66) Domitius Marsus, Dichter der augusteischen Zeit. Seine Lebenszeit bestimmt sich durch die drei Thatsachen, dass Maecen sein Gönner war (Martial VIII 56, 24. VII 29), dass er den Tod Vergils und Tibulls besungen hat (s. u.) und dass jedenfalls seine Blüte, vielleicht auch sein Tod vor Ovids Verbannung fällt (ex P. IV 16, 5). Die Bekanntschaft mit der dichterischen Thätigkeit des D. verdanken wir, von Einzelheiten abgesehen, dem Martial. der in sich einen zweiten Marsus erblickt (VIII 56, 24, vgl. II 71). Der Vergleich gründet sich auf eine Sammlung von Epigrammen, die sich durch lasciva verborum veritas charakterisierte (Martial I praef.) und mit Pedo, Gaetulicus (o. Bd. IV S. 1385f.) und Catull. (d. h. seinen kleinen Gedichten) in Parallele gesetzt wird (Mart. V 5. VII 991; unter diesen ,Epigrammen‘ befanden sich Gedichte bis zu zwei Seiten Länge (Mart. II 77). Da Philargyrius zu Verg. Ecl. III 90 ein Epigramm auf die communistische Ehe des Bavius und seines Bruders mit den Worten Domitius in Cicuta einfuhrt, so wird dies aller Wahrscheinlichkeit nach der Titel jener Sammlung gewesen sein, für ein Buch grossenteils bissigen Inhalts nicht übel passend. Doch werden hier auch anerkennende Urteile über gleichzeitige Litteraturgrössen ihren Platz gehabt haben. So hat man hierher gestellt den bei Suet. gramm. 16 erhaltenen Hexameter, in dem für den Kreis des D. dem Caecilius Epirota dieselbe Stelle angewiesen zu werden scheint (tenellorum nutricula vatum) wie durch den Hendekasyllabus qui solus legit ac facit poetas dem Valerius Cato für den Kreis des Furius Bibaculus. Sodann werden [1431] hierher gehören die zwei Distichen auf den Tod Vergils und Tibulls, die, in unsern Tibullhandschriften erhalten, im Cuiacianus dem D. zugewiesen waren; sie brauchen keineswegs aus einem grösseren Zusammenhang ausgehoben zu sein, sondern lassen sich auch als ein in sich abgeschlossenes Epigramm verstehen, das sich noch dazu in seiner Feinheit mit den besten alexandrinischen messen kann. Hierher gehört dann also auch wohl der Hexameter über den plagosus Orbilius (Suet. gr. 9), dessen Meinung, tadelnd oder nicht, sich nicht mehr erkennen lässt. Die Epigramme mögen benutzt sein in Plin. n. h. XXXIV, wo das Quellenverzeichnis Marsus poeta nennt; vgl. Münzer Beitr. z. Quellenkrit. des Plinius 100.
Neben den Epigrammen erfahren wir ebenfalls durch Martial von Liebesgedichten des D. auf eine fusca Melaenis, die auch Maecenas gelesen habe (VII 29), und einem Epos Amazonis, das nach dem Zusammenhang des Epigramms IV 29 sehr umfänglich gewesen sein muss; wenn hier D. im Gegensatz zu Persius 5 levis genannt wird, so soll dies Beiwort wohl ohne zu starken Tadel (der wegen der sonstigen Äusserungen Martials über D. auffällig wäre) die leichtere Arbeitsweise des D. der mühseligen des Persius entgegenstellen (etwas anders Haupt Opusc. III 332f.). Eine wiederholt ausgesprochene Vermutung (z. B. bei Haupt a. O.) sieht in den allerdings ohne polemische Absicht kaum begreiflichen Versen des Horaz Vindelici, quibus mos unde deductus securi dextras obarmet quaerere distuli nec scire fas est omnia (od. IV 4, 19ff.) einen Bezug auf jene Amazonis, gestützt auf die Notiz bei Porphyrio z. St. und Servias zur Aen. I 243, wonach die Vindelicier, von den Amazonen aus Thrakien vertrieben, deren Waffen angenommen haben sollen. Das einzige dichterische Werk des D., das wir nicht durch Martial kennen, sind fabellae, aus deren neuntem Buch Charisius p. 72 K. ein Hexameterbruchstück überliefert.
D. hat ausserdem in Prosa de urbanitate diligentissime geschrieben. So berichtet Quintil. inst. VI 3, 102, dessen folgende Erörterungen (zum Teil auch die vorausgehenden) ebenso wie die damit sich deckenden des Macrobius (II 1, 14) gewiss aus D. geschöpft sind (Wissowa Herm. XVI 502ff.). Nach der Definition (urbanitas est virtus quaedam in breve dictum coacta et apta ad delectandos movendosque homines in omnem affectum animi, maxime idonea ad resistendum vel lacessendum, prout quaeque res aut persona desiderat) und Etymologie der urbanitas (Quintil. § 103) teilte D. die dicta urbana in seria, iocosa, und media, die seria wieder in honorifica, contumeliosa und media. Dann folgte eine Sammlung solcher dicta, vielleicht, wie Wissowa vermutet, nach den Urhebern geordnet; wenigstens führt auf diese Anordnung die bei Macrobius. Von älteren Autoritäten auf diesem Gebiete hatte D. den Cato genannt (Quintil. 105), vielleicht des Furius Bibaculus lucubrationes (Macrob. II 1, 13, vgl. Plin. n. h. praef. 24) und die dem Tiro zugeschriebene Sammlung ciceronischer dicta (Quint. § 5) benutzt. Über griechische Quellen lässt sich nicht einmal etwas vermuten; doch ist vielleicht in diesem Zusammenhang nicht ohne Belang, dass [1432] D. (wie Valgius Rufus) zu dem Pergamener Apollodor in Beziehung gestanden zu haben scheint (Quintil. III 1, 18 missa ad Domitium epistula über die Echtheit der unter seinem Namen gehenden τέχναι).
Litteratur: A. Weichert Poetarum lat. vitae et carm. reliquiae, Leipzig 1830, 241ff. Teuffel Röm. Litt.-Gesch.⁵ § 243. Die Fragmente bei Baehrens FPL 346ff.; über dasn Baviusepigramm (ausser anderem, was Teuffel anführt) Sauppe Kl. Schriften 196ff. Havet Rev. de Phil. XXIV (1900), 89ff.
[Skutsch.]
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