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Geschütze.

Studium

Das Studium der antiken G. hat in jenen Zeiten begonnen, wo man das gesamte Heer- und Kriegswesen nach antikem Muster zu reformieren gedachte. Die Leistungen der damaligen Pulver-G. waren noch unbedeutend, so daß Gelehrte und Kriegsmänner zur Überzeugung kamen, durch Wiedereinführung der Torsions-G. könne man den Wert der Artillerie erheblich steigern. Ein Zeugnis dieser praktischen Bestrebungen ist die Rekonstruktion eines antiken G. im Zeughause zu Brüssel; wir kennen sie freilich nur aus der Zeichnung von J. Lipsius und seinen kurzen Bemerkungen darüber (Poliorketikon III dial. 2, Antverpiae 1596), aber auch das genügt schon, den Urhebern dieser Rekonstruktion alle Anerkennung zu zollen, die wir jedenfalls in dem Kreise um Moritz v. Nassau († 1625) zu suchen haben. Mit der Verbesserung der Pulver-G. wurden natürlich solche Versuche aufgegeben, und das theoretische Studium der antiken G. datiert – von den Betrachtungen des Lipsius und einzelnen unbedeutenden oder verfehlten Versuchen abgesehen – erst seit der Mitte des 19. Jhdts. Im J. 1840 traten gleichzeitig, ganz unabhängig voneinander, ein Gelehrter und ein Offizier auf die Bahn: Aug. Böckh gab aus den Inschriften und den griechischen Poliorketikern, die Ludwig XIV. hatte drucken lassen (Thévenot Mathematici Veteres. Paris 1693), wichtige Aufschlüsse über die G. und deren Teile (Urkunden über das Seewesen des attischen Staates, Berlin 1840, 109ff.), und der schweizerische Oberst Dufour versuchte es, den Bau und die Wirksamkeit der antiken G. durch technische Konstruktionen und mathematische Berechnungen festzustellen (Mémoire sur l'artillerie des anciens et sur celle du moyen-âge, Paris-Genf 1840). Da nun aber der Gegenstand durchaus den Zusammenschluß beider Kräfte fordert, so wurde es allgemein mit Freuden begrüßt, daß sich bald darauf ein Gelehrter und ein Offizier, die beide in ihrem Fache sich schon einen Namen gemacht hatten, [1298] zu gemeinsamer Arbeit zusammentaten, um das griechische Kriegswesen und die Kriegsschriftsteller nach allen Richtungen hin zugänglich zu machen und zu erläutern: H. Köchly und W. Rüstow gaben zuerst ,Die Geschichte des griechischen Kriegswesens von der ältesten Zeit bis auf Pyrrhos‘ heraus (Aarau 1852); darnach erschienen deren ,Griechische Kriegsschriftsteller, Griechisch und Deutsch, mit kritischen und erklärenden Anmerkungen‘ (Leipzig 1853–1855). In beiden Büchern wird die antike Artillerie sehr eingehend besprochen; und die beiden wichtigsten Schriften des Altertums für den G.-Bau, Herons Belopoiika und Philons Abhandlung, die als viertes Buch seiner Mechanik gilt, sind durch Reinigung des Textes, den Thévenot ohne Kritik nach beliebigen Handschriften abgedruckt hatte, durch die beigegebene Übersetzung und mannigfache Erläuterungen überhaupt erst brauchbar geworden. Die Verdienste der beiden Herausgeber leuchten ein; und weil der einzelne Kritiker, mochte er nun Gelehrter oder Techniker sein, aus Furcht ins fremde Gebiet hineinzugeraten, sich sehr zurückhalten mußte, so gewannen Köchly und Rüstow durch die Verbindung der Philologie mit der Technik eine solche Autorität, daß seitdem sämtliche Darstellungen des antiken G.-Wesens diesen Gewährsmännern mehr als fünfzig Jahre hindurch gefolgt sind, obwohl die praktischen Versuche auf der Heidelberger Philologenversammlung 1865 einen kläglichen Mißerfolg gezeigt hatten; vgl. Marquardt Röm. Staatsverw. II2 519ff., Leipzig 1884. Albert Müller bei Baumeister Denkmäler d. klass. Altert. 545ff., München und Leipzig 1885. Bauer bei Iwan Müller Handbuch d. klass. Altertumswissensch. IV 1, 310ff., Nördlingen 1887. Schiller ebd. IV 2, 739f. Droysen Heerwesen und Kriegführung der Griechen, in Hermanns Lehrbuch der Griech. Antiquitäten II 2, 187ff., Freiburg i. Br. 1889. Dieser Nimbus schwindet, wenn man jeden der beiden Mitarbeiter für sich betrachtet: Rüstow besaß, nach dem Urteil eines Fachkundigen, ,ein so mangelhaftes technisches Verständnis, daß er selbst die richtig übersetzten Angaben der Autoren des Altertums nicht praktisch verwerten konnte‘ (E. Schramm Jahrb. d. Gesellsch. für lothringische Geschichte u. Altertumsk. XVI 1904. 144); und Köchly war bei aller Begabung doch kein rechter Philologe; gewissenhafte Arbeit lag ihm ferne, und seine verblüffende Dreistigkeit ist es, der er seine Erfolge verdankt. Der üble Einfluß dieser Arbeiten wäre abgeschwächt, ja vielleicht gänzlich abgewendet worden, wenn der Kaiser Napoléon III., der sich bereits als Kenner in der Geschichte der Artillerie bewährt hatte (Études sur le passé et l’avenir de l'artillerie, Liège 1847), seinen Plan zur Ausführung gebracht hätte, nach genauester Durchforschung aller vorhandenen Quellenschriftsteller und sonstiger Zeugnisse aus dem Altertume, ein getreues Bild der antiken Artillerie zu entwerfen. Leider ist es bei den Vorarbeiten geblieben, die aber an sich schon bedeutende Leistungen sind: die Rekonstruktionen antiker G. des Generals de Reffye, die im Museum zu St. Germain aufbewahrt werden, und die kritische Ausgabe der griechischen Poliorketiker [1299] von C. Wescher (Poliorcétique des Grecs, Paris 1867). Der Kaiser hatte offenbar erwartet, daß diese beiden Männer einander in die Hände arbeiten würden, und nach der Vorbemerkung zu Weschers Poliorcétique p. VIII durfte er annehmen, es sei nach seinem Willen verfahren worden; das kann aber nur in ganz äußerlicher Weise geschehen sein. Mit Weschers Beirat hätte der General sonst gewiß die unerlaubten Abweichungen vom überlieferten Texte vermieden, die an seinen Rekonstruktionen leicht nachzuweisen sind; und umgekehrt vermißt man in Weschers Bemerkungen zu den hsl. Bildern die Einsicht des geübten Technikers. Aus diesem Grunde haben Wescher und de Reffye, obwohl sie einzeln ihren Vorgängern Köchly und Rüstow entschieden überlegen waren, diese dennoch nicht vom Platze drängen können. Dieser Erfolg blieb einem deutschen Offizier vorbehalten, der damit anfing, daß er zu einer in Haltern gefundenen Pfeilspitze den passenden Pfeil schnitzte, dann weiter ein G. konstruierte, das dem wiederhergestellten Pfeile angemessen war. Mit dieser Rekonstruktion erntete der Artillerieoberst Schramm in Metz in der dortigen ,Gesellschaft f. lothring. Geschichte u. Altertumskunde‘ solchen Beifall, daß diese ihm die Mittel gewährte, die antiken G. in voller Größe nachzubauen. Nach sorgfältigem Studium der antiken Techniker erbaute darauf Schramm, streng diesen Vorschriften folgend und nur mit den technischen Mitteln, die nachweislich im Altertum bekannt waren, drei große G., den Einarm nach Ammianus und die beiden zweiarmigen G. nach Heron, Philon und Vitruvius, die bei wiederholten Proben immer die gleichen Leistungen aufwiesen und eine Schußweite von 350 m für den Einarm, von 369,5 m für das zweiarmige G. erreichten; vgl. Schramm Bemerkungen zu der Rekonstruktion griechisch-römischer Geschütze, Jahrb. der Gesellschaft für lothringische Geschichte u. Altertumsk. XVI 1904, 142ff. und XVIII 1906, 276ff. Diese G. stehen jetzt, ein Geschenk des deutschen Kaisers, auf der Saalburg; und da auf Mommsens ausdrücklichen Wunsch die Rekonstruktion antiker G. auf dem Programm für den Wiederaufbau der Saalburg steht, so hat die Direktion der Saalburg dem Oberst Schramm die Mittel gegeben, um die sonstigen, weniger gebräuchlichen G. nachzubauen, von denen die antiken Autoren berichten. Auch diese sind jetzt in der Exerzierhalle der Saalburg aufgestellt; vgl. Rud. Schneider Antike Geschütze auf der Saalburg. Vom Saalburg-Museum herausgegeben, 1908.

Durch die Leistungen von Schramms Rekonstruktionen war die Bedeutung der antiken Artillerie endlich richtig erkannt worden, und es ergab sich bald, daß der bisherige Aufbau der G.-Kunde abgetragen werden müsse; und da auch die Grundmauern sich als schwach erwiesen, so wurde es nötig, die ganze Arbeit von vorne anzufangen. Hülsen hat den Grundstein gelegt, denn er entdeckte auf dem Grabsteine des C. Vedennius (CIL VI 2725),[1] der jetzt im Vatikanischen Museum (Galeria Lapidaria 128) steht, ein römisches G., das um so wertvoller für uns ist, weil der Grabstein einstmals einen ,Zeughauptmann‘ (architectus armamentarii) deckte, der vermutlich [1300] selber die Vorzeichnung für dieses Relief geliefert hat († c. 100 n. Chr.). Mit Hülsens tatkräftiger Unterstützung habe ich dann die ,Geschütze auf antiken Reliefs‘ besprochen in den Röm. Mitt. XX 1905, 166ff; dann den dort behandelten Reliefs, von Pergamon (vgl. H. Droysen Altertümer von Pergamon, Band II 95ff. Text, Berlin 1885) und des Vedennius, die Reliefs auf der Traianssäule hinzugefügt im Jahrb. f. lothr. Gesch. u. Alt. XVII 1905, 284ff. Bei dem genaueren Studium der griechischen Techniker ergab sich mir, daß die kleine Schrift Ἥρωνος χειροβαλλίστρας κατασκευὴ καὶ συμμετρία (Wescher Poliorcétique p. 123ff.) nicht von Heron stamme, daß χειροβαλλίστρα überhaupt kein echt griechisches Wort sei, sondern von den Byzantinern nach dem lateinischen manuballista gebildet; und ferner, daß Victor Prou in ganz phantastischer Weise, durch den falschen Titel irregeführt, ein im Museum zu St. Germain aufgestelltes G. rekonstruiert habe, das er in einer langen Abhandlung (Notices et Extraits. Paris 1877, XXVI 2) als ein Wunderwerk von mystischer Bedeutung preist. Die einzelnen Teile der Schrift haben nämlich in Wahrheit gar keinen Zusammenhang untereinander, sie handeln auch nicht alle von G.-Teilen; und die nüchterne Betrachtung zeigt, daß wir hier ein Stück eines technischen Lexikons vor uns haben (die erhaltenen Stücke gehören zum Buchstaben K), byzantinischen Ursprungs, dem in den Hss. willkürlich ein falscher Namen und ein falscher Titel vorgesetzt ist; vgl. Röm. Mitt. XXI 1906, 142ff.

Die guten Hss. der Poliorketiker sind mit Bildern versehen, die geringeren begnügen sich mit flüchtigen Skizzen, oder sie lassen die Bilder einfach weg. Da jedoch auch die besten und ältesten Hss. vom Originaltexte um 1000 Jahre abstehen und die Originalbilder also inzwischen durch viele, viele Hände weitergegeben sind, so wurden die überlieferten Abbilder für wertlos erklärt, und man hielt es für lächerlich, daß Thévenot und Wescher ihren Ausgaben jene abgeschmackten Illustrationen beigegeben hätten; vgl. Meister De catapulta polybola, Goettingae 1768, 7. Köchly und Rüstow Griech. Kriegsschrift. I 415, u. a. m. Hierbei war aber übersehen worden, daß der Text der Poliorketiker und überhaupt aller antiken Autoren ja die gleichen Schicksale erlitten hat, und trotzdem stellen doch die Philologen aus den späten Hss. den Originaltext her, oder sie bezeichnen wenigstens den Grenzpunkt, bis zu dem man ungefährdet vordringen kann. Daraus folgt, daß dieselben Mittel und dieselbe Methode, auf die hsl. Bilder angewandt, dasselbe Resultat liefern müssen, d. h. das Originalbild selbst, oder den Grenzpunkt, bis zu dem wir vorschreiten dürfen. Dieser zwingende Schluß ist durch die Probe bestätigt worden: die Originalbilder zu Herons Belopoiika sind entweder in voller Treue, oder nur mit geringen Abweichungen, erhalten in denselben Hss., die auch für den Text maßgebend sind; und in den geringeren Hss. zeigen die Veränderungen jedesmal einen völlig gleichen Wandel wie im Texte auch in den Illustrationen, was ich in einer besonderen Abhandlung im einzelnen nachgewiesen habe; vgl. Geschütze auf handschriftlichen Bildern, Metz 1907. [1301] In diese Abhandlung ist auch der Text von Herons Belopoiika aufgenommen (mit Ausnahme der Einleitung und des rein mathematischen Schlusses), um den engen Zusammenhang zwischen Wort und Bild zu erweisen. Außerdem ist eine fortlaufende Übersetzung ins Deutsche beigefügt worden, damit der Leser Auskunft erhalte über die Kunstausdrücke, die im griechischen Lexikon mangelhaft oder gar nicht erklärt sind. Da dieses notwendige Hilfsmittel in Weschers Poliorcétique fehlt, hat die Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen beschlossen, die Griechischen Poliorketiker in einer neuen Ausgabe zu veröffentlichen, die den kritisch gereinigten Text mit den hsl. Bildern, dazu die deutsche Übersetzung und einen Index bieten soll.

Als erstes Stück der Göttinger Ausgabe ist 1908 Apollodors Poliorketik erschienen (Abhandl. Phil. Hist. Kl. N. F. X nr. 1). Und zwar deshalb, weil Apollodor der einzige unter den Poliorketikern ist, den wir fest datieren können; seine Schrift stellt uns also auf einen sicheren Punkt, von dem aus wir vorwärts und rückwärts blicken können, um für die Zeit der noch recht unsicheren Genossen, Heron und Philon, Biton und Athenaios, Anhalt zu gewinnen. Dazu kommt, daß Apollodor ein Praktiker war, also auch jedes Ding mit dem rechten Namen benannt hat, was bei den Mathematikern und Theoretikern nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden darf. Also bietet er auch hierin einen festen Ausgangspunkt. Endlich empfiehlt sich Apollodors Schrift dadurch zur Einführung in technische Studien, weil der Verfasser nach seinen eigenen Worten für Ungeübte schreibt, die jede Hantierung aus diesem Leitfaden entnehmen sollen, und es also an Deutlichkeit nicht fehlen läßt. Daran ist als zweites Stück angeschlossen (Abh. XI nr. 1) eine Schrift ohne Namen und ohne Titel, die offenbar zu jener Enzyklopädie der Altertumswissenschaft des Kaisers Constantin VII. Porphyrogennetos (912–959) gehört und deshalb namenlos geblieben ist. Dieser Byzantinus hat Apollodors Poliorketik neu herausgegeben, oder besser gesagt, paraphrasiert. Und da er seines Autors Sprache verstand und sich in den Inhalt gründlich hineingearbeitet hat, so sind seine eigenen Zusätze für uns sehr wertvoll, indem sie teils Unverständliches erläutern, teils auf Schäden in der Überlieferung aufmerksam machen. Später sollen dann in gleicher Bearbeitung Athenaios, Biton und Herons Belopoiika folgen; danach die beiden Schriften des Philon, die als das IV. und V. Buch seiner Mechanik gelten; vgl. Philonis mechanicae syntaxis libri quartus et quintus, rec. R. Schoene. Berolini 1893.

Zu den antiken Autoren über das G.-Wesen ist auch ein Anonymus gerechnet worden, der ein wunderliches Büchlein De rebus bellicis verfaßt hat. Eine von Mommsen leicht hingeworfene Bemerkung (Chron. min. I 528) hat O. Seeck veranlaßt (s. o. Bd. I S. 2325), die Abfassungszeit zwischen 366 und 378 n. Chr. anzusetzen; und der Generalmajor G. Köhler (Die Entwicklung des Kriegswesens und der Kriegführung in der Ritterzeit, Breslau 1887) ist dadurch verführt worden, eine besondere Artillerieperiode für das 3. und die erste Hälfte des 4. Jhdts., [1302] die Periode des Stahlbogens, nachzuweisen; in den anschließenden Jahrhunderten vorher und nachher sei der Gebrauch des Stahlbogens unbekannt gewesen. Das ist unmöglich. Und die unbefangene Untersuchung über die technischen Kenntnisse des Anonymus ergibt denn auch, daß dieser Autor von der Torsionskraft der G., die für das 4. Jhdt. Ammian und Vegetius bezeugen, keine Ahnung hat, wohl aber Schaufelräder zur Fortbewegung benützt, die erst im Mittelalter auftauchen. Ebenso paßt der Tenor dieses Buches nicht ins 4., sondern ins 14. Jhdt., wie ich im Anhange zu meiner Ausgabe gezeigt habe; vgl. Anonymi de rebus bellicis liber, Berlin 1908.

Somit bezeichnet das J. 1904, wo Schramm mit seinen Rekonstruktionen antiker G. hervorgetreten ist, einen Wendepunkt, der die alte Forschung von der neuen trennt. Jene schöpfte nur aus den literarischen Quellen, ohne sie richtig und völlig auszunützen; die neue Forschung sichtet die überlieferten Schriftwerke und hat einzelne als unbrauchbar abgewiesen. Dafür aber hat sie den Quellenbestand dadurch vermehrt, daß auch die handschriftlichen Bilder miteinbezogen werden, und daß außerdem die Reliefs, die untrüglichsten Zeugen aus dem Altertum, einer Nachprüfung unterzogen sind, die wichtige Resultate ergeben hat. Und seit die Archäologen wissen, wie ein antikes G. aussieht, finden sie auch an versteckten Stellen sehr schätzenswertes Material. Soeben macht Dr. W. Barthel in Freiburg i. Br. darauf aufmerksam, daß auf einer Gemme, die bisher falsch gedeutet ist (Furtwängler Die antiken Gemmen Bd. I Taf. XLII 40), ein G. abgebildet ist; und ebenso auf den Medaillen bei Jos. Déchelette Les vases céramiques ornés de la Gaule Romaine II 256, Paris 1904. Und Chr. Hülsen hat auf den Säulen vor den Uffizien zu Florenz (vgl. Dütschke Antike Bildwerke in Oberitalien III 18) unter den sonstigen Waffenstücken auch G. entdeckt, die bisher nicht beachtet waren. Außerdem soll nicht unbemerkt bleiben, daß die Ausgrabungen an verschiedenen Stellen (Lambaesis, Numantia, Haltern) Kugeln aus Stein, Ton, Eisen oder Blei, Eisenspitzen u. dgl. zutage gefördert haben, die später für die G.-Kunde wichtig werden können; einstweilen ist es aber noch nicht möglich, aus diesen verstreuten Funden Nutzen zu ziehen.

Quellen.

– Philon Περὶ βελοποιικῶν und das sog. V. Buch sind Stücke aus dem großen Werke μηχανικὴ σύνταξις, das der Mitte des 2. Jhdts. v. Chr. anzugehören scheint. Die dazu gehörigen Bilder sind verloren gegangen. Griechische Kriegsschriftsteller I 241ff. R. Schöne, Berlin 1893,

– Heron Βελοποιικά, vermutlich aus dem Ende des 2. Jhdts. Griech. Kriegsschriftst. I 200ff., Wescher p. 71ff. R. Schneider Geschütze auf hsl. Bildern 34ff.

– Biton Κατασκευαὶ πολεμικῶν ὀργάνων καὶ καταπαλτικῶν ist ein Buch alexandrinischen Ursprungs, aber in technischer Hinsicht von sehr zweifelhaftem Werte, Wescher p. 43ff.

– Vitruvius De architectura (zwischen 16 und 13 v. Chr. geschrieben), spricht über Geschütze X 10–12 = p. 262, 5–269,16 bei Valentin Rose2, Leipzig 1899; Griech. Kriegsschriftst. I 356ff, mit den erklärenden Anmerk. S. 388ff. Zur Erläuterung des schwierigen Textes dienen [1303] auch: die große Ausgabe von A. Marini, Romae 1836, und F. Reber Übersetzung des Vitruv, Stuttg. 1865.

– Ammianus Marcellinus († ca. 400 n. Chr.) beschreibt XXIII 4, 4 nach einigen Bemerkungen über ein anderes Torsions-G. den ,Einarm‘, μονάγκων, lat. onager. Köchlys unbedachter Tadel (Griech. Kriegsschriftst. I 414) gegen diese sachkundige Darstellung ist zurückgewiesen durch Schramm Jahrb. für lothring. Gesch. u. Alt. XVI 142ff., und meine daran angeschlossenen Bemerkungen Berl. Phil. Wochenschr. 1904 nr. 28 und 1905 nr. 20.

– Das Relief von Pergamon, aus der Zeit des Königs Eumenes II. (197–159), stellt ein Euthytonon dar. Das Original befindet sich in Berlin und ist abgebildet und von H. Droysen beschrieben in Altertümer von Pergamon Bd. II 95ff., Berlin 1885. Die Ergebnisse meiner Nachprüfung stehen im Jahrb. f. lothring. Gesch. u. Alt. XVII 1905, 286ff.

– Der Grabstein des Vedennius (ca. 100 n. Chr.) liefert das Abbild eines zweiarmigen G. Das Original, 1816 an der Via Nomentana bei S. Agnese gefunden, steht im Vatikanischen Museum und ist abgebildet von W. Amelung Die Skulpturen des Vatikanischen Museums I 257, Berlin 1903; die zugehörige Inschrift findet sich CIL VI 2725[1] und ist von Mommsen (Herm. XIV 12) und Dessau (Inscr. lat. sel. 2034) erläutert worden. Nach der richtigen Deutung des Reliefs durch Hülsen habe ich die Details der Darstellung eingehend besprochen in den Röm. Mitt. XX 176ff.

– Auf der Traianssäule (113 n. Chr.) sind sieben G. abgebildet, die alle von gleicher Art und gleichem Bau zu sein scheinen. Sie haben auf jeder Seite ein Türmchen, die ich für die ,Apothekerbüchsen‘ des Philon, worin die Luft komprimiert wird, erklärt hatte (Jahrb. f. lothring. Gesch. u. Alt. XVII 1905, 298ff.); aber Schramm hat diese Deutung aus technischen Gründen abgelehnt, und so bleiben diese Reliefs einstweilen noch unerklärt.

– Die handschriftlichen Bilder sind bei Thévenot frei wiedergegeben, bei Wescher sorgsam nachgezeichnet; für die Göttinger Ausgabe werden sie nach den photographischen Aufnahmen, die in Originalgröße hergestellt sind, auf Tafeln reproduziert, deren Unterschriften dem Leser die nötigen Angaben liefern.

Die Torsionsgeschütze.

Die G. der Alten sind – einige Spielarten ausgenommen – Torsions-G. Um diesen Begriff richtig zu fassen, muß man sich lossagen von dem landläufigen Satze: ,die G. der alten Griechen und Römer sind nichts anderes als große Armbrüste.‘ Denn diese Auffassung ist darum grundfalsch, weil Armbrust und Torsions-G. im Prinzip, d. h. durch die Triebkraft verschieden sind, genau so verschieden wie Torsions-G. und Kanone: die neuen Erfindungen setzen beidemal eine völlig neue Kraft ein, um das Geschoß fortzuschleudern. Das ist für die Pulver-G. ja ganz klar; und für die Torsions-G. läßt es sich auf folgendem Wege erweisen. Die Spannkraft der Armbrust liegt lediglich in der Elastizität der Bogenarme, denn die Sehne des Bogens überträgt nur die Schnellkraft der Bogenarme auf den vorgelegten Pfeil. Da nun aber bei den G. die Arme aus festem Holze bestehen und unbiegsam sein müssen, weil sie als Hebel wirken sollen, so mußte die Spannkraft [1304] anderweitig beschafft werden: und man benützte dazu die Torsionskraft der Tiersehnen, die gelegentlich auch durch Roßhaare und das Haupthaar der Frauen ersetzt wurden. Ein Spielzeug, das wir als Knaben uns anfertigten, wird Wesen und Kraft der Torsion jedem veranschaulichen. Wir bohrten in eine Nußschale zwei gegenüberliegende Löcher, legten dann quer von außen je eine halbe Haarnadel und zogen ein Roßhaar durch die Löcher über diese Haarnadeln, bis die Öffnung ganz ausgefüllt war; dann wurden die Enden festgemacht und mitten durch die Fäden des Roßhaares ein Streichholz gesteckt, mit dem man die einzelnen Fäden zu einem Strähn zusammendrehte. Zogen wir nun das Streichholz am langen Hebelarme zurück, um den bereits gespannten Roßhaarsträhn zu überspannen, und ließen es dann rasch los, so schlug das Streichholz, durch den wieder freigelassenen Strähn getrieben, fest auf den Rand der harten Nußschale auf, und wir freuten uns an dem hellen Klange. Das ist im kleinen ein Torsions-G., ganz genau, nur daß beim G. statt des Streichholzes ein sehr starker Arm als Hebel dient, und daß die Torsion eines Spannervenbündels bei Schramms Rekonstruktionen einen Anfangsdruck bis zu 60 000 kg, d. h. bis zum Gewichte einer besonders starken Lokomotive entwickelt. Es ist selbstverständlich, daß die Torsionskraft schon lange bekannt gewesen ist, ehe jemand darauf verfiel, sie beim G.-Bau zu verwenden, geradeso wie die Erfindung des Pulvers weit höheren Alters ist als die Pulver-G. Und da bekanntlich die Erfindung dieses höchst wunderbaren Explosivstoffes in Dunkel gehüllt ist, so begreifen wir leicht, daß über die Entdeckung der unscheinbaren Torsionskraft nichts verlautet. Dafür aber können wir, was ungleich wichtiger ist, mit aller Sicherheit feststellen, daß die ersten Torsions-G. im J. 400 v. Chr. erbaut worden sind; und wir wissen auch, daß Sizilien die Heimat der neuen Erfindung gewesen ist. Das bezeugt Diodor. XIV 42, 1 καὶ γὰρ τὸ καταπελτικὸν εὑρέθη κατὰ τοῦτον τὸν καιρὸν ἐν Συρακούσαις. Und wenn Aelian. var. hist. VI 12 sagt: ὁ δὲ καταπέλτης εὕρημα ἦν αὐτοῦ Διονυσίου, so hat er allerdings eine Verwechslung zwischen Dionysios dem Jüngeren und dem Älteren begangen und das historische Faktum legendarisch umgestaltet; aber dabei bleibt dennoch klar, daß auch hiermit ursprünglich gemeint war, die Erfindung der Torsions-G. sei zu der Zeit gemacht worden, wo Dionysios I. zum Kriege gegen die Karthager rüstete. Vor dem J. 400 hat man in Griechenland, oder besser gesagt im Okzident, G. nicht gekannt; nur darüber konnte man in Zweifel sein, ob es nicht im Oriente schon früher G. gegeben habe und diese damals zuerst den Griechen bekannt geworden seien. Für die Herkunft aus dem Orient ist angeführt worden, daß Plinius n. h. VII 201 schreibt: invenisse dicunt ... Pisaeum venabula et in tormentis scorpionem, Cretas catapultam, Syrophoenicas ballistam et fundam, was sich gut vereinigen lasse mit Diodor. XIV 42. 1 ὡς ἄν τῶν κρατίστων τεχνιτῶν πανταχόθεν εἰς ἔνα τόπον συνηγμένων und 40, 3 τοὺς τεχνίτας ἤθροιζεν ... τοὺς δ' ἐξ Ἰταλίας καὶ τῆς Ἑλλάδος, ἔτι δὲ τῆς Καρχηδονίων ἐπικρατείας. Hierzu fügte man ein Zeugnis aus der Bibel [1305] (Chronica II 26, 15), das vom König Ussia im 8. Jhdt. v. Chr. berichtet, und in LXX also lautet: καὶ ἐποίησεν ἐν Ἱερουσαλὴμ μηχανὰς μεμηχανευμένας λογιατοῦ τοῦ εἶναι ἐπὶ τῶν πύργων καὶ ἐπὶ τῶν γωνιῶν βάλλειν βέλεσι καὶ λίθοις. Das ist freilich wunderbar, denn ,im Alten Testament werden allerdings solche Maschinen nirgends sonst genannt,‘ sagt J. Benzinger (Die Bücher der Chronik erklärt, Tübingen u. Leipzig 1901, 118); und fahrt dann fort: ,aber da die Assyrer sie hatten, sind sie auch den Israeliten nicht unbekannt geblieben;‘ gemeint ist damit ein Bild bei Rawlinson The five great monarchies II 81, London 1864, das daselbst für eine Balliste erklärt wird. Im ganzen schien sich diese Auffassung dadurch zu empfehlen, daß ja die Griechen oft genug die ersten Anregungen, sozusagen den Rohstoff, vom Orient empfangen haben, um ihn dann kunstvoll zu bearbeiten. Aber diese ganze Beweisführung scheitert an der Tatsache, daß kein einziges Denkmal des Orients ein G. aufweist. Droysen (Heerwesen u. Kriegführung d. Griechen 188, 2) erklärt mit Fug und Recht, daß ,die assyrische Bailiste‘ nur ein Traumbild Rawlinsons ist; daß die Bücher der Chronica ,nicht vor dem 4., wahrscheinlich erst im 3. Jhdt. geschrieben‘, keine Beweiskraft besitzen; und daß die Angabe des Plinius berechtigten Zweifeln unterliege. Alles das ist richtig und durchschlagend, und somit ist erwiesen, daß die ersten G. in Sizilien erbaut worden sind, und zwar als Torsions-G. Denn da die Hebel-G. des Mittelalters im Altertum niemals zur Anwendung gekommen sind, und die gewaltigen Stahlbogen späterer Zeiten aus technischen Gründen ausgeschlossen werden, so können es eben nur Torsions-G. gewesen sein, was Droysen 190 ohne Grund in Zweifel zieht. Die G. kamen bei der Belagerung von Motye 397 v. Chr. zur Verwendung, und sie hinderten die Schiffe des Himilko, der zum Entsatz herbeieilte, in den Hafen einzudringen, teils durch den tatsächlichen Erfolg, teils durch den moralischen Eindruck, der immer bei Einführung einer neuen Waffe den Ausschlag gibt; Diod. XIV 50, 4 ἀπὸ δὲ τῆς γῆς τοῖς ὀξυβελέσι καταπέλταις οἱ Συρακόσιοι χρώμενοι συχνοὺς τῶν πολεμίων ἀνῄρουν. καὶ γὰρ κατάπληξιν εἶχε μεγάλην τούτο τὸ βέλος διὰ τὸ πρώτως εὑρεθῆναι κατ' ἐκεῖνον τὸν καιρόν. Bei dem engen Zusammenhange zwischen Sizilien und dem Mutterlande der griechischen Kolonien ist die neue Erfindung natürlich bald auch nach Griechenland gedrungen; wir können aber nur feststellen, daß sie um 370 bekannt war (Plut. Lacon. apophth. 219); daß um 350 in der Chalkothek zu Athen G. aufbewahrt sind (CIA II 61 σώρακοι καταπαλτῶν δύο), und daß einige zehn Jahre später auch andere Städte in ihrem Zeughause G. hatten, die zur eigenen Verteidigung dienten, aber auch leihweise an bedrohte Nachbarstädte abgegeben wurden; Diod. XVI 74, 4 οἱ δὲ Περίνθιοι ... συμμαχίαν καὶ βέλη καὶ καταπέλτας παρὰ τῶν Βυζαντίων προσελάβοντο (340 v. Chr.).

In der folgenden Zeit waren sie allgemein verbreitet, in den Zeughäusern der Städte wie der Fürsten fanden sie sich in großer Anzahl. Die Belegstellen für die griechische Zeit findet man bei Droysen a. a. O. 189f., und für die römische [1306] Periode bei O. Schambach Gymn.-Progr., Altenburg 1883. Diese letztgenannte Schrift liefert auch den Nachweis, daß selbst die kleinsten Städte, z. B. Ategua in Spanien, mit G. versehen waren. Bei großen Städten gehörte ein Artilleriepark durchaus zu den notwendigen Erfordernissen, und darum schenkten die Könige von Syrakus den Rhodiern nach dem großen Erdbeben (ca. 223) unter anderen Gaben auch πεντήκοντα καταπέλτας τριπήχεις, Polyb. V 88, 7. Und umgekehrt mußten bei Kapitulationen die unterliegenden Städte auch jedesmal ihren gesamten G.-Vorrat herausgeben, der unter Umständen ganz erstaunliche Zahlen aufweist: im J. 149 lieferte Karthago außer anderen Waffenstücken καταπέλτας ὀξυβελεῖς τε καὶ λυθοβόλους ἐς δισχιλίους an die Römer ab (Appian. B. Pun. 80). Es ist also eine sehr bemerkenswerte Ausnahme, daß die Juden beim Beginn der großen Belagerung von Jerusalem keine G. in der Stadt hatten; sie wußten auch anfangs mit den bei Ausfällen erbeuteten G. nichts Rechtes anzufangen, bis sie allmählich von den Überläufern die Handhabung erlernten und schließlich selber zweierlei Arten erbauten: εἶχον δ' ὀξυβελεῖς μὲν τριακοσίους, τεσσαράκοντα δὲ τῶν λιθοβόλων (Joseph. B. Iud. V 9, 2).

Aus den Zeughäusern befreundeter Städte konnten die Belagerer ebenfalls ihren Bedarf entlehnen. Da das aber nicht überall möglich war, so mußten die Heere auch selber G. mit sich führen, die dann für den Transport zerlegt und für den Gebrauch wieder zusammengestellt wurden. Es darf uns nicht beirren, daß die Überlieferung der Historiker nichts darüber sagt: für die Heereszüge Alexanders d. Gr. steht diese Tatsache fest, und sie muß auch für die Folgezeit angenommen werden. Der Byzantinus (Gött. Abh. XI 1) sagt p. 238, 12 Διάδης μὲν οὖν καὶ Χαρίας οἱ Πολυείδου τοῦ Θετταλοῦ μαθηταί, οἱ συστρατευθέντες Ἀλεξάνδρῳ τῷ Μακεδόνι μηχανικοί und folgt damit einer guten Tradition, die mit den Angaben bei Athenaios mech. p. 10, 8 und Vitruv. II 14 und X 13 zusammenstimmt; vgl. Diels Laterculi Alexandrini, Berlin 1904 Kol. 8. 5 Πολύιδος und Philon l. V p. 83, 8 Πολύειδον ... τὸν μηχανοποιόν. Diese Ingenieure, die alle Belagerungsmaschinen zu besorgen hatten, waren natürlich auch mit dem G.-Bau betraut, und somit gilt es für alle Zeiten, was Vegetius II 11 berichtet: fabros ... qui arma vehicula ceteraque genera tormentorum vel nova facerent vel quassata repararent. In solchen Fällen müssen wir eben bei den Technikern uns Rats erholen, wo die Historiker uns im Stiche lassen.

Die Verwendung der Geschütze.

Zunächst ist die neue Erfindung gewiß der Verteidigung zugute gekommen, gerade so wie es bei den Pulver-G. ergangen ist. Denn die G. konnten ohne weiteres dazu verwendet werden, die Annäherungsarbeiten zu erschweren; dagegen bedarf es eines wohldurchdachten und energisch durchgeführten Planes, um durch den Artillerieangriff eine bestimmte Stelle so zu beschießen, daß die Brescharbeit dort ungestört ausgeführt werden kann. Gegenüber einem weitverbreiteten Irrtume bemerke ich hier mit allem Nachdrucke, daß die Artillerie der alten Welt nie und nimmer Bresche zu legen vermocht hat, sie konnte nur [1307] die freistehenden Zinnen auf der Mauer abkämmen und die Verteidiger forttreiben; sie hat dadurch die Brescharbeit wirksam vorbereitet, diese selbst aber fiel dem Widder zu oder den Mineuren, die mit der Hacke und Feuer, das die eingesetzten Holzstützen rasch verzehrte, die Mauer zu Falle brachten. Dadurch wird aber das Verdienst der antiken Artillerie keineswegs herabgesetzt, vielmehr lehrt die Geschichte der griechischen Belagerungen sehr deutlich, daß seit dem Einsetzen eines gut geleiteten Artillerieangriffes das Verhältnis zwischen Verteidigung und Angriff sich völlig umkehrt: vorher war der Verteidiger dem Angreifer überlegen und konnte nur durch Hunger, Durst, List oder Verrat zur Übergabe gebracht werden, nachher ist der Angreifer derartig im Vorteil, daß nur außergewöhnliche Umstände die belagerte Stadt retten können. Diesen Umschwung hat der König Philipp herbeigeführt; und wenn ihm selber vor Perinth und Byzanz kein Erfolg beschieden war, so sind eben andere Dinge daran schuld, aber nicht die Artillerie. Diese hat hier ihre Schuldigkeit getan, geradesogut wie bei den Belagerungen Alexanders d. Gr., die allen Schwierigkeiten zum Trotze immer zum Ziele führten. Und so ist es geblieben bis zur Belagerung von Rhodos 305–304, die eben dadurch so berühmt geworden ist, weil dort zum erstenmal wieder der Verteidiger dem Angreifer gewachsen ist; und wie die Mittel zum Angriff und zur Verteidigung seit dieser Zeit bis zum Untergang der alten Welt, so ist auch das Verhältnis zwischen dem Angreifer und dem Verteidiger immer dasselbe geblieben: die Aussicht auf den Erfolg ist auf beiden Seiten gleich.

Im offenen Gelände sind G. oft gebraucht worden, um einen bedrohten Punkt für den Feind unzugänglich zu machen und dadurch Überflügelung oder Überhöhung zu verhindern; ebenso, um den Feind aus seiner Position zu vertreiben, wenn er damit z. B. einen Flußübergang versperren wollte. Aber in allen uns bekannten Fällen aus der Kriegsgeschichte greift die Artillerie nur dann in den Kampf einer offenen Feldschlacht ein, ,wenn das Gefecht einen stabilen Charakter trägt‘ (vgl. Schambach 16). Es mag für die späteste Periode des Altertums richtig sein, was Vegetius II 25 über die carroballistae sagt: non solum ... castra defendunt, verum etiam in campo post aciem gravis armaturae ponuntur, aber die ältere Zeit kennt diesen Gebrauch nicht. Wir wissen nur aus Polyb. XI 12, 4, daß Machanidas bei Mantineia G. vor seine Schlachtreihe stellte (τοὺς δὲ καταπέλτας πρὸ πάσης ἐπέστησε τῆς δυνάμεως ἐν διαστήμασι), wie man sonst wohl Elefanten aufmarschieren ließ; vielleicht wollte er dadurch wirklich, wie Philopoimen angenommen hat, den eigenen Infanterieangriff vorbereiten, vielleicht nur den Vorstoß der Gegner verhindern: der unerwartete Verlauf dieser merkwürdigen Schlacht läßt diese Frage unbeantwortet.

Auf Kriegsschiffen sind G. für alle Perioden nachweisbar, weshalb es genügt, hier auf Schambach 12 zu verweisen.

Die Leistungen der Techniker.

Anfänglich hatten die Techniker ihre G. einfach dem Muster bewährter Konstruktionen getreulich nachgebaut, sie mußten aber zu ihrem Erstaunen oft [1308] genug erfahren, daß die Nachbildungen nur wenig leisteten, obwohl sie sich doch streng an die Vorlage gehalten hatten. Darum suchte man nach einem Grundmaße und fand dieses in dem Durchmesser des Bohrloches, durch das die Spannnerven durchgezogen werden; nach praktischen Versuchen machte man diesen Durchmesser größer oder kleiner und konstruierte danach das ganze G. Damit gaben sich natürlich die denkenden Ingenieure der hellenistischen Zeit nicht zufrieden, sondern rechneten auf genaueste Weise aus, welche Kraft erforderlich sei, um einen bestimmten Stein oder einen bestimmten Pfeil auf große Entfernung mit der gehörigen Durchschlagskraft abzuschießen; und ebenso stellten sie durch Rechnung fest, wie man dieselbe Wirkung auf ein größeres oder kleineres G. übertragen könne, das für ein größeres oder kleineres Projektil bestimmt war. Der Durchmesser des Bohrloches wurde nach dem Geschosse berechnet. Beim Pfeil-G. erhielt der Durchmesser ein Neuntel der Pfeillänge; und beim Steinwerfer wog man das Gewicht des Steines nach Drachmen aus, multiplizierte die gefundene Zahl mit 100, zog aus dem Produkte die Kubikwurzel, und addierte dazu ein Zehntel des gefundenen Wertes: die Summe, in Daktylen ausgedrückt, ergab die Länge des Durchmessers. Der so gefundene Durchmesser bildete dann das Grundmaß, nach dem alle anderen G.-Teile einzeln abgemessen wurden; die Tabellen dieser Verhältniszahlen sind bei Philon, Heron und Vitruvius mitgeteilt. Bei Philon 51, 36–44 sind die Durchmesser für Steine von 10, 15, 20, 30, 50, 60, 150 und 180 Minen angegeben; die Pfeillängen steigen von 3 Spithamen bis auf 3 Ellen. Der Pfeil des Mehrladers (s. u.) ist ungewöhnlich klein, 25 Daktylen = 442 mm (Philon 73, 42); und der von 4 Ellen = 1,774 m ungewöhnlich groß (Athen. mech. 7, 8). Es gab aber auch Monstre-G., wie die Riesenballisten der Massilienser, die 12 Fuß lange Balken mit ungeheurer Durchschlagskraft entsandten (Caes. bell. civ. II 2, 1). Diesen Bestrebungen der Mathematiker kam die Munifizenz der Ptolemaeer zu Hilfe, und so erreichte die Kunst, G. zu bauen, in Alexandreia ihren Höhepunkt, der sich in den Schriften des Philon und Heron widerspiegelt. Soviel wir wissen, haben die Späteren, auch die Römer, nichts mehr hinzugetan; es blieb ihnen auch tatsächlich kaum noch etwas übrig; weil die alexandrinischen Meister bereits die Möglichkeiten erschöpft, ja sogar nachweislich darüber hinaus zu Künsteleien sich verstiegen hatten. Mit der Völkerwanderung verschwinden die Torsions-G. im Westen gänzlich; der Osten benützte sie noch bis 600 n. Chr. etwa, dann nicht mehr; sicherlich sind sie zur Zeit der Kreuzzüge auch dort verschollen.

Namen und Arten der Geschütze.

Als Sammelnamen für G. jeglicher Art haben die Lateiner das Wort tormenta; im Griechischen wechselt der Ausdruck und ist niemals so treffend; entweder ist er ganz allgemein gehalten: ὄργανα, μηχαναί, μηχανήματα, oder einseitig βέλη, καταπάλται (nach den Inschriften, wofür die Handschriften meist καταπέλται bieten), ἀφετηρία, ἑκηβόλα. Sehr auffallend ist es, daß die Römer, die doch ihr gesamtes Artilleriewesen von den Griechen bezogen haben, in den Bezeichnungen [1309] ganz und gar abweichen. Catapulta und scorpio sind griechische Wörter, haben aber ihre Bedeutung eingeschränkt oder verändert; und ballista, das natürlich mit βάλλειν zusammenhängt, ist im Griechischen nicht nachweisbar, im Lateinischen aber bildet die griechische Wurzel eine ganze Reihe von Schößlingen: ballistarius, arcuballista, carroballista, manuballista usw. Da hierfür eine Erklärung noch nicht gefunden ist, und außerdem bei den römischen Schriftstellern jene Ausdrücke bald für dieses, bald für jenes G. angewendet sind, sodaß selbst der Scharfsinn des gelehrten A. Marini (Illustrationes prodromae in scriptores Gr. et Lat. de belopoeia, Diss. dell’ Acad. Romana di archeol. I 387–414, Roma 1821) die Verwirrung nicht hat lösen können, so empfiehlt es sich, auf die landläufigen Bezeichnungen ,Katapult‘, ,Balliste‘, ,Skorpion‘ ganz zu verzichten und eine einfachere Unterscheidung der Einzel-G. vorzunehmen, die in die Augen springt. Die Torsions-G. haben entweder nur einen Arm und ein Nervenbündel, oder sie haben zwei Arme und zwei Nervenbündel, somit erhalten wir zwei Gattungen; 1. den Einarm, 2. die zweiarmigen G.

Der Einarm (μονάγκων, onager) ist von Ammianus XXIII 4, 5 eingehend beschrieben; und nach diesen Angaben hat Schramm seine Riesenschleuder erbaut, die mit einem Anfangsdruck von 60 000 kg eine Steinkugel von 4 Pfund auf 350 m schießt. Man darf wohl annehmen, daß die Alten damit noch größere Leistungen erreicht haben, aber sich nicht zu dem Glauben verleiten lassen, diese G. hätten Bresche machen können; sie konnten wohl Zinnen abkämmen, oder sonstige freistehende Mauerteile zertrümmern, einen Turm aber – von Mauern gar nicht zu reden – bloß dann zerstören (Bell. Hisp. 13), wenn er mangelhaft aufgebaut war. Das Grundgestell bilden zwei starke wagrechte Balken aus Eichenholz, die durch Querhölzer ganz fest miteinander verbunden sind, wie die Kufen an einem Dreschschlitten (hique in modum serratoriae machinae conectuntur). Die Balken schwellen in der Mitte buckelartig an, und an diesen Stellen werden die Löcher durchgebohrt, um den horizontalen Spannerven aufzunehmen, der über die außen vorgelegten Spannbolzen möglichst straff hin- und her eingezogen wird. Mitten aus dem Spannervenbündel erhebt sich ein hölzerner Arm, der für gewöhnlich schräg emporsteht, aber sich heben und senken läßt; daran ist oben die Schleuder angebracht (summitatique eius unci ferrei copulantur, e quibus pendet stuppea vel ferrea funda). Zieht man nun den Schleuderarm mittelst einer Winde zurück und sichert diese erzwungene Stellung durch einen vorgeschobenen Riegel (claustrum), so wird dadurch das bereits gespannte Nervenbündel überspannt; der Stein wird eingelegt, und das G. ist schußfertig. Wird jetzt der Riegel durch einen kräftigen Schlag zurückgestoßen (,abgedrückt‘, so reißt das freigelassene Nervenbündel den durchgesteckten Arm nach oben, dieser schlägt an ein Widerlager, das durch ein starkes Kissen gegen den gewaltigen Anprall geschützt ist: und der Stein saust aus der Schleuder in hohem Bogen auf sein Ziel: saxum ... quidquid incurrerit inlisurum. Dieser Schußkraft entspricht die Gewalt des Gegenstoßes, und darum mußte man das G. auf eine Unterlage stellen, [1310] die dem Drucke nachgibt, also auf eine Bettung aus Rasenstücken oder Luftziegeln; eine Bettung aus Bruchstein, die nicht nachgibt, wäre beim ersten Schuß bereits völlig auseinandergesprengt worden, concussione violenta, non pondere. Die groben Mißverständnisse dieser klaren Beschreibung bei Köchly und Rüstow Kriegsschr. I 414ff., die von einem sachkundigen Offizier des 4. Jhdts. stammt, sind in drei Aufsätzen der Berl. Phil. Wochenschr. (1904 nr. 28. 1905 nr. 6 und nr. 20) eingehend besprochen worden. In gleichem sind Köchly und Rüstow (Kriegsschr. I 190) die Urheber eines Irrtums geworden, der die Entwicklung des antiken Artilleriewesens in ganz falschem Lichte zeigt. Weil nämlich die Beschreibung des Einarmes aus dem 4. Jhdt. n. Chr. stammt, setzen sie auch den Gebrauch desselben erst für diese Spätzeit an, und sie haben aus diesem Grunde eine zweite Artillerieperiode angenommen, die eingestandenermaßen ganz in der Luft schwebt. Es widerspricht aber außerdem den Gesetzen, nach denen die Technik sich entwickelt, daß die komplizierte Konstruktion der zweiarmigen G. vorangegangen, dann erst nach 600 Jahren der höchst einfache und primitive Einarm gefolgt sei. Der natürliche Hergang führt doch unbedingt zuerst auf den Einarm. Denn wenn man in ein wagrecht gespanntes Nervenbündel einen Holzarm einsetzt, so braucht man ja nur noch oben die Schleuder anzubringen, dann hat man schon ein G. mit Bogenwurf. Dieses G. konnte mit der Zeit stärker und stärker gebaut werden, bis es schließlich ungeheuere Steine zu schleudern vermochte; aber trotzdem blieb es in seinem Wesen und seiner Wirkung immer ebenso plump und unvollkommen wie die mittelalterlichen Hebel-G. mit Gegengewicht und die Riesenmörser der Türken (die hier aufgestellten Thesen habe ich ausführlich begründet Neue Jahrb. f. d. klass. Altert. XXIII 1909, 133ff.). Die zweiarmigen G. schossen entweder mit Pfeilen (ὄργανα ὀξυβελῆ) oder mit Steinen (λιθοβόλα); bei der letzteren Art konnte statt des Steines auch ein Pfeil aufgelegt werden, der aber dann an Länge und Schwere mehr einem Balken glich. Dieser selbe Unterschied zwischen leichtem und schwerem G. liegt auch der Einteilung zugrunde, die wir bei den Technikern finden; denn die εὐθύτονα sind Pfeil-G. (Heron Bel. 74, 7 ὀϊστοὺς μόνους ἀφίησι), und die παλίντονα sind Steinwerfer (ebd. 74, 8 τὰ δὲ παλίντονα ἔνιοι καὶ λιθοβόλα καλοῦσι). Die Euthytona sind auch leichter gebaut (ebd. 104, 5 τὰ δύο ἡμιτόνια εἰς ἓν πλινθίον σύγκειται) als die Palintona, und die Kraft zum Spannen ist weniger stark, sodaß der Spannkasten hinten keiner Stützen bedurfte (ebd. 104, 7 οὔτε τὰς ἀντηρείδας λαμβάνει). Das ist aber leider auch alles, was wir den literarischen Quellen über die Konstruktion des Euthytonon entnehmen können; die Techniker setzen eben die Begriffe εὐθύτονον und παλίντονον als bekannt voraus, und sie behandeln das Euthytonon nur anhangsweise. Wir aber sind von einer klaren Auffassung so weit entfernt, daß wir sogar mit Hilfe des Reliefs von Pergamon und einer hsl. Zeichnung (vgl. Geschütze auf hsl. Bildern Taf. IV Euthytonon) bisher noch keinen Schritt vorgerückt sind. Darum muß sich die folgende Beschreibung auf das Palintonon beschränken, die aber nur dann verständlich ist, [1311] wenn wir zuvor eine unscheinbare Neuerung am Handbogen uns ganz klar gemacht haben. Diesen verbesserten Bogen nannten die Griechen γαστραφέτης, und Heron hat ihn so musterhaft beschrieben, daß wir am besten tun, diese Stelle (Bel. p. 75, 12ff.) hier in deutscher Übersetzung einzurücken, samt der im Cod. M erhaltenen Zeichnung.

,Der genannte Bogen heiße ΑΒΓΔ und die biegsamen Bogenenden daran ΑΒ und ΓΔ, die so stark sind, daß sie von Menschenhand nicht gespannt werden können; die Sehne des Bogens heiße ΑΔ.

Am Bogen sei in der eingebogenen Mitte eine Latte ΕΖΗΘ befestigt, die auf der Oberseite eine Schwalbenschwanznute hat ΚΛ; in diese Nute soll eine gleichlange Schwalbenschwanzfeder eingepaßt werden, die auf der Oberseite eine zweite Latte trägt, welche nach Länge und Breite die Latte ΕΖΗΘ ganz ausfüllt; und diese zweite Latte soll auf ihrer Oberseite in der Mitte eine gerundete Höhlung haben, ebensolang wie die Schwalbenschwanznute ΚΛ; in diese Höhlung wird das Geschoß eingelegt.

ΑΓΚΩΝ, ΗΤΟΞΙΤΙΣ, ΗΔΙΑΧΕΙΡΟΣΠΕΡΩΝΕ, ΚΤΩΝΣΤΙ ΜΑΤΙΩΝ, ΣΧΑΣΤΗΡΙΑ, ΚΟΡΑΞΗΤΟΙΚΚΛΕΙΣ, ΣΥΡΙΞ
ΧΕΙΡΗΤΟΙ, ΔΑΚΤΥΛΟΣ, ΚΑΤ ΟΧΕΤΣ, ΣΤΗΜΑΤΙΩΝ.

An dem andern Teile der zweiten Latte, die nach ΖΘ zu liegt, sollen auf der Oberseite der oberen Latte zwei Eisenstäbchen senkrecht eingelassen und an der Unterseite befestigt werden, in geringem Abstande voneinander; und zwischen ihnen soll ein eiserner Finger liegen, der sich über dem Punkte Λ der Latte nach unten biegt; der soll an der umgebogenen Spitze gespalten sein, so daß er, wie die sog. Kneipzangen, zwei Klauen hat; dieser Spalt soll so breit sein, daß er die Dicke des Geschosses fassen kann. Und durch diese Eisenstäbchen und den genannten Finger soll ein runder Bolzen gesteckt werden. Der genannte Finger sei ΝΞΟ, der Spalt Ν, der durchgesteckte Bolzen ⟨Μ; und⟩ unter das Stück ΞΟ des Fingers sei ein kleiner Eisenriegel ΠΡ untergeschoben, der sich im Punkte Π um einen senkrechten Stift dreht, welcher an der Oberseite der aufliegenden Latte befestigt ist. Wenn man diesen Riegel ΠΡ unter den Finger schiebt, so keilt er diesen fest, daß er nicht aufschnappen kann; fassen wir ihn aber beim Ende Ρ und ziehen den Riegel ΠΡ in der Richtung von Ξ auf Ο, so schnappt, der Finger an dem Teile ΞΝ auf. Der Latte ΕΖΗΘ sei hinten eine andere Latte angefügt ΤΥΦΧΨ, die in dem Stücke ΤΥΦ konvex ist, [1312] in dem Stücke ΧΦ aber konkav. Die Latte ΕΖΗΘ nannten sie die ,Pfeife‘, die ihr aufliegende Latte ,den Läufer‘, die das Geschoß aufnehmende Höhlung ,die Pfeilrinne‘, das zwischen Ξ und Ο liegende Stück der aufliegenden Latte ,den Buckel‘ (denn er war ja höher als die aufliegende Latte), den Finger ΝΞΟ ,die Hand‘, die genannten Eisenstäbchen ,die Halter‘, den kleinen Riegel ΠΡ ,den Schließer‘, die Latte ΤΥΦΧΨ ,das Spannholz‘ und die Bogenenden AB und ΓΔ ,die Arme‘. – Wenn man nun mit dieser Konstruktion fertig war und den Bogen spannen wollte, so schob man den Läufer in der Richtung auf Κ so weit vor, bis die Hand aufnickte und über die Bogensehne hinübergriff, die oberhalb des Läufers liegt. Darauf drückten sie die Hand nieder und schoben ⟨hinten⟩ den Schließer unter, so daß sie nicht mehr aufschnappen konnte. Und nun stemmten sie das nach außen gestoßene Vorderende des Läufers an eine Wand oder auf den Boden, faßten mit den Händen die Enden des Spannholzes ΤΥΦΧΨ, drückten den Bauch gegen die Einbiegung ΧΨ, stießen mit der ganzen Körperkraft den Läufer zurück und spannten so die Bogensehne an, wodurch natürlich die Arme des Bogens AB, ΓΔ gebogen wurden. Wenn nun die Spannung zu genügen schien, legten sie das Geschoß in die Pfeilrinne, zogen den Schließer zurück, machten dadurch die ,Hand‘ frei und erwirkten somit einen kräftigen Schuß. Der zurückgezogene Läufer darf aber von der Sehne nicht gleich wieder mit nach vorn gerissen werden, sondern muß stehen bleiben, bis das aufgelegte Geschoß auf das gegebene Ziel abgesendet ist. Das machte man folgendermaßen: Man stelle sich die Pleife in der Seitenansicht vor, d. h. das Stück von Ω bis ς; auf diesem Stücke sei eine Zahnstange festgenagelt G⫙, am Läufer aber sei bei, ,Α ,Β ein Riegel ,Γ ,Δ angebracht, der [1313] sich um einen Bolzen dreht. Wurde nun der Läufer zurückgedrückt, so lief zugleich der Riegel, den sie auch ,den Vorstecker‘ nannten, quer über die Zähne hin; war aber der Läufer zurückgezogen, so stemmte man den Vorstecker gegen einen der Zähne, sodaß der Läufer nun nicht mehr von der Bogensehne nach vorn gezogen werden konnte. Und dasselbe geschah auch auf der andern Seite der Pfeife. Die ganze Schußwaffe nannten sie ,das Bauchgewehr‘ (γαστραφέτης), weil man ja durch den Bauch die Spannung der Bogensehne bewirkte.‘

Diese verstärkte Armbrust, die dem mittelalterlichen Schießgerät Arbalète à tour entspricht, hat an und für sich keine sonderliche Bedeutung; aber sie ist für den G.-Bau wichtig geworden, weil der bewegliche Läufer vom Gastraphetes auf die zweiarmigen Torsions-G. übertragen wurde, und weil man seit der Einführung des auf- und niederklappenden ,Fingers‘ mechanische Mittel zum Spannen benützen konnte (Winden oder Flaschenzüge), die jede beliebige Steigerung zuließen, um den Widerstand des zu spannenden Körpers zu überwinden. Und darauf kommt alles an: die Schnellkraft entspricht stets der Zugkraft; d. h. für den Anfangsdruck von 60 000 kg braucht man sechsmal soviel Kraft zum Spannen als für einen Anfangsdruck von 10 000 kg. So wird denn auch die Leistungsfähigkeit des Handbogens durch die Kraft der Menschenhand begrenzt, die des Gastraphetes durch die Kraft des gesamten Körpers; die Zugkraft war zu schwach, die Schnellkraft der Bogenarme hätte sich schon noch steigern lassen. Doch hat auch die Elastizität der Bogenarme ihre Grenzen, und sie waren ziemlich eng zu jener Zeit, wo man den Stahlbogen noch nicht kannte; ganz andere Erfolge durfte man sich versprechen, wenn es gelang, die Riesenkraft des Einarms mit der Treffsicherheit des Bogens zu verbinden. Auf diese Weise, durch die Kombination des Gastraphetes und des Einarms, sind die zweiarmigen G. entstanden: vom Gastraphetes [1314] stammt der verschiebbare Läufer und der ganze Mechanismus zum Spannen und Abdrücken; vom Einarm aber ist die Schnellkraft entlehnt, die beiden Spannerven, hier senkrecht gestellt, mit den Holzarmen. Das Wesen dieser G. liegt in den Spannerven, es sind Torsions-G. und also von den Armbrüsten streng zu scheiden: bei diesen sind die elastischen Arme verbunden und sind die Erzeuger der Schnellkraft, aber bei den G. sind sie getrennt und starr, und sie übertragen nur die Kraft der Nervenbündel auf die Sehne; diese allerdings ist beiden gemeinsam, aber ihre Funktion ist in beiden Fällen nur, die anderweitig erzeugte Schnellkraft auf das Geschoß zu übertragen. Bei der Armbrust ist die Übertragung doppelt: vom Bogenarme auf die Sehne, von der Sehne auf das Geschoß; beim zweiarmigen G. dreifach: von den Spannerven auf die Arme, dann auf die Sehne, zuletzt auf das Geschoß. Beim Spannen wirkt in umgekehrter Richtung die Sehne direkt auf die elastischen Bogenarme bei der Armbrust, aber beim G. nur indirekt auf die elastischen Spannerven durch die als Hebel dienenden Arme.

ΔΙΩΣΤΡΑ, ΣΥΡΙΧ, ΣΤΥΛΟΣ, ΑΝΑΠΑΥΣΤΗΡΙΑ, ΑΝΤΕΙΡΕΙΣ

Die folgende Beschreibung entspricht genau den Worten des Heron (Belop. p. 81ff.), und an den besonders bezeichneten Stellen sind diese wörtlich ins Deutsche übersetzt: ,Das Fußgestell (βάσις) macht man auf folgende Weise: Eine niedrige Säule (στυλίσκος) AB, so dick, daß sie das auf liegende G. tragen kann und 11/2 Ellen (= 664,4 mm) hoch, wird auf einer dreischenkeligen Unterlage ΓΔ befestigt; sie hat oben einen runden Zapfen (τόρμος στρογγύλος) EZ, um den der sog. Korb (τὸ λεγόμενον καρχήσιον) ΗΘΚΛ angebracht ist. Dieser Korb ist aus vier Brettern (τοῖχος) zusammengefügt, und von diesen haben die beiden wagrechten ΗΘ und ΜΝ runde Löcher, um den Zapfen ΕΖ aufzunehmen, die senkrechten aber ΗΚ und ΛΘ (auf der überlieferten Figur fehlt der Buchstabe Λ) ragen oben über das Brett oder die Latte ΜΝ hinaus und haben voneinander so viel Abstand, daß sie die Breite der Pfeife (σῦριγξ) zwischen sich aufnehmen können. Ferner sei an der Säule (κίων) in der Mitte ein zweites Holz ΞΟ angesetzt, das sich mit seinem einen Ende Ξ in einem Scharnier (ἐν στροφώματι) bewegt; das Scharnier kann man von der Säule abnehmen; das andere Ende O bekommt einen Untersatz (χελωνάριον ΠΡ) angefügt, der sich auf den Boden aufstützt; man nennt dieses Holz ΞΟ die Strebe (ἀντηρείδιον). Daran soll in der Mitte ein zweites aufwärts gerichtetes Holz ΣΤ angebracht sein, das sich um den Punkt Σ bewegen läßt, also gesenkt und aufgerichtet werden kann: dieses [1315] heißt die Stütze (ἀναπαυστηρία). Hat man nun die Pfeife zwischen die Bretter des Korbes eingesetzt, so schiebt man einen runden Eisenbolzen (περόνη σιδηρᾶ στρογγύλη) Υ Φ seitlich durch die Bretter des Korbes und die Pfeife so durch, daß er sich leicht drehen läßt. Soll nun die Sehne angezogen werden, so legt man die Pfeife auf die Stütze auf, nachdem man diese zuvor aufgerichtet und gegen die Unterseite der Pfeife, wo ein Widerlager angebracht ist (ὄντος τινὸς κωλύματος) angestemmt hat. Darauf zieht man den Läufer (διώστρα) zurück und hebt die Pfeife von der Stütze, und nachdem man sie mittels des Korbes gedreht, durch den Querbolzen ΥΦ tiefer oder höher gestellt und so das Ziel genommen hat, legt man das Geschoß auf und drückt ab (ἀποσχάζουσι τὴν σχαστηρίαν)‘.

Die Pfeife mit dem Läufer, deren Konstruktion beim Gastraphetes bereits beschrieben ist, ruht nicht unmittelbar auf der Basis, sondern auf einem leiterartigen Gestelle (κλιμακίς), und dieses wiederum auf den Querbrettern zwischen den beiden Halbrahmen, aus denen der G.-Kasten zusammengesetzt wird. Alles was zur Unterlage der Pfeife dient, die zwischen den beiden Halbrahmen durchläuft, hieß der Tisch (τράπεζα). Nach der Breite dieses Tisches richtete sich der Abstand zwischen den Halbrahmen, die zusammengefügt den G.-Kasten (πλινθίον) bilden. Jeder Halbrahmen (ἡμιτόνιον) besteht aus vier starken Brettern, zwei davon stehen senkrecht und heißen die Ständer, zwei liegen wagrecht und sind durchbohrt, um den Spannerven aufzunehmen. Von den senkrechten Brettern heißt das äußere der Seitenständer (παραστάτης); an diesen schlägt beim Abschießen das Kopfende des Armes (ἀγκών) an; der innere aber Gegenständer (ἀντιστάτης), an dem der Fuß (πτέρνα) des Armes anliegt. Der Seitenständer hat hinten einen halbkreisförmigen Ausschnitt, damit die Arme noch weiter auseinanderschnellen und um so kräftiger anschlagen; diese Schwächung des Brettes wird von außen ausgeglichen durch eine genau entsprechende Ausbiegung. Der Gegenständer ist dem Seitenständer in Höhe, Breite und Dicke gleich, erhält aber weder Höhlung noch Ausbiegung, sondern nur innen einen Ansatz, das Fußlager (ὑποπτερνίς), denn darauf stützt sich der Arm, wenn er ruht. Beide Ständer werden durch Zapfen mit den wagrechten Brettern verbunden und durch aufgenagelte Eisenbänder (λεπίδες) an den gefährdeten Stellen gesichert. Auch die wagrechten Bretter (τὰ περίτρητα) müssen durch eine runde Ausbiegung nach außen und durch Eisenbeschlag gestärkt werden, weil sie durch die Zapfenlöcher geschwächt sind, und mehr noch durch die Bohrlöcher für die Spannerven. Auf diesen Bohrlöchern sitzen die Buchsen auf, zwei oben und zwei unten. ,Die Buchse wird folgendermaßen hergestellt: Man muß ein Modell machen nach der neben gezeichneten Figur ΑΒΓΔΕΖ (Z fehlt auf der überlieferten Figur), woran die Seitenlinien ΑΕ und ΒΖ rund sind, aber ΕΓ und ΖΔ gerade, und die Linie ΑΒ gleich ist dem Durchmesser des Bohrloches; und nach dem Modell muß man die Buchse ausbohren. Wenn sie aus Erz angefertigt werden soll, so legt man ringsherum einen Mantel, aus gehämmertem Erze gegossen, dessen Dicke [1316] man nach der Kraft des G. bestimmt. Wenn sie aber, wie bei den größeren G., aus Holz bestehen soll, so muß man die Fasern des Holzes nach der Höhe der Buchsen laufen lassen und, am obern Rande ΑΒ wie am untern, Bänder auf legen und sie wiederum mit Nägeln befestigen; und am untern Rande muß man ringsum Zapfen stehen lassen, wie Η und Θ auf der Figur, sodaß man sie in Löcher einlassen kann, die auf dem Peritreton den Zapfen gegenüber angebracht sind. Es wird auch um das Ganze ein vorspringender Rand gemacht; und der greift in eine Rinne ein, die kreisförmig auf dem Peritreton eingeschnitten ist, damit die Buchse sich nicht verschieben kann.‘ Weil aber dadurch das Peritreton noch mehr geschwächt wird, ist es besser, zwischen Buchse und Peritreton ein Zwischenglied (ὑπόθεμα) einzuschalten. ,Am oberen Rande (der Buchse) werden bei den Punkten Α und Β der Linie ΑΒ zwei Ausschnitte in der Richtung des Durchmessers

gemacht, auf denen der sog. Spannbolzen (ἡ καλουμένη ἐπιζυγίς) ruht, der seitlich eingeschoben wird. Er ist aus Eisen, und zwar aus schlackenfreiem Eisen, hergestellt und in der Schmiede aufs beste ausgehämmert; denn er hat die ganze Kraft des G. auszuhalten, weil um ihn sich der Spannerv windet.‘ Das Einziehen der Spannerven ist eine schwierige Arbeit, wie sich bei Schramms Rekonstruktionen ergeben hat, zumal beim zweiarmigen G., wo die beiden Nervenbündel einen völlig gleichen Druck ausüben müssen. Man benützte dazu eine Spannleiter (ἐντόνιον), die oben und unten eine Welle (ὀνίσκος) hatte mit Löchern, um Handspeichen (σκυτάλη) einzusetzen und die Wellen zu drehen. ,Nun legen wir den Halbrahmen ... mitten auf die Querriegel der Spannleiter, keilen ihn gehörig an den Leiterschenkeln fest ... und knüpfen dann das eine Ende des Spannerven an den einen Spannbolzen an: darauf stecken wir das andere Ende durch das Bohrloch auf der entgegengesetzten Seite, führen es bis zu der dahinterliegenden Welle, und dann ziehen wir den Spannerven so lange an, bis sich seine ursprüngliche Dicke um ein Dritteil vermindert. Nun halten wir mit einer Klammer den Spannnerven [1317] an der Buchse fest und wickeln den übrigen Teil von der Welle ab; darauf ziehen wir sein Ende durch die Bohrlöcher durch und führen es bis zur anderen Welle. Und in dieser Weise fahren wir fort, indem wir immer das Aufgewickelte mit der Klammer feststecken.‘ Waren die Bohrlöcher gefüllt, so wickelte man das Ende des Spannerven um das Nervenbündel, und steckte die Arme ein, deren äußere Enden durch die Sehne so verbunden wurden, ,daß die Arme etwas von den Seitenständern abstanden, damit sie nicht zusammenschlagend Schaden erlitten und verursachten.‘ Diese Sehne (τοξίτις) ist beim Pfeil-G. rund, weil sie in den Kerb des Pfeiles eingreift; aber beim Steinwerfer ist sie gürtelartig; dieser Gürtel hat in der Mitte einen Ring, in den der ,Finger‘ eingreift, der hier mit Recht diesen Namen trägt, weil er nicht gespalten ist, wie beim Pfeil-G. ,Außerdem liegt beim Pfeil-G. die Sehne dicht am Läufer, mit einem kurzen Abstand davon; beim Steinwerfer aber steht sie weiter vom Läufer ab, damit sie, wenn sie losgelassen wird, den Stein gerade in seiner Mitte trifft; denn so wird er mit größerer Kraft abgeschossen; wenn sie aber nur ein wenig zu hoch oder zu tief liegt, so schlüpft sie unter dem Steine durch, oder sie schwirrt über ihn weg.‘

Bei den besonders großen G., die nicht mehr mit einer Welle und einem einfachen Tau gespannt werden konnten, sondern dazu einen Flaschenzug (πολύσπαστον) erforderten, mußte man dem Halbrahmen noch einen besonderen Halt schaffen durch Streben (ἀντήριδες), ,die sich mit einem Ende auf das Leitergestell stützen, mit dem andern an die oberen Peritreten anstemmen, damit die Halbrahmen beim Spannen nicht nachgeben, wenn die Sehne sie nach hinten ziehen will.‘

Der Wert der Geschütze.

Die Schußweite der antiken G. darf man auf 300–400 m ansetzen. Das ist das Resultat, das Rüstow und Köchly Gesch. d. griech. Kriegswesens 390 herausgerechnet haben; es deckt sich ziemlich genau mit den Berechnungen bei Schambach 17 nach Caesar bell. civ. III 56 und I 82, und ebenso mit den Schießproben der Rekonstruktionen des Obersten Schramm. Vielleicht gelingt es dem genaueren Studium der Befestigungsanlagen, aus den Entfernungen der Annäherungs-Hindernisse die Tragweite der Belagerungs.-G. genauer zu bestimmen, ebenso die wichtigen, aber einstweilen noch unaufgeklärten Angaben im sog. V. Buche des Philon aufzuhellen; aber diese Untersuchungen erfordern überhaupt die größte Vorsicht, und bei den Historikern besonders, da diese teils aus Unkenntnis (Livius), teils aus Ruhmredigkeit (Josephus) Falsches berichten.

Die Treffsicherheit bezeugt am besten der kriegskundige Verfasser des B. Africanum 29, 4 cum forte ante portam turma densa adstitisset, scorpione accuratius misso atque eorum decurione percusso et ad equum defixo reliqui perterriti fuga se in castra recipiunt', und der ἀνὴρ ἀγαθός bei Arrian. anab. IV 4, 4, den ein G.-Pfeil durch Schild und Panzer hindurch völlig durchbohrt, war wohl auch der Anführer jener Truppe, die nun sofort aus der Schußlinie rückt. Vgl. auch Polyb. VIII 7: ἔτι μὲν γὰρ ὄντες ἐν ἀποστήματι τοῖς τε πετροβόλοις καὶ καταπέλταις τυπτόμενοι [1318] διεφθείροντο διὰ τὸ θαυμάσιον εἶναι τὴν τῶν βελῶν κατασκευήν.

Es mutet uns sonderbar an, ist aber doch als ganz gesichert zu betrachten, daß es in den antiken Heeren weder einen Kommandeur der Artillerie noch eigentliche Artilleristen gegeben hat, d. h. Mannschaften, die lediglich für G.-Bedienung ausgebildet waren. Dem praefectus castrorum (Veget. II 10) lag es nur ob, jederzeit für den ordnungsmäßigen Bestand der G. zu sorgen und die Militär-Handwerker bei Reparaturen und Neubau der G. zu überwachen; aber mit der Verwendung im Kampf hatte er nichts zu tun: diese unterstand offenbar dem Höchstkommandierenden. Und wenn Veget. II 25 singula contubernia für die Bedienung jeder Karroballiste bestimmt, so folgt daraus nicht, daß stets dasselbe contubernium dieses Kommando hatte, vielmehr wird dieser Schluß direkt widerlegt durch Veget. III 3, castella ab his militibus, qui minus prompti inveniuntur in acie ... onagris ballistisque defendantur und Tac. ann. II 81 alios tormentis saxa et faces ingerere; XIII 39 multos tormentis faces et hastas incutere iubet. Wir müssen demnach annehmen, daß alle Legionssoldaten ein G. zu bedienen imstande waren. ,Erinnern wir uns nur daran, daß bis auf Friedrich d. Gr. die Artillerie nur zum geringsten Teile von Artilleristen, zum größeren von Infanteristen bedient wurde, und daß eine Bespannung nur für wenige G. vorhanden war, meistens jedoch von der Kavallerie gestellt werden mußte‘ (Schambach 19).

Wer die zweiarmigen G. genau betrachtet, wird die technische Konstruktion als musterhaft anerkennen; und die Leistungen stehen nur dadurch hinter denen der heutigen Artillerie zurück, daß den Alten die Triebkraft des Pulvers und die Sprenggeschosse unbekannt geblieben sind. Sie mußten sich naturgemäß darauf beschränken, die vorhandenen Mittel voll auszunützen, und in dieser Beziehung haben sie das höchste Ziel erreicht.

Aber eben in diesem Kunstreichen und Ausgeklügelten stecken auch die Mängel der Torsions-G.: die Peritreten waren durch die verschiedenen Durchbohrungen sehr geschwächt, die Spannerven wurden beim Einspannen zu gewaltsam gezerrt und verloren dadurch ihre ursprüngliche Kraft, und die Nervenbündel ließen durch den Gebrauch, aber auch sowieso mit der Zeit, an Spannung nach. Man konnte allerdings diesem Nachlassen der Spannung dadurch abhelfen, daß man die Buchsen durch eine Eisenstange mit einer Öse, die auf die Buchsen paßte (Byz. 254, 1 μοχλὸν ... σιδηροῦν ῥιζοκρίκιν ἔχοντα), fest andrehte; aber es half doch nur bei geringen Schwächungen: wenn die Nervenbündel stark nachgelassen hatten, so mußte man sie eben ganz herausnehmen und neu einziehen. Diese Erwägungen, die Philon IV p. 57ff. genau erörtert, gaben den Anlaß zu Änderungen der Konstruktion, ja auch zu ganz neuen Erfindungen. Manches davon hat sich in der Praxis offenbar nicht bewährt, aber in der Artillerie aller Zeiten kommen solche Fehlversuche vor, und immer sind sie für die Geschichte der Technik interessant, oft auch wirkliche Vorläufer einer epochemachenden Erfindung späterer Zeiten.

Verbesserungs-Versuche einzelner Techniker.

Philon behielt bei seiner ersten [1319] Neuerung den Spannerven bei, legte ihn aber so an, daß er nicht durch Zerren geschwächt wurde; und gleichzeitig schonte er auch die Peritreten dadurch, daß sie beim Keilspanner (p. 56, 19 τὸ διά τοῦ σφηνὸς ἐντεινόμενον ὀξυβελὲς ὄργανον) keine Bohrlöcher erhielten. Der Spannerv wurde nämlich ohne Anwendung der Spannleiter aus freier Hand von außen um die Peritreten gewickelt und lief über zwei aufeinander gelegte Bolzen. Der untere Spannbolzen (καταζυγίς) war aus Eisen und ruhte auf dem Peritreton, der obere (ἐπιζυγίς) war von Holz und hatte in der Mitte ein Loch, um das Ende des Spannerven durchzustecken und festzuknoten. War nun der Spannerv ohne jede Zerrung ganz umgewickelt, so setzte man zwischen die beiden Spannbolzen von rechts und von links Keile ein, die mit immer stärker werdenden Hammerschlägen allmählich so weit eingetrieben wurden, bis die genügende Spannung erreicht war.

Bei seiner zweiten Erfindung hat Philon überhaupt auf die Torsion des Spannerven verzichtet und als Triebkraft dafür die Biegungselastizität des Metalls eingesetzt; dieses G. heißt darum der Erzspanner (χαλκότονον). Hier werden die Arme so eingestellt, daß sie sich um einen senkrechten Zapfen drehen und beim Spannen der Sehne mit ihren kurzen Fußenden rückwärts gebogene Stahlschienen glatt nach vorn drücken; läßt man nun die Sehne los, so werden die Stahlschienen wieder frei, schnellen in ihre gebogene Stellung zurück und stoßen die kurzen Fußenden der Arme nach hinten, also die Kopfenden am langen Hebel samt der Sehne gewaltsam nach vorn.

Da Philons Erfindungen sonst nirgends erwähnt werden, und die Rekonstruktionen auf der Saalburg keine besonderen Resultate ergeben haben, dürfen wir wohl annehmen, daß die Praxis jene beiden Neuerungen abgelehnt hat. Dagegen scheint Philon den Luftspanner (ὁ κληθεὶς ἀεροτόνος) des Ktesibios für brauchbar gehalten zu haben, vgl. 78, 32 οἱ ἀγκῶνeς ἐξώθουν τὸν λίθον καὶ μῆκός τι τῆς τοξείας πάνυ εὐδόκιμον ἐποίουν, und er hebt mit besonderen Worten hervor, daß das Werk seinen Meister lobe (77, 16 μηχανικὴν δὲ πάνυ καὶ φυσικὴν εἶχε διάθεσιν). Da nämlich Ktesibios die Elastizität der Luft erkannt hatte, wollte er diese Kraft für den G.-Bau ausnützen. ,Darum verfertigte er Gefäße, die an Ansehen den Apotheker-Büchsen gleichen, wenn man diesen den Deckel abnimmt, aus geschmiedetem Erz, damit sie recht fest wären, nachdem er zuvor ein Wachsmodell gemacht und ausgegossen hatte, um ihnen die nötige Dicke zu geben. Darauf drechselte er deren Innenseite kreisrund aus, machte die Oberfläche vollständig eben und glatt, und setzte einen ehernen Kolben ein, der darin auf- und niedergehen konnte, und sich mit seiner Außenfläche, die gleichfalls ganz glatt gearbeitet war, so fest anschmiegte, daß zwischen beiden Teilen (dem Kolben und der Innenseite des Gefäßes) die Luft trotz Anwendung aller Kraft nicht hindurchdringen konnte.‘ Zwei solcher Büchsen wurden nun auf den zweckentsprechend umgestalteten Peritreten angebracht (p. 78, 13 τὸ σχῆμα τῶν περιτρήτων οἰκεῖον ποιήσας τοῖς ὑποκειμένοις) und das ganze G. so konstruiert, daß gar nichts daran auszusetzen war (p. 78, 16 οὐ μόνον τῆς ἰσχύος, ἀλλὰ καὶ τῆς ὄψεως στοχαζόμενος, [1320] ὅπως ὀργανικὴ φαίνηται). ,Er umgab nun die Fußenden der Arme mit Bändern und Eisen, die sich sanft nach oben krümmten, und setzte sie auf die Kolben auf. Die Arme drehten sich ... um eiserne Bolzen, mit denen sie durch Ringe verbunden waren. Nachdem er also das Beschriebene getan, zog er die Bogensehne ein, machte die Schleife zurecht und zog sie zurück, wie es auch bei den übrigen G. Brauch ist. Wurde aber die Bogensehne zurückgezogen, so trieben die Arme, die mit ihren Fußenden auf die Kolben drückten, diese einwärts; die in den Gefäßen eingeschlossene Luft wurde komprimiert und arbeitete in dieser Verdichtung, ihrer natürlichen Beschaffenheit gemäß, mit großer Gewalt dagegen. Hatte man dann den Stein aufgelegt und ließ den Drücker los, so schlugen die Bogenarme mit großer Kraft wieder nach vorn, schleuderten den Stein fort und lieferten eine recht ansehnliche Schußweite‘. Leider fehlt der Beschreibung Philons das zugehörige Bild, und deshalb wissen wir nicht, wie ,die zweckentsprechend umgestalteten Peritreten‘ ausgesehen haben. Früher hatte ich mich durch die zwei Türmchen an den G. der Traianssäule bestimmen lassen, hier die Aërotona wiederzuerkennen; da aber diese Türmchen auf der Traianssäule senkrecht stehen, und jene Luftbüchsen des Ktesibios wagerecht liegen müssen, weil sie wagerecht wirken sollen, so hat Schramm meine Deutung abgewiesen. Seine Rekonstruktion des Aërotonon, die soeben an die Saalburg abgeliefert worden ist, hat mit den G. auf der Traianssäule äußerlich keine Ähnlichkeit. Die Schußleistungen sind unbedeutend, und das G. ist äußerst wetterempfindlich; deshalb bestreitet Schramm, daß das Aërotonon jemals praktisch gedient habe.

Auf andere Weise sind wir durch Schramms Rekonstruktion über den Mehrlader (πολυβόλος καταπάλτης) ins reine gekommen. Denn früher haben wir uns bei Philons Beschreibung darunter kaum etwas anders vorgestellt als ein höchst kompliziertes Spielzeug, für dessen Herstellung sein Erfinder Dionysios von Alexandreia zu seiner eigenen Ergötzung allen Scharfsinn und alle Geschicklichkeit zusammengenommen hatte. Nun hat uns aber Schramm durch die Rekonstruktion belehrt, daß Bau und Handhabung dieses ,Maschinengewehres‘ in Wirklichkeit ziemlich einfach sind; und die Schießproben haben ,eine überraschende Treffsicherheit‘ ergeben. Der Mehrlader wird in der üblichen Weise gespannt, indem man mit Kurbel und Kette die Diostra soweit vorschiebt, bis die sog. Hand über die Sehne greift, und sie dann durch umgekehrte Drehung der Kurbel wieder samt der Sehne zurückholt, bis die volle Spannung erreicht ist. Jedoch sind beim Mehrlader die sonst nötigen Handgriffe durch mechanische Vorrichtungen ersetzt: die Hand ist abgeschrägt und gleitet also von selbst über die Sehne hin; alsdann stößt das links herausstehende Ende des Abzuges gegen einen Stift, welcher den Abzug zwingt, sich zu drehen und die Hand zu verriegeln, damit sie die Sehne festhält. Beim Rückwärtskurbeln stößt der Abzug an der Stelle der höchsten Spannung wiederum an einen Stift, der ihn zwingt, sich in entgegengesetzter Richtung zu drehen, also die Hand freizugeben und somit die Sehne abschwirren zu lassen. Dieselbe Kurbeldrehung legt nun außerdem [1321] noch mechanisch für jeden Schuß je einen Pfeil auf, und zwar durch folgende Vorrichtung: Über der Pfeilrinne liegt ein Trichter, in den eine beliebige Anzahl Pfeile eingelegt werden. Aus diesem fällt je ein Pfeil in eine darunter liegende Walze, sobald diese den pfeilgleichen Längsausschnitt oben gegen den Trichter kehrt; und dieser Pfeil fällt aus der Walze auf die Pfeilrinne des G., sobald die Walze so herumgedreht ist, daß der Längsausschnitt unten liegt. Diese Umdrehung der Walze bewirkt ein senkrechter Bolzen auf der Diostra, der in einen Schraubengang der Walze eingreift und bei jedem Schusse den Längsausschnitt rechtzeitig nach oben und nach unten bringt. Und so wirkt tatsächlich das G., von einem einzigen Mann bedient, wie eine Mitrailleuse. Philon erkennt zwar die sinnreiche Konstruktion an (IV p. 76, 32 φιλότεχνον μὲν καὶ οὐκ ἀνεύρετον ἔχουσα τάξιν), aber den praktischen Wert dieses G. bezweifelt er stark, und zwar aus denselben Gründen, die auch gegen die französische Mitrailleuse geltend gemacht werden; denn auch diese ,streute‘ die Geschosse nicht (p. 76, 48 {{Polytonisch|οἰσθήσεται γὰρ οὐ σποράδην τὰ βέλη) und verschwendete sie massenhaft auf ein Ziel, das inzwischen längst seinen Platz geändert hatte (p. 76, 43 οὐχ ἑστηκώς ἐστιν ὁ τόπος). Dieses Urteil ist im ganzen entschieden richtig; aber bisweilen bieten die Wechselfälle des Krieges doch Gelegenheit, einen einzigen Punkt derartig zu beschießen, daß jeder des Todes gewiß ist, der ihn zu betreten wagt. So geschah es im J. 52 v. Chr. bei der Belagerung von Avaricum, wo die Gallier den Brand des Angriffsdammes nähren, die Römer ihn löschen wollten: auf beiden Seiten wurde mit größter Anstrengung um das Ziel gerungen. Darüber berichtet Caesar bell. Gall. VII 25, 1–4: accidit inspectantibus nobis, quod dignum memoria visum praetereundum non existimo. Quidam ante portam oppidi Gallus per manus traditas sebi ac picis glebas in ignem e regione turris proiciebat; scorpione ab latere dextro traiectus exanimatusque concidit. Hunc ex proximis unus iacentem transgressus eodem illo munere fungebatur; eadem ratione ictu scorpionis exanimato altero successit tertius et tertio quartus, nec prius ille est a propugnatoribus vacuus relictus locus, quam restincto aggere atque omni parte submotis hostibus finis est pugnandi factus. Das ist ein Fall, wo der Mehrlader entschieden sehr am Platze gewesen wäre; denn hier kam es ja darauf an, genau dieselbe Stelle in raschester Folge der Pfeile derartig zu beschießen, daß der neu auftauchende Feind gar nicht mehr Zeit fand, seinen Brandsatz richtig abzuschleudern. Und das Faktum ist doch nur dann so außerordentlich (dignum memoria visum), wenn jedem einzelnen der Tod nicht nur drohte, sondern ganz gewiß war durch die unausgesetzt abgeschossenen Pfeile; hätte ein römischer Artillerist mit einem gewöhnlichen G. dieses Bravourstück geleistet, würde Caesar gewiß auch ihm ein Wort der Anerkennung gewidmet haben. Da das nicht geschehen, so führt das auch darauf, daß hier ein Mehrlader verwendet worden ist, der einmal richtig eingestellt, naturgemäß Schuß auf Schuß auf dieselbe Stelle richtete. Caesar nennt das G. scorpio, bei Philon heißt der Mehrlader 73, 39 σκορπίδιον. [1322]

Diese Deduktion steht im Widerspruch mit der Ansicht des Philon, der theoretisch die Unbrauchbarkeit des Mehrladers bewiesen hat. Nun, theoretisch ist auch die französische Mitrailleuse abgewiesen worden, aber praktisch hat sie doch bei geeigneten Umständen verheerend gewirkt. Darum darf eben das Studium der antiken Artillerie sich nicht auf die Techniker beschränken, sondern muß sich auch auf die Kriegsgeschichte ausdehnen, um aus dem lebendigen Borne zu schöpfen.
[Rud. Schneider.]
Anmerkungen (Wikisource)
Corpus Inscriptionum Latinarum VI, 2725.

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