.
Geoponika. Γεωπονικά nennt man gewöhnlich das auf uns gekommene griechische Sammelwerk landwirtschaftlicher Exzerpte, dessen Titel eigentlich αἱ περὶ γεωργίας ἐκλογαί lautet. Seine jetzige Fassung erhielt es um 950 n. Chr. auf Veranlassung des Kaisers Constantinus VII. Porphyrogennetos, wie das an der Spitze stehende, den Kaiser preisende Widmungsschreiben des byzantinischen Herausgebers meldet. Die Kompilation zerfällt in 20 Bücher, von denen 19 folgendes kurze Vorsatzstück besitzen: τάδε ἔνεστιν ἐν τῇδε τῇ βίβλῳ δευτέρᾳ (κτλ.) μὲν οὔσῃ τῶν περὶ γεωργίας ἐκλογῶν, περιεχούσῃ δὲ ... dann wird mit wenigen Worten der Inhalt des betreffenden Buches angegeben. Hierauf folgt eine Aufzählung sämtlicher Kapitelüberschriften, und dann kommen die Exzerpte selbst. Die 20 Bücher haben im wesentlichen folgenden Inhalt: Buch I astrologische Wetterkunde, II Ackerbau, III landwirschaftlicher Monatskalender, IV–VIII Weinbau und Weinbehandlung, IX Ölbaum, X Obstbäume, XI Ziergewächse, XII Gemüse, XIII Rezepte gegen Ungeziefer. XIV–XX Viehzucht: nämlich XIV Federvieh, XV Bienen, XVI Pferde, XVII Rinder, XVIII Kleinvieh, XIX Hunde und Jagdwild, XX Fische. Das ganze Werk füllt in der neuesten (leider völlig verfehlten) Ausgabe von Beckh (Leipzig 1895) 529 kleine Teubnerseiten, die sich auf die einzelnen 20 Bücher sehr ungleich verteilen. Am umfangreichsten ist Buch X (61 Seiten), dann kommen II (53 Seiten) und V (45 Seiten). Am kürzesten sind XIX (10 Seiten), VIII (11 Seiten), wenig länger XVII (14 Seiten), XVIII (15 Seiten), und III, VI, XX mit je 16 Seiten. Es fällt auf, wie der Getreidebau zurücktritt hinter der Kultur des Weinstocks und der Obstbäume. Ebenso ungleich wie die 20 Bücher sind die einzelnen Abschnitte, deren Gesamtzahl 621 beträgt. Gegen 50 sind zwei Teubnerseiten und mehr lang, etwa 110 fassen je 1–2 Seiten, alle übrigen sind kürzer als eine Seite und füllen oft nur wenige Zeilen, manche bestehen als elende Fetzen gar nur aus einigen Worten. Gleichwohl besitzt auch das kleinste Exzerpt eine besondere Überschrift. Bei 490 Abschnitten tritt dazu noch ein Autorenlemma im Genetiv; es sind im ganzen 30 Schriftsteller, die hier erscheinen:
Iulius Africanus (zu 39 Abschnitten genannt; der Sammler benützte παράδοξα aus Africanus' Encyclopaedie Κεστοί, s. Rh. Mus. XLV 81),
Vindanius Anatolius aus Berytos (42mal, verkehrter Weise in drei Personen gespalten, s. Rh. Mus. XLV 66 u. o. Bd. I S. 2078 Nr. 14),
der aus den Hippiatrika wohlbekannte Roßarzt Apsyrtos (XVI 1. 3–8. 19. 21; vgl. o. Bd. II S. 286 Nr. 2),
Apuleius (9mal, vgl. [1222] o. Bd. II S. 249),
Aristoteles (XIV 26, vgl. Niclas zu XIII 16, 3),
Cassianus Bassus (nur zu V 6 und 36 genannt, obgleich er Verfasser des zugrunde liegenden Gesamtwerkes ist; s. o. Bd. III S. 1667 Nr. 10),
der apokryphe Damogeron (15mal, vgl. o. Bd. IV S. 2055 ,Damigeron‘),
,Demokritos‘ (für 47 Abschnitte; vgl. Rh. Mus. XLV 70ff.),
der jüngere Didymos aus Alexandreia (für 70 Eklogen, vgl. Rh. Mus. XLV 213 u. o. Bd. V S. 445 Nr. 7),
Dionysius (I 11 über Winde: ist Cassius Dionysius gemeint?),
Diophanes aus Nicaea (20mal; es ist der bekannte Epitomator des großen Sammelwerkes des Cassius Dionysius, der zur Zeit des Deiotarus lebte, vgl. o. Bd. V S. 1049 Nr. 9),
Florentinus (81mal: der bedeutendste Schriftsteller über Landwirtschaft aus dem 3. nachchristlichen Jhdt: vgl. Rh. Mus. XLV 83ff. und oben den betr. Art.),
Fronto (4mal, sonst ganz unbekannt: vielleicht ist er identisch mit Iulius Fronticus, der in den Maischen Fragmenten des Gargilius Martialis erscheint; s. o. den betr. Art.),
der in den Hippiatrika erhaltene Veterinärschriftsteller Hierokles (XVI 9–11; etwa aus dem 5. nachchristlichen Jhdt.),
desgl. Hippokrates (XVI 20; etwa 4. Jhdt.),
Leontinos (17mal; bei Photios Bibl. 163 ,ἡ τοῦ Λέοντος πρὸ ἄλλων προκρίνεται πεῖρα'; leider für uns heute nicht mehr erkennbar; vgl. Rh. Mus. XLV 92),
Oppianos (XX 2 für Fischköder),
Pamphilos (8mal, es ist der Verfasser des Kräuterbuches),
Paxamos (23mal, berühmter als durch seine Γεωργικά war er durch sein Kochbuch: vgl. Susemihl Alexandr. Litt.-Gesch. I 842),
der uns im Original erhaltene Roßarzt Pelagonius (XVI 2, 17–18; vgl. Ihms Ausgabe),
der Astronom Ptolemaios (Ι 13 für die Notiz über Sonne und Mond),
Pythagoras (VIII 42 Rezept des Zwiebelessigs, vgl. Galen. XIV 567 K.),
die beiden Quintilier (16mal: † 182 n. Chr. durch Commodus, hochberühmt durch ihre Ämter, ihre persönlichen Vorzüge und ihre brüderliche Liebe, die sie auch im Tode besiegelten [vgl. Pros. Imp. Rom. s. v.]: vor und neben Florentinus nehmen sie in der landwirtschaftlichen Literatur des ausgehenden Altertums den ersten Rang ein),
Sotion (28mal, wohl zu sondern von seinen berühmten Namensvettern, vgl. Mulomedicina Chironis ed. Oder (Lipsiae 1901) praefatio p. XIV ann. 3),
Tarentinos (15mal, vgl. Rh. Mus. XLV 89),
der anderweitig bekannte Hippiater Theomnestos (XVI 12–16 und XIX 3 περὶ θεραπείας κυνῶν, vgl. Notices et Extraits des Manuscrits de la Bibl. impériale, Paris 1865, XXI 2 S. 160 s. v. und Pelagonius ed. Ihm praef. p. 10),
Varro (17mal; das Lemma ἐκ τῶν Βάρωνος καὶ τῶν Κυντιλίων an der Spitze des landwirtschaftlichen Monatskalenders in Buch III spricht für die Existenz einer besonderen ephemeris rustica, die Reitzenstein De script. rusticis 47 leugnet),
Xenophon (XIX 5 περὶ ἐλάφων) und
ein apokrypher Zoroaster (10mal), der als Zwillingsbruder des oben erwähnten Damogeron gelten kann.
(Merkwürdigerweise fehlt ganz Valens, der durch Photios' Zeugnis als Autor verbürgt ist, vgl. Rh. Mus. XLV 87).
Leider ergibt sich bei näherer Prüfung, daß diese Autorenbeischriften nur eine sehr bedingte Gewähr besitzen, weshalb man bei der Quellenanalyse von den unanfechtbaren Textzitaten [1223] (Rh. Mus. XIV 64, 2) – es gibt deren über 120 – ausgehen muß. Zu den in den Lemmata genannten Autoren treten hier noch
ein apokrypher ,Asklepios' (XX 6 für Fische),
ein Hesiodzitat (VII 6: ἔργα 368),
drei Homerverse (Il. VIII 170. V 387 in VII 31, X 87: hier zum Zwecke der Beschwörung und Od. X 510 in XI 13),
der König Iuba für Bugonie (XV 2, 21: mit ,Demokrites' und Varro zusammengenannt),
ein apokrypher ,Manetho' (XX 6 neben ,Asklepios' für Fische),
der Dichter Nestor von Laranda (vgl. Rh. Mus. XLVIII 9),
Stellen aus Plutarchs Tischgesprächen (Rh. Mus. XLV 64, 2),
drei Theophrastzitate (vgl. Rose Aristot. pseudep. p. 271 und Rh. Mus. XLV 64, 2),
eine Vergilverweisung (81, 12 auf Georg. I 193).
Jene äußere Ordnung der Kompilation und die Lemmata stammen von dem Verfasser des Widmungschreibens (an Porphyrogennetos), der mit der Herausgabe unserer Eclogen aber nur eine verständnislose Buchbinderarbeit geliefert hat, indem er das damals stark verderbte landwirtschaftliche Sammelwerk des Scholasticus Cassianus Bassus aus dem 6. Jhdt. einer einschneidenden ,Bearbeitung‘ unterzog. So ist es gekommen, daß wir von dem ursprünglich reichen Inhalt meist nur noch armselige Fetzen in Händen halten. Cassianus Bassus hatte seiner Sammlung im wesentlichen zwei umfangreiche Werke des 4. Jhdts. zugrunde gelegt: die συναγωγὴ γεωργικῶν ἐπιτηδευμάτων des Vindanius Anatolius aus Berytus in 12 Büchern und die γεωργικά des jüngeren Didymos aus Alexandreia in 15 Büchern. Anatolius war in der Hauptsache Vertreter der rationellen Landwirtschaftslehre, Didymus dagegen mehr Verfechter einer mystisch-magischen Richtung. Von Cassianus’ Zutaten verdienen folgende Stücke eine besondere Erwähnung: I 12 Prophezeiung aus dem Stande des Planeten Iuppiter; II 6 Δημοκρίτου Ὑδροσκοπικόν, d. h. über die Kunst, unterirdisches Quellwasser zu entdecken: wesentlich auf Posidonius zurückgehend, vgl. Oder Ein angebliches Bruchstück Democrits üb. d. Entdeckung unterirdischer Quellen (Philol. Suppl.-Bd. VΙΙ 231–384); 10 rhetorisch gedrechselte Verwandlungssagen der Progymnasmatiker in Buch XI, wozu IX 1 tritt (Mythus von der Schöpfung des Ölbaums durch Athene, vgl. Rh. Mus. XLV 216); endlich der Traktat über Sympathie und Antipathie XV 1, der sich mit Pseudo-Demokrit berührt, s. dessen Sympathietraktat hrg. v. W. Gemoll (Striegauer Progr. 1884) u. Rh. Mus. XLV 70ff. Auch der Dichter des dritten nachchristlichen Jhdts., Nestor von Laranda, zu dem Cassianus als Kommentator in einem besonders engen Verhältnis steht, erscheint dort als Gewährsmann, vgl. Rh. Mus. XLVIII 9ff. Die G. bieten abergläubische Manipulationen sowohl heidnischen wie christlichen Ursprungs, vgl. Rh. Mus. XLV 220, 2 und R. Heim Incantamenta Magica (Jahrb. f. Philol. Suppl. Bd. XIX 570): hier war wohl Didymos Gewährsmann, obwohl Photios bibl. 163 auch von Anatolios’ Werk berichtet: ἔχει δὲ ὅμως ἔνια καὶ τοῦτο τὸ βιβλίον τερατώδη καὶ ἄπιστα καὶ τῆς Ἑλληνικῆς πλάνης ὑπόπλεα.
Der kulturhistorische Ertrag der G. ist gering. Das gleiche gilt von ihren technischen Vorschriften der behandelten Disziplinen. Wegen [1224] der Zersplitterung in kleine Schnitzel fällt ein Vergleich mit den erhaltenen Schriften römischer Landwirte – Varro, Columella, Palladius – sehr zu ihren Ungunsten aus. Selbst die wenigen Reste des Gargilius Martialis stehen turmhoch über den entsprechenden Exzerpten der G.; vgl. Wellmann Herm. XLIII 1ff. Ebenso dürftig sind die Abschnitte von Bd. XVI über Pferdekrankheiten, wenn man ihnen gegenüber die Hippiatrika stellt, vgl. ,Anecdota Cantabrigiensia‘ (Berliner Programm 1896). Charakteristisch für den Sammler ist seine Vorliebe für spielerische Experimente des Obstbaues, z. B. Früchte mit bestimmten Inschriften (X 14. 47. 60) oder in eigenartiger Gestalt (X 9. 27) zu erzeugen. Monströs ist das Raffinement, durch Pfropfen, Impfen, Okulieren wunderbare Naturspiele und Zwitterfrüchte zu erhalten, worin sich die G. mit Gargilius Martialis berühren; vgl. Wellmann a. O. und Rh. Mus. XLV 86. Auf genauere Kenntnis des Weinbaues in Bithynien weisen die detaillierten Angaben darüber in Buch IV und V, die vielleicht auf Diophanes zurückgehen.
Beachtung verdienen die Exzerpte über die Kultur des Ölbaums in Buch IX. Vielbesprochen ist die Schilderung der Treibhäuser für den Zitronatbaum Geop. X 7 (vgl. Pall. IV 10, 11), weil diese sich gleichartig noch heute so in Oberitalien finden. Ohne genügenden Grund führte Hehn Kulturpfl.6 433 dies Exzerpt nur wegen des Autorenlemma dort auf Florentinus ca. 200 n. Chr. zurück, an dessen Stelle Wellmann (Herm. XLIII 30) lieber die Quintilier setzen will; s. jedoch oben Bd. III S. 2615. Die Frage kann man nur im Rahmen einer eingehenden Untersuchung der G. endgültig lösen: an einer solchen fehlt es noch, denn W. Gemolls Buch Untersuchungen über d. Quellen d. Geop. (Berlin 1883) ist völlig verunglückt, da der Verfasser den Redaktor der G. für einen ,Fälscher‘ hält. Die mehrfach zitierten Abhandlungen im 45. und 48. Bd. des Rh. Mus. liefern aber nur allgemeine Richtlinien der Quellenanalyse, ohne ins Detail zu gehen. Buecheler (Rh. Mus XXXIX 391) wies darauf hin, daß Übereinstimmung der G. und der römischen Landwirtschafter auf Cassius Dionysius-Diophanes als gemeinsame Quelle führt; vgl. Heinze Commentationes Ribbeckianae 434 und Susemihl Alexandr. Litt.-Gesch. I 830f.
Die G. sind auch in einer syrischen Übersetzung auf uns gekommen: Geoponicon in sermonem Syriacum versorum quae supersunt P. Lagardius edidit Lipsiae (Londinii) 1860: eine Rückübertragung ins Griechische bleibt ein dringendes Bedürfnis, deren Stelle nur notdürftig vertritt Lagardes Abhandlung De geop. vers. Syr. (Gesammelte Abh., Leipzig 1866, 120–146), worin Lagarde eine kurze Inhaltsangabe sämtlicher syrischen Eklogen und eine Übersicht der Autorenzitate gibt. G. Sprenger spricht in seiner Göttinger Dissertation (Preisarbeit) 1889 ,Darlegung der Grundsätze, nach denen d. syr. Übers. d. griech. Geop. gearbeitet worden ist‘, nur rein philologisch über die Wiedergabe indogermanischer Formen und syntaktischer Verbindungen. Verfehlt sind die Darlegungen Gemolls i. s. ,Unters. üb. d. Geop.‘ über den griechischen Autor (Anatolios), der der syrischen Fassung zugrunde liege. [1225] Ebenso luftig sind die Ausführungen Baumstarks in seinen Lucubrationes Syro-Graecae (Jahrb. f. cl. Phil. Suppl.-Bd. XXI 384–405) über die Quellen des Syrers und der Araber. Denn auch bei letzteren werden die G. oft zitiert und zwar besonders in dem Werke des Ibn-Al-Awam (Le livre de l’agriculture, traduit par Clément-Mullet, Paris 1864–67, 2 Bde.), wo die G. unter einer dreifachen Bezeichnung als ,Iunius‘, ,Costus‘ und ,Casius‘ oder ,Cassianus‘ erscheinen; vgl. hierzu Rh. Mus. XLVIII 36ff. Über die armenische Übersetzung vgl. Bröckelmann Byz. Ztschr. V 385. Unentbehrlich wegen ihrer musterhaften Gründlichkeit und umfassenden Gelehrsamkeit ist noch heute Niclas’ Ausgabe der G. in 2 Bd. (Lipsiae 1781), der in Needham (Cambridge 1704) einen scharfsinnigen Vorgänger hatte: Needham hat viele Schäden der Editio princeps (Basel 1539) geheilt. In der Textkritik steht Niclas auf seinen Schultern. Die Durchforschung der Bibliotheken von Beckh ,De Geop. cod. mss.‘ i. d. Acta Seminarii philol. Erlangensis Bd. IV 261–346 hat für die Verbesserung des Textes wenig ergeben. Seine Ausgabe der G. (Leipzig 1895) bietet nur durch Heranziehung der sonst unzugänglichen syrischen Paradosis einigen Nutzen. Maximilian Treu's wertvolle Kollationen sind von W. Gemoll in seinem erwähnten Buche benützt.
[Oder.]
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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