Eremboi (Ἐρεμβοί Hom. Od. IV 84. Dionys. perieg. 180. 963; spätere, nicht authentische Nebenform Ἐρεμβαῖοι, Etym. M. 370, 45 und Steph. Byz.), Völkerschaft, welche nach jenem Homerzeugnisse Menelaos auf seinen Irrfahrten besuchte, die ihn, nach der Homerischen Reihenfolge, nach Kypros, Phoinike, Ägypten, Äthiopien, zu den Sidoniern, den E. und nach Libyen führten, in Gegenden also, die zu den Grenzgebieten des östlichen Mittelmeeres gehören. Es ist müßig, dem Problem nachzugehen, in welcher Lage und Abfolge diese Länder in die Homerische Karte einzuzeichnen seien. Ethnographisch läßt sich von diesen Völkern jedes noch fixieren, nur nicht die E.; Strabon nennt sie ein καινὸν ὄνομα. Über sie ist bereits von den Alten ,viel gesprochen worden‘ (Strab. I 41); schon die griechischen Gelehrten haben über ihren Namen und seine Bedeutung Hypothesen aufgestellt, über welche namentlich die Scholien zu jener Odysseestelle und Strabon unter Hinweis auf Aristonikos (I 38) berichten. Nach Strabons Urteil (I 41f.), der in seiner kritischen Erörterung über die geographischen Angaben Homers die Odysseeverse zitiert (I 38, vgl. auch I 27) und geographisch zu erklären versucht, ist am plausibelsten die Annahme, daß mit dem Namen E. die Araber bezeichnet sind, eine Ansicht, die bereits Hellanikos beigelegt wird (vgl. Etym. M. 370, 41) und nach den Odysseescholien und nach Eustath. zur Od. 1485 und zu Dionys. perieg. 180 auch von Aristarch vertreten wurde (dies bestreiten Lehrs Arist.2(3) 249. A. Ludwich Arist. Homer. Textkr. I 539 u. a.). So schrieb auch Zenon, mit einer durchaus willkürlichen und gänzlich unmöglichen Änderung des Homertextes, welche auch die Homerscholien anführen ... Σιδονίους Ἄραβάς τε. Auch Strabon (vgl. XVI 784) erklärt diese Textesänderung für unnötig, nicht ohne auch für dieses Urteil auf einen Gewährsmann gestützt zu sein. Er schließt sich der Deutung des Poseidonios an, welcher meinte, die Griechen hätten in alter Zeit die Araber E. genannt, ,wobei auch die Etymologie mitgewirkt habe‘ (I 42); die Mehrzahl erkläre nämlich den Namen E. ἀπὸ τοῦ ἔραν ἐμβαίνειν, und in späterer Zeit seien die E. geradezu Τρωγλοδύται, Höhlenbewohner, genannt worden (vgl. [414] Dionys. perieg. 963f.); ,dies aber sind die auf der anderen, an die Ägypter und Äthiopen anstoßenden Seite des Arabischen Meerbusens wohnenden Araber‘. Poseidonios hatte, wie wir nicht nur aus dieser Stelle Strabons, sondern auch aus XVI 784 entnehmen, die sonderbare Ansicht vertreten, die Verwandtschaft zwischen Arabern und E. äußere sich auch in der Ähnlichkeit der beiden Namen. Gleich am Anfang seines Werkes (I 2) lehrt Strabon, daß man unter den E. wahrscheinlich die Τρωγλοδύται Ἄραβες zu verstehen habe, ebenso Steph. Byz., der sie, unter Erwähnung derselben Etymologie, ein ἔθνος Ἀράβων nennt. Die Ableitung von ἔραν ἐμβαίνειν, welche auch in den Homerscholien und daraus bei Eustathios (zu Hom. Od. IV 84 und zu Dionys. perieg. 180) erwähnt ist, eine Wortspielerei, die ebenso wertlos ist wie so viele andere Etymologien der griechischen ,Grammatiker‘, bringt Strabon gleichfalls an jener bereits genannten Stelle (784) des XVI. Buches zur Sprache, an welcher er, in unmittelbarem Anschlusse an die so lehrreiche Ausführung über Arabien, die Alternative bespricht, ob man unter den E. die Troglodyten oder die Araber zu denken habe, und sich gleichfalls für Poseidonios gegen Zenon entscheidet und zugleich berichtet, daß Poseidonios mit einer, wenn auch leichten Textesänderung, welche vor der Konjektur Zenons den Vorzug verdiene, schrieb: ... Σιδονίους καὶ Ἀραμβούς und unter letzterem Namen eine aus der Homerischen Zeit stammende Bezeichnung der Araber verstand. An derselben Stelle spricht sich Strabon auch gegen die gleichfalls etymologisierende, auf ἐρεμνός, ἔρεβος Bezug nehmende Schreibung Ἐρεμνούς aus, ,weil diese Eigenschaft (nämlich das ἐρεμνόν εἶναι) mehr den Äthiopen zukomme‘. Krates hatte, wie die Homerscholien und darnach das Etym. M. a. a. O. und Eustath. melden, diese Änderung empfohlen und die Inder als die ,Dunklen‘ erklärt; auch Hesychios spricht von Ἰνδοὶ Ἀράβιοι. Dieselbe Etymologie befolgt der sonst ganz bedeutungslose Ausdruck μέλάς Ἐρεμβός bei Constant. Man. Erotica IX 58. Die Konjekturen und Kommentare des Krates und Poseidonios haben für uns in dieser Frage ebensowenig Wert wie die des Hellanikos und Zenon.
In den Bahnen der Kritik und Erklärung des Altertums, welches also die E. für Araber, Äthiopen (vgl. noch Strab. I 42 extr.) oder Inder hielt, bewegten sich teilweise auch noch die Erklärungsversuche neuerer Forscher. So wollte Völcker Hom. Geogr. (Hannover 1830) 89 (vgl. bereits H. Schlichthorst Geographia Hom. 1787, 159) und Faesi, unter Hinweis auf ἐρεμνός, ἔρεβος, die E. als einen Zweig der Äthiopen (am Mittelmeere) erklären, ebenso noch Buchholz (Hom. Kosmogr. u. Geogr. 285), nach dessen Ansicht der Name E. ,auf das Adjektiv ἐρεμβός zurückzuführen ist und mit ἐρεμνός, ἔρεβος, ἐρεβεννός zusammenhängt ... Ohne Zweifel bilden die E. einen Zweig oder eine Abart der Äthiopen und sind wohl an die Küste des Mittelmeeres, in die Nähe der Sidonier, Kypros gegenüber, zu setzen, so zwar, daß sie die Äthiopen zu östlichen Nachbarn haben.‘ Zweifel an der Zusammengehörigkeit der E. und Äthiopen hatte bereits Strabon geäußert (I 42. XVI 784), wenn auch aus unzureichenden [415] Gründen. Sie ist auch weder durch irgend ein sachliches Moment nahegelegt noch wäre sie durch die Nominalformen ἔρεβος, ἐρεμνός usw. selbst dann wahrscheinlich gemacht, wenn jener schon im Altertum behauptete etymologische Zusammenhang zwischen E. und jenen Nominalstammbildungen bestünde. Nitzsch sah in den E. erzsuchende Bergleute von Kypros, – eine neue Variation der alten Ableitung von ἔρα, die schon die Alten nicht befriedigen konnte. Auf den ersten Blick scheint die von Movers (Die Phönizier II 3, 283) vorgetragene Erklärung zu befriedigen, daß die Namensform E. von dem semitischen Ereb, Mischlinge (vgl. העֶרֶב,עֶרֶב des Alten Testaments), abzuleiten sei, einem Namen, mit welchem die das östliche Mittelmeergebiet bewohnenden Stämme in Homerischer Zeit bezeichnet worden seien, welche später Araber, Wüstenbewohner, genannt wurden. Das Wesentliche dieser Deutung findet sich bereits bei Sam. Bochart, der (Geographia sacra, 1646, IV c. 2) die Form E. auf das hebr. Ereb zurückgeführt hat; nur hat dieser Ereb und Arab für verschiedene Aussprachen desselben Wortes gehalten. Gegen die Zusammenstellung des Homerischen E. mit Ereb oder Arab, so bestechend sie auch zunächst wirken mag, spricht jedoch die Schwierigkeit, wenn nicht Unmöglichkeit einer ausreichenden Erklärung des μ in der griechischen Wortform, abgesehen davon, daß auch das geographisch-historische Raisonnement von Movers kaum auf allgemeine Zustimmung rechnen kann. Selbst wenn man über die aus früheren Epochen der vergleichenden Sprachforschung stammende Theorie von der Nasalierung im Silbenauslaut griechischer Stammformen mit jener Toleranz urteilt, wie sie angesichts weniger unsicherer Stammbildungen noch Joh. Schmidt in verständiger Einschränkung gegenüber weitgehenden Hypothesen mancher Linguisten über Beweglichkeit der Nasale geübt hat, so wird man dennoch außer stande sein, einen einwandfreien etymologischen Übergang von semit. Ereb zu griech. Ἐρεμβοί zu finden, zumal wenn man erwägt, wie lautgerecht das semit. Arab (vgl. עֲרָבִי,עֲרַב,עֲרָב) im griech. Ἀραβ–ία, Ἄραβ–ες wiedergegeben ist.
Nach Ameis (vgl. Ameis-Hentze im Anhang zu Hom. Od. IV 84) sind unter den E. ,vielleicht die Hebräer mit den Aramäern und Arabern gemeint, da die Modifikationen des Stammes, der in עֵרֶב und אֲרַם und עֲרַב liegt, im Namen der Erember gleichsam verschmolzen sind‘. Die Annahme, daß die genannten drei semitischen Namen Modifikationen eines Stammes sind, kommt, da sie lautgesetzlich durchaus unmöglich ist, als haltloses Phantasiegebilde gar nicht in Betracht. Aber auch jene Verschmelzung der drei untereinander verschiedenen Völkernamen in einer griechischen Namensform könnte, selbst wenn sie grammatisch möglich wäre, nicht für wahrscheinlich gelten. Es ladet überhaupt nichts zu dem schon an und für sich höchst gewagten Versuche ein, jene drei Völkernamen unter einen Hut zu bringen. Auch davon, daß, wie Ameis meinte, ,in dieser Stelle ein dunkles Gerücht von dem Reichtum Davids und Salomos enthalten sei‘, kann man bei unvoreingenommener Prüfung der [416] Homerstelle keine Spur finden. Eine Athetese dieses Verses oder der Verse 84–89, die ohne jede Berechtigung vorgeschlagen worden ist, führt natürlich zu keinem Resultat, aber ebensowenig eine Lesung Ἔρεββοι, ,Bewohner von Westafrika nach der phönizischen Geographie‘ (Fick).
Mit Rücksicht auf die Beschaffenheit der isoliert dastehenden Homerstelle, des einzigen Zeugnisses für die E., auf welches alle späteren Erwähnungen in der Literatur zurückgehen, wird man an diese Frage nicht mit der Erwartung einer widerspruchslos überzeugenden und abschließenden Lösung herantreten, sondern sich naturgemäß mit der zufolge des zu Gebote stehenden Materials erreichbaren Höhe der Wahrscheinlichkeit begnügen müssen. Jedenfalls haben wir kein Recht, zu bestreiten, daß die Homerische Angabe auf der realen Vorstellung einer historischen Völkerschaft beruht, und die E. in das Bereich der Mythe zu verweisen. Zwei Momente, die Erwähnung der E. nach den Sidoniern und der Anklang ihres Namens an Aram (אֲרָם der Bibel, Aramu der Keilschriften), bestimmen mich zu der Annahme, daß der Namensform E. der Name der Aramäer zu Grunde liegt, jenes Volkes, welches im Laufe der Jahrhunderte, wohl von der großen syrischen Wüste her, bis in die Libanongegend vorgedrungen ist, bei Homer also in der östlichen Nachbarschaft der Sidonier auftreten würde (s. übrigens auch oben den Art. Aramaioi). Dieser Auffassung käme noch am nächsten, was im Homerlexikon von Seiler-Capelle zu lesen ist: ,... nach Ameis vielleicht die Aramäer nebst anderen benachbarten Völkerschaften‘. Doch beruht diese Notiz, wie schon der Hinweis auf Ameis lehrt, auf ganz anderen Voraussetzungen. Mehrere Erklärungen verzeichnet die Angabe der letzten (10.) Auflage des Autenriethschen Homerwörterbuches (von Kaegi): ,(v. ἔρεβος ? oder Anklang an orientalische Namen wie Aramäer und Araber?), mythisches Volk, vielleicht Araber‘. Warum ich mit dieser Auffassung, die sich im wesentlichen mit der der Gewährsmänner Strabons deckt, nicht einverstanden sein kann, geht aus den voranstehenden Ausführungen hervor. Gegen den hier empfohlenen Erklärungsversuch kann man wohl nur das ß der Endung -βοί ins Gefecht führen. Ein Suffixelement kann das ß allerdings nicht sein, denn es ist weder -ßo- im Griechischen (was sich darüber bei Curtius Grundzüge der griech. Etymol.5 141. 585 findet, ist zu zweifelhaft) noch überhaupt -bo- (oder -guo-) im Indogermanischen eine irgendwie bezeugte Suffixform. Es ist nun die Möglichkeit nicht abzuweisen, daß die Griechen bei Herübernahme jenes fremden Namens, sowie in anderen, ähnlichen Fällen, eine etymologische Deutung versuchend die Form des Fremdwortes an ἔρεβος dergestalt anschloßen, daß durch Verquickung beider Formen Ἐρεμβοί entstand. Der Vergleich nicht weniger orientalischer, namentlich arabischer Namen mit den griechischen (bei Ptolemaios und Strabon erhaltenen) und auch lateinischen (bei Plinius überlieferten) Äquivalenten und überhaupt die Musterung der sicheren Beispiele für die Umformung fremder Länder- und Völkernamen, semitischer wie iranischer, im Griechischen, bezw. Lateinischen lehrt, daß nicht [417] selten volksetymologische Deutung zur Kontamination des fremden Lautgebildes mit ähnlich klingenden griechischen, bezw. lateinischen Wortstämmen geführt hat, zuweilen in so sprunghafter und geradezu entstellender Weise, daß die einzelnen vermittelnden Elemente, die in dem so neu entstandenen Gebilde auftreten, sich der Möglichkeit einer lauthistorischen Analyse, welche bei Fremdwörtern überhaupt keine grundsätzliche Anwendung finden kann, entziehen, weil sie nur durch das Spiel der ,etymologischen‘, lediglich der äußerlichen Assonanz folgenden Vorstellung entstanden sind, welche bei dem Versuche, den fremdsprachlichen Lautkomplex dem heimischen Wortbestande anzupassen, die Gräzisierung oder Latinisierung des Fremdnamens beherrscht hat. Mit der mutmaßlichen Anlehnung des Namens Aram an den Begriff des ἔρεβος, des Dunklen, Schwarzen, welcher der wortbildenden Phantasie der Griechen in jener Weise vorgeschwebt haben mag, welcher Dionys. perieg. 963f. mit seinen eben den E. geltenden Worten (οὖδας Ἐρεμβῶν, οἳ βίον ἐν πέτρῃσι κατωρυχεεσσιν ἔθεντο γυμνοὶ καὶ κτεάνων ἐπιδευέες · ἀμφὶ δ' ἄρα σφιν ἵδεϊ θαλπομένοισι μελαίνεται αὐαλέος χρώς) Ausdruck leiht, will ich hier nur die ganz ähnliche Vorstellung vergleichen, durch welche die Bildung des Namens Ἀιθίοπες (Dionys. perieg. 179 betont noch, seiner geographischen Orientierung gemäß, die geringe Entfernung des Landes der E. von der γαῖα κελαινῶν Αἰθιοπήων) veranlaßt worden ist, welcher unleugbar auf ein südarabisches Etymon zurückgeht, das seinen dreiradikalen Charakter noch im griechischen Worte vielleicht nicht deutlicher aufweist als Aram in Ἐρεμβοί.
[Tkač.]
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