Domicilium wird mehrfach dem domus gleichgestellt, Dig. XI 5, 1, 2; so bezeichnet Pomponius Dig. XXIII 2, 5 die domus mariti als d. matrimonii; vgl. auch Dig. XVIII 5, 23 (22), 2, woselbst das väterliche Tötungsrecht bei dem Ehebruch der Tochter auf das D. des Vaters oder des Schwiegersohnes beschränkt wird (domus et pro domicilio accipienda est). In diesem Sinne bezeichnet domus den Hausstand (Dig. L 16, 203), nicht das Haus als Bauwerk, Dig. L 1, 17, 13 sola domus possessio, quae in aliena civitate comparatur, domicilium non facit. Da nach römischem Staatsrechte der Besitz eines Hausstandes gewisse Heimatsrechte gewährte, die man als incolatus bezeichnete (Dig. L 1, 5 incolam esse aut domicilium habere. L 1, 34. Cod. Iust. X 39 [38], 5), so heisst D. auch der den incolatus (das Einwohnerrecht) begründende Wohnsitz an einem Orte, mit andern Worten der Hausstand in Beziehung auf die Gemeinde, in der er sich befindet, Dig. L 16, 2 (Pomponius) incola est, qui aliqua regione domicilium suum contulit. Cod. X 39, 7 pr. incolas .....domicilium facit. Das blosse Wohnen an einem Orte begründet noch keinen Wohnsitz, vielmehr begründet eine Wohnung, die blos von einem andern Orte aus mit der Absicht der Rückkehr aufgesucht ist, den Hausstand des D. nicht; vgl. Cod. X 40, 7; 1 et in eodem loco singulos habere domicilium non ambigitur, ubi quis larem rerumque ac fortunarum suarum summam constituit, unde rursus non sit discessurus, si nihil avocet, unde cum profectus est, peregrinari videtur, quo si [1300] rediit, peregrinari iam destitit. Daher sollte z. B. der Aufenthalt zum Zwecke der Studien nach einem Rescripte Hadrians nur dann ein D. begründen, wenn er sich über zehn Jahre ausdehnte, Cod. X 40 (39), 2 pr. Nach der oben gegebenen Begriffsbestimmung (Cod. X 40, 7, 1) erscheint D. nicht eigentlich als ein ,Mittelpunkt der Thätigkeit‘, wie es gewöhnlich bezeichnet wird (vgl. z. B. Windscheid-Kipp Pand.⁸ I 128 § 36), sondern vielmehr als die ständige Niederlassung, der feste Ruhepunkt innerhalb der Lebensthätigkeit, der sich zu ihr verhält, wie das Lager zum Schlachtfelde. Doch unterliegt es keinem Zweifel, dass die Pandektenjuristen nicht blos auf diesen Ruhepunkt, sondern auch auf die Thätigkeit ausserhalb des Hauses Gewicht legten, um das D. als das hauptsächliche Gebiet der Lebensführung zu bestimmen, Dig. L 1, 5 (Paulus gegen Labeo). L 1, 27, 1 (Ulpianus). Es scheint dies übrigens eine neuere Ansicht gewesen zu sein, die den Begriff D. von seiner etymologischen Grundlage abrückte, mit dem Verfalle der Naturalwirtschaft und der Hausarbeit im Zusammenhange gestanden haben mag und in der späteren Zeit vielleicht wiederum weniger scharf betont worden ist. Mit ihr hängt es zusammen, dass Dig. L 1, 27, 2 es zweifelhaft macht, ob die blosse Obdachlosigkeit das D. raube, und daher einen Menschen ohne D. als eine Seltenheit bezeichnet, eine Bemerkung, die den Verhältnissen der Gegenwart kaum entspricht. Auch der Satz, dass jemand mehrere D. haben könne, scheint erst allmählich anerkannt worden zu sein, als man den Ort der Thätigkeit dem Orte der Wohnung gleichstellte, Dig. L 1, 6, 2 viris prudentibus placuit duobus locis posse aliquem habere domicilium. Freilich kann auch ein doppelter Hausstand vorkommen, worauf sich wohl das doppelte D. des relegatus bezieht, Dig. L 1, 27, 3. Mit der Abgrenzung der D. nach der Thätigkeit der Menschen und nach der beabsichtigten Dauer eines Aufenthalts hängt die Bemerkung zusammen (Dig. L 1, 27, 2), dass die Feststellung eines doppelten Wohnsitzes mit Schwierigkeiten verknüpft sei.
Die rechtliche Bedeutung des D. bestand vornehmlich in der Abhängigkeit von der Obrigkeit des Ortes und dem damit verbundenen Gerichtsstande, auch in der Pflicht, Abgaben zu zahlen, Dig. L 1 29. 34. Mommsen St.-R. III 804. Diese Pflichten erscheinen Ulpian als ein Seitenstück der Vorteile aus dem Incolat (Dig. L 1, 27, 1), daher niemand sein D. durch einfache Willenserklärung von sich abstreifen konnte, Dig. L 1, 20. Vielmehr verblieb jeder incola in seinem D., bis er ein neues D. unter Preisgabe des alten thatsächlich begründet hatte. Ebensowenig konnte sich der Erwerb des D. auf eine einfache Willenserklärung gründen. Auch das aufgezwungene D. ist ein D., Dig. L 1, 22, 3 relegatus interim domicilium necessarium habet. Ebenso hat der miles sein d. ubi meret, si nihil in patria possideat Dig. L 1, 23, 1, der senator in sacratissima urbe Cod. X 40 (39), 8. Ebenso ist das D. der Ehefrau an den Wohnsitz des Mannes gebunden, Dig. L 1, 32. 38, 3, dagegen nach römischen Rechte nicht das Hauskind an den Wohnsitz des Vaters (Dig. L 1, 4. 6 § 1. 17 [1301] § 11), sofern es einen eigenen Wohnsitz wählt (Savigny System VIII 62). Dass dagegen die Freigelassenen und ihre Kinder ihren Wohnsitz, also auch ihren Gerichtsstand, in dem D. des Patrons hatten (Dig. L 1, 6, 3. 37, 1), hängt wohl damit zusammen, dass dieser dazu berufen war, sie vor Gericht zu verteidigen.
Neben dem Begriffe des D. steht derjenige der origo, d. i. des ,Bürgerrechts der Gemeinde‘ (v. Savigny a. a. O. 46) im Gegensatze zu dem Wohnsitze in der Stadtgemeinde, Cod. X 40 (39), 7 cives quidem origo manumissio adlectio adoptio, incolas vero .... domicilium facit. Über die römische Lehre von origo und d. vgl. namentlich v. Savigny System VIII 39ff. Mommsen St.-R. III 800ff. und Litteratur über das D. bei Windscheid-Kipp⁸ 127§ 36.
[R. Leonhard.]
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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