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8) Der athenische Gesetzgeber. Zeit. Seine Thätigkeit fällt ins Jahr des Archonten Aristaichmos, Arist. Ἀθ. π. 4, 1. Danach wurde von den Chronographen seine Zeit bestimmt, und zwar auf die 39. Olympiade (624/1), Tatian adv. Graec. 41 (ebenso Clem. Alex. strom. I 366 Potter) und Suidas (κατά τινας); genauer auf 621 Euseb. Hieron. oder 620 Euseb. vers. Arm. Schoene. Damit stimmt wohl Diod. IX 27, ,47 Jahre vor Solon‘, was, wie es scheint, verschrieben ist aus 27 (so Clinton); Schol. Aeschin. I 6. Tzetz. chil. V 350 geben 7 Jahre vor Solon an (Schol. Aesch. I 6 nach anderer Lesart allerdings 100 Jahre). Clinton Fasti hell. I 213. Hermann-Thumser Gr. Staatsaltert.⁶ I 2. 346, 1. Busolt Gr. Gesch.² II 224, 1. v. Wilamowitz Aristoteles I 97, 33. Nach Suidas war D. schon ein älterer Mann, als er seine Gesetze gab. Anekdote über sein Ende bei Suidas.

Politische Stellung. Dass D. nicht ἄρχων ἐπώνυμος war, zeigt Aristot. a. a. O. Dagegen kann er einer der Thesmotheten des Jahres gewesen sein (Paus. IX 36, 8 Δράκοντος Ἀθηναίοις θεσμοθετήσαντος); jedenfalls hatte er wie Solon ausserordentliche Vollmacht zur Gesetzgebung, Arist. Ἀθ. π. 4, 1. 7, 1. Busolt a. a. O.² II 173, 2. 224. 1. Anlass seines Auftretens. Überliefert ist darüber nichts; gewöhnlich wird sein Auftreten als Zugeständnis des Adels an das gedrückte Volk aufgefasst, Grote Hist. of Greece (London 1884) III 76. Duncker Gesch.d. Altert.⁵ [1649] VI 127. Holm Gr. Gesch. I 461f. Beloch Gr. Gesch. I 322. E. Meyer Gesch. des Altert. II 639. Gilbert Gr. Staatsaltert.² I 131. Hermann-Thumser a. a. O. I 2, 345. Etwas abweichend v. Wilamowitz a. a. O. II 55, der das Werk des D. als einen Versuch aus den Kreisen der Regierung ansieht, sich vor der Gefahr der Tyrannis zu retten. F. Cauer Verhandlungen der 40. Philologenvers. zu Görlitz 120, dem Busolt a. a. O. 223 beistimmt, sieht den Zweck der Gesetzgebung darin, dass den auf Blutrache beruhenden Fehden des Adels, sowie dessen Gewaltsamkeiten gegen die übrigen Bürger gesteuert werden sollte.

A. Die Gesetzgebung. Die Gesetze D.s werden gewöhnlich θεσμοί genannt, und zwar mit dieser Bezeichnung ausdrücklich von den νόμοι Σόλωνος unterschieden, Andoc. I 81; Aristoteles nennt sie νόμοι, "Αθ. πολ. 41, 2; pol. 1274 b 15; θεσμοί, "Αθ. πολ. 4, 1. 7, 1 (vgl. Busolt a. a. O. 173, 2. Schulz Jahrb. f. Philol. CXLIX 306, der mit Unrecht an θεσμοὺς ἔθηκεν 4, 1 Anstoss nimmt). Aristoteles spricht von ihnen als der ersten schriftlichen Gesetzgebung Athens "Αθ. πολ. 41, 2 (danach Joseph. c. Ap. I 21), was mit 3, 4 vereinigt werden kann, wenn man mit Gilbert Jahrb. f. Philol. Suppl. XXIII 476 als die Aufgabe der Thesmotheten die Aufzeichnung der einzelnen richterlichen Entscheidungen auffasst. Die Gesetze waren, wie die Solons, auf κύρβεις oder ἄξονες aufgezeichnet, Kratin. bei Plut. Sol. 25 (über ἄξονες und κύρβεις s. Bd. II S. 2636. Busolt Gr. Staatsaltert.² 153f.; Gr. Gesch.² II 290, 3). Von den Gesetzen D.s wurden alle ausser den auf Tötung bezüglichen von Solon ausser Kraft gesetzt, Arist. "Αθ. πολ. 7,1. Plut. Sol. 17. Aelian. v. h. VIII 10. Nach Gell. XI 18, 4 wären die Gesetze nicht durch Beschluss, sondern durch stillschweigende Übereinkunft abgeschafft worden. Nur von den auf Tötung bezüglichen Gesetzen haben wir eine sichere Überlieferung.

I. Die auf Tötung bezüglichen Gesetze. Überlieferung. Auf Volksbeschluss wurden sie, als man nach dem Sturz der 400 den Wortlaut der alten Gesetzgebung wieder bekannt machte (vgl. E. Meyer Gesch. d. Altert. IV 610ff.), im J. 409/8 auf einer steinernen Säule eingehauen und vor der Stoa des Basileus aufgestellt (weitergehende, aber haltlose Vermutungen über den Anlass des Volksbeschlusses bei Ziehen Rh. Mus. LIV 321 ff.; der Hinweis auf Antiphon wird erledigt durch Dittenberger Herm. XXXI 271ff. XXXII l1ff.). Dieses Gesetz ist stückweise erhalten IG I 61 = Dittenberger Syll.² 52 (die unten folgenden Citate nach Dittenberger), ergänzt von Köhler Herm. II 27ff. Philippi Jahrb. f. Philol. CV 577ff.; Areopag und Epheten 333ff. Wecklein S.-Ber. Akad. München 1873, 1ff. Drerup Jahrb. f. Philol. Suppl. XXIV 264ff. Die Überschrift lautet προτον ἀχσον; dabei ist nicht an die Zählung der ἄξονες Solons zu denken, sondern an besondere Numerierung der ἄξονες D.s, vgl. Plut. Sol. 24. Harpocr. s. σῖτος, wonach der erste ἄξων Solons ein Gesetz über die Ausfuhr und den Unterhalt der Witwen und Waisen enthielt, Lipsius Jahresber. II 1357. R. Schöll S.-Ber. Akad. München 1886, 89,1 (ganz zwingend ist die Beweisführung Schölls nicht; denn wenn [1650] jene Gesetze, wie er richtig annimmt, auf einem Axon standen, weil sie zur Befugnis des ersten Archon gehörten, so ist doch nicht ausgeschlossen, dass auf diesem ersten Axon auch noch die Gerichtsbarkeit des Archon Basileus behandelt war; die Grösse der ἄξονες ist uns ja nicht bekannt). Soweit die Bestimmungen auf der Inschrift erhalten sind, ist kein Anlass, an ihrer Herkunft von D. zu zweifeln, wenn auch wohl eine spätere Redaction vorliegt; anders liegt die Sache bei den nach den Einlagen der demosthenischen Reden gemachten Ergänzungen, da diese Formeln jedenfalls nicht frei von Zusätzen sind (vgl. u. S. 1654); doch ist die Übereinstimmung des inschriftlich erhaltenen Wortlauts mit den Gesetzesformeln bei Demosthenes so auffallend, dass bei diesen eine selbständige zuverlässige Überlieferung, nicht blosse Redaction nach den Worten des Redners anzunehmen ist (so Köhler und Dittenberger richtig gegen Philippi Areop. 337ff., vgl. die umfassende Behandlung der Frage bei Drerup a. a. O. 223ff. insbes. 267). Das Gesetz über absichtliche Tötung scheint in der ursprünglichen Fassung dem in der Inschrift erhaltenen Gesetze vorausgegangen (Z. 11 και εαμ με ’κ προνοιας κτενει τις τινα), der späteren Zeit aber nicht mehr sicher (vgl. u. S. 1652) als drakontisch bekannt gewesen zu sein (Plut. Sol, 19), was verschieden erklärt wird, nach Wecklein a. a. O. 17. Wachsmuth Stadt Athen 1476. Busolt Griech. Staatsaltertümer² 143, weil Solon mit der Neuordnung des Areopags diese Gesetze verändert in seine eigene Gesetzgebung aufgenommen hat – dabei bleibt unerklärlich, dass das sinnlos gewordene καί bis auf 409 beibehalten worden sein soll; anders Philippi Areopag 359ff. (es seien aus dem ganzen Gesetz 409 nur die für drakontisch geltenden Teile ausgehoben worden) und Drerup a. a. O. 272. 274 – eine Möglichkeit, die auch Philippi a. a. O. 361 andeutet: es ist nur ein Teil des drakonischen Blutrechts erhalten; das Psephisma wurde auf jeder Stele wiederholt, Plutarch oder sein Gewährsmann kannten eben auch nur diese Stele (über Gilberts Annahme s. u. S. 1652). Für die Auslegung der Gesetze bediente man sich der ἐξηγηταί, Plat. Euthyphr. 4 C und insbesondere Demosth XLVII 68ff. Hermann-Thumser I 2, 366, 4. Busolt Gr. Gesch.² II 230, 2. Gilbert Jahrb. Suppl. XXIII 507, 1. Die Abschaffung oder Veränderung dieser Gesetze war mit Atimie bedroht, Demosth. XXIII 62 (Inschr. Z. 48?). Auch nach dem Sturze der 30 wurden die Gesetze ausdrücklich wiederhergestellt, Schol. Aesch. I 39. Andoc. I 81ff. E. Meyer a. a. O. V 215ff.

1. Die Erhebung der Anklage stand den Verwandten des Getöteten zu, Inschr. Z. 21 προειπεν τοι κυτεναντι εν αγοραι εντος ανεψιοτητος και ανεψιου (ἀνεψιῶν ?, so Philippi Jahrb. f. Philol. CV 595), vgl. Demosth. XLVII 70. XXIII 57; ἐντὸς ἀνεψιότητος versteht Köhler a. a. O. 33 = mit Ausschluss der ἀνεψιοί, vgl. Inschr. Z. 14. 22. Hermann-Thumser 356, 5. Philippi a. a. O. 597; Areopag 74. Dagegen mit schwer zu widerlegendem Grunde Lipsius Jahresber. XV 291. Drerup a. a. O. 266f., der einen freilich etwas künstlichen Ausweg zeigt, die πρόρρησις der ἀνεψιοί mit dem ihnen zugewiesenen συνδιώκειν zu vermitteln, und in das συνδιώκειν ein subsidiäres [1651] Anklagerecht legt, im Fall, dass nähere Verwandte fehlen. An der Klage sollen sich auch die weiteren Verwandten und die Phratriegenossen beteiligen (Z. 22 συνδιωκεν δε και ανεψιος και ανεψιον παιδας και γαμβρος και πενθερος και φρατερας). Der Kläger forderte auf dem Markt den Mörder auf, sich der νόμινα zu enthalten (Demosth. XX 158 ζερνίβων εἴργεσθαι τὸν ἀνδροφόνον σπονδῶν κρατήρων ἱερῶν ἀγορᾶς. vgl. Antiph. V 10. Soph. Oed. R. 236ff.). Schwierig ist die Frage, wie sich dieses προειπεῖν zu dem des Basileus verhielt, vgl. die ausdrückliche Angabe des Arist. Ἀθ. πολ. 57, 2 (vgl. Schol. Patm. zu Demosth., Bull. hell. I 139), wonach diesem das προαγορεύειν zukommt; durch dieses Zeugnis wird die Ansicht Philippis Areopag 70 erledigt. Es bleibt nichts übrig, als ein doppeltes προαγορεύειν anzunehmen, das des Klägers, dem noch keine Rechtskraft zukam und das deswegen zur Zeit des Aristoteles vielleicht gar nicht regelmässig mehr ausgeübt wurde (in dem Fall Demosth. XLVII 69 muss der Kläger es thun, da die Klage nicht beim Basileus anhängig gemacht wird), und das des Basileus; so Cauer a. a. O. 110. Busolt Gr. Gesch.² II 230, 4. Schoemann Gr. Altert.⁴ I 509 (etwas abweichend v. Wilamowitz Aristot. I 253, wieder anders, doch kaum richtig Gilbert I² 431). Die Verzeihung des tötlich Verletzten schloss die Verfolgung aus, Demosth. XXXVII 59. Ob die Bestimmung, nach der bei der Tötung eines Sclaven der Herr die Anklage zu erheben hatte (Demosth. XLVII 70. 72), schon auf D. zurückgeht, ist nicht sicher, doch wohl möglich; nach Köhler a. a. O. hat sie auch auf der Inschrift gestanden (Z. 23/25). Gar keinen Anhalt haben wir dafür, ob die Bestimmung über die ἀνδροληψία von D. geschaffen worden ist; vgl. Bd. I S. 2150f. und die ganz abweichende Ansicht Cauers a. a. O. 112.

2. Der Vorstand des Gerichts ist der ἄρχων βασιλεύς, Arist. Ἀθ. πολ. 57, 2. Der Plural βασιλέας der Inschrift Z. 12 ist nicht auf ein Collegium zu beziehen, sondern auf die wechselnden Jahrkönige, Philippi Areopag 238. Schöll Jenaer Litteraturzeitung 1875, 690. Lange Leipziger Studien II 116ff. (andere Erklärungen s. bei Busolt Gr. Gesch.² II 159, l; nach v. Wilamowitz a. a. O. I 94f. wären die βασιλεῖς, soweit nicht der Areopag als Gerichtshof in Betracht kommt, der ἄρχων βασιλεὺς mit den φυλοβασιλεῖς zusammen; dagegen Gilbert Jahrb. f. Philol. Suppl. XXIII 489, 2). Über das προειπεῖν des βασιλεύς s. o. zu 1.

3. Über das Verfahren s. u. Basileus Bd. III S. 75ff.

4. Die Gerichtshöfe, die Strafen u. s. w. Auf der Inschrift wird kein Gerichtshof genannt. Die Hauptstelle dafür ist Arist. Ἀθ. πολ. 57, 3f., im übrigen s. die einzelnen Titel. Dass D. den Areopag vorfand, wird jetzt von keiner Seite mehr bestritten; ob das auch von den übrigen Gerichtsstätten anzunehmen ist, oder ob die Zuweisung der Fälle an diese Stätten durch allmählichen Gebrauch sich ergeben hat oder durch Solon erfolgt ist, lässt sich nach unseren Quellen nicht entscheiden; das Fehlen wenigstens des Namens Palladion auf der Inschrift spricht eher gegen die erste Annahme; für nachdrakontisch hält diese [1652] Stätten Gilbert a. a. O. 497ff. (richtig jedenfalls in dem gegen Gleue De homicidarum in Areopago Atheniensi iudicio, Diss. Göttingen 1894, 16ff. Bemerkten).

a) Über vorsätzlichen Mord, ebenso über vorsätzliche Körperverletzung mit der Absicht zu töten, über vorsätzliche Vergiftung richtete der Areopag (Demosth. XXIII 22 δικάζειν δὲ τὴν βουλὴν τὴν ἐν Ἀρείῳ παγῳ φόνου καὶ τραύματος ἐκ προνοίας [vgl. Lys. III 41] καὶ πυρκαϊᾶς καὶ φαρμάκων ἐάν τις ἀποκτείνῃ δούς), vgl. Arist. Ἀθ. πολ. 57, 3. Poll. VIII 117. Gilbert hat a. a. O. 485ff. 516ff.; Staatsaltert.² I 135ff. den drakonischen Ursprung des Gesetzes, der allerdings erst von Demosthenes direct bezeugt ist XX 157f., vgl. XXIII 22. 51. 66, angefochten. Richtig ist, dass δικάζειν auf eine spätere Redaction weist; möglich, aber durch Gilberts Beweisführung nicht erwiesen, ist es, dass Brandstiftung, Vergiftung, absichtliche Verwundung als besondere Fälle erst von der nachdrakontischen Gesetzgebung unterschieden und dem Areopag zugewiesen worden sind. Endlich versucht Gilbert den Nachweis, dass D. die gesamte Blutgerichtsbarkeit den von ihm eingesetzten Epheten übertragen habe, während sie vorher vom Areopag, seit Solon in den Fällen der absichtlichen Tötung wieder vom Areopag ausgeübt worden sei. Einer der Hauptgründe für diese Annahme ist jedoch von Drerup a. a. O. 273 widerlegt; die Vergleichung von Arist. 3, 6. 4, 4. 8, 4 beweist nichts, da Aristoteles, ohne Zweifel mit Absicht, von der Gerichtsbarkeit des Areopag an diesen Stellen nur soweit redet, als seine politischen Befugnisse in Betracht kommen; vgl. auch Gleue a. a. O. 7ff. Richtig ist, dass Inschrift Z. 12 αἰτιῶν φόνου, sowie Poll. VIII 125 (hierin Gilbert richtig gegen Gleue a. a. O. 9) sich bei Gilberts Annahme am einfachsten erklären, ebenso die sonderbare Erscheinung, dass über absichtlichen und unabsichtlichen Mord verschiedene Gerichtshöfe urteilen, endlich der Umstand, dass auf der Inschrift die Bestimmung über den Areopag fehlt. Doch steht der Annahme das Fehlen jedes positiven Anhalts für eine derartige Änderung, ferner der Umstand, dass am Prytaneion aller Wahrscheinlichkeit nach nie Epheten gerichtet haben (s. u. S. 1653), also ein Irrtum des Pollux jedenfalls anzunehmen ist, namentlich aber das solonische Amnestiegesetz (Plut. Sol. 19 . . πλὴν ὅσοι ἐξ Ἀρείου πάγου ἢ ὅσοι ἐκ τῶν ἐφετῶν ἢ ἐκ πρυτανείου καταδικασθέντες ὑπὸ τῶν βασιλέων ἐπὶ φόνῳ ἢ σφαγαῖσιν ἢ ἐπὶ τυραννίδι ἔφευγον ὅτε ὁ θεσμὸς ἐφάνη ὅδε) entgegen; Gilberts Ausweg, an vordrakontische Urteile des Areopag zu denken, ist, wenn auch nicht unmöglich, so doch wenig einleuchtend. Über das τραῦμα ἐκ προνοίας, die πυργαϊκά, φάρμακα s. Gleue a. a. O. 23ff. und dagegen Gilbert a. a. O. 516ff. Die vom Areopag wegen Mords verhängte Strafe war die Todesstrafe, deren Vollzug der Kläger beiwohnen durfte, Demosth. XXI 43. Lys. I 50. XIII 56; zugleich erfolgte Einzug des Vermögens, Arist. Ἀθ. πολ. 47, 2. Demosth. XXI 43. Lys. I 50 (über letztere Bestimmung vgl. Meier-Schoemann Att. Process 379). Durch freiwillige Verbannung konnte ein Bürger nach der ersten Rede sich der Todesstrafe entziehen, Demosth. XXIII 69.

[1653] b) Im Fall, dass der Mörder unbekannt war oder Sachen oder Tiere Ursache des Todes gewesen waren, wurde am Prytaneion ein Gericht gehalten, bei dem der Basileus mit den Phylobasileis die Richter waren, Arist. Ἀθ. πολ. 57, 4; als drakontisch wird dies Gericht bezeugt Paus. VI 11, 7. Schol. Aesch. Sept. 179. Wenn Poll. VIII 120 diesen Gerichtshof unter denen der Epheten anführt, so ist dies ohne Zweifel ein Irrtum, entstanden aus der Zusammenstellung der Gerichtshöfe bei Demosth. XXIII 65–77, Busolt Gr. Gesch. II² 234, 2. Ein διαγνῶναι fand ja ohnehin hier nicht statt, Cauer a. a. O. 110. Im übrigen s. über dieses Gericht Demosth. XXIII 76. Paus. I 24, 4. Schol. Patm. zu Demosth., Bull. hell. I 139. Es wurde, wenn der Mörder nicht bekannt war, τοῖς δεδρακόσι καὶ κτείνασι aufgesagt, Demosth. XLVII 69. Die Mordwerkzeuge wurden, nach einem unzweifelhaft uralten Gebrauch, über die Grenze geschafft, Aeschin. III 244. Paus. I 28, 11. Philippi Areopag 16ff. Ob mit diesem Gericht dasjenige identisch ist, vor dem nach der gewöhnlichen Annahme die Anklage wegen Tyrannis verhandelt wurde (?κ πρυτανείου .. καταδικασθέντες ἐπὶ τυραννίδι Plut. Sol. 19, vgl. Andok. I 78), wird bezweifelt, s. Busolt a. a. O. 160; für die Identität B. Keil Solon. Verfassung 108ff. v. Schoeffer o. Bd. III S. 76f. (Gleue a. a. O. 10ff. will den Areopag als den Gerichtshof erweisen, der über Tyrannis richtete). Ob D. mit diesem Gericht über Tyrannis etwas zu thun hat, darüber liegt keinerlei Zeugnis vor.

c) Über die sonstigen Fälle der Tötung richten die 51 Epheten, die vielleicht auch am Schluss der Inschrift Z. 47 genannt sind (ausdrücklich werden nur die folgenden drei Fälle als den Epheten zugehörig bezeichnet bei Phot. bibl. 535, 22ff. Bekker). Über die Frage, von wem die Epheten eingesetzt sind u. s. w., s. diesen Artikel, einstweilen Busolt Gr. Gesch. II² 234, 2.

a) Der eine Fall – Gerichtsstätte war das Palladion – war derjenige der unfreiwilligen Tötung oder Anstiftung des Mords (Inschrift Z. 11ff. εαμ με εκ προνοιας κτενει τις τινα φευγεν, δικαζεν δε τος βασιλεας αιτιον φονο ε εαν τις αιτιαται ος βολευσαντα· τος δε εφετας διαγνοναι). Über die βούλευσις vgl. Bd. III S. 1037f. Busolt a. a. O. 236, 1. Gleue a. a. O. 39ff. Gilbert Jahrb. Suppl. XXIII 521ff. Die Verbannung als Strafe war nicht durch eine Frist näher bestimmt, später auf ein Jahr (? verneint von Hermann-Thumser a. a. O. 360, 2; dagegen Dittenberger Herm. XXXII 6; vermittelnd Gilbert a. a. O. 516). Aussöhnung war zugelassen bei dem einstimmigen Beschluss der nächsten Verwandten; war von diesen (und von den ferneren? so Drerup a. a. O. 265) niemand da, so konnten die Epheten zu diesem Zweck 10 φράτορες des Getöteten ἀριστίνδην auswählen (Z. 13f. vgl. Demosth. XLIII 57). Der Verbannte, der sich von den Festspielen und den amphiktyonischen Heiligtümern fern hielt, war gegen Mord ebenso geschützt, wie ein athenischer Bürger, Inschr. Z. 27ff. Demosth. XXIII 37; ebenso war sein Vermögen gesichert, Demosth. XXIII 44. Dagegen durfte der Schuldige im Inlande getötet oder der Behörde (den Thesmotheten) zu diesem Zweck vorgeführt werden; nicht [1654] erlaubt war, ihn zu misshandeln, auch durfte keine Geldabfindung erfolgen, Inschr. Z. 30ff., ergänzt von Köhler a. a. O. 35 nach Dem. XXIII 28. 31; vgl. Philippi Areopag 338ff. 342ff. Drerup a. a. O. 268f. Gilbert a. a. O. 453. 486. Die von Demosthenes angeführte Formel enthält jedenfalls einen Zusatz und es ist zweifelhaft, wo er beginnt; weist man mit Köhler die Beziehung des ὡς .. ἀγορεύει auf ἀπάγειν ab und nimmt man ein Citat der späteren Gesetzgebung aus der früheren an, so ist das Nächstliegende, dass das Gesetz D.s geschlossen hat mit ἀπάγειν, vor ὡς ἐν τῷ ἄξονι ἀγορεύει. Die Anzeige eines solchen zurückgekehrten ἀνδροφόνος durfte nicht als Tötung verfolgt werden, was Dem. XXIII 51 ausdrücklich als drakontisches Gesetz citiert, zur Erklärung vgl. Drerup a. a. O. 278 (Gilbert a. a. O. 486. 523, 1 bestreitet den drakontischen Ursprung des Gesetzes ohne hinreichenden Grund; denn die Unverträglichkeit dieses Gesetzes mit dem vorangehenden Demosth. XXIII28 würde ebenso für die spätere Zeit gelten). Das ἀποκτείνειν und ἀάγειν kam dem berechtigten Kläger zu, Gilbert a. a. O. 514, 1, die ἔνδειξις konnte von jedem beliebigen erfolgen, der dann nicht wegen βούλευσις angeklagt werden durfte. Eine alte, aber nicht ausdrücklich als von D. herrührend bezeichnete Übung war es, dass bei diesen Processen am Palladion die siegende Partei eidlich ihre Aussagen bekräftigen musste, Aeschin. II 87. Gegen die Möglichkeit, dass D. auch schon die Tötung eines Metoeken oder Fremden unter diese Fälle eingeordnet hat, wie dies später geschehen ist, Arist. Ἀθ. πολ. 57, 3, kann, jedoch nicht als zwingend, Lycurg. Leocr. 65 angeführt werden, wonach in den alten Gesetzgebungen Unterschiede nach dem Stand der Getöteten nicht gemacht wurden; Gilbert a. a. O. 517 lässt diese Frage unentschieden.

β) Eine weitere Bestimmung betraf die Fälle, in denen der Totschläger mit Recht gehandelt hatte, vgl. Demosth. XXIII 53. 60. Plat. leg. IX 869 C. Paus. IX 36, 8. Lys. I 26f. Arist. ?θ. πολ. 57, 3. Reste des Gesetzes sind vermutet worden in Inschr. Z. 33ff., vgl. Köhler a. a. O. 35. Wecklein a. a. O. 5. Bergk Philol. XXXII 609ff. und dagegen Dittenberger z. d. St.; Herm. XXXII 6, 1. Philippi a. a. O. 348ff. Dagegen Hermann-Thalheim Gr. Rechtsaltert. 127, 3. Drerup a. a. O. 271ff. Gerichtsstätte war das Delphinion, vgl. Bd. IV S. 2513. Straflos blieb, wer beim Wettkampf wider Willen, wer in der Notwehr (gegen einen Wegelagerer? ἐν ὁδῷ καθελῶν, Erklärung bestritten, vgl. Harpocr. s. ὁδός und ausser den vorhin Genannten Cauer a. a. O. 116. Hermann-Thalheim Rechtsaltert. 50, 4 ,von dem Wege herabreisst‘; Drerup a. a. O. 277 corrigiert ἐν ὅπλῳ), wer im Krieg ohne Wissen einen Kameraden, wer den bei der Gemahlin, Mutter, Schwester, Tochter, dem anerkannten Nebenweib ertappten Ehebrecher, wer den Räuber in sofortiger Abwehr tötete (vgl. noch Gilbert a. a. O. 5l0ff.).

γ) D. wird, obgleich nirgends ausdrücklich dafür genannt, auch als Urheber der Bestimmungen angesehen für den Fall, der an der Phreattys gerichtet wurde: ein wegen unfreiwilliger Tötung oder βούλεθσις Verbannter, der wegen Totschlags oder [1655] einer Verwundung angeklagt war, kam auf einem Fahrzeuge zur Phreattys, während die Epheten am Lande richteten, Arist. Ἀθ. πολ. 57, 3; polit. IV 1300b 29. Bekk. anecd. I 311, 17. Poll. VIII 120. Paus. I 28, 11. Demosth. XXIII 77; letzterer hat ohne Zweifel dieses Gesetz dem D. zugeschrieben, vgl. XXIII 51. Auf der Inschrift ist keine Spur mehr davon zu entdecken, und es lässt sich nicht sagen, ob es noch auf dieser Stele gestanden haben kann, Drerup a. a. O. 271. Mit Recht macht Gilbert a. a. O. 500f. darauf aufmerksam, dass diese Gerichtsstätte für so seltene Fälle erst eingerichtet worden sein kann, als sich ein fühlbares Bedürfnis dafür zeigte, also kaum schon zu D.s Zeiten.

II. Die übrigen Gesetze. Da sie von Solon ausser Kraft gesetzt wurden (s. o. S. 1649), waren sie später nur in unsicherer Überlieferung bezw. nur aus der solonischen Gesetzgebung zu erkennen, Wachsmuth Stadt Athen I 475, 4. Das Vorhandensein von Gesetzen D.s, die sich nicht auf Tötung bezogen, wird daher von Cauer 118ff. geradezu geleugnet. Unter den überlieferten Gesetzen ist allerdings das über die ἀργία nicht sicher auf D. zurückzuführen. Nach Plut. Sol. 17 ist D. sein Urheber, der als Strafe dafür den Tod bestimmte – nach Poll. VIII 42 vielmehr die Atimie –, ebenso Solon, wenn dreimalige Verurteilung erfolgt war; nach Plut. Sol. 31 hat das Gesetz entweder Solon oder – nach Theophrast – Peisistratos gegeben; zwischen Solon und D. schwankt Diog. Laert. I 55 nach Lysias gegen Nikias; dem Solon schreibt das Gesetz zu Herod. II 177. Der Versuch Cauers a. a. O., aus innern Gründen das Gesetz dem Peisistratos zuzuweisen, ist nicht zu billigen, selbstverständlich kann es sich nur um verschuldete Arbeitslosigkeit handeln. Vgl. über das Gesetz J. Töpffer Quaest. Pisistrat. 42 (ist geneigt, Theophrast Recht zu geben), v. Wilamowitz Aristoteles I 255, 146. Busolt Gr. Gesch. II² 149, 1. 242, 1. Auch an der Echtheit des Gesetzes über die Verehrung der Götter und Heroen, das Porph. de abst. IV 22 auf D. zurückführt, mag man zweifeln; ebensowenig ist auf die von Cauer nicht angezogene Angabe des Aischines I 6 (vgl. Athen. XIII 569 d) Wert zu legen, der von Gesetzen des D. über Jugenderziehung spricht. Die Vorschrift, die Richter müssen beide Teile anhören, Luc. calumn. 8, kann in den Gesetzen über Tötung enthalten gewesen sein. Schwieriger ist schon die Angabe des Poll. IX 6 unter den letzteren unterzubringen, wo von einer Busse von 20 Rindern (= 40 Drachmen? Rühl Jahrb. f. Philol. Suppl. XVIII 689) die Rede ist (Cauer 115 denkt an die Sühnung, doch lässt sich dies mit der Bestimmung μηδὲ ἀποινᾶν, die er selbst dem D. zuschreibt, nicht ungezwungen vereinigen). Nicht zulässig ist es endlich, ein lediglich angenommenes Gesetz D.s, das die Tötung eines bei Nacht auf frischer That ertappten Diebs gestattet hätte – das Gesetz wird Demosth. XXIV 113 ausdrücklich dem Solon zugeschrieben – als den Ausgangspunkt der Überlieferung anzusehen, wonach D. auf Diebstahl die Todesstrafe gesetzt hat. Plut. Sol. 17 ὥστε . . καὶ τοὺς λάχανα κεέψαντας ἢ ὀπώραν ὁμοίως κολάζεσθαι τοῖςἱεροσύλοις καὶ ἀνδροφόνοις, vgl. Alciphr. III 40. Gell. XI 18. Tzetz. III 342f. (auf dieses Gesetz [1656] ist wohl auch Xenoph. oec. X 14, 4 angespielt). Die Härte ist nicht befremdlich, vgl. eben jenes solonische Gesetz und Plat. leg. XII 941 B–D. Hermann-Thumser 353. Eine Erinnerung an das harte vorsolonische, von D. aufgezeichnete Recht kann im Volksbewusstsein, das solche Dinge viel leichter festhält als historische Ereignisse, wohl geblieben sein, und man müsste positive Gründe haben, um die Überlieferung, wonach Solon die nicht auf Tötung bezüglichen Gesetze aufgehoben hat, als blossen Schluss aus deren Nichtvorhandensein zu erweisen. Ob D. das Schuldrecht mit aufgezeichnet und dadurch die wirtschaftliche Schwierigkeit erhöht hat, dies zu unterscheiden fehlt freilich jeder Anhaltspunkt. Jedenfalls hat D. keinen Versuch gemacht, die Not der Verschuldeten zu lindern, Arist. Ἀθ. πολ 4, 5.

Originalität der Gesetzgebung. Da uns das vordrakontische Recht nicht bekannt ist (ansprechende, jedoch sicherer Grundlagen entbehrende Reconstruction des älteren Blutrechts bei Gilbert a. a. O. 503ff.), so lässt sich nicht beurteilen, inwieweit D. Neues geschaffen hat. Inschr. Z. 20 και οι προτερον κτεναντες εν τοιδε τοι θεσμοι ενεχεσθον bezieht sich wohl nur auf die αἴδεσις (weitergehende, nicht überzeugende Folgerungen, wonach erst D. zwischen absichtlicher und unabsichtlicher Tötung unterschieden hätte, bei Gilbert a. a. O. 510. 514; es kann sich um die näheren Bestimmungen über die αἴδεσις handeln).

Beurteilung der Gesetzgebung, a) Im Altertum. Den Ausgangspunkt bildete meist die überlieferte Härte der Gesetze, daher das Wort des Demades bei Plut. Sol. 17 ὅτι δι’ αἵματος οὐ διὰ μέλανος τοὺς νόμους ὁ Δ. ἔγραψεν, und die Anekdote über die Äusserung, mit der D. die Härte seiner Gesetze begründet haben soll, Plut. a. a. O. Ähnlich äussern sich über die Härte der Gesetze Arist. pol. II 1274 b 16 (die Härte das einzig Bemerkenswerte); rhet. II 1400 b 21. Lyc. Leocr. 65 (οἱ ἀρχαῖοι νομοθέται). Andere, aber sehr allgemein gehaltene Urteile rühmen den D., Demosth. XXIV 211. Aeschin. I 6, wo D. auf eine Linie mit Solon gestellt wird, vgl. Luc. cal. 8. Max. Tyr. IX 5.

b) Bei den Neueren. Dass gerade die auf Tötung bezüglichen Gesetze das Urteil von der allzugrossen Härte D.s nicht bestätigen, ist längst erkannt und allgemein zugegeben. Im übrigen lautet das Urteil, entsprechend dem Stand der Überlieferung, meist zurückhaltend, so E. Meyer Gesch. des Altert. II 579. Pöhlmann Grundr. d. gr. Gesch.² 64, der vor einer Überschätzung D.s warnt. Köhler a. a. O. 36: ,Tiefe Speculation enthält die Gesetzgebung D.s nicht, sondern sie entspricht überall den Erscheinungen des gewöhnlichen Lebens‘. Cauer a. a. O. sucht, jedoch auf ziemlich unsicheren Grundlagen, nachzuweisen, dass D.s Gesetzgebung den Übergang bilde von der Selbsthülfe zum gerichtlich geordneten Verfahren (einzelnes modificiert nach Erscheinen der Ἀθ. πολ. in ,Hat Aristoteles die Schrift u. s. w.‘ 58). Im übrigen sieht er ein besonderes Verdienst des D. darin, dass er die Sühnung erschwert habe zu Gunsten der Armen, Verhandl. Philol. Vers. Görlitz 113. 115. Busolt Gr. Gesch. II² 242f. urteilt, dass D. zur Beseitigung [1657] der faustrechtlichen Selbsthülfe und der Blutfehden, zur Sicherung von Person und Eigentum und zur Herstellung geordneter staatlicher Verhältnisse wesentlich beigetragen habe. Näher sucht das zu begründen Ziehen Rhein. Mus. LIV 1899, 335ff. Doch ist gegen diese Vermutungen zu bemerken, dass uns nicht blos das vordrakontische Recht, sondern auch seine Handhabung vor D. unbekannt ist. K. F. Hermann De Dracone legum latore, Ind. Schol. Gött. 1849/50. Die ältere Litteratur über D. als Gesetzgeber s. bei Hermann-Thumser Gr. Staatsaltert. I 2, 355. Von den Neueren vgl. die im Zusammenhang angeführten Werke und Schriften, insbesondere Busolt Gr. Gesch. II² 223ff. E. Meyer Gesch. des Altertums II 639f. Meier-Lipsius Att. Process 17ff. Gilbert Griech. Staatsaltert.² I 135ff.

B. Die (angebliche) Verfassung. Die einzige Quelle ist Arist. Ἀθ. πολ. 4, vgl. 41, 2; von Aristoteles ist abhängig Cic. de rep. II 2 und wohl auch [Plat.] Axioch. 365.

Ι. Darstellung. 1. Die politischen Rechte (πολιτεία) waren denen vorbehalten, die eine Hoplitenrüstung stellen konnten.

2. Die Beamten, a) Für die Wahl zum Schatzmeister war die Voraussetzung ein schuldenfreies Vermögen von mindestens 10 Minen;

b) für die Wahl zum Strategen und Hipparchen ein schuldenfreies Vermögen von mindestens 100 Minen und eheliche Kinder im Alter von über zehn Jahren. Über die Zahlen s. Busolt Philol. N. F. IV 396ff.; Gr. Gesch. II² 224, 3. Fränkel Rh. Mus. XLVII 473ff. Weil Journ. des Sav. 1891, 206. Reinach Rev. des ét. gr. 1891, 83 (versucht eine Umstellung im Text und dazu noch Correctur). Szanto Arch.-epigr. Mitt. XV 180ff. Kaibel Stil und Text der Ἀθ. πολ. 126. v. Wilamowitz Aristoteles I 79. Macan Journ. Hell. Stud. XII 1891, 27. Thalheim Herm. XXIX 460 (Busolt Philol., Thalheim und Szanto versuchen die überlieferten Zahlen zu rechtfertigen, ebenso Macan, jedoch für die Zeit der 400; Weil, Kaibel und v. Wilamowitz erklären jedenfalls 10 Minen für verdorben; eingreifende Veränderungen versucht Fränkel). Die vorjährigen Prytanen (jedenfalls des Rats, v. Wilamowitz I 86. B. Keil Solon. Verfass. 96. 117 u. E. Herzog Verzeichnis der Doctoren u. s. w., Tübingen 1891/2, 29. Gilbert Gr. Staatsaltert. I² 134, 1. Busolt Gr. Gesch. II² 39, l; anders Fränkel a. a. O. 481ff. v. Schoeffer Jahresber. LXXXIII [1895] 197) und Strategen sollen die ins Amt tretenden Strategen und Hipparchen (je 2? so Kaibel a. a. O. 129] unter Bürgschaft stellen (διεγγυᾶν) bis zur Rechenschaftsablegung (τούτους ist als Object zu fassen, mit Kaibel a. a. O. Busolt Gr. Gesch. II² 226, 3. Thalheim Herm. XXIX 460 gegen v. Wilamowitz a. a. 86), indem sie von ihnen 4 (zusammen? so v. Wilamowitz und Kaibel; je 4 v. Schoeffer a. a. O. 231) Bürgen annahmen, die derselben Classe (τέλος) angehörten wie die Strategen und Hipparchen.

c) Die übrigen Beamten sollen aus den über 30 Jahre alten Bürgern ausgelost werden (die Unterscheidung von Wahl und Los nach Kaibel a. a. O. 127f.; anders Keil a. a. O. 115 und [1658] v. Wilamowitz a. a. O. I 89. Thalheim a. a. O. 461f. will aus κληροῦσθαι nur den allgemeinen Begriff des ,Bestelltwerdens‘ für die Beamten entnehmen).

3. Der Rat soll aus 401 Mitgliedern bestehen, er wird erlost wie die Beamten; keiner soll zweimal Ratsherr sein, bis die Reihe an alle gekommen ist; dann soll das Los aufs neue einsetzen (δὶς τὸν αὐτὸν μὴ ἀρχεῖν bezieht Kaibel 130 wohl mit Recht nur auf die Ratsherren, nicht auf die Beamten). Wenn ein Ratsherr eine Sitzung versäumt, bezahlt er 3, 2, 1 Drachmen, je nachdem er Pentakosiomedimne, Ritter oder Zeugite ist (über die Bedeutung des Rats s. P. Meyer Des Aristoteles Politik und die Ἀθ. πολ. 37. v. Wilamowitz Aristoteles I 92f.; ebd. I 88 über den Sinn der Strafsätze).

4. Der Areopag ist der Wächter über die Gesetze und sieht darauf, dass die Beamten nach den Gesetzen ihr Amt ausüben. Wer Unrecht erleidet (d. h. wohl durch einen Beamten), darf beim Areopag Klage führen, unter Angabe des Gesetzes, gegen das ihm Unrecht geschieht (dass von den sonstigen richterlichen Befugnissen des Areopags nicht die Rede ist, darf nicht Wunder nehmen, auch nicht auf eine Beschränkung seiner Rechte durch D. gedeutet werden; von der Gerichtsverfassung wird hier überhaupt nicht geredet, gegen J. Hofmann Studien zur drakonischen Verfassung, Prog. Straubing 1899, 28).

Zusammenfassende Darstellung bei Herμann-Thumser Gr. Staatsaltert. I 2, 351. Busolt Staatsaltert.² 139ff. Die Bedeutung der Verfassung bestimmt v. Wilamowitz Aristoteles II 305 dahin, dass der Adel durch Reichtum ersetzt wurde.

II. Kritik. 1. Ist diese Verfassung von Aristoteles als eine von D. gegebene oder nur von ihm vorgefundene gedacht? Dass diese Frage überhaupt aufgeworfen werden konnte, beruht auf Arist. pol. II 1274 b Δράκοντος δὲ νόμοι μέν εἰσι, πολιτείᾳ δ’ὑπαρχούσῃ τοὺς νόμους ἔθηκεν, sowie darauf, dass die Ausdrücke bei der Einführung der Verfassung etwas unbestimmt sind (τοὺς θεσμοὺς ἔθηκεν· ἡ δὲ τάξις αὐτοῦ τόνδε τὸν τρόπον εἶχε· ἀπέδοτο), endlich auf der Ähnlichkeit von Ἀθ. πολ. c. 2 in συνέβη στασιάσαι τοὺς τε γνωρίμους καὶ τὸ πλῆθος mit 5, 1 ἀντέστη τοῖς γνωρίμοις τὸ πλῆθος. P. Meyer a. a. O. 31ff. Schulz Jahrb. f. Philol. CXLIX 305ff. Blass Jahrb. f. Philol. CLI 476ff., mit Beistimmung von A. Bauer Die Forschungen z. gr. Gesch. 1888/98, 451 suchten daraus zu erweisen, dass Ἀθ/πολ. 4 lediglich die Beschreibung der Verfassung enthalte, wie D. sie vorfand. Dieser Versuch ist mit Recht abgelehnt worden (Susemihl Jahrb. f. Philol. CLIII 258ff. J. Hofmann a. a. O. 7f.), dagegen spricht c. 3, 1 τῆς πρὸ Δράκοντος im Vergleich in 4, 1 μετὰ δὲ .. Δράκων τοὺς θεσμοὺς ἔθηκεν· ἡ δὲ τάξις αὐτοῦ; entscheidend ist c. 41, 2, wo eine Verfassung D.s, genau mit demselben Ausdruck wie bei derjenigen des Solon, aufgezählt wird (zu beachten dabei noch das καὶ: ἐν ᾖ καὶ τοὺς νόμους ἀνέγρψαν πρῶτον; Schulz begründet a. a. O. seine Ansicht durch die Annahme grösserer Textverderbnisse bezw. Correcturen). An dem Tempus ἀπέδοτο ist kein Anstoss zu nehmen, v. Wilamowitz Aristoteles I [1659] 77, 6. Was aus dem von Meyer und Blass Angeführten sich ergiebt, ist nur der Umstand, dass c. 4 auch in der stilistischen Form sich als ein Einschiebsel erweist. Der Widerspruch mit der Stelle der Politik lässt sich, die Echtheit des vielumstrittenen Capitels vorausgesetzt (die Gründe dagegen vgl. bei Göttling z. d. St. Ausg. 345f. Niemeyer Jahrb. f. Philol. CXLIII 408) nur gezwungen mit Hermann-Thumser Gr. Staatsaltert.⁶ I 2, 351 dahin erklären, dass D. im wesentlichen den Grundcharakter der Verfassung nicht geändert habe (über die Annahme einer Interpolation von Ἀθ. πολ. 4 s. u.); es ist vielmehr eine Meinungsänderung des Aristoteles anzunehmen, so Busolt Gr. Gesch.² II 20, 2. v. Wilamowitz a. a. O. 67; doch ist deswegen nicht notwendig, wie v. Wilamowitz und Busolt wollen, dass die Politik vor der πολιτεία geschrieben ist (eine Erklärung für die Meinungsänderung bei Niese Hist. Ztschr. LXIX 61ff.).

2. Welches ist die Quelle von Ἀθ. πολ. 4? Fast allgemein ist zugegeben (eine abweichende Ansicht stellt nur auf v. Schöffer Jahresber. LXXXIII 197), dass die Quelle nicht die von Aristoteles sonst benützte Atthis, sondern eine oligarchische Parteischrift ist. Denn a) das Capitel ist nicht zusammengearbeitet mit dem übrigen Inhalt der Ἀθ. πολ. 4, 3 der Rat besteht aus 401 Mitgliedern, worauf 8, 4 kein Bezug genommen ist; ebensowenig 22, 2 darauf, dass schon 4, 2 Strategen genannt sind; 8, 1 darauf, dass von Verlosung der Ämter 4, 3 gesprochen wird, 30, 6 auf die Strafbestimmungen des D. 4, 3. E. Herzog a. a. O. 27ff. Dazu kommt das unter 1. Bemerkte über den Zusammenhang der Capitel 3–5 (,die Ausdrucksweise verrät deutlich, dass der Verfasser sich nur schwer dazu entschliessen konnte, dem D. eine Verfassung zuzuschreiben‘, Busolt a. a. O. 20, 2). b) Die Bestimmungen D.s zeigen auffallende Ähnlichkeit mit der oligarchischen Verfassung der 400, was gleich beim Erscheinen der Ἀθ. πολ. erkannt worden ist: Macan Journ. of Hell. Stud. XII (1891) 27. W. Headlam Class. Rev. V 166ff. Thompson ebd. 336. Reinach Rev. des Ét. gr. IV 82. 143ff. Herwerden und Leeuwen Ausg. z. d. St. Rühl Jahrb. f. Philol. Suppl. XVIII 689f. F. Cauer Hat Aristoteles die Schrift u. s. w. 71. Nissen Rh. Mus. XLVII 201. Übersichtliche Zusammenstellung der übereinstimmenden Einzelheiten bei Busolt Gr. Gesch. II 38, 1. Als Quelle der Parteischrift nimmt v. Wilamowitz nicht ein Actenstück an; vielmehr soll ihr Urheber seine Darstellung aus den Einzelbestimmungen der Gesetze für die Magistrate zusammengefasst haben, a. a. O. I 77. 258. Derselbe bestimmt (a. a. O. 76) die Frage dahin: entweder haben die Oligarchen von 411 sich an diese Verfassung D.s angeschlossen oder aber, sie haben sie zu Gunsten ihres Plans als angebliches Vorbild erfunden. 6 Nach Herzog a. a. O. 31 ist die Quelle vielmehr eine Parteischrift, die die Ereignisse von 411 vorbereitete; nach Cauer wäre sie dem Entwurfe von 411 nachgebildet. Das J. 409 vermutet Ziehen a. a. O. 332, jedoch mit nicht zureichenden Gründen, als das Jahr des Erscheinens der Schrift. Der Annahme (Reinach a. a. O. 82. 144), dass innerhalb der sonst echten Schrift gerade [1660] dieses Capitel eine Interpolation sein könnte, steht zunächst 41, 2 entgegen (μετὰ δὲ τύτην ἡ ἐπὶ Δάκοντος – Πρῶτον). Allerdings wird von Schulz a. a. O. 307. 315ff. betont, dass die Verfassung D.s an letzterer Stelle nicht als eine der 11 Verfassungen Athens gezählt wird. Man hat den Eindruck, dass c. 4 wie der angeführte Satz 41, 2 nachträglich, eingefügt worden sind. Auf Grund der Lesart μετάστασις 41, 2 hat U. Wilcken Zur drakont. Verfassung, Apophoreton zur 47. Philol.-Vers. Halle 1903, 85ff. dies zunächst für jenen Satz 41, 2 fast zur Gewissheit erhoben und es sehr wahrscheinlich gemacht, dass der Zusatz hier nicht von Aristoteles selbst, stammen kann. Mit vollem Recht zieht er dieselbe Folgerung nun auch für c. 4 (von ἡ δὲ τάξις – ἀδικεῖται νόμον). Nun könnte freilich, wie Wilcken selbst bemerkt, auch der Interpolator gegen Aristoteles recht haben, eine sachliche Prüfung ist daher nicht ganz überflüssig.

3. Hat D. eine Verfassung gegeben? a) Sind Bestimmungen vorhanden, die von einem Athener um 411 nicht gewusst bezw. nicht erfunden sein können? Diese Frage wird von v. Wilamowitz u. a. bejaht, a) Die Abweichungen der Verfassung von 411 on Ἀθ. πολ. sollen für die Echtheit der Verfassung D.s sprechen. Dieser Grund ist nicht zwingend, wenn man mit Herzog a. a. O. 31 die Quelle des Aristoteles nicht als das unmittelbare Vorbild der 400 ansieht. Insbesondere ist der von v. Wilamowitz a. a. O. 88, 1 als entscheidend angesehene Umstand, die Zahl 401 für die Buleuten, erledigt durch den Hinweis auf die heliastischen Gerichtshöfe mit der überzähligen 1, Schol. Demosth. XXIV 27 (ed. Schaefer II 577), vgl. Herzog a. a. O. 29. Busolt Gr. Staatsaltert.² 277. β) Die Classen (Pentakosiomedimnen u. s. w. 4, 3) waren am Ende des 5. Jhdts. nicht mehr lebensfähig, sie können daher nicht von den 400 als drakontisch erfunden sein (v. Wilamowitz a. a. O. 82). Aber gerade für den Ἀθ. πολ. 4 vorausgesetzten Zweck wurden die Classen noch im 4. Jhdt. benützt, s. Busolt Gr. Gesch.² II 181. 227 u. Jedenfalls konnten sie ganz gut in einem oligarchischen Idealstaat vorausgesetzt werden. γ) Eine so ins einzelne gehende Bestimmung, wie die über die Bürgschaft für die Strategen und Beamten soll nicht von einem Fälscher dem D. angedichtet worden sein können (v. Wilamowitz I 87). Wenn man aber bei der überlieferten Lesart bleibt, so ist die Forderung einer ausserordentlichen Bürgschaft gerade für Strategen und Hipparchen zu jener Zeit wohl verständlich (Macan a. a. O.). S) Aus den Ansätzen des für die Beamten geforderten Vermögens versuchte Busolt Philol. N. F. IV insbes. 396ff. den Nachweis, dass diese Bestimmungen aus der Zeit D.s stammen müssen, vgl. Szanto a. a. O. Fränkel Rh. Mus. XLVII 480f. Indessen hat Busolt selbst diesen Grund als nicht stichhaltig zurückgenommen, Gr. Gesch. II² 38, 1. ε) Der ganze, von v. Wilamowitz mit Scharfsinn durchgeführte Versuch (a. a. O. I 76ff.), nachzuweisen, dass die Verfassung Ἀθ. πολ. 4 in die Zeit D.s passe, hat deswegen nicht viel Überzeugungskraft, weil die Überlieferung über D. und seine Zeit so dürftig ist, dass je nach ihrer Deutung die verschiedensten Bestimmungen [1661] als für diese Zeit passend erwiesen werden können.

b) Sind Bestimmungen vorhanden, die nachweislich einer späteren Zeit, als der D.s angehören? α) Wenn auch v. Wilamowitz a. a. O. I 77, 3. 78 mit Recht Ausdrücke, die einer späteren Terminologie angehören (ὅπλα παρεχόμενοι, οὐσία ἐλευθέρα), nicht als Beweis gegen die Echtheit der Verfassung gelten lässt, so müssen sie doch bedenklich machen, β) Die Möglichkeit, dass die solonische Klasseneinteilung sich an eine schon vorhandene Einteilung anschloss, muss zugegeben werden, Busolt Griech. Gesch. II² 180; dagegen ist sehr auffallend, dass diese Klassen nicht als Grundlage der Ämterbesetzung, sondern als Hilfsmittel zur Bestimmung von Bürgen und Strafsätzen erscheinen, wie in der entwickelten Demokratie, Busolt a. a. O. 227 u. E. Meyer Forschungen I 237. Auch die Bestimmung von Geldstrafen für Versäumnisse erscheint für eine so primitive Zeit nicht recht glaublich, Rühl Jahrb. f. Philol. Suppl. XVIII 689. γ) Am meisten fallen ins Gewicht die Bestimmungen über die Strategen und Hipparchen. Sie passen gut in die Zeit der 400, in der der Nachweis von ehelichen Kindern und Grundbesitz in Attika in der That Bedingung für die Wahl zum Strategen (Dinarch. c. Demosth. 71 – die Gesetze sind jedenfalls nicht erst im 4. Jhdt. geschaffen worden) und das Verlangen von Bürgschaft verständlich war, weil diese Beamten die Kriegskasse in Verwaltung hatten (Headlam Class. Bev. V 168 a), dagegen nicht in eine Zeit wenig entwickelten Geldverkehrs. Dazu kommt, dass diese Strategen durch jene Bestimmung als die wichtigsten Beamten erscheinen, was sie wohl im 5. Jhdt., aber jedenfalls nach Aristoteles nicht früher gewesen sind, Ἀθ. πολ. 7, 3. 22, 2; nach letzterer Stelle scheinen die Strategen erst im J. 501 eingesetzt worden zu sein. Busolt Gr. Gesch. II² 40. 191. Keil a. a. O. 115. E. Meyer Forschungen I 237; Gesch. d. Altert. II 641. Die Reiterei hatte damals jedenfalls noch eine ganz geringe Bedeutung, Herod. VI 112. Poll. VIII 108. Bauer Griech. Kriegsaltert. 273. Der Versuch Thompsons Herm. XXX 478ff. und v. Schöffers Jahresbericht LXXXIII 230ff., die Entwicklung der Strategie zum bedeutendsten Amt schon in diese frühe Zeit zu verlegen, ist nicht als gelungen anzusehen, da in den betreffenden Stellen (Strab. XIII 600. Plut. Sol. 11. Arist. Ἀθ. πολ. 22, 3) στρατηγός nicht von einem Amte verstanden werden muss (wenn Phrynon auch nicht Polemarch war, so folgt doch daraus noch nicht das Bestehen eines regelmässigen wichtigen Jahresamts). Auch v. Schöffers an sich ansprechender Ausweg, die an die Strategen gestellten Anforderungen aus der Tyrannengefahr zu erklären – ähnlich schon Busolt Philol. N. F. IV 400 – kann jene Bedenken nicht beseitigen.

Ergebnis. Obwohl bei unserer dürftigen Kenntnis des vorsolonischen Athen eine gewisse Zurückhaltung im Urteil angemessen ist, so machen doch die angeführten Gründe, zusammen mit der verdächtigen, wahrscheinlich von Aristoteles selbst abgelehnten (U. Wilcken a. a. O. 96) Quelle und dem Schweigen der übrigen Überlieferung es [1662] unwahrscheinlich, dass D. eine Verfassung gegeben hat.

Das Für und Wider ist ausführlich erörtert bei Busolt Gr. Gesch. II² 36ff. 224, 3ff., wo auch noch weitere Litteratur angeführt ist. Neuerdings zusammenfassend, mit entgegengesetztem Resultat J. Hofmann Studien z. drakontischen Verfassung, Progr. Straubing 1899.
[J. Miller.]

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