jahren gewesen sein und daher natürlich trotz seines weniger bedeutenden Sohnes Schüler gehabt haben? Über die Schreibung des Namens Ἁγελᾴδας vgl. Löwy a. a. O. XVIII nr. 30.

Von Werken des älteren H. sind folgende überliefert:

Siegerstatue des Läufers Anochos von Tarent in Olympia, 520 (Paus. VI 14, 11); vgl. Hyde De Olympionicarum statuis a Paus. commemoratis nr. 132;
Quadriga des Kleosthenes von Epidamnos in Olympia, 516; der Sieger stand neben seinem Wagenlenker, den Pferden waren die Namen Phoinix, Korax, Knakias und Samos beigeschrieben, offenbar oben am Sockel; zur Bedeutung der Namen s. Hitzig-Blümner Pausanias II 584. Das Bildwerk stand hinter der panhellenischen Dankweihung für den Sieg von Plataiai, dem großen Zeus südöstlich vom Zeustempel (Paus. VI 10, 6), vgl. Hyde a. a. O. nr. 99;
Siegerstatue des Pankratiasten Timasitheos von Delphi, der 507 wegen Teilnahme an dem Handstreich des Isagoras in Athen hingerichtet wurde (Paus. VI 8, 6. Herod. V 70ff.), vgl. Hyde a. a. O. nr. 82;
Pferde und gefangene messapische Frauen, bronzenes Weihgeschenk der Tarentiner in Delphi, aufgestellt in der Nähe des Schatzhauses der Sikyonier (Paus. X 10, 6; 11, 1) an der Südseite der unteren heiligen Straße, wo Pomtow Klio VIII 326ff. einen Rest der Stützmauer des Unterbaus erkennt. Eine Anzahl in der Nähe gefundener Steine sind nach den Resten der Weihinschrift mit ziemlicher Sicherheit der Basis zuzuweisen (Pomtow a. a. O. und Delphika II 14); die nur aus runden Zapfenlöchern bestehenden Standspuren gestatten keine Vermutung über die Anordnung der Figuren, wie daraus drastisch hervorgeht, daß Bulle Klio VIII 333ff. vor der Auffindung des nahezu entscheidenden Inschriftrestes aus der Anordnung der Löcher einen Schiffskampf erschließen und die Steine daher dem Weihgeschenk der Liparäer zuweisen wollte. Sein Gedanke, daß die Pferde und die Frauen in bunter Reihe dagestanden hätten, führt zwar zu einer formal befriedigenden Anordnung, nicht jedoch zu einer im Archaismus belegten Sockelform (S. 331); dagegen hält er mit Recht daran fest, daß es sich wirklich um erbeutete Rosse und Frauen, nicht um ein Viergespann oder Reiter und Frauen oder gar um Reiter und Fußkämpfer handle, wie grundlos vermutet worden ist. Das Weihgeschenk ist aus paläographischen und anderen Gründen (schwere Niederlage der Tarentiner im J. 473) in [2193] das erste Viertel des 5. Jhdts. zu setzen (Bourguet Fouilles de Delphes III 1, 77. Pomtow Klio VIII 329). Pomtows beiläufige Ansetzung in das Jahrzehnt zwischen Marathon und Salamis ist zu eng begrenzt, da einerseits die Schriftformen nicht auf zehn Jahre genau zu datieren sind, andererseits H. noch lange nach 480 gearbeitet hat; vgl. Hitzig-Blümner Paus. III 687f.
Statue einer Muse mit Harfe (Barbitos), die mit zwei anderen Musen des Kanachos und des Aristokles zusammen aufgestellt war, wodurch die Zuweisung an den älteren H. gegeben ist: Epigramm des Antipater von Sidon, Anthologie II 15 nr. 35 Jacobs.

Von keinem dieser Werke besitzen wir irgend welche Anschauung, dagegen vermitteln uns Münzbilder wenigstens die Motive zweier Statuen, von welchen sich ebensowenig wie von einer dritten von Pausanias genannten Figur sagen läßt, ob sie von dem älteren oder von dem jüngeren H. herrühren.

Statue des Zeus Ithomatas, ἐποιήθη δὲ ἐξ ἀρχῆς τοῖς οἰκήσασιν ἐν Ναυπάκτῳ Μεσσηνίων (Paus. IV 33, 2), ein Ausdruck, der sich nach dem Sprachgebrauch des Pausanias und im Zusammenhange seines Textes nur so verstehen läßt, daß die Auswanderer sich ein Bild ihres heimischen Gottes machen ließen, das sie bei der Rückkehr in die alte Heimat natürlich mitbrachten. Robert (Arch. Märchen 94) will bei dieser von ihm übrigens abgelehnten Auffassung die Echtheit des Bildes bezweifeln, weil die Messenier nach der Einnahme von Naupaktos zunächst zerstreut worden seien. Da das Bild jedoch klein und leicht genug war, um jährlich in das Haus des neugewählten Priesters gebracht zu werden, so versteht es sich von selbst, daß Flüchtlinge, vermutlich der Priester und seine Familie, die Figur mitgenommen haben. Emigrantentraditionen erlöschen auch heute noch nicht so leicht, besonders wenn sie von Gottes Gnaden sind. Vgl. im übrigen die schon oben angeführte Literatur. Kaum gangbar ist der von Thraemer vorgeschlagene Ausweg, daß schon vor 456 flüchtige Messenier Aufnahme in Naupaktos gefunden hätten (Collignon Gesch. d. griech. Plastik I 335, 1). Die Statue ist also in den fünfziger Jahren des 5. Jhdts. entstanden, war höchst wahrscheinlich aus dünn gegossener Bronze und dürfte höchstens lebensgroß gewesen sein. Auf den vom 4. Jhdt. ab verfolgbaren messenischen Münzen, die überdies oft mit Μεσσά(νιοι) Ἰθωμ(αῖοι) bezeichnet sind, herrscht nun ein Zeustypus, der nicht wohl jünger als die Mitte des 5. Jhdts. sein kann, durchaus vor: er gibt offenbar den Ithomatas des H. wieder (Cat. Brit. Mus. Pelop. Taf. 22 passim. Journ. hell. Stud. 1886 Taf. 66 R 4, 5. Hitzig-Blümner, Pausanias I Münztaf. III 20, 21. Michaelis-Springer I9 211 Abb. 393). Der Gott steht in halber Ausfallstellung mit vorgesetztem linken Bein, das im Knie leicht gebogen ist, und holt mit der erhobnen Rechten aus, um den Blitz zu schleudern; auf der vorgestreckten Linken sitzt der Adler. Das Motiv ist reif archaisch und bereits um 500 voll entwickelt, wie eine Anzahl Kleinbronzen lehrt: Michaelis a. a. O. Abb. 394. Karapanos Dodone Taf. 12, 4. Olympia Ergebnisse IV Taf. 7 nr. 43. 45; mit gestrecktem Bein Taf. 8 nr. 44. Das beste Exemplar hält Kekule [2194] für äginetisch, Kekule v. Stradonitz und Winnefeld Bronzen aus Dodona Taf. 1; s. auch S. Reinach Repert. de la stat. II 1f. III 1. Bei der Statue des H. wird die altertümliche Ausbreitung in der Fläche gemildert gewesen sein. Für die Einzelformgebung darf auch aus den besten, darin sehr bestimmten Münzen nichts geschlossen werden; sie stand vermutlich auf der gleichen Stufe wie bei dem sog. Münchner Zeus (Heros. Brunn-Bruckmann Denkm. griech. und röm. Skulpt. Taf. 122; Hirth-Bulle Der schöne Mensch2 Taf. 46 S. 95f.). Als nächstes Beispiel für das Nachleben des Motivs in dieser Zeit vergleicht Frickenhaus a. a. O. die Kleinbronze Brit. School Annual III Taf. 10, 1; eine späte Umbildung bei Blinkenberg Aarborger f. nord. oldkynd. 1900, 67 = Reinach a. a. O. III 1 nr. 2. Der Tatbestand gestattet keine Entscheidung, ob der alte H. als Greis der neuen Zeit nicht mehr ganz gefolgt ist, oder ob sein Enkel als weniger bedeutender Meister anfangs noch in alten Schultraditionen befangen war, wie Frickenhaus annimmt.
Mit dem Zeus Ithomatas eng verbunden ist eine sehr ähnliche undatierte Bronzestatue, die wir auch aus Münzen kennen: der Zeus παῖς in Aigion, der ebenfalls bei dem jeweiligen Jahrespriester wohnte (Paus. VII 24, 4. Journ. hell. Stud. 1886, Taf. 67 R 12 f Cat. Brit. Mus. Pelop. Taf. 4 nr. 12. 14. 17. Hitzig-Blümner Pausanias II Münztaf. IV 16f.). Die beste Münze läßt keinen Zweifel an dem Knabenalter: Svoronos Journ. internat. num. II 1899, 302, Taf. 14, 11; überdies findet sich wiederholt die Beischrift Αἰγιέων παῖς. Die vollständige Gleichheit des Motivs weist die Figur dem Meister des Ithomatas zu.
Das gleiche ist sehr wahrscheinlich für die Bronzestatue des bartlosen Herakles in Aigion, von welchem Pausanias a. a. O. ganz dasselbe wie von dem Zeus παῖς berichtet.

Sicher dem jüngeren H. gehört das letzte bezeugte Werk, der Herakles Alexikakos von Melite, der durch die große Pest in den Anfang der Zwanziger Jahre des 5. Jhdts. datiert wird. Von dieser Statue glaubt Frickenhaus a. a. O. wenigstens den Typus mit Hilfe eines Statuettentorso aus Athen und einer Gemme nachweisen zu können. Zwei frageweise geäußerte Vermutungen von Furtwängler bedürfen heute keiner Widerlegung mehr (Roschers Myth. Lexikon I 2159; Griech. Vasenmalerei II 8). Die Grundlage der Annahme von Frickenhaus ist hypothetisch und vor dem Erscheinen seines Aufsatzes über das Herakleion von Melite in den Athen. Mitt. XXXVI nicht nachzuprüfen: der fragliche Torso, abgebildet von Watzinger Athen. Mitt. XXIX 238f., ist nämlich neben dem kleinen Heiligtum am Westabhange der Akropolis, in welchem Dörpfeld u. a. trotz schwerer Bedenken das Dionysion in den Sümpfen erkennen wollen, gefunden worden; und dieses Heiligtum hält Frickenhaus für das Herakleion. Falls das richtig ist, wäre es gut möglich, daß die Statuette ein Weihgeschenk im Typus des Alexikakos war; der Fundort schließt jedoch weder aus, daß sie aus einem anderen Heiligtum in dieser Gegend – Watzinger a. a. O. denkt an das des Herakles Menytes – noch daß sie aus einem Privathause stammt. Die kunstgeschichtliche Stellung der Statuette wird von [2195] Frickenhaus und Watzinger verschieden beurteilt. Klar ist, daß sie zu einem Kreise von Heraklesdarstellungen aus der Mitte des 5. Jhdts. gehört, dessen Hauptvertreter die sog. Theseusherme Ludovisi (Brunn-Bruckmann Taf. 329, 1), ein Torso in Dresden (Arch. Anz. 1894, 170. Arndt-Amelung Einzelaufnahmen ant. Skulpt. 184), zwei unvollendete Statuetten aus Athen in Madrid (Arndt-Amelung a. a. O. nr. 1721. S. Reinach Repert. II 207, 7) und Athen, Nationalmuseum nr. 2573, sowie einige Gemmen sind (Furtwängler Meisterwerke 450 Abb. 70; Gemmen I. Taf. 43, 30. Taf. 39, 20 = Roscher Myth. Lex. I 2156). Die Theseusherme und der Dresdener Torso sind allem Anschein nach Repliken der gleichen Statue, die dem Doryphoros in Größe und Proportionen genau, im Motiv mit dem wesentlichen Unterschiede entsprach, daß Arme und Kopf im Gegensinne bewegt waren. Der Kopf ist von rein attischem Typus und steht in enger Beziehung zu Myron (vgl. Arndt-Amelung nr. 243f.); ferner ist die Rechte, welche die Keule schultert, mit dem Unterarm viel mehr nach außen gedreht als der Speerarm des Doryphoros. Die gleichzeitige Gemme Meisterwerke 450, 70 verändert den Typus dieser Statue dadurch, daß sie den vom Löwenfell umschlungenen linken Unterarm auf einer Säule ruhen läßt. Ganz anders ist der Rhythmos der Madrider Statuette, denn bei ihr sind Stand- und Spielbein vertauscht (daher ,weicht die Bewegung der Hüften ab‘!); sie gibt also mit geringen Abweichungen im einzelnen das Spiegelbild des Doryphorostypus, welchem die griechisch-römische Gemme bei Furtwängler Taf. 43, 30 so genau entspricht, daß er darin den Herakles des Polyklet erkennen möchte – was freilich nach Lippolds Ausführungen Arch. Jahrb. XXIII 208ff. seine Bedenken hat. Auch der Kopf der Madrider Figur ist von anderem Typus als der des Theseus, jedoch ebenfalls attisch (die Figur ist irrig beurteilt bei Arndt-Amelung a. a. O. IV 57). Die schöne augusteische Gemme endlich gibt, wie Furtwängler zu Taf. 39, 20 mit Recht bemerkt, einen rein attisch-pheidiasischen Typus wieder. Ihr steht das bei Frickenhaus nicht erwähnte unvollendete Figürchen in Athen, Nationalmuseum nr. 2573 sehr nahe; der Kopf ist dort etwas nach rechts gewendet; Unterschenkel und linke Hand fehlen. Es bleiben zwei Statuettentorsen, der Athener und ein von Watzinger a. a. O. beschriebener in Budapest. Letzterer steht der Herme auch in der Strenge der Formgebung und in Einzelheiten so nahe, daß er eine ungewöhnlich sorgfältige Statuettenreplik zu sein scheint. Der bedeutend kleinere Athener Torso, der vom Hals bis zum Knie 0,35 m mißt, zeigt dagegen so starke Abweichungen, daß Frickenhaus ihn im Gegensatz zu Watzinger auf ein anderes Original, eben den Herakles Alexikakos des jüngeren H. zurückführt. Den linken Unterarm möchte er nach der letztgenannten Gemme halb erhoben mit Löwenfell und Bogen ergänzen, und schließlich glaubt er, in der Gemme geradezu den Alexikakos erkennen zu dürfen, weil eine beigefügte Säule die Figur als Kultbild charakterisiere. Da er anscheinend nur nach der Zeichnung bei Roscher und ohne Kenntnis von Furtwänglers Bemerkungen in den ,Gemmen‘ [2196] urteilt, gerät er auf diese Weise in doppelten Widerspruch mit sich selbst. Denn erstens verwendet er eine augusteische Gemme, obwohl er das Fehlen des Typus auf den Münzen der Kaiserzeit damit erklärt, daß das Heiligtum damals nicht mehr bestanden habe – was nach Ausweis der Ruinen bereits für das 1. Jhdt. v. Chr. gilt; zweitens ist die Figur auf der Gemme rein attisch (man vgl. z. B. den Diadumenos Farnese, Brunn-Bruckmann Taf. 271. Michaelis-Springer a. a. O. 259. Bulle a. a. O.2 Taf. 49), während Frickenhaus selbst den Polykletischen Charakter der Statuette betont und annimmt, der Herakles Alexikakos des jüngeren H. habe den Athenern den allgemeinen Charakter der Polykletischen Kunst vermittelt. Was nun endlich den Statuettentorso aus Athen betrifft, so stellt Frickenhaus zwar durchaus richtig einen wesentlichen Unterschied in dem schlanken Aufstreben der Statuette gegenüber der breiten Entfaltung des Hermentypus fest, seine Bewertung dieser Beobachtung ist jedoch methodisch nicht unbedenklich. Weder im 4. Jhdt., in welches Watzinger die Statuette schwerlich mit Recht setzt – das Vorhandensein einer ziemlich unnötigen Stütze für den rechten Unterarm, die etwas kleinliche Angabe der Holzmaserung an der Keule und die ursprünglich kräftige Politur der Oberfläche sprechen für eine bedeutend spätere Entstehung –, noch selbst in der Kaiserzeit pflegen so kleine Statuetten treue Repliken großer Statuen zu sein; sie pflegen vielmehr Motiv und Formgebung nur in den Grundzügen zu bewahren. Wir sind daher so lange nicht berechtigt, die von Frickenhaus hervorgehobenen Eigentümlichkeiten der Statuette ihrem Vorbilde zuzuschreiben, bis andere zuverlässigere Repliken den Beleg dafür erbringen. Daß sie auf das Original des Hermentypus zurückgeht, ist freilich auch nicht wahrscheinlich. Denn ganz abgesehen davon, daß sie nicht mehr polykletische Elemente zeigt als viele attische Figuren, ist die Form der Pubes von dem verbreiteten Typus der Tyrannenmörder abgeleitet, steht also im Gegensatz zu der polykletischen Bildung an der Herme. Ein so auffälliger Einzelzug ist aber schwerlich auf Willkür des Kopisten zurückzuführen. Wie vielfach der Grundtypus von der Mitte des 5. Jhdt. ab von den verschiedensten Künstlern variert worden ist, hebt mit Recht hervor P. Herrmann Arch. Anz. 1894, 169f. Damit schwindet jede Möglichkeit, von dem Herakles Alexikakos des jüngeren H. mehr zu sagen, als was sich von selbst versteht: daß er von der Kunst des damaligen argivischen Schulhauptes Polyklet abhängig gewesen sein wird. Da es sich nun auch fragt, ob der Zeus Ithomatas und der Zeus παῖς von ihm oder von seinem Großvater herrühren, trifft auf ihn zu, was Frickenhaus von seinem Großvater sagt: daß er wieder vollkommen zum Schatten geworden ist.

Was den ältem H. betrifft, so dürfen zwar die Münzbilder des Ithomatas und des Zeusknaben sowie die Angabe, daß der Herakles in Aigion bartlos gewesen sei, für ihn nur noch frageweise verwendet werden. Damit ist jedoch nicht, wie Frickenhaus meint, etwas Wesentliches für die Kenntnis seines Stils verloren. Der Zeusknabe und der Herakles dienten Knabenkulten; ihre Jugendlichkeit [2197] war also mit dem Auftrage gegeben und berechtigte nie zu dem Schlusse, H. habe sie aus künstlerischen Gründen so gebildet, nil ausus praeter leves genas. Nicht anders steht es mit dem verbreiteten Bewegungsmotiv der Zeusstatuen. Dagegen wissen wir auf Grund einer Beweisführung, die kaum weniger zwingend ist als eine Signatur, Wichtigeres von der Kunst des älteren H., als uns kleine Münzbilder oder gar Notizen über Äußerlichkeiten lehren könnten. All die Eigentümlichkeiten, welche die Werke der von Polyklet geführten argivischen Schule in der zweiten Hälfte des 5. Jhdts. im Gegensatze zur attischen und ionischen Art zeigen, finden sich weitgehend vorgebildet in einem großen Kreise von Skulpturen der ersten Hälfte des Jahrhunderts. Eine originale Kleinbronze reinsten Stiles stammt aus der Argolis und trägt technische Kennzeichen argivischer Herkunft; viele andere dem weiteren Kreise angehörige sind peloponnesisch. Eine Apollonstatue gleicher Richtung hat wahrscheinlich in Sparta gestanden; zwei engverwandte olympische Siegerstatuen sind aus peloponnesischem Marmor. Es ist darnach zweifellos, daß dieser Stil der argivische aus der späteren Blütezeit des H. ist. Freilich ist nicht zu beweisen, daß dieses oder jenes Werk, z. B. die von Stephanos und anderen kopierte Jünglingsfigur, von H. selbst stammt; daß aber der Altmeister, dessen Schüler nicht nur der einheimische Polyklet, sondern auch nach Plin. n. h. XXXIV, 57 Myron von Eleutherai war, der eigentliche Schöpfer des Stiles ist, folgt mit Notwendigkeit aus seiner überragenden Stellung. Wenn es Polyklets Großtat war, ,daß er den Rhythmos des Manneskörpers rein dargestellt hat‘, so hat H. ihm die Bahn gebrochen. Zu der idealen Vereinigung von Natur und Stil, auf welcher die Größe der klassischen Kunst beruht, hat er ein Hauptelement des Stiles beigesteuert.

Die beiden hervorragendsten in Kopien erhaltenen Werke dieser altargivischen Schule sind der Jüngling des Stephanos und der ,Gymnopädien-Apollon‘ von Pompei und Mantua. Den besten Eindruck des letzteren vermittelt die pompeianische Bronzereplik, wenn es auch nicht ohne weiteres sicher ist, daß die Gußform von einem Gipsabguß des Originals genommen ist (Bulle a. a. O. 90 Taf. 43. Brunn-Bruckmann Taf. 302. Michaelis a. a. O. 234 Abb. 428. Winter Kunstgesch. in Bildern Taf. 38, 10). Die Figur des Stephanos erweist sich durch die Recensio der Repliken als manierirt; den besten Gesamteindruck gibt der Neapler Orestes, Brunn-Bruckmann Taf. 306. Bulle a. a. O.1 Taf. 57. Winter Kunstgesch. i. Bildern Taf. 79, 7, der beste Kopf im Lateran ist abgebildet bei Furtwängler Meisterwerke 405. Die beiden Statuen rühren sicher nicht von dem gleichen Meister her; wenigstens müßte man diesen sonst von fremden Einflüssen so abhängig denken wie die Vasenmaler, bei welchen auch der schlanke kleinköpfige Typus des Stephanos-Jünglings eine Weile beliebt war (von signierenden Malern ist sein Hauptvertreter Duris, von welchem ihn Hieron-Makron für kurze Zeit übernommen hat). Der Apollon ist etwas fortgeschrittener als der Jüngling, sein Rhythmos gelöster, seine Flächenführung weniger straff, sein Kopftypus anders. Dennoch liegt beiden das gleiche Ideal zu Grunde: die Mechanik des Standmotivs soll organisch klar sein, [2198] das Wesentliche der Körperformen durch Vereinfachung und Hervorhebung der Grundzüge vorherrschen, abstrakte Form und architektonischer Rhythmos den Eindruck bestimmen: es ist das Erbe des geometrischen Stils, dessen Vollender Polyklet ist. Der flach S-förmige Schwung, der sich bei Polyklet vom Doryphoros bis zum Diadumenos steigert und den schmiegsamen Rhythmos der Werke des Praxiteles beherrscht, kündigt sich bei den altargivischen Statuen leise, aber vernehmlich an; wie das Körperideal des Polyklet, so hat auch dieses Schema erst Lysipp, der doch den Doryphoros seinen Lehrer nannte, überwunden.

Wir dürfen somit glauben, daß der argivische Typus des nackten jugendlichen Mannes uns den Stil des älteren H. kennen lehrt. Der Einfluß dieses Stiles auf andere Kunstschulen scheint kaum geringer gewesen zu sein als der des Polykletischen Stiles, welchem seine unmittelbaren Ausläufer parallel sind; er ist in der attischen Kunst besonders deutlich, aber auch in der ionischen, besonders der nordionischen Kunst am olympischen Zeustempel kenntlich. Namen vermögen wir hier freilich nicht zu nennen; wenn Furtwängler den pompeianischen Apollon dem Hegias, den er sich in enger Abhängigkeit von H. denkt, zuweisen wollte, so ist das ebenso unwahrscheinlich wie unerweislich (Meisterwerke 81). Unsicher und bei aller inneren Berechtigung äußerlich wenig beglaubigt ist auch Furtwänglers Zuweisung eines weit verbreiteten Typus der bekleideten weiblichen Figur an H. (Arch. Studien Brunn dargebr. von Furtwängler, Körte, Milchhöfer 83f.). Es fehlt hier eine in Argos lokalisierte festgeschlossene Gruppe von Werken als Träger eines Stiles, der sich anderwärts deutlich als Ausstrahlung von diesem Zentrum kundgäbe; man kann den Tatbestand so auffassen, aber man braucht es nicht; die vermutlich korinthischen Spiegelstützen von diesem Typus genügen nicht zum Beweise, ebensowenig die Äußerlichkeit der dorischen Tracht. Daß der gleiche Geist wie in der Kunst des H. in diesen wunderbar strengen und herben Peplosfiguren herrscht, ist freilich offenbar (Arndt möchte sie für sikyonisch halten, Glyptothek Ny Carlsberg, Text zu einem Kopf des ,Aspasia‘typus).

Furtwängler 50. Berliner Winckelmanns-progr. 125ff.; Meisterwerke 78. 751; Samml. Somzée 53ff. 6f.; S.-Ber. Akad. Münch. 1897, II 130f. 133. 1899. II 570. 579. 583ff. 1905, I 265. Studniczka Röm. Mitt. II 97; Athen. Mitt. XI 449. XII 375. Wolters Arch. Jahrb. XI 1ff. (Gymnopädien Apollon). Bulle a. a. O. 89ff. 100 Taf. 41. 43. Herrmann bei Arndt-Amelung E. A. ant. Skulpt. nr. 550, vgl. nr. 4. Lechat Sculpt. att. avant Phidias 380ff. 454f. Joubin Sculpt. grecque 14f. 83ff. 92ff. 109ff.; Mon. grecs I 1ff. T. 15. Michaelis a. a. O. 210. Collignon-Thraemer a. a. O. I 332ff. II 716ff. 722. Busolt Griech. Gesch. II 2, 562, 1. Déonna Apollons archaiques 366. Vgl. Mariani Bull. com. 1901, 165ff. 71ff. Die von Waldstein im Journ. hell. stud. XXIV 129ff. begonnene, in der Class. review fortgesetzte Polemik gegen Furtwängler hat die Sache nicht gefördert. Ihm folgt Klein Geschichte der griech. Kunst I 385. 333ff. 377, zu dessen Behandlung des H. die obigen Ausführungen fast durchweg im Gegensatze stehen. Das gleiche gilt für Mahler [2199] Polyklet 6f. 13f. und Joubin a. a. O. 109ff. Der aus den Unterschieden von Proportionen und Köpfen der einzelnen argivischen Werke hergeleitete Einwand ist von Furtwängler im Voraus wiederlegt worden; der Stil ist diesen zeitlich und individuell bedingten Unterschieden übergeordnet. Daher lassen sich keine einzelnen Werke, wohl aber der Stil auf H. zurückführen.
[Pfuhl.]

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