2) Erasistratos, der Sohn des Kleombrotos und der Kretoxene, der Schwester des Arztes Medios, aus Iuris auf Keos (Suid. s. v. Strab. X 486. Steph. Byz. s. Ἰουλίς. Κεός. M. Wellmann Herm. XXXV 370; verschieden von ihm ist der von Galen. XIII 356 erwähnte Sikyonier E.). Als Sohn eines Arztes folgte er wie sein Bruder Kleophantos (Herm. a. a. O. 382) dem Berufe seines Vaters und gehörte mit seinem älteren Zeitgenossen Herophilos zu den ärztlichen Koryphäen der hellenistischen Zeit (Macrob. Sat. VII 15, 3). Seine Lebenszeit war eine Zeitlang viel umstritten, trotzdem die vorliegenden Zeugnisse zu ihrer Bestimmung ausreichen (Herm. XXIX 167ff. Rh. Mus. LII 380f. Philol. LVII 322. Herm. XXXV 370., Rh. Mus. LVI 313. Beloch Griech. Gesch. III² 474). Auszugehen hat man von dem unanfechtbaren Zeugnis der Chronik des Eusebios zu Ol. 130,3 = 258 v. Chr. (II 120 Schoene, bei Hieronymos unter Ol. 130,4): darnach fällt die ἀκμή des E. um 258/7 v. Chr. und seine Geburt demnach zwischen 310 und 300 (vielleicht genauer 304. wenn wir die Angabe des Plinius n. h. XIV 73 auf seine Geburt beziehen). Dazu stimmt, daß Aristogenes von Knidos, der nach 276 Leibarzt am Hofe des Antigonos Gonatas war (Suid. s. Ἀριστογένης), als Mitschüler des E. bezeichnet wird (Gal. XI 252. 197. Cels. III 21). Dann kann aber die bekannte, ihm von der Sage zugeschriebene Heilung des syrischen Prinzen Antiochos I. (um 294) unmöglich auf historischer Grundlage beruhen. Dieser Sage, die zuerst bei Val. Max. V 7 und bei Plutarch in der Vita Demetrii c. 38 auftritt und darnach in der Literatur häufig wiederkehrt (Ruf. ed. Ruelle 608. Appian. bell. Syr. 59. Ps.-Lucian de dea Syria 17. [Gal.] XIV 630ff. 634. Gal. XVIII B 18. Suid. s. v. Dietz Schol. in Hipp. II 74ff.), steht Galen durchaus skeptisch gegenüber (XVIII B 18), und er hat recht mit seiner Skepsis. Die merkwürdige Diagnose, welche diese Sage dem E. zuschreibt, kann gar nicht von ihm herrühren, da auch seiner Lehre plötzliche Rötung der Wangen [334] und Steigerung der Pulsfrequenz als untrügliche Zeichen des Fiebers galten. Wenn demnach Plinius (n. h. VII 123) diese Geschichte nicht von E., sondern von dem Keier Kleombrotos erzählt, so folgt daraus, daß Plinius die ursprüngliche Version der Geschichte erhalten hat, daß also nicht E., sondern sein Vater Kleombrotos Leibarzt des Seleukos I. Nikator (312–280) gewesen und daß später diese wunderbare Diagnose von dem unberühmten Vater auf den berühmten Sohn übertragen worden ist (vgl. Hermes XXXV 380). In Iulis auf Keos geboren als Untertan des Ptolemaeischen Reiches, ist E. in Antiochia aufgewachsen und hat wahrscheinlich in Athen den Unterricht des Metrodoros, des dritten Gemahls der Pythias, der Tochter des Aristoteles († um 288), genossen, der die Schule des älteren Chrysipp in Athen vertrat (Sext. Emp. adv. Math. I 258. Diog. Laert. V 53, wo Gercke allerdings Mtjölov lesen will, s. o. Bd. II S. 1055; ein Μητρόδωρος Τιμοκλέους Ἀμφιπολίτης ist inschriftlich als Leibarzt Antiochos I. überliefert, Dittenberger Syll.¹ 157). Durch ihn mag er mit dem Peripatos in Berührung gekommen sein (Gal. de nat. pot. II 165 H. = II 88 Kühn. XV 307), ja die Behauptung der Erasistrateer (Gal. IV 729), die durch Diog. Laert. V 57 bestätigt wird, mag auf guter Überlieferung beruhen, daß er den Theophrast selbst gehört habe. Was er der Peripatetischen Schule zu verdanken scheint, ist seine Bekanntschaft mit Demokrit, dessen Lehre er, wenn auch mit gewissen Modifikationen, seiner Physiologie zu Grunde gelegt hat. Dann bezog er Anfang der achtziger Jahre die Universität in Kos, wo die Schule des Praxagoras blühte, vertreten von Ärzten wie Mnesitheos, Pleistonikos und Phylotimos, und wurde hier mit Nikias, dem Jugendfreunde des Theokrit, bekannt (Hyp. zu Theokrits Id. XI aus Dionysios von Ephesos Schrift τῶν ἰατρῶν ἀναγραφή). Seine Hauptausbildung aber verdankt er dem jüngeren Chrysipp von Knidos, dem Enkel des bekannten Begleiters des Eudoxos, der damals in Alexandreia eine eigene Schule begründet hatte (Plin. n. h. XXIX 5. Diog. Laert. VII 186. Gal. XI 148. 151. 171. 197. 252; in diesem Sinne sind meine Ausführungen Herm. XXXV 379 zu berichtigen, vgl. v. Wilamowitz Antigonos von Karystos 326). Wenn dagegen Beloch a. a. O. unter dem von Galen genannten Lehrer des E. den älteren Chrysipp versteht, mit dessen Lehren er durch Vermittlung des Metrodoros bekannt geworden, so steht diese Annahme im Widerspruch mit den Worten des Galen. Galen spricht ausdrücklich von einer Schule des Chrysipp und nicht des Metrodor und nennt als Mitschüler (συνφοιτηταί) des E. seinen Oheim Medios und den späteren Leibarzt Antiochos d. Gr. Aristogenes (Gal. XI 151. 252). Außerdem bezeugt Plinius (n. h. XXIX 5) von dem Lehrer des E., daß er die medizinische Wissenschaft im bewußten Gegensatze zu Hippokrates und Herodikos (wie sein Schüler E.) um ganz neue Ideen bereichert habe, während wir von dem älteren Chrysipp wissen, daß er gerade bemüht gewesen ist, die Lehre des Herodikos von der Bedeutung der Gymnastik für die körperliche Gesundheit in die Tat umzusetzen (Diog. Laert. VIII 187; darnach hatte Eudoxos als das Charakteristische [335] seiner Lehre angegeben: κινεῖν τὰ ἄρθρα πάσῃ γυμνασίᾳ καὶ τὰς αἰσθήσεις ὥσαύτως). Demnach unterliegt es keinem Zweifel, daß der Lehrer des E. der Schüler des Aethlios gewesen ist, der Verfasser der θεραπεύματα ὁρατικά, dem Interesse für naturwissenschaftliche Untersuchungen (φυσικὰ θεωρήματα) nachgerühmt wird (Diog. Laert. VIII 89), der Hofarzt der Ptolemaeer in Alexandreia, der Vertraute der ersten Gemahlin Ptolemaios II., der um 277 getötet wurde (Diog. Laert. VIII 186. Schol. Theocr. XVII 128. v. Wilamowitz a. a. O. 326). Diesem Chrysipp verdankt E., abgesehen von seinem Interesse für anatomische Studien (Gal. XV 136), eine ganze Reihe von physiologischen und pathologischen Lehren (Gal. XI 197. Plin. n. h. XXIX 5): die möglichste Einschränkung des Aderlasses (Cael. Aur. m. chr. II 13. Gal. XI 191), das Ersetzen des Aderlasses beim Bluthusten durch Unterbinden der Glieder (Gal. XI 148f. Cael. Aur. m. chr. II 13. Cels. IV 11), die Verwerfung von scharfen Purgantien (Gal. XI 245. X 377. 379. Cael. Aur. m. chr. III 8, 124), die Lehre von der παρέμπτωσις des Blutes beim Fieber (Herm. XXXV 375ff.), von der Erkennung des Fiebers an der widernatürlichen Pulsfrequenz der Arterien (V. Rose Anecd. II 226. Gal. XVII A 873), die Verwendung eines Mischtrankes von Wein und kaltem Wasser bei Gallenruhr im Stadium der höchsten Gefahr (Gal. XI 171. Cels. IV 18. Cael. Aur. a. m. III 21), die Verwendung des Schwitzkastens bei der Wassersucht (Gal. IV 495), endlich sogar die Lehre von der Plethora (Herm. XXXV 375ff.). Im Alter gab E. seine praktische Tätigkeit auf und lebte in Alexandreia einzig der Wissenschaft (Gal. de plac. Hipp. et Plat. 598 M. = V 602 E.). Aus dieser Zeit stammt seine große Entdeckung von dem Ursprung der Nerven, in dieser Zeit verfaßte er sein anatomisches Hauptwerk Περὶ διαιρέσεως (Gal. XVIII A 86. Gal. de plac. a. a. O.). Spätere Sage verlegte das Grab des E. nach dem Vorgebirge Mykale, Samos gegenüber (Suid. s. v., daher seine Bezeichnung als Samier bei Iulian. Misop. p. 347 Spanh.); sie knüpfte dabei, wie Beloch gesehen, an den Ort Ἐρασιστράτιος in dieser Gegend an, der aber sicher älter ist. Von seinem Leben erfahren wir sonst nur wenig: so soll er weite Reisen gemacht und auf ihnen die Hippokratischen Schriften gesammelt haben (Ps.-Gal. de catharticis 94 Bas.), eine bleierne Zahnzange nach Delphi geweiht haben, um anzudeuten, daß man nur die leicht entfernbaren Zähne ausziehen solle (Cael. Aur. m. chr. II 4), endlich soll er wegen eines unheilbaren Fußleidens Gift genommen haben und mit den Worten gestorben sein: ,Glücklich, daß ich meines Vaterlandes eingedenk bin’ (Stobaios Flor. VI 57). Was den Namen des E. in der Geschichte der Medizin unsterblich gemacht hat, sind seine großartigen anatomischen Entdeckungen. Dabei darf man zweierlei nicht vergessen: einmal daß schon vor ihm von Männern wie Diokles, Praxagoras, Chrysipp und Herophilos dieser Zweig der medizinischen Wissenschaft mit großem Erfolge bearbeitet worden ist, sodann daß bei wenigen Ärzten des Altertums die Vorbedingungen für das anatomische Studium so günstig waren, wie bei ihm. Denn an der Überlieferung ist nicht zu [336] rütteln, daß ihm nicht nur menschliche Leichen von den Ptolemaeern zu Sektionszwecken zur Verfügung gestellt wurden, sondern daß er sogar die Erlaubnis erhielt, Vivisektionen an Verbrechern vorzunehmen (Cels. praef. 4, 36 D. aus empirischer Quelle, vermutlich Herakleides von Tarent. Tertull. de anima 10). Daß er daneben auch Experimente an Tieren vorgenommen, ist gleichfalls bezeugt (Gal. V 599): so entdeckte er bei der Vivisektion von eben geborenen Ziegen die Chylosgefässe (Gal. II 648. IV 718). Diese Tiersektionen ermöglichten es ihm, Vergleichungen anzustellen zwischen Mensch und Tier: bei der Beschreibung des Gehirns hebt er ausdrücklich den Formationsunterschied der Gehirnfläche zwischen Mensch und Tier hervor (Gal. a. a. O.): mit anderen Worten, man darf ihn mit gutem Recht als den Begründer der vergleichenden Anatomie bezeichnen. Aber auch die pathologische Anatomie verdankt ihm ihre Begründung; es wird von ihm ausdrücklich bezeugt, daß er bei seinen Sektionen auf die anatomisch-pathologischen Veränderungen der erkrankten Organe geachtet habe: bei der Sektion von Leichen wassersüchtiger Personen hatte er eine Verhärtung der Leber gefunden (Cael. Aur. m. chr. III 8, 111), bei Personen, die an Schlangenbiß zu Grunde gegangen waren, eine Zersetzung von Leber, Blase und Dickdarm (Ps.-Diosc. II 72). Seine Hauptentdeckungen aber betreffen das Gehirn, das Nervensystem und das Herz: die wichtigsten Probleme der Menschheit wurden dabei von ihm berührt und ihrer Lösung näher gebracht.
E. war ein in hohem Grade wissenschaftlicher Arzt (vgl. die schönen Worte in dem Bruchstück aus seiner Schrift περὶ παραλύσεως bei Iw. Müller Gal. script. min. II 17). Physiologie und Ätiologie galten ihm als streng wissenschaftliche Fächer, welche Kenntnisse erfordern, während Therapie und Semiotik mehr Fächer spekulativer Art sind (Ps.-Gal. XIV 684). Seiner Physiologie legte er als erster Arzt, soviel wir wissen, die materialistische Naturlehre des Demokrit zu Grunde, die Atome (Ps.-Gal. XIV 699. Dietz Schol. in Hipp. et Galen. II 240. Galen. ed. Basil. 1561 t. I 104) und den leeren Raum, und verband mit ihr die von der dogmatischen Schule (Praxagoras) überkommene Lehre vom Pneuma (Galen. IV 707). Demgemäß war sein Bestreben darauf gerichtet, alle Erscheinungen auf natürliche Ursachen zurückzuführen: er war ein abgesagter Feind aller verborgenen Kräfte (z. B. der Anziehungskraft ἕλξις, an deren Stelle er die ἀκολουθία πρὸς τὸ κενούμενον, den horror vacui setzte; vgl. Galen. de nat. pot. III 236 H. I 145 H. u. öfter), selbst da, wo seine Mittel zur Lösung eines Problems nicht ausreichten. Im letzten Grunde ist es die Natur, die alles schafft und wirkt; sie ist ihm eine große Künstlerin (τεχνική) Galen. de nat. pot. II 157 H. = II 73 K. II 165 H. = II 88. III 492. XI 158), die in ihrer Fürsorge für alle Lebewesen (προνοητικὴ τοῦ ζῴου Galen. de nat. pot. III 157 H. XVII B 321) alle Teile des Körpers in vollkommener Weise bildet (Galen. de nat. pot. II 102 H. = II 81 K. V 131. XI 158. Plut. de amore prol. 3, 495 d) und in zweckmäßiger Weise anordnet (Galen. V 131. III 537; de nat. pot. II 167 H. = II 91 K,). Von Demokrit wich er in [337] zwiefacher Hinsicht ab: er dachte sich die kleinsten, sinnlich nicht wahrnehmbaren Körper (λόγῳ θεωρητὰ σώματα) von einem feinen Vacuum umgeben, betrachtete sie also nach dem Vorgange und vermutlich auch im Anschluß an Herakleides Pontikos als verbindungslos (ἅναρμα, vgl. Galen. de nat. pot. II 175 H.). Das folgt mit Notwendigkeit aus seiner Vacuumlehre, die er auch von Demokrit entlehnte, aber in der Weise modifizierte, daß er an die Stelle des kontinuierlichen Vacuum (ἁθροῦς κενὸς τόπος oder κενὸν ἁθροῦν Gal. de nat. pot. II 173 H. = II 99 K. Anon. Lond. XXVI 48 c und öfter; vgl. Diels Über das physikalische System des Straton, S.-Ber. Akad. Berl. 1893, 105) ein Vacuum in fein verteiltem Zustande setzte (κατὰ βραχὺ παρεσπαρμένον τοῖς σώμασιν Galen. a. a. O. IV 474). Die Bedeutung der Gewebe im menschlichen Körper einerseits, andrerseits die Erkenntnis, daß jedes Organ und jedes Eingeweide von Venen, Arterien und Nerven begleitet ist, führte ihn dazu, das dreifache Gefäßnetz der Venen, Arterien und Nerven (τριπλοκία τῶν ἀγγείων Galen. III 538. Ps.-Galen. XIV 697. 709. Anon. Lond. XXI 231) als den Grundbestandteil des menschlichen Körpers zu betrachten. Er nahm an, daß die Venen, Arterien und Nerven so feine Lumina annehmen, daß sie sinnlich nicht mehr wahrnehmbar und daß aus diesen, nur mit der Vernunft erkennbaren Gefässen (ἀγγεῖα ἁπλᾶ καὶ λόγῳ θεωρητά) alle Gewebe des Körpers zusammengeflochten seien wie ein Seil, das aus drei von Natur verschiedenen Strängen bestehe (Galen. de pot. nat. II 171 H. = II 96 K. 172, 3ff. Galen. III 537. Anon. Lond. XXI 23ff. XXII 51; der Verfasser der ps.-aristotelischen Schrift περὶ πνεύματος kennt diese Theorie p. 483, 15, faßt aber νεῦρον nicht als Nerv, sondern als Sehne). Diese scharfsinnig erdachte Theorie überhob ihn der Annahme einer anziehenden Kraft (vgl. Dietz Schol. in Hipp. I 151); denn das, was Galen zum Beweis dieser δύναμις anführt, die Versorgung der einzelnen Organe mit Nahrung, erfolgt nach E. durch die ἁπλῆ φλέψ, die überall vorhanden ist und die, wie sie sich aus sich selbst ernährt, so alle Organe und Eingeweide mit Nahrung versieht (Galen. de nat. pot. II 6, 175 = II 102. III 538). Die Nahrungsaufnahme, die er in diesem Falle nicht ἀνάδοσις, sondern διάδοσις nannte, erfolgt nicht durch die Endungen der zu ernährenden Gefässe, sondern durch ihre Wandungen auf dem Wege der Resorption (κατὰ τὸ πλάγιον Galen. de nat. pot. II 177 H. = II 104 K.; gegen diese Theorie polemisiert der Verfasser von περὶ πνεύματος 483, 26, der E.s Lehren auch sonst kennt), indem die Nahrungsatome infolge der πρὸς τὸ κενούμενον ἀκολουθία in die feinverteilten Hohlräume der Wandungen treten (εἰς τὰ κενώματα τῶν ἀπενεχθέντων, aus seiner Schrift περὶ τῶν καθόλου λόγων Galen. a. a. O. 177). Zu diesen Geweben gesellen sich, ihrer Natur nach verschieden von ihnen, die παρεγχύματα, d. h. d Anschwemmungen der Nahrung im menschlichen Körper; als solche galten ihm das Gehirn, Rückenmark, Fett, Leber, Milz, Nieren und Lunge ([Galen.] XIV 697. 709. Galen. I 599. II 576. 603). Die beiden Stoffe, die zur Erhaltung der Geschöpfe dienen, sind Blut und Pneuma; das Blut als Nahrung, das [338] Pneuma als Vermittler der natürlichen Lebenstätigkeit (φυσικαὶ ἐνέργειαι [Galen.] XIV 697. Anon. Lond. XXII 51. XXV 27. Ps.-Arist. περὶ πνεύματος 481, 6). Beide galten ihm als die ersten und hauptsächlichsten Dinge im Haushalt der Geschöpfe (Anon. Lond. a. a. O.).
Den Verdauungsprozeß (πέψις Galen. XI 236) erklärte er in folgender Weise: nachdem in der Mundhöhle eine Mischung der feuchten und trockenen Bestandteile der Nahrung stattgefunden hat (Plut. quaest. conv. VII 1, 1), gelangen die Speisen und Getränke durch die Speiseröhre in den Magen (κάτω κοιλία). Er wußte, daß beim Hinabschlucken der Nahrung der Kehldeckel (ἐπιγλωττίς) die Öffnung des Kehlkopfes zudeckt, so daß kein Bestandteil des Genossenen in die Luftröhre (τραχεῖα ἀρτηρία) gelangen kann. Er berichtigte dabei den alten Irrtum Platons und anderer (Philistion, Diokles, Dexippos), daß Getränke in die Lunge gelangen können, mit Verwendung der von dem knidischen Verfasser des IV. Buches περὶ νούσων c. 57 vorgebrachten Argumente (Plut. quaest. conv. VII 1, 1, 3. Gell. XVII 11, 1. Macrob. Sat. VII 15, 8ff. Gal. de nat. pot. II 182 H.). In dem Magen, der von zwei verschiedenen Muskelschichten bekleidet ist, einer inneren zirkulären und einer äußeren longitudinalen (Galen. de nat. pot. III 222 H.), erfolgt die Verarbeitung der Nahrung (κατεγρασία τῆς τροφῆς Galen. de nat. pot. II 183 H.), indem die Speisen durch die peristaltischen Bewegungen der Muskelhaut unter Mitwirkung des Pneuma zerrieben werden (Galen. de nat. pot. II 187. 188 H. = II 119 K. [Galen.] XIX 372. Cels. I praef. 6. Galen. de nat. pot. III 222 H.). Das Pneuma gelangt aber nicht zusammen mit den Speisen in den Magen (wie Diokles behauptet hatte, vgl. Wellmann Frg. gr. Ärzte I 85), sondern wird ihm von den Magenarterien zugeführt (Galen. de nat. pot. II 188 H. = II 120 K. Anon. Lond. XXIII 12). Daraus erklärt er die Tatsache, daß beim Fieber die Verdauungstätigkeit des Magens beeinträchtigt ist (βέβλαπται ἡ ἐνέργεια) Galen. de nat. pot. II 187 H.); denn beim Fieber ist das Pneuma durch das in die Arterien eingedrungene Blut in seiner freien Bewegung gehemmt, kann also nicht in den Magen gelangen. Er bekämpfte die von Pleistonikos und Diokles vertretene Ansicht, daß der Speisebrei im Magen unter Einwirkung des Pneuma einen Gärungs- oder Fäulnisprozeß durchmache (Galen. de nat. pot. II 182 H. = II 111 K. M. Wellmann a. a. O.), sowie die Aristotelische Auffassung, welcher die Verdauung nach dem Vorgange älterer Ärzte für eine Art Kochung erklärt hatte (Galen. de nat. pot. III 221 H. = II 166 K. Galen. XV 247). Vom Magen und vom Darm (κόλον) aus wird ein Teil der in einen Brei aufgelösten Speisen (κεχυλωμένα Galen. de nat. pot. III 214 H.) durch den Druck des Magens (ἐνθλίβειν Galen. de nat. pot. II 156 = II 76) in die Blutgefäße getrieben und zur Leber geschafft, in der die Umwandlung in Blut vor sich geht (wie sie geschieht, hat er nicht angegeben, Galen. V 563), bei der die galligen Bestandteile ausgeschieden und in die Gallenblase überführt werden (χοληδόχος κύστις, Galen. de nat. pot. II 169 H. Galen. III 304. Anecd. Paris. Rh. Mus. XLIX 554), während das reine Blut von der Leber aus [339] in die Hohlvene (κοίλη φλέψ) gelangt und durch diese dem Herzen zugeführt wird (Galen. de nat. pot. II 168. 169). Kann infolge der Verstopfung des Gallenganges (τὸ ἀγγεῖον ἀπὸ τῆς χοληδόχου ἐπὶ τὰ ἔντερα τεῖνον Anecd. med. Rh. Mus. XLIX 554, d. h. des Ductus choledochus) die Galle nicht abgesondert werden, so wird sie durch die Hohlader allen Venen des Körpers zugeführt und veranlaßt Gelbsucht (Anecd. med. Rh. Mus. XLIX 554. Galen. de nat. pot. II 183 H. = II 114 K. Galen. V 123. Vindic. ed. M. Wellmann c. 27), sind dagegen infolge von Verhärtung der Leber die Lebervenen verstopft, so daß sie nur die wäßrigen Bestandteile der Nahrung aufnehmen, so entsteht Wassersucht ([Galen.] XIV 746. XVI 447. Anecd. med. Rh. Mus. XLIX 555). Die überschüssige Flüssigkeit gelangt in die Nieren und von da infolge der πρὸς τὸ κενούμενον ἀκολουθία in die Blase (Macrob. VII 15, 4. Gal. de nat. pot I 123. 147 H.). Die Aufsaugung der Nahrung von seiten der Venen nannte er ἀνάδοσις (Gal. de nat. pot. II 177. 170; von den Arterien kann natürlich keine Aufsaugung der Nahrung erfolgen, da sie Pneuma enthalten, vgl. Anon. Lond. XXVI 31. Gal. de nat. pot. II 182; ihre Ernährung geschieht vielmehr durch die in ihren Gefäßwandungen, χιτῶνες, enthaltenen Venen, vgl. Gal. III 537; Asklepiades hatte seine Lehre von der Verdauung bekämpft, Gal. de nat pot. II 155). Daß die Verdauung im Schlafe besser vor sich geht, erklärte er aus dem Ruhen der willkürlichen Bewegung, durch das auch das Langsamerwerden des Pulses bedingt sei (Gal. IX 133). Solche Fragen wie die nach der Entstehung der Säfte, ob beispielsweise gelbe Galle bei der Verdauung im Magen gebildet, oder ob sie schon mit der Nahrung von dem Körper aufgenommen wird, schloß er von dem Bereich der Arzneikunde aus und verwies sie in das Gebiet der Naturwissenschaften (Gal. de nat. pot. II 8, 183. 184 H. = II 113. 115 K.).
Die Ernährung (ἀνάτρψις) und das Wachstum (αὔξησις) geschieht durch Ansetzung (πρόσθεσις) neuer Teile an das bereits Vorhandene (Gal. de nat. pot. II 176 H. = II 104 K.). Die einzelnen Teile wachsen dabei wie ein Netz oder Seil oder Sack, an deren Ende man neue Bestandteile fugt (Gal. de nat. pot. II 164 = II 87 K.). In demselben Maße, wie der Körper eine Zunahme erfährt, findet eine fortgesetzte Abgabe (ἀποφορά) statt, eine Erscheinung, die E. auf experimentellem Wege zu erhärten versucht hatte (Anon. Lond. XXXIII 44f. Diels a. a. O. 109). Die Abgabe erfolgt teils sichtbarlich durch Darm, Blase, Ohren usw., teils unsichtbar durch Ausdünstungen (ἀποφορὰ κατὰ τὸ λόγῳ θεωρητόν, Anon. Lond. XXXIII 51). Die Beispiele, die von dem Anon. Lond. XXX 40–XXXI 25 für diese Theorie angeführt werden, gehen auf E. bezw. die Erasistrateer zurück. Die Theorie selbst verdankt E. dem Aigimios von Elis (vgl. Anon. Lond. XIII 21, von dem auch die Terminologie herrührt, vgl. dagegen Diels a. a. O.). Ein Gegengewicht gegen die übermäßige Abgabe des Körpers hat die Natur dadurch geschaffen, daß sie die Lebewesen mit Trieben (ὀρέξεις), Stoffen (ὕλαι) und Kräften (δυνάμεις d. h. in seinem Sinne das πνεῦμα) ausgestattet hat, mit Trieben zur Aufnahme des [340] Stoffes, mit Stoff zum Ersatz des Abganges (εἰς ἀναπλήρωσιν τῶν ἀποφερομένων) und mit dem Pneuma zur Verarbeitung (διοίκησις) des Stoffes (Anon. Lond. XXII 41, vgl. Diels a. a. O. 117).
Seine Darstellung der Gefäßlehre und der Bedeutung und des Baues des Herzens bezeichnet einen gewaltigen Fortschritt gegen die frühere Zeit. Denn E. war nahe daran, den Kreislauf des Blutes zu erkennen; es finden sich alle Voraussetzungen für die richtige Erkenntnis bei ihm, und wenn ihm trotzdem der Ruhm der Entdeckung des Blutkreislaufes vorenthalten werden muß, so erklärt sich das aus seinem starren Festhalten an der ihm von seinem Lehrer Chrysipp übermittelten Irrlehre des Praxagoras, daß nur die Venen Blut enthalten, die Arterien dagegen Luftgeist (πνεῦμα Gal. XI 153. VIII 940. 950. 412 III 364. Anon. Lond. XXVI 31; E. hatte sicher gewohnheitsgemäß diese Lehre experimentell begründet, Gal. II 648). Trotzdem näherte er sich darin der Harveyschen Ansicht, daß er das Herz als Ursprungsstätte für die Arterien und Venen ansprach (Gal III 465. V 552). Die Tatsache, daß aus den Arterien, wenn sie geöffnet werden, Blut fließt, suchte er durch die Annahme zu erklären, daß in demselben Augenblick, in dem das Pneuma, von den entferntesten Arterien anhebend, aus den Arterien ausströmt, das Blut aus den Venen, die durch feine, gewöhnlich geschlossene Kapillaren (συναναστομώσεις) mit den Arterien in Verbindung stehen, infolge des Gesetzes der πρὸς τὸ κενούμενον ἀκολουθία dem entweichenden Pneuma nachschießt (Gal. XI 153. IV 709. 718. 724. III 492. Anon. Lond. XXVI 35ff.; τὸ τῆς παρεμπτώσεως δόγμα nennt es Gal. IV 709). Von den beiden Herzkammern enthält die linke nur Pneuma (πνευματικὴ κοιλία), die rechte nur Blut (αἱματώδης κοιλία Gal. III 465. V 185). Das Blut gelangt zum rechten Herzventrikel durch die Hohlader und wird von da vermittelst der Lungenarterie (φλὲψ ἀρτηριώδης oder κοίλη ἀρτηρία) in die Lunge geleitet. Bei jeder Ausdehnung des Herzens strömt Blut in das rechte Herzventrikel, Pneuma in das linke (aus der Lungenvene ἀρηρία φλεβώδης), bei jeder Zusammenziehung wird das Blut in die Lungen, das Pneuma durch Vermittlung der Aorta in den ganzen Körper getrieben (Gal. de nat. pot. II 156 H. = II 77 K. Gal. IV 706f. VIII 315. Gal. de plac. Hipp. et Plat. 539 M. = V 549 K.). Der Rücktritt von Blut und Pneuma in das Herz wird durch die beiden halbmondförmigen Klappen (ὑμένες σιγμοειδεῖς Gal. de plac. Hipp. et Plat. 538 M. = V 548 K.), die Valvulae semilunares der Aorta und Arteria pulmonalis verhindert, der Austritt von Blut und Pneuma aus dem Herzen durch die dreizipfelige Valvula tricuspidalis der Hohlader (τρεῖς ἀκίδων γλωχῖσιν ὁμοιότατοι ὑμένες; der Name τριγλώχινες rührt von den Erasistrateern her, vgl. Gal. a. a. O. 539) und die zweizipfelige Valvula bicuspidalis der Lungenvene (Gal. V 166. 206; Asklepiades hielt diese Entdeckung des E. für falsch mit Berufung auf Herophilos, der viele Leichen seziert und nichts derartiges gefunden habe, Gal. I 109). Die Herzohren, die ihm gleichfalls bekannt waren, rechnete er nicht, wie Herophilos, zum Herzen, sondern, wie es scheint, zu den Gefäßen (Gal. II 624). Eine weitere wichtige [341] Entdeckung des E., welche vermutlich an die bereits von Herophilos herrührende Unterscheidung der Venen des Gekröses von den in Drüsen endigenden Gefäßen anknüpft (Gal. II 335), ist die der Chylusgefäße im Gekröse (Gal. II 648. IV 718), deren hohe Bedeutung für die Erneuerung des Blutes er natürlich nicht zu erkennen vermochte; er hielt sie für eine besondere Art von Arterien, in denen zuerst Pneuma, später Milchsaft enthalten sei. Von Arterien und Venen sind ihm folgende bekannt: die Aorta (ἀρτηρία μεγάλη), die Aorta descendens, die vor der Wirbelsäule gelegen ist (ἡ παρὰ τὴν ῥάχιν κειμένη ἀρτηρία Gal. VIII 311), die Arteriae intercostales d. h. die Zweige der Aorta descendens, die an den einzelnen Rippen entlang laufen (Gal. VIII 311; ἀποφύσεις ἀγγείων παρ’ ἑκάστην πλευράν), die Arteriae hepaticae (Gal. XV 123. Anecd. med. Rh. Mus. XLIX 553), die Arteriae renales (Gal. de nat. pot. II 167 H. = II 91 K.), die Arterien des Magens (Gal. de nat. pot. II 188 H. = II 120), die ἀρτηρία φλεβώδης (λεία ἀρτηρία Gal. III 521), d. h. die Lungenvene (Gal. de plac. Hipp. et Plat. 539 M. = V 549), die Hohlvene (ἡ πλέψ Gal. III 465. Gal. de plac. Hipp. 539 M. = V 548 K.), die dicht neben der Aorta aus dem linken Atrium kommt (Gal. III 465), die Vena azygos (ἀπόφυσις φλεβὸς εὐμεγέθης παρὰ τὴν ῥχιν κειμένη Gal. VIII 311), die bis zum Zwerchfell am Rückgrat herabläuft, und die von ihr sich abzweigenden Venae intercostales (Gal. a. a. O.), die φλὲψ ἡ ἀρτηριώδης (Gal. de nat. pot. II 156 H. = II 77 K.; der Name rührt von Herophilos her), die Pfortader, welche zur Leber führt (Gal. de nat. pot. II 169), und die Venae hepaticae, welche in die Vena cava einmünden (Anecd. med. Rh. Mus. XLIX 554. 555).
Eine bedeutsame Rolle in seiner Physiologie spielt das Pneuma. Er unterschied zwischen dem Lebens- und dem Seelenpneuma (πνεῦμα ζωτικόν und ψυχικόν) und verlegte das Zentrum des ersteren in den linken Herzventrikel (Gal. V 185), das des Seelenpneuma in das Gehirn (Aet. plac. IV 5, 6 Diels. Tert. de anima 15. Poll. onom. II 226. Gal. XV 360), wohin es vom Herzen aus durch die Arterien gelangt (daher sagt Galen VIII 760, daß er auch die ψυχικὴ δύναμις ins Herz verlegt habe). Das Pneuma galt ihm ebensowenig wie die Lebenswärme als angeboren, sondern als ἐπίκτητον (Gal. XV 14). Dem Körper wird es aus der umgebenden Luft durch Mund und Nase zugeführt (Gal. IV 706); es gelangt von da durch die Luftröhre und die Bronchen (πρῶται ἀρτηρίαι in die Lunge und aus der Lunge durch die Lungenvene in den linken Ventrikel, von wo es durch die Aorta ascendens und descendens dem Gehirn und dem ganzen übrigen Körper zugeführt wird (Anon. Lond. XXIII 12ff. Gal. IV 502. VIII 760. Macrob. Sat. VII 15, 5ff.). Das eingeatmete Pneuma muß eine gewisse Dichtigkeit haben (Gal. IV 707), da zu dünne Luft die Respiration hemmt (Gal. IV 496. 480. III 540) und den Tod im Gefolge hat. Die Kohlenoxydvergiftung und die Erstickungsfälle, welche das Einatmen von Höhlenluft und die Luft in frisch gestrichenen Zimmern zur Folge hat, dienten ihm als Beleg hierfür (Gal. a. a. O. Fritsche Der Magnet und die Atmung in antiken Theorien, Rh. Mus. LVII [342] 389). Außerdem schloß er die größere Dichtigkeit der in unserem Körper befindlichen Luft aus ihrer Fähigkeit, die Muskeln und Arterien auszudehnen (Gal. IV 707). Der Atmungsprozeß galt ihm als Wirkung der Muskelkontraktion des Thorax (Gal. IV 478. 479). Erweitern wir den Brustkasten, so erweitern sich auch die Lungen, welche, wie die Arterien, keine selbständige Bewegung haben, und es wird ein luftleerer Raum geschaffen, in den die äußere Luft infolge der πρὸς τὸ κενούμενον ἀκολουθία (,durch Atmosphärendruck’ sagen wir) nachströmt und so die Lungen füllt, bei der Zusammenziehung des Thorax ziehen sich die Lungen gleichfalls zusammen wie ein Schwamm, der mit beiden Händen ausgedrückt wird, und geben die Luft nach außen ab (Gal. VIII 324. 315. IV 475; er hat die Platonische Atmungstheorie bekämpft, aber in der Umgestaltung, die sie in der Akademie durch Hestiaios erfahren hatte; vgl. Gal. comm. in Tim. 34. Gal. de nat. pot. II 182 H. Fritsche a. a. O. 385ff.). Mit der Atembewegung der Lunge hängt nach seiner Lehre die normale Pulsation des Herzens und der Arterien zusammen (ἡ τῶν ἀρτηριῶν κατὰ φύσιν κνησις, denn der σφυγμός ist der krankhaft gesteigerte Pulsschlag, der auf Entzündung beruht, vgl. Gal. VIII 716. 761; die Definition steht bei Gal. VIII 714). Es folgt dies aus seiner Behauptung, daß die Atmung der Nachfüllung der Arterien mit Pneuma diene (ἐπιπληρώσεως ἕνεκεν ἀρτηριῶν ἀναπνέομεν Gal. IV 471), und wird bestätigt durch die ihm von Galen (IV 474) zugeschriebene Ansicht, daß, wenn die Bewegung des Thorax und damit der Lungen angehalten wird, das Herz keine Luft aus der Lunge einziehen kann und infolge dessen Erstickungsanfälle eintreten. Allerdings ging er nicht soweit, zu behaupten, daß ein Pulsschlag einem Atemzuge entspreche. Vielmehr faßte er die Bewegung des Herzens als eine völlig selbständige auf (Gal. de plac. Hipp. 540 M. = V 549). Er verglich es in seiner Bewegung mit einem Blasebalg (Gal. a. a. O., es ist eine ψυχικὴ δεξαμενή ebd.), während die Arterien unbeseelte Kanäle (ὀχετοὶ ἄψυχοι) sind, Schläuchen vergleichbar, weil sie die Kraft der Ausdehnung und Zusammenziehung ihrer Wandungen durch die Zusendung von Pneuma vom Herzen aus erhalten (Gal. de plac. Hipp. 540 M. = V 549 K. VIII 703. V 167). Unterbindet man die Arterien, so hören sie auf zu schlagen (ἄσφυκτοι γίνονται), weil ihnen kein Pneuma vom Herzen aus zuströmt (Gal. de plac. Hipp. 618 M. = V 620 K.). Das Pneuma strömt in dem Augenblick, wo das Herz sich ausdehnt, nach dem Gesetz der πρὸς τὸ κενούμενον ἀκολουθία aus der Lungenvene in die linke Herzkammer (Gal. de plac. Hipp. a. a. O. Gal. VIII 703), umgekehrt wird es bei jeder krampfhaften Zusammenziehung des Herzens mit voller Gewalt in die Aorta und durch diese in die Arterien des Körpers gepreßt (Gal. VIII 316. IX 507. III 512. V 168. 562), was eine Ausdehnung der Arterienwandungen zur Folge hat (Gal. V 168. IX 507. VIII 316) Während also beim Herzen die Ausdehnung das prius, die Anfüllung mit Pneuma das posterius ist, ist bei den Arterien das Umgekehrte der Fall; demnach erfolgt die Ausdehnung und damit der Pulsschlag der Arterien nicht gleichzeitig mit der des Herzens, [343] sondern es fällt die Ausdehnung der Arterien mit der Zusammenziehung des Herzens zusammen und umgekehrt (Gal. VIII 703). Wo findet nun die Abgabe (ἐκπνοή) des von den Arterien aufgenommenen Pneuma statt? Der Thorax gibt es bei der Ausatmung nach außen ab; bei den Arterien ist das unmöglich, da die Herzklappen ein Rückströmen des Pneuma in die Lungenvene verhindern (Gal. VIII 315). Es ist kein Zweifel, daß hier die von dem Anonymus Londinensis (XXXIII 51, vgl. Gal. IV 716) dem E. zugeschriebene Hautatmung (διαπνοή) einsetzt, wobei die in der Haut befindlichen Arterienendungen die überschüssige Pneumamasse nach außen abgeben.
Den Bau des Gehirns, das er an Menschen und Tieren untersucht hat, beschrieb er genauer als Herophilos (Gal. de plac. Hipp. 599f. M. = V 602 K. aus seiner Schrift περὶ διαιρέσεως). Er unterschied das große Gehirn (ἐγκέφαλος) von dem kleinen, das er nicht, wie Herophilos, παρεγκεφαλίς (Gal. III 663), sondern ἐπεγκρανίς nannte (Gal. III 673. Aet. IV 5, 3 Diels), und beschrieb die beiden Seitenventrikel der Großhirnhemisphäre als schmale Hohlräume, den dritten Ventrikel als kommunizierend mit den beiden Seitenmatrikeln durch eine Spalte (Foramen interventriculare, vgl. Gal. III 666) und im Innern des Kleinhirns die vierte Hirnhöhle, welche mit dem dritten Ventrikel in Verbindung steht (Aquaeductus Sylvii). Jeder dieser Teile ist von häutigen Hüllen umschlossen, das Kleinhirn besonders, d. h. von der Dura mater (μήνιγξ παχεῖα) und der Pia mater (λεπτὴ μήνιγξ). An der äußeren Oberfläche des Gehirns und noch mehr des Kleinhirns war ihm die große Menge von darmähnlichen Windungen und Furchen aufgefallen, aus denen er die höhere Intelligenz des Menschen im Verhältnis zum Tiere zu erklären suchte (Gal. III 673. V 602). Die Ventrikel des Großhirns dachte er sich mit Pneuma (πνεῦμα ψυχικόν) gefüllt, das durch Vermittlung der Arterien vom Herzen dorthin geführt werde (Gal. V 185. VIII 760). Das Gehirn erklärte er mit Herophilos für die Ursprungsstätte aller Nerven (Gal. XVIII A 86. Gal. de plac. Hipp. 647 M. = V 646. Gal. de plac. Hipp. 598ff. M. = V 602), die er anfänglich in der äußeren Hirnhaut (παχεῖα μήνιγξ) entspringen ließ. Durch vivisektorische Versuche hatte er festgestellt, daß Einschnitte in die Dura mater die Bewegungsfähigkeit der Tiere aufheben (Gal. de plac. Hipp. 606 M. = V 609ff.). Erst im hohen Alter änderte er auf Grund von Sektionen seine Meinung dahin, daß alle Nerven aus der Substanz des Gehirns kommen, und daß Nervenstränge (ἀποφύσεις) von den einzelnen Sinnesorganen zu diesem Zentrum führen (er erwähnt die Gehör-, Seh-, Geschmacks– und Geruchsnerven, vgl. Gal. de plac. Hipp. 600 M. = V 609ff.), und unterschied zuerst zwischen sensiblen und motorischen Nerven (Ruf. ed. Ruelle 184 νεῦρα αἰσθητικά und κινητικά). Die Nervenfasern dachte er sich wie ein Seil aus drei verschiedenen Strängen gedreht (den λόγῳ αἰσθηταὶ ἀρτηρίαι, φλέβες und νεῦρα Gal. de nat. pot. II 171 H. = II 96) und nahm an, daß die Ernährung von den Venen erfolge (Gal. a. a. O. II 175 H. = II 102 K. Gal. V 125). Er hielt die Nerven ursprünglich für hohl, mit Seelenpneuma gefüllt, (Anecd. med. Rh. Mus. XLIX 550. LVIII 80. Gal. [344] de nat. pot. II 171 H. = II 97. Ruf. 185) und rechnete sie zu den Gefäßen ([Gal.] XIV 697); später erkannte er ihre Füllung mit Mark (Gal. de plac. Hipp. 599 M. = V 602). Die Vermittlung der Bewegung geschieht durch die Muskeln (Gal. V 125), die gleichfalls aus einem Geflecht von Venen, Arterien und Nerven bestehen (Ruf. ed. Ruelle 184). Das von den Arterien ihnen zugeführte Pneuma verleiht ihnen die Fähigkeit sich zusammenzuziehen, d. h. unter gleichzeitiger Zunahme ihrer Breite an Länge zu verlieren (Gal. VIII 429), und in ihren natürlichen Zustand zurückzukehren (Gal. IV 707. 478. Anecd. med. Rh. Mus. XLIX 550), wobei die Schnelligkeit der Bewegung von der Menge des Pneuma abhängig ist.
Über seine Ansicht von der Zeugung ist nur wenig überliefert. Er nahm an, daß das Blut der Stoff (ὕλη) sei, aus dem der Fötus gebildet wird (Gal. de nat. pot. II 162 H. Vindiciani frg. 208 Wellmann). Der Same oder vielmehr die δύναμις des Samens, das Pneuma, bildet den Fötus (Gal. a. a. O. 161; in dieser Lehre berührt er sich mit Straton, vgl. Diels a. a. O. 117). Unfruchtbarkeit entsteht durch Degeneration des Uterus (Aet. plac. V 8, 3 p. 421, 19 D.), Zwillingsgeburten durch Überfruchtung (Aet. plac. V 10, 3 p. 422, 4 D.).
In der Pathologie war er bemüht, die Auswüchse der damals grassierenden Humorallehre (des Praxagoras und seiner Schule) zu beseitigen. Er war der erste Arzt, welcher diese Lehre fast gänzlich unberücksichtigt ließ (Gal. V 104. 123. 124. VIII 191. XVI 38 u. ö.). Untersuchungen über die Entstehung der Säfte hielt er für überflüssig (Gal. de nat. pot. II 183 H. Gal. V 123. 124), die schwarze Galle hat er nach Galen in seinen Schriften überhaupt nicht erwähnt (Gal. V 123). Trotzdem konnte er der Annahme von krankhafter Veränderung der Nahrungssäfte (κακοχυμία) in seiner Pathologie nicht völlig entraten. So erklärte er die Bewegungsstörungen bei der Apoplexie und Paralyse aus dem Vorhandensein von zähen und klebrigen, kalten Säften (Anecd. med. Rh. Mus. XLIX 550. LVIII 80. Gal. V 125), ein Übermaß von galligen Säften (χολώδης ὑγρασία) für die Ursache des Ikterus ([Gal.] XIV 716. Anecd. med. Rh. Mus. XLIX 555. Gal. XVI 447) und der Leberentzündung (Gal. V 123. II 113K.). Außer der κακοχυμία, die meist eine Folge von Verdauungsstörungen (ἀπεψίαι) ist, gab es für die Entstehung von Krankheit nach E. noch zwei Ursachen: Plethora (πλῆθος τροφῆς, πληθώρα) und das Verhalten des Pneuma im Körper (Aet. plac. V 30, 3 p. 443, 8 D. Orib. V 231. [Gal.] XIV 728). Die häufigste dieser Krankheitsursachen ist die Vollblütigkeit (Gal. XI 236 aus seiner Schrift περὶ πυρετῶν. Gal. VII 537 aus seiner Schrift ὑγιεινά, die ganze Lehre ist knidisch; sein Lehrer Chrysipp mag sie von Aigimios von Elis übernommen haben, vgl. Anon. Lond. XIII 21), d. h. die Überfüllung der Venen mit Blut infolge von übermäßiger Nahrungsaufnahme und die dadurch herbeigeführte übermäßige Ausdehnung der Gefäßwandungen (Gal. VII 538). Zuerst, wenn die Venen mäßig gefUllt sind, erscheinen die Glieder kräftiger und stärker als gewöhnlich; nimmt die Plethora zu, so schwellen die Arme, Waden und [345] Hände an wie bei denen, welche Turnübungen verrichtet haben (Gal. VII 538f.; der τονώδης κόπος galt ihm schon als krankhafter Zustand, Gal. VI 294ff.). Schließlich werden die Glieder schwerfällig, als ob sie übermäßige Arbeit verrichtet hätten, und es treten Erkrankungen auf. Diese sind verschieden, je nach dem Sitz der Plethora: Leber, Milzleiden, Magenleiden, Epilepsie, Blutspeien, Erkrankung der Nieren (Gal. IX 239ff.), Phrenitis, Pleuritis, Peripneumonie, Synanche, Magen- und Αugenleiden (Gal. III 493). Gleichfalls eine Folgeerscheinung der Plethora sind die Entzündung (Gal. III 493) und das Fieber (Gal. VΙΙ 541), von denen das Fieber nur im Gefolge von Entzündungen auftritt, also ein sekundäres Leiden ist (ἐπιγέννημα Aet. plac. V 29, 1 p. 441, 1 D. Cels. III 10. Gal. VII 541. XI 226. XV 159. XIV 728, vgl. M. Wellmann Frg. gr. Ärzte I 80). Infolge des übermäßigen Druckes öffnen sich die Synanastomosen (ἀναστομοῦσθαι ist sein Terminus), das Blut ergießt sich mit voller Gewalt in die Arterien (παρέμπτωσις τοῦ αἵματος Gal. XI 153ff. IV 709. Cels. praef. 3, 23) und wird von dem ihm entgegenkommenden Pneuma in die Arterienendungen zurückgeschleudert, wo alsbald Verstopfung (σφήνωσις, σφηνοῦσθαι Gal. XI 154. III 493. X 101. 119. 461) der Arterien eintritt. Verschieden von dieser durch Plethora hervorgerufenen Entzündung ist die Art der Entzündung, welche im Gefolge von Hieb- oder Stichwunden auftritt (φλεγμονὴ ἐπὶ τραύμασι). In diesem Falle tritt das Pneuma im Nu aus der verletzten Schlagader aus, und da es kein kontinuierliches Vacuum gibt, so schießt nach dem Gesetz der πρὸς τὸ κενούμενον ἀκολουθία das Blut aus den Venen durch die Anastomosen dem entweichenden Pneuma nach (Gal. XI 154). Schließt sich die Wunde, so wird das Blut in ihrer Umgebung von dem aus dem Herzen nachströmenden Pneuma zusammengepreßt, und die Entzündung ist fertig (XI 154). Als Erkennungszeichen der Entzündung und des Fiebers bezeichnete er die widernatürliche Pulsfrequenz (Gal. VIII 716. 761; übrigens scheint schon Aigimios von Elis unter σφυγμός wie E. die widernatürliche Arterienbewegung κίνησιν τὴν παρὰ φύσιν verstanden zu haben; vgl. noch Cael. Aurel.-Soran. bei V. Rose Anecd. II 226. 208; E. verdankt diese Lehre, wie sein Bruder Kleophantos, dem Chrysipp, vgl. Herm. XXXV 378), außerdem als Kriterium des Fiebers die Steigerung der Körperwärme und die Rötung des Gesichtes (Gal. XVIII B 548. Sext. Emp. adv. Math VIII 335), sowie das Eitersediment im Urin (Gal. XV 158). Endlich rufen auch Störungen des Pneuma sowohl in der uns umgebenden Luft (Witterungswechsel, Klimawechsel usw.) als auch in unserm Körper Krankheiten hervor (Orib. V 230). Was die einzelnen Krankheiten anlangt, so verstand er unter Paralyse eine Lähmung der Nerven des ganzen Körpers oder eines einzelnen Körperteils (Anecd. med. Rh. Mus. XLIX 550). Sie entsteht dadurch, daß zähe und klebrige Säfte aus den Venen in einzelne der peripherischen Nerven treten und Stockungen des Pneuma hervorrufen (Anecd. med. a. a. O. Gal. V 125). Er berichtet von einem Fall von Paralyse, der infolge übermäßiger Extension bei der Reposition der Luxatio axillaris [346] eingetreten sei (Gal. XVIII B 867). Als besondere Art der Lähmung bezeichnet er das παράδοξον (Cael. Aurel. m. chron. II 1, 15), eine Erkrankung, die sich darin äußert, daß die Bewegungsfähigkeit der Glieder nur auf kurze Zeit. unterbrochen ist. Phrenitis und Lethargie haben ihren Sitz in der Dura mater des Gehirns und beruhen auf einer Störung der von ihm anfänglich dort lokalisierten ψυχικὴ δύναμις (Anecd. med. Rh. Mus. LVIII 69. 73). Die Apoplexie betrachtete er gleichfalls als eine Krankheit des Gehirns, bei der infolge von übermäßiger Ansammlung von Schleimmassen der freie Zugang des ψυχικὸν πνεῦμα zu den Nerven behindert (Rh. Mus. LVIII 80) und infolgedessen das Bewegungsvermögen des Körpers aufgehoben ist. Unter συνάγχη (Angina) verstand er eine durch Plethora hervorgerufene Entzündung der Atemwerkzeuge, der Mandeln und Epiglottis (Gal. XI 206), welche Entzündungen der Lunge und Leber im Gefolge haben kann. Aus seiner eigenen Praxis führte er als Beispiel des tötlichen Verlaufs der Angina den Fall Kriton an (Gal. a. a. O.). Die Pleuritis erklärte er nach dem Vorgange des Diokles für eine Entzündung des Pleurasackes (ὁ ὑμὴν ὁ ὑπεζωκὼς τὰς πλευράς). Bei dieser Krankheit treten weder Rötung oder Anschwellung der Haut noch Schmerzen auf, da die Entzündung in der Tiefe sitzt, der Kranke kann nicht auf der gesunden Seite liegen, weil in diesem Falle der Krankheitsstoff nach der kranken Seite entweicht und durch den Druck, den er auf die entzündete Pleura ausübt, Schmerzen verursacht (Cael. Aurel. ac. morb. II 16, 96. Rh. Mus. LVIII 93). Die Krankheit ist mit Atembeschwerden und heftigem Auswurf verbunden. Die Entstehung des Auswurfs erklärte er in der Weise, daß das bei der Entzündung sich bildende Eitersediment sich im Mittelfellraum ansammelt, von da in die Venen tritt und durch die Atmung in die Lunge (Gal. VIII 318). Dringt der Eiter ins Herz, so ist die Krankheit tötlich (Cael. Aurel. morb. chron. V 10, 103. 111). Alle Blutungen (αἵματος πτύσις Bluthusten, αιματος ἀναγωγή Blutungen aus den inneren Organen) führte er auf drei Entstehungsursachen zurück: Ruptur der Venen, Fäulnis ihrer Wandungen und Anastomose d. h. Öffnung der Venenklappen infolge von Plethora (Cael. Aurel. morb. chron. II 10, 122. Cels. IV 11, 134). Er hat die Organe genauer zu bestimmen gesucht, in denen die Blutungen ihren Ursprung haben. Dabei stellte er fest, daß die Blutungen aus dem Pharynx aus knotenartigen Anschwellungen (κονδυλώματα) im Schlunde kommen (Cael. Aurel. morb. chron. II 11, 129), welche den Hämorrhoidalknötchen ähneln. Besonders disponiert dazu sind seiner Ansicht nach die schwachen, dünnen und langhalsigen Menschen, während die kurzhalsigen (μικροτράχηλοι) leicht zu heilen sind (Cael. Aurel. morb. chron. II 12, 137). Die Störung der Verdauungstätigkeit (ἀπεψία Aet. plac. V 30. 3 p. 443, 9 D.) ruft mannigfache Leiden hervor. Dazu gehört die Coeliaca passio (κοιλιακὴ διάθεσις), vgl. Cael. Aurel. morb. chron. IV 3, 78). Die Auszehrung (ἀτροφία) erklärte er daraus, daß die Venen des Magens infolge von Schwäche oder von Überhandnehmen dicker Säfte keine Nahrung in sich aufzunehmen imstande sind (Anecd. med. [347] Rh. Mus. XLIX 552). Das krankhaft gesteigerte Nahrungsbedürfnis nannte er βούλιμος (Gell. n. att. XVI 3). Dasselbe tritt in kalten Gegenden und an kalten Tagen häufiger auf (Gell. a. a. O.); die Ursache war ihm unbekannt. Das Hungergefühl beruht darauf, daß der Magen leer ist und die Muskelhäute des Magens ihre Bewegungen zum Zerreiben der Nahrung umsonst ausführen. Sind die Magenwände völlig erschlafft, so hört das Gefühl des Hungers auf. Dies sei der Grund, weshalb die Skythen ihn durch Zusammenschnüren des Unterleibes vertreiben könnten (Gell. a. a. O.). Dysenterie erkannte er an der blutigen und schleimigen Beschaffenheit der Exkremente, bei Leienterie seien sie unverdaut und mit blutigen und schleimigen Bestandteilen vermischt, bei Teinesmos (Stuhlzwang) gallig mit Schleim und Blut versetzt (Gal. XVIII A 6. XVII A 364). Die Gallenruhr (χολέρα) äußert sich nach seiner Meinung in Erbrechen und Durchfällen (Cael. Aurel. a. m. III 21, 213) und kann Fieber im Gefolge haben. Die Wassersucht leitete er von einer Verhärtung der Leber her, die Verstopfung der Lebervenen im Gefolge habe, so daß sie nur die dünnen und wässerigen Bestandteile der Nahrung aufnehmen (Ps.-Gal. XIV 746. Gal. XVI 447. Cels. III 21. Cael. Aurel. morb. chron. III 8, 111. 124. Gal. XV 123; de nat. pot. II 8, 180 H. = II 109 K. Rh. Mus. XLIX 555). Durch Sektionen, die er an wassersüchtigen Leichen vorgenommen, war er zu dieser Theorie gelangt (Cael. Aurel. morb. chron. III 8, 111). Die Gelbsucht führte er auf Verstopfung des Ductus choledochus zurück, welche die Absonderung der Galle in den Darm verhindert (Rh. Mus. XLIX 554). Infolgedessen gelangt sie in die Leber und wird durch die Hohlvene dem ganzen Körper zugeführt. Die καρδιακὴ διάθεσις endlich betrachtete er als eine Entzündung des Herzens (Cael. Aurel. a. m. II 34. 180).
E. unterschied zwischen Hygiene und Therapie (Gal. script. min. III 86 H. = V 880. VI 77; der Terminus Hygiene rührt von Diokles her, E. verfaßte eine Schrift ὑγιεινά). Die Aufgabe der ersteren besteht darin, Gesundheit (d. h. εὐταξία und αὐτάρκεια Aet. plac, V 30, 3 p. 443, 10) zu erhalten und Krankheiten vorzubeugen (Ps.-Gal. XIV 692), die der letzteren Krankheiten zu heilen. Er stellte die Hygiene höher als die Therapie: wie der Steuermann es vorzieht, einem Sturm auszuweichen als im Sturme Gefahren zu trotzen, so verdient die Kunst Krankheiten zu verhüten den Vorzug vor der, Krankheiten zu heilen (Ps.-Galen. XIV 692). Der Hygieniker hat der Gewohnheit besondere Aufmerksamkeit zu schenken: doch hat auch der Arzt mit ihr zu rechnen (Gal. Script, min. II 16 aus seiner Schrift περὶ παραλύσεως mit deutlichen Anlehnungen an [Hipp.] Aph. II 49. 50; vgl. Gal. XV 395. 396). So komme es z. B. vor, daß Ausleerungen, die für den Körper ohne jeden Nutzen sind, dem Menschen so zur Gewohnheit werden, daß, wenn sie unterbleiben, der Mensch erkrankt, oder daß ein Mensch, der an schwere Nahrung gewöhnt sei, leichtere Kost, an die er nicht gewöhnt ist, langsamer und schwerer verdaue usw. In der Therapie hieß er den Arzt die Wege wandeln, welche die Diagnose vorschreibe, die auf einer genauen Prüfung aller die Krankheit begleitenden [348] Symptome beruhen müsse (Gal. V 138. VIII 14). Sein oberster Grundsatz war die Entstehungsursache der Krankheit zu beseitigen; dazu sei genaue Kenntnis auch der entfernten Ursachen erforderlich (προκαταρκτικά und προηγούμενα αἴτια Ps.-Gal. XIV 692. Diosc. II 49). In seiner Schrift περὶ αἰτιῶν eiferte er gegen die Überhebung der empirischen Ärzte (Philinos), welche die Katalepsie der verborgenen Ursachen leugneten und sie von dem Bereich ihrer Beobachtung ausschlossen (Diosc. a. a. O.). Ferner vertrat er den Grundsatz, daß die Behandlung der Kranken individuell verschieden sein müsse (Gal. XI 237); so gebe es z. B. zur Beseitigung der Plethora verschiedene Behandlungsarten (πλείους τρόποι τοῦ διαλύειν τὴν τοιαύτην διάθεσιν Gal. a. a. O.), je nach den Gewohnheiten des Kranken. In vielen Punkten brachte E. das therapeutische Verfahren seines Lehrers Chrysipp wieder zu Ehren. Wie jener war er ein entschiedener Gegner aller gewaltsamen Kuren; er warnt vor allzu drastischen Purgantien und empfiehlt ein milderes Vorgehen (Gal. XI 245. 324. X 377. 379); bisweilen verwirft er sie völlig, z. B. bei der Gelenkentzündung und beim Podagra (Cels. IV 31. Cael. Aurel. morb. chron. V 2, 50). Den Aderlaß bannte er zwar nicht völlig aus seiner Therapie wie Chrysipp, aber er beschränkte ihn doch auf das äußerste Maß (Gal. XI 148. 176. 229. 234 aus seiner Schrift περὶ αἵματος ἀναγωγῆς. Cael. Aurel. morb. chron. II 13, 183) und setzte an seine Stelle bei der Hamorrhagie das Umwickeln der Extremitäten, besonders in der Schulter- und Inguinalgegend, mit wollenen Binden (Gal. XI 148f. Cael. Aurel. morb. chron. II 18, 186. Cels. IV 11). Er begründete dies Verfahren in folgender Weise: da die Hämorrhagie Entzündung im Gefolge habe und bei Entzündungen völlige Enthaltung von Nahrung (ἀσιτία) am Platze sei, so würde der Kranke, wenn noch Blutentziehung zu dem Fasten käme, zu sehr geschwächt, und der letale Ausgang sei sicher (Gal. a. a. O. X 376f.). Dagegen werde durch Unterbinden der Glieder das Blut von der Brust abgezogen, so daß die Anastomosen sich schließen könnten, und außerdem habe der Kranke während der Fastenzeit in den unterbundenen Teilen Nahrung genug zum Leben (Herm. XXXV 373). Galen berichtet von zwei in der Geschichte der Medizin allgemein bekannten Fällen, wo die von E. behandelten Kranken infolge der Unterlassung des Aderlasses starben: das Mädchen von Chios, das nach vorausgegangener Monatsverhaltung an periodischem Bluthusten litt (Gal. XI 200), und den Fall Kriton, der an Halsbräune erkrankt (Gal. XI 206f) und von ihm mit Bähungen, Kataplasmen und Abführmitteln (καταπότια τὰ διὰ καστορίου Bibergeilpillen) behandelt worden war (Gal. XI 206 = Cael. Aurel. a. m. III 4, 33 aus seiner Schrift περὶ διαιρέσεων). Den Krankheitsstoff suchte er außerdem durch Erbrechen (Cael. Aurel. morb. chron. II 1, 54; a. m. III 21, 213 = Cels. IV 18. Gal. XI 180. 238), durch den Schweiß (Gal. XI 239. 246) und durch den Urin abzuführen (z. B. beim Hydrops Cael. Aurel. morb. chron. III 8, 146). Ferner wandte er Dampfbäder an and warme Bähungen (Orib, V 425. Cael. Aurel. a. m. III 4, 33 = Gal. XI 206. 237. Cael. Aurel. a. m. III 21, 213), Frottierungen (CaeL Aurel. [349] morb. chron. III 8, 146), Umschläge (Cael. Aurel a. m. III 17, 166. 21, 213; morb. chron. II 13 187. III 8, 147; einen erweichenden Umschlag gegen Arthritis hatte er dem Könige Ptolemaios II. versprochen, vgl. Cael. Aurel. morb. chron. V 2. 50), Pflaster (bekannt war sein Pflaster gegen Arthritis Cael. Aurel. morb. chron. V 2, 44). Hohe Anerkennung verdient sein Streben, mehr durch Regelung der Diät (Gal. XI 237ff. Orib. V 230) und durch mechanische Hilfsmittel zu wirken als durch medikamentöse Stoffe: Nahrungseinschränkung (ὀλιγοσιτία Gal. XI 240) bezw. völlige Enthaltung von Nahrung (ἀσιτία z. B. bei der Darmverschlingung Cael. Aurel. a. m. III 17, 166, vgl. Gal. XI 155), körperliche Bewegungen jeglicher Art (vgl. Cael. Aurel. morb. chron. II 1, 54. 13, 188. 8, 145) und Bäder (Gal. XI 180. 240. 237) spielen in seiner Therapie eine große Rolle. Die Diät der Plethora ist kurz folgende: denen, die an körperliche Bewegungen gewöhnt sind, empfahl er dieselbe zu steigern und darnach ein Schwitzbad zu nehmen. Essen soll der Kranke nur einmal am Tage, die Nahrung soll leicht verdaulich sein: rohes und gekochtes Gemüse, Kürbis, Gurken, frische Feigen, Hülsenfrüchte mit Gemüse zusammengekocht, ungesäuertes Brot; dagegen verbot er Fleisch, Fische, Milch und Mehlsuppen. Nach der Mahlzeit soll der Kranke vomieren, um die überschüssige Nahrung los zu werden (Gal. XI 237 aus seiner Schrift περὶ πυρετῶν). Seine Behandlung der Wassersucht (Cael. Aurel. morb. chron. III 8, 145) ist darauf gerichtet, die Wasseransammlung zu beseitigen. Daher empfahl er körperliche Bewegung am Morgen und Abend, Frottierungen, Salbungen im Bett, vor der Mahlzeit urintreibende Mittel (Pillen καταπότια, vgl. Plin. XXIV 77. Cels. III 21, 107); den Gebrauch von Purgantien verwarf er und riet durch die Nahrung den Leib offen zu erhalten; das Klystier soll frei von scharfen Substanzen sein. Dann empfahl er nach dem Vorgange des Chrysipp Dampfbäder in einem Fasse (ἡ διὰ τοῦ πίθου πυρία, Gal. IV 495. Cels. III 21). Den Gebrauch von kalten Bädern verwarf er, wenigstens in der ersten Zeit (Cael. Aurel. a. a. O. Cels. III 21, 3). Die Kost muß reichlich sein; der Kranke soll zweimal des Tages Nahrung zu sich nehmen. Als Nahrung empfahl er Brot aus Sesammehl, gesalzen und gezuckert, Fische, gebratenes Huhn, Wildpret, Lamm- und Ziegenfleisch, als Getränk einen Schlürftrank aus Honig oder Milch, nach dem Abendessen etwas Wein und den Genuß von getrockneten oder frischen Feigen; endlich empfahl er erweichende Umschläge und Pflaster aus Äpfeln mit Wein und zur Verteilung der Geschwulst das Rautenmittel (ἡ διὰ πηγάνου). Bei der Gallenruhr (χολέρα) ließ er gleich zu Anfang lauwarmes Wasser trinken, um Erbrechen zu erregen. Bei Schmerzen in den Eingeweiden empfahl er warme Bähungen und Umschläge aus Gerstenmehl und Wein (Cael. Aurel. a. m. III 21, 213. Cels. IV 18, 144). Wenn sich Ohnmacht einstellt, verordnete er, wie sein Lehrer (Gal. XI 171), lesbischen Wein (den er besonders schätzte, Plin. n. h. XIV 73) mit kaltem Wasser (3–5 Tropfen) vermischt nach jedem Anfall; erst wenn sich Fieber einstellt, riet er ihn unvermischt zu geben (Cael. Aurel. a. a. O. Cels. [350] a. a. O.; vgl. Aret. a. m. II 4, 268f.). Auch vor chirurgischen Eingriffen schreckte er im Falle der Not nicht zurück. Wenn beim Empyem sich Eiter zwischen Bauchfell und den Eingeweiden angesammelt hat, so pflegte er ihn durch operativen Eingriff zu entfernen (Cael. Aurel. morb. chron. V 10, 127). Bei Leberleiden öffnete er die Bauchdecken, um die Medikamente direkt auf die Leber bringen zu können (Cael. Aurel. morb. chron. IV 4, 65), dagegen hielt er den Bauchstich (παρακέντησις) bei Wassersucht nicht nur für überflüssig (Cael. Aurel. morb. chron. III 8. 122. Cels. III 21. Gal. XVIII A 39), weil sich die Flüssigkeit doch immer wieder bildet, sondern sogar für lebensgefährlich, da das Zwerchfell und die darunter liegenden Eingeweide nach Entfernung der Flüssigkeit in Mitleidenschaft gezogen werden. Harnverhaltung bei Paralyse des Bauchfells beseitigte er mit Hilfe des S förmig gebogenen Katheters, der von ihm erfunden sein soll (Ps.-Gal. XIV 751. Cael. Aurel. morb. chron. II 1, 13). Was endlich die von ihm verwandten Arzneimittel anlangt, so hat sie R. Fuchs in seiner Dissertation Erasistratea quae in librorum memoria latent congesta enarrantur, Berlin 1892, 30 ziemlich vollständig zusammengestellt.
Von Schriften des E. werden folgende genannt: 1. Sein anatomisches Hauptwerk Διαιρέσεις in zwei Büchern, erst im höheren Alter von ihm verfaßt (Gal. XVIII A 86, vgl. Gal. XI 199). Die von Cael. Aurel. a. m. III 4, 33 (vgl. Gal. IV 718) erwähnten anatomicorum libri sind identisch mit dieser Schrift (Gal. XI 206 = Cael. Aurel. a. a. O.). 2. (Περὶ τῶν καθόλων λόγων oder ἡ περὶ τῶν καθόλου πραγματεία (Athen. XV 665 e) in mindestens zwei Büchern (Gal. de nat. pot. II 6, 177). 3. Ὑγιεινά (Salutaria) in zwei Büchern (Gal. V 880. XI 179. Cael. Aurel. a. m. III 21, 213; morb. chron. II 7, 109). 4. Περὶ πυρετῶν (de febribus) in drei Büchern (Gal. XI 155. 235. Cael. Aurel. a. m. I 13, 104). 5. Περὶ αἵματος ἀναγωγῆς in zwei Büchern (Gal. VIII 317. XI 191. 148. 175. 230). 6. Περὶ αἰτιῶν (Ps.-Diosc. II 49 ed. Spr.). 7. Περὶ τῶν κατὰ τὴν κοιλίαν παθῶν (de ventre) in drei Büchern (Cael. Aurel. morb. chron. IV 3, 78. 6, 90. Gal. XI 192). 8. Περὶ παραλύσεως in zwei Büchern (Gal. script. min. II 16. Gal. XI 245. XVI 673. Cael. Aurel. morb. chron. II 1, 53), von Galen auch unter dem Titel περὶ παρέσεων zitiert (Gal. XI 192). 9. Περὶ ποδάγρας (Cael. Aurel. morb. chron. V 3, 50. Gal. XI 192. 245). 10. Περὶ ὕδρωπος (Cael. Aurel. morb. chron. III 8, 122. 145). 11. Περὶ δυνάμεων καὶ θανασίμων (Ps.-Diosc. II 74. 87. Schol. Nic. Al. 65). 12. Ὀψαρτυτικά (Athen. VII 324 a. XII 516 c). Nach Suidas schrieb er nur ἰατρικὰ βιβλία θ’.
Literatur: Fr. H. Schwarz Herophilus und Erasistratus, eine historische Parallele 1826 (veraltet). Bauer Geschichte der Aderlässe, München 1870, 31ff. Sprengel Geschichte der Medizin⁴ I 521. Hecker Geschichte der Heilkunde I 269. Susemihl Geschichte der Literatur der Alex. I 798ff. Fuchs Erasistratea, Berliner Dissertation 1892; Die Plethora bei Erasistratus, Jahrb. f. Philol. 1892, 679f. Diels Über das physikalische System des Straton, S.-Ber. Akad Berl. 1893, 105. M. Wellmann Herm. XXXV 371. Beloch Griech. Gesch. III 2, 474.
[M. Wellmann.]
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