137) M. Fabius Quintilianus, der Rhetor.
Seine Lebensbeschreibung fand sich bei Suetonius de rhetoribus und zwar, wie aus dem erhaltenen index rhetorum erhellt (p. 99 Reiffersch.)‚ an zweitletzter Stelle. Aus dieser uns verlorenen Vita entnahm Hieronymus zu Euseb. chron. zwei Notizen (s. u.). Den vollständigen Namen wie oben geben die Hss. der Institutio oratoria (ebenso der größeren und der kleineren sog. Quintilianischen Deklamationen, s. u. S. 1862), sodann Suetonius im Index rhetorum (s. o.) und aus Sueton Hieronymus zu Euseb. chron. a. 2084. Bei seinen Zeitgenossen und später bei seinen Fachgenossen [1846] (den Rhetoren) und Fachverwandten (den Grammatikern) u. a. heißt er fast ausnahmslos nur Quintilianus; doch Marcus Quintilianus in einem Elfsilbler des Apollin. Sidon. carm. 9, 317 und mit dem Geschlechtsnamen Fabius allein bei Ausonius an der gleich unten angeführten Stelle und bei Hieronymus ad Pammachium de morte Paulinae (Migne L. XXII 644): felices, inquit Fabius, artes essent, si de illis soli artifices iudicarent. Die sprachlich ältere Form des Namens Quinctilianus (überliefert auf Münzen und Inschriften z. B. Babelon Monn. de la républ. rom. II 257 nr. 2. CIL I² p. 29 [Fasti Cap.]. VI 2028 d [Acta Arv.]; vgl. quinctus, Quinctius, Quinctilius u. a.) ist für den Rhetor ganz ungenügend bezeugt. Sie scheint schon im Laufe des 1. christlichen Jhdts. allmählich abgekommen zu sein, und Quintilian hat entsprechend seinen sonstigen Grundsätzen dieser altfränkischen Form gewiß nicht seinerseits zu längerem Leben verholfen.
Gebürtig war Quintilian aus Calagurris in Hispania Tarraconensis; Sueton bei Hieronymus zu Euseb. chron. a. 2104 nennt ihn ex Hispania Calagurritanum; vgl. Auson. XVI (prof. Burdig.) 2, 7 p. 56 Sch. adserat usque licet Fabium Calagurris alumnum (s. ebd. 2, 2. 16); ferner Hieron. contra Vigilantium (Migne L. XXIII 340) iste caupo Calagurritanus et in perversum propter nomen viculi mutus Quintilianus miscet aquam vino. Von den beiden Ortschaften dieses Namens in jener spanischen Provinz (s. Bd. III S. 1327), Calagurris Nasica (heute Calahorra) und Calagurris Fibularensis (Plin. n. h. III 24), hat die erstere, die bedeutendere von beiden, ein römisches Municipium, den nächsten Anspruch die Geburtsstadt Quintilians zu heißen. Erwähnungen seiner spanischen Heimat oder Anspielungen darauf finden sich nicht in Quintilians Werk. Er wehrt z. B. I 5, 57 fast sorglich ab vom spanischen Latein etwas aus eigener Kunde zu sagen: ,gurdos‘, quos pro stolidis accipit vulgus, ex Hispania duxisse originem audivi; vgl. auch I 5, 8. Und wenn Quintilian öfters die Worte pandus und pandare braucht, die sich nicht selten im spanischen Latein finden (E. Wölfflin Arch. f. lat. Lexikogr. I 336), so ist so viel sicher, daß Quintilian, der sich auf Sprache und Sprachgebrauch verstand, diese Worte als gut stadtrömisch ansah und sie vermieden hätte, wenn er an ihnen irgend eine provinzielle Färbung empfunden. Freilich F. Filelfo getraute sich in einem Briefe 1440 (vgl. G. Voigt Wiederbeleb. d. klass. Altertums I³ 464) von Quintilian zu schreiben: sapit hispanitatem nescio quam, hoc est barbariem plane quandam!.
Quintilians Vater wird IX 3, 73 erwähnt: et cur me prohibeat pudor uti domestico exemplo (eines glücklichen Wortspiels)? pater meus contra eum qui se legationi immoriturum dixerat usw. Gewöhnlich glaubt man den Vater Quintilians auch bei Seneca controv. X pr. 2 erwähnt. Dort wird ein Quintilianus senex als Declamator abschätzig genannt und seine Besprechung abgelehnt: pertinere ad rem non puto . . . quo modo L. Asprenas et Quintilianus senex declamaverit: transeo istos quorum fama cum ipsis extincta est. Trotzdem wird von Seneca ebd. X 4, 19 eine Sentenz dieses Quintilian angeführt, also wohl [1847] aus dessen jüngerer Zeit, als er noch nicht durch Alter geschwächt war. Seneca stand im hohen Greisenalter, als er – in den dreißiger Jahren des 1. christlichen Jhdts. – jenes Werk schrieb. Er spricht von längst vergangenen Zeiten (vgl. contr. I pr. 3ff.) und von jenem Quintilian als einem Greise und als einem zur Zeit, da er selbst schrieb, Verstorbenen. Nun fällt aber die Geburt des Verfassers der Institutio oratoria etwa in die Mitte eben jener dreißiger Jahre (s. u.); demnach kann jener bei Seneca erwähnte Declamator nicht der Vater unseres Quintilian sein (M. Bonnet). Möglicherweise war er, wie öfters angenommen worden ist, dessen Großvater. Dann hätte sich der Beruf des Rhetors durch drei Geschlechter in der Familie vererbt.
Die Lebenszeit Quintilians läßt sich nicht nach Geburts- und Todesjahr feststellen, aber doch ziemlich genau umgrenzen. Am weitesten zurück führen die Notizen VI 3, 57 nobis pueris Iunius Bassus, homo in primis dicax ,asinus albus‘ vocabatur und X 1, 24 nobis pueris insignes pro Voluseno Catulo Domitii Afri, Crispi Passieni, D. Laelii orationes ferebantur. Aber aus diesen Stellen können wir jetzt nur noch so viel erschließen, daß, da der genannte D. Laelius Balbus (vgl. Prosopogr. imp. Rom. II 260 nr. 28) im J. 37 mit der deportatio in insulam bestraft wurde (Tac. ann. VI 48), jener Prozeß des Volusenus Catulus spätestens in jenem J. 37 stattfand; was aber natürlich nicht ausschließt, daß jene Reden noch längere Zeit nachher in Ruf standen. Bestimmteres lehren die Stellen V 7, 7 Domitium Afrum (s. u. S. 1848) adulescentulus senem colui. X 1, 86 (vgl. 118) verba quae ex Afro Domitio iuvenis excepi (vgl. noch I 5, 24, wo Quintilian auch den Domitius im Sinn hat, ,Atreus‘ nobis iuvenibus doctissimi senes acuta prima dicere solebant). Da Cn. Domitius Afer (s. o. Bd. V S. 1318) in sehr hohem Alter (Quintil. XII 11, 3) im J. 59 n. Chr. (Tac. ann. XIV 19) starb, so wird Quintilian um das J. 35 n. Chr. geboren sein, und damit stimmt VI 1, 14 egregie nobis adulescentibus dixisse accusator Cossutiani Capitonis videbatur. Denn der Prozeß des Capito fällt ins J. 57 (Tac. ann. XIII 33. Prosopogr. imp. R. I 475). Jenem Ansatz seiner Geburt widerspricht nichts, was wir sonst beibringen können, weder daß Quintilian den vorzüglich aus Tacitus Dialog bekannten Iulius Secundus seinen Altersgenossen und vertrauten Freund nennt (X 3, 12), noch daß Quintilian in Suetons rhetores (s. deren Index p. 99 Reiffersch.) unmittelbar nach Sex. Iulius Gabinianus (Teuffel R. Lit.-Gesch. § 315, 2) behandelt war, dessen Blütezeit Sueton bei Hieronymus zu Euseb. a. 2092 = 76 n. Chr. ansetzt: Gabinianus celeberrimi nominis rhetor in Gallia docuit. Vgl. noch V 13, 48 quod factum venuste nostris temporibus elusit Vibius Crispus (lebte etwa J. 10–90 n. Chr.). II 8, 14 ille, quem adulescentes senem vidimus, Nicostratus utroque certamine [luctandi pugnandique) isdem diebus (an den Olympien der Ol. 204 = 40 n. Chr.; vgl. J. H. Krause Olympia 335) coronabatur. VIII 3, 31 memini iuvenis admodum inter Pomponium et Senecam (Teuffel R. Lit.-Gesch. § 290, 5) etiam praefationibus esse tractatum an usw.
[1848] Was wir von der Ausbildung Quintilians erfahren, weist nicht auf Spanien, sondern auf Rom hin, wie sich denn Quintilian überhaupt ganz als Römer fühlt und gibt (s. z. B. I 10, 14 und o. S. 1846). Seit seinem Knaben- und Jünglingsalter (s. die oben angeführten Stellen) war er in Rom. Besonders schloß er sich hier dem Domitius Afer aus Nemausus (s. o. Bd. V S. 1318) an. Wenn Quintilian X 5, 19 dem Jünger der Beredsamkeit den Rat gibt oratorem sibi aliquem deligat quem sequatur, quem imitetur, so riet er an, was er selbst gegenüber Afer getan hatte. Ihn verehrte er aufs höchste; die Anhänglichkeit des Schülers übersah dabei den bedenklichen Charakter des Lehrers. Vgl. V 7, 7 sufficiebant alioqui libri duo a Domitio Afro in hanc rem (die Zeugenbefragung) compositi, quem adulescentulus senem colui, ut non lecta mihi tantum ea, sed pleraque ex ipso sint cognita. X 1. 118. XII 11, 3 und besonders was Plinius ep. II 14. 10 seinen Lehrer Quintilian erzählen läßt: adsectabar Domitium Afrum usw. Außerdem nennt Quintilian den M. Servilius Nonianus († 59 n. Chr. Tac. ann. XIV 19) als seinen Lehrer X 1, 102 Servilius Nonianus, qui et ipse a nobis auditus est. Endlich bezeichnen die Scholien zu Iuven. 6, 452 den Remmius Palaemon als magister Quintiliani oratoris. Möglicherweise ist diese Notiz aus Suetons Leben des Quintilian geschöpft. Bei Quintilian selbst findet sich nur eine ziemlich kühle Erwähnung des Palaemon, die auf nähere Beziehungen nicht schließen läßt, I 4, 20 alii tamen ex idoneis dumtaxat auctoribus . . . ut Aristoteles et aetate nostra Palaemon. Die von manchen auf Palaemon bezogene höfliche Wendung I 6, 35 cuius etymologiae (stella = luminis stilla) auctorem clarum sane in litteris nominari in ea parte, qua a me reprehenditur, inhumanum est kann ihm nicht gelten, da Quintilian von einem noch Lebenden spricht, Palaemon aber, als Quintilian schrieb, längst gestorben war (Teuffel R. Litt.-Gesch. § 282, 3). Die hauptsächlichsten Redner, die Quintilian erlebt, die er studiert, an denen er zur Empfehlung oder Warnung seine Beobachtungen gemacht hat, nennt er zusammenfassend XII 10, 11 in iis etiam quos ipsi vidimus copiam Senecae († J. 65), vires Africani († etwa zwischen J. 60–70), maturitatem Afri († J. 59; vgl. X 1, 118 eorum quos viderim Domitius Afer et Iulius Africanus longe praestantissimi), iucunditatem Crispi († hochbejahrt ums J. 90), sonum Trachali (cos. J. 68), elegantiam Secundi (s. o. S. 1847) reperiemus.
Über die Anfänge seiner Tätigkeit als Redner, Sachwalter und als Lehrer der Beredsamkeit ist nichts überliefert. Nur die Notiz aus Sueton bei Hieronymus zum J. 2084 = 68 n. Chr. M. Fabius Quintilianus Romam a Galba perducitur läßt uns schließen, daß Quintilian nach Vollendung seiner Studien in Rom nach seiner Heimat Spanien zurückkehrte, dort bald Ansehen gewann, dem Ser. Sulpicius Galba, der seit dem J. 60 acht Jahre lang Statthalter von Hispania Tarraconensis war (Prosopogr. I. R. III 286), persönlich bekannt wurde, und daß dann Galba als Kaiser den Quintilian bewog, nach Rom zurückzukehren. Wo Quintilian vorher in Spanien sich [1849] niedergelassen und gewirkt hatte, steht dahin, ob in seiner wenig bedeutenden Vaterstadt Calagurris oder etwa in der seit Augustus mächtig aufgeblühten Provinzialhauptstadt Tarraco. Hier konnte er leicht die Aufmerksamkeit des Statthalters auf sich ziehen. Besonders wichtig zur Beurteilung der Stellung, welche Quintilian später als Lehrer in Rom einnahm, ist die Notiz des Hieronymus zum J. 2104 = 88 n. Chr. Quintilianus ex Hispania Calagurritanus primus Romae publicam scolam et salarium e fisco accepit et claruit, welche Cassiodor chron. p. 139 Mommsen (Mon. Germ. Auct. antiquiss. XI 2) wörtlich aus Hieronymus – nur läßt er Calagurritanus aus – wiederholt. Man erkennt aus der Tatsache, daß man sich damals zuerst entschloß, öffentliche Schulen einzurichten und öffentliche Gelder zur Besoldung von Lehrern auszuwerfen, zugleich, in welchem Ansehen der stehen mußte, zu dessen gunsten eine solche Neuerung eingeführt wurde. Nur kann das J. 88, dem Hieronymus jene Notiz beigeschrieben hat, nicht das richtige sein, auch nicht das J. 93, welchem Cassiodor, in der Zuteilung des von Hieronymus Entnommenen an bestimmte Consulate oft sehr willkürlich, die Notiz des Hieronymus beisetzt: His conss. (nämlich Pompeio Collega et Priscino oder, wie Cassiodor nach Victorius Aquitanus sie fehlerhaft nennt, Silvanus et Priscus) Quintillianus ex Hispania primus Romae usw. Den Weg zur richtigen Erklärung zeigt Suet. Vesp. 18 primus e fisco Latinis Graecisque rhetoribus annua centena (= sestertia centena milia = gegen 22 000 Mark) constituit. Hier ist gewiß in erster Reihe Quintilian gemeint. Danach fällt jene Anstellung Quintilians unter die Regierung Vespasians und nicht erst Domitians. Da nun Quintilian I pr. sagt, er sei nach 20jähriger Tätigkeit in den Ruhestand getreten (post impetratam studiis meis quietem, quae per viginti annos erudiendis iuvenibus impenderam), so wird bei Hieronymus eine Verwechslung der Zeit des Amtsantritts mit dem Zeitpunkt der Pensionierung Quintilians vorliegen. Die Auskunft Reifferscheids (Suet. rell. p. 129, wieder vorgetragen von F. Vollmer Rh. Mus. XLVI 348) bei Hieronymus qui vor primus einzuschieben und das et vor claruit zu streichen, ist nicht annehmbar, weil auch für claruit der Zeitansatz ungewöhnlich spät wäre. Es ist nicht zu ändern, sondern, wie in anderen Fällen, eine Flüchtigkeit des Hieronymus zu vermuten, übrigens wird es geraten sein, jene im Leben Quintilians bedeutungsvollen Jahre 68 und 88 nicht für durchaus sicher überliefert zu erachten. Da man wußte, daß Galba den Quintilian zur Rückkehr nach Rom bewogen hatte, lag es nahe, die Rückkehr des Quintilian an die Übernahme des Principats durch Galba zeitlich anzuknüpfen, also ins J. 68 zu setzen, und da man bei Quintilian las, daß er nach zwanzigjähriger Amtsführung sich zurückgezogen habe, so kam Sueton auf das J. 88, das nun freilich durch den Irrtum des Hieronymus zum Jahr der Amtsübernahme geworden ist. Da Vespasian als Kaiser erst gegen Mitte des J. 70 nach Rom kam (Clinton Fasti Rom. p. 58), so ist wohl die förmliche Anstellung Quintilians frühestens in dieses Jahr zu setzen. Aber ehe ihm jene ungewöhnliche [1850] Anstellung zu teil werden konnte, mußte Quintilian sich in Rom hervorgetan haben, und so gewinnt jene Nachricht volle innere Wahrscheinlichkeit, daß Quintilian auf Anregung Galbas in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre seine Lehrtätigkeit in Rom aufgenommen hat.
Als Quintilian schon sein Amt und seinen Beruf praktisch auszuüben aufgegeben hatte (s. auch II 12, 12 quando et praecipiendi munus iam pridem deprecati sumus et in foro quoque dicendi) und in der Zeit, während er sich der Abfassung seiner Institutio oratoria widmete, übertrug ihm Domitian den Unterricht seiner Großneffen: IV pr. 2 cum mihi Domitianus Augustus sororis suae nepotum delegaverit curam. Ebendarauf beziehen sich die Worte VI pr. l: haec .. . novissime paene etiam necessitate quadam officii delegati mihi sedulo laborabam. Die Schwester Domitians Flavia Domitilla (s. Prosopogr. imp. (Rom. II 81 nr. 278), deren Gatten wir nicht kennen, hatte eine gleichnamige Tochter (s. Prosopogr. a. a. O. nr. 279), vermählt mit Flavius Clemens (cos. J. 95; kurz darauf – tantum non in ipso consulatu Suet. Dom. 15 – wegen Hinneigung zum Christentum getötet). Letztere hatten zwei Söhne, welche Domitian etiam tum parvulos successores palam destinaverat et abolito priore nomine alterum Vespasianum appellari iusserat, alterum Domitianum (Suet. Dom. 15. Prosopogr. a. a. O. nr. 175 u. 262). Sie waren die Schüler Quintilians. Diese Stellung als Prinzenlehrer brachte dem Quintilian auch äußere Ehren, nämlich die Ornamenta consularia. Auson. grat. act. 7, 31 p. 23 Sch. Quintilianus consularia per Clementem ornamenta sortitus honestamenta nominis potius videtur quam insignia potestatis habuisse. Danach hat Clemens, der Vater jener Schüler Quintilians, die Verleihung dieser Ehrenrechte an Quintilian beim Senat vorgeschlagen und erwirkt (vgl. G. Bloch De decretis functorum magistratuum ornamentis, Paris 1883, 63), und zwar zwischen den J. 92–95 (s. u.). Auf diese Rangerhöhung Quintilians deutet gewiß die nicht lange nach jener Ehrenerweisung erfolgte bittere Bemerkung des gewesenen römischen Praetors Valerius Licinianus, der verbannt in Sizilien als Rhetor sein Leben fristete, bei Plin. ep. IV 11, 2 quos tibi, Fortuna, ludos facis? facis enim ex senatoribus professores, ex professoribus senatores? Und wenn Iuvenal 7, 197 etwa um das J. 120 schreibt: si Fortuna volet, fies de rhetore consul, si volet haec eadem, fies de consule rhetor, so klingen diese Worte deutlich an die des Licinianus an, und er denkt um so gewisser zunächst an Quintilian, als er kurz vorher in derselben Satire v. 186. 189 den Quintilian namentlich genannt hat. Von allen bei Sueton de rhetoribus genannten Fachgenossen hatte, soviel wir sehen, nur Quintilian jene Auszeichnung erlangt, diese mußte also in weiten Kreisen größtes Aufsehen erregen. Auch in der Einleitung zu der Schrift de rhetoribus deutet Sueton gewiß auf Quintilian hin, c. l adeoque floruit rhetorica ut non nulli ex infima fortuna in ordinem senatorium atque ad summos honores processerint. Wie Quintilian durch die ihm gewährte äußere Stellung weit über seine Fachgenossen hervorragte, so war er auch über sie hinausgehoben durch seinen Reichtum, [1851] den ihm seine Lehrtätigkeit, besonders wohl sein Amt als Prinzenlehrer eingebracht hatte; diesen Reichtum erwähnt– als eine Seltenheit bei einem Rhetor – Iuven. 7, 188 unde igitur tot Quintilianus habet saltus? Vielleicht spielt auch Martial in dem unten angeführten Epigramm versteckt auf den Gegensatz an in der äußeren Lebenshaltung zwischen Quintilian und ihm selbst.
Quintilian heiratete erst spät (um J. 81?) eine junge Frau, welche ihm zwei Söhne schenkte; aber Frau und Kinder starben vor ihm; zuerst die Frau in ihrem neunzehnten Lebensjahre (ums J. 87?), dann nach einigen Monaten der jüngere fünfjährige Sohn, zuletzt nach langer Krankheit der ältere neun Jahr alt (um J. 91?); s. VI prooem. Auch aus den Familienverbindungen, in denen Quintilian stand, erkennt man das Ansehen, das er sich zu erwerben gewußt hatte. Ein Schwager Quintilians war Praetor, und jener ältere Sohn Quintilians war, als er starb, bereits von einem Consularen adoptiert und von jenem Schwager zu seinem Schwiegersohn ausersehen gewesen (VI pr. 13; vgl. IV pr. 1). Von Zeitgenossen erwähnen Martial, der jüngere Plinius und Iuvenal den Quintilian; Martial schickt (im J. 86) ein Epigramm, das von einigem Verkehr zwischen den beiden Landsleuten zeugt, an Quintilian, den er anredet II 90, 1 Quintiliane, vagae moderator summe iuventae, Gloria Romanae, Quintiliane, togae. Dagegen sprechen Plinius und Iuvenal, wie schon aus der Art der Erwähnung erhellt, von Quintilian als einem schon Verstorbenen, jener ep. II 14, 9ff. (ums J. 100) und VI 6, 3 (ums J. 110?), dieser (nach dem J. 116) 6, 75. 280. 7, 186. 189 (s. o. S. 1850f.). Der Quintilianus, welchem Plin. ep. VI 32 einen Beitrag zur Aussteuer einer Tochter übersendet, ist ohne Zweifel ein anderer als der Rhetor.
Entsprechend der ihm von Vespasian verliehenen Stellung war Quintilian in erster Linie Lehrer der Beredsamkeit. Daher nennt er, wo er von seinem Rücktritt spricht, seine Tätigkeit als Lehrer gegenüber derjenigen als Gerichtsredner an erster Stelle (II 12, 12). Als Lehrer hebt ihn Martial a. a. O. besonders hervor; von ihm als Schriftsteller sagt Martial nichts. Denn als Martial jenes Epigramm schrieb, bekleidete Quintilian noch seine Professur, und sein Hauptwerk war damals noch nicht erschienen.
Öfters spricht Quintilian von seinen Schülern, so z. B. III 6, 68 sicut omnes qui me secuti sunt meminisse possunt; I pr. 7 pueri quibus id praestabatur (= für welche dieser zweitägige Vortrag bestimmt war); ebd. boni iuvenes sed nimis amantes mei usw. Als Lehrer wirkte Quintilian ebenso durch Unterricht wie durch Beispiel; er deklamierte selbst öffentlich XI 2, 39: quod (wörtliche Wiederholung von Prosaischem) meae quoque memoriae mediocritatem sequebatur, si quando interventus aliquorum qui hunc honorem mererentur iterare declamationis partem coegisset. Der jüngere Plinius nennt wiederholt den Quintilian seinen Lehrer (s. die oben angeführten Stellen). Daß auch des Plinius Zeit- und Altersgenosse Tacitus Schüler Quintilians war, ist im Hinblick auf dessen Dialogus nicht unwahrscheinlich, aber nicht überliefert (s. o. Bd. IV S. 1584, 40). Ob Iuvenal Quintilians Schüler war, was [1852] L. Friedländer zu Iuvenal S. 16 für unzweifelhaft hält, muß um so eher unentschieden bleiben, als die vermeintliche Zeit jenes Unterrichts (seit J. 90) mit der Zeit von Quintilians Rücktritt vom Lehramt sich sehr nahe berührt und die Tatsache, daß Quintilian mehrfach ,mit Hochachtung‘ bei Iuvenal genannt ist, nicht ausreichen kann, die Eigenschaft Quintilians als Lehrer Iuvenals zu beweisen.
Neben dem Lehramt übte Quintilian auch, gemäß den Anschauungen und Forderungen seiner Zeit, die praktische Tätigkeit als Redner vor Gericht aus. Er spricht öfters von seinen Erfahrungen in dieser Stellung, z. B. ausführlicher IV 2, 86 me certe, quantacumque nostris experimentis habenda est fides, fecisse hoc (narratio und probatio abschnittsweise zu verbinden) in foro, quotiens id desiderabat utilitas, probantibus et eruditis et iis qui iudicabant scio: et (quod, non adroganter dixerim, quia sunt plurimi quibuscum [= mit anderen Rednern auf derselben Seite in gleicher Sache] egi, qui me refellere possint, si mentiar) fere a me ponendae (= narrandae) causae officium exigebatur. Soviel wir sehen können, war Quintilian entsprechend seiner Stellung und seinem Charakter (s. u.) nur als Verteidiger tätig, wie er denn auch die Aufgabe des Verteidigers viel höher wertete als die des Anklägers (s. V 13, 2ff. XII 7, 1ff.). Vgl. IV 1, 19 ego pro regina Berenice (s. o. Bd. III S. 287) apud ipsam causam dixi (in Rom, wo Berenike unter Vespasian und Titus wiederholt länger verweilte). IX 2, 73 ream tuebar .... in foro. VII 2, 5 fuerunt tales etiam nostris temporibus controversiae atque aliquae in meum quoque patrocinium inciderunt. Auch in der folgenden Stelle handelt es sich wohl um die Verteidigung des angeklagten Gatten: VII 2, 24 id est in causa Naevi Arpiniani solum quaesitum, praecipitata esset ab eo uxor an se ipsa sua sponte iecisset. cuius actionem et quidem solam in hoc tempus emiseram (statt des gewöhnlichen emisi ist hier, nach Analogie des Briefstils, das Zeitverhältnis von dem Standpunkt nicht des Schreibenden, sondern des Lesers genommen), quod ipsum me fecisse ductum iuvenali cupiditate gloriae fateor. nam cetera quae sub nomine meo feruntur, negligentia excipientium in quaestum notariorum corruptae minimam partem mei habent. Es hat also Quintilian selbst bis zur Herausgabe der inst. orat. nur jene einzige Gerichtsrede veröffentlicht; auch daraus und aus der Art, wie er über sie spricht, erhellt, daß für Quintilian diese Tätigkeit erst in zweiter Linie stand.
Vor seinem Hauptwerk, der inst. orat., hatte Quintilian eine Schrift über den Niedergang der zeitgenössischen Beredsamkeit veröffentlicht. A. Reuter De Quintiliani libro de causis corr. eloq., Gött. 1887. E. Norden Antike Kunstprosa I 270. Er war mit dieser beschäftigt, als ihm (etwa im J. 88; s. o. S. 1851) der jüngere Sohn starb: VI pr. 3 ita forte accidit ut eum quoque librum, quem de causis corruptae eloquentiae emisi, iam scribere aggressus ictu simili ferirer. Ausdrücklich ist sie mit Namen noch einmal erwähnt VIII 6, 76 sed de hoc satis, quia eundem locum (hyperbolen) plenius in eo libro,[1853] quo causas corruptae eloquentiae reddebamus, tractavimus. Aber ohne Zweifel eben dieselbe Schrift ist auch VIII 3, 58 gemeint: de hac parte (über das κακόζηλον) et in alio nobis opere plenius dictum est et in hoc (der inst, orat.) saepe tractatur et adhuc spargetur omnibus locis und ebenso V 12, 23 haec (die Fehler der heutigen rednerischen Unterweisung) et in alio nobis tractata sunt opere et in hoc saepe repetenda und II 4, 42 an ab ipso (von Demetrios von Phaleron) id genus exercitationis (die Redeübung an erdichteten Rechtsfällen) sit inventum, ut alio quoque libro sum confessus, parum comperi (d. h. wie in der früheren Schrift, so bin ich auch jetzt noch darüber nicht sicher): sed ne ii quidem qui hoc fortissime adfirmant ullo satis idoneo auctore nituntur. Endlich s. namentlich X l, 125 quod accidit mihi (in den Ruf der ungünstigen Beurteilung Senecas zu kommen), dum corruptum et omnibus vitiis fractum dicendi genus revocare ad severiora iudicia contendo. Aus diesen Stellen ergibt sich, was auch schon die ganze Art und Tätigkeit des Quintilian anzunehmen empfiehlt, daß in jener Schrift Quintilian vom Standpunkt des Fachmanns und Technikers, insbesondere auch des Schulhaupts, die Frage des rednerischen Stils erörtert und sich auf die Entwicklung der allgemeineren und tieferen Gründe für die Umgestaltung der Beredsamkeit und ihrer Stellung im Leben kaum eingelassen hat. Letztere Frage hatte nicht lange vorher Tacitus in seinem Dialog (s. o. Bd. IV S. 1571) eingehend behandelt, die Stilfrage aber nur gelegentlich gestreift. Aber Tacitus schrieb nicht wie Quintilian als Rhetor, sondern als weitblickender, die ganze Entwicklung überschauender Schriftsteller, der sich deshalb auch vor einseitiger Parteinahme sorglich hütet und, obwohl er in seiner Schrift durch seinen Stil sich unausgesprochen zu Quintilianischen Grundsätzen bekennt, doch geflissentlich auch andere Anschauungen zu Worte kommen läßt. Quintilian konnte sich durch den Dialog des Tacitus für den Zweck seiner Schrift kaum beengt fühlen; er wird den Tacitus kaum als Bundesgenossen für sich haben in Anspruch nehmen wollen; war doch auch für ihn, der ganz im Beruf als Lehrer des seiner Ansicht nach schönsten und erhabensten Faches aufging, der pessimistische Zug der Taciteischen Schrift, daß die Beredsamkeit sich ausgelebt habe, gewiß sehr unbehaglich. Innerlich fühlte sich Tacitus der Gegenwart und ihren stilistischen Bestrebungen (wie die weitere Ausgestaltung seines Stils zeigt) verwandt, während Quintilian aus seinen klassizistischen, sich besonders an Cicero anlehnenden Anschauungen heraus in der Bemühung seiner Zeit die Rede knapper, schärfer, im Ausdruck gesteigerter und zugespitzter zu gestalten, nur tadelnswerte Manier sehen konnte. Das ist die corrupta eloquentia, die er in seiner Schrift behandelte. Ihre Grundgedanken kehren, wie Quintilian auch selbst andeutet (VIII 3, 58. V 12, 23), oft in der inst. orat. wieder, wenn er z. B. vor dem maßlosen Gebrauch der Hyperbole warnt: non esse debet ultra modum nec alia via magis in cacozeliam itur und auch hier auf die Zeitgenossen hinweist: piget referre plurima hinc orta vitia, cum praesertim minime sint ignota et obscura [1854] (VIII 6, 73ff. 76), oder besonders, wenn er jene κακοζηλία seiner Zeitgenossen geißelt. Die corrupta oratio ist eine Frage des Stils, nicht des Inhalts, sagt Quintilian, und er faßt das in jener Schrift Ausgeführte knapp zusammen in den Worten (VIII 3, 57) corrupta oratio in verbis maxime inpropriis, redundantibus, comprehensione obscura, compositione fracta, vocum similium aut ambiguarum puerili captatione consistit. est autem omne cacozelon utique falsum, etiamsi non omne falsum cacozelon est. Unter den causae der corrupta oratio hob Quintilian besonders hervor die Umgestaltung der Schulrede, die sich ganz dem Leben entfremdet hatte: declamationes olim iam ab illa vera imagine orandi recesserunt atque ad solam compositae voluptatem nervis carent. Gegen diese Beredsamkeit, mochte sie auch der resupina voluptas der Zuhörer behagen, diese eloquentia libidinosa, welche dem Redner non arma, sed tympana in die Hand gibt (V 12, 17ff,), hatte sich Quintilian gewendet und als deren Hauptvertreter den Seneca hingestellt (s. o. S. 1853). Diese Polemik brachte Quintilian in den Ruf, den Seneca damnare et invisum quoque habere, was er eifrig ablehnt (X 1, 125). Er erkenne die glänzenden Vorzüge Senecas an, aber es müsse dabei bleiben in eloquendo corrupta pleraque atque eo perniciosissima quod abundant dulcibus vitiis (X 1, 129). Wenn diese Fehler bei Seneca selbst erträglich waren, weil hier durch erhebliche Vorzüge aufgewogen, so würden sie bei dessen Nachahmern, denen er propter sola vitia placebat, unerträglich. Deshalb trat Quintilian gegen diese corrupta eloquentia auf. Er wollte nicht dulden, daß Seneca den Meistern der Rede vorgezogen würde (potioribus praeferri), die jener unaufhörlich heruntergerissen hatte, in dem richtigen Gefühl, daß sein eigener Stil den Freunden der alten Meister nicht gefallen könne (X 1, 126). Quintilian wendet sich an vielen Stellen aus verschiedenen Gesichtspunkten bald deutlicher bald mehr verhüllt gegen jene modische Schreib- und Redeweise, z. B. XII 10, 73: vitiosum et corruptum dicendi genus, quod aut verborum licentia exultat aut puerilibus sententiolis lascivit aut immodico tumore turgescit aut inanibus locis bacchatur aut casuris, si leviter excutiantur, flosculis nitet aut praecipitia pro sublimibus habet aut specie libertatis insanit. I 8, 9 nos in omnia deliciarum vitia dicendi quoque ratione defluximus. II 3, 9. 5, 10. 22. VIII 3, 7 nemo ex corruptis dicat. X 1, 13 alios recens haec lascivia deliciaeque et omnia ad voluptatem multitudinis imperitae composita delectant. Quintilian bekämpfte in dieser Schrift und in seiner Lehrtätigkeit eine übermächtige Richtung der Zeit und einen Gegner an ihrer Spitze, der an Talent und Originalität ihm selbst weit überlegen war. Quintilian wurde dabei in die nicht gerade dankbare Stellung eines Vertreters und Verteidigers der alten Zeit und Schule gedrängt. Um so mehr verdient es alle Anerkennung, daß seine grundtüchtige Persönlichkeit vermochte als Lehrer den Ciceronianismus, d. h. den schlichteren und einfacheren sprachlichen Ausdruck, noch einmal neu zu beleben und auf dessen Boden eine praktische Wirksamkeit zu entfalten.
Das Hauptwerk Quintilians ist das uns erhaltene [1855] Lehrbuch der Beredsamkeit in zwölf Büchern. Der bestbeglaubigte Titel (so im Ambrosianus am Schluß von Buch I, II, III, IV, VIII) lautet Institutionis oratoriae liber I usw. Im Bern. und Bamb. heißt das Werk institutiones oratoriae und in manchen jüngeren Hss. de institutione oratoria. Gegen keine dieser drei Überschriften ließe sich sachlich etwas einwenden. Zu gunsten der zuletzt genannten könnte man die Worte Quintilians in dem Brief an seinen Verleger Trypho § 1 anführen libros quos ad Marcellum meum de institutione oratoria scripseram. Aber diese Benennung spricht nicht gegen die an erster Stelle aus dem Ambrosianus empfohlene: institutio oratoria, die ausdrücklich noch durch Hieronymus praef. in Abdiam (Migne L. XXV 1098) gesichert wird, der des Quintilian XII libros institutionis oratoriae erwähnt, und Quintilian selbst sagt XI 1, 5 von diesem seinem Werk: nos institutionem professi non solum scientibus ista, sed etiam discentibus tradimus und IV pr. 1 nostra institutio und V 7, 6 quando universam institutionem adgressi sumus. Priscian. I p. 18, 13f. nennt das Werk mit der oben an zweiter Stelle genannten Bezeichnung (Quintilianus in primo institutionum oratoriarum), und ebenso Cassiodor de rhetorica p. 498, 15 Halm (libros Quintiliani duodecim institutionum). Beiden mochte dieser Name um so leichter in die Feder kommen, als beide ihr eigenes Werk, in dem jenes Zitat sich befindet, institutiones nannten. Die institutiones oratoriae des Sulpicius Victor (in Halms Rhet. lat.min. p. 313ff. Teuffel Röm. Lit.-Gesch. § 427, 6) haben keine nähere Beziehung zu Quintilian.
Über die Entstehung des Werkes hören wir aus ihm selbst Folgendes: Quintilian verfaßte es, als er nach zwanzigjähriger Lehrtätigkeit in den Ruhestand getreten war (I pr. 1. II 12, 12 quando et praecipiendi munus iam pridem deprecati sumus et in foro quoque dicendi, inquirendo scribendoque talia consolemur otium nostrum, quae futura usui bonae mentis iuvenibus arbitramur, nobis certe sunt voluptati), ermuntert durch den Zuspruch von Freunden, welche die Meinungen und Erfahrungen des angesehenen langjährigen Lehrers schriftlich festgehalten zu sehen wünschten. Der in guten äußeren Verhältnissen lebende Quintilianus hatte sich bei Zeiten vom Lehramt zurückgezogen, um sich nicht in seinem Beruf zu überleben (II 12, 12 quia honestissimum finem putabamus desinere, dum desideraremur). Er folgte selbst den Grundsätzen, die er in der inst. orat. dem Redner gibt (XII 11, 2ff.), und wenn er dort dem Redner, der sich von der öffentlichen Tätigkeit zurückgezogen hat, unter anderem rät, seine Erfahrungen in einer ars eloquentiae niederzulegen, so begreift man um so leichter, daß sich Quintilian als früherer öffentlicher Lehrer der Beredsamkeit dazu entschloß.
Gewidmet ist das Werk dem Vitorius Marcellus (epist. ad Tryph. 1; inst. orat. I pr. 6. IV pr. 1. VI pr. 1. XII 11, 31). einem angesehenen Redner (Teuffel Röm. Lit.-Gesch. § 326, 8. Prosopogr. I. R. III 455 nr. 519). Freundschaftlich erinnert Quintilian den Marcellus daran, daß das Werk auch dessen jüngerem Sohn dereinst dienen könne, [1856] dem Geta (I pr. 6. IV. pr. 1 mit vollem Namen C. Vitorius Hosidius Geta, Prosopogr. I. R. a. a. O. nr. 518). Und Quintilian selbst glaubte auch, für seinen älteren Sohn – der ihm damals noch nicht durch den Tod entrissen war, s. o. S. 1851 – zu arbeiten, als er das Werk begann (IV pr. 1. VI pr. 1. 2). Wann Quintilian die inst. orat. verfaßte, läßt sich nur ungefähr bestimmen. Da er sie ausdrücklich der Zeit seines Ruhestandes zuweist, so hat er die Arbeit wohl nicht vor dem J. 90 begonnen (s. o. S. 1849). Da ferner Quintilian vor der inst. jene Schrift de causis corruptae eloquentiae verfaßte, die wohl in den Ausgang der achtziger Jahre fällt (s. o. S. 1852), ja vielleicht sogar als ein wissenschaftliches Testament Quintilians angesehen werden sollte, womit er von seinem praktischen Berufe Abschied nahm, ehe er sich ganz davon zurückzog, so kommen wir bis in die ersten neunziger Jahre als den Beginn der Beschäftigung mit der inst. orat. Nun sagt Quintilian selbst (epist. ad Tryph. 1), daß er paulo plus quam biennium auf das Werk verwendet habe, und zwar tot alioqui negotiis districtus, womit er auf die ihm nach seinem Rücktritt vom öffentlichen Lehramt übertragene Erziehung der Prinzen (s. o. S. 1850) hindeutet. Er hatte jene Zeit von reichlich zwei Jahren inquisitioni operis prope infiniti et legendis auctoribus gewidmet und wollte dann, besonders auch behufs der ferneren stilistischen Ausgestaltung (s. stilo a. a. O.), das Werk zurückhalten, ut refrigerato inventionis amore (libros) diligentius repetitos tamquam lector perpenderet. Vgl. was Quintilian selbst X 3, 6 dem Schriftsteller vorschreibt. Er hat es auch bei seinem eigenen Werk für richtig gehalten ab initio sic opus ducere, ut caelandum, non ex integro fabricandum sit (X 3, 18) und bezüglich der emendatio so zu verfahren, wie er X 4, 2 anrät: optimum est emendandi genus, si scripta in aliquod tempus reponantur, ut ad ea post intervallum velut novo, atque aliena redeamus. Endlich aber willigte er auf Drängen des Verlegers Trypho in die Veröffentlichung: si tanto opere efflagitantur libri quam tu adfirmas, permittamus vela ventis et oram solventibus bene precemur (ep. ad Tryph. 3). Danach wird man den Zeitpunkt der Herausgabe etwa in die J. 93-94 setzen dürfen. Genaueres läßt sich nicht bestimmen. Der Versuch F. Vollmers Rh. Mus. XLVI 343 (s. auch denselben in seiner Ausgabe der Silven S. 32), durch Vergleichung von Stat. silv. IV praef. weiter zu kommen, ist nicht geglückt. Daß das Werk noch bei Lebzeiten Domitians († 18. September 96) veröffentlicht worden ist, verbürgen die Erwähnungen und Anreden des Kaisers IV pr. 3–5 und X 1, 91, Gut stimmt mit obiger Ansetzung auch, daß Quintilian auf den von Domitian im J. 86 (Censor. de die nat. 18) eingeführten, alle vier Jahre gefeierten Agon Capitolinus in lateinischer Beredsamkeit (Suet. Dom. 4; vgl. Friedlaender Sittengesch. II⁶ 481) deutlich hinweist, III 7, 4: laudes Capitolini Iovis, perpetua sacri certaminis materia. Ebenso konnten nicht vor dem J. 85–86 die Worte VII 4, 2 si Caesar deliberet ... an Britannia insula (nam tum ignorabatur) geschrieben werden, eher ziemlich viel später; denn die Umschiffung [1857] Britanniens durch Agricola in jenem Jahr (Tac. Agr. 38) erledigte jene Streitfrage. Die Stelle X 1, 90 multum nuper in Valerio Flacco amisimus läßt sich bei dem Mangel anderweitiger genauerer Nachrichten für die Chronologie der inst. orat. nicht verwerten. Lange hat Quintilian die Herausgabe der inst. orat. nicht überlebt. Denn, wie oben schon bemerkt (s. S. 1851), war er um das J. 100 schon gestorben.
Quintilian hat das Werk, wie es allmählich fortschritt, nach Büchern oder größeren Abschnitten dem Vitorius Marcellus (s. o. S. 1855) überreicht, wie die den Büchern I, IV, VI vorgesetzten, an jenen gerichteten Einleitungen zeigen. In den späteren Büchern finden sich solche Anreden in den Einleitungen nicht mehr; dafür wendet sich nochmals am Schlusse des Ganzen in einem kurzen Nachwort der Verfasser an den Marcellus (XII 11, 31). Vor der Herausgabe ist dann das Werk vom Verfasser noch sorgfältig durchgesehen worden. Es macht daher auch äußerlich den Eindruck einer reifen, in allen Teilen ausgeglichenen Arbeit, z. B. in den Vor- und Rückweisungen und im ziemlich gleichmäßigen Umfang der Bücher. Nur Buch IX fällt heraus, da es etwa um ein Drittel größer ist als die übrigen im Durchschnitt, was der Verfasser zu entschuldigen nicht unterläßt (IX 4, 146).
Das Werk gibt eine Anweisung zur Beredsamkeit in wohl erwogener sorgsamer Gliederung in zwölf Büchern, I pr. 25 quidquid utile ad instituendum oratorem putabamus, in hos XII libros contulimus breviter omnia demonstraturi. I pr. 6 non inutiles fore libri videbantur, quos ab ipsis dicendi velut incunabulis per omnes quae modo aliquid oratori futuro conferant artes ad summam eius operis perducere destinabamus. III 8, 42 duodecimo, qui summus futurus est, libro. Das erste Buch behandelt einleitungsweise ea quae sunt ante officium rhetoris (I pr. 21), d. h. die Aufgabe des grammaticus, die erste Erziehung und den ersten Unterricht des Knaben, das zweite prima apud rhetorem elementa et quae de ipsa rhetorices substantia quaeruntur (a. a. O.), Buch III–VI sind der inventio gewidmet, Buch VII der dispositio (Inhaltsübersicht von Buch III–VII s. VIII pr. 1–12). Buch VIII–XI besprechen die elocutio mit Einschluß der memoria und pronuntiatio. Im Anfang von Buch X, wo Quintilian die lectio behandelt, gibt er eine Übersicht der Schriftsteller, deren Lesung für den Redner besonders wichtig ist, X 1, 44 summatim quid et a qua lectione petere possint, qui confirmare facultatem dicendi volent, attingam: paucos (sunt enim eminentissimi) excerpere in animo est. X 1. 104 nos genera degustamus, non bibliothecas excutimus. Dieser Abriß ist als Niederschlag der allgemeinen gelehrten Ansichten des Altertums vom Standpunkt des Rhetors aus über das Verdienst und die Schätzung der hervorragendsten griechischen und römischen Schriftsteller auch heute noch von besonderem Interesse. Endlich folgt Buch XII, in quo nobis orator ipse informandus est et qui mores eius, quae in suscipiendis, discendis, agendis causis ratio, quod eloquentiae genus, quis agendi debeat esse finis, quae post finem studia disseremus (I pr, 22).
[1858] Quintilian will ein möglichst umfassendes, alle Gesichtspunkte gleichmäßig berücksichtigendes Lehrgebäude der Beredsamkeit für die reifere römische Jugend aufrichten, VII 3, 30: quo sit manifestius adulescentibus meis (meos enim semper adulescentes putabo). Die allgemeine Haltung des Werkes ist vornehm. Der Verfasser will nicht als einseitiger und trockener Spezialist seinen Stoff behandeln. Er bestrebt sich vielmehr, ihn mit dem Leben und den Studien der Besten seines Volkes in Beziehung zu setzen, und weiß, um diese zu gewinnen, in seiner Darstellung mäßigen Schmuck wohl anzubringen (s. u. S. 1861). Nicht sowohl selbständige oder als selbständig sich gebärdende Forschung (II 15, 37. 38. III 1, 5. 22. XII 11, 8) hält er für seine Aufgabe, sondern eine wohlüberlegte, kritisch angehauchte Zusammenfassung und Auswahl aus der reichen älteren griechischen und römischen Literatur (III 1, 8ff.) IV pr. 7. V 18, 60 quid ipse sentiam, id est quid clarissimos oratores fecisse videam, non tacebo), eine Auswahl, die er durchweg aus dem Gesichtspunkt der rednerischen Praxis auf der Grundlage seiner langjährigen Lehrerfahrung mit freiem Urteil (II 8, 6) vornimmt. Quintilian ist Praktiker, nicht Theoretiker; den Künsteleien der Theoretiker und den Tüfteleien der Studierstube steht er kühl und abweisend gegenüber (I pr. 24. II 13, 7. 15, 37. III 11, 21. IV 2, 2. IV 12, 15. 13, 59. 14, 27-32. VIII pr. 18); stets empfiehlt er das Einfache, Natürliche, Kraftvolle und verwirft das Gezierte, Schwächliche, Verzwickte. Der Leser überläßt sich gerne der Leitung eines Mannes, der das, was er lehrt, ein Leben lang durchdacht, erprobt, an gegnerischen Anschauungen gemessen und sich klar und sicher gemacht hat, der in seinem Gebiete – was man so selten von den wissenschaftlichen Bemühungen eines Römers sagen kann – gründlich und tüchtig zu Hause ist. Gelegentlich hebt Quintilian kräftig die eigene auf Erfahrung und in der Natur der Sache begründete Ansicht hervor, VI 2, 25ff.; vgl. ebd. 36 haec dissimulanda mihi non fuerunt quibus ipse quantuscumque sum aut fui pervenisse me ad aliquod nomen ingenii credo; vgl. auch II 4, 13f. III 2, 22 non tamen post tot ac tantos auctores pigebit meam quibusdam locis interponere sententiam, neque enim me cuiusquam sectae velut quadam superstitione imbutus addixi et electuris quae volent facienda copia fuit, sicut ipse plurium in unum confero inventa, ubicumque ingenio non erit locus curae testimonium meruisse contentus. VII 1, 23. 29. 31. 33. Den Leser erquickt die ehrliche Begeisterung (I 12, 16 pulcherrima rerum eloquentia), die sich Quintilian für das Fach, dem er sein Leben gewidmet, bewahrt hat, über das hinaus es für ihn nichts Schöneres und Edleres gibt. Überall blickt aus dem Werk das Wohlwollen und die edle Gemüts- und Sinnesart des Verfassers, der mit heiligem Eifer seines Amtes waltet, die innere Befriedigung an der gelehrten Arbeit, die er sich erwählt (II 18, 4), und das redliche Streben, auch unter Verzicht auf früher behauptete oder verteidigte Meinungen vorwärts zu kommen (III 6, 63ff.) - Die Reife und Abgeklärtheit der pädagogischen Anschauungen, welche in dem Werke zu Tage treten, können den heutigen Leser, [1859] der sich die Unzulänglichkeit der modernen Unterrichterei vor Augen hält, nicht selten geradezu verblüffen. Man fühlt in den goldenen Worten, die durch das Werk reichlich zerstreut sind, daß der Verfasser nicht nur mit dem Kopfe, sondern auch mit dem Herzen bei der Sache und bei seinen Schülern ist. Wohltuend berührt auch die Schlichtheit und Bescheidenheit (IX 2, 74; vgl. II 4, 16. XII 11, 8) Quintilians, der, obwohl er als Schulhaupt und als hochangesehener Mann sich fühlen und geben konnte, vielmehr einfache und echte Menschlichkeit hervorkehrt und von aller Gespreiztheit sich frei hält. Bis ins einzelne zeugt sein Buch von naturwüchsigem Urteil und von gesunden Anschauungen; nur ganz selten trifft man auf schulmeisterliche Wunderlichkeit, z. B. wenn Quintilian VIII 2, 16 zu schreiben verbietet visum a se hominem librum scribentem – um die ambiguitas zu vermeiden! Zugleich bewährt sich die Reife des Alters in dem Wohlwollen des Urteils, in dem Zurückdrängen der Polemik und in dem Streben, auch gegenüber dem Gegner gerecht zu bleiben und den Tadel nicht zu übertreiben. Besonders seine Zeitgenossen behandelt Quintilian rücksichtsvoll und ist zu ihrer Anerkennung geneigt; doch geht er der Nennung ihrer Namen gerne aus dem Wege (I 6, 35. III 4, 2. VIII 2, 21. 4, 2. IX 3, 89. X 1, 94. 96. 104). In dem Bilde des durchaus ehrenwerten Mannes von edler Gesinnung, das wir aus der inst. orat. von ihrem Verfasser gewinnen, stört nur der Zug würdeloser Schmeichelei gegenüber dem Kaiser Domitian, die mehrmals aufdringlich vorgebracht wird. Mag sie IV pr. 2 5 noch einigermaßen durch die Dankbarkeit sich entschuldigen lassen, zu welcher Quintilian als neu ernannter Prinzenlehrer sich verpflichtet fühlte: X 1, 91, wo Domitian von Quintilian im übertriebensten und geschmacklosesten Hofton als Dichter verherrlicht wird, zeigt uns den sonst im Urteil so maßvollen und gerechten Mann in einem ganz fremden und ungünstigen Lichte.
Straffe, gerade auf das Ziel losgehende Erörterung des Theoretischen ist nicht Quintilians Stärke, schon darum nicht, weil er immer Lehrhaftes einmischt. Überhaupt ist eine gewisse behagliche Weitläufigkeit, die auch Wiederholungen nicht schwer nimmt, für sein Werk charakteristisch. Vgl. z. B. II 11, 4 und X 3, 15 und XI 3, 160 oder IV 2, 86 und XI 2, 39 oder X 1, 119 und XII 5, 5, auch am Schluß des Ganzen den breit ausgeführten Hinweis auf die Entwicklung der Kunst (XII 10). Diese Weitspurigkeit fühlt Quintilian öfters selbst und entschuldigt sie, z. B. I 12, 19 ; vgl. V 10, 91. Sie mag wohl ebenso aus der Redseligkeit des Alters wie aus der dem Lehrer durch seine Erfahrung nahe gelegten wiederholten Einprägung des Lehrstoffe entsprungen sein. Vgl. XI 1, 5 nos institutionem professi non solum scientibus ista, sed etiam discentibus tradimus ideoque paulo pluribus verbis debet haberi venia. Wiederholung derselben Beispiele aus pädagogischen Gründen IX 4, 44.
Quintilian schätzt die Griechen als Vertreter und Lehrer der Beredsamkeit gebührend hoch, aber er bemüht sich eifrig, auch das Verdienst der Römer in seinem Gebiet hervorzuheben und [1860] es nicht durch vordringlichen Vergleich mit den Griechen schmälern zu lassen. Gegenüber den Vorzügen der griechischen Sprache sucht er wieder und wieder mit patriotischer Wärme die Vorzüge der lateinischen herauszustellen und freut sich, wenn er an Stelle der übermächtigen fremden der eigenen Sprache zur Geltung verhelfen kann (I 5, 63. 64. 70. V 10, 1. VIII 3, 30ff. 6, 31 ff. XII 10, 33ff.). Gerne zitiert er neben den Griechen, die er nicht übergehen kann, die römischen Vertreter des Fachs, vor allen Cicero, auf den er sich immer und immer wieder und von allen Gewährsmännern am häufigsten beruft. Zu ihm blickt er mit Ehrfurcht und schwärmerischer Liebe empor, I 6, 18 quae M. Tullius in Oratore divine ut omnia exequitur. II 5, 20. III 1, 20. 6, 60. V 11, 11. 17. 13, 52 quod sicut omnia in Cicerone praecipuum est. VI 3, 3 sive id recte iudico sive amore immodico praecipui in eloquentia viri labor. XI 3, 184 optime igitur idem, qui omnia, Cicero praeceperat. Besonders siehe den Vergleich Ciceros mit Demosthenes X 1, 105ff. und dort § 112 (Cicero) apud posteros id consecutus est ut Cicero iam non hominis nomen sed eloquentiae hkabeatur. hunc igitur spectemus, hoc propositum nobis sit exemplum, ille se profecisse sciat cui Cicero valde placebit (vgl. I 6, 2). Nur mit Zurückhaltung wahrt sich Quintilian die Selbständigkeit des Urteils gegenüber Cicero, dem er am liebsten immer beistimmen möchte (s. z. B. VII 3, 8. IX 4, 2). Von den Dichtern zitiert Quintilian bei weitem am meisten den Virgil (vgl. auch X 1, 86ff.). Wiederholt mahnt er ab von der kritiklosen Nachahmung der vorklassischen Schriftsteller, von der gesuchten Altertümelei (II 5, 21; vgl. I 6, 20. 39ff.; er zitiert keinen Vers des Plautus, wohl aber manchen des Terenz; vgl. auch X 1, 99), und ebenso weist er die unbedingte Nachahmung der zeitgenössischen Redner zurück (II 5, 22, s. o. S. 1854), ohne indes beider Bildungswert – immer zu maßhaltendem Urteile neigend – zu verkennen. Immerhin hat die ganze Anschauungsweise Quintilians etwas von der Gegenwart Abgekehrtes, er ist in wahrem Sinn ein Laudator temporis acti; er fühlt sich als Nachgeborener der großen Zeit der römischen Beredsamkeit, empfindet lebhaft deren Niedergang und sucht ihm an seinem Teile mit ehrlichem Bemühen entgegenzuarbeiten. Gelegentlich kommen sogar pessimistische Anwandlungen zum Vorschein, als wenn die Gegenwart an geistiger Unfruchtbarkeit leide, X 2, 8 nisi forte nostra potissimum tempora damnamus huius infelicitatis, ut nunc demum nihil crescat; vgl. II 5, 24. Wenn Quintilian auch theoretisch zugibt, daß ein größerer Redner als Cicero noch kommen könne (XII 1, 21), so fühlt man doch seinen Worten an, daß er daran nicht ernstlich glaubt. So soll denn seine Zeit zu dem großen Vorbild der Vergangenheit aufschauen, von ihm lernen, ihm nacheifern.
Diesen Standpunkt bestätigt Quintilians Schreibweise. Quintilian will den Stil seiner Zeitgenossen nach ciceronischem Vorbild so weit disziplinieren, als es damals noch möglich war. Er wirkt durch seine Lehre und sein Beispiel, um die fahrige, künstliche, schillernde Schreibweise seiner Zeit schlichter und sachlicher zu gestalten. Er zeigt auch in diesem Bestreben, wie [1861] frei er von übertriebenen Forderungen ist und wie er das Mögliche mit Geschick und Takt zu erreichen sucht. Die Ergebnisse seiner Lehre liegen vor unseren Augen in des Tacitus dialogus de oratoribus, in den Briefen des Plinius, auch bei Suetonius u. a. Doch verzichtet Quintilian selbst keineswegs auf Anwendung von Schmuck in der Rede. Im Gegenteil bekundet er deutlich die Absicht, seine lehrhaften Auseinandersetzungen durch passenden Schmuck für den Leser anziehend und annehmlich zu machen. Er will admiscere aliquid nitoris und für seine Darlegung iucunditate aliqua lectionis (III 1, 3) gewinnen. Mit Vorliebe verwendet er in diesem Sinn Vergleiche zur Belebung der Rede und bekundet darin ebensoviel Geschmack als umfassende allgemeine und gelehrte Bildung und lebhaftes Interesse für die verschiedensten Seiten des Naturlebens und der menschlichen Tätigkeiten; besonders gerne schöpft er aus dem Gebiete der bildenden Kunst. Quintilian zeigt hier großes Geschick durch solche eingestreute Bilder die eigene Ansicht blitzartig zu erhellen und zu verstärken. Nur selten finden wir uns im Gegensatz zu seinen Anschauungen, wie z. B. II 19, 3 (vgl. L. Friedlaender Sittengesch. III⁶ 316). Gelegentlich läßt er sich freilich von dem Bilde gleichsam gefangen nehmen und führt es ohne Not und zum Schaden der Sache in allzu behaglicher Weitläufigkeit aus. Man vgl. z. B. das schöne Bild von dem bei großer Fahrt mehr und mehr vereinsamenden Schiffe (XII pr. 2–4), wo der Verfasser des Guten entschieden zu viel tut, oder das freilich treffende, aber doch recht ausgeklügelte Bild vom Erzguß (II 4, 7) oder endlich noch am Schluß des Ganzen (XII 10, 3-9) jenen Überblick der Geschichte der griechiseben Malerei und Bildnerei, dessen Fassung mit dem von Quintilian Behandelten so wenig in engerem Gedankenzusammenhang steht, daß man erkennt, wie dem Verfasser hier der Faden aus den Händen entglitten ist.
Quintilian war in der Folgezeit hoch angesehen und wurde von seinen Fachgenossen stark ausgebeutet (s. die Indices zu Halms Rhetores latini und Keils Grammatici latini); vgl. auch Hieron. Migne L. XXII 668: Hilarius, meorum confessor temporum et episcopus (von Poitiers), duodecim Quintiliani libros et stilo imitatus est et numero (in seinem Werk de trinitate; s. Teuffel Röm. Lit.-Gesch. § 418) und Fortunatianus; de rhet. p. 122, 9 Halm, wo Quintilian ohne Namensnennung als vir perfectissimus angeführt wird.
Uns ist die Inst. orat. durch nicht wenige Hss. erhalten. Sie sind bis jetzt noch nicht gehörig ausgenutzt. Nur wenige alte und gute Hss. haben sich erhalten, die sich gegenseitig ergänzen, da keine einzige dieser Hss. das Werk vollständig gibt. Die wichtigsten sind Bernensis 351 s. X und Ambrosianus E 153 sup. s. XI, daneben Parisinus (Nostradamensis) 18527 s. X u. a. Näheres über diese und die übrigen Hss. und deren Schriftproben bei E. Chatelain Paléographie des classiques latins Tab. 174–180 und in den Vorreden von Halm, Fierville, Peterson vor ihren Ausgaben.
Verzeichnisse der Ausgaben und Angabe der sonstigen auf Quintilian bezüglichen Literatur in den Handbüchern der römischen Literaturgeschichte, [1862] zuletzt bei M. Schanz II 2² (1901), 348ff. Hier mögen folgende Ausgaben genannt sein: ad cod. fidem recensuit et annotatione explanavit G. L. Spalding, Lips. 1798–1816, 4 Bde., dazu vol. V von C. T. Zumpt 1829 und vol. VI (lexicon Quintilianeum et indices) von E. Bonnell 1854. Neuere kritische Hauptausgabe: rec. C. Halm, Lps. 1868f. Neuere Handausgaben von E. Bonnell, Lips. 1854 und F. Meister, Lps. (Prag) 1886f. Von Ausgaben einzelner Bücher z. B. Buch I par Ch. Fierville, Paris 1890; Buch X par I. A. Hild, Par. 1885. W. Peterson, Oxford 1891 und mancherlei Schulausgaben.
Die sogenannten Quintilianischen Deklamationen. Unter dem Namen Quintilians sind hsl. zwei Sammlungen von Deklamationen überliefert. Die erste besteht aus 19 größeren Stücken, und diese größeren Deklamationen werden als Quintilianisch auch in nicht wenigen Zitaten angeführt. Die zweite Sammlung zählt 145 kleinere Stücke und ist, wie die hsl. Numerierung der einzelnen zeigt, der zweite Teil einer Sammlung, die ursprünglich 388 Stücke enthielt. Beide Sammlungen haben eine gesonderte Überlieferung. Die wichtigsten Hss. der größeren Deklamationen sind Bambergensis M IV 13 s. X, Vossianus 111 4° s. X/XI und von jüngeren Hss. Parisinus 16230 s. XIV und Sorbonianus 629 s. XV. Vgl C. Hammer Beitr.. zu den größeren quintil. Deklamationen, München 1893. H. Dessauer Die hsl. Grundlage der 19 größeren pseudoquintil. Deklamationen, Leipzig 1898. Der vorliegende Text geht zurück auf eine ,Ausgabe‘, worüber eine Unterschrift in den Hss. einige Auskunft gibt, so im Bamb. descripsi et emendavi Domitius Dracontius de codice fratris Hieri feliciter mihi et usibus meis et dis (discipulis Haase, doctis Rohde) omnibus und im Paris. legi et emendavi ego Dracontius cum fratre Ierio, incomparabili arrico (oratore ? grammatico Rohde) urbis Romae in scola fori Traiani feliciter (s. Ritter Die quintilian. Deklamat. 205). Die hier genannten Persönlichkeiten sind mit anderweit bekannten nicht sicher zu vereinigen.
Von den kleineren Deklamationen sind drei Hss. erhalten: Montepessulanus 126 s. IX/X, welcher allein jene 145 Stücke (nr. 244–388) bietet, während Monacensis 309 s. XV und Chigianus fol. H VIII 262 s. XV erst in der Mitte von nr. 252 beginnen. Eine verschollene Hs. des I. A. Campanus († 1477) enthielt dieselben Stücke wie Monacensis und Chigianus als Teile einer großen Sammlung von Schulreden (s. u. S. 1864).
Trotz der Beglaubigung durch die Hss. und bezüglich der größeren Deklamationen auch durch Zitate (s. o.) ist der alte Zweifel an der Verfasserschaft Quintilians berechtigt. Man ist heute allgemein zu der Ansicht gelangt, daß die größeren Deklamationen nach Inhalt und Sprache dem Quintilian nicht beigelegt werden können und beträchtlich späterer Zeit zuzuweisen sind. Benutzt sind diese größeren Deklamationen von Firmicus Maternus (Mitte des 4. Jhdts.); s. A. Becker Phil. LXI 476.
Anders steht es mit den kleineren Deklamationen. Sie stammen nach Sprache und Inhalt noch aus guter Zeit (1.–2. Jhdt.) und sind bald [1863] ausführlichere, bald knappere Skizzen von Schulreden, häufig mit theoretischen Winken und Anweisungen versehen, wie sie der Unterricht mit sich brachte. Wortschatz und Sprachgebrauch würden nicht hindern sie dem Quintilian beizulegen; auch den holperigen, ungeglätteten, mehr andeutenden als ausführenden Ausdruck könnte man aus der Entstehung im Unterricht erklären. So haben früher P. Aerodius und neuerdings C. Ritter der Überlieferung sich gefügt undl diese kleineren Deklamationen dem Quintilian beigelegt. Auch im neuen Thes. ling. lat. werden sie als Quintilianisch benutzt (vgl. Thes. l. l. index librorum, scriptorum, inscriptionum ex quibus exempla adferuntur [Lips. 1904] 89). Aber gegen die Urheberschaft Quintilians erheben sich beträchtliche Schwierigkeiten. Der einzige Anhalt dafür ist die hsl. Zuweisung an Quintilian, aber diese allein kann hier so wenig ausreichen, wie man sie in betreff der größeren Deklamationen für irgend ausreichend hält. Daß Quintilian solche Deklamationen veröffentlicht hat, ist nicht überliefert. Die Versuche, eine Erwähnung dieser Sammlung in der inst. orat. zu finden, sind mißglückt. Freilich sagt Quintilian VII 2, 24, daß manche Reden, die er vor Gericht gehalten habe, durch Nachschreiber, die damit ein Geschäft machen wollten, in Umlauf gebracht worden seien, aber ganz entstellt (corruptae minimam partem mei habent). Ebenso könnte man daran denken, daß auch eine Sammlung von Schulthemen des berühmten Lehrers durch mehr oder weniger geschickte Nachschrift seiner Schüler verbreitet worden sei; aber ein Zeugnis dafür gibt es nicht, auch nicht in folgenden hierher bezogenen Worten inst. orat. I pr. 7: duo iam sub nomine meo libri ferebantur artis rhetoricae neque editi a me neque in hoc comparati. namque alterum sermonem per biduum habitum pueri, quibus id praestabatur, exceperant, alterum pluribus sane diebus, quantum notando consequi potuerant, interceptum boni iuvenes, sed nimium amantes mei, temerario editionis honore vulgaverant (vgl. auch III 6, 68 in ipsis etiam illis sermonibus [über Rhetorik] me nolente vulgatis). Denn hier zeigt Wortlaut und Zusammenhang, daß jene Veröffentlichungen theoretischen Inhalts waren, d. h. Abrisse oder Lehrbücher der Rhetorik, also mit jenen Worten Quintilians eine Aufgabensammlung wie die uns vorliegende nicht gemeint sein konnte. Auch das ausführlichere jener beiden a. a. O. erwähnten Werke, das (im Gegensatz zu einem biduum) von den Schülern pluribus sane diebus aufgezeichnet war, kann in der ursprünglich sehr umfangreichen Themensammlung, von der wir jetzt nur etwa das letzte Drittel übrig haben, nicht wieder erkannt werden. Ferner wenn Quintilian selbst vor der inst. orat. jene Declamationes herausgegeben hätte – was anzunehmen die konzeptartige Form und die Planlosigkeit in der Aufeinanderfolge der einzelnen Stücke schon an und für sich widerrät – oder wenn er sie als Zusammenstellung aus seinem Unterricht von seiten seiner Schüler gekannt hätte, so wäre es sehr auffällig, daß Quintilian, der unzähligemal in der inst. orat. auf Themen and ihre Behandlung durch andere Rhetoren hinweist, niemals diese Sammlung erwähnt hätte, während er [1864] sonst seiner früheren schriftstellerischen Leistungen öfters gedenkt. Wollte man aber glauben, daß Quintilian erst nach Herausgabe der inst. orat. jene Deklamationen zusammengestellt habe, so spricht dagegen (von anderem abgesehen), daß Quintilian erst in vorgerücktem Lebensalter jenes Werk verfaßt und dessen Veröffentlichung nicht lange überlebt hat (s. o. S. 1851), und daß in diesen Deklamationen nirgends auf die inst. orat. Bezug genommen wird. Die von den Verteidigern Quintilians als des Verfassers der kleineren Deklamationen beigebrachten sprachlichen und sachlichen Ähnlichkeiten genügen keineswegs, um die Gleichheit des Verfassers der kleineren Deklamationen mit dem der inst. orat. zu erweisen. Sie erklären sich vollkommen aus der stofflichen Verwandtschaft, welche zwischen beiden Werken besteht, und aus ihrer ziemlichen Gleichzeitigkeit. Dagegen legt die große Ungleichartigkeit in der Behandlung der einzelnen Fälle und der sehr beträchtliche Umfang des ursprünglichen Werkes die Vermutung nahe, es seien diese sog. kleineren Deklamationen als ein Sammelwerk zu betrachten, das, aus Schule und Unterricht erwachsen, unter den Namen des berühmten Redners von seinem Herausgeber gestellt worden ist. Eine solche Auffassung ist wohl zulässig: bei den größeren Deklamationen ist sie mit Recht allgemein angenommen. Zudem erfahren wir aus der Hist. Aug. XXX tyr. 4, 2, daß im 3. Jhdt. unter dem Namen Quintilians eine Sammlung von Deklamationen in Umlauf war, welche anerkanntermaßen Schulreden verschiedener Verfasser enthielt. Übrigens haben wir – außer den bisher besprochenen zwei Sammlungen Quintilianischer Schulreden – noch eine Spur von einer dritten Sammlung, nämlich von extemporaneae Quintiliani, die einst in dem großen Corpus von Schulreden mitenthalten waren, worauf der längst verlorene codex vetustus nuper e Germania missus des Campanus zurückging (s. o. S. 1862 und Ritters Ausg. d. kl. Dekl. p. XIII). Wir kennen von dieser dritten Sammlung nur den Titel. War sie eine Arbeit von Quintilian? Wohl ebensowenig wie die beiden uns erhaltenen.
Die Literatur zu den Quintilianischen Deklamationen geben die Literaturgeschichten, zuletzt die von Schanz II 2², 357ff. Hier nur einiges wenige: Erste aus dem Cod. Montepessulanus (o. S. 1862) vervollständigte Ausgabe der kleineren Deklamationen von P. Pithoeus, Paris 1580. Neue Ausgabe derselben von Const. Ritter, Lps. 1884. Neue Ausgabe der größeren Deklamationen von G. Lehnert, Lpz. 1904 (vgl. Philol. LXII 419ff.). – Gesamtausgaben der Deklamationen: cum notis variorum ed. J. F. Gronov, Leiden 1665 II. Als dritter Band der Quintilian-Ausg. von P. Burman: M. Fab. Quinctil., ut ferunt, declamationes XIX maiores et quae ex CCCLXXXVIII supersunt CXLV. minores et Calpurnii Flacci (s. o. Bd. III S. 1371) declamationes cum not. doct. vir. curante P. Burmanno, Leiden 1720. – Const. Ritter Die Quintilianischen Deklamationen, Untersuchung über Art und Herkunft derselben, Freiburg 1881. A. Trabandt De minoribus quae sub nomine Q. feruntur declamationibus, Greifsw. 1883. G. Fleiter De minoribus Q. declamationibus, Münster 1890.
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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