.
18) L. Gellius Poplicola war der Sohn von Nr. 17 und ist etwa gegen 674 = 80 geboren. In den zwanziger Jahren seines Lebens gehörte er zu jenem halb genialischen halb dekadenten Kreise junger Leute, die sich damals in wildem Lebensgenuß austobten, ihr Haupt und Vorbild besonders in P. Clodius Pulcher sahen und, soweit sie zum Mannesalter gelangten, die wilden Sitten ihrer Jugendjahre auf das politische Leben übertrugen (vgl. z. B. M. Antonius Nr. 30; M. Caelius Rufus Nr. 35; P. Cornelius Dolabella Nr. 141; Q. Cornificius Nr. 8; Q. Hortensius d. J. u. a.). Denn es ist außer Zweifel, daß dieser G. der wiederholt von Catull genannte und angegriffene ist. Nur das älteste Gedicht 91 verrät den Grund der heftigen Schmähungen, die den ausschließlichen Gegenstand der übrigen bilden: Wie M. Caelius Rufus, so hat auch G. sich der Gunst der Clodia-Lesbia (o. Bd. IV S. 105ff.) eine Zeitlang erfreuen dürfen; zwar wird ihr Name nicht genannt, doch nur von ihr spricht Catull in Wendungen, wie er sie hier v. 2 und 6 gebraucht (vgl. 8, 1. 5 = 37, 12. 51, 5. 104, 3; mit dem ganzen Gedicht vgl. besonders c. 77). G. trat wahrscheinlich in die Reihe der Nebenbuhler Catulls erst ein, als die Geliebte dem Dichter schon verloren war; deshalb wird ihm nur hier der Vorwurf gemacht, er habe dem Genossen die Treue gebrochen, und gleichsam beiläufig wird hier der schärfste und giftigste Pfeil gegen ihn entsandt, den die übrigen Gedichte immer heftiger schleudern. Der mildere Vorwurf ist noch, daß er die Frau seines Vaterbruders (Nr. 1) verführt habe, in c. 74 mehr zur Verspottung des Oheims verwendet, 88, 3 und 89, 3 gegen G. allein wiederholt; [1004] weit schwerer ist die Beschuldigung, daß G. mit seiner Mutter und Schwester in Blutschande gelebt habe, die in 88. 89 und 90 variiert wird. Die Übertreibung liegt z. B. 89, 3f. auf der Hand, und bezeichnend ist auch, daß nur 91, 5 bei einer Verallgemeinerung der Ausdruck germana statt soror eintritt. Wie in allen ähnlichen Fällen (vgl. Clodius und Clodia) handelt es sich um boshaften unkontrollierbaren Stadtklatsch und außerdem weder um die leibliche Mutter noch um die leibliche Schwester des G. Für die mater beweist das Val. Max. V 9, 1: der Vater des G. (Nr. 17) habe auf die Anklage hin, daß der Sohn ein Verhältnis zu seiner Stiefmutter (noverca) unterhalte und ihm selbst nach dem Leben trachte, förmlich Gericht über ihn gehalten, sei aber zu einem freisprechenden Urteil gelangt. Es war also die Stiefmutter, nicht die eigene Mutter des G., zu der er in unerlaubten Beziehungen gestanden haben soll. Ferner ist aber von dem historischen G. bekannt, daß er ein Halbbruder des M. Valerius Messalla Corvinus war (Liv. ep. CXXII. Dio XLVII 24, 5); demnach muß nicht nur sein Vater zwei Frauen gehabt haben, sondern auch eine von diesen Frauen zwei Männer, den G. Nr. 17 und den M. Valerius Messalla, Consul von 693 = 61. Da zwei Töchter des letzteren bekannt sind, die später mit Altersgenossen des G., Q. Pedius und Ser. Sulpicius Rufus d. J., verheiratet waren, könnte die soror eine von diesen sein, obgleich sie weder denselben Vater noch auch dieselbe Mutter wie G. hatten. Denn ob die Polla, die im J. 711 = 43 noch am Leben und mit den Caesarmördern in Asien war (Dio a. O. 5), die leibliche Mutter des G. und des Messalla war (so Drumann G. R.2 III 62, 14) oder nur die des letzteren und die Stiefmutter des G., ist nicht zu ermitteln; doch ist dieses vielleicht noch wahrscheinlicher als jenes. Über das Leben des G. vor Caesars Tode ist sonst nichts bekannt; vielleicht war er in dieser Zeit einmal Duumvir in Minturnae (L. Gellius L. f. Poplicola CIL X 6017[1] = Dessau 5603). Er war seit längerer Zeit mit M. Brutus befreundet und folgte ihm nach der Ermordung des Dictators nach dem Osten; obgleich er auf Verrat sann, entließ ihn Brutus ungekränkt aus Rücksicht auf seinen Bruder Messalla; auch dem Cassius bereitete er Nachstellungen, entging aber wiederum der Strafe, da seine Mutter Polla seine Pläne anzeigte und ihm dafür Straflosigkeit erwirkte; indes verließ er nun die Partei der Caesarmörder und ging zu Octavian und Antonius über (Γέλλιος Ποπλικόλας Dio a. O. 3. 5f., kürzer Liv. a. O. [Publicola]). Im Dienst der Triumvirn schlug er Münzen mit der Aufschrift: L. Gell(ius) q(uaestor) p(rovincialis?) (Babelon Monnaies de la rép. rom. I 177. 536f.; vgl. Bahrfeldt Wien. numism. Ztschr. XXXII 16). Vielleicht stammen aus den nächsten Jahren drei attische Inschriften seiner Gemahlin; auf einer Weihinschrift der Akropolis nennt sie sich selbst: Σεμπρωνία Ἀτρατίν[η Λευκίου Ἀτρα] | τείνου θυγάτηρ Π[οπλικόλα γυνή] (Herm. XXX 630); zwei gleichlautende Ehreninschriften von der Akropolis (IG III 866) und aus Eleusis (Ἐφημ. ἀρχ. 1895, 110) nennen sie Σεμπρωνίαν Λευκίου θυγατέρα, Λευκίου Γελλίου Ποπλικόλα γυναῖκα. Sempronia war die Schwester des L. Sempronius Atratinus, der in [1005] jungen Jahren auch zu dem Kreise des P. Clodius und der Clodia gehört hatte, der damals ebenfalls im Dienste des Antonius in Griechenland tätig war (IG IX 2, 39, vgl. Herm. XLIV 135ff.) und zwei Jahre nach G. mit dem Consulat belohnt wurde. Jedenfalls war auch Sempronias Gatte G. unter Antonius in Griechenland beschäftigt. Im J. 718 = 36 erhielt er das Consulat (L. G[elliu]s L. f. L. n. [Poplicola] Fasti Cap. Λ. Γέλλιος Λ. υἱ. Ποπλικόλας Dio XLIX ind., vgl. 1, 1. 24, 1. L. Gellius CIL I 795[2] = XI 6673, 19. Cassiod. Poplicola Chronogr. Idat. Chron. Pasch.); etwa im folgenden Jahre wird er von Horaz ehrenvoll erwähnt (te, Messalla, tuo cum fratre sat. I 10, 85, vgl. Kiessling-Heinze z. d. St. und zu v. 28). Bei Beginn des Entscheidungskampfes zwischen Octavian und Antonius war er wieder im Osten und auf der Seite des Antonius; bei Actium am 2. September 723 = 31 führte er den einen Flügel der Flotte (Vell. II 85, 2. Plut. Anton. 65, 1. 66, 2, wo vielleicht 65, 1 Gellius ebenso in Κοίλιος verderbt ist, wie 66, 3 in Σκέλλιος [vgl. dazu Gardthausen Augustus II 200f., 51]). Wenn nicht in dieser Schlacht, so hat G. sicherlich in diesem Kriege sein Ende gefunden.
[Münzer.]
Anmerkungen (Wikisource)
Corpus Inscriptionum Latinarum X, 6017.
Corpus Inscriptionum Latinarum I, 795.
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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