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Factiones heißen die im Circus um die Wette rennenden Parteien. Da die zur Veranstaltung von Spielen verpflichteten Beamten (editores ludorum, s. Bd. V S. 1967ff.) mit den wachsenden Anforderungen gewiß immer seltener in der Lage waren, den für die Rennen erforderlichen Apparat aus ihrem eigenen Besitzstande zu stellen, so bildeten sich schon in republikanischer Zeit Gesellschaften von vermögenden Leuten (Rittern), die über große Sklavenfamilien, edle Gestüte und alle sonstigen Rennerfordernisse verfügten und mit diesem immer bereit stehendem Materiale den Festgebern gegen Bezahlung die Sorge für die praktische Ausrichtung der Rennen abnahmen. Diese Renngesellschaften, deren es so viele gab, wie Parteien im Circus, hießen im weiteren Sinn ebenfalls F., ihre Leiter domini factionum (s. Bd. V S. 1309) oder factionarii (s. d.). Die Parteien nannten sich nach den farbigen Abzeichen, durch die sie sich bei den Rennen unterschieden. Die Tunica des Wagenlenkers (s. Art. Agitator und Auriga), vielleicht auch der Anstrich des Wagens und der Federschmuck am Stirnriemen der Pferde zeigte die Farbe der betreffenden Partei, Plin. ep. IX 6, 3. Mai Praefat. zur ambros. Ilias p. XXIII. Über den Zeitpunkt, an dem die Farbenunterschiede eingeführt worden sind, wissen wir nichts Bestimmtes. Wenn unten noch zu nennende byzantinische Schriftsteller nicht nur die Gründung des Circus Maximus, sondern auch die Unterscheidung der vier Parteifarben bereits dem Romulus zuschreiben, so ist darauf natürlich wenig zu geben, wenn auch zugestanden werden muß, daß die Unterscheidung der einzelnen Wettrenner durch Farben so nahe liegt, daß man gewiß schon frühzeitig davon Gebrauch gemacht haben wird (vgl. die farbigen Blusen unserer Rennreiter). Anfangs gab es nur zwei Parteien, die weiße (f. alba oder albata) und die rote (f. russea, rosea oder russata), Tertull. de spect. 9, der c. 5 Sueton als seinen Gewährsmann nennt, d. h. also sicherlich dessen leider verloren gegangene historia ludicra. Später, wir wissen nicht, wann, kam die grüne (f. prasina) und zuletzt die blaue Partei (f. veneta) hinzu, Lydus de mens. IV 30 Wünsch. Auffallenderweise haben wir kein Zeugnis eines Schriftstellers republikanischer Zeit über eine in den Augen der Römer so wichtige Sache. Ovid spricht amor. III 2, 78 von einem discolor agmen. Aus den immer reichlicher werdenden Erwähnungen bei den Schriftstellern der Kaiserzeit erhalten wir folgende Termini ante quem: Plin. n. h. VII 186 erwähnt zum erstenmal die rote Partei (russeus sc. pannus) mit der Bemerkung: invenitur in actis (s. Bd. I S. 290). Das dort erzählte Ereignis fällt kurz vor den Tod des etwa 77 v. Chr. gestorbenen M. Lepidus. Daraus, daß ein schwärmerischer Verehrer des roten Wagenlenkers Felix sich bei dessen Bestattung [1955] mit in die Flammen des Scheiterhaufens stürzt, und daraus, daß die Gegenpartei (adversa studia) sich bemüht, die Veranlassung zu dieser Tat nicht dem Ruhme des Virtuosen (artifex), sondern dem betäubenden Einfluß der bei der Verbrennung reichlich verwendeten Wohlgerüche zuzuschreiben, läßt sich vermuten, daß die circensische Parteileidenschaft schon damals krankhafte Blüten trieb. Die früheste Erwähnung der grünen Partei fällt in Caligulas Zeit, Suet. Calig. 55. Cass. Dio LIX 14 (39 n. Chr.), die früheste der weißen in die Zeit des Kaisers Claudius, und zwar ins J. 47 n. Chr., Plin. n. h. VIII 160, die früheste der blauen in die Zeit des Vitellius, Suet. Vitell. 7. Cass. Dio LXV 5 (69 n. Chr.). Die beiden Farben, die Domitian, vielleicht als ausschließlich kaiserliche Parteien, einführte, die goldene und die purpurne (f. aurati purpureique panni), haben offenbar nur ein kurzes Dasein gefristet und schwerlich seinen Tod überlebt, Suet. Domit. 7 (vgl. auch 23). Cass. Dio LXVII 4. Martial. XIV 55: grex purpureus (vgl. CIL VI 10058 grex russatus). Isid. orig. XVIII 41, 2. CIL VI 10062 (nr. 10046, wo Henzens Lesung panni chelidoni, wenn sie richtig wäre, jedenfalls nicht die Purpurpartei Domitians meinen könnte, weil die Inschrift in die Augusteische Zeit zu setzen ist, was er ja selbst sagt; Friedländer liest den Namen P. Anni Chelidoni heraus). Die meisten Kaiser bevorzugten die Grünen, die überhaupt in der früheren Kaiserzeit, vermutlich eben infolge dessen, den Vorrang behauptet zu haben scheinen; so Caligula (Suet. Calig. 55. Cass. Dio LIX 14), Nero (Suet. Nero 22. Cass. Dio LXIII 6. Plin. n. h. XXXIII 90), Domitian (Martial. XI 33; dazu Friedländers Ausgabe I S. 63), L. Verus (Hist. aug. Ver. 4. 6), Commodus (Cass. Dio LXXII 17) und Elagabal (ebd. LXXIX 14), während Vitellius (Suet. Vitell. 7. Cass. Dio LXV 5) und Caracalla (Cass. Dio LXXVII 10, vgl. LXXVIII 8) die Blauen begünstigten. Unter Hadrian hatten die Grünen (viridis pannus) die Oberhand, Iuven. 11, 198. Im Laufe der Zeit überflügelten die Grünen und die Blauen die beiden andern älteren Parteien derart an Beliebtheit und Bedeutung, daß diese in der späteren Kaiserzeit nur noch eine untergeordnete Rolle spielten und sich schließlich, vermutlich nicht vor dem Ende des 3. Jhdts., mit ihnen vereinigten, und zwar die Weißen mit den Grünen, die Roten mit den Blauen. Cedren. p. 147 C und[WS 1] Chron. Pasch. p. 112, wo diese Vereinigung fälschlicherweise bereits dem Romulus zugeschrieben wird. Coripp. de laud. Iustin. min. I 326f. In der spätrömischen und in der byzantinischen Zeit hören wir daher fast nur noch von den Grünen und den Blauen, wenn auch die Namen der Weißen und der Roten daneben, nachweislich bis ins 9. Jhdt. noch fortbestanden. Cedren. p. 553. Sidon. Apoll. carm. XXIII 322, wo ausdrücklich von den beiden aus je zwei Wettfahrern bestehenden Parteien die Rede ist. Anthol. Planud. V 384–387. CIL VI 10060 eine Erwähnung der Roten zur Zeit Aurelians. Es ist anzunehmen, daß vom Zeitpunkt der Verschmelzung ab die Siege der beiden untergeordneten Parteien je einer der beiden bedeutenderen Parteien zugerechnet wurden; vgl. den Art. Diversium. Die Allegorienjäger sahen in den vier Farben [1956] Symbole der vier Elemente oder der vier Jahreszeiten. Tertull., Coripp., Isidor. und Lydus a. a. O. Cassiod. var. III 51 (vgl. Anthol. Lat. 377 Baehrens). De Laborde Pavimento en mosayco en la antigua Italica, Paris 1806 lamina XIV. XV. Daß die F. unter kaiserlicher Aufsicht standen, geht aus Hist. aug. Gord. tres 4 hervor. Nach dem Curiosum urbis Romae (s. d.) lagen die vier Ställe der sechs Parteien in der 9. Region der Stadt Rom, die nach dem Circus Flaminius benannt wurde (s. o. Bd. III S. 2580f.). Preller Reg. Roms 167. Jordan Topogr. II 554. Sie waren wohl ganz oder z. T. kaiserliche Bauten. Joseph. ant. Iud. XIX 257. Tacit. hist. II 94. Gothofredus zu Cod. Theod. XV 10, 1. 2. Über das Personal der F. s. den Art. Familia quadrigaria. Inschriftliche Erwähnungen der F. namentlich CIL VI 10044ff. Daß die römischen Farben auch auf den Rennbahnen der Provinz galten, beweisen die farbigen Mosaiken von Lyon, Barcelona und das schon erwähnte von Italica, dazu CIL II 4315 = CIG 6803 (Tarraco). Eine f. Gallicana in Pannonien CIL III 4037.
Eine noch größere Rolle als in Rom spielten die Parteien in Konstantinopel, wohin gleichzeitig mit der Anlage eines Hippodroms (s. Bd. IV S. 994) auch der Kampf der Farben verpflanzt worden war. Die Parteien hatten hier ihre eigenen besonderen Sitze im Hippodrom, Codin. de orig. Const. p. 9. Auch hier gab es die vier Farben; doch standen die Grünen und die Blauen als die Hauptparteien durchaus im Vordergrunde, so daß von den Weißen und den Roten nur selten gesprochen wird. Die Parteileidenschaft wurde hier des öfteren auf das heftigste aufgewühlt (zum erstenmal 501 n. Chr. zur Zeit des Kaisers Anastasius, Bibl. max. Patrum Lugd. IX p. 527) und gewann geradezu einen hervorragenden politischen Einfluß, namentlich unter dem Kaiser Iustinian (s. d.) bei dem berüchtigten Nikaaufruhr des J. 532, bei dem auch das Heer von der Parteiung ergriffen wurde; Gregor. Nazianz. orat. 27 Ende. Codin. de antiqu. Constant. p. 26. Theophan. chron. p. 154ff. 202. Procop. de bello Pers. I 24; hist. arc. p. 21. 31ff. 40ff. Chron. Pasch. p. 336. Cedren. p. 369. Die Parteien hießen in Konstantinopel δῆμοι (vgl. populus Hist. aug. Ver. 6) oder μέρη, die Parteigenossen οἱ δημόται oder auch ὁ λαός. Jede der beiden Hauptparteien zerfiel in zwei Abteilungen, in die περατικοί d. h. die aus den Vorstädten und in die πολιτικοί d. h. die aus der Stadt, die jenen aber an Ansehen nachstanden. Bei feierlichen Gelegenheiten trugen die Parteigenossen das Kriegskleid (τὸ σάγιον) in der Farbe ihrer Partei. Die Vorsteher der Parteien hießen δήμαρχοι, die der beiden vorstädtischen auch δημοκράται. Sie waren zugleich Befehlshaber der kaiserlichen Leibwache und wurden vom Kaiser gewählt, ebenso wie deren Stellvertreter, οἱ δευτερεύοντες. Die γειτονίαρχοι scheinen die Aufsicht über die in der Nähe des Hippodroms gelegenenen Grundstücke der Parteien (γειτονίαι?) gehabt zu haben. Mit νοτάριος ἤτοι χαρτουλάριος (wohl gleichbedeutend mit κομβινογράφος) wird der Schreiber der Partei bezeichnet. Daneben gab es den ποιητής und den μελιστής (Liedermeister), die μαίστορες und die βικάριοι (Stellvertreter, über deren wohl mehr zum byzantinischen [1957] Hofzeremoniell gehörige Tätigkeit wir auf Vermutungen angewiesen sind. Die κρακτικοί (Rufer) hatten die Beifallsrufe (ἀκτολογίαι) anzustimmen.[WS 2] Dem ὀρχηστής lag es ob, die Pantomimen einzustudieren, solange solche überhaupt von den Parteien aufgeführt wurden. Zu diesen angeseheneren Beamten gesellte sich noch ein ganzes Heer untergeordneter mit den verschiedensten Bezeichnungen, Constant. Porphyrogen. de caerim. aul. Byz. an vielen Stellen; dazu Reiskes Kommentar p. 28 u. Index.
Literatur: O. Panvinius De ludis circens. I 10. J. C. Bulengerus De ciro Rom. ludisque circens. XLVIII. XLIX (beide in Graevii Thesaur. antiqu. Rom. IX, Leyden 1699). Wilken Die Parteien der Rennbahn, vornehmlich im byzantinischen Kaisertum, Berlin 1827 (ein Auszug daraus in Raumers Histor. Taschenbuch I 295ff.). Friedländer Die Circusparteien der Kaiserzeit, N. Jahrb. f. Philol. LXXIII 745ff.; Sitt.-Gesch. II⁶ 336ff.; in Marquardt-Wissowa Röm. Staatsverw. III² 517ff. Daremberg-Saglio Dictionn. des antiqu. I 1198ff.
[Pollack.]
Anmerkungen (Wikisource)
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Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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