140) Fabius Rusticus, römischer Geschichtschreiber. Quellen: Ihn nennt Tacitus viermal (Agric. 10; ann. XIII 20. XIV 2. XV 61) als Gewährsmann; Tacitus bedient sich immer beider Namen Fabius Rusticus, nur XIII 20 nennt er ihn auch einmal im Zusammenhang F. Auf ihn bezieht man (so auch Schanz) CIL VI 10229[1] Z. 23 (Testament des Dasumius), wo ein Rusticus neben Tacitus und Plinius mit einem Legat bedacht wird; ferner Plinius ep. 29, einen Brief an einen älteren Kollegen in der Schriftstellerei (C. Plinius Rustico suo s.); anders Prosop. imp. Rom. II 51f. nr. 52.
Leben. Fabius Rusticus stammte vermutlich aus Spanien; dafür sprechen seine nahen Beziehungen zu dem aus Spanien gebürtigen Philosophen Seneca, der ihn offenbar als seinen Landsmann förderte, ferner der Umstand, daß Fabii Rustici in Spanien nachweisbar sind (CIL II 2015.[2] 1070). Durch die Freundschaft mit Seneca kam er empor, er vergalt diese aber durch so große Bewunderung, daß ihn darob Tacitus, wenn auch schonend, tadelt (XIII 20 sane Fabius inclinat ad laudes Senecae, cuius amicitia floruit). In dem aus dem J. 108 n. Chr. stammenden Testamente des Dasumius wird er als lebend erwähnt; da seit Senecas Tod (65) bis dahin 43 Jahre verflossen waren, muß er damals schon im Greisenalter gestanden haben.
Schriftstellerei. Soweit sich sicher urteilen läßt, hat F. die neronische Zeit behandelt; in Tacitus Annalen wenigstens wird er nur für Ereignisse aus Neros Regierung als Gewährsmann genannt; nach XIII 20 hat er erzählt, daß Burrus um die Umsturzpläne der Agrippina gewußt hat und nur durch die Fürsprache Senecas in seiner Stellung belassen wurde. Tacitus weist es zurück, daß Burrus überhaupt damals dem Kaiser verdächtig wurde, und sieht in des F. Bericht nur eine unbeglaubigte Darstellung, die den Einfluß Senecas zeigen soll, auch dort, wo er nicht vorhanden war. Ist XIII 20 ein Beweis dafür, daß F. ganz im Gegensatz zu anderen gleichzeitigen Historikern (Cluvius und Plinius dem Älteren, vgl. Gercke, s. u.) die Darstellung im Sinne Senecas färbte, so ersieht man aus XIV 2 die antineronische Tendenz des Fabischen Geschichtswerkes. XIV 2 ergibt nämlich, daß F. allein berichtete, daß nicht Agrippina den Sohn zum Inzest verführen [1866] wollte, sondern nur dem heftigen Verlangen Neros Folge gegeben hat. Endlich wird in der Schilderung vom Tode Senecas XV 61 F. für ein Detail als Quelle angeführt: der Tribun, der dem Philosophen das Todesurteil überbringen soll, fragt bei dem Praefecten Faenius an, ob er den Befehl Neros ausführen soll, schreckt also davor zurück, den Philosophen so ohne weiteres sterben zu lassen. Und so hat denn Gercke 269 mit gutem Recht die den Tod Senecas glorifizierende Darstellung des Tacitus XV 60–65 auf F. zurückgeführt.
Für die Zeit Neros paßt nun auch Agric. 10, wo es im Exkurs über Britannien heißt: formam totius Britanniae Livius veterum, Fabius Rusticus recentium eloquentissimi auctores, oblongae scutulae vel bipenni adsimulavere. Diese Ansicht widerlegt Tacitus auf Grund der 83 oder 84 erfolgten Umsegelung Britanniens. F. kann recht gut an der Stelle, wo von den Feldzügen des Suetonius Paulinus in Britannien (59–61) die Rede war, seinen Exkurs über Britannien eingelegt haben. Wegen der dem Seneca freundlichen Darstellung hält es Gercke für möglich, daß F. vielleicht nur eine ausführliche laudatio Senecae publiziert hat. Doch abgesehen davon, daß für eine solche Monographie ein Exkurs über Britannien nicht paßt, zeigt die Zusammenstellung mit Livius (Agric. 10), daß F. doch ein groß angelegtes Geschichtswerk geschrieben hat. So scheint es begründeter, wenn Gutschmid gelegentlich vermutete, F. habe das Werk des älteren Seneca fortgesetzt, zumal wenn man bedenkt, daß erst der jüngere Seneca, der Gönner des F., dieses Werk des Vaters aus dessen Nachlaß publiziert hat. Es läßt sich gut denken, daß Seneca den jugendlichen Freund zur Fortsetzung des Werkes angeregt hat.
Von dem Werke des F. muß ein Teil bereits nach Domitians Tod (96) publiziert gewesen sein, wie die Benützung durch Tacitus in dem bald nach Domitians Tod geschriebenen Agricola zeigt; die dort c. 10 angeführte Stelle weist sogar vor das J. 83 oder 84; denn wäre die Schrift nach diesem Jahre verfaßt, so hätte F. so gut wie Tacitus die Ergebnisse der neuerlichen Umschiffung Britanniens verwerten können.
Da F. im J. 108 lebte, so meint Groag, daß er noch bis zu dieser Zeit oder nahe daran literarisch tätig gewesen ist. Von dieser Voraussetzung ausgehend nimmt er an, F. habe nicht nur die neronische Zeit, sondern auch das Vierkaiserjahr behandelt und sei so die gemeinsame Quelle für die Historien des Tacitus und für Plutarchs Biographien des Galba und Otho, ,eine Fortführung der Ereignisse bis in die Zeit, da durch die Tötung des Vitellius das Kaiserhaus, unter dem F. schrieb, zur unumstrittenen Herrschaft gelangte, gebe einen effektvolleren Abschluß‘. Nun hat aber Borenius gezeigt, daß die Übereinstimmung zwischen Tacitus und Plutarch doch durch die Annahme, Plutarch habe auch den Tacitus benützt, ihre beste Erklärung finde; auch bietet Neros Tod für den, der die neronische Zeit erzählt, einen recht passenden Abschluß. Die nicht unbegründete Voraussetzung, F. sei auch nach 83/84 bezw. 98 schriftstellerisch tätig gewesen, zwingt übrigens auch gar nicht zur Annahme, er [1867] habe sein Werk über die Zeit Neros hinausgeführt, sondern legt nur die Vermutung nahe, es sei das Werk nicht auf einmal, sondern partienweise veröffentlicht worden. War es sogar erst gegen 108 ganz vollendet, so konnte es noch immerhin von Tacitus in den Annalen benützt werden.
Zurückzuweisen ist es ferner, wenn Seeck meint, Tacitus habe in seinen Historien eine Fortsetzung des, wie er annimmt, mit 31. Dezember 68 schließenden annalistischen Geschichtswerkes des Fabius Rusticus gegeben und die Historien ursprünglich a fine Fabii Rustici betitelt. Man hat endlich (so Nordmeyer Schedae philologae H. Usener oblatae, Bonn 1891) F. als Quelle für die unter dem Namen des Seneca überlieferte Praetexta Octavia vermutet; indes hat Ussani (Riv. di Fil. 1905, 449) gezeigt, daß die Octavia vor der Veröffentlichung dieses Geschichtswerkes geschrieben sei, und Ladek (Ztschr. f. österr. Gymn. LVI 673f.), daß der Verfasser der Octavia von den uns als Quellenschriftstellern des Tacitus bekannten Historikern völlig unabhängig ist.
Würdigung. Das namenlose Stilurteil Quintilians X 1, 104 superest adhuc, exornat aetatis nostrae gloriam vir saeculorum memoria dignus, qui olim nominabitur, nunc intellegitur haben Mommsen und andere auf F. bezogen, vermutlich mit Rücksicht auf das dem F. von Tacitus gespendete Lob (Agric. 10). Diese Vermutung ist jedenfalls wahrscheinlicher als die Groags (788), es sei von Quintilian der Kaiser Domitian gemeint worden; diesen nicht mit Namen zu nennen, lag gar kein Grund vor, zumal Quintilian X 1, 91 ihn bei ähnlichem Anlasse namentlich anführt. Zu erwähnen ist freilich Gerckes Gegengrund (263), Quintilian habe wegen seiner Gegnerschaft mit Seneca einen Autor, der diesen Mann so sehr verherrlicht hat, nicht loben können.
Literatur: Prosop. imp. Rom. II 51 nr. 52. Peter Hist. Rom. frg. 316; Die geschichtliche Literatur über die römische Kaiserzeit II 40. Teuffel-Schwabe Röm. Lit. II5 314, 4. Schanz Röm. Lit. II2 2, 257, ferner in Einzeldarstellungen: Fabia Les sources de Tacite dans les Histoires et les Annales. Paris 1893. Gercke Jahrb. f. Philol. Suppl. XXII (1896) 262. Groag ebd. XXIII (1897) 787. Borenius De Plutarcho et Tacito inter se congruentibus. Helsingfors 1902. Seeck Rh. Mus. LVI (1901) 227.
[Kappelmacher.]
Anmerkungen (Wikisource)
Corpus Inscriptionum Latinarum VI, 10229.
Corpus Inscriptionum Latinarum II, 2015.
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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