Gnostiker. Inhaltsübersicht: 1. Allgemeiner Überblick. – 2. Die ursprüngliche ,Gnosis‘; Verehrung der Muttergöttin. – 3. Die Gestalt der Sieben. – 4. Die Frömmigkeit der ursprünglichen ,Gnosis‘. – 5. Schlangenkultus. – 6. Kainiten, Sethiten (Seth: Zoroaster). – 7. Verehrung des Urmenschen (Naassener). – 8. Das System bei Iren. I 30. – 9. Die komplizierteren Systeme: Barbelognosis bei Iren. I 29 und im Apokryphon Ioannis. – 10. Die Verwilderung der Gnosis: Pistis Sophia und koptisch-gnostische Schriften. – 11. Die Gnostiker des Plotin.– 12. Weitere Nachwirkungen; Bardesanes, Acta Thomae. – 13. Der vorchristliche Grundcharakter, Literatur der Gnostiker. – 14. Heimat und Entwicklung der Bewegung. – 15. Literatur.
1. Allgemeiner Überblick.
Unter diesem Namen sollen hier die vielen kleinen Gruppen und Kultvereine der großen Bewegung des Gnostizismus zusammengefaßt werden, die sich nicht unter der Führung namhafter Individualitäten zu besonderen und eigenartigen Schulen ausgewachsen haben. An ihnen hing wohl ursprünglich der Name G. (s. Art. Gnosis § 1), und sie stellen im allgemeinen die älteste Schicht der gnostischen Bewegung dar. Ob Iustin Sekten dieser Art bereits kannte und bekämpfte, steht dahin. In einer Quellenvorlage des Irenaeus wurden die G. im unmittelbaren Zusammenhang mit Valentin behandelt (Gnosis § 3). Was Irenaeus I 29–31 (29 Barbelognosis; 30 unbenannte Sekte [Sethiten? vgl. Theodoret. Haer. fab. I 14]; 31 unbenannte Sekte = Kainiten?) an Nachrichten bringt, zeigt uns die G. bereits in späterer Verwilderung. Iren. I 29 ist ein mit manchen Mißverständnissen beladenes Exzerpt einer gnostischen Schrift, die uns – aber auch hier wiederum in starker Überarbeitung – im Koptischen als Apokryphon Ioannis aufbewahrt ist (zum Teil übersetzt von C. Schmidt S.-Ber. Akad. Berl. 1896; und Philothesia, Paul Kleinert dargebracht 1907, 315–336). Dagegen tritt uns die ,Gnosis‘ in einer relativ ursprünglichen Gestalt in den Nachrichten des Celsus-Origenes (besonders des Celsus, vgl. c. Celsum VI 21–38) entgegen. Hippolyt hat in seinem (verlorenen) Syntagma (unter nr. 9–12, Rekonstruktion bei Hilgenfeld Ketzergesch. 59) die hierher gehörenden Nicolaiten (Gnostiker), Ophiten, Kainiten, Sethoiten behandelt, es sind also die entsprechenden Abschnitte der Nachtreter des Hippolyt. Philastrius (c. 34), Ps.-Tertullian (c. 2) und endlich Epiphanius hier heranzuziehen. Mit Epiphanius hat es eine besondere Bewandnis. Er bringt Haer. 25 die Nachrichten über die Nicolaiten, dann Haer. 26 unter dem Titel Gnostiker einen eigenen Bericht (Anfang desselben 26, 3 Mitte) über eine Gruppe ägyptischer G. (Stratiotiker, Phibioniten, Barbeliten), der auf Autopsie beruht und sehr wertvolles Material enthält. Haer. 37. 38. 39 behandelt er die Ophiten (unter teilweisem Anschluß an Irenaeus), Kainiten, Sethoiten, und bringt endlich Haer. 40 eine ebenfalls auf unmittelbarer Kenntnis beruhende Beschreibung der [1535] Archontiker, einer in Palästina (Armenien) zu seiner Zeit noch vorhandenen Sekte (vgl. Haer. 45, Severianer). In seiner Refutatio bringt Hippolyt (V 1–21) umfangreiche Quellenauszüge über die Sekte der Naassener (Ophiten); Peraten (= Ophiten, Kainiten), Sethianer, die wieder eine ganz verwilderte Gnosis zeigen. Späteste Ausläufer dieser Bewegung repräsentieren endlich die Pistis Sophia und die übrigen von Schmidt (s. u.) edierten koptisch-gnostischen Schriften.
2. Die ursprüngliche Gnosis; Verehrung der Muttergöttin.
Wenn wir diese Gnosis in ihrer ursprünglichen Gestalt fassen wollen, so halten wir uns am besten an die Berichte des Celsus-Origenes wie an Epiphanius Bericht über die Strationiker (Haer. 26) und namentlich über die Archontiker (Haer. 40; zu beachten ist, daß Celsus bei Origenes VI 27 (35) die von der Sekte verehrten sieben Geister, als ὀνομαζόμενοι ἀρχοντικοί bezeichnet). Die Religion der Sekte dieser ,G.‘ war in erster Linie und hauptsächlich Verehrung der großen Muttergöttin. Sie ist die μήτηρ φωτεινή, die oben in der Ogdoas im höchsten Himmel weilt (Epiph. Haer. 40, 2), die μήτηρ τῶν ζώντων (Haer. 26, 10); ἡ ἄνω δύναμις ἢν μητέρα φάσκουσιν καὶ θήλειαν (Haer. 39, 7); die μήτηρ, auch die παρθένος, durch deren Anrufung die G. sicher an den Archonten vorüberkommen, Origenes c. Celsum VI 81. Sie ist das παρθενικὸν πνεύμα (Apokryphon Ioannis, nach Schmidt Philothesia 322; vgl. II Jeubuch c. 52. Schmidt Koptisch-gnostische Schriften I 326, 24). Es läßt sich sehr wahrscheinlich machen, daß der bei diesen Sekten oft für sie vorkommende Name Barbelos (Iren. I 29, 1. Epiph. Haer. 25, 2. 26, 10. Philaster 33. Pistis Sophia s. Register bei Schmidt s. v. Barbelo) einfach Verstümmelung von Παρθένος ist (Bousset Hauptprobleme der Gnosis 14; vgl. die Verstümmelung Βαρθενώς für Παρθένος Epiph. Haer. 26, 1). So wird auch der sich öfter findende Name Noria (Philaster Haer. 33 Barbelo venerantur et Noriam; Noria Frau des Noah Epiph. Haer. 26, 1; Schwester des Seth Iren. I 30, 9) wahrscheinlich = בערָה (Mädchen) sein. Andererseits ist sie in einem Zweig dieser Sekten die Prunikos, d. h. etwa die Wollüstige, die Hetäre (Epiph. 25, 4; vgl. 25, 2. Iren. I 29, 4. 30, 3. Epiph. 37, 3; Apokryphon Ioannis bei Schmidt 329 vielleicht noch ursprünglicher: ,wegen des in ihr befindlichen (πνεῦμα?) προύνικον‘). Ganz so wie die vorderasiatische Muttergöttin kann sie bald als die hohe, lichte und reine Göttin, bald als die wilde Liebesgöttin (vgl. den Mythus von der Verführung der Archonten durch sie Epiph. 21, 2. 25, 2. 26, 1) angeschaut werden. Beide Auffassungen stehen nebeneinander: Προυνικοῦ τινος ῥέουσαν δύναμιν παρθένου, Celsus bei Orig. VI 34. Von hier aus erklärt sich sofort, wie der Kult dieser Muttergöttin bald einen ernst asketischen, bald einen libertinistischen Charakter gewinnen konnte (Epiph. Haer. 40, 2).
Erst in den späteren Schichten der Gnosis erscheint dann die Μήτηρ, Παρθένος, Προύνικος als die jüdische (von Christianisierung kann noch nicht einmal die Rede sein) Sophia, Rucha (Spiritus sanctus): Iren. I 29, 4. 30, 3. Apokryphon Ioannis bei Schmidt 329; ,Pistis Sophia‘, vgl. auch die Stellung der Sophia im Diagramm des Origenes VI 38 (vgl. Art. Gnosis § 8). [1536]
Daß neben dieser Gestalt der jungfräulichen Muttergöttin die Gestalt des ,Vaters‘ ganz im Dunkeln und im Hintergründe bleibt, ist selbstverständlich und in sich deutlich. Sehnsucht der G. ist, in die himmlischen Regionen zu kommen, ὅπου ἡ μήτηρ τῶν ζώντων ἡ ... Βαρβηλώ Haer. 26, 10 (ebd. der πατὴρ τῶν ὅλων erst an zweiter Stelle erwähnt; ähnlich schattenhaft steht in der Pistis Sophia neben der Barbelo der ἀόρατος πατήρ Schmidt Koptisch-gnostische Schriften I 233, 11, 242, 28). Alles Leben stammt von der ,jungfräulichen‘ Mutter. Und hochbedeutsam ist es, wie im sakramentalen Kultus dieser G. ihre Figur ganz im Vordergrund steht (s. Art. Gnosis § 8). Damit hängt es zusammen, daß z. B. noch die Valentinianer die Achamoth mit dem Namen κύριος beehrten, während sie Jesus nicht κύριος, sondern σωτήρ nannten (Iren. I 1, 3. 5, 3. Schwartz Gött. Gel. Nachr. 1908, 120, 1). Die Achamoth ist eben die im Zentrum des Kultus stehende Gottheit, der Kult-Heros, κύριος.
Neben Vater und Mutter tritt dann vielfach der Sohn (vgl. πατήρ und υἱός im Diagramm des Celsus-Origenes VI 38; identifiziert mit dem Χριστός Epiph. Haer. 26, 10; vgl. Iren. I 29, 1. I 30, 1). Die Trias Vater, Mutter, Sohn war ebenfalls im Kult der ,syrischen Göttin‘ heimisch (Art. Gnosis § 9). Aber auch der Sohn bleibt, wenigstens in den älteren Systemen, eine vollständig schattenhafte Figur, bis an diesem Punkt die Identifikation mit Christus eintritt und die christliche Erlösungsidee einzieht. Besonders ist hervorzuheben, daß sich in den ältesten Systemen der G. (vgl. die Nachrichten des Celsus; Epiph. Haer. 26. 38. 39. 40 [Archontiker]. Iren. I 31) von einem Gegensatz zwischen dem Pleroma und der aus diesem gefallenen Sophia, von der Idee eines mittleren Reiches der Sophia noch keine Spur findet. Die Ogdoas in der die Μήτηρ neben dem Πατήρ weilt, ist der höchste Himmel (Epiph. Haer. 25, 2. 26, 10. 39, 2. 40, 2; vgl. im zweiten koptischen Jeubuch die Stellung der Barbelo, bezw. des παρθενικὸν πνεῦμα im zwölften oder dreizehnten, d. h. höchsten Aeon. c. 52. Schmidt 325f.). Auch wenn die Μήτηρ als Προυνικός aufgefaßt wird, so ist sie nicht die gefallene Göttin; sie ist ihrer Natur nach die große Hetäre und wird als solche in wildem, barbarischem Kultus verehrt.
3. Die Gestalt der Sieben.
Unter der ,Mutter‘ stehen im ursprünglichen gnostischen System die sieben Archonten. Diese Sieben sind die (ursprünglich babylonischen) dämonisierten Planetengötter (s. Art. Gnosis § 6). Die Verehrung der vorderasiatischen Muttergöttin ist also in den ,gnostischen‘ Systemen mit der aus dem vorderasiatischen (babylonisch-persischen) Synkretismus stammenden Idee von den ,Sieben‘ verbunden. Die Μήτηρ gilt dann im allgemeinen als die Mutter der Sieben (vgl. Origenes c. Cels. VI 31. Epiph. Haer. 26, 10. 40, 2; die Stellung der Ruchâ d' Qudschâ [Namrus] im mandäischen System); später als die Mutter des Ersten und Höchsten unter ihnen, des Jaldabaoth (Iren. I 30, 4f. Apokryphon Ioannis, Schmidt 329f. Iren. Ι 29, 4. Epiph. Haer. 25, 2. 37, 3. Pistis Sophia c. 31). Soweit wir die uns bekannten gnostischen Systeme zurückverfolgen können, tragen diese Archonten (zum Teil wenigstens) bereits [1537] alttestamentliche Namen. Die sieben Namen Jaldabaoth, Jao, Sabaoth, Astaphaios, Adonaios, Eloaios, Oraios werden übereinstimmend bei Origenes c. Cels. VI 31. Iren. I 30, 5 und zum größten Teil Apokryphon Ioannis, Schmidt 332 überliefert (abweichende Listen Epiph. 26, 10. 40, 5. Apokryphon Ioannis Schmidt 332f., ganz abweichend Orig. VI 30; ihre (Tier)-Gestalten ziemlich übereinstimmend Orig. VI 30. 33. Apokryphon Ioannis Schmidt 332). Der alttestamentliche Einfluß reicht also sehr weit in der Entwicklung der Gnosis zurück. Daß er in ihr nicht von Anfang an vorhanden war, zeigt am besten der Name des Obersten der Sieben, Jaldabaoth, der jedenfalls nicht aus dem Judentum stammt. So erklärt es sich auch, daß bei der fortschreitenden Christianisierung (bezw. Judaisierung) der Gnosis Jaldabaoth durch Sabaoth verdrängt wurde (Epiph. Haer. 25, 2. 26, 10; vgl. die Stellung des Sabaoth Adamas in der Pistis Sophia c. 136 u. ö.). Dieser ursprünglich Jaldabaoth benannte Aeon wird übereinstimmend von den Quellen als λεοντοειδής, löwenköpfig geschildert (Orig. VI 31. Apokryphon Ioannis Schmidt 330; Schlangengestalt und Löwengesicht, vgl. ebd. 332; Pistis Sophia c. 31 S. 28, 18). Er ist jedenfalls, wenn auch sein Name undeutbar geworden ist, eine Saturn-Kronos-Gestalt (Bousset Hauptprobleme 351, vgl. die Darstellung des von einer Schlange umwundenen löwenköpfigen Gottes in den Mithrasmysterien [= Zerwan?]). Dieser löwenköpfige Gott ist dann in der Entwicklung der Gnosis mehr und mehr mit dem Schöpfergott des alten Testaments identifiziert (Apokryphon Ioannis. Iren. I 30. Epiph. 37, 3. 25, 2).
4. Die Frömmigkeit der ursprünglichen Gnosis.
Die ,Gnostiker‘ aber – das ist der Kern des gnostischen Glaubens – gehören nicht zum Herrschaftsgebiet der Sieben, sondern sie stammen von der ἄνω Μήτηρ. Infolge ihres schöpferischen Dranges und Ungestümes (Προύνικος!) sind Teile ihres eigentlichen Wesens in diese niedere Welt der Sieben herabgesunken und werden hier unten widerrechtlich festgehalten. Das ist die Gemeinde der Gläubigen. So sprachen sie von einer Προυνικοῦ τινος ῥέουσα δύναμις, von einer ἀπόῤῥοια ἐκκλησίας ἐπιγείου (Abfluß [von der oberen Mutter], der die irdische Gemeinde bildet): Celsus bei Orig. VI 34f. Deshalb stehen sie im Gegensatz zu den Sieben und im heimlichen Schutz der hohen Himmelsmutter: Sophia enim illud. quod proprium ex ea erat, abripiebat ex eis ad semet ipsum, Iren. I 31, 1 (dem entspricht übrigens auch die Idee einer Gefangenhaltung der Muttergöttin selbst durch die Dämonen: Helena bei den Simonianern [s. Art. Simon]; Pistis Sophia c. 31).
Auf diesen Zentralgedanken beruht der Kultus und die sittlich-religiöse Haltung der Sekten. Dessen Mittelpunkt ist das Sakrament von der ,Himmelfahrt der Seele‘. Was die Gläubigen ersehnen, ist die Heimkehr zur Mutter: καὶ οὕτως ὑπερβαίνειν εἰς τὸ ἄνω μέρος, ὅπου ἡ μήτηρ τῶν ζώντων Epiph. 26, 10. Was es mit dieser Auffahrt der Seelen für eine Bewandtnis hat, ist nunmehr genugsam festgestellt (vgl. Art. Gnosis § 12). Origenes haben wir es zu danken, daß er die δημηγορίαι (die Verteidigungsreden, welche die auffahrende Seele der G. zu sprechen hat), die Celans kannte, aber nicht überliefern wollte (VI 33), [1538] uns erhalten hat (VI 31); ein kostbares Fragment der gnostischen Liturgie (vgl. das ebenfalls fast vollständig erhaltene Mysterium im 4. Jeubuch c. 51–52). Vielleicht deuten die Worte des Celsus VI 33 (τινων εἰς τὰς ἀρχοντικὰς μορφὰς ἐπανερχόμενων ὥστε τινὰς μὲν καλεῖσθαι λέοντας, ἄλλους κ. τ. α.) darauf hin, daß die Mysten der G., je nachdem ihre Einweihung in die Geheimnisse der himmlischen Welten fortgeschritten war, mit dem Namen (Tiernamen) der in den einzelnen Sphären regierenden Archonten benannt wurden. Dann läge eine interessante Parallele zu den Mithrasmysterien mit ihren sieben Weihegraden vor. Celsus hatte in der Tat völlig recht, wenn er die Weihen der G. mit denen der Mithrasmysten verglich (VI 22) trotz des Zornes des Origenes. Es liegt hier sicher eine enge Beziehung vor. Interessant ist auch dessen Bericht über die σφραγίς der G. (verbunden mit Epiph. 40, 2 ἀναθεματίζουσι τὸ λουτρόν), über die Bezeichnung des Mystagogen als πατήρ, des Mysten als νέος und υἱός, über das Ölsakrament (VI 27, zum letzteren vgl. die Naassener bei Hippolyt. Refut. V 9 u. ö.). Die gesamte Lebenshaltung der G. beruht ebenfalls auf diesen Grundvorstellungen. Entweder resultierte aus ihnen eine asketische Grundstimmung (Archontiker 40, 2 νηστείαν ὑποκρίνονται, Sethianer, Severianer). Es galt, durch Entsagung das weitere Hinabsinken des mütterlichen σπέρμα (ἀπόῤῥοια) in die von den Archonten beherrschte materielle Welt zu verhüten. Oder es drängten sich zügellose, libertinistische Stimmungen vor. Und diese werden im Dienste der Muttergöttin vielleicht die ursprünglichen gewesen sein. In wilder Vergeudung der geschlechtlichen Kräfte es der Muttergöttin gleich zu tun, wird das Ziel der Gläubigen, und so glaubt man seine Erhabenheit über die Archontiker zu sichern. Dieses Bestreben konzentrierte sich in kultischen sakramentalen Handlungen (Iren. I 31, 1. Epiph. Haer. 25. 26), in denen wir eine Fortsetzung der Orgien, die im Dienst mancher syrischen Aphrodite gefeiert wurden, zu sehen haben (vgl. Gnosis § 12. 13).
5. Schlangenkultus.
Die ursprüngliche Gnosis hat nun im Lauf der Zeit mannigfache Abwandlungen durchgemacht. Bei einer Gruppe der G. hat sich z. B. ein gewisser Schlangenkultus mit der ursprünglichen Religion verbunden (Iren. I 30, 15 quidam; die Ophianer des Origenes [vgl. Celsus]; Ophiten in Hippolyts Syntagma; vgl. den von Epiphanias beschriebenen Schlangenkult der Ophiten 37, 5: ,Naassener‘ (נָהָשׁ) in Hippolyts Refutatio, auch die Peraten und Sethianer dort zeigen diesen Einfluß). Es fragt sich, wie diese G. die von ihnen aus niederstem Religionswesen übernommene Schlangenverehrung mit ihrem System verbunden haben. Iren. I 30, 15 sagt ausdrücklich: Quidam enim ipsam Sophiam serpentem factum dicunt und berichtet, daß diese G. die Sophia mit der Schlange im Paradiese, die im Gegensatz gegen den Schöpfergott Adam die Erkenntnis gebracht habe, identifizierten (vgl. Epiph. 37, 5). Von hier wird es wahrscheinlich auch klar, inwiefern Celsus VI 27 behaupten konnte: τὸν ἄρχοντα τῶν ὀνομαζόμενων ἀρχοντικῶν λέγεσθαι θεὸν ,κατηραμένον‘. Der Archon der Archontikoi könnte die Sophia (die von Gott verfluchte Schlange) [1539] sein, obwohl Celsus auf den alttestamentlichen Schöpfergott zu deuten scheint. Diese ,Sophia‘ scheint dann in jenem System mit der Weltseele identifiziert zu sein, VI 34: Προυνικοῦ τινος ῥέουσαν δύναμιν παρθένου καὶ ψυχὴν ζώσαν. So verstehen wir, weshalb der den Kreis der sieben Archonten umfassende Kreis bedeutet τὴν τῶν ὅλων ψυχὴν καὶ Λευιαθάν VI 35 vgl. VI 25. Weltseele, Prunikos, Schlange, Leviathan sind identisch. (Vielleicht bezieht sich auch schon die Beschreibung der Sophia: adhuc habens aquatilis corporis typum Iren. I 30, 3 auf die Schlangengestalt). Die Peraten trugen weitschichtige Spekulationen über die Schlange vor und behaupteten, daß man am Himmel ihr schönes Ebenbild erblicken könne (Hippolyt. V 16 p. 194, 66; gemeint ist das Sternbild; vgl. die dort vorgetragenen astronomischen Spekulationen). Bei den Sethianern des Hippolyt ist die Schlange das verderbliche Urwesen; aber auch der Erlöser – das ist entschieden eine sekundäre Weiterbildung – erscheint in Schlangengestalt (Hipp. V 19). Es ist nicht unwahrscheinlich, daß in dieser Auffassung der Prunikos als Schlange wieder bestimmte Einflüsse mythologischer Art vorliegen. Wir werden annehmen dürfen, daß diejenige Gestalt der Muttergöttin, welche bei diesen Sekten Prototyp der Prunikos war, als Schlangengöttin in Schlangengestalt verehrt wurde. Es wäre von Wert, wenn festgestellt werden könnte, daß diese Form der Gnosis auf ägyptischem Boden entstand; daß die Μήτηρ Isis (Isis von Pharos) in Schlangengestalt verehrt wurde, steht fest (Erman Ägypt. Relig. 225. 227. Bousset Hauptprobleme 79. 83).
6. Kainiten, Sethiten (Seth: Zoroaster).
Andersartige Abzweigungen von der ursprünglichen Gnosis stellen die Sekten der Kainiten und Sethiten dar. Bei den Kainiten (Iren. I 31. Hippolyts Syntagma bei Epiph. 38 = Philastrius, Peraten in Hippolyts Refutatio) erreicht die Gnosis ihre schärfste Wendung gegen das Alte Testament und die jüdische Religion. Wenn der mit dem alttestamentlichen Schöpfergott identifizierte Jaldabaoth–Sabaoth als wesentlich boshaftes schlechtes Wesen aufgefaßt wurde, so lag es nabe, alle die Gottlosen des Alten Testaments als Vorläufer der G. und im höheren Sinn Fromme aufzufassen. Mit diesem Widerspruch gegen den Gott des Gesetzes war dann eine libertinistische Stimmung von selbst gegeben. Vielleicht ist erst im Gegensatze gegen die Kainiten die Sekte der Sethianer entstanden. Irenaeus erwähnt sie ausdrücklich noch nicht, doch fand Theodoret sie (Haer. fab. I 14) in der unbenannten Sekte Iren. I 30. Und es wird schon hier die Geburt des Seth auf die Providentia der Sophia zurückgeführt und neben ihm die für die Sekte charakteristische Gestalt der Noria genannt, I 30, 9. Hippolyt bekämpfte die Sethianer im Syntagma und registriert in der Refutatio eine sekundäre Weiterbildung der Sekte. Im Apokryphon Ioannis (aber noch nicht im Auszug des Irenaeus I 29 aus einer ursprünglicheren Grundschrift) erscheint Seth als himmlischer Aeon (Schmidt Philothesia 329); vgl. in der anonymen koptisch-gnostischen Schrift die Gestalt des Setheus (s. im Register zu Schmidt Kopt.-gnost. Schriften I). Mit der Figur Seths hat es eine besondere Bewandtnis; es läßt [1540] sich nachweisen, daß der Name des Patriarchen Seth des öfteren den Decknamen für den persischen Religionsstifter Zoroaster in der jüdisch-christlichen Tradition abgegeben hat (Bousset Hauptprobleme 378ff.). Wie die Sethianer behaupteten, daß Seth mit Jesus identisch sei (Epiph. 39, 1: καὶ αὐτὸν εἶναι τὸν Ἰησοῦν διαβεβαιοῦνται), so soll auch nach bekannter persischer Theologie der Messias aus dem Samen Zarathustras, den eine Jungfrau beim Baden empfängt, geboren sein. In einer Apokalypse des Zârâdôṡt (hier = Baruch) in der Biene des Salomon von Basra (Anecdota Oxoniensia, Semit. Ser. I 82) sagt Zoroaster vom Messias: ,Er soll aus meiner Familie abstammen, ich bin er und er ist ich, er ist in mir und ich in ihm‘. Beachtenswert ist, daß im Besitz der Sekte neben Sethbüchern Bücher der Allogeneis vorhanden waren (Epiph. 39, 5), und daß in der bekannten Stelle, Porphyrius vita Plotin. c. 16, im Besitz der von Valentin bekämpften G. unter deren Autoritäten neben Zoroastres und Zostrianos auch ein Allogenes genannt wird. Endlich zeigen die Spekulationen der Sethianer bei Hippolyt entschieden persischen Dualismus (Bousset Hauptprobleme 119ff.). Daß aus der Figur des historischen Seth in späteren sethianischen Systemen ein himmlischer Aeon wurde, würde auch etwa der großen Verehrung, die in der späteren persischen Religion der Person Zarathustras zuteil wurde, entsprechen.
7. Verehrung des Urmenschen (Naassener).
Auf eine Gruppe der G. haben ferner die Spekulationen über den Urmenschen bemerkenswerten Einfluß ausgeübt (über den weiteren Zusammenhang dieser Phantasien s. Art. Gnosis § 9. Bousset Hauptprobleme 160–223). Am reinsten tritt die Lehre vom Urmenschen bei den Naassenern des Hippolyt (Refut. V 7ff.) heraus. Hier hat sie die ursprüngliche ,Gnosis‘ fast ganz verdrängt. Von der ,μήτηρ‘ finden wir nur noch eine Spur in einem Hymnus, in welchem der mannweibliche Urmensch als πατήρ und μήτηρ bezeichnet wird (Hippolyt. V 7 p. 132, 63). Die Sieben sind fast ganz verschwunden. Die Spekulation ist ganz und gar erfüllt von der Idee des Anthropos (dem Sohne [?] des Archanthropos, das Verhältnis wird nicht ganz klar), der in die Materie hinabsinkt und sich wieder aus ihr erhebt; dem Symbol des dem Himmel gehörigen Geschlechtes der G., das den Weg aus dieser unteren Sphäre nach oben nimmt. Daß in der von Hippolyt im Exzerpt mitgeteilten Schrift der Naassener eine ursprüngliche heidnische Schrift (und zwar der Kommentar zu einem Attislied, in welchem Attis bereits mit dem Anthropos identifiziert wurde) vorliege, die dann christlich-gnostisch überarbeitet wurde, hat Reitzenstein Poimandres 82ff. wahrscheinlich gemacht. Mit Recht hat er ferner auf die Anthroposlehre im hermetischen Poimandres und in der Zosimusliteratur als nächste Parallelen hingewiesen (S. 102ff.). Das Rudiment einer Anthroposlehre ist auch in dem verwickelten barbelognostischen System des Apokryphon Ioannis (= Iren. I 29: Barbelognosis) stehen geblieben. Nach dem ursprünglichen der Darstellung des Apokryphon Joannis zugrunde liegenden System, das hier bereits mannigfach interpoliert erscheint, wird die Genealogie des Urmenschen folgendermaßen gelautet haben: Der Urvater (auch Protanthropos) [1541] erzeugte mit der Barbelo (Ennoia) den Νοῦς und die Πρόγνωσις. Von diesen beiden stammte der Adam(as), der vollkommen wahre Mensch, ,die erste Offenbarung‘, dem der Urvater ,die unbesiegbare, intelligible Kraft gab‘ (Schmidt Philothesia 328, vgl. d. Spekulationen über den Urmenschen im ,Poimandres‘, Corpus Hermeticum I 12f.). In dem uns überlieferten System steht diese Gestalt gnostischer Spekulation nun freilich ohne allen Zusammenhang da. In dem gnostischen System, das Irenaeus I 30 überliefert, ist dann nur noch der Name des Anthropos stehen geblieben und außerdem etwa noch die dunkle Andeutung, daß der Urvater auch erster Mensch (Protanthropos) heiße und seine Ennoia sein Sohn (!) und zweiter Mensch genannt werde.
8. Das System bei Iren.
Nach alledem können wir erst die komplizierten Systeme der bereits vollständig christianisierten Gnosis: Apokryphon Ioannis = Iren. I 29. Iren. I 30. Hippolyt = Epiph. Haer. 37 verstehen. Verhältnismäßig einfach und ursprünglich ist noch – abgesehen von der erwähnten Verwirrung am Anfang – das Lehrsystem Iren. I 30. Hier begegnet nun endlich innerhalb der ,Gnosis‘ die Idee der gefallenen Göttin. Die ἄνω Προύνικος (jetzt = Sophia, Spiritus Sanctus) ist nicht mehr die höchste Göttin, die eigentliche Hauptgestalt der oberen himmlischen Welt, sondern sie steht als eine mittlere Macht den Äonen der oberen Welt gegenüber. Mit der Idee des Falles aber verbindet sich dann sofort die Idee der Erlösung, neben die Sophia tritt der Christos (Apokryphon Ioannis: Christus, die erste männliche Emanation des höchsten unnahbaren Gottes [Protanthropos] und seiner Barbelo-Ennoia, die ebenfalls als erster Mensch bezeichnet wird [Schmidt 322ff.]. Nur von hier aus verständlich Iren. I 30, 1: Christus erzeugt von dem ersten und dem zweiten Menschen (= Ennoia) aus (!) dem Spiritus Sanctus; vgl. die G. bei Epiph. Haer. 26, 10: Barbelo, Πατὴρ τῶν ὅλων, Χριστός; Pistis Sophia: Christus der Befreier der Pistis Sophia). Aber selbst die Erlösergestalt des ,Christos‘ stammt, wenn sie auch in den uns vorliegenden Systemen mit dem Jesus der christlichen Kirche irgendwie identifiziert wird, ursprünglich nicht aus der christlichen Religion. Es ist hier von der Gnosis ein Mythus aufgenommen, welcher von einem Götterpaar handelte: der Gott sucht die verloren gegangene Göttin (Braut oder Schwester; Christos und die Sophia sind Bruder und Schwester, Iren. I 30, 2f. 12), er findet die verlorene Göttin in der Not und Verlassenheit, befreit sie von den sie bedrängenden Unholden und feiert den ἱερὸς γάμος mit ihr. (Den Nachweis s. Art. Gnosis § 10 und Bousset Hauptprobleme der Gnosis 243ff.). Sonst finden wir auch in dieser fortgeschrittenen Gnosis die alten und bekannten Gedanken wieder: die Sophia Mutter des Jaldabaoth und durch ihn der sechs anderen Planetengeister; Weltschöpfung durch Jaldabaoth (vgl. die Sieben), Weltregiment der Sieben usw. Neu aufgenommen ist vielleicht an diesem Punkt der Mythus von der Entstehung der Menschen. Während in der ursprünglichen Form die Seelen der G. einfach als ein Ausfluß (ἀπόῤῥοια der Μήτηρ gelten (s. o.), wird nun genauer nachgewiesen, wie der höhere Wesensbestand der G. in diese niedere Materie hinabgekommen sei. [1542] Die Sieben schufen den Leib des Menschen, Jaldabaoth hat ohne sein Wissen den Spinther ihm eingeblasen (Iren. I 30, 6, s. Gnosis § 11). Zeigt sich hier schon spezifisch alttestamentlicher Einfluß, so wird dann im weiteren Anschluß an das Alte Testament in gnostischer Ausdeutung über die Entwicklung der Menschengeschlechter (I 30, 7–11) berichtet, und endlich in sehr künstlicher Weise die Erlösergestalt des Christos mit der Person Jesu von Nazareth, der Erlösungsgedanke der Gnosis (Befreiung der Sophia und ἱερὸς γάμος) mit dem der christlichen Religion verbunden (I 30, 12f.).
9. Die komplizierteren Systeme: Barbelognosis.
Eine starke Verwilderung und Weiterwucherung gnostischer Spekulationen zeigt das System der Barbelognosis in dem Exzerpt bei Iren. I 29 und noch entschiedener das koptische Apokryphon Ioannis. Der ursprüngliche Grundriß ist (durch den Vergleich mit Iren. I 30) noch deutlich erkennbar. Aber in diesen eingearbeitet sind lange Äonenreihen von sichtlich sekundärer Art. Ein etwas individuelleres Gepräge hat die ihrer Herkunft nach noch nicht aufgeklärte Phantasie über die quatuor luminaria (Harmogenes [Harmozêl); Raguel [Ôroiaêl]; Daveithe [David]; Eleleth, Iren. I 29, 2. Apokryphon Ioannis, Schmidt Philothesia 326). Im Apokryphon Ioannis (noch nicht bei Irenaeus) erscheint die Sophia bereits als zwölfter von zwölf weiblichen Äonen, die zu je dritt den vier Luminaria unterstellt werden (daneben noch von Christus als unsere Mitschwester, Schmidt 329; vgl. Iren. I 30, 12 bezeichnet), Spekulationen über Adams Sohn, Seth, sind eingeschoben und die Siebenzahl der Archonten beginnt bereits von der Zwölfzahl (vgl. die Pistis Sophia) verdrängt zu werden.
10. Die Verwilderung der Gnosis.
Auf dieser Linie der Entwicklung liegt endlich das merkwürdige Buch, die Pistis Sophia. Seine ägyptische Herkunft ist zweifellos (vgl. das Datum des 15. Tybi, Schmidt 3, 6. 4, 8. 19). Als seine Zeit hat Harnack (Texte u. Unters. VII 2, 94–114; Chronologie der altchristlichen Literatur II 193f.) mit Recht die zweite Hälfte des 3. Jhdts. festgelegt. Wieder ist die Gnosis in der Verwilderung der Spekulation fortgeschritten. Freilich finden sich auch hier noch die alten und bekannten Gestalten der Gnosis: im dreizehnten Äon herrscht die Barbelo neben dem unsichtbaren Gott (S. 233, 10f.); ihre Tochter ist die Pistis Sophia (die gefallene Göttin: also Scheidung der himmlischen Μήτηρ von der gefallenen Göttin). Sie erscheint mit ihrem Syzygos als die letzte von 24 Emanationen (vgl. wie in der Rezension des Apokryphon Ioannis die Sophia als letzter von 12 weiblichen Äonen erscheint, und auch von ihrem Syzygos die Rede ist). Die Pistis Sophia versinkt in die Welt des Chaos und der Finsternis, hinabgelockt durch einen Lichtschein, den sie für das höchste himmlische Licht hält. Sie wird auch in diesem System Mutter des löwenköpfigen Jaldabaoth (c. 29–31). Unter dem dreizehnten Äon der Barbelo befinden sich die zwölf niedern Äonen (vgl. das Eindringen der Zwölfzahl an diesem Punkt auch im Apokryphon Ioannis). Wenn unter diesen Zwölf (c. 136) sechs gute und sechs böse Dämonen unterschieden werden und als Haupt der letzteren Adamas Sabaoth erscheint, so ist die Beziehung zur ursprünglichen Gnosis (Sabaoth = Jaldabaoth [1543] und die sechs!) noch ganz deutlich. Ganz zu unterst in der Unterwelt regieren (wenigstens nach dem wie es scheint älteren System des letzten Buches c. 139ff.) in getrennten Räumen die fünf großen Archonten auf dem Wege der Mitte (Apokryphon Ioannis Schmidt 330: fünf [Könige] über das Chaos der Amente). Das ist noch im großen und ganzen das alte in Ägypten (vgl. Apokryphon Ioannis) umgebildete System. Aber diese ganze Äonenwelt bildet nun im gegenwärtigen System der Pistis Sophia nur das unterste Fundament, auf dem sich ein gewaltiger Überbau erhebt. So findet sich über dem Reich der Barbelo wieder ein Ort der Mitte, in dem die Lichtjungfrau = Παρθένος τοῦ φωτός (neben dem großen ἡγούμενος [Jao] mit zwölf Dienern und sieben Lichtjungfrauen) regiert, eine einfache Verdoppelung der Gestalt der Barbelo. Über dem Ort der Mitte steht der Ort der Rechten, und so bauen sich die etagenförmigen Aufsätze bis zu schwindelnder Höhe (vgl. meinen Nachweis, daß dieser Überbau in der Spekulation der Pistis Sophia sich nach deren eigenen Angaben in mindestens zwei Etappen vollzogen hat, und die merkwürdigen Beziehungen der noch relativ ursprünglicheren Spekulationen zum Manichaeismus. Hauptprobleme 346ff.). So werden bereits ohne Sinn und Verstand Welten auf Welten, Äonen auf Äonen gehäuft, und alle Beziehungen zu einem wirklichen Glauben und einer konkreten Mythologie gehen dabei verloren. Es bleiben nur noch Worte und literarische Einfälle. Ungemein künstlich ist auch die bereits fast ganz christianisierte Soteriologie (Rettung der Sophia durch Christus), die immer noch Spuren des alten Mythus von der verschwundenen Göttin und dem rettenden Gott zeigt (s. Art. Gnosis § 10). Die Christologie erinnert stark an Valentinianische Spekulationen (s. den Art. Valentin und Valentinianer). Mit den Spekulationen ist endlich auch der sakramentale Kultus, wie er im Buch der Pistis Sophia geschildert wird, in starker Verwilderung begriffen. Seine Grundzüge sind auch hier noch erkennbar (Himmelfahrt der Seele); aber das alles so entartet und so üppig ausgewuchert, daß man sich kaum noch vorstellen kann, daß diese unendlichen Mysterien tatsächlich in einer Kultgemeinde praktisch ausgeübt wurden. Andererseits scheint es doch, als wenn der Verfasser (bezw. die Verfasser) eine bestimmte Gemeinde voraussetzt und eine rivalisierende libertinistisch gestimmte bekämpft (vgl. II. Jeubuch [s. u.] c. 43).
In den übrigen der Pistis Sophia eng verwandten koptisch-gnostischen Schriften, die Schmidt aus dem Codex Brucianus veröffentlicht hat, ist der Prozeß der Verwilderung auf den Gipfelpunkt gekommen. Freilich wird dem von Schmidt sog. zweiten Jeubuch eine Quelle vorgelegen haben, in welcher das Mysterion der Auffahrt der Seelen durch die zwölf Äonen beschrieben wurde und der zwölfte bezw. dreizehnte Himmel der Barbelo als der höchste und als die Endstation der Himmelsreise galt (c. 52). Auch die hier (c. 45–48) überlieferten ausführlichen Beschreibungen der verschiedenen Taufsakramente (eines davon auch Pistis Sophia c. 142f.) enthalten Ursprüngliches und sind religionsgeschichtlich sehr interessant. Aber alles übrige – und namentlich [1544] das zweite anonyme koptisch-gnostische Werk ist zum größten Teil nicht mehr zu entzifferndes unsinniges Gerede.
11. Die Gnostiker des Plotin.
Vielleicht können wir hier auch die von Schmidt zuerst in diesem Zusammenhang eingestellten G. des Plotin einordnen: d. h. die gnostische Sekte mit ihren Schulhäuptern Aquilinus Adelphius, über die uns Porphyrius vita Plotini c. 16 noch wertvolle Nachricht bringt, und die Plotin Eunead. II 9 bekämpfte. Vom Valentinianismus, den neuerdings auch Schwartz (Aporieen im vierten Evang. II, Nachr. d Ges. d. Wissensch. Gött. 1908, 128) hier hat finden wollen, kann kaum die Rede sein. Denn das Charakteristikum der Valentinianischen Schule, die Lehre von der Entstehung der niederen Welt aus den Leidenschaften der Sophia, ist hier nicht nachweisbar. Vielmehr versinkt auch hier die ,Psyche‘ in die schon vorhandene Welt der Finsternis. Interessant ist die Aufzählung der Autoritäten dieser Sekte bei Porphyrius (Zoroaster, Zostrianos, Allogenes usw.). Wir finden bei ihnen keine speziell christlichen Bücher und Autoritäten, so daß man überhaupt an dem christlichen Charakter dieser G.-Gruppe zweifeln könnte. Allerdings haben wir andererseits bereits die charakteristischen Grundzüge der entwickelten Gnosis (fallende Psyche-Sophia und Ableitung des Demiurgen von ihr).
12. Weitere Nachwirkungen; Bardesanes, Acta Thomae.
Die ,Gnosis‘ im engeren Sinn ist ein bedeutsamer, ja der bedeutsamste Faktor in der Entwicklung der größeren Bewegung des Gnostizismus. Auch die Sekte der Simonianer (s. Art. Simon) gehört eigentlich ganz und gar in diesen Zusammenhang und soll nur deshalb für sich behandelt werden, weil hier die gesamte Ideenwelt der Gnosis auf bestimmte (historische?) Personen übertragen erscheint. Ferner ist noch ein bekanntes Schulhaupt am Ende des klassischen Zeitalters der gnostischen Religionsbewegung nach dem wenigen, was wir von ihm wissen, und trotzdem die Überlieferung bei Hippolyt ihn dem anatolischen Valentinianismus zurechnet, hierher zustellen, nämlich Bardesanes. Der unbekannte Vater, die Mutter, die gefallene Tochter, die Sieben begegnen uns auch hier. Ein spezifisch orientalischer Dualismus scheint sich allerdings bei Bardesanes hinzuzugesellen. Von den Weiterbildungen des Valentinianismus wie von den eben skizzierten Weiterwucherungen gnostischer Spekulation zeigt sich bei ihm dagegen noch keine Spur. Mit Bardesanes hat man wieder und wieder das sogenannte in den Thomasakten erhaltene Lied von der Perle in Zusammenhang gebracht, das erst neuerdings als Hymnus auf eine gnostische Erlösergestalt richtig erkannt ist (Preuschen Zwei gnostische Hymnen 1904, 45ff. Reitzenstein Zwei hellenistische Hymnen. Arch. f. Religionsgesch. VIII 167ff. Bousset Hauptprobleme 252ff.; griechischer Text bei Bonnet Acta Apost. II: Acta Thomae c. 111; syrischer Text: Bevan Texte and Studies V 3, Cambridge 1897. G. Hofmann Ztschr. f. neut. Wissensch. IV). So werden auch die übrigen liturgischen Stücke mit ihrem entschieden gnostischen Charakter in diesen Zusammenhang gehören. Und wieder haben wir gerade hier noch in unmittelbarer Lebendigkeit die Verehrung der Μήτηρ bezw. der Παρθένος (c. 6 der [1545] Acta liegt ursprünglich ein Kultlied, das die Hochzeit der Himmelsgötter feiert, zugrunde). Auch die ganze Schule des Valentinianismus knüpft, wie das noch von der Quelle des Irenaeus erkannt ist, an die entwickelte Form der ,Gnosis‘ an. Es bleiben überhaupt innerhalb des Gnostizismus nur wenig selbständige Typen stehen, vor allem diejenigen G., bei denen zwar die Annahme der Sieben nachzuweisen ist, doch keine Spur von der Verehrung der Μήτηρ sich findet: Satornil, Kerinth, Karpokrates, dann die entschiedenen Dualisten Basilides, Marcion (auch Bardesanes) und einige andere (Baruchgnosis Iustins usw.).
13. Der vorchristliche Grundcharakter, Literatur der Gnostiker.
Aus der Darstellung geht endlich von neuem hervor, daß die ,Gnosis‘ eine religiöse Bewegung ist, die mit dem Christentum ursprünglich rein gar nichts zu tun hatte und die in ihren Elementen völlig ohne dieses begreifbar wird. Erst allmählich drangen zunächst alttestamentliche, dann christliche Einflüsse in diese ein. Zu den im Artikel Gnosis § 4 aufgezählten Tatsachen ist etwa hier noch zu erwähnen, daß Hippolyt den Euphrates ὁ Περατικός Refut. IV 2 neben dem Karystier Akembes als heidnischen Astrologen behandelt und diese zugleich als ἀρχηγοί der Peraten V 13 nennt, ebenso wie Origenes als Stifter der Ophianer einen Euphrates (VI 28) kennt. Auch ein Überblick über die Literatur zeigt den verhältnismäßig geringen Einschlag des spezifisch Christlichen. Von dem Charakter der Autoritäten der G. Plotins in Porphyrius vita Plotini 16 war bereits die Rede. Weiter sind als Schriften von nicht sicher christlichem Charakter in Anspruch zu nehmen: die Apokolypse des Jaldabaoth (Epiph. 25, 3. 26, 8) und die große und kleine Symphonie (ebd. 40, 2). Ebenso vielleicht die mehrfach erwähnten Sethschriften (ebd. 26, 8. 39, 5. 40, 2. 7; vgl. auch die Paraphrasis Seths Hippol. Ref. V 22), wenn Seth nur ein Deckname für Zoroaster war (vgl. die Schriften des Zoroaster vita Plotin. c. 16); mit den Sethschriften dann auch die der Allogeneis, oder des Allogenes, die mit jenen in engem Zusammenhang stehen (Epiph. 39. 5. 40, 2. Vita Plotin. 16). b) Hinzukommen Apokrypha unter alttestamentlichen Pseudonymen: Apokalypse des Adam (Epiph. 26, 8); Evangelium der Eva oder εὐαγγελίον τῆς τελειώσεως (ebd. 26, 2. Philastrius c. 33 = Hippolyt); eine Himmelfahrt des Jesaia ebd. 40, 2 (man beachte, daß die uns erhaltene Ascensio Iesaiae eine Auffahrt durch die sieben Himmel enthält); eine Apokalypse des Abraam (die im Slavischen erhaltene Abrahamsapokalyse enthält gnostische Elemente), ein Apokryphon des Moses (beide bei Epiph. 39, 5); fünf gnostische Oden Salomos zitiert die Pistis Sophia. c) Als neutestamentliche Autorität hat Maria (welche?) eine besondere Rolle gespielt – es gab Ἐρωτήσεις (μεγάλαι καὶ μικραί) Μαρίας ebd. 26, 8, Überlieferung des Jacobus an Maria: Naassener bei Hippolyt Refut. V 7 p. 134, 79f. und das noch nicht edierte koptische Evangelium Mariae –. Ein Γέννα Μαρίας bringt Fabeleien über Zacharias im Tempel (Epiph. 26, 12). Maria (und Salome) spielen auch in der Pistis Sophia eine Hauptrolle. Hinzukommt die noch unedierte koptische Sophia Jesu, ein Evangelium des Philippus (Epiph. 26, 11), Iudas (Iren. I 31, 1), Thomas (Hippolyt. Refut. V 7 p. 140, [1546] 94), endlich ein Ἀναβατικὸν Παύλου (ebd. 38, 2) und das (koptische) Apokryphon Ioannis.
Zu erwähnen ist noch, daß die G. eine Reihe von Propheten verehrten, deren Zeiten sie, wie es scheint, in die Uranfänge verlegten (Uroffenbarung!). Hierher gehört Barkabbas (Epiph. 26, 2. Phil. 33 = Hippolyt); die Namensbildung ist aramäisch (Barkabbas und Parchor auch bei den Basilidianern); Martiades und Marsianos (Epiph. 40, 7 = Marsanes im anonymen koptisch-gnostischen Werk. Schmidt 341, 36); Nicotheos (anonymes koptisch-gnostisches Werk S. 342, 2; vita Plotin. c. 16. Zosimus bei Reitzenstein Poimandres 104); vgl. zu dem Charakter dieser ,Propheten‘ Liechtenhan Offenbarung im Gnosticismus 29ff.
Die spezifisch neutestamentlichen Einflüsse in der Literatur dieser G. sind verhältnismäßig dünn gesät. Ein nachweisbarer und zwar sehr starker Einfluß der kanonischen, neutestamentlichen Evangelienliteratur findet sich, wenn wir davon absehen, daß die G. des Irenaeus I 30, 11f. mit Erzählungen von Geburt des Täufers und Jesu, Taufe Jesu vertraut sind, erst in der Pistis Sophia (vgl. Harnack Chronologie a. a. O.). Die Pistis Sophia behandelt und zitiert aber auch das Alte Testament als heiliges Buch. Auch Epiphanius sagt von seinen ,Gnostikern‘ 26, 6 χρῶνται δὲ καὶ παλαιᾷ καὶ καινῇ διαθήκη. Da er in diesem Zusammenhang eine Form der ägyptischen Gnosis seiner Zeit beschreibt, kann die Notiz nicht wundernehmen.
14. Heimat und Entwicklung der Bewegung.
Über die Heimat der G., die Etappen und den Umfang der gnostischen Bewegung haben wir nur wenig sichere Indizien, nur daß ihre Urheimat Syrien bezw. das mesopotamische Tiefland ist, kann kaum bezweifelt werden. Deutlich unterscheidet Epiphanius einen syrischen Zweig und einen ägyptischen Zweig (26, 3) und leitet einen ihrer vielen Namen Κοδδιανοί aus der Συριακὴ διάλεκτος ab. Der Beiname des Euphrates des Stifters der ,Ophianer‘ weist vielleicht auf Forât Maišan am Euphrat (Brandt Relig. d. Mandäer 192), jedenfalls behandelt Hippolyt ihn als orientalischen Astrologen (Refut. IV 2. V 13). Noch zur Zeit des Epiphanius sind die G. (Archontiker Haer. 40) in Palästina und Armenien vorhanden. Leider wissen wir nicht, wo Celsus seine G. kennen gelernt hat. Aber der ganze geistige Gehalt der Gnosis (die Μήτηρ, die Sieben, die Beziehungen zu den Mithrasmysterien, auch die lokalisierbare Gruppe der eng verwandten Simonianer [vgl. auch Bardesanes]) weisen nach Syrien (Samarien) bezw. nach Mesopotamien. Dann ist die Gnosis nach Ägypten gedrungen (Apokryphon Ioannis, Pistis Sophia, die übrigen koptisch-gnostischen Schriften, Strationiker des Epiphanius). Hier schon wird Valentin durch sie beeinflußt gewesen sein. Aber mit Valentin muß auch die gnostische Bewegung frühzeitig nach Rom gedrungen sein, so daß Irenaeus oder schon seine Quelle mehrere ihrer Schriften kennen lernen und exzerpieren konnte. Noch im 3. Jhdt. finden wir sie in der Umgebung Plotins. Ihre letzten Ausläufer hat sie in Palästina (Armenien) und Ägypten.
15. Literatur.
Vgl. den Art. Gnosis, dazu R. A. Lipsius Die ophitischen Systeme, Ztschr. [1547] f. wissensch. Theol. 1863. Zur Pistis Sophia und den verwandten koptisch-gnostischen Schriften: Pistis Sophia ed. Petermannn-Schwartze 1850ff. C. R. Köstlin Das gnostische System d. Buches Pistis Sophia, Theol. Jahrb. 1854 I. II. A. Harnack Texte und Unters. VII 2, 1891 Über das gnostische Buch Pistis Sophia. C. Schmidt Texte u. Unters. VIII 1. 2, 1892: Gnostische Schriften (Text, Übersetzung und Einlg. der Schriften des Codex Brucianus). A. Harnack D. Chronologie d. altchristl. Lit. II 193–196. C. Schmidt Die griech. christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte; koptisch-gnostische Schriften Bd. I 1905 (Zitate im Text nach Kapiteln und Seiten dieser Übers.); derselbe S.-Ber. Akad. Berl. 1896 und Philothesia, Paul Kleinert dargebracht 1907 S. 315–336 (Apocr. Johannis). Über die G. Plotins: C. Schmidt Texte u. Unters. N. F. V 4: Plotins Stellung zum Gnosticisinus und kirchl. Christentum. Reitzenstein Poimandres 267f. E. Schwartz Nachr. d. Ges. d. Wissensch., Göttingen 1908, 128.
[Bousset.]
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