3) Gregorios (Thaumaturgos), Bischof von Neocaesarea in Pontus um 260. Er hieß ursprünglich Theodorus, vertauschte diesen Namen aber mit dem damals beliebt werdenden Namen Γρηγόριος, vielleicht bei seinem Übertritt zum Christentum, jedenfalls noch ehe er Bischof wurde. Er stammte aus einer angesehenen heidnischen Familie in Pontus, verlor als vierzehnjähriger Knabe seinen Vater und beschloß, sich dem Rechtsstudium zu widmen. Er hatte dies schon einige Jahre getrieben, als ihn eine Familienpflicht nach Caesarea in Palästina führte, wo Origenes, aus Ägypten vertrieben, die theologischen Wissenschaften lehrte. G., begleitet von seinem Bruder Athenodorus, war unschlüssig gewesen, ob er in Berytus oder in Rom seine Studien vollenden solle; jetzt zog ihn der neue Lehrer so mächtig an, daß er fünf Jahre hindurch, ohne um Recht und Redekunst sich mehr zu kümmern, seinen Unterricht genoß. Beim Abschied hielt er eine Dankrede, die wohl durch Vermittlung des Pamphilus auf uns gekommen ist: ἐἰς Ὠριγένης προσφωνητικὸς καὶ πανηγυρικὸς λόγος. Darauf trat er in der Heimat in den Beruf eines Sachwalters ein; in dieser Zeit hat Origenes einen Brief an ihn geschrieben (s. Philocalia c. 13), nicht ohne Besorgnis um die Vereinbarkeit seines weltlichen Wirkens mit seiner Frömmigkeit. Aber nicht lange darnach hat der Bischof Phaidimos von Amaseia den G. und seinen Bruder zu Bischöfen in Pontus ordiniert: G. hat nicht bloß Neocaesarea, seine Residenz, in eine christliche Stadt verwandelt, sondern ringsumher in der bis dahin von der neuen Religion kaum berührten Provinz Gemeinden gegründet; seine außerordentlichen Erfolge bei der Missionsarbeit haben ihm den Ruf eines Wundertäters – dieser Beiname hängt an ihm so fest wie der des Theologen an Gregor von Kazianz – [1858] eingetragen: als ihm 100 Jahre nach seinem Tod Gregor von Nyssa ein Enkomion schrieb und etwas später Rufinus in seiner Übersetzung von Eusebius Kirchengeschichte hinter VII 28, 2 einen besonderen Abschnitt zu Ehren des Thaumaturgen einschob (s. Euseb. hist. eccl. ed. Schwartz II 953–956), traute man ihm schon die abenteuerlichsten Heldentaten zu. – Kein Datum aus seinem Leben läßt sich ganz genau festlegen. Nach Eusebius, der in der Kirchengesch. VI 30. VII 14 und 28 über ihn handelt, hat G. der ersten antiochenischen Synode wider Paulus von Samosata (268?) noch beigewohnt; auf der späteren um 270 scheint er nicht anwesend gewesen zu sein. Suidas setzt seinen Tod unter Aurelianus, d. h. zwischen 270 und 275. Das wird stimmen. Bischof war er jedenfalls während der Verfolgung des Decius 250 und der verheerenden Raubzüge der Goten und Boranen 253 und in den folgenden Jahren; da Eusebius seine große Jugend bei der Ordination zum Bischof ausdrücklich hervorhebt, hat er schwerlich nach Eusebius Meinung damals das kanonische Alter von 30 Jahren besessen. Die fünfjährige Studienzeit in Caesarea kann frühestens 232–237, spätestens 239–244 angesetzt werden. Eusebius hält dafür, daß unter Gordian (238–244) die Trennung des G. von Origenes fällt, also rund 240/1; sehr wohl kann G. dann 242 oder 243 Bischof geworden sein, etwa im Alter von 25 Jahren, was auf ein Geburtsdatum um 217 oder ein wenig früher (215/6) führen würde. Ein schönes Denkmal der Pietät und dankbarer Begeisterung hat er sich selber gesetzt durch jene Dankrede (herausgeg. von P. Koetschau, Freibg. i. Br. 1894, vgl. Brinkmann Rh. Mus. N. F. LVI 1901, 55–76): hier siegt das Herz über allen Schwulst der Modeberedsamkeit, ,durch und durch rhetorisch, aber das erfreulichste Erzeugnis der damaligen Rhetorik‘ (v. Wilamowitz Kultur d. Gegenwart I 4, 195). Zwischen 254 und 258, als man die Schäden der Barbarenzüge zu heilen versuchen durfte, ist der ,kanonische Brief‘ verfaßt, in dem G. einsichtig mild Grundsätze über Behandlung der ,gefallenen‘ Christen aufstellt – erst später in einzelne canones zerlegt und dabei wohl auch gekürzt und erweitert (Routh Reliquiae sacrae III² 256–283), ein für die Geschichte der kirchlichen Disziplin unschätzbares Dokument. Aus noch späterer Zeit dürfte das Glaubensbekenntnis des G. stammen, ἔκθεσις τῆς πίστεως κατὰ ἀποκάλυψιν, aber von unangreifbarer Echtheit: bemerkenswert durch den philosophischen Ton, und echt origenistisch im Gegensatz gegen den Monarchianismus (kommentiert bei Caspari Alte und neue Quellen z. Gesch. d. Taufsymbols 1879, 1–64). In den Handschriften wird meist dem Nazianzener Gregor beigelegt die von dem Pontiker verfaßte knappe μετάφρασις εἰς τὸν ἐκκλησιαστὴν Σολομῶντος. Bloß in syrischer Version ist eine Schrift G.s über die Leidensunfähigkeit und Leidensfähigkeit Gottes an Theopompos erhalten; ganz verloren die von Basilius (ep. 210, 5) erwähnte διάλεξις πρὸς Αἰλιανόν, ein Dialog, in dem ein Heide für den christlichen Gottesbegriff gewonnen wird. Hieronymus (de vir. ill. 65) kennt noch Briefe G.s. Eine Anzahl von Schriftwerken ist zweifellos dem G. untergeschoben worden, [1859] darunter ἡ κατὰ μέρος πίστις, eine apollinaristische Glaubensformel: unter den Fragmenten in Catenen u. dgl. könnte noch einzelnes Echte stecken; sicher unecht sind die griechisch überlieferten Homilien. Vgl. Migne G. X. V. Ryssel G. Thaumaturgus, sein Leben u. s. Schriften, Lpz. 1880. Dräseke Ges. patrist. Untersuchungen 1889, 94ff. 103ff. Harnack Gesch. d. altchristl. Lit. I 432–436. II 2, 93–102. Bardenhewer Gesch. d. altkirchl. Lit. II § 72.
[Jülicher.]
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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