Γνώμη. Die allgemeine Bedeutung ,Ansicht, Meinung, Urteil‘, besonders häufig in γνώμην ἀποφαίνεσθαι, ist auch in Inschriften nicht selten, so IG I 40, 28 γνώμας ἀγαθὰς ἔ[ξουσι περὶ] αὐτοῦ (sc. Περδίκκα) Ἀθηναῖοι oder im Richtereid von Knidos im Prozeß der Kinder des Diagoras gegen Kalymna, Anc. Greek Inscr. Brit. Mus. II 299 (= Recueil d. inscr. jurid. gr. I 158ff. = Collitz 3591) Z. 4ff. [δικασσέω περὶ] ὧν τοὶ ἀντίδικοι ἀντώμοσαν κατὰ γ[νώμαν τὰν δικαιοτάτα]ν mit nahezu sicherer Ergänzung, wo also γ. das richterliche Urteilen, d. h. das Abwägen und [1482] Beurteilen der Parteibehauptungen und Beweismittel bedeutet. Aus der allgemeineren Bedeutung ,Meinung‘ entwickelt sich die speziellere ,Antrag‘, die in ganz Griechenland Terminus technicus wird für den Antrag, den entweder ein Privater oder eine mit der Antragstellung ausdrücklich beauftragte Behörde beim Rate oder Volke einbringt. Weiterhin bezeichnet, allerdings im allgemeinen erst in späterer Zeit, γ. den zum Beschluß erhobenen Antrag, den Beschluß und ist synonym mit τὸ δόγμα und τὰ δόξαντα, und wird, wie lat. sententia, gern von der richterlichen Entscheidung, dem Urteil, gebraucht, syn. κρίσις. Ohne daß ein gelegentliches Hinübergreifen aus einer Kategorie in die andere ganz vermieden werden kann, behandeln wir 1. γ. als Antrag, Gutachten, 2. γ. als Beschluß, 3. γ. als Richterspruch.
1. Γνώμη, Antrag, Gutachten.
Vorherrschend ist die Bedeutung Antrag, gleichviel, ob dieser schriftlich oder mündlich, von einem Privaten oder einem Beamten eingereicht sei. Statt vieler zwei Beispiele: In den aus dem 2. Jhdt. v. Chr. stammenden Beschlüssen des κοινὸν der Ἁλιασταὶ καὶ Ἁλιάδαι zu Ehren ihres langjährigen ἀρχερανιστάς Dionysodoros aus Alexandreia IG XII 1, 155 d (= Collitz 3836) steht Z. 96ff. τὸ δὲ ψάφισμα τόδε κύριον ἔστω εἰς τὸν ἀεὶ χρόνον, καὶ μὴ ἐξέστω μήτε ἄρχοντι μήτε ἰδιώται μήτε κινεῖν μήτε γνώμαν γράψασΦαι μήτε τοῖς ἄρχουσι προτιθέμειν, ὡς δεῖ τὰς δεδομένας τιμὰς Διονυσοδώρωι ἀκύρους εἴ⟨μ⟩μειν, ἢ ὁ γράψας ἢ ὁ προθεὶς ἀποτεισάτω τὸ γεγραμμένον ἐπιτίμιον δραχμὰς ἑκατόν (vgl. Z. 90ff.), καὶ ἁ γνώμα αὐτοῦ ἄκυρος ἔστω, καὶ ἔνοχος ἔστω τῶι νόμωι τῶι ἀκινήτωι. Ebenso klar ist diese Bedeutung in den ein paar Male, jedoch nicht vor dem 1. Jhdt. v. Chr., in attischen Urkunden vorkommenden Abstimmungsvermerken, in denen die Zahl der Stimmen auch dann angeführt ist, wenn der Beschluß einstimmig gefaßt wurde, so IG II 488, 26 τῶν ψήφων αἷς ἐδόκει τὴν ἐκφ]ερομένην γνώμην κυρίαν [εἶναι ... α]ἷς οὐκ ἐδόκει οὐδεμία, ähnlich II s. 489 d und Ἐφημ. ἀρχ. 1884, 165, wofür II s. 630 b τῶν ψήφων αἷς ἐδόκει τόδε τὸ δόγμα κύριον εἶναι, ἑξήκοντα, αἷς δὲ οὐκ ἐδόκει οὐδεμία eintritt; ähnlich wohl auch etwas später III 27, 5f. nach der von Wilhelm Arch.-epigr. Mitt. XX (1897) 82 vorgeschlagenen Ergänzung, der zuerst die Belege vollständig zusammengestellt hat; vgl. auch Larfeld Handb. d. griech. Epigraphik II 695.
Die Erörterung der Frage, wer das Recht zur Antragstellung und zur Begutachtung der Anträge hatte, gehört unter Psephisma; hier ist bloß ihre formale Seite zu behandeln, und zwar zunächst für Attika, dessen Formelwesen wir in seiner Entwicklung am besten überblicken können.
In attischen Psephismen finden wir γ. am häufigsten verwendet in der strengtechnischen Bedeutung von προβούλευμα zur Bezeichnung des Gutachtens, das die Bule über jeden Gegenstand, der in der Ekklesie zur Abstimmung kommt, abzugeben hat nach dem Grundsatze μηδὲν ἐᾶν ἀπροβούλευτον εἰς ἐκκλησίαν εἰσφέρεσθαι (Plut. Sol. 19), den Arist. Ἀθ. πολ. 45, 4 so formuliert: καὶ οὐκ ἔξεστιν οὐδὲν ἀπροβούλευτον οὐδ' ὅ τὶ ἂν μὴ προγράψωσιν οἱ πρυτάνεις ψηφίσασθαι τῷ δήμῳ. Daß das Probuleuma des Rates keine meritorischen [1483] Anträge zu enthalten brauchte, sondern auch lediglich in dem formellen Einbringen des zur Vorberatung überwiesenen Antrages bestehen konnte, ist bekannt und von Hartel Stud. üb. att. Staatsrecht u. Urkundenwesen (Wien 1878) 59ff., der zuerst die probuleumatischen Dekrete als besondere Klasse neben den Rats- und Volksdekreten ausgeschieden hat, im einzelnen scharfsinnig nachgewiesen.
In der weitaus überwiegenden Mehrzahl der probuleumatischen Dekrete ist in der sog. Übergangsformel der Sanktionsantrag ἐψηφίσθαι oder δεδόχθαι τῆι βουλῆι mit der probuleumatischen Formel verbunden; vgl. im allgemeinen Larfeld II 663ff. Handelt es sich um die Einbringung des unverbindlichen Gutachtens des Rates an die Ekklesie, so lautet die Formel γνώμην δὲ ξυμβάλλεσθαι τῆς βουλῆς, worauf noch εἰς τὸν δῆμον und auf dieses noch ὅτὶ δοκεῖ τῆὶ βουλῆι folgen kann. In dieser Formel ist das altattische ξύν, das sonst bis 410 vorherrscht, nach 403 aber nur noch in einzelnen Ausdrücken, und war nur bis 378 vorkommt, nachweisbar bis 52/1 v. Chr. (IG II 480 II) erhalten, und zwar auch in Inschriften, die in andern Wörtern ausschließlich σύν verwenden; s. Larfeld II 673. Meisterhans-Schwyzer Gramm. d. att. Inschr.3 221. Auf diese sog. Gutachtenformel folgt dann der Antrag des Rates im Infinitiv. Über ihre formale Entwicklung und die ziemlich zahlreichen, das Wesen der Tätigkeit des Rates jedoch nicht berührenden Varianten verschiedener Zeiten s. Larfeld II 672ff. Hier genüge die Bemerkung, daß sie sich seit dem Jahre des Nausinikos, 378/7 v. Chr., findet (IG II 17 b; in kürzerer Fassung vielleicht schon etwas früher II 40) und in der vollen umständlichen Ausgestaltung γνώμην δὲ ξυμβάλλεσθαι τῆς βουλῆς εἰς τὸν δῆμον, ὅτι δοκεῖ τῆι βουλῆι von 369/8 bis zur augusteischen Zeit nachweisbar ist. Ältestes Beispiel II 50 (368/7 v. Chr.), jüngstes II 490 (nach 29 v. Chr.). Wenn es überhaupt eines Beweises bedürfte, daß diese Formel sich auf die Erstattung eines Gutachtens über den eingebrachten Antrag durch den Rat an das Volk bezieht, so kann verwiesen werden auf die sachlich fast gleichwertige sog. Vorlageformel, τὴν βουλὴν προβουλεύοασαν ... ἐξενεγκεῖν εἰς τὸν δῆμον εἰς τὴν πρώτην ἐκκλησίαν. Nur einmal, II 96 (369/8 v. Chr.), wo die Ergänzung nicht ganz sicher ist, folgt darauf γνώμην δὲ ξυμβάλλεσθαι τῆς βουλῆς, ὅτι δοκεῖ τεῖ βουλεῖ; über diesen ganz singulären Fall, wo die Bule einen Antrag direkt an die Ekklesie einbringt, s. Larfeld II 666. Sonst findet sich dieses ἐξενεγκεῖν, wenn in der Volksversammlung gestellte Anträge der Bule zur Begutachtung überwiesen werden, so II s. 82 b ἐπειδὴ ὁ δῆμος ἐψήφισται προβουλεύσασαν τὴν βουλὴν ἔξενεγκειν εἰς τὸν δῆμον περὶ προξενίας, II s. 169 b 7 (= Dittenberger Syll.2 580) περὶ ὧν ὁ δῆμος προσέταξεν τῆι βουλῆι προβουλεύοασαν ἐξενειγκεῖν περὶ Πυθέου; vgl. auch Dittenberger Syll.2 III 142 u. προβουλεύω. Zweimal, II 47 und 76, steht im gleichen Sinne τοὺς προέδρους οἳ ἂν λάχωσι προεδρεύειν, ἐν τῆι πρώτηι ἐκκλησίαι προθεῖναι περὶ αὐτοῦ bezw. τούτων, statt des gewöhnlichen χρηματίσαι, wobei ἡ πρώτη ἐκκλησία, später auch ἡ ἐπιοῦσα ἐκκλησία, die auf die betreffende Ratssitzung folgende, [1484] also nächstfolgende Volksversammlung bezeichnet. Über die Frage, wie der Ratsschreiber dieses Ratsgutachten protokolliert, wenn es unverändert oder wenn es mit Annahme von Abänderungsvorschlägen zum Beschluß erhoben ist, s. Larfeld II 664 und Schultheß Art. Γραμματεῖς I A 1.
In den angeführten Beispielen, die sich leicht vermehren ließen, folgt auf die Gutachtenformel der Antragsteller mit εἶπε, so bis gegen das Ende des 5. und den Beginn des 4. Jhdts. Ein paar Male dagegen finden wir in Beschlüssen älterer Zeit, d. h. solchen vor 375, lediglich das Gutachten, γνώμη, erwähnt unter Beifügung desjenigen Beamten oder Beamtenkollegiums im Genetiv, das speziell mit dessen Vertretung vor dem Volke beauftragt ist.
Hierher gehört γνώμ]η τῶν συγγραφέων ἐς τὴν IG I 58, 8 (410/09 v. Chr.), entsprechend dem τάδε οἱ ξυγγραφὲς ξυνέ[γρ]αψαν IG I s. 27 b 3 (kaum vor 431 v. Chr.) und wohl auch I s. 22 a 3; über diese Stellen s. Art. Συγγραφεῖς. Ferner gehört hierher das ganz singuläre γνώμη Κλεσόφο καὶ συνπρυτάνεων im Bündnisvertrag Athens mit Samos von 405 v. Chr., IG II s. 1 b (= Dittenberger Syll.2 56) Z. 6 u. 33. Wenn, woran kaum zu zweifeln ist, dieser Kleisophos identisch ist mit Κλείσοφος Εὐωνυμεύς, Schatzmeister der Athena vom J. 403/2 oder 402/1 (IG II 642, 4), so könnte die ganz ungewöhnliche Formulierung davon herrühren, daß der Antrag bei der die erste Prytanie führenden Erechtheis, zu der Euonymon gehörte, gestellt, aber erst in der zweiten, von der Kekropis bekleideten Prytanie behandelt wurde (Dittenberger n. 4).
Sonst finden wir in Attika die Prytanen nie an dieser Stelle erwähnt, öfter dagegen, worauf schon Lipsius Leipz. Stud. XIII 411ff. aufmerksam gemacht hat, die Strategen, deren politische Stellung zuerst klar erörtert wurde von Swoboda Rh. Mus. XLV (1890) 288ff. bes. 299ff. Γνώμη στρατηγῶν, so daß also das ganze Kollegium der Strategen den Antrag im Rate stellt und dann vor der Volksversammlung vertritt, steht in dem Proxeniedekrete IG II s. 11 e aus dem Anfang des 4. Jhdts., jedenfalls vor 387 v. Chr., wegen des Z. 13 mit Sicherheit zu ergänzenden ἐμ πόλει; vgl. Wilhelm Herm. XXIV 113, 2. Swoboda a. a. O. 299f. und kürzer Griech. Volksbeschlüsse 34f. Den Antrag stellen die Strategen, d. h., wie Swoboda richtig geschlossen hat, die Strategen sind im Rate anwesend mit dem Rechte, das weder Privatpersonen noch andern Magistraten zukam, im Rate selber Anträge zu stellen und zu begründen. Hatte der Rat dem Antrag der Strategen zugestimmt, so vertraten sie ihn selber in der Volksversammlung. Dieses Recht der unmittelbaren Antragstellung im Rate, ohne daß sie, wie die übrigen Beamten oder Privatpersonen sich erst die πρόσοδος πρὸς τὴν βουλήν erbitten mußten, ergibt sich für die Strategen aus Demosth. XVIII 169. Diodor. XIII 2, 8. Plut. Nic. 5; praec. rei publ. bene gerendae 4, und daß sie, wie der Rat, in der Ekklesie ihren besonderen Platz einnahmen, aus Demosth. XVIII 170; vgl. auch Aischin. I 132. Die γ. στρατηγῶν in der probuleumatischen Formel rückt damit in eine Linie mit der γ. βουλῆς; immer [1485] aber bezeichnet γ. das Gutachten zu dem vom Antragsteller (εἰπών) unter eigener Verantwortung, wie sich bei der γραφὴ παρανόμων zeigt, persönlich vertretenen Antrag.
Ungewöhnlich steht γ. für den Antrag selber, bezw. den zum Beschluß erhobenen Antrag im Amendement des Antichares zum Proxeniedekret für Oiniades aus Skiathos bezw. Palaiskiathos IG I s. p. 166 nr. 62 b 28 ἐς δὲ τὴν γνώμην μεταγράφαι ἀντὶ τὸ Σκιαθίο, ὅπως ἄν ἦι γεγραμμένον Οἰνιάδην τὸν Παλαισκιάθιον (408/7 v. Chr.), vielleicht, wie Lolling Δελτίον 1888, 207 andeutete, durch die Annahme zu erklären, daß der Antragsteller Dieitrephes auch damals, wie nachweislich 413 und 410, Stratege war. Sonst kommt in attischen Psephismen in der Amendementsformel (τὰ μὲν ἄλλα καθάπερ τῇ βουλῇ] das Wort γ. nicht vor, während es in den wenigen Beispielen protokollierter Amendements außerattischer Staaten mitunter zu ergänzen ist, so in der Inschrift aus Arkesine auf Amorgos, Bull. hell. XII (1888) 233 (= Michel Recueil 1335), 47 τὰ μὲν ἄλλα τὴν τῆς βουλῆς, τὰς δὲ δίκας κτλ., wo offenbar einfach γνώμην hinzuzudenken, nicht eine Kürzung aus κατὰ τὴν τῆς βουλῆς γνώμην anzunehmen ist. Möglich, daß in dem stark verscheuerten Psephisma der Parier, Kern Inschr. v. Magnesia 50, 8 (= Dittenberger Syll.2 261) τὰ μὲν ἄλλα τῶν τῆς βουλῆς, worin τῶν ganz ungewöhnlich und grammatisch kaum konstruierbar ist, es zu ersetzen ist durch τὴν τῆς βουλῆς mit Wilhelm Österr. Jahresh. III (1900) 59 und Gött. Gel. Anz. 1903, 792.
Der Versuch, zu Beginn des 4. Jhdts. mit γ. πρυτάνεων und γ. στρατηγῶν neue Elemente in die Formulierung der Psephismen einzuführen, vermochte in Attika nicht Boden zu fassen. Es blieb hier γ. fast ausschließlich auf das Gutachten des Rates über den an die Ekklesie einzubringenden Antrag eines einzelnen beschränkt, und diese alte Formulierung wurde festgehalten bis in die Kaiserzeit hinein (Swoboda Griech. Volksbeschl. 35). Dagegen finden wir außerhalb Athens γ. häufig vom Antrag selber, indem γ. τῶν δείνων eintritt an Stelle des in Athen zähe festgehaltenen ὁ δεῖνα εῖπε. Antragsteller ist dann entweder eine besondere, mit der Antragstellung speziell betraute Behörde, Prytanen, Epistaten, Prostaten, Probulen, auch Strategen, oder ein oft gleich benannter Ratsausschuß. Die Natur dieser Prytanen, Probulen, Prostaten, Epistaten usw., die vor oder hinter γ. im Genetiv stehen, ist in jedem einzelnen Falle besonders zu bestimmen; im allgemeinen läßt sich nur sagen, daß sie entweder, wie die athenischen Prytanen, an einigen Orten wohl auch in direkter Anlehnung an die athenische Verfassung, ein Ratsausschuß sind mit nachweisbarer oder doch vorauszusetzender kürzerer, durch einen im voraus festgesetzten Turnus begrenzter Funktionsdauer, oder aber ein außerhalb des Rates stehendes Beamtenkollegium mit halb- oder ganzjähriger Amtsdauer. In den außerattischen Psephismen erscheinen nun die Behörden in der Regel direkt als Antragsteller, nicht bloß als das mit der Begutachtung der Anträge betraute Organ. Eigentliche probuleumatische Dekrete gibt es außerhalb Attikas überhaupt nicht; nur vereinzelte [1486] Versuche sind vorhanden, in der Formulierung der Dekrete die vorausgegangene Vorberatung durch die Bule anzudeuten. Daß aber eine solche vorausgegangen ist, ist nicht zu bezweifeln und für einzelne Gemeinden, wie Kalymna und Iasos, aus den erhaltenen Psephismen sicher zu erweisen. Diese Vorberatung ist ja schon bedingt durch das nicht bloß attische, sondern gemeingriechische Gesetz, daß der Verkehr der Behörden mit dem Volke nur durch den Rat stattfindet. Ein unmittelbarer Verkehr einer Behörde mit dem Volke ist vor der römischen Kaiserzeit in Griechenland ausgeschlossen und, wo er sich ausnahmsweise findet, wie bei den athenischen Strategen, leicht zu erklären. Wenn die Behörde oder der Ratsausschuß als Antragsteller erscheint, so trägt jetzt nicht mehr, wie in Athen, der Einzelne die Verantwortlichkeit für die Gesetzmäßigkeit des Antrages, sondern es tragen diese solidarisch die Prytanen oder Prostatai oder Epistatai. All das ist scharf und klar näher ausgeführt von Swoboda Griech. Volksbeschl. 63ff. Wenn nun auch nach diesen Untersuchungen eine Aufzählung all der Fälle, wo γ. στρατηγῶν oder πρυτάνεων oder συνέδρων u. ä. vorkommt, zwecklos wäre – auch Dittenberger OGIS II p. 641 setzt dazu einfach passim, verzeichnet aber doch II p. 706 für γ. στρατηγῶν die Belege aus Hierapolis, Pergamon, Priene und Smyrna – so ist doch nachdrücklich davor zu warnen, alle Fälle, wo die gleiche Bezeichnung vorkommt, für gleichartig zu halten.
Ganz abgesehen von der völlig veränderten Stellung des Magistraten in der Kaiserzeit (s. u.), die eine strenge chronologische Scheidung der Urkunden und womöglich die Datierung jeder Urkunde erheischt, ist auch für die frühere Zeit jeder Fall einzeln zu prüfen und womöglich in die Verfassung der betreffenden Gemeinde organisch einzugliedern. Es möge das ein Beispiel zeigen. Während das mit γ. πρυτάνεων synonyme ἔδοξε τῆι ἐκκλησίαι πρυτάνεων εἰπάντων in einer Inschrift aus Antiocheia in Persis bei Kern Inschr. v. Magnesia 61 (= Dittenberger OGIS 233), 10 (Ende des 3. Jhdts. v. Chr.) ohne weiteres klar ist und uns die Prytanen, sei es nun eine Behörde oder der Ratsausschuß, als Antragsteller zeigt, wäre es doch verkehrt, in der zwischen 306–293 fallenden Inschrift vom Apollontempel in Didyma bei Haussoullier Rev. de phil. XXIV (1900) 245 nr. II (= Etudes sur l'histoire de Milet et du Didyméion p. 34 = Dittenberger OGIS 213) aus ἔδοξε τῶι δήμωι, γνώμη συνέδρων den Schluß zu ziehen, die σύνεδροι seien, wie so oft, der anderwärts Prytanen genannte Ratsausschuß; denn Z. 20 dieser Inschrift nennt τοὺς [ἀεὶ κ]αθισταμένους πρυτάνης (über diese Akkusativform Dittenberger n. 18). Ähnliche Schwierigkeiten, zu deren Lösung Swoboda Griech. Volksbeschl. 63ff. viel beigetragen hat, begegnen oft genug. Namentlich gebührt Swoboda das Verdienst, durch sorgfältige Untersuchung der Präskripte gezeigt zu haben, wie allmählich in einer Reihe von Städten den Beamten, und zwar meist den zu einer Synarchie vereinigten Kollegien der wichtigsten städtischen Magistrate das ständige Referat über die Anträge zugewiesen wurde, wie also diese an die [1487] Stelle des Ratsvorstandes oder Ratsausschusses traten und die eigentliche vorberatende Kommission für die Verhandlungen des Rates und der Ekklesie bildeten; hierüber besonders Swoboda 128ff. Zur Synarchie der Behörden von Erythrai ist neu hinzugekommen ein Beschluß von Erythrai für einen Richter aus Priene, Inschr. v. Priene 50, mit στρατηγῶν ἐξεταστῶν πρyτανέων γνώμη, wozu zu vergleichen die Bemerkung von Hiller v. Gaertringen. Ich muß mich hier darauf beschränken, einige besondere Fälle anzuführen.
Als Antragsteller ans Volk erscheint in der Formulierung der Psephismen der gesamte Rat in Nisyros IG XII 3 nr. 91, 11 (= Collitz 3497) in βουλᾶς γνώμαι (so!) nach ἔδοξεν τῶι δάμωι, wofür 89, 4 und 90, 2 der Nominativ steht (s. u.).
In Anaphe finden wir für das Stellen des Antrages doch wohl durch einen Privatmann γνώμαν ἀγορεύειν in einer Inschrift des 1. Jhdts. n. Chr. IG XII 3 nr. 247 (= Collitz 3432): ἔδοξε τᾱι βονλᾱι τᾱι Ἀναφαίων καὶ τῶι δάμωι, γνώμαν ἀγορεύσαντος Πινδάρου τοῦ Τελεσιγένους, θέσει δὲ Εὐβούλου, ἐπιψηφιζομένου Ἀρχωνίδα τοῦ Κρατησίππου, während früher nach IG XII 3 nr. 248, 4 (= CIG 2477 = Collitz 3430 = Dittenberger Syll.² 555; 3. oder 2. Jhdt. v. Chr.) ἔδοξε τᾱι βουλᾱι καὶ τῶι δάμωι, ἀρχόντων Ξενομνάστου, Ἀρισταίχμου, Σωσικλεῦς καὶ βουλᾱς γνώμα der Antrag, von den drei ἄρχοντες und dem Rate begutachtet, zur Beratung und Abstimmung ans Volk gelangt. Den Antrag zum Beschluß erheben heißt κυροῦν γνώμαν IG XII 3 nr. 249, 18 κυρωθείσας τᾱσδε τᾱς γνώμας; vgl. Z. 39 ἔδοξε ἁ γνώ[μ]α [ὑπ]ὲρ α[ὐ]τ[οῦ] ταῖς ψάφοις πάσαις, ἐνενήκοντα πέντε.
Da, wo ein Beamter offiziell mit der Antragstellung betraut ist, ist für das Einbringen des Antrages (γνώμη) die übliche Formel εἰσηγησαμένου, gelegentlich mit, gewöhnlich aber ohne τὴν γνώμην, oder εἰσαγγειλαμένου oder ψηφισαμένου τοῦ δεῖνος, selten ἐπιψηφίσαντος τοῦ δεῖνος, wo uns das Aktiv anzunehmen nötigt, daß der Antragsteller, wenigstens ursprünglich, zugleich als Vorsitzender die Versammlung leitete, was ja in der unten zu besprechenden Gemeindeorganisation der römischen Kaiserzeit oft der Fall war.
Ein besonderer Fall liegt in zwei Beschlüssen aus Ephesos vor, allerdings aus außerordentlichen Zeiten, dem Kriege gegen Mithradates, Le Bas-Waddington 136 a = Dittenberger Syll.2 329 = Recueil d. inscr. jurid. gr. I p. 22 nr. IV. Hier erscheinen die Strategen, die beauftragt waren, mit dem Ratsausschuß (πρόεδροι) und dem γραμματεὺς τῆς βουλῆς die nötigen Vorberatungen zu pflegen und Anträge zu formulieren, als die eigentlichen Antragsteller und Vertreter des Antrages vor dem Volke; vgl. das Präskript Z. 21ff. Ἔδοξεν τῶι δήμωι – γνώμη (Dittenberger und andere γνώμῃ) προέδρων καὶ τοῦ γραμματέως τῆς βουλῆς (Name) – εἰσαγγειλαμένων τῶν στρατηγῶν. Die Strategen sind hier Z. 15ff. ausdrücklich und außerordentlicherweise mit der Antragstellung betraut; anders ist ihre Stellung in der Kaiserzeit, wo nur noch der Magistrat das Recht der Antragstellung (ius agendi cum populo) besitzt, worüber zu vgl. Menadier Dissert. 73. Swoboda Griech. Volksbeschl. 124. 179ff. und Schultheß Art. Γραμματεῖς II B 1 a. [1488]
Je nach der Gemeindeverfassung und der Benennung der mit Antragsrecht und Vorsitz in der Volksversammlung betrauten Behörde wechselt der Ausdruck. So finden wir die Formulierung ἀρχόντων γ. – περὶ ὧν προεγράψαντο καὶ ἡ βουλὴ προεβούλευσεν· (ἐπεί) – δεδόχθαι τῇ βουλῇ καὶ τῷ δήμῳ in drei Dekreten aus Adramyttion CIG 2349 b (= Le Bas 1802) A und B (ca. 110 v. Chr.). Ἐπιστατᾶν γ. findet sich u. a. in Lindos auf Rhodos, IG XII 1, 762 (= Collitz 4155), wo die drei ἐπιστάται zugleich die Rats- und Volksversammlung leiten, s. Schuhmacher De republica Rhodiorum 24ff. und o. Bd. VI S. 201. Daß dagegen IG XII 1, 761 (= Collitz 4154 = Michel Recueil 435) Ἔδοξε μάστροις καὶ Λινδίοις, ἐπιστατᾱν· ἐπειδὴ κτλ., wo man ganz allgemein mit Foucart γνώμα hinter ἐπιστατᾱν eingesetzt hat, wenigstens die Möglichkeit besteht, den Genetiv für sich allein stehen zu lassen und auf diejenige Behörde zu beziehen, die der Beschluß tatsächlich angeht, hat Wilhelm Beiträge z. griech. Inschriftenkunde (1909) 283 wahrscheinlich gemacht. Für Milet, wo die ἐπιστάται als Vorstand des Rates schon durch Le Bas III 222 bezeugt waren, kommt jetzt hinzu γ. ἐπιστατῶν in der milesischen Inschrift von der Vorderseite eines Steines aus Kos, Herzog S.-Ber. Akad. Berl. 1905, 979.
In einer Inschrift aus Kamiros, Journ. Hell. Stud. IV 136 (= Arch.-epigr. Mitt. VIII 134) wird nach Vorschlag von Loewy hinter ἔδοξε] μάστροις καὶ Κα[μιρεῦσι ergänzt γνώμα προστατᾶν (Swoboda Griech. Volksbeschl. 85. 298). Erhalten ist γ. προστατᾶν u. a. in Knidos, Greek Inscr. Brit. Mus. IV 1 nr. 786 (= Dittenberger Syll.2 561 = Michel Recueil 450 = Collitz 3500); darnach zu ergänzen Newton Discoveries at Halicarnassus, Cnidos and Branchidae p. 764f. nr. 50. Auch hier sind, wie vielfach anderwärts, die προστάται die Vorsitzenden der Rats- und Volksversammlung. Besonders oft findet sich γνώμα προστατᾱν in Kalymna, Greek Inscr. Brit. Mus. II 232, 2. 233, 2. 235, 2 und andern dort p. 53ff. verzeichneten Dekreten; alle jetzt auch bei Collitz 3555. 3556. 3560. 3566 a. 3573. 3575. 3576. 3585, eingehend staatsrechtlich behandelt von Swoboda 63ff., ferner in Kos, Collitz 3615 (= Paton-Hicks Inscr. of Cos [1891] nr. 2), Proxeniedekret, Antragsteller Xenokritos, nach dem Antrag der Beschluß Z. 8f. ἔδοξε τᾱι βουλᾱι καὶ τᾱι ἐκκλησίαι, γνώμα προστατᾱν. Der Antrag des Xenokritos wird von den προστάται befürwortet und unverändert zum Beschluß erhoben, wenn Paton die darauffolgenden Worte χ[ρ]ῆσθαι τᾱι Ξε[νοκρί]το[υ γν]ώ[μαι] richtig ergänzt hat. Andere koische Inschriften mit γνώμα προστατᾶν sind Collitz 3617 (= Latyschew Inscr. or. sept. Pont. Eux. I 49), Collitz 3620 (= Paton-Hicks 13), 23 und die auf der Rückseite des von Herzog S.-Ber. Akad. Berl. 1905, 982 publizierten Steines. Hier steht ἔδοξε τᾱι βουλᾱι καὶ τῶι δάμωι γνώμαι προστατᾱν. In γνώμαι braucht kein parasitisches Iota, wie es in der Koine der Papyri häufig ist, vorzuliegen, sondern es ist Dativ, der grammatisch sehr wohl zulässig ist und sich in dieser Formel mehrfach belegen läßt statt des allerdings üblicheren Nominativs. So steht in den etwa auf 270–262 v. Chr. [1489] anzusetzenden Beschlüssen von Priene für Larichos, Inschr. v. Priene 18 = Dittenberger OGIS 215, 21 γνώμηι στρατηγῶν, ebenfalls vereinzelt gegenüber dem in Priene sonst üblichen Nominativ γνώμη στρατηγῶν 14, 2(?). 54, 35. 61, 32. 69, 1. 202, 22, das bereits Swoboda 125f. staatsrechtlich richtig erklärt hat. Im übrigen läßt sich außer für Attika jetzt für Priene am ehesten an der Hand der Psephismen die Entwicklung der Formalien, bezw. der Protokollierung, d. h. die Veränderungen in der parlamentarischen Behandlung der Anträge verfolgen. Im Vorbeigehen sei hingewiesen auf γ. τιμούχων 6, 5 [7, 4?]. 8, 2 und auf γ. συνέδρων 12, 14 (bald nach 300 v. Chr.) mit der Erklärung von Hiller v. Gaertringen unter Hinweis auf die ephesische Urkunde für die Priener, Österr. Jahresh. II (1899) Beibl. 47f. In der Formel γ. στρατηγῶν begegnen wir auch in Pergamon durchweg dem Nominativ, Inschr. v. Pergamon 5, 1. 167, 5. 224 A 1. 249, 3. 22 (alle aus der Königszeit) und 255, 10. 18 (aus römischer Zeit, wo ich umsoweniger mit Dittenberger Syll.2 566 γνώμη als Dativ fassen möchte, als sonst das Iota adscriptum in dieser Inschrift gesetzt ist), dagegen 251, 2 dem Dativ γνώμηι στρατηγῶν, als Singularität bereits von Fränkel p. 175 angemerkt. Synonym damit ist das nur einmal vorkommende εἰσαγγειλάντω[ν τῶν στρατηγῶν 260, das hier vor ἔδοξεν τῶι δήμωι steht. Der Dativ γνώμῃ πρυτάνεων wird gewöhnlich gelesen in der Inschrift aus Halikarnassos aus dem 3. Jhdt., CIG 2656 (= Dittenberger Syll.2 601 = Anc. Greek Inscr. Brit. Mus. IV 1, 895 = Michel Recueil 453); jedoch verfährt diese Inschrift, die auch zahlreiche Steinmetzfehler aufweist, nicht konsequent im Setzen des stummen Iota, so daß das Beispiel unsicher ist. Andere Inschriften von Halikarnassos haben sicher den Nominativ, so Newton Halicarnassus vol. II part 2 App. III p. 687 nr. 2 (γνώμη πρυτάνεων) und Bull. hell. IV (1880) 395 nr. 2 (γνώμη πρυτανίων), vgl. Swoboda Griech. Volksbeschl. 274. Den Dativ hat auch eine Inschrift aus Assos von 37 v. Chr., Papers of the Am. School of Class. Stud. at Athens I Assos nr. 26 ψήφισμα Ἀσσίων – γνώμη τοῦ δήμου. Anders aufzufassen ist ebd. nr. 28 (röm. Kaiserzeit) Δόγμα περὶ τοῦ μὴ καθίστασθαι πράκτορας – γνώμη βουλῆς τε καὶ δήμον – λαχόντων δογματογράφων τῶν δείνων (drei Namen), wo γ. offenbar der Beschluß selber ist, also Apposition zu dem mehr titularen δόγμα. Ein weiteres sicheres Beispiel des Dativs bietet eine Inschrift aus Astypalaia, wahrscheinlich aus vorrömischer Zeit, IG XII 3, 169 (= CIG 2484 = Dittenberger Syll.2 502 = Michel Recueil 415) mit γνώμαι πρυτανίων; dagegen ist es nicht nötig, darnach in der allerdings sehr ähnlichen Inschrift IG XII 3, 170, 3 (= CIG 2483 = Collitz 3459) mit Bechtel bei Collitz das überlieferte γνώμα in γνώμαι zu ändern. Ob in dem Psephisma, das dem SC von 105 v. Chr. für Astypalaia IG XII 3, 173 (= CIG 2485 = Collitz 3463) angehängt ist, der Dativ oder der Nominativ gestanden habe, wissen wir nicht; gewöhnlich ergänzt man Z. 51 [γνώμαι] πρυτανίων. Unrichtig scheint es mir, IG XII 3, 169 γνώμα⟨ι⟩ zu lesen, also den Stein nach nr. 170 zu korrigieren, wozu sich Hiller v. Gaertringen durch [1490] die allzu zuversichtlich vorgetragenen Behauptungen von van Gelder Mnemos. XXIV (1896) 257 hat verleiten lassen. Allerdings ist nr. 169 nur durch die Abschrift von Villoison bekannt; aber der Dativ ist, wie man sieht, durch so viele sichere Beispiele gestützt, daß bei einigermaßen zuverlässiger Überlieferung eine Änderung nicht am Platze scheint. Auch in dem Dekret aus Nisyros IG XII 3 nr. 91, II hätte Hiller v. Gaertringen das überlieferte βουλᾱς γνώμαι unangefochten lassen sollen, obgleich 89, 4, vielleicht auch 90, 2, das Iota adscriptum fehlt, also offenbar der Nominativ steht.
Bei γνώμη τῶν συνέδρων ist, wie im Art. Σύνεδροι zu zeigen sein wird, sorgfältig zu scheiden zwischen σύνεδροι = πρυτάνεις, Ratsausschuß und anderen Bedeutungen, wie z. B. Bundesrat, συνέδριον, bei Bünden. Hier nur zwei Beispiele dafür. An der Spitze der Beschlüsse des Bundes der Städte der Troas und des Hellespontos bei G. Hirschfeld Arch. Ztg. XXXII (1875) 153 (= Dittenberger Syll.2 169 = Michel Recueil 522) steht Z. [1]. 23. 37. 46 γνώμη τῶν συνέδρων· ἐπειδὴ (Motivierung) ... ἀγαθῆι τύχηι, δεδόχθαι τοῖς συνέδροις ἐπαινέσαι κτλ., d. h. Antragsteller und beschließendes Organ sind identisch, die σύνεδροι oder das συνέδριον, der Bundesrat. Auf den Beschluß des zum Nesiotenbunde gehörenden Tenos für den milesischen Arzt Apollonios, Sohn des Hierokles, Bull. hell. XXVII (1903) 233 folgt das Ehrendekret des κοινὸν τῶν νησιωτῶν, datiert nach dem Heliospriester von Rhodos und dem Archon von Rhodos und im Präskript Z. 34 schließend mit Ἔδοξεν τοῖς συνέδροις τῶν νησιωτῶν· οἱ προστάται προέγραψαν, d. h. die Prostatai stellten die Traktandenliste, die Vorlage (πρόγραμμα) für die Versammlung der σύνεδροι auf, was, gleichbedeutend mit γ. προστατᾶν oder dem attischen προβούλευμα, einen für die σύνεδροι durchaus unverbindlichen Vorschlag bezeichnet. Die Prostatai sind wohl die Präsidenten des Synedrions des Nesiotenbundes, wie sie uns in der Zweizahl für den Ätolischen Bund bekannt sind; Belege bei Demoulin Bull. hell. a. a. O. 251, 1.
Natürlich wechselt der Amtstitel des Antragstellers auch vielfach je nach der Natur des Beschlusses des dadurch Betroffenen oder der beschließenden Körperschaft. So finden wir in Telos IG XII 3 nr. 30 (= Collitz 3486) [ἔδοξ]ε Τηλίοις, ἱεραπόλου γνώμα, da es sich um die Ehrung eines Teliers handelt, der ἱεραπόλος ἐπ' ἱερεῦς Ἀγλωκρίτου gewesen war, während für das Proxeniedekret von Telos für Arion, Sohn des Aristonikos aus Ptolemaïs (wohl Ptolemaïs in Ägypten), IG XII 3 nr. 29 (= Collitz 3487) der Antrag, bezw. das Gutachten ans Volk, von den Prytanen ausgeht (γνώμα πρυτανίων). Das zum rhodischen Staate gehörende κοινὸν τῶν ἐν Σύμαι κατοικούντων datiert sein Ehrendekret für den um den Bau des Athenatempels auf der Akropolis (ἄκρα) verdienten Aristophanes, Sohn des Aristophanes, Österr. Jahresh. VII (1904) 81ff. (vgl. V [1902] 13f.) nach dem rhodischen Heliospriester und dem Damiorgos und formuliert ἔδοξε τῶι κοινῶι, ἱεροθυτᾶν γνώμα. Weil es sich um die Ehrung eines um den Tempel verdienten Mannes handelt, geht der Antrag von den ἱεροθύται aus. [1491]
Insofern als ein Ehrendekret eine Ausgabe für die Gemeinde bedingt, ist die Erwähnung der ursprünglich nur mit der Finanzkontrolle, dann mit dem Finanzwesen der Gemeinde überhaupt betrauten ἐξετασταί (s. o. Bd. VI S. 1680) als Antragsteller in Erythrai in Ionien ganz am Platze, umsomehr als sie dabei in Synarchie mit den Strategen und Prytanen amten; vgl. Dittenberger Syll.2 211 und die in Delphi gefundenen erythräischen Ehreninschriften Le Bas 850. 851 (= Dittenberger Syll.2 250. 251) mit ἔδοξε τῆι βουλῆι καὶ τῶι δήμοι, γνώμη στρατηγῶν, πρυτάνεων, ἐξεταστῶν (ca. 270 v. Chr.), sowie den o. S. 1487 angeführten Beschluß von Erythrai aus Priene, Inschr. v. Priene 50.
Die attischen Volksdekrete im engeren Sinne haben die Formulierung ἔδοξεν τῶι δήμωι – δεδόχθαι τῶι δήμωι. Das bedeutet nun nicht etwa, daß der Antrag von der Gesamtgemeinde ausgegangen sei. Die Bule ist hier nicht ausgeschaltet, sondern nur nicht besonders angeführt, weil sie kein meritorisches Probuleuma einbrachte, sich lediglich mit der formellen Einbringung des Antrages begnügte und es dem Volke überließ, zu entscheiden, was ihm gut dünkte. In diesem Falle sprechen wir von Volksdekreten. Bei anderen Gemeinden, deren Organisation wir lediglich aus den Präskripten einiger weniger Dekrete erschließen können, können wir nicht mit Bestimmtheit sagen, ob die Vorberatung eines jeden Beschlusses durch den Rat ein gesetzliches Erfordernis gewesen sei, und zwar umsoweniger, als wir nicht wissen, ob diese Vorberatung auch protokolliert werden mußte. Wenn also im Dekret einer nicht bestimmbaren Stadt, gefunden in Eresos, Conze Lesbos Taf. XII nr. 1 Γνώμη τοῦ δήμου· ἐπειδὴ κτλ. steht, in dem in Erythrai gefundenen Beschlusse einer ionischen Stadt S.-Ber. Akad. Münch. 1866, 250 Γνώμη τοῦ δήμου· ἐπειδὴ κτλ. – δ[εδόχθαι τῆι βονλῆι καὶ τῶι δήμωι] (vgl. auch das aus Ilion stammende Dekret einer äolischen Stadt Le Bas 1743 c Ἐκλησίας ψάφισμ[α]), wo natürlich γ. Beschluß heißt (= ψήφισμά), so können das reine Volksdekrete sein; es ist aber auch ganz wohl möglich, daß lediglich eine bei der Ausfertigung in Stein vorgenommene Modifikation oder Kürzung der Sanktionsformel vorliegt (Swoboda Griech. Volksbeschl. 61f.). Der Fall, daß die Sanktionsformel am Anfang eines Dekretes weggelassen ist, ist von Swoboda wiederholt erwähnt. Daß auch in den obigen Fällen bloß eine Kürzung der gewöhnlichen Formulierung vorliege, ist mir wahrscheinlicher, weil ein analoger Fall sich findet in den bekannten Beschlüssen von Eresos gegen die Tyrannen aus der zweiten Hälfte des 4. Jhdts. v. Chr., Conze Lesbos p. 29 a. c. d und Taf. XII = Collitz 281 = Cauer Delectus2 430 = Hicks Manual 125 = O. Hoffmann Die griech. Dial. II p. 76 nr. 119 = Michel Recueil 358 = Paton IG XII 2, 526 (abschließend) und darnach Dittenberger OGIS 8. Nach der Formulierung des zweiten Beschlusses (Z. 33ff.) [Ἔ]γνω δᾱμ[ο]ς· (περὶ ὧν) – – [δ]ε[δό]χθ[αι] τῶ δάμω würde man diesen ebenfalls als reines Volksdekret ansprechen, während die Formulierung des siebenten Beschlusses (von 306–301 v. Chr.) Z. 122ff. [Ἔ]γν[ω δᾶμος· περὶ ὧν ἀ βό]λ[λα προεβόλλε[υσε, ἢ ἔδοξ]ε [1492] ἢ [μ]ετέδ[οξε τᾱ βόλλα ... ἐπειδὴ (Begründung) ... δεδόχθαι τῶ δάμω (Z. 146) deutlich beweist, daß die Formel ἔγνω δᾶμος die Vorberatung durch die Bule nicht ausschließt. Es ist also bei der Protokollierung bezw. Verewigung des Psephismas die Vorberatung durch die Bule, die gegenüber der endgültigen Beschlußfassung durch den Demos rechtlich bloß transitorischen Charakter hat, einfach unerwähnt geblieben, wie in den attischen sog. reinen Volksdekreten.
Während in den obigen Beispielen in γ. δήμου mit γ. der Beschluß bezeichnet ist, diese also eigentlich unter 2) gehören, scheint es in der gleichen Verbindung den Antrag zu bezeichnen im Psephisma von Magnesia am Maiandros betreffend das Fest des Zeus Sosipolis, Kern Inschr. v. Magnesia 98 (= Dittenberger Syll.2 553, Anfang des 2. Jhdts. v. Chr.). Ich verstehe hier die Formulierung ἔδοξε τῆι βουλῆι καὶ τῶι δήμωι· γνώμη δήμου (Z. 10) (ὅπως κτλ.) ... δεδόχθαι τῆι βουλῆι καὶ τῶι δήμωι (Z. 31) so, daß der Antrag in der Ekklesie gestellt, von dieser aber in den Rat zur Vorberatung überwiesen worden war (vgl. das o. S. 1483 Z. 54 über ἐξενεγκεῖν Bemerkte) und dann erst nach der probuleumatischen Behandlung zum Beschluß erhoben wurde. Es ist recht wohl möglich, daß auch in dem Beschlusse von Antiocheia (wohl dem karischen) für den als Richter entsandten Magneten Pythodotos, Kern Inschr. v. Magnesia 90, in dem bloß auszugsweise aufgezeichneten Präskript Παρ[ὰ] Ἀντι[ο]χέων [ὑπὲρ] τιμῶν Πυθοδότωι Χαρισίου | [δήμου?] γνώ[μη· ἐπειδὴ κτλ. gestanden hat, worauf Z. 21f. folgt δεδόχθαι τῶι δήμωι; doch würde ich, wenn es der Raum erlaubt, lieber [ἀρχόντων] γνώμη ergänzen nach 101, 7. Ein Analogon zu der von Kern vorgeschlagenen Ergänzung bietet die o. S. 1489 Z. 43 zitierte Inschrift aus Assos, Papers of the Am. School of Class. stud. at Athens I nr. 26 (37 v. Chr.) mit Ἐπὶ ὑπάτων τῶν δείνων – Ψήφισμα Ἄσσίων – γνώμῃ τοῦ δήμου· (ἐπεὶ) – – ἔδοξεν τῇ βουλῇ καὶ τοῖς πραγματευομένοις παρ' ἡμῑν Ῥωμαίοις καὶ τῷ δήμῳ τῷ Ἀσσίων, während nr. 28 (röm. Kaiserzeit) eingeleitet ist: Δόγμα περὶ τοῦ μὴ καθίστασθαι πράκτορας – γνώμη βουλῆς τε καὶ δήμου – λαχόντων δογματογράφων τῶν δείνων (drei Namen; über diese Urkundszeugen = lat. scribendo adfuerunt s. Swoboda Griech. Volksbescbl. 214) – δεδόχθαι τῇ βουλῇ καὶ τῷ δήμῳ καὶ τοῖς πραγματευομένοις παρ' ἡμῖν Ῥωμαίοις. Hier sind, wenigstens formell, Rat und Volk als Antragsteller festgehalten, während bei der Beschlußfassung auch die πραγματευόμενοι Ῥωμαίοι mitwirken.
Wenn hier noch in der Kaiserzeit Bule und Demos als Antragsteller bezeichnet sind, so ist damit nur noch eine Zeitlang die alte Form gewahrt. Tatsächlich geht in der Kaiserzeit ein Antrag ebensowenig vom Rate aus als von einem einzelnen Privaten. Das Recht der freien Antragstellung durch die Teilnehmer an der Volksversammlung ist in römischer Zeit, besonders seit dem Prinzipat, beschränkt. Das Normale ist, daß ein Magistrat, der, streng genommen, allein das ius agendi cum populo hat, an Rat und Volk referiert und über jeden Antrag, mochte er von wem immer gestellt sein, sein Gutachten abgibt, die Ekklesie dagegen lediglich darüber [1493] abstimmt; vgl. Marquardt Röm. St.-V. I2 210. Swoboda Griech. Volksbeschl. 178ff. Brandis o. Bd. II S. 1551f. und Schultheß u. Art. Γραμματεῖς II A 3.
Mit dem Eintritt des Prinzipates verschwindet der private εἰπών im allgemeinen und treten fast ausschließlich die Magistrate, besonders die Strategen, an seine Stelle; vgl. z. B. das aus der Zeit des Tiberius oder Gaius stammende Dekret von Byzantion CIG 2060 (= Latyschew Inscr. or. sept. Pont. Eux. I nr. 47 = Collitz 3059) Ὁ δᾱμος ὁ Βυζαντίων. ἔδοξε τᾱ βουλᾱ καὶ τῶ δάμω. τοὶ στραταγοὶ εἴπαν. Doch sind die Fälle nicht eben selten, wo noch ein Privater als Antragsteller erwähnt ist; aber dann wird der Antrag in der Regel den Magistraten zur Begutachtung vorgelegt und von ihnen an Rat und Volk weitergeleitet. Während der Antragsteller in solchen Fällen mit εἰσηγησαμένου τoῦ δεῖνoς bezeichnet ist, steht für die Tätigkeit der Magistrate etwa γ. τῶν ἀρχόντων, so z. B. in der Inschrift aus Alexandreia Troas aus der Zeit des Augustus CIG 2152 b (= Boeckh Opusc. IV 519ff. = Le Bas 1609) ἔδοξεν Ἀλεξανδρέων τῇ βουλῇ καὶ τῷ δήμῳ – εἰσηγησαμένου τὴν γνώμην τοῦ δεῖνος – ἐπιψηφισαμένου δὲ τοῦ δεῖνος – [γνώμη τῶν ἀρχόν]των· (ἐπεὶ) – δεδόχθαι τῇ βουλῇ καὶ τῷ δήμῳ. Ähnlich im Psephisma von Ephesos (42 v. Chr.) bei Joseph. ant. Iud. XIV 10, 25 ἔδοξε τῷ δήμῳ – ὁ δεῖνα εἶπεν – εἰσηγησαμένων τῶν στρατηγῶν; anders daselbst in der Kaiserzeit, s. Swoboda Griech. Volksbeschl. 179ff. Die von Swoboda 201ff. aufgezählten Fälle – alle aus Kleinasien – wo in den Präskripten der Dekrete lediglich der private Antragsteller erwähnt ist, die Begutachtung durch die Magistrate nicht, beweisen, daß die Umgestaltung der kleinasiatischen Städteverfassungen nicht mit einem Schlage erfolgte, sondern allmählich, an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten, beweisen aber auch, daß sich die Römer hier als Meister der Provinzialverwaltung bewähren, indem sie die Institutionen der hellenistischen Zeit nicht durch eine plötzliche, allgemeine Regelung zu uniformieren suchen und so zerstören.
Daß dieser Einfluß der Römer auf die Gestaltung der griechischen Gemeindeverfassungen viel älter ist als der Prinzipat, in Boiotien sogar schon bald nach der Mitte des 2. Jhdts. v. Chr. sich geltend machte, läßt sich gerade für das Recht der Antragstellung erweisen. In den von Holleaux Bull. hell. XIV (1890) 8 nr. 9. 187 nr. 20. 193 nr. 25. 194 nr. 26 publizierten Urkunden aus Akraiphia, in deren Datierung und Beurteilung ich mich an Swoboda Griech. Volksbeschl. 149ff. anschließe, erscheinen mit der Formel τὺ ἄρχοντες κὴ τὺ σούνεδρυ ἔλεξαν (in nr. 9), die identisch ist mit οἱ ἄρχοντες καὶ οἱ σύνεδροι εἶπαν in nr. 26 (p. 194) aus nahezu gleicher und in nr. 25 (p. 193) aus etwas späterer Zeit, bereits die Magistrate als Antragsteller. Ἄρχοντες steht hier nicht in der speziellen Bedeutung von ,Archonten‘, sondern in der weiteren von Beamten überhaupt und umfaßt sämtliche höheren Beamten. Wie in der Kaiserzeit besitzen diese Magistrate jetzt schon, doch wahrscheinlich bereits unter Einwirkung der Römer, das Recht der ,ständigen Stellung von Anträgen, die von [1494] dem Rate ausgingen, die durchgängige Berichterstattung an das Volk‘ (Swoboda 152). [1]
Wie man sieht, ist in der römischen Kaiserszeit dem einzelnen Bürger das Recht zur Antragstellung nicht eigentlich entzogen; aber es ist wesenlos geworden, weil ihm das Recht fehlt, seinen Antrag vor dem Volke persönlich zu begründen und zu vertreten; dieses Recht der Verhandlung mit Bule und Demos besitzen da, wo, wie in Ephesos, die neue Ordnung ganz durchgeführt ist, ausschließlich die Magistrate; s. Swoboda 178ff. 182 und über die Zeit des Aufkommens der Formel εἰσηγησαμένου τοῦ δεῖνος und ihre ursprüngliche Beschränkung auf Städte des südwestlichen Kleinasiens Swoboda 204f.
Zur Illustration der Verhältnisse der Kaiserzeit ein paar Beispiele. Besonders häufig erscheinen als Antragsteller die zu einer Synarchie vereinigten höheren Beamten, wie wir schon oben die ἄρχοντες von Akraiphia auffaßten; vgl. Swoboda Griech. Volksbeschl. 179ff. 205ff. Aus letzterer Stelle ist die große Mannigfaltigkeit der Benennung dieser Beamten zu ersehen, ein weiterer Beweis dafür, daß die Römer eine allgemeine oder gar gleichzeitige Normierung gar nie versucht haben. So ziemlich das Normale, wenn bei so großer Mannigfaltigkeit der Ausdruck erlaubt ist, zeigt Inschr. v. Magnesia 113 (= Dittenberger Syll.2 371), ein Ehrendekret für den Arzt Tyrannos, einen Freigelassenen des Kaisers Claudius (oder Nero? Dittenberger n. 5) mit der Formel γνώμη στρατηγῶν καὶ τοῦ γραμματέως τοῦ δήμου καὶ ἀρχιερέως τῶν πατρίων θεῶν καὶ τῶν Σεβαστῶν Παμμένους τοῦ Διοκλέους oder der Volksbeschluß von Kos zu Ehren des Augustus, Inschr. v. Olympia 53, 3, gefaßt εἰσαγγειλάντων (identisch mit γνώμη) Εὐδήμου τε τοῦ Ἐπικράτους, ἱερέως Γαΐου Ἰουλίου Καίσαρος καί - – [γ]ραμματέως τοῦ δήμου καὶ τῶν τῆς πόλεως στρατηγῶν. Ganz besonders häufig erscheint in der Kaiserzeit als Antragsteller der zu hohem Einfluß gelangte Gemeindeschreiber, γραμματεὺς τοῦ δήμου oder τῆς πόλεως, auch wohl τῆς βουλῆς genannt; s. Schultheß u. Art. Γραμματεῖς II A 3. Anträge zu formulieren, lag in der Natur seines Amtes; das Recht, sie zu stellen, besaß er bald allein, bald in Synarchie mit anderen Beamten, besondere Strategen und Archonten, mit denen er sich auch gelegentlich in den Vorsitz in der Ekklesie teilte. Belege bei Swoboda 205f. 312.
Wie sich in Athen die Antragstellung in der Kaiserzeit gestaltete, hat bereits Dittenberger Herm. XII 15ff. aus dem spärlichen Material erschlossen. Die Bedeutung Antrag, Antragstellung läßt sich hier für γ. bis in die Kaiserzeit nachweisen (IG III 10), wie schon Dittenberger zu der metrischen Ehreninschrift IG III 726, 6 bemerkte, wo [γνώμῃ] στρατηγοῦ κἄρχοντος trotz des Fehlens des Artikels nicht den Antrag eines beliebigen Strategen und Archonten bezeichnet, sondern den des στρατηγὸς ἐπὶ τὰ ὅπλα und des ἄρχων ἐπώνυμος. Daß der στρατηγὸς ἐπὶ τὰ ὅπλα die Anträge entweder allein oder im Vereine mit anderen Magistraten stellt, ergibt sich aus IG III 1. 2. 5. Besonders lehrreich ist IG III 10, wahrscheinlich von 209 n. Chr., zum großen Teil mit den alten Formeln im Präskript, dazu das [1495] auffällige βουλὴ συνήχθη ἐπὶ τοῖς [εὐaγγ]ελίοις, wo allerdings ἐκκλησία oder δῆμος uns sachgemäßer erschiene als βουλή. Die weiteren Worte des Präskriptes ἐν ἧι ἀνεγνώσθη [γνώμ]η [τ]ῶν συνεδρίων διὰ τῶν ἀρχόν[τ]ων, ἀναγνόν[τος τοῦ] στρατηγοῦ [Ἀ]λκαμένους Λαμπτρέως γνώμην τὴν ἀναγεγραμμένη[ν κτλ. zeigen, wie bereits Swoboda 191f. richtig festgestellt hat, daß der Strategos, der Archon Eponymos und der Herold des Areopags, die drei höchsten Würdenträger des damaligen Athens, die Z. 8 als ἄρχοντες zusammengefaßt sind, den beiden Räten, dem Rat vom Areopag und dem der Fünfhundert, den Antrag vorlegten, daß er nach erfolgter Billigung vom Strategen ans Volk gebracht (γνώμην ἀ[π]ο[φαίνου]σιν κατὰ τὰ πάτρια) und von diesem zum Beschluß erhoben wurde. Das ständige Recht des Strategos ἐπὶ τὰ ὅπλα, über alle Anträge zu referieren, hat schon Dittenberger Herm. XII 16 aus dieser Stelle erschlossen.
Allgemeine Regeln lassen sich hier nicht aufstellen, sondern jedes Präskript ist für sich zu analysieren. Wenn z. B. in dem in Hypaipa gefundenen Ehrendekret des Landtages der Provinz Asia für Theophron, S. Reinach Rev. archéol. 1885, 104 (= Dittenberger OGIS 470), das Präskript lautet [Ἔ]δοξεν τοῖς ἐπὶ τῆς Ἀσίας Ἕλλησιν· γνώμη Γαΐο[υ Ἰ]ουλίου Παρδαλᾱ, ἀρχιερέως κτλ., so erklärt sich der ἀρχιερεύς als Antragsteller durch die aus den weiteren Titeln sich ergebende Tatsache, daß er ἀρχιερεὺς τῆς Ἀσίας ist, der als solcher zugleich Präsident des Landtages ist. Zu den von Brandis o. Bd. II S. 1558f. verzeichneten Belegen für γ. ἀρχιερέως, wo also der Vorsitzende zugleich das ständige Referat hat, ist neu hinzugekommen die Inschr. v. Priene 105 (= Dittenberger OGIS 458), die etwa von 9 v. Chr. stammende Urkunde zur Einführung des asianischen Kalenders, in der Z. 30 und 49 der Landtag der Provinz Asia, von dem Augustus die Römer ausdrücklich ausschloß, ebenfalls οἱ ἐπὶ τῆς Ἀσίας Ἕλληνες heißt, nicht τὸ κοινὸν τῆς Ἀσίας, wie gewöhnlich; hierüber s. Dittenberger OGIS 458 n. 24.
Daß der Organisation der Stadtgemeinde die der Vereine nachgebildet ist, ist bekannt. Es darf uns daher nicht verwundern, in hadrianischer Zeit in einem Beschluß der Gerusie von Magnesia am Maiandros, d. h. des jedes öffentlichrechtlichen Charakters entbehrenden σύστημα τῶν πρεσβυτέρων, über die Schenkung von Öl an die Stadt Magnesia, Kern Inschr. v. Magnesia 116, ihren Schreiber als Antragsteller zu finden: ἔδοξεν τῷ συστήματ(ι) τῶν πρεσβυτέρων, γνώμη Τιβερίου Κλαυδίου Τιβερίου υἰοῦ Κυρίνᾳ Διοφάντου Αἰλιανοῦ τοῦ γραμματέως – – τύχῃ ἀγαθῇ δεδόχθαι.
Vom gewöhnlichen Typus abweichende Fälle und besondere Titel von Antragstellern sind unter den betreffenden Stichwörtern aufzuführen oder erklären sich aus dem Zusammenhange. Das auf den ersten Blick auffällige κατὰ τοὺς νόμους τοὺς Θεσ[σ]α[λῶ]ν, οἷς [νό]μοις ἔως τα[νῦν] χρῶν[τ]αι, οὓς Τίτος Κοΐγκτιος ὕ[π]ατος ἀπὸ τῆς τ[ῶν] δέκα πρεσ[β]ευτῶν γνώμης ἔδωκ[εν] bei Dittenberger Syll.2 307, 50 wird erklärt durch Liv. XXXIII 24, 7 decem legati more maiorum, quorum ex consilio T. Quinctius imperator leges pacis Philippo daret, decreti; vgl. auch Dittenberger [1496] Syll.2 Index III 186. Ebenso zeigt rein römische Züge IGR I 452 (71 n. Chr.) aus Neapel: περὶ οὗ προσανήνεγκεν τοῖς ἐν προσκλήτῳ Ἰούλιος Λειουειανὸς ὁ ἀντάρχων, περὶ τούτου τοῦ πράγματος οὕτως εὐηρέστησαν, εἰσηγουμένων τὴν γνώμην τῶν ἐν προσκλήτ(ῳ) (Z. 7ff.).
2. Γνώμη, Beschluß.
Nachdem schon im vorausgehenden Abschnitt wiederholt Stellen herangezogen wurden, wo γ. im Sinne des Lemmas Bekk. Anecd. 227, 4 γνῶμαι· τὰ ψηφίσματα den Beschluß selber, nicht mehr bloß den Antrag bezeichnet, sollen hier weitere sichere Belege folgen. Die Bedeutungsentwicklung wird nicht vom Substantiv γ. ,Antrag‘ ausgegangen sein, sondern direkt vom Verbum γιγνώσκειν, indem ἔγνω δῆμος identisch ist mit ἔδοξεν τῷ δήμῳ. Die Fälle, wo γ. Beschluß heißt, sind im allgemeinen ohne weiteres klar und erfordern keine staatsrechtlichen Auseinandersetzungen. Eine Zusammenstellung von Belegen gibt Viereck Sermo Graecus 80. Hier genügen ein paar Beispiele. Ein Ratsdekret aus Chios, Dittenberger Syll.2 570 (= Michel 707), datiert nach dem πρύτανις, dem bekannten Eponymos von Chios, lautet: Ἐπὶ Τέλλιος πρυτάνιος. βολῆς γνώμη. ἐν τοῖς ἄλσεσι μὴ ποιμαίνεν μηδὲ κοπρεόεν; vgl. Haussoullier Rev. d. ét. gr. III (1890) 211f. Ferner γ. für den Beschluß einer Phratrie von Chios aus dem 4. Jhdt. v. Chr., Dittenberger Syll.2 571: τοὺς δὲ ἐπιμελητὰς (der Phratrie der Klytiden) τὰς γενομένας γνώμας (Beschlüsse, nicht Anträge) περὶ τοῦ οἴκου καὶ τῶν ἱερῶν καὶ τὰς διαμαντείας ἀναγράφαντας εἰς στήλην λιθίνην στῆσαι παρὰ τὴν εἴσοδον τοῦ οἴκου. In ,halboffiziellen‘ Ehreninschriften findet sich statt des häufigeren ψηφισαμένης τῆς βουλῆς καὶ τοῦ δήμου u. ä. auch κατὰ τὴν τῆς βουλῆς καὶ τοῦ δήμου γνώμην, so IG IV 1154. Heberdey-Wilhelm Reisen in Kilikien (Wien 1896) 223. Gerlach Griech. Ehreninschriften (Halle 1908) 91. Beschluß heißt γ. auch in der Inschrift von Tlos IGR III 557 (nach 102 n. Chr.), wo der Lykische Bund einen Beschluß faßt und Τλωέων ἡ βουλὴ καὶ ἡ γερουσία καὶ ὁ δῆμος die vom κοινόν beschlossene Ehrung vollzieht τ[ῇ] τοῦ Λυ[κίων] ἔθν[ους γνώμῃ]. Gerlach 92, 1 nimmt hier unrichtigerweise die Bedeutung Antrag an.
Singulär ist in dem attischen Volksbeschlusse IG III 5 (nicht vor Hadrian und nicht nach Septimius Severus, wahrscheinlich aus der Zeit des Marc Aurel; Dittenberger Syll.2 652 setzt die Inschrift in den Anfang des 3. Jhdts.) γ. verwendet, nämlich in der Notifikationsformel, welche der Anordnung der öffentlichen Aufzeichnung des Beschlusses durch den ταμίας τοῦ γένους τῶν Εὐμολπιδῶν (sie waren die Antragsteller) vorangeht Z. 33ff. γενέσθαι δὲ τὴν γνώμην ταύτην φα[νερ]ὰν καὶ τῆι ἐξ Ἀρείου πάγου βουλῆι καὶ τῆι βουλ[ῆι] τῶν Φ καὶ τῶι ἱεροφάντηι καὶ τῶι γένει τῶν Εὐ[μο]λπιδῶν. Darauf folgt die gewöhnliche Publikationsformel ἀναγράψαι δὲ τὸ ψήφισμα τοῦτο τὸν ταμίαν κτλ., d. h. γ., aus dem Antrag herübergenommen, und ψήφισμα sind identisch. Es ist daran zu erinnern, daß ein bloßer Antrag, der Antrag bleibt, nicht zum Beschluß erhoben ist, nie auf Stein verewigt wird. Er muß zum Beschlusse erhoben sein, und außerdem erfordert die Veröffentlichung auf Stein noch einen besonderen Beschluß. In der Inschrift aus Andros [1497] IG XII 5, 715 Z. 7 ὅπως [ἡ γνώμη] ἤδε ἀναγραψεῖ εἰς τὸ ἱερὸν τοῦ Ἀπόλλωνος, die dagegen zu sprechen scheint, ist die Ergänzung falsch; zu ergänzen ist [ἡ προξενία]; s. Wilhelm Gött. Gel. Anz. 1903, 779 und jetzt Beiträge (1909) 252.
Zum Schluß einige Beispiele aus Ägypten, wo γ. stricto sensu der Beschluß heißt. BGU 194, 7 ist γ. der verantwortliche Beschluß, auf Grund dessen die Dorfgemeinde (οἱ ἁπὸ τῆς κώμης) die λειτουργοῦντες, die liturgischen städtischen Beamten, dem κωμογραμματεύς, d. h. der Staatsbehörde zur Auslosung vorschlägt. Der Beschluß ist verantwortlich; denn die Dorfgemeinde trägt für die Geschäftsführung des Vorgeschlagenen die volle Verantwortung und haftet für allfällige Kassendefizite. Ebenso trägt Pap. Oxy. I 54, 12 das κοινὸν τῶν ἀρχόντων, auf dessen γ. die städtischen Beamten durch den ἐπιστράτηγος ausgelost werden, die volle Verantwortung für die Geschäftsführung des Vorgeschlagenen und haftet namens der Gemeinde für dessen Kassenausfälle; Preisigke Städtisches Beamtenwesen im röm. Ägypten (Halle 1903) 10. Daß die Dorfbewohner, als Gemeinde konstituiert, einen solchen Beschluß fassen können, ist auffällig, aber nicht zu bezweifeln und wird bestätigt durch den Ehrenbeschluß der ägyptischen Dorfgemeinde Busiris, CIG III 4699 ἔδοξε τοῖς ἀπὸ κώμης Βουσείρεως. Die schon im Worte γ. liegende Verantwortlichkeit der Beschlußfassenden wird mit aller Deutlichkeit ausgesprochen bei der Präsentation einer Liste von εὔποροι καὶ ἐπιτήδειοι (sc. εἰς δημόσια) zur Übernahme von Leiturgien durch den Dorfschreiber ,auf den Beschluß der Dorfgemeinde und auf die Gefahr der Dorfgemeinde, die die Bürgschaft übernimmt‘ (Wilcken Ostraka I 508): [ἀναδίδω]μι τοὺ[ς] ὑπογεγρα(μμένους) ὄντας εὐπόρους καὶ ἐπιδηδίο[υς] (l. ἐπιτηδείους) γνώμῃ καὶ κινδύ[ν]ων (l. κινδύνῳ) τῶν ἀπὸ τῆς κώμης τῶν καὶ ἐνγυομέ[νο]υς (l. ἐγγυωμένων), BGU 235, 12.
Hierher gehört auch ein Beschluß der Gemeinde Gortyns aus der Zeit des Augustus (zwischen 2 v. Chr. und 7 n. Chr.), Mus. ital. di antich. class. III (1890) p. 704 nr. 148 = IGR I 960, eingeleitet mit γνώμ[ῃ πά]ντων ἔδοξε τοῖς ἄρχ[ουσι καὶ τῷ] δη[μῳ] und der Vereinsbeschluß aus Alexandreia von 6 v. Chr., BGU 1137, 12 mit ἔδοξε κοινῇ γνώμῃ, wo beidemal aus γ., Meinung, Beschluß, die speziellere Bedeutung omnium consensu hervorgeht.
Nahe verwandt mit γ. Beschluß ist γ. in Verbindungen wie μετὰ τῆς τοῦ δεῖνος γνώμης und ἄνευ τῆς τοῦ δεῖνος γνώμης. Ist der, mit oder ohne dessen γ. gehandelt wird, eine Gemeinde oder eine Korporation, so können wir γ. meist kurzweg mit Beschluß übersetzen; ist es dagegen ein einzelner, so erhält γ. mehr die Bedeutung Einwilligung, Ermächtigung, oder geradezu Wille, Bedeutungen, die übrigens auch im ersten Falle meist zutreffen. Verwiesen sei auf den Anfang der Hellenika (des Theopompos oder Kratippos) aus Oxyrhynchos, Pap. Oxy. V nr. 842 Col. I Z. 2, wo es heißt, im J. 396 v. Chr. sei eine Triere von Athen ausgelaufen [οὐ μετὰ τῆς τοῦ] δήμου γνώμης; dafür Z. 24 kürzer ὡς o[ὐ με]τὰ τῆς πόλεως ταῦτα πεποιηκότα. Von einer Privatperson ebd. Col. 17, 19 [οὐ] μετὰ τῆς ἐκείνου γν[ώ]μης, ohne seine Einwilligung. [1498] Im Bundesvertrag zwischen Rhodos und Hierapytna aus dem Ende des 3. Jhdts. v. Chr., Collitz 3749 (= Michel Recueil 21: vollständiger bei Scrinzi Atti del R. Inst. Veneto IX 7 [1898]) wird Z. 74f. bestimmt: Eἰ δέ κα πόλεμον ἐξενέγκωντι Ἱεραπύτνιο[ι ποτί τινας ἄνε]υ τᾱς Ῥοδίων γνώμας (ohne förmlichen Beschluß, d. h. ohne ausdrückliche Einwilligung), μὴ ἐπάναγκες ἔστω Ῥοδίοις ἀποστέλλε(ι)ν συμααχίαν (bundesgenössische Hilfe). Im attischen Accessionsvertrag für Erythrai IG I 9 (= Dittenberger Syll.2 8 = Hicks Manual 23) schwört der Buleut von Erythrai, von den aus politischen Gründen administrativ verbannten Erythraiern keinem die Aufnahme in der Heimat zu gestatten ἄνευ τὲς (γ)ν(όμες) [τῖς Ἀθε]ναίον καὶ τō [δ](έ)μο (sc. τōν 'Ἐρυθραίον). Der Passus, dessen Ergänzung durch die darauf folgenden Bestimmungen über die administrative Verbannung von Bürgern von Erythrai gesichert ist, verlangt zur Restitution einen übereinstimmenden Beschluß der Athener und der Volksversammlung von Erythrai; ohne förmlichen Beschluß, ohne deren ausdrückliche Einwilligung ist sie nicht gestattet; zur Sache vgl. Usteri Ächtung und Verbannung im griech. Recht (Züricher Dissert., Berlin 1903) 85f. Im gleichen Sinne steht im Amendement des Lampon zum großen eleusinischen Dekret, das die ἀπαρχαί der eleusinischen Gottheiten regelt, unter den Bestimmungen über das Pelargikon IG I Suppl. 27 b 55 (= Dittenberger Syll.2 20 = Michel Recueil 71) einfach καὶ τὸ λοιπὸν μὲ ἐν Ηιδρύεσθαι βομὸς ἐν τōι Πελαργικŏι ἄνευ τὲς βολὲς καὶ τō δέμο.
Wenn von zwei vertragschließenden Parteien die eine nicht ἄνευ τῆς γνώμης der andern handeln darf, so ist zu erlaubtem Handeln ein gemeinsamer Beschluß erforderlich. Das ist positiv durch μετὰ μιᾱς γνώμης ausgedrückt in dem Vertrag zwischen Amyntas, Sohn des Arrhidaios (hier Ἐρριδαῖος genannt) und den Chalkidiern, Dittenberger Syll.2 77 (= Hicks Manual 74 = Michel Recueil 5 = O. Hoffmann Die griech. Dial. III p. 8 nr. 13), der nach den einleuchtenden Darlegungen Dittenbergers zwischen 389–383 v. Chr. fällt. Hier lautet Z. 21ff. πρὸς Ἀμφιπολίτας, Βοττ[ι]αίους, Άκανθίους, Μενδαίους μὴ π[οιεīσθ]αι φιλίην Ἀμύνταμ μηδὲ Χαλκιδ[έας χωρὶ]ς ἑκατέρους, ἀλλὰ μετὰ μιᾱ[ς γνώμης, ἐὰν ἀ]μφοτέροις δοκῆι, κοιν[ῆι προσθέσθαι ἐκεί]νους; man beachte die wiederholte energische Betonung der Notwendigkeit gemeinsamen, einmütigen Vorgehens.
Analog entsteht in privaten Verträgen aus der Bedeutung Beschluß, die von ,Einwilligung‘, ,Einverständnis‘, consensus, wofür ägyptische Dienst- und Lehrverträge Beispiele liefern, so BGU 1126, ein Dienstvertrag aus Alexandreia von 8 v. Chr. Die im ζυτοπωλεῖον der Taphesies angestellte Protarche soll μήτε ἀπόκοιτος μηδ' ἀφήμερος ἀπὸ τῆς Ταφεσιῆτος sein ἄνευ τῆς αὐτῆς γνώμης (Z. 11f.), ohne ihre Einwilligung. Ebenso wird in dem bloß im Auszug mitgeteilten Lehrvertrag Pap. Hibeh I 148 bestimmt, μὴ ἐξουσία δ' ἔστω Πόρωι μήτε ἀποκοιτεῖν μήτε ἀφημερε[ύειν ἄνευ τῆς Ἐπι]μένους γνώμης, d. h. ohne Einwilligung des Lehrmeisters.
Wenn ein einzelner den Beschluß einseitig faßt, so kann aus der Bedeutung Beschluß, Einwilligung [1499] geradezu die Bedeutung Wille entstehen. So heißt ἑκουσίᾳ γνώμῃ bei Wessely Griech. Papyrusurkunden kleineren Formats (Leipzig 1904–1908) nr. 237 ,nach freiem Willen‘, und in der Grabschrift bei Heberdey-Wilhelm Reisen in Kilikien (Wien 1896) 223 scheint κατὰ τὴν τελευταίαν γνώμην καὶ σημίωσιν τοῦ πατρός geradezu den bloß mündlich geäußerten, letzten Willen im Gegensatz zum Testamentswillen, ἐκ τῆς διαθήκης oder κατὰ τὴν διαθήκην, zu bezeichnen.
3. Γνώμη, Richterspruch.
[2] Der Beschluß, den ein Gericht oder Gerichtsherr faßt, ist das richterliche Urteil, der Richterspruch. Während verbale Ausdrücke hierfür häufig sind, begegnen wir dem Substantiv γ. für Richterspruch (sententia iudicis) verhältnismäßig selten und im allgemeinen eher in späterer Zeit. Hierher gehört Inschr. v. Olympia 4 (= Collitz 1154), worin wohl einem Theokolen Schutz versprochen wird für seine Person und seine Habe und Z. 4 eine Strafbestimmung folgt, daß, falls er sich fremdes Eigentum anmaße, die richterliche Entscheidung dem ἰαρόμαος zustehe, der auch 1, 2 und 10, 6 vorkommt (Dittenberger-Purgold p. 13f.): γνώμα δέ κ' εἴη τιαρομάω. Ähnlich, aber unsicher, 10, 6 = Collitz 1150. Ebenso heißt γ. richterliches Urteil im Schiedsspruche der Richter von Magnesia am Maiandros im Streite zwischen den kretischen Städten Itanos und Praisos, Dittenberger Syll.2 929 (= IGB I 1021; Z. 28–141 auch Kern Inschr. v. Magnesia 108) Z. 32 ἐνγράφους θέμενοι τὰς γνώμας, τῶι μὲν ἀκριβεῖ τῆς ψήφου βραβευθῆναι τὴν κρίσιν οὐκ ἠβουλόμεθα, συναγαγεῖν δὲ σπεύδοντες αὐτοὺς [καὶ αὐτοὶ καὶ πάλιν] εἰς τὴν ἐξ ἀρχῆς ἀποκαταστῆσαι φιλίαν κτλ. Auch von der cognitio principis finden wir γ., vom richterlichen Erkenntnis des Kaisers Augustus in seinem Schreiben an die Knidier von Ende 6 v. Chr., Bull. hell. VII (1883) 62 = Dittenberger Syll.2 356, 37. Und in einem prokonsularischen Edikt des 4. Jhdts. n. Chr., Dittenberger Syll.2 422, 9 (= Athen. Mitt. IV [1879] 60 = VI [1881] 353 nr. 48) steht ἡ τε τοῦ δικαστοῦ ἐκ τοῦ προθέματος γνώμη, wo Dittenberger n. 3 πρόθεμα erklärt als ,litteras publice propositas, quae antiquitus πρόγραμμα vocantur‘.
[Schultheß.]
Nachträge und Berichtigungen
S. 1493f. zum Art. Γνώμη:
Die Ausführungen o. Bd. VII S. 1493, 46 bis S. 1494, 2 sind zu ersetzen durch die Revision der Frage durch Swoboda Klio X (1910) 327ff.
Es hat nämlich Holleaux Bull. hell. XIV (1890) 8ff. (vgl. auch XVI [1892] 472) die Urkunden aus Akraiphia, jetzt IG VII 4127. 4128. 4132. 4133. 4148, richtig datiert; s. Dittenberger IG zu den betr. Nummern, van Gelder Mnemosyne n. s. XXIX (1901) 289ff. und Swoboda Klio X 329. Zwei Proxeniedekrete aus Akraiphia von ca. 200 v. Chr., publiziert von Perdrizet Bull. hell. XXIII (1899) 90ff. n. I. II, zeigen als Antragsteller τὺ πολέμαρχυ κὴ τὺ σούνδικυ, ein gleichzeitiger Komplex von Proxeniedekreten [793] (S. 92ff. n. III) Private in üblicher individueller Anführung, ein weiterer Komplex von fünf Proxeniedekreten (S. 94ff. n. IV), der sicher vor 171 v. Chr. fällt, im ersten und vierten Dekret private Antragsteller, im dritten die Behörden, [Archon, Polemarchen und] Syndikoi. Da also Anträge einzelner Bürger und von Magistratskollegien (Synarchien) zu gleicher Zeit nebeneinander vorkommen, so kann von einer ständigen Berichterstattung der Behörden, welche die Antragstellung der Privaten ausgeschlossen hätte, nicht die Rede sein. Da ferner die vereinigten Magistratskollegien schon vor 171 v. Chr. gemeinsam Anträge stellen, kann diese Einrichtung nicht unter dem Einfluß der Römer entstanden sein. In den böotischen Städten haben sich, früher als in andern griechischen Staaten (Swoboda Volksbeschlüsse 128ff.), die Magistratskollegien zur Antragstellung an Rat und Volk vereinigt, während früher gewöhnlich die Polemarchen die Anträge stellten. Daneben bleibt den Privaten das Recht der Antragstellung gewahrt. Was bis jetzt nur für Akraiphia und Oropos (IG VII 379 aus der ersten Hälfte des 2. Jhdts., s. Dittenberger z. St. und Syll.2 308, 1) belegt ist, darf unbedenklich für alle böotischen Städte angenommen werden. Nach dem J. 146 v. Chr., in welchem die Römer den böotischen Bund auflösten, sind keine sichern Fälle von privater Antragstellung mehr nachweisbar (Swoboda Klio 331f.). Sonach scheint die bis in die Kaiserzeit (Akraiphia: IG VII 2712 [unter Gaius], 2713 [unter Nero, Ende 67 n. Chr.]) bezeugte ausschließliche Antragstellung durch die Magistrate erst nach 146 unter römischem Einfluß erfolgt zu sein.
(Zu S. 1499, 12): Γνωσιδίκα heißt das richterliche Erkenntnis (γνώμα δικαστᾶν oder τοῦ δικαστηρίου) im Gottesurteil von Mantineia, Kol. I Z. 15 (Fougères Bull. hell. XVI [1892] 568ff. Taf. XIX = Fougères Mantinée [1898] 523ff.), nach der revidierten Lesung von Hiller von Gaertringen Arkad. Forschungen 15 (Abh. Akad. Berl. 1911 Anhang). Darnach lautet jetzt der zweite Artikel dieses Gottesurteils: ὀσέοι ἂν χρεστέριον κακρίνε, ἒ γνοσιδίκα κριθέε τōν χρεμάτον, πε τοῖς Ϝοικιάται τᾱς θεῡ ἔναι, κάϜοικίας δάσασσθαι τὰς ἄν ὅδ' ἐάσας: Wenn einen das Orakel verurteilt oder (wenn er) durch richterliches Erkenntnis zum Verluste seines Vermögens verurteilt worden ist, so soll er zu den Sklaven der Göttin gehören und sollen seine hier liegenden Häuser aufgeteilt werden. Hiller von Gaertringen bemerkt richtig, hier sei γνωσιδίκα χρημάτων dem Begriffe ,gerichtliche Vermögenskonfiskation‘ gleich; jedoch ist τōν χρεμάτον als Genetiv der Strafe mit κριθέε zu verbinden. Das Wort γνωσιδίκα ist neu, aber durchsichtig, wenn auch attisch nicht leicht wiederzugeben, außer etwa durch γνώμη δικαστῶν. Wir kannten, wie Hiller von Gaertringen anführt, Γνωσίδικος als Eigennamen aus Inschriften von Kos, z. B. Paton-Hicks 386, 51 und als Namen des Urgroßvaters des Arztes Hippokrates. Weitere Belege für den Namen wird nach Hiller von Gaertringen S. 16, 2 das delische Korpus bringen.
[Schultheß.]
Gnome
[1.] Der Antrag, das Gutachten. (K) S III.
[3.] (= Gnosidika), der Richterspruch. S III 793,38.
[Hans Gärtner.]
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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