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Epigramm. Eine Geschichte des E.s zu geben, ist zur Zeit noch unmöglich. Selbst der Versuch, über die Hauptfragen zu orientieren, wird eine vom Charakter dieser Enzyklopädie abweichende Form annehmen müssen. Weder herrscht über den Begriff genügende Klarheit, noch ist der Bestand leicht zu überschauen, noch läßt sich über die Hauptprobleme eine Einigung der Forscher in nächster Zeit erwarten.

1. Von Literatur der älteren Zeit ist besonders zu erwähnen: Jacobs Animadversiones I. XIII. Bernhardy Grundriß d. gr. Lit. II 2³ 757. Bergk Gr. Lit.-Gesch. II 173. K. O. Müller Gesch. d. gr. Lit. I 209; wenig ergeben A. Croiset Hist. de la lit. gr. II 159, vielfach Falsches Christ Gesch. d. gr. Lit., wertlos ist Sittl Gesch. d. gr. Lit. und Flach Gesch. d. gr. Lyrik, kritiklos Burckhardt Gr. Kulturgesch. III 170. Über die Dichter der alexandrinischen Zeit bietet G. Knaack in Susemihl Gesch. d. gr. Lit. in der Alexandrinerzeit II Kap. 36, über die römisch Zeit Hillscher Jahrb. f. Phil. Suppl. XVIII 353 wertvolle Übersichten (doch vgl. zu letzterer Rubensohn Festschrift f. Joh. Vahlen 1900, 115), den Versuch einer Charakteristik der ältesten Dichter Reitzenstein Epigramm und [72] Skolion. Die in letzterem auf Grund eines äußeren Anlasses einseitig und übertreibend durchgeführte Beziehung des literarischen E.s auf das Gelage ist stark zu beschränken. Weiteres siehe unter Anthologie und den Namen der einzelnen Dichter.

2. Der Bestand. Die inschriftlich erhaltenen griechischen Epigramme sind zuerst von Kaibel Epigr. graeca e lap. collecta, Berl. 1878 (Suppl. Rh. Mus. XXXIV 181) in einer für ihre Zeit mustergültigen Weise gesammelt worden. Zu einer zweiten Ausgabe, die entsprechend der großen Vermehrung des Materials nur die besten Gedichte bieten sollte, ist Kaibel nicht mehr gekommen. Ungenügenden Ersatz bieten Fr. D. Allen Papers of the American school of Athen IV 1888, 174 Greek versification of inscriptions und Ernst Hoffmann Sylloge epigr. graec. quae ante medium saec. a. Chr. n. III incisa ad nos pervenerunt, Halle 1803 (wertlos Cougny Ep. Anth. Pal. vol. III 1900). Die zahlreichen neueren Funde sind in Sonderpublikationen verstreut. Als Ergänzung zu der inschriftlichen Überlieferung hat Th. Preger die von Schriftstellern erwähnten Inschriften fleißig, doch in der Beurteilung von falschen Gesichtspunkten ausgehend, gesammelt: Inscriptiones gr. metricae ex scriptoribus praeter anthologiam collectae, Leipzig 1891. Die lateinischen metrischen Inschriften sind von Bücheler Anthologiae latinae sive poesis lat. supplementum edd. Buecheler et Riese II gesammelt und vorzüglich herausgegeben; zu ihrer Typologie hat Lier (Philolog. N. F. XVI 445. 563) dankenswerte Beiträge geboten.

Die literarische Überlieferung in den griechischen Anthologien ist Bd. I S. 2380 geschildert. Bereichert ist unsere Kenntnis einmal durch die leider nur langsam fortschreitende, groß angelegte, wenn auch in der Testgestaltung meist unglückliche Ausgabe Stadtmüllers, sodann durch eine Reihe Papyrusfunde, welche auf die Eigenart der älteren Publikationen Licht werfen.

Einer Sonderpublikation des 3. Jhdts. v. Chr. gehört das Blatt Flinders Petrie-Pap. II 49b an; es sind der Fiktion nach Aufschriften auf Buchrollen, durch Lemmata, wie z. B. (⟨εἰς ... Ἀχιλλ⟩έως τοῦ Ἀριστάρχου geschieden, die Anordnung einerseits durch literarische γένη, andrerseits durch die Zeitfolge der Dichter bestimmt: Col. I zwei unbekannte Tragödiendichter und Stücke, Achill des Aristarch. Tragödie des Astydamas(?), Komödie des Kratinos; Col. II εἰς Τ⟨αγηνιστὰς Ἀριστοφάνους⟩(?)), εἰς Πό⟨λεις Εὐπόλιδος⟩(?), εἰς ⟨Δὶς ἀπατῶντα Μενάρδου⟩ (?), unbekanntes Stück. Alle Gedichte sind vierzeilig, in dem Buche war jedenfalls nicht nur das Drama berücksichtigt. Vergleichbar wären etwa das später zu besprechende Γραφεῖον (?) des Kallimachos und die Epigramme des Dioskorides auf die Dramatiker.

Einer Anthologie gehörte das Blatt der Tebtynis-Pap. I 3 an, geschrieben um Beginn des 1. Jhdts. v. Chr., doch scheint das Werk älter. Es beginnt mit dem längeren ekphrastischen Gedicht eines Unbekannten auf ein Kunstwerk, dann dem E. des Alkaios von Messene auf das Standbild des Kleitomachos (A. P. IX 588); hierauf folgt ein E. auf ein Buch (vgl. Kallimachos Ep. 27 WiL.² = A. P. IX 507. Asklepiades IX 63 und oben: der Name des Dichters scheint danach [73] mit Recht zu ⟨Ποσειδί⟩ππου ergänzt); endlich eine Lakedaimonieranekdote, also ein Stoff, den nach unserem bisherigen Material zuerst Dioskorides behandelt hat. Da indessen dieser gerade in der Stoffwahl stark von Asklepiades von Samos abhängt und Asklepiades öfters mit Poseidipp verbunden wird, scheint die Ergänzung [Ἀσκληπ]ιάδου sicher. Daß nicht ein Fragment des Meleagerkranzes vorliegt, schließe ich daraus, daß die Gedichte keinerlei Beziehung zu einander haben und nach einem rein äußerlichen Gesichtspunkt (etwa dem Anfangsbuchstaben) neben einander gestellt scheinen; andrerseits stammen sie auch nicht aus einem einheitlichen Dichterkreis, wie ihn z. B. Lutatius Catulus und seine Klienten, Asklepiades und seine Genossen Poseidipp und Hedylos bilden. Es scheint also, daß der Sammlung Meleagers andere größere und kleinere Anthologien vorauslagen; er rühmt sich ja auch nicht der Erfindung dieser Publikationsart, sondern nur der zierlichen Anordnung und Vollständigkeit seiner Sammlung. Die verbreitete Vorstellung, daß Meleager die älteren Epigramme den alexandrinischen Ausgaben der betreffenden Dichter entnommen haben müsse, ist danach unhaltbar. Wir wissen nicht, wie viel Sammlungen ihm daneben dienten und wie zuverlässig die einzelnen waren.

Das weitaus wichtigste Stück ist Oxyrhynchos-Pap. 662 (= IV p. 64) auf der Rückseite des neuen Pindarliedes etwa zu Augustus Zeit offenbar zum Privatgebrauch geschrieben. Auf das Grab-E. des Leonidas von Tarent auf Prexo (A. P. VII 163) folgt eine Paraphrase dieses Gedichtes von Antipater von Sidon (A. P. VII 164), hierauf (nach zwei wohl irrtümlich hierher verschlagenen Versen) eine weitere Paraphrase desselben Gedichtes von einem bisher unbekannten Dichter Amyntas, dessen Alter durch das nächste, ihm ebenfalls gehörige E. auf Philopoimen einigermaßen bestimmt wird. Es folgt ein unbekanntes Weihe-E. des Leonidas, und diesem wieder eine Paraphrase von Antipater, endlich der Anfang eines dritten Gedichtes von Leonidas. Die Anordnung ist also nach literarischen Gesichtspunkten gemacht und scheidet Grab- und Weihe-E. nicht. Dieselbe Anordnung zeigen die Reste des Meleagerkranzes, in welchen die Scheidung nach Grab- und Weiheepigrammen ja erst von Konstantinos Kephalas oder seinen Vorgängern hereingebracht ist. Ich hebe aus den trefflichen Nachweisen Radingers (Meleager von Gadara. Innsbruck 1895. 100) nur die Analyse einer Reihe heraus: A. P. VI 286 Leonidas, 287 Paraphrase des Antipater, 288. 289 Leonidas, 290 Dioskorides. 291 Antipater (?), 292 Hedylos, 293 Leonidas. 294. 295 Phanias (Nachahmer des Leonidas), 296 Leonidas, 297 Phanias. 298 Leonidas, 299 Phanias, 300 Leonidas, 301 Kallimachos, 302 Leonidas. 303 Ariston (Nachahmer des Leonidas), 304 Phanias, 305 Leonidas, 306 Ariston, 307 Phanias usw. Wohl haben auch die byzantinischen Überarbeiter auf Nachahmungen und stoffliche Übereinstimmungen geachtet, aber das sichere Stilgefühl, mit dem in diesen Reihen immer wieder die Werke bestimmter Schulen zusammengestellt werden, traue ich ihnen nicht zu; ebensowenig die Umgestaltung ursprünglich alphabetischer Reihen zu der jetzigen sachlichen Ordnung. [74] Das Prinzip, immer einen hervorragenden Dichter zum Grundstock zu nehmen und die Reihenfolge seiner Gedichte aus ähnlichen zu durchbrechen und zu beleben, entspricht der Kunst des Kranzflechters, und da A. P. VII 163. 164 in einer solchen Reihe und in dem Fragment der Oxyrhynchosanthologie dieselbe Stellung einnehmen, ist dies Fragment aus Meleagers Kranz kopiert oder exzerpiert. Wir lernen durch es zugleich einen neuen Dichter dieses Kranzes kennen, Amyntas. Zu den ἔρνεα νεόγραφα, den Liedern der Zeitgenossen Meleagers (A. P. IV 1, 55), gehören seine Gedichte nicht; die Tatsache, daß ein Dichter des 2. Jhdts., der in der Sammlung benützt ist, uns erst durch diesen Zufall bekannt wird, scheint mir von höchster Bedeutung. Die Arbeit an der Anthologie wendet sich seit einem Jahrzehnt mit besonderer Vorliebe der Bestimmung der ἀδέσποτα zu. Als ob nicht ein Zuweisen anonymer Stücke an bestimmte Autoren auf Grund nur stilistischer Übereinstimmungen an und für sich bedenklich, bei kurzen Stücken aber überhaupt unerlaubt wäre, beruft man sich auf Übereinstimmungen eines oder zweier Worte meist ohne jede Rücksicht auf den stilistischen und rhetorischen Grundcharakter der Dichter, den nur Radinger (Eranos Vindobonensis 304ff.) noch wirklich beachtet hatte. Vielleicht hilft der Fund des Oxyrhynchos-Papyros die Arbeit an der Anthologie wieder in die Bahnen des Möglichen und Nützlichen zurückzulenken.

Von kleineren Funden wären noch etwa das zierliche E. auf Augustus (Kenyon Revue de Phil. XIX 177), die beiden Gedichte Poseidipps (Weil Monuments grecs. Journal des Savants 1879, 28), das kleine E. auf Homer (Rubensohn Berl. philol. Wochenschr. 1893, 642) zu erwähnen. Im Lateinischen bietet die Ausgabe der Anthologie von Riese (Anthol. lat. sive poesis lat. supplementum edd. Buecheler et Riese I) durch ihre musterhafte Scheidung der Überlieferung und die nach Bährens Ausgabe doppelt nötige Skepsis die Möglichkeit weiterer Untersuchungen.

Daß die Steinüberlieferung mit ihrem bunten Gemisch von Gutem und Stümperhaftem, dichterischer Erfindung und verständnisloser Weitergabe oder Kontamination alter Formeln eine Entwicklung der Dichtungsart mehr ahnen als darstellen läßt, dürfte klar sein. Die literarische Überlieferung gestattet uns, wie wir sehen werden, nur die Geschichte des E.s von 300 v. Chr. bis 100 n. Chr. zu verfolgen. In der Überlieferung alleinstehende Persönlichkeiten, wie der von A. Franke De Pallada epigrammatographo. Leipz. 1899 arg überschätzte Palladas (zweite Hälfte des 4. Jhdts. n. Chr.) oder die klassizistischen und eben darum unterschiedslos alles nachahmenden Dichter des Agathias-Kyklos (unter Iustinian) ergeben für die Entwicklung der Dichtungsart nichts. Auch im Lateinischen gestatten die anempfundenen Spielereien unbekannter und bekannter Epigonen und Nachahmer nicht, die Entwicklung über Martial. hinaus zu verfolgen.

3. Bevor ich zu ihr mich wende, sei es gestattet, die einzige aus dem Altertum erhaltene Theorie aus den versprengten Zeugnissen zusammenzustellen, wenn auch der Gewinn mehr [75] eine Zerstörung moderner Theorien als eine positive Bereicherung unseres Wissens sein wird. Ihren jungen Ursprung zeigt sie schon dadurch, daß sie E. und Elegie zu einer Einheit verbindet; freilich liegt eben hierin auch ihre Hauptbedeutung.

Am vollständigsten bietet sie Horaz in der Ars poetica v. 75: versibus impariter iunctis querimoma primum, post etiam inclusa est voti sententia compos; quis tamen exiguos elegos emiserit auctor, grammatici certant et adhuc sub iudice lis est. Freilich muß die Deutung erst durch eine Vergleichung mit Parallelberichten gegen die Willkür der Erklärer gesichert werden. Die spätere Literatur über Poetik hat Kaibel Die Prolegomena περὶ κομῳδίας, Abh. d. Ges. d. Wiss. zu Gött., N. F. II 4, der philologischen Benützung erschlossen, nur darin zu weit gehend, daß er alle ähnlichen Definitionen auf ein und dieselbe relativ junge Quelle zurückführen wollte und die verschiedenen Quellen der Scholien zu Dionysios Thrax zu wenig schied. Die Quelle des Horaz wird greifbar, sobald wir seine Besprechung der Lyrik mit Proklos Chrestomathie vergleichen; der Name wird von dem Hauptinstrument hergeleitet (Horaz 83 musa dedit fidibus), dann werden die Arten aufgezählt ἃ μὲν γὰρ αὐτῆς μεμέρισται θεοῖς (vgl. später ὕμνος ἐστὶ ποίημα περιέχον θεῶν ἐγκώμιον καὶ ἡρώων Wissowa IV,1 330 b1.jpg Horaz 83 divos puerosque deorum, was also nicht, wie z. B. Kiessling will, König bedeuten kann), ἃ δὲ ἀνθρώποις (Horaz 84). ἃ δὲ εἰς τὰς προσπιπτούσας περιστάσεις (Horaz 85). Die Einteilung stimmt in einzelnen Kleinigkeiten nicht überein. der Zusammenhang im ganzen ist klar; die Hauptscheidung geht vom Metrum aus. So ist mit dem Abschnitt über die Elegie bei Horaz zunächst wieder Proklos zu vergleichen: τὴν δὲ ἐλεγείαν (richtig wäre τὰ δε ἐλεγεῖα) συνκεῖσθαι μὲν ἐξ ἡρῴου καὶ πενταμέτρου, ἁρμόζειν δὲ τοῖς κατοιχομένοις. ὅθεν καὶ τοῦ ὀνόματος ἕτυχεν· τὸν γὰρ θρῆνον ἔλεγον ἐκάλουν οἱ παλαιοὶ καὶ τοὺς τετελευτηκότας δι’ αὐτοῦ ηὐλόγουν. οἱ μέντοι μεταγενέστεροι τοῖς ἐλεγείοις πρὸς διαφόρους ὑποθέσεις ἀπεχρήσαντο, λέγει δὲ καὶ ἀριστεῦσαι τῷ μέτρῳΚαλλῖνόν τε τὸν Ἐφέσιον καὶ Μίμνερμον τὸν Κολοφώνιον, ἀλλὰ καὶ τὸν Τηλέφου Φιλητᾶν τὸν Κῷον καὶ Καλλίμαχον τὸν Βάττου· Κυρηναῖος δ’ οὖτος ἦν. An eine Besprechung der ersten Entwicklung der Elegie schließt die Aufzählung der späteren namhaften Vertreter. Von der ausführlicheren Darstellung des Didymos, die zu Grunde liegt, sind zwei weitere Auszüge erhalten, der eine durch die ältesten Scholien zu Dionysios Thrax, welche im Etymologicum genuinum benützt sind, der andere durch Orion. Das Scholienstück läßt sich aus den beiden Handschriften des Genuinum (A = Vat. 1818, B = Flor. S. Marci 304) und der Urhandschrift des Gudianum, in welches die Glosse übernommen wurde (d = Barb. I 70), rekonstruieren; ein Vergleich mit den Diomedesscholien (S. 20, 22ff. Hilgard) zeigt, daß es aus zwei Teilen besteht, deren erster aus einer uns unbekannten Poetik, bezw. Schrift περὶ μέτρων (der Titel ist charakteristisch) stammt; der zweite geht auf Didymos περὶ ποιητῶν zurück (bei der Verwendung der Diomedesscholien ist zu beachten, daß Hilgards Ausgabe recht oft nicht selbst einen benutzbaren Text, sondern nur die Materialien zur Herstellung [76] eines solchen bietet; den Beweis geben die Abschnitte über Elegie in den verschiedenen Scholienrezensionen). Ich sondere die beiden Quellen durch I und II. Ἐλεγεῖα (I) [τὸ μέτρον] [καὶ ἀρσενικῶς ἔλεγος] ἢ ὅτι ἐπιλέγεται ⟨τοῖς τεθνεῶσιν⟩[1] [τὸ ἑξάμετρον[2] τὸ μεντάμετρον] ἢ παρὰ τὸ ἐλεεῖν[3] καὶ τὸν γόον [ἢ] παρὰ τὸ λέγεσθαι ἐπὶ τῶν θανόντων·εἰς τὴν κηδείαν [4] γὰρ ἐλέγετο. [5] ἢ παρὰ το ἒ ἒ λέγειν· Δημολέων δὲ ἐν τῷ περὶ μέτρων παρὰ τὸ εὖ λέγειν [6] τοὺς τεθνεῶτας.] (II) ἢ παρὰ τὸν ἔλεγον τὸν θρῆνον. Διδύμος δέ, ὅτι ⟨δι’ αὐτοῦ [7] εὖ ἔλεγον τοὺς ἀποιχουμένους ..... καὶ) διὰ τπ[το τῷ ἡρῴῳ ἐπῆγον [8] [ὡς] πεντάμετρον καὶ ⟨δυνάμει⟩ λειπόμενον τοῦ ἡρῴου [9] ,μιμούμενοι [10] τὴν τῶν ἀποθνησκόντων κατάπαυσιν. ∥ (I) ἐπὶ γὰρ μόνοις νεκροῖς πάλαι ᾒδετο ⟨πρὸς παραίνεσιν καὶ παραμυθίαν τῶν συγγενῶν καὶ φίλων τοῦ τεθνεῶτος⟩, [11]

Mehr ergibt das Exzerpt bei Orion 58, 7, das ebenfalls in das Etymologicum Gudianum aufgenommen ist: Ἔλεγος ὁ θρῆνος· διὰ τὸ δι’ αὐτοῦ [τοῦ θρήνου] εὖ λέγειν τοὺς κατοιχομένους· εὑρετὴν δὲ τῆς ἐλεγείας [12] οἱ μὲν τὸμν Ἀρχίλοχον, οἱ δὲ Μίμνερμον, οἱ δὲ Καλλῖνον παλαιότερον, ὅθεν καὶ [13] πεντάμετρον τῷ ἡρωϊκῷ συνῆπτον οὐχ ὁμόδρομον [14] τῇ τοῦ προτέρου δυνάμει, ἀλλ’ οἷον συνεκπνέοντα καὶ σθσβεννύμενον ταῖς τοῦ τελευτήσαντοσ τύχαις. οἱ δὲ ὕστερον πρὸς ἅπαντα ἀδιαφόρως· οὕτω Δίδυμος ἐν τῷ περὶ ποιητῶν.

Die Erfindung des elegischen Distichons, wie sie hier dargestellt wird, paßt natürlich weder auf das lange Gedicht, noch auf die Elegie überhaupt, sondern nur auf alte Grabepigramme wie etwa Kaibel 182 Προκλείδας τόδε σᾶμα κεκλήσεται ἐγγὺς ὁδοῖο, ὃς περὶ τᾶς αὑτοῦ γᾶς θάνε μαρνάμενος oder Kaibel Add. I a: Παιδὸς ἀποφθιμένοιο Κλεοίτου τοῦ μενεσαίχμου μνῆμ’ ἐσορῶν οἴκτιρ’ ὡς καλὸς ὣν ἔθανε. In diesem Gebrauch hat die φύσις selbst das μέτρον erfunden. Hieraus wird Horaz erklärt, wie dies zum Teil schon Kiessling gesehen hat: versibus impariter iunctis (vgl. οὐχ ὁμόδρομον, bezw. δυνάμει λειπόμενον) querimonia (Grab-E. von ἔλεγος· ὁ θρῆνος) primum, post etiam inclusa est voti sententia compos (klare Bezeichnung für das kurze Weihe-E., vgl. über die Ausbreitung des Versmaßes Proklos und Orion). Hiernach können die folgenden Worte nur bedeuten, daß aus dem E. später durch Wiederholung des Distichons die zu Anfang noch kurze Elegie wurde (elegi ist nur hierfür technischer Ausdruck der Dichtersprache, der Streit bezog sich niemals auf Erfindung des E.s). Horaz fand in seiner Quelle die literarischen Hauptvertreter [77] der Elegie aufgezählt, erwähnt aber, weil er für Epos und Iambus nur Homer und Archilochos nennt, nur den Streit über den ersten Verfasser (Kallinos oder Archilochos, zu Mimnermos vgl. Hermesianax Leontion III frg. 2, 35). Die letzte Quelle aller dieser Theorien verrät Schol. Bob. zu Cic. pro Archia p. 358 Or.: alternos igitur versus dicit elegiacos, metris scilicet dissentientibus varios. primus autem videtur elegiacum carmen scripsisse Kallinos. adicit Aristoteles praeterea hoc genus poetas Antimachum Colophonium, Archilochum Parium, Mimnermum Colophonium, quorum numero additur etiam Solon Atheniensium legum scriptor nobilissimus. Es ist klar, daß Neoptolemos von Parion aus Aristoteles schöpft und Didymos u. a. im wesentlichen von ihm abhängig sind (vgl. die weiteren Spuren peripatetischer Poetik bei dem Grammatiker nach Censorin). Schon Aristoteles hatte, genau wie bei dem Dialog, den er ja zur Poesie rechnete, den ersten literarischen Vertreter neben Platon, so neben den ersten bekannten Elegiedichter die übrigen ἀριστεύσαντες gestellt. Daß die Schrift περὶ ποιητῶν neben biographischem und sonstigem Material auch den Versuch einer Poetik bot, zeigt der Titel und die Benutzung bei Didymos; daraus allein erklärt sich auch Tacitus Titel de oratoribus; die verschiedenen Arten der Beredsamkeit (gerichtliche und dichterische) werden geschieden und auf ihre Bedeutung für die Gegenwart geprüft (freilich hat ein polemischer Nebenzweck diese eigentümliche Umgestaltung einer Poetik bezw. Ästhetik stark beeinflußt, vgl. cap. 1). Ob andere Erklärer (z. B. Demoleon) die Elegie direkt mit dem ἔλεγος in Verbindung brachten, oder halbgebildete Grammatiker spätester Zeit Kallinos zum Erfinder des Pentameter machten (was Aristoteles so wenig tun konnte, wie Homer zum Erfinder des Hexameters machen), kurz die Ordnung der ganzen Tradition über den Ursprung der Elegie geht uns hier nichts an. Fest steht, daß die peripatetische Poetik das E. bis in die vorliterarische Zeit hinaufrückte; man fand es nach Ps.-Plutarch de vita et poesi Homeri 215 (sicher aus peripatetischer Quelle) ja schon in Homer Ιl. VI 460. 461. VII 89. 90 vorgebildet; in ihm ließ sie die Form des elegischen Distichons sich entwickeln und aus ihm die Elegie entstehen. Daß Neoptolemos, der einzige Theoretiker, der περὶ ἐπιγραμμάτων geschrieben hat (Athen. X 454 F), einen wesentlichen Unterschied zwischen Elegie und E. nicht macht, bleibt das Hauptresultat der Analyse dieser Theorie. Dem entspricht, daß noch im 4. Jhdt. das (im Distichon verfaßte) Gedicht nur ἐλεγεῖον heißt; erst gegen Ende scheinen die Sonderbezeichnungen ἐπίγραμμα und ἐλεγεία (ποίησις) bezw. bei Dichtern ἔλεγοι einzutreten.

4. Das ältere Epigramm. Das E. ist in der Tat keine besondere Dichtungsart, weder nach seinem Stoff, noch nach seiner Form. Es dient ebenso der Erklärung eines Grabmals oder einer Weihegabe, wie der Erinnerung an irgend ein Ereignis oder der Fortpflanzung eines Weisheitsspruches (vgl. das Δηλιακὸν ἐπίγραμμα Preger 209, vgl. 65, die Hermen des Hipparch und mit ihnen die Sprüche des Phokylides). Epos, Elegie und Lyrik wirken auf es ein (vgl. z. B. Kaibel [78] Epigr. 180. 19. A. P. XIII 28). Daß Grab- und Weiheaufschriften an Zahl weit überwiegen und am frühesten bestimmte typische Formen ausbilden, daß ferner im Laufe des 5. Jhdts. das elegische Distichon, weil es harmonische Ausgestaltung eines kurzen Gedankens am meisten begünstigt, vorherrschend wird, liegt in der Natur der Sache. Aber A. P. XIII 28 (worüber zu vgl. v. Wilamowitz Hermes XX 62, lehrreich ist ein Vergleich mit Simonides frg. 147 Bgk.⁴) zeigt, mit welcher Freiheit sich ein wirklicher Dichter gerade in der alten Zeit in ihm bewegen kann. Erst das Festwerden der Typen im allgemeinen Gebrauch mindert auch dem Dichter die Freiheit und schafft durch den Reiz, sie zu variieren oder zu überwinden, zugleich eine Dichtungsart. Die Entwicklung ist für uns nicht zu verfolgen, weil wir für die ältere Zeit auf die dürftige Steinüberlieferung angewiesen sind.

Sie gibt ein etwas klareres Bild nur für Attika, schon für das dorische Sprachgebiet ein recht undeutliches, für Ionien läßt sie uns trotz einzelner neuer Funde fast ganz im Stich, weil hier, besonders in der Grabinschrift, die Prosa schon früh das E. verdrängt hat. Erst in hellenistischer Zeit überträgt sich die allgemeine Sitte wieder stärker hierher.

Die poetische Ausrundung sucht der hergebrachten kurzen Formel etwas Schmuck und individuellere Züge zu verleihen. So fügt das E. in Athen zu dem Namen des Toten gern den charakteristischen Zusatz ἀγαθοῦ καὶ σώφρονος ἀνδρός oder zu der Angabe über die Denkmalserrichtung den Grund ἀντ’ ἀρετῆς ἠδὲ σαοφροσύνης hinzu (der Wechsel mit δικαιοσύνης ἀρετῆς τε zeigt, daß σαοφροσύνη schon im Gegensatz zu dem Gebrauch des jüngeren Epos ethische Bedeutung hat und daher der Tapferkeit, ἀρετή, entgegengestellt ist); aber auch die leere epische Formel τὸ γὰρ γέρας ἐστὶ θανόντων genügt. Im Weihe-E. ist es zunächst der Name der Gottheit, dem sich die stilistische Umgestaltung zuwendet; er wird durch die epische Formel (Διὸς γλαυκώπιδι κούρῃ) ersetzt oder durch ein Epitheton ornans oder eine Apposition hervorgehoben (παιδὶ Διὸς μεγάλου und – aus der Lyrik – Παλλάδι ἐγρεμάχᾳ, in Keos sogar schon im 6. Jhdt. χρυσαιγίδος wie bei Bakchylides). Auch der Zweck der Weihe wird angegeben: ἣ δ’ αὐτοῖς ευφρονα θυμὸν ἔχοι oder bei direkter Anrede οἷς χάροιν ἀντιδίδου oder μνῆμα, μνῆμα ἧς ἀρχῆς, μνῆμα πόνων Ἄρεος usw. Wohl begegnen vereinzelt auch schon früh individuellere Wendungen wie Anreden an den Vorübergehenden καὶ σε μένει θάνατος oder μνῆμ’ ἐσορῶν οἴκτιρ’ ὡς καλὸς ὢν ἔθανε, aber wer Grab- oder Weihe-E. als Dichtungsart einmal von einem bestimmten Poeten erfunden sein läßt, zeigt nur, daß er alte Epigramme überhaupt nicht kennt oder nicht zu empfinden versteht. Daß uns auf dorischem Gebiet so häufig die Betonung des Todes im Kampfe begegnet, mag aus einer Beschränkung besonderer Ehren auf diese Art von Toten zu erklären sein. Daß die bevorzugten Formeln räumlich begrenzt scheinen, liegt in der Natur der Sache. Der Dialekt ist im wesentlichen epichorisch; wenn der Tote im Ausland begraben ist, der seiner Heimat. Doch hat die Einwirkung des Epos oder der Lyrik ab und [79] an auch die dialektische Form beeinflußt (vgl. A. van Mess Quaestiones de epigrammate attico et tragoedia antiquiore dialecticae, Bonn 1898).

Dagegen zeigt bei den Weihegaben und Grabdenkmälern, in welchen die einzelnen Staaten Göttern oder Bürgern danken und den eigenen Ruhm verkünden, schon das Ende des 6. und der Beginn des 5. Jhdts. die Bildung eines gewissen poetischen Stiles, der in Kürze und Schlichtheit der Sprache, meist auch in stolzer Bescheidenheit, später nie wieder erreicht ist. Daß freilich dieser Stil durchaus nicht für jeden Dichter zwingend war, beweist das wortreiche und gedankenarme E. auf die Bezwinger von Eion (Preger 153), das in der Einführung des mythologischen (homerischen) Beispieles und in dem Mahnwort am Schluß wohl die Einwirkung der gleichzeitigen Elegie verrät. Auch die Privataufschrift nimmt bei hervorragenden Persönlichkeiten, die sich an wirkliche Dichter wenden konnten, schon in der ersten Hälfte des 5. Jhdts. freieren und individuelleren Ton an (vgl. etwa das Grab-E. des Simonides auf Megistias und das E. auf Archedike Preger 31). Der Beginn des Peloponnesischen Krieges zeigt dann in der Grabschrift der vor Potidaia Gefallenen (Kaibel 21) die erste Einwirkung der sophistischen Rhetorik (und der Tragödie) und trägt ein speziell athenisches Gepräge. Vergleicht man hiermit das thebanische E. Kaibel 768 a (praef. p. XVI = Hoffmann 356, zur Form vgl. A. P. VII 431) und das arkadische Hoffmann 326, so glaube ich wenigstens in beiden eine ähnliche Steigerung und Individualisierung des Stils, zugleich aber auch ein stärkeres Einwirken der dorischen Lyrik zu bemerken. Das lyrische Element scheint auch in den Privatepigrammen der Zeit stärker hervorzutreten (wobei freilich zu beachten ist, daß z. B. in den Siegerepigrammen der Stoff selbst die Anlehnung nahe legte). Das 4. Jhdt. findet, wie mir Br. Keil bemerkt, das E. zur Dichtungsart erhoben und frei genug, um für jeden Gedanken leicht eine angemessene, des Schmucks nicht entbehrende Form zu finden. Es ist beachtenswert, daß schon im J. 400 ein E. den Namen des Dichters, und zwar in Formeln, wie sie für die Nennung des bildenden Künstlers üblich sind, angibt (Comptes rendus 1901 I 681).

Dennoch beginnt für uns die literarische Überlieferung erst mit der hellenistischen Zeit, und es ist meines Erachtens unwahrscheinlich, daß viel vorher ein namhafter Dichter ein E.-Buch herausgegeben oder seine Epigramme veröffentlicht hat. Zwar benutzte Meleager E.-Sammlungen von fünf älteren Dichtern, die er zweifellos für echt hielt (von Archilochos, Sappho, Anakreon, Simonides und Bakchylides – über Platon siehe später). Die Möglichkeit, daß ihre Epigramme von Anfang an mit den übrigen kleinen Gedichten zusammengestellt wurden, wird man prinzipiell Preger nicht abstreiten. Daß die älteren Historiker, welche Epigramme als Urkunden anführen, Herodot, Thukydides und vielleicht noch Theopomp (vgl. Preger 68. v. Wilamowitz-Moellendorff Comment. gramm. IV) die Dichternamen nicht nennen, ließe sich auch dann verstehen; für sie redet, mit Recht nur, wer das Denkmal gesetzt hat. Es wäre für Herodot vielleicht nicht schwer gewesen, zu erfahren, wer im Auftrag [81] der Amphiktyonen die Gedichte für die Thermopylenkämpfer gemacht hat, und der Schluß, daß Simonides den Megistias eben darum privatim auszeichnen konnte, weil er die beiden anderen Gedichte verfaßt hatte, hätte ihm nicht ferner wie uns gelegen; einen Zweifel daran, daß Simonides die Aufschrift auf das von ihm errichtete Denkmal selbst gemacht hat, hat er sicher weder gehegt noch erwecken wollen. Aber er hebt nur das hervor, daß die Amphiktyonen nicht den einzelnen Mann ehrten. Auch bei andern Schriftstellern ist das Schweigen über den Dichternamen oft wohl zu Unrecht betont. Jene von Preger verteidigte Annahme wird nicht dadurch, wohl aber durch die Beschaffenheit unserer Überlieferung und die Inschriftenfunde widerlegt. Die zahlreichen Gedichte, welche die alexandrinische Tradition dem Simonides zuschreibt, während sie doch von ihm gar nicht stammen können (z. B. 148 Bgk.⁴), das Schwanken des Wortlauts (z. B. in 92 Bgk.⁴, wo schon Lykurg die falsche Lesung hat), die häufig mit Sicherheit nachweisbare spätere Erweiterung (z. B. 96. 97. 107 Bgk.⁴) ließen sich bei einer derartig authentischen Überlieferung überhaupt nicht erklären. Die inschriftlichen Funde der neuesten Zeit haben der von Junghahn und Kaibel begonnenen Kritik im wesentlichen Recht gegeben (vgl. v. Wilamowitz-Moellendorff Simonides der Epigrammatiker, Nachr. d. Gött. Ges. d. Wiss. 1897, 306. A. Wilhelm Simonideische Gedichte, Österr. Jahresh. II 221). Die Epigramme sind von den Steinen gesammelt worden, wo sie ohne Dichternamen standen; sie wurden, wo es dann zum Verständnis nötig oder für den Lokalpatriotismus der Sammler wünschenswert schien, erweitert und fortgedichtet; kein Zweifel, daß auch junge Fälschungen relativ früh Eingang gefunden haben. Daß man im 3. Jhdt. schon überzeugt war, daß die Mehrzahl dieser archaischen oder archaisierenden Epigramme auf Simonides zurückgingen, hoffe ich später zu erweisen; einen zwingenden Grund, diese Tradition vollständig zu verwerfen, sehe ich so wenig, wie eine Möglichkeit, ihre Berechtigung bei dem einzelnen Gedicht nachzuprüfen.

Auch in der von Meleager benutzten Sammlung des Anakreon bilden vom Stein zusammengelesene Inschriften den Kern; auch sie sind fortgedichtet; auch hier ist der Name ohne jede Gewähr [Wilhelm a. a. O. Reitzenstein Epigr. u. Skolion 107). Wenig besser steht es um die dürftigen Reste des Bakchylides, viel schlechter um die des Archilochos und der Sappho. Was sonst bald späte Küsterweisheit, bald literarischer Betrug Männern wie Empedokles, Epicharm, Thukydides oder gar Peisandros u. a. zugeschrieben hat. verdient kaum Erwähnung. Es ist meines Erachtens unmethodisch, bei dieser Art Pseudotradition auch nur den Beweis der Unechtheit zu verlangen.

Wichtig ist nur die Existenz derartiger Sammlungen und das Interesse, welches bald der Rhetor (und der rhetorische Historiker) dieser Dichtung zuwendete. Schon Aristoteles (Rhet. I 9) benützt eine Simonidessammlung und weist das von Thukydides VI 59 namenlos angeführte E., das er als allbekannt voraussetzt, dem Dichter zu. Aber ähnlich setzt er auch Sammlungen anonymer Epigramme [81] aus dem Peloponnes als dem Leser bekannt, voraus. Daß aus ihnen schon vor der Zeit des Aristophanes von Byzanz die ,Simonides’-Sammlung bereichert war (vgl. Preger 144), zeigt dieselbe Abneigung gegen das anonyme Buch, der z. B. die Anakreon Sammlung den Titel verdankt. Als Polemon seine Sylloge τῶν κατὰ πόλεις ἐπιγραμμάτων verfaßte, benutzte er sicher auch literarische epichorische Sammlungen (Preger 1), in welche auch Epigramme, die nie auf Stein gestanden hatten, aufgenommen waren. Es scheint mir noch jetzt nicht ausgeschlossen, daß schon Lykurg nach einem für athenische Leser gefertigten Buch zitierte und der lykische Dichter vor Alexanders Zeit bei Kaibel 768 das schlechte E. A. P. VII 276 aus einem Buche kannte, der stümpernde Verfasser von Hoffmann 122 durch ein solches A. P. VII 253 kennen lernte, ja selbst daß der Dichter der pseudoaristotelischen Epigramme des Peplos eine literarische Sammlung älterer athenischer Grabschriften benutzte.

Hierzu würde ferner passen, daß gegen Ende des 4. Jhdts. kleine Gedichte und Scherze umliefen, die als Aufschriften erklärt und alten Dichtern zugewiesen wurden, wiewohl sie ursprünglich ganz anderen Sinn hatten (vgl. Chamaileons falsche Erklärung eines altattischen Gelagescherzes, Reitzenstein Epigr. u. Skol. 116). Ebenso zeigt das überrhetorische Hohn-E. des Chiers Theokrit auf Aristoteles, daß die Aufschrift schon vom Stein unabhängig geworden war; sie ist, auch wenn sie die Form der Veröffentlichung auf Stein beibehält, doch in Wahrheit zum kleinen Gedicht geworden. Dem entspricht es, wenn wirkliche Steininschriften sich der Buchliteratur so eng angliedern, wie dies z. B. Hoffmann 189 schon in der metrischen (epodischen) Form tut.

Die Vorbedingungen für eine literarische Ausgestaltung dieser Dichtungsart sind damit gegeben; aus den E.-Sammlungen d. h. E.-Büchern mußte das Buch-E. erwachsen.

5. Der Begriff des Buch-Epigramms ist früher von mir übereilt, von Kaibel (Herm. XXXI 264ff.) meines Erachtens nicht genügend definiert worden. Ich verstehe darunter ein im wesentlichen für das Buch, bezw. für den Vortrag (denn beides ist in älterer Zeit oft noch verbunden) bestimmtes und für ihn voll genügendes Gedicht. Ob es daneben auch einmal auf Stein geschrieben und für einen bestimmten Anlaß gedichtet war, oder ob die in ihm erwähnten Persönlichkeiten gelebt haben, ist nicht entscheidend, wird sich übrigens auch in vielen Fällen unserer Beurteilung entziehen. Gewiß ist des Kallimachos Grabgedicht auf Timonoe (15 W.² = A. P. VII 522) anscheinend nicht selbst Aufschrift, sondern die poetische Bearbeitung einer Prosaaufschrift Τιμονόα Τιμοθέιβ Μεθυμναίον γυνὴ δὲ Εὐθυμένεος, welche der Dichter aus seinem Empfinden ergänzt (Kaibel, zu vergleichen ist VII 511). Dennoch erfüllt das Gedicht scheinbar beiläufig alle Forderungen, die an die wirkliche Aufschrift gestellt werden, etwas künstlicher, aber doch ähnlich, wie etwa Kallim. 34 W.² = A. P. VI 351 die Forderungen des Weihe-E.s erfüllt. Wir können aus der größeren oder geringeren Freiheit, mit welcher der Dichter die alten Formeln umgestaltet oder nur vertieft, [82] schwerlich die Verwendbarkeit des Gedichtes beurteilen, da wir nicht wissen, wieweit Besteller und Publikum an der kunstvollen Variation Freude hatten. Gewiß gibt das Grabgedicht Kallim. 14 W.² = A. P. VII 519 scheinbar nur die schlichte Rede des vom Begräbnis Zurückkehrenden (Horaz Ode I 24 wußte die lyrische Wirkung zu beurteilen, vgl. sat. II 5, 101); aber daß es nicht auf dem Stein gestanden haben kann, darf man daraus so wenig folgern, wie daß 19 W.² = A. P. VII 453 und 9 W.² A. P. VII 451, weil sie die alte Formel nur durch einen kurzen Zusatz adeln, auf dem Stein gestanden haben müssen. Es sind lyrische Gedichte in knappster Form, ihre Wirkung wäre die gleiche, auch wenn die Personen erfunden wären, was doch schließlich an sich zu aller Zeit möglich wäre (vgl. A. P. XI 312, offenbar auf Kallimachos 19 bezüglich. Varro Sat. Men. frg. 110 Büch.). Umgekehrt gibt sich Kallim. 5 W.² = Athen. VII 318 selbst freilich als Beischrift zu dem Weihegeschenk eines Mädchens an Aphrodite; aber der Dichter spielt zugleich mit einem Lieblingstypus der Buchepigramme der peloponnesischen Schule (den Grabgedichten auf tote Tiere, vgl. A. P. VII 215 Anyte auf den toten Delphin). Er gewinnt den Anschluß an die Form der Aufschrift dabei sehr viel feiner und weiß in dem anmutigen Schluß, den Kaibel trefflich erklärt hat, bei dem Leser, der seinem Rätselspiel gefolgt ist, tieferes Empfinden zu erregen als Anyte mit ihrer altjüngferlichen Sentimentalität und gesuchten Naivetät. Aber ob die Aufschrift jemals gesetzt ist, weiß ich so wenig, wie ob Timonoe und ihr Gatte existiert haben. Es steht ähnlich mit jenen wunderbaren Todesfällen, die Leonidas von Tarent und seine Nachahmer so gern im Grabgedicht erzählen (Reitzenstein Epigr. u. Skol. 148). Es ist ebenso falsch, den einzelnen von vornherein als erfunden zu bezeichnen, wie den anekdotenhaften Reiz überhaupt nicht zu beachten, der in Gedichten wie A. P. VII 504 liegt und ihnen eine Art Selbstzweck gibt. Natürlich kann auch die ältere Steininschrift so verfaßt sein, daß sie einen solchen Selbstzweck hat; aber sie braucht es durchaus nicht (vgl. die von v. Wilamowitz und Wilhelm besprochenen Fälle der Fortdichtung für das Buch); die Ausnahmen geben die Entscheidung. Ebenso entscheidend ist für das Buch-E., daß mit Gedichten, die auf Stein denkbar wären, sich andere verbinden, bei denen dies ausgeschlossen ist und die mit der Form nur spielen, z. B. bei Kallim. 11 W.² = A. P. VII 447 (zur Erklärung vgl. Parmenio A. P. IX 342, Leonidas A. P. VI 327 und vor allem Martial II 77, 8); 10 = A. P. VII 520; 13 = A. P. VII 524. Will man sie als Scherze aussondern, so würde z. B. 12 W.² = A. P. VII 521 (aus Asklepiades A. P. VII 500) bleiben, das lediglich der tiefen lyrischen Wirkung halber gemacht ist und in seinen Voraussetzungen aller Wirklichkeit widerspricht. Noch eigenartiger ist 21 W.² = A. P. VII 525, der Form nach ein Grabgedicht für den Vater des Kallimachos, das man, um es als ,Aufschrift’ betrachten zu können, verstümmelt sein läßt, wiewohl jede Fortsetzung über die Sentenz (für diese Zeit und diesen Dichter die wirksamste und nachdrücklichste Art der Pointe) eine Unform ergäbe und die Verbindung zweier ganz [83] verschiedener Zwecke, die beide gleich stark betont würden, die Einheitlichkeit des Empfindens zerstörte. Betrachtet man die Form der Grabschrift als konventionelles Spiel, so bleibt eine in sich prächtig geschlossene Verherrlichung eines Sieges, den der alternde Dichter im Liede über seine Neider erfocht, wie sein Großvater einst als Beamter (der Vater, dessen Namen durch den Dichternamen des Kallimachos ja bekannt ist, wird nur beiläufig erwähnt; mag ihn der Sieg des Sohnes auch noch im Grabe erfreuen). Ich bin überzeugt, daß die viele Arbeit, die seit Hecker darauf verwendet ist, die hellenistischen Epigramme als wirkliche Inschriften zu erweisen und ihre Stellung auf den Monumenten zu bestimmen, der literarischen Verwertung und Würdigung mehr geschadet als genutzt hat. Für das Buch oder den Vortrag (bei dem man ja nicht bloß an Gelagevorträge zu denken braucht, vgl. z. B. A. P. VII 247) sind sie im wesentlichen berechnet. Setzten sie sich im Geschmack des Publikums durch, so mußten sie freilich auch auf die Kirchhofspoesie, also die wirklichen Inschriften zurückwirken.

Eine hiervon durchaus abweichende Meinung hat v. Wilamowitz unlängst durch eine Analyse der Carmina figurata zu begründen versucht, die ja in der Tat mit dem E. innig zusammenhängen (Arch. Jahrb. XIV 1899, 51ff.). Er faßt sie als wirkliche Aufschriften auf die betreffenden Gegenstände; nach ihnen sei dann ein großer Teil der literarisch überlieferten Epigramme des 3. Jhdts. zu beurteilen; so sei z. B. Kallim. 37 = A. P. XIII 7 in seiner Form dadurch bestimmt, daß es wirklich auf den Deckel eines Köchers geschrieben werden sollte. Bei der Wichtigkeit der Sache ist ein Eingehen auf seine Analyse unvermeidlich. Ansprechend scheint sie zunächst bei dem ,Ei’, das sich wirklich auf ein Ei schreiben und so als eine Art Scherzaufgabe zum Lesen herumbieten läßt (natürlich in neuen Kreisen immer wieder; der Unterschied von der Buchpublikation wäre hier nicht sehr groß). Aber schon hier muß ich bemerken, daß ein ähnlicher Brauch wirklich im hellenistischen Zauber besteht. Der Pap. Lugdun. V (Dieterich Jahrb. f. Philol. Suppl. XVI 799) bietet z. B. die Vorschrift, das Gebet an das göttliche Ei auf ein wirkliches Ei zu schreiben, und auch die ,papierne Nachahmung’ fehlt nicht; ein unveröffentlichter Straßburger Liebeszauber zeigt neben dem Test den magischen Buchstabenkomplex in dem gleichen allmählichen Zunehmen und derselben spitz-oblongen Form, die v. Wilamowitz beanstandet. Das wird wichtig für die Beurteilung der ,Flügel’. Ich vermag nicht zu glauben, daß sie gedichtet sind, um auf die Rückseite der Flügel eines bestimmten Standbildes des Eros geschrieben zu werden und dem Beschauer dessen befremdliche Erscheinung (zwergenhafte Gestalt und langer Bart) zu erklären. Den natürlichen Platz dafür hätte der dem Beschauer zugewandte Teil der Basis geboten; eine Inschrift auf der Rückseite wird in der Wirklichkeit schwerlich ,schaue mich’ beginnen. Aber wieder bietet der Zauberbrauch Parallelen (vgl. Wessely Griech. Zauberpap. von Paris und London, Denkschr. Akad. Wien 1888, 90 Z. 1840): in den Backen eines kleinen Holzbildes des geflügelten [84] Eros wird ein Goldplättchen mit dem Gebet eingelassen; der Zweck beim Zauber ist nicht, daß es sichtbar und gelesen wird, sondern nur, daß es geschrieben ist. Daß man es auch auf die Flügel selbst schreiben konnte, zeigt die ,papierne Nachahmung’, die flügelförmig geordneten Vokalreihen, welche das πνεῦμα τὸ διῆκον ἀπὸ οὐρανοῦ μέχρι γῆς bezeichnen. Auch das ,Beil’ läßt sich durch den Verweis auf Iustin. XX 2, 1 kaum als wirklich bestimmt für die Schneide eines alten Stückes aus irgend einem Tempelinventar erweisen, dessen Echtheit es beglaubigen soll. Eine Inschrift, die wirklich von Epeios verfaßt und in einer technisch möglichen Weise (also am Stiel) von ihm eingegraben sein könnte, Würden wir dann erwarten. Eher mag das ,Schwert des Dardanos’ in den Zauberformeln eine Erklärung geben. Ich glaube, daß mystische Nachahmungen etwa der Orphiker den ersten Anhalt zu diesen Aufschriftskünsteleien gegeben haben; die ,Flügel’ würden dann den Zusammenhang noch verraten; die Nachahmung erstreckt sich weiter auch auf andere Gegenstände wie die Syrinx und den Altar. Gerade Theokrits Syrinx mit ihrem Verweis auf Idyll VII (vgl. jetzt E. Schwartz Nachr. Gött. Ges. 1904, 298) kann ich mir nicht für die einmalige Weihung eines wirklichen Instrumentes, sondern nur für die buchmäßige Verbreitung bestimmt denken; sie ist literarisch, wie im Grunde schon die ältesten παίγνια gerade wegen ihrer Wechselbeziehungen. So werden sie mir zum weiteren Beweis, daß die Aufschrift schon in dieser Zeit zum Buchgedicht geworden ist. Mit ihr ist ein Rätselspiel verbunden, das an und für sich auch in der eigentlichen Aufschrift denkbar wäre (vgl. Preger 260 τοὔνομα ΘΡΑCΥΜΑΧΟC; πατρὶς Χαλκηών, ἡ δὲ τέχνη σοφίη] als ἐλεγεῖον zu lesen), in dieser Ausbildung aber nicht im Leben, sondern in der μίμησις des Lebens passend ist.

6. Die Hauptdichter des frühhellenistischen Epigramms. Den engen Zusammenhang der Aufschrift und der Lyrik, welchen die Technopaignien in der Form zeigen, gewahren wir auch in der ältesten peloponnesischen Buchepigrammatik, vor allem bei Anyte von Tegea, die ja bei Steph. Byz. ἡ μελοποιός heißt (vgl. über das Fortleben der Lyrik in Arkadien Polyb. IV 20); an sie schließen sich Mnasalkas, Nikias, Pamphilos und andere Dichter. Eine Anzahl von Grab- und Weihegedichten zeigt den kräftigen, waffenfrohen Klang, den in der Heimat der Söldnerscharen auch die Steinaufschrift beibehalten hat. Ihnen stehen sentimentale Klagegedichte auf den Tod junger Mädchen gegenüber, in denen die Form des Grab-E.s kaum noch aufrecht erhalten wird (vgl. VII 646); nur auf die Erregung der Empfindung scheint es anzukommen; die Lyrik will direkt wirken, nicht wie z. B. bei Kallimachos durch die Hülle eines an den Verstand sich wendenden Formenspieles (vgl. z. B. Kall. ep. 5 W²). Der Charakter der Buchdichtung zeigt sich in der Übertragung dieser Empfindungsseligkeit auf die Tierwelt; der gestorbene Lieblingsvogel oder der an den Strand geworfene Fisch empfängt sein ,Grabgedicht’, das freilich im Grunde wieder nicht mehr zu verkünden weiß, als daß er nicht mehr lebt (VII 215 vgl. 646). In der Beschreibung [85] von wirklichen und angeblichen Kunstwerken, Örtlichkeiten oder Weihegaben herrscht weiches, im Grunde ebenfalls sentimentales Naturempfinden, und die Gedichte, welche die Erquickung des müden Wanderers oder des unter der Sommerglut leidenden Hirten am Quell oder auf der Bergeshöhe uns vor Augen stellen, erinnern an die ‚bukolische‘ Poesie, an welche XVI 231 die Beschreibung des Pan, der im weglosen Waldesdickicht Syrinx bläst, während auf der Lichtung draußen die Kühe weiden, noch näher heranführt (die Beziehung auf die bekannte Gruppe von Pan und Daphnis und die Deutung auf die Erfindung des bukolischen Liedes, Epigr. u. Skol. 249, war übereilt). Dürfen wir aus dem E. Schlüsse auf die Lyrik der Anyte machen, so muß sie in der Empfindungsart große Ähnlichkeit mit der ,Bukolik‘ gehabt haben und hilft vielleicht etwas die später in dieser Dichtungsart verbreitete Vorstellung von der Erfindung der Bukolik in Arkadien erklären (Epigr. u. SkoL 131, 2). Die Gedichte sind alle kurz, die Sprache gewählt; die Häufung der Epitheta widerstreitet dem späteren Streben nach Ebenmäßigkeit. Beachtenswert ist die Einwirkung der attischen Tragödie (VII 724, 2 = Aisch. Pers. 533), die freilich auch auf Steinepigrammen wie an dem delphischen Weihegeschenk des Daochos neben der Lyrik benützt ist (E. Preuner Ein delph. Weihegeschenk 31).

Von Anyte ist Mnasalkas von Sikyon abhängig, welchem Theodoridas von Syrakus (vgl. Susemihl II 541) ein fingiertes Grabgedicht widmet (A. P. XIII 21); er heißt darin ἐλεγῃοποιός, also E.-Dichter (vgl. oben S. 77); seine Dichtung gilt dem Gegner als κενά τε κλαγγὰν κἀπιλακυθίστρια διθυραμβοχάνα, d. h. hängt allzusehr mit der Lyrik zusammen (wiewohl auch auf Mnasalkas die Tragödie miteinwirkt); stofflich sei sie τᾶς Σιμωνίδα πλάτας ἀποσπάραγμα. Zur Deutung hilft wohl die Beobachtung, daß sie in den Stoffen mit ps.-simonideischen Epigrammen zusammentrifft (selbst wenn Theoridas zunächst das breite Pathos der eigentlichen simonideischen Lyrik meinte, würde die Existenz dieser Epigramme und ihre Nachahmung durch Mnasalkas vorausgesetzt). Gegenüber Anyte erweitert Mnasalkas das E. im Umfang wie in der Verwendung (vgl. IX 70?); einmal berührt er sich sogar fast mit dem hellenistischen Liebes-E. (XII 138); es läge nahe, das Gedicht auf die Syrinx, welche der Hirt in dem Tempel der Aphrodite geweiht hat (IX 324), hiermit in Verbindung zu bringen.

Der Weg von Gedichten wie IX 70 und XII 138 zu den ,Epigrammen’ oder Kurzelegien des ps.-theokriteischen VIII. Idylls ist nicht mehr sehr weit. Eine einheitliche, im wesentlichen klare Entwicklung empfindet man wohl am deutlichsten, wenn man mit Anyte und Mnasalkas Dichter wie Asklepiades, Poseidipp und Kallimachos vergleicht (besonders in den ganz vereinzelten stofflichen Übereinstimmungen wie bei Kall. 37 = A. P. XIII 7 und Mnasalkas VI 9).

Wie weit die literarische Einwirkung dieser Dichterschule geht oder nur die gleichen Voraussetzungen und das gleiche Empfinden zu Übereinstimmungen führt, ist nicht ganz auszumachen. Auch Moiro von Byzanz (ποιήτρια ἐπῶν καὶ [86] ἐλεγείων καὶ μελῶν Suidas) und Simmias von Rhodos (ebenfalls Lyriker und Elegiedichter) stimmen zu Anyte. Letzterer sogar in einem eigentümlichen, der Kurzelegie ganz nahestehenden ἐπικήδειον eines Mädchens Gorgo, das er auch in einem größeren und zum Teil erzählenden elegischen (?) Gedicht gefeiert hat (VII 647 trotz der schlechten Bezeugung für Simmias sicher, durch 646 als vollständiges ‚Epigramm‘ erwiesen). Die Vermutung, daß Simmias sich einerseits von Hermesianax, andrerseits von der peloponnesischen Lyrik und Epigrammatik beeinflußt zeigt, hat innere Wahrscheinlichkeit, bleibt aber unbeweisbar. Dagegen läßt sich für Leonidas von Tarent Abhängigkeit von Anyte wirklich nachweisen und zwar schon VI 334, einem Gedicht, das vor 295 v. Chr. fallen muß: König Neoptolemos von Epeiros bringt den Hirtengottheiten ein ländliches Opfer (benützt ist Simonides der Iamhograph frg. 20 Bgk.⁴, den Leonidas auch sonst benützt; über den Herdenbesitz des Königs vgl. Plut. Pyrrh. 5); das Gedicht feiert das Fest, ist aber nicht Aufschrift.

Unabhängig von den Peloponnesiern steht Nossis von Lokroi (Epigr. u. Skol. 137), die sich mit den frühesten Dichtungen des Leonidas berührt. Eine gewisse Ähnlichkeit des Stils ist aus der gleichen Abhängigkeit von der Lyrik zu erklären. Auf Liebeslieder (μέλη), die in Lokroi nicht befremden, verweist sie selbst VII 718; Meleager hat sie nach seinem später zu besprechenden Prinzip nicht aufgenommen, wohl aber in der Charakteristik (IV 1, 9–10) berücksichtigt. Die Epigramme sind alle kurz und als Aufschriften eben noch denkbar (auch V 170; vgl. z. B. Preger 65); die künstlerische Wirkung zeigt ein Vergleich mit Herondas IV. Für den Zusammenhang mit der Lyrik verweise ich auf VI 265. Wie hier das Epigramm aus den Formeln der κλητικοὶ ὕμνοι umgebildet wird, so noch freier in dem ihr freilich nur aus alter Konjektur zugeschriebenen Gebet VI 273 (mit der Art der Aufforderung vgl. Tibull. II 5. IV 2 und IV 4; vergleicht man Poseidipp. XII 131, so sieht man, daß auch Horaz Ode I 30 in dieselbe Reihe gehört; zu den alten κλητικοὶ ὕμνοι steht sie etwa wie Horaz Ode I 10 zu dem vorauszusetzenden ὕμνος des Alkaios).

Über Leonidas von Tarent, dessen Nachlaß uns am vollsten erhalten ist, besitzen wir eine fleißige Monographie von J. Geffcken Jahrb. f. Philol. Suppl. XXIII lff., welche freilich der literarhistorischen Bedeutung des Dichters meines Erachtens nicht voll gerecht wird. Diese liegt zunächst in der allmählichen Ausgestaltung der Sprache (vgl. Epigr. u. Skol. 146. 1), die uns jetzt durch den Fund des Timotheos verständlicher geworden ist. Die kühnen Wortbildungen und besonders die Wortzusammensetzungen, sowie die gezierten Umschreibungen gehören nach der Theorie des Aristoteles der Sprache des Dithyrambos, d. h. der jüngeren Lyrik, und sind damals sicher nicht bloß auf das E., sondern auf verschiedene Arten gehobener Dichtung übertragen worden; wir finden sie daher sowohl in dem jüngeren Epos, wie, in römischer Nachbildung, in den Tragödien des Pacuvius wieder. Diese weder für das E. geschaffene, noch auf es beschränkte Sprache [87] nimmt unter dem Zwange des Stoffes eine Fülle rein technischer Bezeichnungen in sich auf, die sonst dem gehobenen Stil widerstreiten. Die eigentümliche Mischung, die hierdurch entsteht, ist nicht durch den Gegenstand erzwungen; gerade wo sie am handgreiflichsten ist, handelt es sich um rein epideiktische Gedichte und zeigen übertreibende Nachahmungen, daß sie als Reiz empfunden wird; sie hat andererseits auch nicht parodistischen Zweck, wie zum Teil in dem Gastmahl des Ps.-Philoxenos. Es handelt sich um einen ernst gemeinten Versuch, das Kleinleben und das Alltägliche in den Kreis einer gezierten Dichtung zu ziehen. Gewiß weiß Theokrit geschickter Gegenstände wie das Gezänk zweier Hirten oder das Geplauder syrakusanischer Frauen mit der Eleganz des alexandrinischen Hexameters zu umkleiden, aber ein ähnliches Empfinden läßt auch Leonidas den Pomp seiner lyrisch-elegischen Form nicht auf besonders pathetische oder sentimentale Stoffe, sondern auf Genrebilder aus dem Leben des kleinen Mannes übertragen (selbstverständlich muß er auch sich selbst entsprechend zeichnen; ob das Bild in den Einzelheiten wahrer ist, als das, welches Tibull von sich entwirft, steht dahin). Auch wenn wirkliche Weiheepigramme wie Kaibel 776 (Hoffmann 280) ihm den Ausgangspunkt gegeben haben können, bleibt dennoch die Berührung mit der Literatur [15]. besonders der Lyrik das Entscheidende. Der Anfang des Dithyrambus des Lykophronides, in welchem der Ziegenhirt sein Gerät weiht (Athen. XV 670 E) τόδ’ ἀνατίθημί σοι ῥόδον, καλὸν ἄνθημα, καὶ πέδιλα καὶ κυνέαν καὶ τὰν θηροφόνον λογχίδ’, ἐπεί μοι νόος ἄλλᾳ κέχυται ἐπὶ τὰν Χάρισι φίλαν παῖδ’ Ἀκακαλλίδα berührt durchaus wie ein E. des Leonidas; mit ihm muß man auch Horaz c. III 26 Vixi puellis nuper idoneus vergleichen (die Stimmung führt von selbst zu der Vorstellung der symbolischen Handlung, die auch der Leser nur als konventionelle Dichterform, nicht als Wirklichkeit empfindet).

Wenn Properz III 13 eine Schilderung des idyllischen Glückes der Vorzeit im Anschluß an Vergil (vgl. Prop. II 34) geben will, so verwebt er in sie ein Gedichtchen des Leonidas (v. 43-46 = A. P. IX 337), das von uns schwerlich in diesem Sinne verstanden wäre. Wenn Vergil die ,bukolischen Epigramme’ des VIII. ps.-theokriteischen Idylls wiedergeben will, so überträgt er sie, der Empfindung seiner Zeit entsprechend, in die Art des Leonidas. Ähnlich empfindet Horaz dessen Dichtung, wenn er Ode III 22 Montium custos (freilich mit Benutzung von Catull 34, also [88] eines römischen Kultliedes) einen Stoff des Leonidas in die eigentliche Lyrik zurücküberträgt (Kiessling, der die Mittel der Rückübertragung feinsinnig darlegt, hätte freilich die gewonnene Erkenntnis verwenden müssen, um II 13 O fons Bandusiae aus den peloponnesischen Quellepigrammen zu erläutern). Überall wird die Empfindung erst wach, wenn der Verstand sich die Voraussetzungen des E.s zurechtgelegt und die Fiktion der Aufschrift abgestreift hat, die von dem antiken Leser offenbar mehr als von uns nur als Hülle betrachtet wird.

Leonidas bezeichnet für uns die freieste Ausgestaltung der älteren, dorischen E.-Dichtung. Der Umfang des E. erweitert sich, das Grabgedicht wird längere Erzählung, das Weihegedicht breites Gemälde, die Pointe erfährt sorgliche Ausgestaltung, dasselbe Thema wird zweimal in verschiedener Form behandelt, die Rhetorik dringt, wie das in dem größeren Gedicht der Zeit nur natürlich ist, nachdrücklich vor. Daß auf den langlebenden und anpassungsfähigen Dichter auch die altionische Elegie und Iambik einwirken (wie vereinzelt auch auf die peloponnesische Schule) und selbst die alexandrinische Dichtung berücksichtigt wird, erklärt uns, daß das E. bisweilen sogar zur paränetischen Elegie oder zum Spottgedicht wird (vgl. für ersteres VII 472. 648. 736). Doch beschränkt sich Leonidas überwiegend auf die Stoffe, die sich in Formel oder Stimmung an die wirkliche Aufschrift noch anschließen lassen (vgl. als besonders charakteristisch für dies Anschließen VII 452 Μνημης Εὐβούλοιο σαόφρονος, ὦ παρεόντες – παριόντες Cod. –, πίνωμεν· κοινὸς πᾶσι λιμὴν Ἀΐδης, das einzige ,sympotische’ E.; erotische Epigramme hat Leonidas nicht gedichtet; V 188 verrät sich in Ton und Satzverbindung, besonders in v. 1. 2. als unecht).

Schon hierin zeigt sich meines Erachtens, daß ein prinzipieller Unterschied zwischen E. und Elegie nicht empfunden wird. Die enkomiastische Elegie (vgl. Kritias frg. 3. 4 Bgk.⁴ Plat. Rep. II 368 A) hat ihr Gegenbild in dem Grab-E.; es ist begreiflich, daß das Enkomion des Philiskos auf den verstorbenen Lysias von Plutarchs Quelle, offenbar wegen des geringeren Umfangs, als ἐπίγραμμα bezeichnet wird. Bei größerem Umfang werden andere, künstlichere Kompositionsgesetze notwendig werden; aber noch das Enkomion Catulls auf Allius, das Muster eines alexandrinischen Preisgedichtes, stimmt in seinem Anfang mit Formeln überein. die auch die ältere Epigrammatik kennt (vgl. A. P. XIII 26). Das elegische ἐπινίκιον, welches Athenaios IV 144 E für Kallimachos bezeugt, hat seine Gegenbilder in Aufschriften wie Hoffmann 334. 388. 389. Es sind im Grunde E.-Stoffe, welche Kallimachos im Πλόκαμος Βερενίκης und ein Unbekannter in dem Vorbild für Catull 67 behandeln. Wir können die Ausbildung des Buch-E.s nicht loslösen von der Wiederbelebung der Elegie, welche die Ballade, das Lehrgedicht, ja selbst den Hymnus sich erobert oder zurückerwirbt.

Nur bei dieser Betrachtungsweise ist es meines Erachtens möglich, das erotisch-sympotische E. zu begreifen, welches gleichzeitig, freilich in einem anderen Dichterkreise entsteht. An der Spitze der kleinen Zahl älterer Dichter steht für uns [89] Asklepiades von Samos; von ihm sind einerseits Poseidippos und Hedylos, andererseits Kallimachos beeinflußt; neben ihnen stehen Arat, Rhian und der etwas jüngere Dioskorides. Dagegen lehnen nicht nur Leonidas, sondern auch alle seine älteren Nachahmer diesen Stoff vollständig ab. Auch der Stil ist ein ganz anderer, unendlich viel schlichter; ja bezeichnenderweise zeigen Poseidipp und Hedylos selbst in der eigentlichen Aufschrift sehr viel prunkvolleren und gehobeneren Ton als in dem erotisch-sympotischen ἐλεγεῖον (auch in diesem kann man das etwas stärker von der Lyrik beeinflußte Trinklied noch von dem erotischen E. scheiden). Den Charakter der sympotischen ἐλεγεία zeigen am besten Poseidipp V 134, Hedylos bei Athenaios XI 473 A, Asklepiades A. P. XII 50. Die nächste Parallele geben die sympotischen Mahnungen der Theognissammlung; daß der Brauch, dem sie entsprungen sind, weiterlebte, zeigt jetzt die allerdings nur in ihrem Grundcharakter erkennbare Sammlung von ‚Liedern zur Flöte‘ Oxyrhynchos-Pap. I 15. Über den Charakter der Liebeslieder später. Die Gedichte stehen nicht nur in E.-Sammlungen (der Titel ist für Poseidipp und Hedylos bezeugt), sondern zeigen auch in wechselseitigen Beziehungen, daß es gar keinen Unterschied macht, ob die Fiktion der Aufschrift beibehalten oder aufgegeben ist, vgl. A. P. XII 135 Asklepiades und V 199 Hedylos. Die Darstellung, welche ich Epigr. u. Skol. 87ff. gegeben habe, halte ich voll aufrecht (daß ich nicht jedes Lied, das sich als beim Gelage vorgetragen oder improvisiert gibt, als wirklich dabei entstanden betrachte, hatte ich damals geglaubt nicht erst versichern zu dürfen). Am klarsten empfinden wir im erotischen ἐλεγεῖον, daß die Form der Aufschrift dem Dichter eine Schwierigkeit bietet, die elegant zu überwinden einen gewissen Reiz gewährt; immer neue Typen bilden sich. Der Dichter fingiert ein Standbild des schönen Knaben zu erblicken und mit einer Aufschrift zu verseben (XII 129 Arat); er sieht den Geliebten und Eros einander gegenübergestellt XII 111 (einfacher XII 75. 77, die mit der ,Aufschrift’ XVI 68 zu vergleichen sind, wie diese mit VII 522), er gibt dem Kranz, den er an die Tür der Geliebten hängt, ein Geleitwort (Beischrift) und erweckt dadurch die Stimmung des παρακλαυσίθυρον usw.

Die Vereinigung derartig verschiedener Dichtungsarten unter einem Titel und in einem Werk bei Asklepiades und seinen Nachfolgern wäre meines Erachtens undenkbar und unerklärbar, wenn das Grab- und Weihe-E. nicht schon vor ihrer Zeit Buchgedicht und Literaturwerk geworden wäre. Die Beschränkung des erotisch-sympotischen E.s ferner auf einen bestimmten Kreis und die eigentümliche Gebundenheit seines Stils zeigen, daß die Erweiterung des Begriffes E. auf einen Mann und eine Anregung zurückgeht.

Nun finden sich bei den genannten Dichtern eine Reihe von Stoffen, die besonders nach Ionien weisen. So berühren sich Asklepiades und Poseidipp (V 202. 203) in dem aischrologischen Weihegedicht, ferner Hedylos und Poseidipp in den zusammenhängenden Reihen der Epigramme auf Fresser (Athen. VIII 344 F Ἡδύλος δ’ ἐν ἐπιγράμμασιν [90] ὀψοφάγους καταλέγων, vgl. X 414 D. 412 E. 415 B) mit den Ἰωνικοὶ λόγοι, und da für das Wiedererwachen der großen Elegie Ionien den Anlaß gegeben hat, scheint die Vermutung möglich, daß ein Fortleben und eine Fortbildung der Elegie in Ionien zur Ausgestaltung einer Art von Paignien in kurzen ἐλεγεῖα geführt hat, die dann von der neuen Dichterschule als ,Epigramme’ empfunden wurden. Dagegen ließ man in anderen Kreisen des Mutterlandes und des dorischen Sprachgebietes die ionische Elegie nur soweit auf sich wirken, als der bisherige Brauch noch Anhalt bot. Unter diesen Voraussetzungen ließen sich vielleicht auch die ,Epigramme’ Platons verstehen.

Daß die Platon zugeschriebene E.-Sammlung, welche Meleager las, viel Unechtes enthielt, ist handgreiflich, fraglich nur, ob wir auch Echtes in ihr suchen dürfen. Die in den Meleagerreihen begegnenden Gedichte, welche alle für das Buch gedichtet sind, bieten so viel sicher Spätes und Mißlungenes, daß man sie am richtigsten wohl einer einmaligen Fälschung zuweist. Schlechter bezeugt sind eine Reihe erotischer Gedichte, welche in die Anthologie aus Diogenes Laertios (III 29–33) übernommen sind. Ihre Quelle scheint die ziemlich alte Schmähschrift Ἀρίστιππος περὶ παλαιᾶς τρυφῆς, die sich auf mündliche Überlieferung (ἔνιοί φασι – φασίν) berufen zu haben scheint. Da Meleager die Gedichte kannte und nachahmte, in seinen Reihen aber nur eines (VII 217 die Grabschrift auf Archeanassa) anführte und richtig dem Asklepiades zuschrieb, wird, wer nicht ein wunderbares Walten des Zufalls annimmt, zugeben müssen, daß Meleager die Gedichte nicht in der E.-Sammlung fand, sondern aus der philosophischen Literatur kannte, vielleicht auch, daß ihm Platon als Verfasser nicht sicher stand. Lehrte doch gerade VII 217, das sich nur durch freche Umdeutung dem Platon zuschreiben ließ, wie skrupellos der Verfasser jener Schmähschrift verfahren war. Dennoch sind die Epigramme überwiegend von so großartiger Schönheit, daß niemand sie gern einem gehässigen Fälscher zutrauen wird, zumal das eine (VII 100) durch eine Nachahmung des Dioskorides als alt erwiesen wird (vgl. über Phaidros jetzt Immisch Ber. Sächs. Ges. d. Wissenseh. 1904, 227 A.). Nicht wegen, sondern trotz der Bezeugung durch jene Schmähschrift wäre ich jetzt geneigt, VII 669. 670. 100. V 78. 79, ja vielleicht auch V 80 für echt zu halten. Das E. auf Dion (VII 99) erregt mir trotz des wundervollen Schlusses, der vielleicht aus einem echten Gedicht übernommen ist, wegen der ungeschickten Einleitung Bedenken, die durch die handgreiflich falsche Angabe τοῦτο καὶ ἐπιγεγράφθαι φασὶν ἐν Συρακούσαις ἐπὶ τῷ τάφῳ nicht gerade widerlegt werden.

Ihre Erklärung würden diese zunächst wohl in den Schülerkreisen weiterlebenden Gedichte in der Entwicklung der Kurzelegie finden. Die eigentümliche Ausrundung des Gedankens darf in ihr nicht befremden; schon Archilochos zeigt sie (frg. 2 Bgk.⁴, als Ganzes erwiesen durch das Skolion des Hybrias). Die Fortbildung in den Pseudotheognidea zeigt teils die Erweiterung älterer Lieder unter dem Zwang der Vortragsart (Solon frg. 23 Bgk.⁴ Theogn. 1253–1256), teils ihre [91] Verstümmelung zu bloßen Einleitungsformeln für eigene Fortdichtung (Theogn. 1365. 1366), mitunter aber auch wieder eine einheitliche Ausrundung kurzer Lieder, die an das spätere E. wenigstens anklingt (Theogn. 1329-1332. 1319-1322. 1299–1304. 959–963. 949–954), ja selbst die Verwendung mythologischer Vergleiche und reicherer Mittel, wie sie mehr der ἀοιδή als dem παίγνιον eignen (1283–1294). Nun ist eine direkte Herleitung der platonischen ἐλεγεῖα aus dieser schon im 5. Jhdt. in Athen ,zersungenen’ Gelagedichtung allerdings kaum möglich, und schwerlich läßt sich die Beschränkung des erotischen E.s in der älteren alexandrinischen Zeit verstehen, wenn wir diese Dichtungsart in Athen im 4. oder 3. Jhdt. als allgemein volkstümlich betrachten. Wohl aber wäre es möglich, daß das kurze ἐλεγεῖον in Ionien sich kunstmäßig ausgebildet hat und von hier aus zunächst Platon, später Asklepiades beeinflußt worden ist.

Daß das ältere hellenistische Liebes-E. nicht von Platon abhängig ist, beweist meines Erachtens sein Charakter. In schlichtester Sprache und in gesuchter Nüchternheit, frei von aller Sentimentalität, bietet es ein Erlebnis oder einen Gedanken (man vergleiche etwa XII 153 mit Theokrit II oder der neugefundenen Klage des Mädchens, ferner V 85. 158. 186. 213). Keine Nebenausführung, keine Entwicklung darf die Einheit gefährden. Aber wie wir früher im dorischen E. Einwirkungen und Nachbildungen längerer elegischer Lieder zu erblicken glaubten, so steht neben dem ionischen erotischen E. eine ähnliche, nur umfangreichere Dichtung, die mit Recht und Unrecht in alter wie neuester Zeit als E. betrachtet worden ist.

In der Theognissammlung sind uns v. 261 – 266 Reste einer alten, die persönlichen Liebesabenteuer des Dichters erzählenden Elegie erhalten, welche jetzt nur einem Zecher dienen sollen, allzu eifrige Beteiligung am Gelage abzulehnen (zu vergleichen ist einerseits Asklepiades XII 50, andererseits Tibull I 2). Daß es ähnliche Gedichte in frühhellenistischer Zeit gab, zeigen die auffallenden Übereinstimmungen zwischen den ,Epigrammen’ des Paulus Silentarius und den Elegien des Properz. Schon das berühmteste Beispiel Properz 13 = Paulus V 275 zeigt, daß das beiden vorausliegende Gedicht, wenn es auch sicher dem Griechen näher als dem Römer gestanden hat,[16] in der breiten Schilderung der Einleitung und der fortlaufenden Erzählung weit von allem abwich, was uns von erotischen ,Epigrammen’ der älteren Zeit erhalten ist. Ganz ähnlich ist das Verhältnis zwischen Poseidipp (schwerlich Asklepiades) V 209 und Aristainetos I 7. Ziehen wir von der Einleitung des Briefes ab, was der Sophist der Lüsternheit seines Publikums zu schulden glaubte, so bleibt die gleiche Erzählung und Situation, welche zum Überfluß in den Schilderungen der Liebe des Kyklopen und der Galatea bei Hermesianax und anderen wiederkehrt (G. Holland Leipz. Stud. VII 228; den Schluß hat Aristainetos [92] umgebogen, wie in dem obigen Beispiel Properz). Poseidipps E. kann nicht die Vorlage des Aristainetos sein; es scheint aus einer Erzählung herausgebildet, ganz ähnlich wie V 194 im Grunde nur den einen Moment aus einer alexandrinischen Liebeserzählung heraushebt. Das ist begreiflich genug. Das E. spiegelt beständig größere Dichtungen gewissermaßen in Verkürzung wieder. So habe ich Epigr. u. Skol. 245ff., wie ich hoffe, ein alexandrinisches Lied von Pan und Daphnis aus vier Epigrammen des Glaukos, Meleager und Diodoros Zonas, einem Serviuszitat und einem Kunstwerk erschlossen (hinzuzunehmen war ein polymetrisches παίγνιον des Laevius, der den Sklaven des Lutatius Catulus, Daphnis als Πανὸς ἀγάπημα bezeichnete); auch die dem Theokrit mit Unrecht zugeschriebenen bukolischen Epigramme gestatten ohne weiteres Schlüsse auf das Fortleben der bukolischen Dichtung. Wo Paulus Silentiarius und Properz übereinstimmen, ist uns für das Vorbild sogar die elegische Form gesichert. So mag als weiteres Beispiel etwa Paulus V 255 mit Properz I 10 verglichen werden. Wieder bietet die alte Elegie des Mutterlandes wenigstens einen Vergleichspunkt; auch ihr sind scherzende Erwähnungen der Liebeshändel eines Freundes nicht fremd (Plut. Cimon 4 παίζων δι’ ἐλεγείας); aber nicht aus ihr, sondern aus einer fortlebenden Dichtung muß das hellenistische Original erklärt werden. Einen Gedanken, den Properz II 30 *||Quo fugis, a, demens ?) im richtigen Zusammenhange bietet, überträgt Paulus V 301 entstellend; auch er paßt in keiner Weise für das ,Epigramm’ der älteren Zeit.

Das besagt zunächst freilich nicht mehr, als daß Meleager Dichtungen, wie wir sie hier voraussetzen müssen, nicht als Epigramme empfand. Vielleicht auch die Dichter nicht; neben dem Titel ἐπιγράμματα ist für Philetas παίγνια, für Arat παίγνια und ἐλεγεῖα, wahrscheinlich auch κατὰ λεπτόν bezeugt (anders Maass Aratea 227), bei Kallimachos (frg. 67) der Titel ἐλεγεῖα allerdings unsicher. Die Hauptsache bleibt die innere Verwandtschaft der kürzeren und längeren Gedichte desselben Metrums (so kann Poseidipp XII 168 Mimnermos und Antimachos in gewisser Weise als seine Vorbilder bezeichnen, weil beide, auch Mimnermos, ihm als Vorbilder der alexandrinischen ,Elegie’ erscheinen; auch IX 63 ist danach mit zu beurteilen). Wenn daher das E. bei Asklepiades und Poseidipp, sowie stärker später bei Meleager und Philodem Berührungen mit der Komödie zeigt (vgl. etwa V 181–183), so sehe ich keinen Grund, die bei römischen Elegikern mit der Komödie übereinstimmenden Stücke direkt aus dieser herzuleiten, wie dies jetzt F. Jacoby in einem nach vielen Seiten anregenden Aufsatz Rh. Mus. LX 38 tut.

Von weiteren Stoffen dieses von Ionien beeinflußten E.s seien noch die Erzählung von Anekdoten und ἀποφθέγματα (Asklepiades Tebtynis-Pap. I 3. Kallimachos ep. 1 = A. P. VII 89), ferner der persönliche Angriff und Hohn (Dioskorides XI 363, wichtig für Catull und Calvus), das literarische Urteil in Form der Buchaufschrift (Asklepiades IX 63), endlich jene Vereinigungen ganzer E.-Reihen zu einer Art Lehrgedicht erwähnt. Gerade sie zeigen die Zusammenhänge [93] von E. und Elegie am deutlichsten und verdienen daher besondere Hervorhebung.

Das Zusammenschließen mehrerer kleiner erzählender Liedchen zu einer Einheit sahen wir bei Asklepiades XII 135 und Hedylos V 199 und folgern ohne weiteres, daß der Verfasser von Tibull IV 2–7 an hellenistische Vorgänger anschloß. Auch über den Katalog der ὀψοφάγοι bei Hedylos ist schon gesprochen (o. S. 90). Mit ihm wetteiferte Poseidipp, doch so, daß er seine Gedichte als Unterschriften zu fingierten Abbildungen gab (Athen. X 412 E. 414 D. 415 A); ähnlich der von Leonidas verspottete Dichter Dorieus (Athen. X 412 F, die von Kaibel richtig, von mir früher falsch beurteilte Eingangsformel Τοῖος ἔην Μίλων wird durch Hoffmann 335. A. P. IX 588 erklärt). Näher an das Lehrgedicht führt uns die Aufzählung der epischen Hauptpersonen in Grabgedichten bei Asklepiades und Poseidipp (vgl. Epigr. u. Skol. 95). Das berühmte E. auf Aias, das der kümmerliche Nachahmer in den aristotelischen Peplos mit aufnahm (A. P. VII 145), zeigt, wie sich aus einem berühmten Dichterwort (Tragic. frg. ad. 374 N.²) die freie Fiktion eines Denkmals entwickelt; die Nachahmung des Mnasalkas bei Athen. IV 163 A ist ähnlicher Art: Ἅδ’ ἐγὼ ἁ τλάμων Ἀρετὰ παρὰ τῇδε κάθημαι Ἡδονῇ αἰσχίστως κειραμένη πλοκάμους entspricht, soweit es das Vorbild zuläßt, Gemälden, wie sie Kleanthes in Worten entwarf 3 (Cic. de fin. II 69 iubebat eos, qui audiebant, secum ipsos cogitare pietam in tabula Voluptatem pulcherrimo vestitu et ornatu regali in solio sedentem, praesto esse Virtutes ut ancillulas, vgl. zur Sache Hirzel Dialog I 372). Das Fragment aus der Grabschrift auf Hekabe (Schol. Eurip. Hec. 1273) zeigt, daß Asklepiades zur Charakteristik auch Choliamben verwendet (wie Theokrit in den Epigrammen auf Dichter). Ganz ähnlich scheinen mir die zahlreichen Epigramme auf Dichtergräber, die nur die Dichter selbst charakterisieren sollen, oder die ähnlichen Aufschriften auf angebliche Standbilder oder Gemälde, die nur die Phantasie des Dichters entwirft. Zu vergleichen sind wohl die E.-Einlagen im Γραφεῖον (?) des Kallimachos (frg. 37 A und A. P. IX 185, vgl. E. Dietrich Jahrb. f. Philol. CXLI 831), wie mit diesen die Sammlung von Buchaufschriften in den Flinders-Petrie-Papyri (o. S. 72). Auch ein weiterer Vergleich der Epigramme auf Anakreon mit Kritias frg. 7 Bgk.⁴ vermag wohl den literarischen Charakter und Zweck solcher Gedichte ins Licht zu stellen. Noch enger grenzen an das Lehrgedicht die Epigramme des Dioskorides auf Erfinder und Dichter (Epigr. u. Skol. 165, vgl. dazu Jacoby Das Marmor Parium 51ff.). Weiter führen das Fragment des Philostephanos (Tzetz. Chil. VII 670) aus einer epigrammatischen Aufzählung von Naturwundern und die Ἰδιοφυῆ des Archelaos, sie zugleich ein treffliches Beispiel für die Fiktion von Abbildungen, welche durch die Unterschrift erklärt werden. Mit ihnen wieder ist zu vergleichen ein Zitat aus der ,Elegie’ des Nikomachos (τοῦ τὴν περὶ ζωγράφων ἐλεγείαν πεποιηκότος) bei Hephaistion 4,7: οὖτος δή σοι κλεινὸς ἀν’ Ἑλλάδα πᾶσον Ἀπολλόδωρος· γιγνώσκεις το/νομα τοῦτο κλύων (vgl. Theaitet bei Diog. Laert. VIII 48, sicher nicht Aufschrift [94] auf ein Standbild). Die ,Elegie’ dient ähnlichem Zweck, wie das Verzeichnis der Maler in den ,Laterculi Alexandrini’, welche Diels Abh. Akad. Berl. 1904 herausgegeben hat, aber sie bietet die einzelnen Angaben in E.-Form. Man vergleiche mit solchen Kataloggedichten das große Fragment des Hermesianax über verliebte Dichter: der Unterschied ist, von der Fiktion der Aufschrift abgesehen, gering genug.

Daß neben dem Lehrgedicht auch die Lyrik einwirkt und auch Asklepiades wie Kallimachos μέλη dichtet, sicher im Anschluß an die lesbische Poesie, zeigt das nach ihm benannte Metrum wie die Einwirkung dieser Lyrik auf sein E. (vgl. besonders XII 50). Wenn wir Gedichte wie A. P. V 134. 135 mit Horaz Ode III 21 vergleichen, dürfen wir nicht vergessen, daß ihnen ein hellenistisches lyrisches Lied entsprochen haben kann. Nur deshalb erscheint uns ja das E. ab die typische Form hellenistischer Lyrik (vgl. v. Wilamowitz Euripides Hippolyt S. 16), weil die μέλη der Zeit, die auf die Epigramme einwirken und sich in ihnen spiegeln, verloren sind.

7. Die Entwicklung des Epigramms. Eine Geschichte der E.-Dichtung vom Ende des 3. bis gegen Mitte des 2. Jhdts. läßt sich bei der geringen Zahl sicher datierbarer Dichter und Gedichte kaum geben. Die Einwirkungen der peloponnesischen Schule, des Leonidas und der Alexandriner scheinen sich zu kreuzen, archaistische Strömungen miteinzugreifen. Gegen Ende der Zeit scheint der Einfluß des Leonidas zu überwiegen. Aus der Fülle der Nachahmer und Paraphrasten hebt sich für uns eine schärfer umrissene Gestalt heraus, Antipater von Sidon. Die Schilderung, welche Cicero de orat. III 194 von ihm gibt, ist mit Recht mit der Charakteristik eines jüngeren Nachfolgers, Archias, in Cic. pro Arch. 18 verglichen worden; von diesem heißt es: quotiens ego hunc vidi magnum numerum optimorum versuum de eis ipsis rebus, quae tum agerentur, dicere ex tempore; quotiens revocatum eandem rem dicere commutatis verbis atque sententiis, von jenem Antipater ille Sidonius, quem tu probe. Catule, meministi, solitus est versus hexametros aliosque variis modis atque numeris fundere ex tempore tantumque hominis ingeniosi ac memoris valuit exercitatio, ut, cum se mente ac voluntate coniecisset in versum, verba sequerentur. Hierzu stimmt die Beschreibung des Antipater bei Meleager VII 428 ἐν Μούσαις ποικίλος ὑμνοθέτας. Dieselbe Stelle gibt in den Worten περὶ Κύπριν πρᾶτος den sicheren Beweis, daß Antipater auch Liebeslieder gedichtet hat: da in den zahlreichen Epigrammen jede Spur von Erotik fehlt, gehörten sie offenbar den μέλη an. Auch sonst hat Antipater das E. weit strenger als selbst Leonidas auf die Aufschrift beschränkt. Freilich nicht auf die wirkliche Aufschrift; was er bietet, sind im wesentlichen ἐπιδείξεις, Virtuosenstücke, oft offenbar Ausführungen eines gegebenen Themas, eng verwandt mit den rhetorischen Deklamationen und eben dadurch wichtige Zeugnisse für deren Art und Verbreitung. Dementsprechend sind die Themata zum Teil einfach aus Leonidas übernommen, zum Teil ekphrastischer Art oder Rätselspiele (vgl. VII 423–427) Zeitspuren sind äußerst selten. Die Metrik ist [95] fein, die Sprache außerordentlich gehoben (vgl. z. B. X 2 mit X 1); daß die dithyrambischen Wortbildungen (vgl. o. S. 85) etwas zurückgetreten, die Benutzung der alten Lyrik aber stärker geworden ist, merkt man am besten, wenn man die Leonidasnachahmung bei Phanias vergleicht. Der Gegensatz, in welchen Stoff und Sprache bei diesem geraten ist, zeigt bei Antipater die stilistische oder besser rhetorische Absicht (über die Benutzung der alten Lyrik durch die Redner gibt kurze Andeutungen Norden Antike Kunstprosa 885, 1). Antipater und seine Genossen bezeichnen für mich nicht, wie anscheinend für v. Wilamowitz (Arch. Jahrb. XIV 59, 31), den Übergang von der Aufschrift zum Buchgedicht, sondern die Umgestaltung der E.-Dichtung zur rhetorischen ἐπίδειξις, zur Vorübung und zur Rivalin für die declamatio. Es sind dieselben rhetorischen Einflüsse, unter welchen gegen Ende des 2. und Anfang des 1. Jhdts. v. Chr. Meleager von Gadara steht (vgl. Radinger Meleager von Gadara, Innsbruck 1895); auf die Blüte rhetorischer Studien in Gadara weist er VII 417, 2 hin (natürlich ohne dabei attische Beredsamkeit der asianischen gegenüberstellen zu wollen); sie wird in Tyros, wo er später lebt, kaum geringer gewesen sein. Daß er den Begriff des E.s wieder erweiterte und das kurze erotische Gedicht, wenn es nur im elegischen Distichon verfaßt ist, wieder als E. faßte und selbst mit Vorliebe pflegte, ist für uns von entscheidender Bedeutung geworden. Auch für die Aufschriften gilt ihm die elegische Form im wesentlichen als erforderlich: nur ganz vereinzelt hat er in seine Sammlung abweichende Gedichte aufgenommen. Selbst die geringe Nebenüberlieferung gestattet uns, festzustellen, daß sie in größerer Anzahl vorlagen, als wir nach ihrer Seltenheit im Meleagerkranz annehmen müßten. Daß seine Sammlung weder die erste war, noch immer auf besonders reine Quellen zurückzugehen scheint, ist früher besprochen (S. 731. Ein Kunstwerk wollte er geben und zugleich der eigenen Dichtung Verbreitung und Bestand sichern; die Arbeit des Grammatikers soll man von ihm nicht erwarten. Schon die Menippische Satire, die Meleager hauptsächlich pflegte, muß von der asianischen Rhetorik beeinflußt sein: das zeigt ihre zum Teil gleichzeitige, zum Teil wenig jüngere Behandlung durch Varro, die Norden Antike Kunstprosa 199 trefflich charakterisiert hat (mit Recht vergleicht er Varro frg. 432 mit A. P. IX 567 [Antipater von Sidon] und führt ebenso mit Recht den Stil der Metamorphosen des Apuleius auf Sisenna zurück; ob Meleager selbst von römischen Nachbildungen Kunde gehabt hat, wird man nach der Erwähnung der lanx satura XII 95 [?] wenigstens fragen dürfen); auch die eingelegten Gedichte werden bei beiden ähnlich gewesen sein. Im E. übernimmt Meleager seine Stoffe im wesentlichen aus dem frühhellenistischen Liebes-E., wie Antipater sie von Leonidas übernimmt. Aber er behandelt sie im Sinne der ,asianischen’ Rhetorik, bald mit unwahrer Leidenschaft und nicht minder unwahrer Sentimentalität, bald in spitzfindigen Gedankenspielen und überraschenden Sentenzen. Die doppelte Behandlung desselben Themas oder Epigramme, welche als Gegenstücke gelesen oder vorgetragen werden sollen, die wnnderbare Kunst [96] der Pointenbildung, besonders im zweizeiligen E., die übertrieben lebhafte Rede, die zahlreichen Aposiopesen, alles verstärkt diesen Eindruck. Übertrieben ist der Gebrauch der Figuren und Klangmittel, besonders der παρήχησις (die in Rom also ebensowohl als nationale Tradition wie als Kunstmittel des allerneuesten Stils empfunden werden konnte). Der Wortschatz zeigt dieselbe Einwirkung der Lyrik, die Sprache wenigstens da, wo der Stoff zur Ruhe zwingt (z. B. VII 476), ähnlichen Klang wie bei den Leonidaeern; charakteristisch für die Kunstrichtung ist besonders, wie stark Gedanken und Wendungen des Leonidaeischen Grab- und Weihe-E.s in die Erotik übertragen werden (XII 23. V 195. XII 84. 85). Daneben wirken selbstverständlich auch die Liebesdichtungen anderer Art und besonders die jüngere Fortbildung der ,Bukolik’; nicht die direkten Nachbildungen (V 177. 178, vgl. auch 139), sondern die Ähnlichkeiten in Erfindung und Gedankenführung wären hier besonders zu betonen. Auch auf die ἐρωτικοὶ λόγοι, der Zeit wird man Rückschlüsse machen dürfen; man vergleiche nur die erotischen Briefe des Philostratos mit Meleagers Epigrammen. Meleager zeigt außerordentlich wenig Individuelles; Situationen und Empfindungen sind typisch, ihm eigen nur die wundervolle Kunst. Man hat ihn mit Recht mit Ovid verglichen: elegant und geistreich wie dieser zeigt er dieselbe Übertreibung in der Verwendung der rhetorischen Mittel, dieselbe Flüchtigkeit oder Selbstgefälligkeit in den Wiederholungen, ja selbst die gleiche Neigung, das unwahre Pathos durch Gegenüberstellung des Schmutzgedichtes (XII 95) zu variieren. So erschließt er für den größeren Römer das Verständnis, indem er die erotische Dichtung seiner Schule und Zeit im E. reflektiert.

Denn Meleager steht nicht allein. Die Anfänge dieser Entwicklung zeigen sich im Grunde schon bei Dioskorides (vgl. V 56, allerdings wird die Leidenschaftlichkeit der ersten sechs Verse durch die aus Platon entlehnte Pointe wieder aufgehoben und gedämpft) und dem Meleager im Geiste, nicht in der Kunst ähnlich sind die sicher nicht von ihm beeinflußten Epigramme des Catulus und seiner Klienten, die R. Büttner (Porcius Licinus u. d. literarische Kreis des Q. Lutatius Catulus, Lpz. 1893) über Gebühr bewundert. Ganz der Art Meleagers entspricht die umgestaltende Nachbildung des Kallimachos in Aufugit mi animus oder die frostige Spielerei mit der Metapher in Custodes ovium vernae propaginis agnum (sicher nicht direkt aus A. P. IX 15, die plumpe Sprache des Eingangs weist auf ein näherstehendes Original, Ποιμένες ἠριγενέων ἀγνῶν oder dgl.) und in dem etwas besser gelungenen Quid faculam praefers. Das E. Dicere cum conor zeigt, daß diese jüngere Epigrammatik schon auf die berühmte Schilderung höchster Leidenschaft bei Sappho zurückgegriffen hatte. Das E. Constiteram exorientem Auroram forte salutans, in welchem der Consular den jugendlichen Roscius recht ungeschickt mit der Morgenröte vergleicht, erklärt sich aus Theokr. XVIII 27 Ἀὼς ἀντέλλοισα καλὸν διέφανε πρόσωπον –ὧδε καὶ ἁ χρυσέα Ἑλένα διεφαίνετ’ ἐν ἁμῖν. Ein griechischer Dichter hatte das auf Sappho zurückgehende Bild (Kaibel Herm. XXVII 249) auf sein Mädchen übertragen.[97]

Daß die schon im Griechischen hohle und unwahre Sprache der Erotik für den Römer dieser Zeit nichts als Phrase ist, schließe ich aus den durchaus nicht immer parodistisch gemeinten erotischen Erzählungen des Lucilius; aber schon die Übernahme der Phrase bedeutet etwas für ein Volk, das feineres Empfinden erst lernen muß. An Catulus schließt sich in Rom T. Quintius Atta (vgl. Nonius 202, 23. Baehrens Fragm. poet. Rom. p. 273) und Laevius in seinen polymetrischen Erotopaegnia, der seinerseits Catull das Vorbild für die ersten nugae gibt (frg. 28. Catull 32). Auch für diese polymetrischen Gedichte besteht ein direkter, nie ganz abgerissener Zusammenhang und nur der Stil wechselt. Daß der Stil des Laevius, des Matius (in den Mimiambi, trotz des anders gearteten Vorbildes) und anderer Dichter an Leonidas oder doch die jüngeren Leonidaeer anklingt, wird sich aus diesen literarischen Zusammenhängen erklären.

Die weitere Entwicklung in Rom wird nur verständlich, wenn wir eine in Griechenland für uns erst etwas später nachweisbare Umbildung in der Betrachtung vorausnehmen. Hier läßt sich in der E.-Dichtung der caesarischen und augusteischen Zeit ein eigenartiger Gegensatz nachweisen, der sich am besten vielleicht an Apollonidas von Smyrna und Krinagoras von Mytilene zur Empfindung bringen läßt. Ersterer übernimmt seine Themata, unter denen die Erotik gänzlich fehlt, die Sympotik nur mit einem E. vertreten ist, mit Vorliebe von den Älteren, Leonidas, Kallimachos, auch Anyte. Neben den wunderlichen Geschehnissen (vgl. VII 702. IX 243. 422) sind besonders rührende Stoffe bevorzugt (der treue Sklave, der mit seinem Herrn ins Elysium kommen wird [vgl. das koische E. Paton-Hicks 218. Reitzenstein Epigr. u. Skol. 210], die Gattin, welche dem Gatten nachstirbt, der Schiffbrüchige, der zu dem Krankenlager des Vaters eilen wollte, die blinde Mutter, die nun in den Kindern sieht). Auf eigenes Erleben deutet recht wenig. Dagegen ist es bei dem in Metrik und Stil nicht allzu fernstehenden Krinagoras (allerdings mit Hilfe von Inschriften) möglich, sein ganzes Leben in der Dichtung zu verfolgen (vgl. Crinagorae Myt. Epigr. ed. M. Rubensohn. Cichorius Rom u. Mytilene, S.-Ber. Akad. Berl. 1889, 953. Rubensohn Berl. phil. Wochenschr. 1888 nr. 44ff.) Der E.-Stoff ist das βεβιωμένον, und selbst das scheinbar epideiktische Lied erklärt sich aus dem Reiseerlebnis. Das Bild rundet sich aus, wenn wir Antipater von Thessalonike vergleichen: der Poet als Reisebegleiter hat die Pflicht, die Eindrücke des hochgestellten Freundes in kleinen Bildern festzuhalten, in der Heimat muß er die Familienfeste oder die Tagesereignisse, besonders die auf das Kaiserhaus bezüglichen besingen. Das Lied dringt ganz anders ins tägliche Leben ein; es begleitet als Briefchen die bescheidene Gabe des armen Freundes, den Schreibgriffel oder Zahnstocher, das Buch für den Schüler, den Blumenkorb für die Jungfrau. [17] Kein Zweifel, das E. [98] hat in diesem Anschluß an das Leben zunächst gewonnen. Einzelne Gedichte sind wirklich anmutig und lassen ahnen, was aus dieser Dichtungsart werden kann, wenn sie sich über die Klientenpoesie erhebt.

Das Wirken dieser Theorie – denn um eine solche handelt es sich offenbar – ist wenigstens in dem einen Teil, der sich auf die Tageserlebnisse, Reiseeindrücke usw. bezieht, freilich schwer zu verfolgen. Der Stoff, den ein Dichter aufgebracht hat, wird ja sofort von andern umgemodelt und weitergegeben. Aber auch wenn Rubensohn in dem Aufspüren des βεβιωμένον vielfach zu weit gegangen ist (vgl. besonders die kürzeren Beiträge in der Berl. philol. Wochenschr. 1893 und später), bleibt es ein Verdienst, diese Richtung in dem E. energisch hervorgehoben zu haben.

Wenig ist noch von dieser Art der Epigrammatik bei Philodem, dem jüngeren Landsmanne Meleagers, zu finden; aber das Einladungsbriefchen an seinen Gönner Piso (A. P. XI 44, zu vgl. mit Catull 13 und Horaz Ode I 20; Epist. I 5) zeigt, daß jene Theorie schon bekannt, die Sitte schon durchgedrungen ist. Sonst steht Philodem in der Wahl der Themata, Sprache und Rhetorik Meleager ganz nahe, nur an Geist über ihm. Vermieden sind die Spitzfindigkeiten wie die Sentimentalität Meleagers, und gerade dadurch, daß ein überlegener Geist mit der Zierlichkeit und der Leidenschaftlichkeit dieser παίγνια im Rokokostil im Grunde nur spielt, ist mehr vom Charakter des frühhellenistischen E.s geblieben (vgl. z. B. V 121). Wir begreifen, daß griechisches Liebesempfinden gerade in dieser Form dem Römer am verständlichsten war und Philodem auf die Zeitgenossen noch mehr als auf die Späteren wirken mußte (so hat meines Erachtens jener Manlius, der als Schiffbrüchiger im Meere der Liebe Catull um erotische Dichtungen bittet, 68, 1–6, Philodem X 21 benützt, ein Liedchen, das übrigens in der Wendung τὸν χιόσι ψυχὴν Κελτίσι νιφόμενον, von Kaibel fein durch Petron 19 frigidior hieme Gallica factus erklärt, deutlich anzeigt, daß Philodem für ein römisches Publikum schreibt). Der Interpret kann in die leichten Scherzlieder, ähnlich wie bei Kallimachos, nie [99] genug hereinlegen oder herausdeuten. Er muß z. B. bei V 115 Ἠράσθην Δημοῦς an die etymologischen Spielereien der Stoiker denken, nach welchen Name und Schicksal zusammenhängen, Xenophon in der Fremde sterben, Achilles den Iliern Leid bringen mußte, um die Steigerung οὐ μέγα θαῦμα, οὐ μέγα, οὐκέτι ταῦτα παίγνια und die anmutige Pointe, die den Dichter scheinbar an seiner insaniens sapientia irre werden und zum Schicksalsglauben übergehen läßt, voll zu würdigen (wie gerade dieser für die Empfindung der Späteren den ganzen Gegensatz beider Schulen ausmacht, zeigt gut Tac. ann. VI 22). Ähnliches noch oft. Hervorzuheben scheint besonders noch die Bildung eines neuen Typus, des Gesprächs-E.s. Aus der Unterhaltung des Denkmals und des Wanderers, oder des Anathems und des Gottes (vgl. besonders Kallimachos ep. 34 Wil.² = A. P. VI 351) hat schon Phalaikos (XIII 5) die mehr gezierte als zierliche Plauderei der Standbilder der beiden (?) Brüder gemacht, die sich zufällig zusammenfinden und zunächst nicht erkennen. Philodem bietet ein ähnliches Spiel in dem schildernden Liebes-E., nur daß Versform und Dialog in noch keckeren und reizvolleren Gegensatz gebracht werden. Die kleinen Genrebilder berühren sich mit der Komödie und können doch nicht aus ihr stammen; verwandt sind die Monologe bei Asklepiades V 181. 185 und mehr noch bei Meleager V 182. 184 (in die Elegie übertragen von Ovid. amor. III 2), aber auch sie können nicht Vorbilder sein. Wieder erhebt sich die Frage, ob das E. eine etwas größere hellenistische Dichtungsart spiegelt, wenn wir Horaz Ode III 9 Donec gratus eram diesen Typus lyrisch ausgestalten sehen (als Ständchen gefaßt verliert die Ode alle Feinheit, ja im Grunde allen Sinn; ein zufälliges Zusammentreffen führt zum anmutigen und verbindlichen Gespräch, aus dem sich die neue Liebe entwickelt; da sich die lyrische Strophe nicht zum Geplauder zerreißen und herabdämpfen läßt, ist die hellenistische Ausbildung des amoebaeischen Liedes, etwa wie sie im Ps.-Theokrit Id. VIII vorliegt, nachgeahmt; v. 8 berührt sich mit Asklepiades IX 63; das ganze Lied ist hellenistisch empfunden). Weitere Einwirkungen Philodems auf die römische Dichtung, besonders auf Ovid, verzeichnet die klassische Ausgabe von Kaibel Index Scholarum von Greifswald 1885.

Noch bedeutender, zwar nicht als Dichter, wohl aber als Mittler zwischen griechischer und römischer Dichtung ist Parthenios. Nicht nur durch Anweisung und Unterstützung, sondern vor allem, indem er die griechische Poesie in das tägliche Leben der Gebildeten Roms übertrug, hat er der lateinischen Dichtung vorgearbeitet. So führt er das hellenistische Hochzeitslied in Rom ein (vgl. frg. 32 Martini, sowie Etym. genuin. Οἰταῖος ... παρὰ ΠαρθενίῳWissowa IV,1 330 b1.jpg Cat. 62, 7 nimirum Oetaeos ostendit Noctifer ignes, vgl. auch Hermes XXXV 96) und erzählt in einem längeren elegischen Gedicht oder einem Kranz kürzerer Elegien (etwa wie der Dichter von Tibull IV 2–7 von Sulpicia und Cerinth) von der Liebe des Krinagoras zu Gemella (A. P. V 119, vgl. Parthenios frg. 9 Mart. Properz I 1, 4). Weitaus am wichtigsten aber sind für uns die Lieder auf seine [100] Gattin Arete, gleichviel ob wir das ἐπικήδειον Ἀρήτης von dem ἐγκώμιον Ἀρήτης ἐν τρισὶ βιβλίοις trennen oder nicht (auf Nachbildung einer Aufschrift könnte frg. 1 ἄννεμε weisen, vgl. Theokr. XVIII 47). Freilich müssen wir, um seinen Einfluß zu würdigen, eine längere Entwicklungsreihe überschauen, die uns nur zuletzt zum E. wieder zurückführen kann.

Als die Geliebte des Kimon starb, widmete Archelaos ihm ein Trostgedicht, in welchem philosophische Gedanken den Hauptinhalt gebildet zu haben scheinen (Plut. Kim. 4); als die Geliebte (?) des Antimachos, Lyde, starb, dichtete er sich selbst ein Trostgedicht mit mythologischen Beispielen ähnlichen Leides (Plut. cons. ad Ap. 9 ἐξαριθμησάμενος τὰς ἡρωϊκὰς συμφοράς). Das ist an sich nicht befremdlicher als in der erotischen Elegie der Verweis auf Atalanta (Theogn. II 1283–94, vgl. auch 1345–50) oder in der sententiösen der auf Sisyphos 699–718 (eine gewisse Parallele bietet selbst das E. auf die Sieger von Eion, oben S. 79). Mit Antimachos bringt man mit Recht von jeher Hermesianax zusammen, der in dem dritten Buch der Leontion berühmte Liebende katalogartig zusammenstellt; daß die einzelnen Abschnitte, ohne Epigramme zu sein, doch an Katalogepigramme erinnern, ist o. S. 94 gezeigt. Ob er in den andern Büchern auch andere Formen der Elegie verwendet hat, wissen wir nicht. Von Hermesianax läßt sich gewiß, trotz des abweichenden Stiles, Parthenios nicht trennen, doch wissen wir von dem Inhalt der drei Bücher Arete noch weniger. Aber mit vollem Recht hat Fr. Marx (zu Martini frg, 1) darauf verwiesen, daß an Parthenios Calvus schließt. Die Beschreibung des Properz II 34, 89 haec etiam docti confessa est pagina Calvi, cum caneret miserae funera Quintiliae, muß aus dem empfehlenden Gedichte Catulls (96) ergänzt werden: quo desiderio veteres renovamus amores atque olim missas flemus amicitias. Es ist für die Beurteilung der Gedichte und die Begriffe der Zeit wohl überflüssig, zu fragen, ob Quintilia Gattin oder Geliebte des Calvus war (der Name gestattet keinen Schluß; Krinagoras nennt seine Gemella, und Sulpicia, die Nichte des Messalla, will genannt sein; außerdem handelt es sich hier um eine Tote, vgl. Ovid. trist. II 437). Catull zeigt, daß wenn Quintilia die Gattin war, das Verhältnis wie eine Liebschaft gelöst und wie eine Liebschaft geschildert war; er hat sein eigenes Verhältnis ja auch als Ehe gefaßt (68, 135. 136. 109. 76, 3. 4 u. sonst). Wohl zeigt sich der sittliche Verfall der Zeit gerade hierin am furchtbarsten; aber nur diese Zeit hat in der römischen Erotik ein wirklich tiefes Empfinden gezeitigt. Den ganzen Stoff behandelt Properz IV 7 in einer einheitlichen Elegie, Calvus, wie es scheint, in verschiedenen Liedern. Es steht gar nichts im Wege, auf sie Ovid. Trist. II 431 zu beziehen: par fuit exigui similisque licentia Calvi, detexit variis qui sua furta modis (vgl. v. 427–430). Denn die Reihe läßt sich noch weiter führen, zu dem Buch des Calvus ein Gegenbild aufzeigen. Martial. preist X 35 und 38 die eben erschienenen Lieder einer Sulpicia. Sie gaben sich in der Einleitung als veröffentlicht von deren untröstlichem Gatten Calenus, als die Dichterin [101] nach fünfzehnjähriger Ehe verstorben war; das folgt notwendig aus Mart. X 38, 9–14 Vixisti tribus, o Calene, lustris: aetas haec tibi tota conputatur et solos numeras dies mariti. ex illis tibi si diu rogata (so) lucem redderet Atropos vel unam, malles quam Pyliam quater senectam. Die Parzen walten hier über die Rückkehr aus dem Hades (vgl. Ovid. met. V 532. Platon); der Gedanke entstammt wohl der Laodamiasage; der Zurückbleibende erweicht durch seine Bitten den Pluton und wählt einen Tag ,Leben’, statt eines Alters von zwölf saecula oder Aionen (sakraler Ausdruck für VIII 2, 7 geprägt). Da derartige Empfehlungsgedichte eng an das empfohlene Werk schließen (vgl. Catull 96. Calvus frg. 16 und 15), dürfen wir den Gedanken dem einleitenden (oder schließenden) Gedicht des Calenus zuweisen. Dagegen erinnern v. 4–8 auffällig an Prop. II 15, dies aber berührt sich eng mit dem Hochzeitslied des Ticidas (frg. 1 Baehrens felix lectule talibus sole amoribus; mit v. 5. 6 vgl. auch Catull 68, 147). Auch der Klang des Liedes, der diesmal nicht auf Martials Rechnung zu setzen ist, weist uns auf die Schule und Zeit des Calvus. Martial X 35, 19–21 spricht nicht mehr von der Einleitung, sondern nur von den Liedern Sulpicias, als ob sie noch lebte, und zeigt, daß in ihnen auch Catull 70 nachgeahmt war. Der Dichter Calenus, den die Literaturgeschichte allein kennen sollte, hatte die Lascivität seiner kleinen polymetrischen Gedichte, von der neben Martial ja auch die Fragmente ein Bild geben, dadurch entschuldigt, daß er sie der Ehe, und zwar einer nur durch den Tod gelösten Ehe, zuschrieb, und noch pikanter gemacht dadurch, daß er die Frau reden ließ (auch Properz hat die realistischste Schilderung seiner Liebe in diesem Liede gegeben; den Reiz, gerade die glühendste Leidenschaft von dem Weibe aussprechen zu lassen, würdigt auch der Dichter von Tibull IV 2–7). Daß der Dichter selbst wie Martial sein Werk als E.-Sammlung oder einer solchen doch ganz ähnliches Werk faßte, wird uns später beschäftigen.

Der Zusammenhang des Calvus mit der gleichzeitigen griechischen Erotik scheint mir danach sicher. Man wird ihn daher auch für Catulls kleinere Gedichte ohne weiteres annehmen müssen, wiewohl er direkt nur für einzelne πολύμετρα (z. B. 3 und 7) nachweisbar ist. Die Forderung des βεβιωμένον ist aufs strengste durchgeführt; freilich genügt für diese παίγνια unterschiedslos jedes Erlebnis. Die Epigramme sind von der Form der Aufschrift völlig befreit. Man muß bedenken, daß diese Form in Rom noch keine wirkliche Geschichte hatte, wenn auch Ennius (frg. var. 15–23 Vahlen²) und Lucilius (579 Marx) das griechische Buch-E. ihrer Zeit nachgebildet haben. Stärker war das freie ἐλεγεῖον in Spott (Pompilius Baehrens Frg. poet. Rom. p. 274. Manilius ebd. 283. Cicero ebd. 304) oder Witz (Cicero frg. 13 Baehr.) entwickelt; auch die scheinbare Buchaufschrift war als Empfehlungs-E. Modeform geworden (über das erotische E. siehe o. S. 97). Von Catulls ,Epigrammen’ könnte höchstens 101 an die freieste Form des griechischen Grabgedichtes erinnern, vgl. Meleager VII 476 (der stilistische Gegensatz ist beachtenswert und zeigt den Unterschied zwischen ,asianischer’ und [102] atticistischer Beredsamkeit). Der allmähliche Übergang des Weihe-E,s in das Gebet (schon Poseidipp. XII 131) erklärt, daß auch das wundervolle längere Gebet 76 unter die Epigramme eingereiht ist. Dagegen zeigen die πολύμετρα 1–60 häufiger Berührungen mit dem griechischen E., so z. B. 3 die Klage um den toten Lieblingsvogel, 4 die angebliche Unterschrift unter das Votivbild seines Schiffes, 56 gedacht wie eine Unterschrift unter ein Bild Caesars und Mamurras, die dichtend auf einem Pfühle liegen (vgl. etwa A. P. XVI 306. 307). Die Reihe wächst, wenn wir an die Verwendung des E.s als Briefchen, als kurze erotische Erzählung oder als Entrüstungs- und Spottgedicht denken. Die metrische Form macht für Catull keinen Unterschied, πολύμετρα und ἐλεγεῖα stehen sich gleich, das E. ist zum kurzen Gedicht geworden.

Daß sich in dem E. Catulls gewaltigste Leidenschaft aussprechen kann, ist eine Errungenschaft der jüngeren, rhetorischen Fortbildung des E.s, daß es mit andern Mitteln, in einfachster Sprache und fast lauter κύρια ἔπη geschieht (vgl. 85. 87. 75), folgt ebenso aus dem Bruch mit der asiatischen Rhetorik, wie aus dem Vorbild der ersten hellenistischen Erotik. Daß die Liebessprache nicht mehr konventionelle, aus der Fremde übernommene Phrase, sondern der Ausdruck eines Empfindens ist, das an Glut und Tiefe über alles antike Empfinden herauswächst, hat dieser Dichtung die siegende Macht gegeben, welche eine wirkliche Liebespoesie in Rom überhaupt erst ermöglicht und auch uns wohl gegen die Gebundenheit und Maniriertheit der Form blind macht, aus der diese Dichtung zuerst hervorwächst und in die sie immer wieder verfällt, auch nach dem gewaltigsten Erleben.

Man darf wohl glauben, daß diese Eigenart der Dichtung Catulls notwendig zu der Trennung der Elegie und des E.s führen mußte, die nach ihm eintritt. Freilich ist sie nicht streng durchgeführt. Zwar wagt Tibull erst im zweiten Buch und in sichtlicher Rivalität mit Properz einmal die Kurzelegie, oder, wenn man will, das erweiterte, lyrisch ausgebildete E. aufzunehmen (II 2; auf den Sulpiciazyklus ist früher verwiesen); aber Properz zeigt Spuren schon im ersten Buch (I 21. 22), dann mehrfach im zweiten (z. B. II 11 und 13, mehr noch 12, das einerseits aus Poseidipp. XVI 275, andrerseits aus den bekannten rhetorischen Übungen zu erklären ist). Auch einzelne Erweiterungen kürzerer erotischer Erzählungen finden sich früh (Prop. I 3, vgl. o. S. 91), doch glaube ich verschiedene, einander freilich nahestehende Grundtypen annehmen zu dürfen, die erst bei Ovid unter dem Einfluß asianischer Rhetorik und Improvisationskunst ganz einander angeglichen sind. Jacoby, der in dem erwähnten geistvollen Aufsatz (Rh. Mus. LX 38ff.) den Griechen von subjektiver Dichtung nur das E. (zu dem er auch die Kurzelegie rechnet), den Römern die längere und eigentliche Elegie zusprechen will, hat zu wenig erwogen, welche Art Elegie denn das von Parthenios dem Gallus gewidmete Handbüchlein voraussetzt. Für eine ausgeführte erotische Ballade könnte man sich kaum ein ungeeigneteres Hilfsbuch denken, kaum ein geeigneteres für den mythologischen Vergleich. Man [103] braucht wirklich nur Prop. I 1, 9–16 in Prosa zurückzuübersetzen, um eine Erzählung des Parthenios zu gewinnen und den Zweck der von ihm eingelegten poetischen Beispiele zu erkennen (wie eng Properz an Gallus schließt, zeigt ja das als Gegenbild zu ihm gedichtete Lied I 8 a). Dann wird es kein Zufall sein, daß Catull die subjektive erotische Erzählung, die er in das ἐγκώμιον 68 b einlegt, durch den mythologischen Vergleich steigert (ich lege auf v. 111–118 dabei noch mehr Gewicht, als auf den Mythus von Laodamia); schon er kennt die subjektive, erotische Elegie auch als ἀοιδή, nicht nur als παίγνιον; daß sich die römische Elegie nicht aus der schematischen Gebundenheit seines Liedes entwickelt haben kann, verstärkt mir nur das Gewicht dieser Erwägungen. Wir brauchen dann Tibull, für den Berührung mit Parthenios doch durch I 10 verglichen mit dem Bias hervorgeht, nicht lediglich aus dem Einfluß der Rhetorik oder fremdartiger Dichtung zu verstehen.[18] Es ist falsch, Elegie und E. in hellenistischer Zeit zu scheiden.

Stärker ist die Einwirkung Catulls und seines Kreises auf das E., doch sind uns von dem persönlichen und politischen Hohngedicht nur noch schwache Spuren erhalten (so bei Augustus selbst, in den Epigrammen auf Tiberius, Suet. Tib. 59, ja vielleicht in den von Tac. ann. I 72 erwähnten famosi libelli des Rhetors Cassius Severus; wenigstens vergleicht Tacitus sie mit den Epigrammen auf Tiberius, und eine passendere Literaturgattung wird sich kaum finden lassen). Auch die Erotik scheint weiter zu wirken; wenigstens wissen wir von Domitius Marsus, Albinovanus Pedo und Gaetulicus, die Martial als Klassiker des römischen E.s bezeichnet, daß sie auch erotische Stoffe behandelten. Daß einzelne Epigramme bedeutenden Umfang hatten, und daß Marsus zugleich in den poetischen fabellae die Anekdote pflegte (vgl. die Χρεᾶι des Machon) und in dem Buch de urbanitate den Witz theoretisch behandelte, erwähne ich des Folgenden halber.

Catulls Einfluß (daneben schwächer den des griechischen E.s) zeigt die unter Vergils Namen gehende Sammlung Κατὰ λεπτόν, wichtig, weil sie schon dieselbe Mischung der Metra zeigt, wie Martial, freilich noch nicht unter dem Titel Epigrammata. Ganz aus dem griechischen E. erklärt sich die Sammlung der Priapea, die in ihren Anfängen bis in augusteische Zeit, in ihrer jetzigen Gestalt aber sicher in Neros Zeit zurückgeht. Sie zuerst zeigt jene Mischung der Metra im eigentlichen E.-Buch. Was von älteren Epigrammen in die späten Sammlungen verschlagen [104] ist, steht ebenfalls überwiegend unter griechischem Einfluß; doch ist die Echtheit der Autorenangaben zu zweifelhaft, um näher auf sie einzugehen. Im ganzen dringt das griechische E. mächtig vor, findet auch bei Römern Pflege und wird immer mehr zum Eigentum aller Gebildeten; es beeinflußt die Steininschrift, wie die Gelageunterhaltung der römischen Großen (vgl. Suet. Aug. 98).

Das griechische Buch-E. der ersten Kaiserzeit können wir nicht mehr ganz überschauen, da Philippos von Thessalonike, der Sammler des zweiten Kranzes, in dem stilistischen Streit der (asianischen) Rhetoren gegen die Grammatiker und Kallimacheer leidenschaftlich Partei ergriffen hat (XI 321, vgl. 347; gegen Kallimachos auch Antipater von Thessalonike VII 409, vgl. Kall, frg. 74 B; XI 20, vgl. Kall. Hymn. II 112; XI 31; ferner Antiphanes XI 322; die Gegenseite kommt erst in den späteren Gedichten wie XI 130 und bei Martial zu Wort, vgl. IV 23). Eine große Anzahl der Dichter sind von Beruf Redner, die Mehrzahl in Rom tätig. So ist es nicht wunderbar, daß sie sich beständig berühren und zu überbieten suchen, in der epigrammatischen ἐπίδειξις wie in der rhetorischen. Die Sprache ist im wesentlichen leonidäisch, wenn auch einzelne Dichter, wie der zu den Älteren gehörende Diodoros Zonas, Lollius Bassus, Krinagoras und selbst Antipater von Thessalonike auch dem Kallimachos Einfluß auf sich gestatten und zu Leonidasnachahmern wie Antiphilos in fühlbarem Gegensatze stehen. Über die Themata vgl. o. S. 97. Soweit sie nicht dem Tagesbedürfnis dieser neuen Klientenpoesie entsprechen oder Ereignisse im Kaiserhaus oder Theater, Kunstwerke und Anekdoten, kurz den Gesprächsstoff der Großstadt behandeln, schließen sie sich noch immer gern an Leonidas an. Doch findet auch das sympotische E. noch verhältnismäßig eifrige Pflege, meist freilich so, daß es der freieren Aufschrift genähert ist (vgl. etwa IX 229 und VI 248 M. Argentarius). Wie es, so bietet auch das erotische Gedicht, das besonders in Rom beliebt scheint, Anklänge an die alte hellenistische Epigrammatik (daneben freilich auch an Meleager und Philodem). Nur ist aus der Erotik alle Leidenschaft, ja selbst ihre Nachahmung entschwunden, vermutlich weil für sie das größere, ernste Gedicht wieder üblich geworden ist (daneben wirkt natürlich die immer stärkere Beschränkung der concessi amores auf die Hetären und das Bordell). Der Rhetor sucht die überraschende Sentenz (vgl. V 102. 89. 110) oder erstrebt in der Erzählung einen Gegensatz von Anfang und Schluß oder den eines platten Gedankens und hochtrabenden Zitats (V 113), der Alltagsempfindung und des mythologischen Beispiels (V 31. 34. 109. 125), oder er findet das γέλοιον einfach im αἰσχρολογεῖν. Man muß sich erinnern, wie nahe sich humoristisch-realistische Schilderung und rhetorische Darstellung des πάθος bei Ovid stehen, um diesen Umschlag zu begreifen. Andere Arten des Witzes sind das Spiel mit den Namen (V 32, stärker V 63, vgl. Mart. III 78), das Verwenden eines Wortes im Doppelsinn (XI 219, vgl. 252. XVI 240, vgl. die freilich andere Verwendung bei Mart. I 65), endlich das bloße Silbenspiel IX 113 (das an and für sich freilich [105] älter ist, vgl. Epigr. u. Skol. 119). In der Erzählung tritt diese Richtung des E.s auf den Witz in dem nicht-erotischen Teil weniger hervor, doch erinnert wenigstens die Geschichte von der tauben Alten bei Bassus, von dem geschickten Dieb bei Philippos schon an die später zu besprechende rein skoptische Dichtung.

Da Philippos im Einleitungsgedicht die ὀλιγοστιχίη des neuen E.s hervorhebt (ein Beispiel will er gerade in der knappen Fassung der Einleitung geben), so ist zu erwähnen, daß auch der Dichter Parmenio IX 342 einer Theorie Worte gibt, welche vom E. genau wie von der rhetorischen Sentenz möglichste Kürze verlangt (ähnlich bald danach Leonidas von Alexandrien VI 327); die Theorie bestand noch zur Zeit Martials, der sich gegen sie mit Berufung auf die Klassiker des lateinischen E.s verteidigt.

In der Metrik ist die künstliche Technik der älteren Zeit mit Absicht aufgegeben (VII 409); das E. gibt sich als Improvisation (IX 93 Einleitung zu einer Sammlung; vgl. Martial Epigr. lib. 32 Friedl. und die Statiuseinleitungen); einzelne Dichter sind daneben Epiker, wie früher Archias (IX 428). Der Begriff des E.s ist weiter geworden als bei Meleager; er umfaßt die polymetrischen παίγνια mit (vgl. besonders IX 110). Wenn ihrer im ganzen immer noch wenig sind, so liegt dies nicht daran, daß Philippos sie ungern aufnahm; er selbst, der jüngste dieser Dichter, hat weitaus die meisten polymetrischen Gedichte beigesteuert. Ich kann nur annehmen, daß sie unter der Einwirkung der römischen Epigrammatik allmählich wieder eindringen. Gellius, der es liebt, seine Exzerpte aus Büchern in Geschichten einzukleiden, scheint XIX 9 eine Anthologie zu benützen, welche Ἀνακρεόντεια pleraque et Sapphica et poetarum quoque recentium ἐλεγεῖα quaedam dulcia et venusta enthielt (mit den Anakreonteen vgl. A. P. IX 110; Sapphica mag nach Martial X 35 auch die Sulpicia des Calenus nachgeahmt haben); diese Anthologie empfand Gellius als gleichartig mit den Dichtungen der römischen poetae νεώτεροι und weiter mit der eben wiederentdeckten E.-Sammlung des Lutatius Catulus und seiner Klienten.

Die Ordnung des philippischen Kranzes war plump, innerhalb gewisser Stoffgruppen nach dem Anfangsbuchstaben alphabetisch; aber die feinere literarische Abtönung und Mannigfaltigkeit, die Meleager erstrebte, ließ sich bei dieser mit wenigen Ausnahmen so gleichförmigen Dichtergesellschaft kaum durchführen.

Eine neue Umbildung des E.s bringt die Zeit Neros. Doch ist die Abfassungszeit des Kranzes, dem wir die Hauptzahl der Epigramme verdanken, unsicher; nur das Prinzip der Anordnung geht aus Reihen wie XI 388-98. 399–413. 417–436 hervor.

Den Zusammenhang der neuen Dichtung mit der vorausgehenden zeigt am besten Leonidas von Alexandria, der, ursprünglich Mathematiker und Sterndeuter (IX 344), sich am Hofe der Poppaea und des Nero (Tac. hist. I 22) zum Dichter umbildete und die in der griechisch-ägyptischen Mantik and Mystik längst übliche Spielerei mit dem Zahlenwert der Buchstaben eines Namens oder Wortes (vgl. Reitzenstein Poimandres [106] 272. 260. Perdrizet Revue des Études grecques XVII 350) auf das E. übertrug, das nun freilich nicht mehr Improvisation, wohl aber albernes Virtuosenspiel wurde (ähnliche Spielereien eines Nikodemos von Heraklea sind A. P. VI 314–320 mit seinen Gedichten verbunden; auf weitere Versuche derart, das griechische E. wieder zur Kunstdichtung zu machen, weist Martial II 86). Der Dichter, welcher ebensowohl Agrippina zu huldigen (VI 329), wie ihre Ermordung zu rechtfertigen und die Errettung Neros zu feiern verstand (IX 345. 352), wußte sich auch bei Vespasian in Gunst zu erhalten (IX 349); sein Nachlaß umfaßte eine Reihe von Büchern. Die allgemeine Vorliebe für diese Spielereien (vgl. Perdrizets Schilderung und als Beispiele das ἀδέσποτον XI 334 und Strato A. P. XII 6) scheint sie auch neben der E.-Sammlung, der wir nur einen Teil verdanken, bis in byzantinische Zeit erhalten zu haben. Das E. ist durch dies Spiel auf ein oder zwei Disticha beschränkt; Stoffwahl und Sprache der bei den Leonidaeern des Philipposkranzes bisweilen so ähnlich, daß wir zwischen den beiden Trägern des Namens Leonidas schwanken (die Isopsephie ist durch Textverderbnis öfters verdunkelt; sie durch willkürliche Konjektur herzustellen, bedenklich; selbst in VII 660 [vgl. VII 398] scheint mir der Zufall sein Spiel mit den korrigierenden Rechner zu treiben). Eine große Zahl sind Gelegenheitsgedichte; nur statt der Erzählung seltsamer Begebnisse tritt der Spott ein (XI 199. 200), oder das Gedicht auf das Kunstwerk, dessen Lebenswahrheit gerühmt werden soll, verwandelt sich in das Hohngedicht (XI 213).

Ausgesprochener ist der neue Charakter bei Lucilius oder, wie er sich in den Versen nennt, Lukillios. Über Person und Nachlaß wird eine Einigung kaum zu erreichen sein. Da er ebenfalls Kaiser Nero feiert (IX 572), liegt es natürlich nahe, ihn mit dem Freunde Senecas zu identifizieren. Doch vermag ich aus den mit Absicht gemein gehaltenen Worten jenes Gedichtes οὐκ ἂν ἐσώθην εἰ μή μοι Καῖσαρ χαλκὸν ἔδωκε Νέρων nicht herauszuhören, daß Nero dem Dichter das für den Ritterrang nötige Vermögen schenkte und ihm die Beamtenlaufbahn erschloß (Sakolowski De Anth. Pal. quaest. 23 nach O. Rossbach Jahrb. f. Philol. CXLIII 101). Auch aus Kalauern wie, daß Markos so klein ist, daß er die Atome Epikurs mit seinem Kopfe spalten könnte, oder Epikur, wenn er den Diophantos oder wenn er das Landgut des Menophanes gekannt hätte, die Welt nicht aus Atomen, sondern aus diesen hätte bestehen lassen, vermag ich weder tiefe philosophische Bildung noch gar Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schule zu erkennen. Einen reiferen Mann, der in seiner Jugend durch ungewöhnliche (rhetorische) Begabung und vornehme Freundschaften Karriere gemacht hat und nebenbei in pathetisch-rhetorischem Stil gedichtet hat und noch dichtet, zeichnet mir Seneca. Lukillios bezeichnet sich, wie Usener richtig erkannte, als Schullehrer (XI 400. 401), kämpft die üblichen Grammatikerkämpfe (XI 140, vgl. weiter auch XI 10. XI 314; anders Sakolowski 37, 1) und zeigt in seinen Anspielungen auf Homer und die andern Schuldichter die übliche [107] Bildung des Standes (vgl. Sakolowski 31, wo freilich das Wichtigste, die Benützung von Archilochos frg. 19 Bgk.⁴ in XI 400, 6, fehlt). Über den Nachlaß scheint Sakolowski 5ff. im allgemeinen richtig zu urteilen (das Lemma ΛΟΥΚΙΑΝΟΥ scheint an den meisten Stellen irrtümlich für ΛΟΥΚΙLLIΟΥ eingesetzt).

Den Zusammenhang mit der vorausliegenden Dichtung zeigen noch die Parodien leonidaeischer Stoffe (VI 17. XI 194. VI 164. 166). Die Entwicklung, die wir im erotischen E. schon ein Menschenalter früher beginnen sahen, hat sich auf die ganze Dichtung erstreckt. Sie ist bei Lukillios fast ausschließlich skoptisch und zeigt den gleichen Charakter bei einer Reihe anderer Dichter bis etwa zur Zeit Hadrians. Mit den gegen bestimmte Persönlichkeiten gerichteten Hohn- und Haßgedichten der hellenistischen Zeit, die sich, allerdings vereinzelt, bis in die erste Kaiserzeit nachgeahmt finden, steht diese Dichtung außer Zusammenhang. Sie wendet sich nur gegen Typen, ist in der Durchführung vollständig unpersönlich und entspricht streng den Vorschriften der Rhetorik über das γέλοιον. Man wäre versucht, ihre Ausbildung mit der Pflege der Satire in Rom in Verbindung zu bringen, wenn nicht der Spott über Charaktereigenschaften (Träge, Geizige usw.) so stark gegenüber dem Witz über Körpergebrechen zurückträte: der Krummnasige, der Langnasige, der Magere, der Kleine, der allzu Große werden in phantastischen Übertreibungen geschildert. Dazu der Spott gegen Stände: der Sterndeuter, der Arzt, der Rhetor (natürlich auch der rivalisierende Grammatiker), der Kyniker, der Wettkämpfer, der feige Soldat oder der ungeschickte Barbier werden in drastischen Schilderungen vorgeführt. Von eigenen Erlebnissen der Dichter hört man höchstens einmal Klagen über ein hartes Sofa oder einen schlechten Wein. Daß die massive Zote als einfachstes Mittel des Komischen nicht fehlt, ist selbstverständlich. Es ist klar, daß wir es hier im wesentlichen mit dem ,mimischen Witz’ zu tun haben; noch Martial vergleicht ja öfters E. und Mimus. Nur muß man nicht bloß an die literarischen Mimen der Zeit denken. Possenreißern, wie es der Schuster Vatinius am Hofe Neros war, stehen diese Klientendichter am nächsten, die weder sich noch andern die Armseligkeit, zu der ihr Stand herabgesunken ist, verbergen, und deren Scherze dadurch nicht besser werden, daß ihr Publikum den höchsten Kreisen angehört und Belesenheit und oberflächliche Bildung mit innerer Roheit verbindet.

Das griechische E. hat in ihnen seinen Entwicklungslauf vollendet. Wohl haben noch vornehme Dilettanten, wie Arrius Antoninus (Plin. epist. IV 3, 3) und wohl auch Brutianus (Mart. IV 23), das ältere hellenistische E. nachgeahmt und einzelne Berufsdichter, wie etwa gegen Ende des 1. Jhdts. Rufinus, um die Mitte des 2. Strato, sich durch das Sammeln älterer erotischer Epigramme anregen lassen, ihnen eigene Gedichte entgegenzustellen. Daß der eine die für den Geschmack der Zeit offenbar notwendigen Obszönitäten platt und didaktisch, der andere mit einer gewissen Eleganz und Frische vorträgt, mag uns den Charakter der Dichtung des Calenus (bzw. der Sulpicia) erklären. Hat doch selbst ein Plinius [108] in seiner gleich zu besprechenden ähnlichen Dichtung diesem Geschmack offenbar starke Konzessionen gemacht, so gut wie vor ihm Seneca (?) und nach ihm Apuleius (?). Die Geschichte des E.s darf auf solche Kompromisse zwischen Klassizismus und verrohter Empfindung wenig Wert legen; für sie schließt an Lucilius nur Martial.

Die Abhängigkeit Martials von den Griechen, die er freilich in dichterischer Kunst weit überragt, bedarf dringend einer besonderen Behandlung. Nicht daß die Aufzählung direkter Nachbildungen bei Friedländer (I 19, 1) große Ergänzungen verlangte (Nachträge wie A. P. XI 257 = Mart. VI 53 vielleicht gesteigert aus A. P. VII 519 werden das Bild wenig ändern). Bei der geringen Zahl erhaltener griechischer Gedichte, die ganz sicher vor Martial anzusetzen sind, können wir hiermit überhaupt wenig erreichen. Die spätere griechische Tradition muß notwendig mit hineingezogen werden, weil sie auf die frühere Schlüsse gestattet. Die rhetorischen Mittel zur Erreichung des γέλοιον müssen bei Martial und den Griechen untersucht werden; selbst die Einzelerklärung würde daraus gewinnen (so beweist z. B. Strato A. P. XII 4, 8, daß Gilbert richtig Mart. I 44 und 45 verbinden wollte und gibt die Deutung). Im allgemeinen scheint sich zu ergeben, daß Martial in dem Spott-E. die gleichen Mittel (z. B. die phantastische Steigerung durch Vergleiche, das Namenspiel usw.) sparsamer und künstlicher verwendet, in der Pointe häufiger alles auf ein überraschendes Wort zuspitzt, das wir etwa durch einen Gedankenstrich absondern müßten (im Griechischen selten, vgl. etwa A. P. XI 84. 392. 414, bei Martial oft z. B. II 76 [ohne Fragezeichen]. VII 86 [vocator im Doppelsinn]. XI 103. VIII 19. V 17. V 4. VII 71. VIII 17 u. ähnliche; sehr viel kühner ist es, wenn statt des erwarteten derben oder obszönen Wortes ein scheinbar ganz harmloses, anderem Gedankenkreise entnommenes eintritt wie II 84; sehr viel plumper Strato A. P. XII 247). Das leichteste und trivialste Mittel, die Parodie, fehlt fast ganz, ebenso die übertreibende Verspottung körperlicher Gebrechen; der Spott auf Stände ist übernommen, aber er wird weit individueller. Wohl will auch Martial nur Typen zeichnen, aber sie tragen doch so viel persönliche Züge und sind so frisch aus dem Leben gegriffen, daß das bloße Scherzgedicht der griechischen Vorbilder sich der Satire nähert, freilich einer Satire, die weder schelten noch bessern will, sondern wie sie etwa Petron schreibt.

Auch in dem ernst-epideiktischen Gedicht ist die Abhängigkeit von dem griechischen Vorbild und der Einfluß der Rhetorik wohl noch nicht genug hervorgehoben; selbst in der Stoffwahl. Epigramme wie I 42 und I 13 wird schwerlich auf ein bestimmtes Kunstwerk beziehen, wer die zahlreichen ἐκφράσεις nur gedachter Bilder und die ins E. umgebildeten ἀποφθέγματα Λακωνικά usw. vergleicht. Sie entsprechen vielmehr jenen rhetorischen Übungen τίνας ἂν εἴποι λόγους ...., welche zunächst in der hellenistischen Ballade herrschen (vgl. z. T. Ovids Metamorphosen), dann selbständig werden (vgl. die Heroiden und das epideiktische Lied des Q. Sulpicius Maximus, Kaibel 618), und endlich in verkürzter Form ganze E.-Sammlungen bilden (vgL die in Ägypten gefundenen [109] Reste einer solchen Hermes XXXV 103ff. A. P. IX 457–480). Auch Martial betreibt ja das schon von Antipater von Sidon geübte Spiel, sich ein Thema stellen zu lassen und aus dem Stegreif zu behandeln (vgl. Mart. XI 42); auch er weiß den gleichen Gegenstand in mehreren Epigrammen zu behandeln (in der Buchausgabe sind sie dann auseinandergerückt; lehrreich ist die Entstehung von XI 34. 35. 52; Martial hat in 52, 1 Catull. 13, 1 nachgebildet, freilich mit dem für jeden Römer durchsichtigen Spiel, aus dem Hendekasyllabus einen Hexameter zu formen; die eigenen Worte wiederholt er 34, 4, und beide Gedichte sind deshalb auseinandergerückt; Gedicht 35 ließ er, weil Stoff und Worte anders sind, ruhig neben 34, und doch zeigt die Verwendung des Namens Fabullus, daß ihm dasselbe Catullgedicht noch im Sinn liegt; so scheinen mir 34 und 35 nach einander gewissermaßen am Schreibtisch entworfen).

So viel man auch im einzelnen aus dem Griechischen erklären und ableiten kann, stärker noch ist offenbar der Einfluß der römischen Vorbilder, vor allem Catulls (Friedländer I 24). Ihnen dankt Martial zunächst, daß er in dies schulmäßige E. eine Fülle rein lyrischer Stoffe aufnehmen kann; ist doch selbst Horaz zweite Epode für ihn ein E. Ihnen dankt er ferner die einfache im wesentlichen aus Ovid fortgebildete Sprache, die sich gleich weit von der geschraubten Künstelei der Leonidaeer wie von der trivialen Formlosigkeit anderer griechischer Skoptiker entfernt hält (neben Ovid wirkt Catull, seltener Vergil, Tibull und Properz, noch seltener Horaz); es ist die poetische κοινή der Zeit; ihre Bildungselemente müßte man durch Erweiterung der dankenswerten, aber recht unvollständigen Verzeichnisse der Vorbilder genauer feststellen. Er dankt ihnen endlich die Polymetrie, welche ihm zugleich, da Metrum und Sprache einander bedingen, die Möglichkeit mannigfachster Abtönung der im Grunde einheitlichen Sprache bietet (die Mannigfaltigkeit in Form und Inhalt ist es, die Martial besonders über die Griechen erhebt, und wenig Dichter haben sich vor dem taedium lectoris mit solcher Kunst zu wahren gesucht, wie er). Die Anordnung ist der von Catull 1–60 nachgebildet, nur ist das ἐλεγεῖον das Grundmaß, das sich wiederholen dαrf, die andern Metra werden im Wechsel eingelegt.

Ganz ähnlich muß der liber Hendecasyllaborum des jüngeren Plinius angelegt gewesen sein. Ausdrücklich wird gesagt, daß die Mannigfaltigkeit der Metren dem taedium des Lesers entgegenwirken soll (VIII 21, vgl. IV 14); ausdrücklich das Vorkommen auch längerer Gedichte (ἐκφράσεις) bezeugt (IV 14, 3). Sie enthielten auch elegi, d. h. ἐλεγεῖα, vielleicht die Gedichte in denen er mit den griechischen Epigrammen des Arrius Antoninus wetteifert, welche er selbst mit denen des Kallimachos vergleicht (V 15, vgl. IV 18). Nur als bescheidenste Aufschrift ist von dem überwiegenden Metrum der Titel Hendecasyllabi gewählt; er selbst sagt IV 14, 9 proinde sive epigrammata sive idyllia sive eglogas sive ut multi poematia seu quod aliud vocare malueris, licebit voces. Als Vorbild bezeichnet er öfters Catull (z. B. IX 25, 3; vgl. auch die Inhaltsangabe [110] IV 14, 3). Ihm dankt er vor allem offenbar die Polymetrie.

Auch wenn wir dies eigenartige Buch nicht mit der Sammlung Catulls vergleichen wollen, genügt schon die Polymetrie und die damit zusammenhängende Verschiedenheit des Inhalts bei Martial, uns vor ein literarisches Problem zu stellen, das notwendig in einer Geschichte des E.s behandelt werden müßte: wie ist es möglich, daß Martial Catulls elegische und polymetrische Gedichte gleichmäßig als Epigramme faßte und durcheinander arbeitete, wenn sie ihm, wie man jetzt allgemein zu glauben scheint, in zwei verschiedenen Büchern und als ganz verschiedene Dichtungsarten betrachtet vorlagen? Daß das griechische E. den Anhalt nicht bot, habe ich gezeigt. Wer sich auf die Sammlungen der Priapea oder Κατὰ λεπτόν oder gar die uns unbekannten Vorgänger Martials Marsus, Pedo und Gaetulicus beruft, überträgt die Frage nur auf frühere Zeit. Ich kann hier nur andeuten, daß die von E. Brunner angeregte, von Birt (Buchwesen 401) am lebhaftesten vertretene Annahme über den Nachlaß Catulls mir mehr als bedenklich erscheint. Ließe sich eine Vereinigung dreier selbständiger Bücher, die offenbar gleichzeitig erschienen sein müßten, derart annehmen, daß diese einfach in später Zeit aneinandergerückt wären, so wäre die Annahme wenigstens leicht; aber weder Teil II noch Teil III können ein Buch bilden. Eine planvolle Bearbeitung im Altertum müßte durch Unterdrückung von Einleitungen, durch Umstellungen und andere Mittel ein Ganzes zusammengebracht haben, was durch seinen Umfang in der Spätzeit viel mehr befremdete, als in der Zeit des erst erwachenden buchhändlerischen Großbetriebes. Wir haben für Catull eine Gesamtausgabe und einen Nachlaß später hinzugekommener Gedichte (so die Bearbeitung von Theokrit II, die auf Vergil wirkte); nur ist dieser Nachlaß in unserer Überlieferung nicht, wie bei Tibull später mit dem Hauptbuch vereinigt; die Gesamtausgabe hat ein Vorwort, ist nach demselben metrischen Gesichtspunkt angelegt wie z. B. Horaz Odenbücher und wird von den Metrikern genau wie diese benutzt; kein Zitat der Grammatiker deutet auf eine andere Überlieferung.[19] [111]

Wenn nun Martial, wo er als Vorbild seiner Epigramme Catull nennt (wie als Vorbild für die Epik des Silius Vergil), sich gerade auf die πολύμετρα bezieht und sie nachahmt (IV 14), wenn er dem schönen Schenken für Küsse, wie sie Lesbia gegeben hat, Gedichte, wie Catull sie dafür gab, verspricht (XI 6), so ist mir unverständlich, wie man gerade diese Gedichte benutzen kann, um aus ihnen zu folgern, Martial habe die πολύμετρα Catulls als besondere Sammlung, getrennt von den ἐλεγεῖα d. h. ἐπιγράμματα, gelesen (und empfunden).

Die erotische Dichtung Catulls hat Martial freilich nicht nachgeahmt, während es Calenus mit der Dichtung des Calvus tat. In den wenigen erotischen Schilderungen hält er sich lieber an Ovid, den stärker von der Rhetorik beeinflußten Dichter. Martial kannte offenbar die Schranken seiner Begabung und wollte modern und individuell bleiben. Denn bei aller Hervorhebung der Nachahmungen bei Martial muß als sein größter Vorzug gegenüber den Griechen betont werden, daß uns doch überall ein Eigenstes, eine wirkliche Persönlichkeit entgegentritt und gerade das Individuelle an ihm seinen kleinen Bildern aus dem Treiben der Weltstadt die Schärfe und Klarheit und den Reiz gibt, den keiner der Späteren wieder erreicht hat. So hat er den modernen Begriff des E.s geschaffen, der sich freilich nur an die eine Seite seiner Dichtung schloß. Das E. des Altertums hat, seit es literarisch geworden ist, aufgehört, eine einheitliche Dichtungsart zu sein. Immer neue Bestandteile treten hinzu, immer weiter wird der Begriff. Aber gerade hierdurch gewinnt das Buch-E. für uns seine Bedeutung; es zeigt uns die Entwicklung der hellenistischen Poesie. Unter diesem Gesichtspunkte ausgebeutet wird es noch reichen Gewinn ergeben.
[Reitzenstein.]

Ergänzt nach andern Glossen des Et. Gud.
tῷ ἑξαμέτρῳ d falsch, dessen Lesungen ich der von L. De Stefani vorbereiteten Neuausgabe entnehme.
τὸν ἔλεον AB d.
εἰς ἐπικηδείαν AB. εἰς ἐπικήδεια d.
ἐγράφοντο d.
Δημολέων – εὖ λέγειν fehlt A B, ἢ παρὰ τό ἓ ἓ λέγειν fehlt d.
Ergänzt aus der folgenden Orionglosse.
ἐπῆδον A B d.
λεγόμενον τῷ ἡρῶῳ d.
μιμούμενος A B.
πρὸς – τεθνεῶτας ergänzt aus Etym. M., als echt und zu Quelle I gehörig erwiesen durch Scholion zu Dion. Thr.
So d, τοῦ ἐλεγείου Cod. Or. Der Satz εὑρετὴν – παλαιότερον ist aus späteren Ausführungen hier falsch eingesetzt, vgl. o. Proklos.
ὅθεν fehlt d, καὶ fehlt Cod. Or.
ὁμοδραμοῦντα Cod. Or.
Auf Berührungen mit den Ἁλιεῖς Theokrits(?) und dem Moretum habe ich Epigr. u. Skol. 151 hingewiesen; eine interessante Entlehnung aus der ältesten kynischen Literatur erkannten Knaack und Geffcken (a. a. O. 126); auch die Personifizierung der Λαβροσύνη (VI 305, Gegenbild bei Krates die Εὐτέλεια, zugleich literarisches Fehdegedicht gegen Dorieus) und vieles andere wird auf sie zurückgehen. Wohl ist es in der Regel unmöglich, die literarische Form zu bestimmen, welche die ,Vorlagen’ hatten, aber es ist wichtig genug, daß wir wenigstens literarische Stoffe und Stimmungen des Publikums kennen lernen.
Einen ähnlichen Stoff hat Hedylos V 199 in die ,Aufschrift’ zurückübertragen. Sie wirkt auf uns nur, wenn wir sie als Spiegelbild einer längeren erzählenden Dichtung fassen.
Auch hierzu gibt es natürlich frühhellenistische Gegenbilder (vgl. Theokrits Ἠλακάτα aber weder aus ihnen, noch aus der ,Aufschrift’ [98] ist diese Gattung des E.s wirklich zu erklären. Sie berührt sich eng mit den rhetorischen Prosabriefen (z. B. des Philostratos). Daß diese wirklich Vorbilder sind, zeigt einerseits das gleich zu besprechende E. als Einladebrief, andrerseits das beabsichtigte Gegenbild in der Elegie, welches Properz an die Spitze des ersten Buches gestellt hat. Daß I 2 als Muster eines eleganten Briefchens gedacht ist, welches ein Geschenk nicht begleiten, sondern versagen soll, gibt er selbst IV 5, 55–58 an. Natürlich ist die Technik in dem längeren Gedicht eine andere; nur in dem gleichen Verhältnis zu der Rhetorik und zu dem wirklichen Brauch liegt im Grunde die Ähnlichkeit mit dem E., die Leo Gött. gel. Anz. 1898, 726 hervorhebt. Wie stark die Poesie wieder im wirklichen Leben die Prosa zurückzudrängen beginnt, zeigen ja die Billette der Sulpicia. Die Existenz rhetorischer erotischer Briefe schon in der Hellenistenzeit wird durch ihre dichterischen Gegenbilder erwiesen.
Daß auch die Rhetorik auf ihn wirkt, leugne ich natürlich nicht. So kehrt der ἐρωτικὸς λόγος, den Philostratos Brief 7 verkürzt, fühlbar in Tibull. I 5 wieder, während doch zugleich v. 49ff. aus Kallimachos stammen (vgl. Reitzenstein Poimandres 200, 3). Mit Tibull. I 4 muß man jene Fragmente vergleichen, die Herodikos bei Athen. 219 C in gutem Glauben einem vielleicht noch im 4. Jhdt. schreibenden Fälscher entnimmt (anders Hirzel Dialog I 399): Aspasia hat für Sokrates einen Gott befragt (vgl. v. 4), wie dieser die Liebe des Alkibiades gewinnen kann. Sokrates referiert, was er von ihr gehört hat.
Am wenigsten durfte das Widmungsgedicht zum Gegenbeweise benutzt werden. Weder daß einzelne Grammatiker es bei der Anführung des ersten Hendekasyllabus aus Catull ignorieren, während es die Mehrzahl zu dem Buche rechnet, besagt bei der bekannten Stellung des Gedichtes außerhalb der Rolle irgend etwas, noch daß die Sammlung Catulls nicht nur von Martial, sondern auch von Plinius (ep. IX 25, 3) mit dem Wort Passer bezeichnet wird, wie die Sammlung des Arruntius Stella durch Columba (Plin. a. a. O. Mart. I 7); die für Aeneis und Ilias üblich gewordene dichterische Art der Bezeichnung konnte wirklich nicht gut an Cui dono schließen. Daß Catull ein umfängliches Buch als libellus bezeichnete, braucht man nicht einmal durch den metrischen Zwang und den Gebrauch der Deminutive bei den poetae teneri (ein von Birt arg mißverstandener Ausdruck) zu erklären; der Zusammenhang selbst und das Beispiel von Plin. [111] n. h. praef. 12 genügen. Daß ein Dichter von den Produkten seines otium im Vergleich mit den Dingen, die der Historiker sonst zu erwähnen hat, nugae sagt, dürfte noch weniger befremden; als παίγνια faßt Platon, wenn es der Zusammenhang will, selbst seine Dialoge; auch bei Horaz sat. I 9, 2 besagt das Wort nichts über die Art der Dichtung, vgl. die feine Bemerkung Porphyrios. Die von andern vorgebrachten Argumente, wie Catull könne die Hohngedichte auf Caesar doch nicht in eine Gesamtausgabe aufgenommen haben, und andere derart bedürfen keiner Widerlegung.

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