Fideiussio ist eine neuere Form der Bürgschaft (s. Intercessio) in Stipulationsform, die [2276] sich durch ihre Fassung und ihre rechtliche Behandlung von den beiden älteren Formen der sponsio und der fidepromissio (s. d.) unterschied, Gai. III 115ff. Namentlich war bei ihr die akzessorische Natur der Bürgschaft, d. h. ihre Abhängigkeit vom Dasein der Hauptschuld, strenger durchgeführt als bei den beiden älteren Formen, andererseits aber ein weiteres Anwendungsgebiet gewährt, da sie nicht bloß zu Verbalschulden, sondern zu allen obligationes civiles und naturales hinzuzutreten vermochte (Dig. XLVI 1, 16, 3) und auch die Erben des Bürgen verpflichtete, Gai. III 118–120. Auch durch den Übergang der Haftung auf die Erben des Bürgen wich die F. von der sponsio und fidepromissio ab und paßte sich dadurch in höherem Maße den höher entwickelten Verkehrsverhältnissen an. Gai. III 120. Ihre Form war: Idem fide tua esse iubes? Iubeo, Gai. III 116 (griechische Formen überliefert Ulp. Dig. XLVI 1, 8 pr.). In dem Worte fides sieht man hier wie bei der fidepromissio vielfach einen Hinweis auf eine religiöse oder bloß moralische Verpflichtung (s. unter Fidepromissio), während die Erwähnung der fides wahrscheinlich nur auf den akzessorischen Zweck der Bürgschaft hindeutete. In dem iubeo lag eine Aufforderung (eine ähnliche Auffassung vertritt sogar die fidepromissio, Cuq Les institutions juridiques, Paris 1891, 650, doch läßt sie sich hier nicht erweisen). Der unbestimmte Ausdruck idem esse läßt ungewiß, ob die Aufforderung (iussio) vom Bürgen an den Schuldner gerichtet war (debitorem iubeo idem dare facere quod oportet) oder an den Gläubiger (creditorem iubeo debitori idem credere, quod eum dare facere oportet). Für die letztere Deutung (esse = credi) spricht das Parallelinstitut des mandatum credendi (sog. Kreditmandat oder mandatum qualificatum), das formlos war und den Inhalt hatte: Periculo meo crede, bene credis, Dig. XVII 1, 12, 13, vgl. Dig. XLVI 1. Cod. VIII 40 de fideiussoribus et mandatoribus. Durch die Abschwächung der Stipulationsform (s. Stipulatio und R. Leonhard Institutionen 399 § 130 III) sowie den Grundsatz (Dig. XLV 1, 30. Inst. III 20, 8), daß die Schriftlichkeit der F. als Form genügte, war der Unterschied der F. vom Kreditmandate abgeschwächt, doch konnte sie noch im Iustinianischen Rechte nicht so, wie das mandatum, inter absentes durch Boten abgeschlossen werden.
Neben den beiden Bürgschaftsformen der F. und des Kreditmandats, von denen die älteren Formen verdrängt worden waren, findet sich auch noch das constitutum debiti alieni, das ebensowohl als Solidarschuld wie zum Bürgschaftszwecke möglich war (s. Constituere. Girtanner Die Bürgschaft nach gem. Civilrechte, Jena 1850, 47ff.), ein formloses Leistungsversprechen des Inhalts einer fremden Schuld, das sich jedoch auf diesen genau angegebenen Inhalt beschränkte, wie er bei der Abgabe des Versprechens vorlag. Dagegen umfaßte die Haftung des Bürgen bei der F. wenigstens dann, wenn sie in omnem causam eingegangen war (Dig. XIX 2, 54), auch den späteren Schuldzuwachs (s. Causa Bd. III S. 1809), namentlich Zinsen, Früchte u. dgl.
Von den Korrealschuldnern (plures rei debendi) unterscheiden sich die fideiussores ebenso [2277] wie alle andern Bürgen dadurch, daß ihre Schuld akzessorisch, d. h. vom Dasein der Schuld des Hauptschuldners abhängig ist (s. Conreus). Trotzdem stand die F. in voriustinianischem Rechte wenigstens in einem Punkte der Korrealschuld gleich, nämlich darin, daß die Klageanstellung gegen einen der nebeneinander Haftenden die andern befreite, was Iustinian beseitigte. Cod. VIII 40, 28.
Der Schutz mehrerer fidepromissores und sponsores gegen die Gefahr, allein den Schaden aus der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zu tragen, beruhte auf besonderen Gesetzen, die sich auf die fideiussores nicht bezogen (s. Fidepromissio). Doch gab auch ihnen eine epistula D. Hadriani das Recht, vom Gläubiger zu verlangen, daß er von jedem zahlungsfähigen F. nur einen Teil einfordere, Gai. III 121 (sog. beneficium divisionis). Auch mußte der Gläubiger auf den Wunsch des die Schuld erfüllenden fideiussor diesem ceterorum nomina vendere, Dig. XLVI 1, 17 (sog. beneficium cedendarum actionum). Eine weitere Wohltat (das sog. beneficium excussionis) gab Iustinians Nov. 4, derzufolge der Bürge seine Haftung in der Regel ablehnen kann, wenn nicht der Gläubiger zunächst durch Klage gegen den Hauptschuldner zu seiner Befriedigung zu kommen versucht hat (Rechtswohltat der Vorausklage). Einer solchen Wohltat bedurfte der F. dann nicht, wenn er sich überhaupt nur in zweiter Linie verpflichtet hatte, d. h. auf das, was vom Hauptschuldner nicht zu erlangen sein würde (quanto minus a Titio consequi possim, Dig. XII 1, 41 pr.). Diesen Bürgen nennt man fideiussor indemnitatis (Schadlosbürgen). Ihm gegenüber mußte der Kläger auch ohne die Geltendmachung eines beneficium von Seiten des fideiussor von vornherein aufklären, ob er vom Hauptschuldner etwas beizutreiben vermochte und wie viel.
Zu einer Verallgemeinerung des Bürgschaftsbegriffes führte das S. C. Velleianum (s. d. und Art. Intercedere).
Literatur s. bei Windscheid-Kipp Pandekten8 II § 476 Anmerkungen (auch ausländische Literatur). Hervorzuheben sind Girtanner Die Bürgschaft nach gem. Civilrecht, Jena 1850. Pernice Ztschr. d. Savignystiftung XIX 126ff. 179ff. Sokolowski Die Mandatsbürgschaft nach röm. u. gem. Recht, Halle 1891. Sohm Institutionen11 380. Czyhlarz Institutionen5, 6 180. R. Leonhard Inst. 413ff. Jörs in Birkmeyers Encyklop.1 134 § 71. F. Leonhard ebd.2 86. Cuq Les institutions juridiques, Paris 1891, 652, 4. 682, 3. 700. Girard Manuel élémentaire du droit Romain3 743ff.
[R. Leonhard.]Corpus Inscriptionum Latinarum VI, 1383.
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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