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Dithyrambos (δῑθύραμβος). 1) Litteratur: A. Aus dem Altertum. Die Annahme, dass Damagetos (?) von Heraklea (s. o. Bd. IV S. 2027) eine Schrift über den D. verfasst habe, beruht auf falscher Interpretation des Suidasartikels Δημοθένης Θρᾶξ (Hesych. p. 49 Fl.), der vielmehr selbst περὶ διθυραμβοποιῶν geschrieben zu haben scheint. Vor allem ist zu nennen Dikaiarch περὶ Διονυσιακῶν ἀγώνων (Schol. Ar. av. 1403, FHG II 249); Aristoteles Didaskalien (Arist. Ps.-epigr. p. 555ff. Reisch o. S. 396f.). Bin geschichtliches Bild von der Entwicklung der sacralen Lyrik entwarf zuerst Glaukos von Rhegion (FHG II 23f.), von dem Plutarch de mus. 7. 10 abhängig ist. An ihn anknüpfend (s. frg. 4) scheint Chamaileon von Herakleia (Athen. VIII 338) und vor allem Aristoxenos die Geschichte und Stellung des D. eingehend behandelt zu haben; das zeigt vor allem ein Fragment seines βίος Τελέστου bei Apoll, mirab. 40 = frg. 36, FHG II 282 (p. 92f. Mahne); durch Aristokles (o. Bd. II S. 936) ist aus diesen Schriften manches dem Athenaios übermittelt. Ausführliche Excerpte περὶ διθυραμβοποιῶνaus der μουσικὴ ἱστορία des Rufus las noch Photios cod. 161 p. 103 b 19 in dem Eklogenwerke des Sopatros; aus ähnlicher Quelle wohl Schol. Aristid. III p. 537 (über Lamprokles). Von erhaltenen Werken kommen ausser Aristoteles Poetik und Rhetorik besonders in Betracht Philodem de musica (p. 9. 74ff. K.), Plutarch de musica (mit den Commentaren von Volkmann und Weil-Reinach), Dionysios von Halikarnass de comp. verb. und Athenaios.
B. Moderne Arbeiten (abgesehen von den Handbüchern) Aem. Luetcke De Graecorum dithyrambis et poetis dithyrambicis, Berol. 1829 (die älteren Arbeiten verwertend, noch heute brauchbar). M. Schmidt Diatribe in dithyrambum, Berol. 1845 (trotz aller Gelehrsamkeit wenig förderlich, da Schmidt in falscher Skepsis die ältesten Zeugnisse unterdrückt und die ganze Geschichte des D. aus dem Westen herzuleiten versucht hat). Ew. Scheibel In dithyrambum poetarumque dithyr. reliquias, Berlin 1845. E. Rohde Afterphilologie (1872) 28ff. U. v. Wilamowitz vor allem in der Einleitung in Euripides Herakles I¹ 60ff., vgl. auch Gött. gel. Anz. 1898,140ff. W. Schmid Zur Geschichte des Dithyrambus, Progr. Tübingen 1900. Über die didaskalischen Fragen und Zeugnisse E. Reisch De musicis Graecorum certaminibus 11ff. Ad. Brinck Inscriptiones Graecae ad choregiam pertinentes, Diss. phil. Hal. VII 78ff. Io. Frei De certaminibus thymelicis, Basel 1900. [1204] E. Reisch Zur Vorgeschichte der attischen Tragoedie, Festschr. f. Gomperz 451ff. und oben S. 394ff. (Didaskaliai). Endlich Crusius in dieser Encycl. unter Arion Bd. II S. 836ff. (wo S. 839, 4ff. zu streichen ist, da Boeckhs Ergänzung durch Hiller v. Gaertringen eine Berichtigung erfahren hat); unter Bakchylides Bd. II S. 2797.
I. Etymologie. Das Wort δῑ–θύρ–αμβος kommt in alter Poesie als Beiwort des Dionysos vor, so bei Pindar frg. 86. 85 p. 417 Schr. (mit metaplastischem Accusativ [s. aber Wackernagel Rh. Mus. XLV 482] Διθύραμβα); bei Eurip. Bakch. 526; in dem delphischen Dionysospaian Bull. hell. XIX (1895) 900 ἄνα Δ]ιθύραμβε Βάκχ’ ε[ὔιε ... βρόμιε; vgl. auch Iulian. or. VII 220 c (wohl direct oder indirect von Pindar abhängig); ebenso in dem (bei Hephaist. mit Ἰήϊε παιάν gleichgestellten) Ephymnion ὦ διθύραμβε (Heph. περὶ ποιημ. VIII p. 72 W.; zweifelhaft Dion. comp. verb. 17, ein melisches Fragment, das Nauck schwerlich mit Recht unter die Adespota Trag. frg. 142 p. 869 aufgenommen hat; die ganze Gruppe 136–144 ist unsicher). Die Alten haben daraufhin den Namen von dem Gotte und seinen Mythen abzuleiten gesucht, in einigen (besonders an die Geburtslegende anknüpfenden) naiven Etymologien, die man heute nicht mehr zu widerlegen braucht (s. Pindar a. O.; noch absurder, gleichfalls mit Anknüpfung an θύρα, Cornutus de nat. deor. 30 p. 61 L.; mehr bei Luetcke 9). Schon die Quantität (stets δῑ-, daher Antigenes für ein Epigramm, wo er das Wort gebrauchen wollte, eine archilochische Versform anwandte, s. u.) macht die an δίθυρος anknüpfenden Deutungen unmöglich (Luetcke 11f.).
In dem ältesten Zeugnisse, bei Archilochos, treffen wir das Wort als Bezeichnung des Liedes, ebenso bei Aischylos frg. 355 p. 106 N.²; und wenn man die Inschrift ΔΙΘΥΡΑΜΦΟΣ auf der von Welcker Alte Denkm. III 132 behandelten Vasenscherbe (s. Nr. 2) wirklich als Namen des leierspielenden Silens auffasst, so wird man ihn doch von dem Liede ableiten müssen. Die unten zu erwägende formelle Analogie mancher verwandter Wörter zeigt, dass diese Bedeutung die ursprüngliche ist; der Gott heisst nach dem Tanzliede, nicht umgekehrt. Nach der Analogie von ἴθυ–μβος θρίαμβος ἴ–αμβος (Κάσ–αμβος, Λύκ–αμβος, Σήρ–αβμος) wird das Wort in διθύρ–αμβος zu zerlegen sein (s. auch Herodian. I 138f.). Die Bedeutung des ersten Teils war schon den Alten unklar, wie ihre etymologischen Legenden zeigen. Luetcke 12f. erklärte δῖος θρίαμβος divinus triumphus, ähnlich v. Wilamowits (Herakles I¹ 63, 25) ,göttlicher θύραμβος = θρίαμβος, indem er δι- zu Διὶ stellt, wie in διπόλια Δικέτας. Diese Fälle liegen aber anders nach den Ausführungen Wackernagels (Rh. Mus. XLV 482). Die Silben διθυρ– werden zusammengehören, und so ist denkbar, dass wir darin dialektische Lautstufen zu erkennen haben. Schon längst hat man διθύραμβος = τιτύρ–αμβος = (τι)τυρ(ο)βασία = τραγῳδία erklärt (Welcker Nachtr. z. Tril. 212f. M. Schmidt 181), und die bestrittene alte Gleichung Τίτυρος = Σάτυρος = τράγος würde gerade mit den Combinationen Kaibels (Göttinger Nachr. 1901, 498ff.) neu zu begründen sein. Aber die lautlichen Vorgänge dabei blieben doch völlig rätselhaft. Einen [1205] im zweiten Element ähnlich gebildeten Namen (Ὀπισαμβώ, s. Lobeck Pathol. Prol. 36) brachten die Alten mit βαίνειν, ἀναβαίνειν in Zusammenhang. Dann würde in dem Suffix eine Beziehung auf den Tanzschritt stecken. Im Refrain erscheint Θρίαμβε Διθύραμβε nebeneinander, wie in dem altlateinischen Liede triumpe; ebenso wird (z. B. bei Kratinos frg. 36 K. τοὺς καλοὺς θρίαμβους, mit Hinweis auf frg. 18 ἀπὸ διθυράμβου ἀρξάμενος) θρίαμβος und διθύραμβος gleichgesetzt. So könnte das Wort zu jenen meist rätselhaften Liedernamen, wie Λίνος Ἰώβακχος Ὑμέναιος Παιάν, gehören, die gewissermassen Hypostasen des Refrains sind. Vielleicht würde man so der ersten Ansicht (mit Luetcke) wieder näher kommen. Über die antiken Etymologien von θρίαμβος s. Luetcke 13f., die von ihm empfohlene (zu θρῖον, vgl. den Dionysos Συκίτης oder Συκεάτης, Sam Wide Lakon. Culte 166) macht prosodische Schwierigkeiten. Klar ist nach alledem nur, dass das Wort ursprünglich ein dionysisches Tanzlied bezeichnet (Poll. I 3. Proklos chrestom. u. a.); doch scheint man es bei dem Zusammenfliessen dionysischer und apollinischer Religion in Delphi wie in Delos auch für den Cult des Apollon in Anspruch genommen zu haben (Cramer Anecd. Oxon. IV 314: διθύραμβος .. ποίημα πρὸς Διόνυσον ᾀδόμενον ἢ πρὸς Ἀπόλλωνα· περιπλοκαὶ ἱστοριῶν οἰκείως – vgl. die simonideischen διθύραμβοι τῶν Δηλιακῶν und Bakchyl. frg. 17 nach Serv. Aen. VI 21; auch in Delos sind Dionysien nachweisbar]. Paian und D. werden häufig einander entgegengesetzt, aber auch mit einander verbunden, so schon bei Pindar frg. 139 a. b p. 446 Schr, ἔντι μὲν τεκέων Λατοῦς ἀοιδαί . . παιανίδες· ἐντὶ ⟨δὲ καὶ⟩ θάλλοντος ἐκ κισσοῦ στεφάνων Διονύσου⟨διθύραμβον μ⟩αιόμεναι κτλ., und es gab Dichtungen, bei denen man schwankte, ob sie als D. oder als Paiane zu bezeichnen seien (s. u. VIIf. XIIf.). An den Thargelien in Athen führte man κύκλιοι χοροί auf, und der Sieger stiftete τοὺς τρίποδας ins Pythion (Suid. s. Πύθιον. Reisch De mus. certam. 12f. Brinck a. a. O. 80); im Beginn der Kaiserzeit weiht ein Dichter τὸν δειθύραβμον (–άμβων?) τρίποδα gar dem Asklepios (Brinck 156), an dessen Spielen also dithyrambenartige Paiane aufgeführt wurden. S. u. XIII.
II. Heimat des Dithyrambus. Als Urheimat des D. gilt 1. Korinth: Pind. Ol. XIII 19 mit Schol., das hier, kaum mit Recht, eine Hinweisung auf Arion sieht (O. Müller Dor. II 368; o. Bd. II S. 838f.); 2. Theben: Pindar ἐν τῷ πρώτῳ τῶν διθυράμβων, frg. 71 p. 40,6 Schr,, offenbar wegen des Geburtsmythus, den Pindar selbst in einem D. (Semele frg. 75 Schr.) behandelt hat (nach ihm Timotheos); 3. Naxos: Pindar ἐν τοῖς ὑπορχήμασιν frg. 115 p. 432 Schr.; vgl. Voss Mythol. Briefe IV 77. Engel Quaest. Nax. IX p. 32. v. Wilamowitz erklärt sich für diese letztere Überlieferung; der D. sei das Lied des Dionysos πελάγιος und von der Hauptcultstätte Naxos über die Inseln eingedrungen. Ein wirklicher Beweis wird sich für diese Annahme schwerlich führen lassen. Durchaus abzulehnen ist die Ansicht M. Schmidts, dass 4. in Grossgriechenland und Italien die eigentliche Heimat des D. zu suchen sei. Was Schmidt (157–184) [1206] dafür vorbringt, beruht auf völlig haltlosen Combinationen und wird schon durch das berühmte Archilochoszeugnis widerlegt, das Schmidt durch eine schlechte Conjectur (er setzt einen Dichter Ἀντίλοχος ein, von dem sonst kein Vers erhalten ist) zu beseitigen wagt. Die Entscheidung wird vor allem von der Frage abhängen, ob das Wort διθύραμβος aus einem bestimmten Dialekte heraus zu erklären ist. In geschichtlicher Zeit gehört der D. zum ritualen Apparat aller Dionysosculte, der ost- wie der westgriechischen.
III. Ursprung und sacrale Bedeutung des Dithyrambus. Vor allem ist festzustellen, mit welcher Art und welchem Akt des Dionysoscults der alte sacrale D. zusammenhing. Die Alten erklärten Διωνύσιο ἄνακτος βουφόνον ... θεράποντα in dem vorgeblich simonideischen Epigramm 172 B. mit διθύραμβον.[1] Der D. erklang also wohl zu oder vor einem blutigen Stieropfer (s. auch Kern oben S. 1041). Dass der διθύραμβος βοηλάτης bei Pind. Ol. XIII 18 ähnlich zu fassen ist, sollte nicht bezweifelt werden; in diesem Punkte scheinen mir die (meinen eigenen Ansichten begegnenden) Combinationen Reitzensteins (Epigramm und Skolion 207. 218 A.) durchaus einleuchtend. Es sind die βακχεῖα .. τοῦ ταυροφάγου (Aristoph. Frösche 357), die wilden Bräuche des Dionysos Ὠμηστής (Crusius Rh. Mus. XLV 267), mit denen wir es zu thun haben; so kommt es, dass der ταῦρος als Preis des Siegers gilt. Wie Voigt und Rohde dargethan haben, ist der (bei Homer noch nicht nachweisbare) sacrale Gebrauch des Weines als religiöses Reizmittel ein Ersatz oder auch eine Ergänzung der alten Omophagie. Wenn Archilochos also den D. singt οἴνῳ συγκεραυνωθεὶς φρένας, so bekennt er, dass zum D.-Vortrag eigentlich die orgiastische Erregung gehört, wie sie sich bei dem mit Oinosponda verbundenen Opfermahl einstellte. Ebenso hiess es im Philoktet des Epicharm οὐκ ἔστι διθύραμβος, ὅκχ’ ὕδωρ πίῃς (Athen. XIV 628 B. Paroem.). Noch Satyros von Samos liess seinen D. (ᾆσμα μετὰ χοροῦ) Dionysos τῇ θυσίᾳ vortragen, s. die delphische Ehreninschrift Bull. hell. XVIII 85 (unten XII). Jedenfalls wusste Aristoteles, was er that, als er die ἐξάρχοντες τὸν διθύραμβον und die Anfänge der Tragoedie streng schied von den ἐξάρχοντες τὰ φαλλικά und den Anfängen der Komoedie. Der im Altertum wie in der Neuzeit wiederholt angestellte Versuch, die beiden dramatischen Hauptgattungen aus einer Wurzel hervorwachsen zu lassen, hat zu keinem einleuchtenden Ergebnis geführt (Crusius Ad Plut. de prov. Alexandrin. comment. 65ff.). Stücke, wie das Phallophorenlied in den Acharnern (263ff.), dürfen in keiner Weise mit dem alten D. in Zusammenhang gebracht werden, wie das neuerdings geschehen ist, ebensowenig der ὕμνος κλητικός der elischen Weiber oder Stellen aus den euripideischen Bakchen.
Zu der Annahme, dass der D. ursprünglich bei einem Opfermahl erklang, stimmt die Bezeichnung [1207] der Dithyrambenchöre als χοροὶ κύκλιοι; sie scheinen um den Opferaltar auf einem kreisrunden Tanzplanz aufgeführt zu sein (s. unten, Luetcke 15f.). Wie das blutige Opfer (im Dionysoscult finden sich noch Rudimente selbst des Menschenopfers) seinem religiösen Sinne nach τὸ θεῖον beschwichtigen und gewinnen wollte, so wird auch der D. einen ähnlichen superstitiösen Sinn gehabt haben In der That scheint er vielfach gerade mit den finstern, chthonischen Elementen der Dionysosreligion (mit dem Seelen- und Heroencult) aufs engste verbunden. Es hätte also einen guten Sinn, wenn es bei Proklos (in einem Wertvollstes und Wertloses verbindenden Abschnitt) mit Bezug auf den D. hiesse: ὁ μὲν γάρ ἐστι (der D.) κοινότερος εἰς κακῶν παραίτησιν γεγραμμένος (καλῶν παραίνεσιν vermutet kaum richtig W. Schmid a. a. O. 10), 6 ὁ δὲ ἰδίως εἰς Ἀπόλλωνα· ὅθεν τὸ μὲν ἐνθουσιῶδες οὐκ ἔχει, ὡς ὁ διθύραμβος κτλ. Aber die ganze Stelle ist unklar und nicht frei von Irrtümern (s. u. Abschn. X); auch ist ὁ μὲν γάρ vielleicht auf den Begriff παιάν zu beziehen. Zu welcher Jahreszeit Archilochos sich das Dionysoslied gesungen denkt, lässt sich nicht sagen. In Delphi ertönten die Dithyramben ἀρχομένου χειμῶνος bis zum Beginn der sommerlichen Monate, wo Apollon sein Regiment wieder antrat (Plut. de Εἶ ap. Delph. p. 389 c). Aber das ist ein Ausgleich, zu dem man nur auf Grund der delphischen Vermittlungstheologie kommen konnte, über die Rohde Psyche II 52ff. verglichen werden mag. Im allgemeinen scheint die heilige Zeit der Dithyrambenaufführungen ins Frühjahr gefallen zu sein. Das zeigt schon das Antigenesepigramm (Simon. 148 B.), in dem die Dithyrambensänger καὶ ῥόδων ἀώτοις geschmückt sind (s. u. IX), ebenso Pindar frg. 139 a. b p. 446 Schr. Aristoph. Nub. 312ff. (mit Schol.), und manche anderen Anzeichen, die Schneidewin Simon. LXXVII. CXXI und C. O. Müller in Schneidewins Ibyc. rell. XI besprochen haben. Vor allem ist der künstlerisch ausgebildete, von einem geschulten Chor gesungene D. in Athen nachweisbar als ständiges Element der grossen Dionysien (Demosth. XXI 4. Aischyl. III 87. O. Kern oben S. 1024. Dittenberger Syll.² 536). Die Annahme, dass auch an den Anthesterien solche Dithyrambenaufführungen stattgefunden hätten (M. Schmidt 200ft.), lässt sich zwar nicht positiv belegen; aber für ihre ἀγῶνες χύτρινοι (Philochoros Schol. Aristoph. Ran. 218) bleibt doch kaum etwas anderes übrig (Brinck 85). Von den (angeblich dionysisch-heitern) ,Frühlingsdithyramben‘ scheidet die herkömmliche Ansicht ,Winterdithyramben‘, in denen dann die πάθη des Gottes und seiner Heroen besungen sein sollen (Schmidt 41ff.). Diese Annahme steht (für Athen) völlig in der Luft, wenn man nicht etwa an die vor die Anthesterien fallenden Lenaeen denken will, für die aber nur ein einziges spätes Zeugnis beizubringen ist, CIA II 1367, ein Stein mit einem Epheukranz und mit den Worten Λήναια διθυράμβῳ, unter anderen Siegen des Kitharoden Nikokles von Tarent. A. Mommsen weist ,die Feier des D.‘ auch den Haloen zu (Feste der Stadt Athen 23); dafür giebt es aber nicht den geringsten Anhaltspunkt. Dagegen ist es sehr wahrscheinlich, dass [1208] an den apollinischen Thargelien dithyrambenähnliche Dichtungen aufgeführt wurden; wenigstens ist der Preis, die Art des Vortrags, die Musikbegleitung dieselbe (CIA II 1236. 1251. Dittenberger Syll.² 704f., s. u. IX. XII). Delische Dithyramben des Simonides kennt die litterarische Überlieferung; ebenso wurden an den Pythien beim Opfer im Stadion gelegentlich ᾄσματα μετὰ χοροῦ mit dionysischem Inhalt vorgetragen (u. XII). So ist der D. schliesslich auch in die Festordnung anderer verwandter Gottheiten eingedrungen; um 52 n. Chr. weiht man in Epidauros τὸν διθύραμβον τρίποδα .. Ἀσκληπιῷ (s. u. XIII). Aber das sind späte Auswüchse. Ursprünglich gehört Lied und Text durchaus in die orgiastische Opferfeier der Dionysosfeste. –Das Vorbild der späteren grossen Dionysien waren die ἀρχαιότατα Διονύσια, die Anthesterien. Ihr eigentlicher Sinn ist durch eine bei den Paroemiographen erhaltene sacrale Formel sicher gestellt (Crusius Allg. Encyl. 2. Sekt. 35, 1883, 266f.; Röschers Lexikon II 1148. 1163). Sie galten vor allem dem Dionysos als dem Herrn der Seelen und Schützer der Ahnen, der zugleich das Fortbestehen der Adelsfamilien, insbesondere des Königshauses, gewährleisten sollte; gerade darum waren sie geeignet, ein Bindeglied der ionischen Stämme und Städte abzugeben (Hiller v. Gaertringen Bd. I S. 2371, u. IX). Sie gipfelten in einem Allerseelenfest mit orgiastischem Gelage, ὡς κατὰ τὴν πόλιν τοῖς Ἀνθεστηρίοις τῶν ψυχῶν περιερχομένων (Phot. I 286, 6). Den Schlussact bildete, wie an den Lemuria der Römer, ein ,Seelenaustreiben‘; die Worte, die man dabei sprach, überliefern uns die Lexikographen (θύραζε, Κῆρες, οὐκέτ’ Ἀνθεστήρια , s. praef. Anthol. lyr. p. XLIX. LXX). Es ist von vornherein wahrscheinlich, dass hier die tiefsten Wurzeln für den Stil und Charakter des D. – oder wenigstens der später zur Herrschaft gelangten wichtigsten Art des D. – und der mit ihm verwandten Gattungen dionysischer Kunst zu suchen sind, deren σεμνότης man schwerlich (mit Aristoteles und den Peripatetikern) als etwas Secundäres wird ansehen dürfen.
IV. Der Dithyrambus bei den Ioniern. Das älteste Zeugnis sind zwei trochäische Tetrameter des Archilochos, Athen. XIV 628 A (frg. 77 p. 404 Bgk.⁴) ὡς Διωνύσιοι’ ἄνακτος καλὸν ἐξάρξαι μέλος οἶθα διθύραμβον οἴνῳ συγκεραυνωθεὶς φρένας. Archilochos steht beim Opfergelage ἐξάρχων der Gemeinde gegenüber; man wird an die ἐξάρχοντες im 24. Buch der Ilias und an das Bruchstück aus einer Lenaeenliturgie bei Schol. Aristoph. Ran. 479 = carm. pop. 5 p. 656 erinnern dürfen, wo ὁ δᾳδοῦχος κατέχων λάμπαδα sagt: καλεῖτε θεόν, und die Mysten singen: Σεμεήϊ Ἴαγχε πλουτοδότα. Archilochos stammte aus einem Adelsgeschlecht, das in den Demeter-Dionysosorgien (vgl. die Demeterepiklese in den Iobakchen. frg. 120 p. 421 Bgk.) eine Rolle spielte (o. Bd. II S. 490). Es ist klar, dass hier von der einfachsten, rein ritualen Form des D. die Rede ist. Bedeutsam ist der Gegensatz zwischen dem Exarchon und dem Chor; darin hat später Aristoteles den ersten Keim der Tragoedie gesehen. Die Meinung, dass der Inhalt der ältesten Dithyramben Διονύσου γένεσις gewesen sei, steht bei Platon (Leg. III 700) in unverkennbarem Zusammenhang [1209] mit der Herleitung des Wortes von dem Geburtsmythus des Gottes, wie in einem D. des Pindar (frg. 75 p. 411 Schr.) und in des Timotheos Σεμέλης ὠδῖνες. Urkundlich belegbar war das schwerlich. Neben dem Mythus des Dionysos sollen die Mythen eines bestimmten Kreises dem Dionysos verwandter Götter, wie Hephaistos, Hermes, Briareus, Pleiaden, ,ursprünglich‘ bevorzugt gewesen sein (so nach O. Müller und andern M. Schmidt 207ff.). Belegen lässt sich auch das nicht. In den chorischen Dithyramben wenigstens wird stets die Heldensage (der ja auch der Geburtsmythus des Semelesohnes angehört) in weitestem Umfang herangezogen; es ist unmöglich, ohne die äusserste Künstelei (wie es Schmidt versucht hat) überall besondere Beziehungen zu Dionysos herzustellen.
V. Der chorische Dithyrambus. Dithyrambenartige Dichtungen in Grossgriechenland. Mit dem alten ritualen Dionysoslied hat der künstlerische D., wie wir ihn vor allem durch die Dichtungen des Bakchylides kennen gelernt haben, wenig gemein. Vereinzelt tritt auch hier der ἐξάρχων, in einer Heldenrolle, dem Chor gegenüber (Bacch. XVIII, s. Philol. LVII 173). In weitaus den meisten Fällen besingt der Gesamtchor irgend ein Abenteuer aus der Heroensage δι’ ἀπαγγελίας αὐτοῦ τοῦ ποιητοῦ (wie das noch Plat. Rep. III 394 A als Regel für die Dithyramben bezeugt). Der Stil ist aber nicht rein episch, sondern erinnert an Ton und Färbung der modernen Ballade (Crusius Philol. LVII 163. 169. 175, ähnlich v. Wilamowitz, Zielinski u. a.). In beiden Fällen hat die Einwirkung der Musik auch die poetische Behandlung umgestimmt (Philol. LVII 174 Anm.). Dass dieser Stil auf dorischem Boden gewachsen ist, unterliegt keinem Zweifel. Die älteste Analogie bietet das grosse Papyrusfragment Alkmans mit der Darstellung der Hippokoontidensage; aber das ist ein Parthenion, und neben der Heroenaventiure steht in behaglicher Fülle die Schilderung des wirklichen Lebens und der Preis edler Frauen. Die engste Stilverwandtschaft hatten dagegen nach allem, was wir wissen, die Dichtungen des Stesichoros und seiner Landsleute. Sie enthielten Abenteuer aus der Heroensage, nach denen sie (wie die Dithyramben des Bakchylides) benannt werden (ἆθλα ἐπὶ Πελίᾳ, Κέρβερος, Κύκνος, Ἐπιφύλα u. s. w.); sie sind in einer temperierten Doris geschrieben und in breite, meist triadisch angelegte Strophengebilde gegliedert (Comment. Ribbeck. 10ff.); ihre Musik war phrygisch gesetzt, wie die der Dithyramben (ὑμνεῖν Φρύγιον μέλος Stesich. frg. 37 p. 221, s. u. S. 1217); sie waren δαμώματα, Leistung des δᾶμος, also eines Chores (frg. 37); sie wurden aufgeführt im Frühjahr, ὅταν ἦρος ὥρᾳ κελαδῆ χελιδών (Stesich. frg. 36) oder ἦρος ἐπερχομένου (frg. 37). Wir dürften sagen: Die Dichtungen des Stesichoros waren Dithyramben, wenn Beziehungen zu Dionysos nachweisbar wären; wir hätten dann anzunehmen, dass der Heroencult (mit dem sie schon Schneidewin und O. Müller in Zusammenhang gebracht haben) damals in Unteritalien aus der Dionysosreligion neue Kraft gewonnen hätte. Für die Zugehörigkeit dieser Dichtungen zur hellenischen ,Grabesreligion‘ lassen sich in der That Indicien beibringen, so die Stellen, [1210] wo der Dichter gegen ausschweifende Trauerceremonien opponiert (Stesich. frg. 50ff. E. Rohde Psyche 495). Ausser von Poseidon, der angerufen wird, spricht der Dichter in religiösem Sinn von Apollon und Hades (50); ausserdem erwähnt er die dionysischen βρυλλίκται, über die Lobeck (Aglaoph. II 1086 b) das Nötige giebt (falsch Bergk zu Stesich. frg. 79 p. 230). Bemerkenswert ist es, dass die Hauptvertreter der orphisch-dionysischen Bewegung in der Pisistratidenzeit aus Unteritalien und Sicilien stammen (Rohde Psyche³ II 106).
Wir würden über diese Fragen vermutlich besser urteilen können, wenn wir die einschlagenden Schriften des Aristoxenos besässen. Im βίος Τελέστου sprach Aristoxenos von der alten Blüte der Lyrik bei den Lokrern und Rheginern (Apollon. mirab. 40 = frg. 36 p. 92 Mahne. FHG II 382). Es sei eine jener unheimlichen, vor allem die Frauen ergreifenden psychischen Epidemien ausgebrochen, die man als Folge der Besessenheit ansah und meist dem Dionysos zuschrieb; ματευομένοις δὲ τοῖς Λοκροῖς habe das Orakel damals empfohlen, παιᾶνας ᾄδειν ἐαρινοὺς . . ὅθεν πολλοὺς γενέσθαι παιανογράφους ἐν Ἰταλίᾳ. Von den Leistungen dieser Dichtergruppe scheint sich allerdings litterarisch so gut wie nichts erhalten zu haben; biographische und litterargeschichtliche Notizen geben, wohl nach Aristoteles, auch andere Peripatetiker (Heraclid. polit. 30, 1. FHG II 218). Genannt werden Erasippos, Xenokritos, Xanthos; Stesichoros gilt als jünger; er scheint Xenokritos und Xanthos als Vorgänger citiert zu haben (die ,Fragmente‘ bei Bergk 204 gehen auf solche Citate bei Stesichoros zurück; Texte der ,lokrischen Dichterschule‘ hat es in der Hellenistenzeit nicht mehr gegeben). Der erste Musik- und Literarhistoriker, Glaukos von Rhegion (FHG II 24), giebt uns Anhaltspunkte, von denen aus sich ein Bild dieser alten unteritalischen Cult- und Chorlyrik gewinnen lässt. Περὶ δὲ Ξενοκρίτου, heisst es bei Plutarch de mus. 10, ὃς ἦν τὸ γένος εκ Λοκρῶν τῶν ἐν Ἰταλίᾳ, ἀμφισβητεῖται εἰ Παιάνων ποιητὴς γέγονεν· ἡρωικῶν (ἡρωικὰ?) γὰρ ὑποθέσεων πράγματα ἐχουσῶν ποιητὴν γεγονέναι φασὶν αὐτόν· διὸ καί τινας διθυράμβους καλεῖν αὐτοῦ τὰς ὑποθέσεις (vgl. O. Müller Dor. II 322). Diese Dichter arbeiteten wohl überwiegend für den unteritalischen Apollondienst; ihre Schöpfungen – melisch vorgetragene ἡρωικαὶ πράξεις – waren aber keine gewöhnlichen Paiane, sondern erschienen den verwandten Vorträgen bei den dionysischen Festen dermassen ähnlich, dass man sie Dithyramben nannte (wie die verwandten Stücke des Bakchylides). Bedeutsam genug tritt hier der superstitiöse und religiöse Charakter dieser chorischen Lyrik hervor.
VI. Der Dithyrambus in Korinth und die τραγικοὶ χοροὶ in Sikyon. Alte Überlieferung wusste von chorischen Dithyrambenaufführungen in Korinth, am Hofe des Periander; denn so wenig zuverlässig im einzelnen die Nachrichten über Arion sein mögen: dass die als Hintergrund gezeichneten Verhältnisse und Zustände geschichtlich sind, wird sich nicht bestreiten lassen (näheres Bd. II S. 840; nachzutragen ist die Anekdote bei Athen. VIII 350 C, in der den Athenern die scenischen, den Korinthern die thymelischen [1211] Agone zugewiesen werden). Eine nicht weiter controllierbare Notiz bei Suidas berichtet, dass in jenen Dithyramben Satyrn ἔμμετρα λέγοντες aufgetreten seien.[2] Man pflegt hiermit zu combinieren die Nachrichten über verwandte Aufführungen in Sikyon, die wir Herodot (V 67) verdanken. Τά τε δὴ ἄλλα – heisst es in einer Einlage des Kleisthenescapitels – οἱ Σικυώνιοι ἐτίμων τὸν Ἄδρηστον καὶ δὴ πρὸς τὰ πάυεσα αὐτοῦ τιμῶντες. τὸν δὲ Ἄδρηστον. Gegen die herkömmliche (auch in dieser Encyklopädie a. O. angenommene) Deutung der τραγικοὶ χοροί als ,Bockschöre‘, Chöre in der Maske der τράγοι = Σάτυροι hat allerdings zuletzt E. Reisch schwerwiegende Bedenken vorgebracht.[3] Aber Herodot findet offenbar in der Art dieser Aufführungen etwas dem Dionysos ganz besonders Eigentümliches; ,tragische Chöre‘ im Sinne von Reisch besitzen diesen Charakter kaum noch; sie sind ja οὐδὲν πρὸς τὸν Διόνυσον. Vielleicht ist die Stelle doch so zu verstehen, dass Herodot eben an der grotesken Maske im Heroencult Anstoss nahm; ihm scheint Dionysos als der rechtmässige Herr solcher Spiele (daher heisst es weiter Κλεισθένης δέ ⟨τοὺς⟩ χοροὺς μὲν τῷ Διονύσῳ ἀπέδωκε, τὴν δὲ ἄλλην θυσίαν Μελανίππῳ). Dass auch diese Erklärung durchaus problematisch bleibt, wird man Reisch zugestehen müssen. Aber nicht problematisch ist die Existenz und der Stil des Satyrdramas. Auf den Gedanken, die Heroensage mit einem Satyrchor zusammen zu zwingen, konnte ein Poet im Zeitalter der Perserkriege nicht verfallen; verständlich wird die schon früh grotesk wirkende Form nur, wenn wir sie als Rudiment der alten lyrisch-sacralen Phase des Dramas ansehen. Nun stammen die bekanntesten Satyrspieldichter (Pratinas von Phlius, Aristias) aus den [1212] peloponnesischen Nachbarstädten Attikas. Hier muss also das Nebeneinander eines Stoffes der Heldensage und der Satyrmaske des Chors in der religiösen Volkssitte wirklich bestanden haben (s. auch unten X). Von hier aus fällt auf die Überlieferung von den χοροὶ τραγικοί in Sikyon und den Satyrdithyramben des Arion doch wohl das rechte Licht. Es ist also vorläufig kaum geraten, in diesem Punkte die in besserer Sachkenntnis begründeten Ansichten des Aristoteles zu verlassen, der unverkennbar den D. und τὸ Σατυρικόν als ursprünglich identisch ansetzt und darin die Vorstufe der Tragoedie sieht. Doch mag man über diese sozusagen transcendenten Probleme denken, wie man will: eine sichere Thatsache ist es, dass der älteste urkundlich nachweisbare Inhalt dithyrambenartiger Chorlieder ein Stück Heldensage (die πάθεα des Schutzheros einer peloponnesischen Stadt) ist. Schwerlich hat erst die Tyrannis in dieser Zeit den Heroencult und den Heldenmythus in die dionysische Religion hineingezogen, so gern sie deren seelenzwingende Macht in ihren Dienst stellte. Jene Verbindung war allem Anschein nach längst vorhanden; sie hat auch nichts Befremdendes oder Unorganisches an sich. Dionysos war selbst ἥρως (so wird er in dem ὕμνος κλητικός in Elis angerufen); Ἡρωίς hiess eine Dionysosfeier in Delphi (Lobeck Aglaoph. 619. Rohde Psyche II 45), Ἡρόχια die dionysischen Opfermahle in andern Städten (Lobeck Aglaoph. 596 c); und dass in seinem Hauptfest die Grundlage des Heroendienstes, der alte Seelencult, klar zu Tage tritt, ist schon oben (S. 1208) hervorgehoben. Litterarisch hat sich von diesen ältesten dithyrambenartigen Dichtungen aus dem Peloponnes nicht die leiseste Spur erhalten. Die Meister, welche in den nächsten Generationen die Form künstlerisch durchbildeten, scheinen sich in ihrer Kunst eher an Alkman und Stesichoros (der bis in die attische Zeit hinein populär blieb) angeschlossen zu haben, als an diese unmittelbaren Vorgänger.
VII. Der Dithyrambus in Argos, Lasos, Simonides und Kunstverwandte. Nach Herodot (III 131) κατὰ τὸν αὐτὸν χρόνον (des Polykrates) καὶ Ἀργεῖοι ἤκουον μουσικὴν εἶναι Ἑλλήνων πρῶτοι; bis in die Hellenistenzeit blieben die argivischen Auleten neben den boiotischen besonders geschätzt (Paus. IV 27, 4. O. Müller Dor. II 332; s. u. IX). Wirklich trägt die, in Vergleich mit der ionischen sog. Vocalnotenschrift von besserer Einsicht zeugende ,Instrumentalnotenschrift‘ Spuren davon, dass sie in der Argolis entstanden ist (Crusius Delph. Hymnen 97, 131), das allein würde einen lebhaften Betrieb der Musik und Musiktheorie auf diesem Boden beweisen. So hat denn der Norden des Peloponnes im ausgehenden 6. und auch noch im 5. Jhdt. auf die Pflege der Musik und des Chorliedes in Griechenland einen bestimmenden Einfluss gehabt. Zu den frühesten in Athen wirkenden Nordpeloponnesiern gehört jener Epikles ?ξ Ἑρμιόνης, der sich als hochberühmter Mann in Athen aufhielt, zu einer Zeit, wo Themistokles noch jung war (Plut. Themist. 5); ebenso wohl jener Βακχιάδας Σικυώνιος, der Chorodidaskalos und Vortänzer in Thespiai (s. o. Bd. II S. 2788. Bd. I S. 2034 s. Anakos). Und wenn der erste Sieg in den Männerchören [1213] der athenischen Agone dem Hypodikos von Chalkis zugeschrieben wird (Ol. 68, l = 508), so ist auch das indirecter nordpeloponnesischer Einfluss, da Chalkis wirtschaftlich und culturell damals mit Korinth zusammengehörte (Marmor Par. 61/46). Nach alledem kann es nicht überraschen, dass als der eigentliche Gesetzgeber des chorischen D. Lasos von Hermione galt, der wie Bakchylides und Simonides am Pisistratidenhofe thätig war und als erster litterarischer Kritiker die Fälschungen des Onomakritos entlarvte. Nach Suid. s. v. πρῶτος . . περὶμουσικῆς λόγον ἔγραψεκαὶ διθύραμβον εἰς ἀγῶνα εἰσήγαγε (in Athen). Über sein Verhältnis zu Hypodikos lässt uns die Überlieferung im unklaren (Schneidewin De Laso 12). Ausgeschlossen ist es, dass von Hypodikos überhaupt der erste kunstgemässe D. in Athen aufgeführt sei; Lasos, Simonides, Bakchylides können bei ihrem Wirken am Pisistratidenhofe ihre glänzendsten Leistungen, die Festlieder für den von Peisistratos besonders begünstigten Dionysoscult, nicht unter den Scheffel gestellt haben. Der Sieg des Hypodikos, 508, ist das erste künstlerische Ereignis im freien Athen nach der Neuordnung der Verhältnisse durch Kleisthenes; an Stelle der an den Tyrannenhof geladenen Künstler (die sich auch schon in einem Agon gemessen haben mögen, vgl Reisch De mus. certam. 3ff.) treten die von den neuen Phylen ausgerüsteten Männerchöre (näheres unter Hypodikos und Lasos). – Es liegt sehr nahe, die Ausgestaltung der sog. Instrumentalnotenschrift auf Lasos als den ersten musikalischen Theoretiker zurückzuführen, zumal einzelne Zeichen geradezu an das in Hermione übliche Alphabet erinnern (Crusius Delph. Hymnen 97, 131). In Athen scheint Lasos dem Simonides als überlegener Rivale entgegengetreten zu sein (Arist. Vesp. 1410. Schneidewin 12). Im übrigen sind die Spuren seiner Thätigkeit fast völlig verwischt; was man von seinen Dithyramben zu besitzen meinte, wurde von der Kritik des Altertums beanstandet. Bei Plut. de musica 29 p. 1141C gilt er geradezu als Bahnbrecher des neuen Musik- und Dithyrambenstils (s. Reinach 114ff.). Die Überlieferung über ihn berührt sich übrigens mit der über Arion auf manchen Punkten, vor allem darin, dass er in den Kreis der Sieben Weisen aufgenommen wurde. Schon Aristophanes kannte Anekdoten, die ihn mit Simonides debattieren liessen, und einige χρεῖαι bei Aristoteles-Ariston (Val. Rose Arist. Ps.-epigr. 613) und Chamaileon (Athen. VIII 338) machen ganz den Eindruck, als ob sie aus einer novellistischen Gestaltung dieser Stoffe nach Art unseres Homer-Hesiod-Certamen und Sieben-Weisenmahls losgelöst wären. Das alles ist offenbar nicht im eigentlichen Sinne historisch, wenn es auch zu der Notiz von den ἐπιστικοὶ λόγοι Anlass gegeben haben mag. Aber bezeichnend ist es für den grübelnden Theoretiker, und bedeutsam tritt der Gegensatz hervor zwischen dem Dorier Lasos und Simonides dem Ionier. Der Gegensatz wiederholt sich zwischen Lasos Schüler Pindar und dem greisen keïschen Meister und seinem Neffen; denn dass die bekannten Ausfälle in den Epinikien auf diese Concurrenten Pindars zu beziehen sind, scheint mir (obgleich andere andere Folgerungen gezogen haben) durch das Schweigen des Bakchylides durchaus nicht [1214] widerlegt (s. Philol. LVII 1898, 177). Neben Lasos steht Praxilla von Sikyon, deren Dichtungen aus der Homersage (Achilleus) Dithyramben genannt werden (frg. 1 p. 566 Bgk.). Ob sie wirklich für Knaben- oder Männerchöre bestimmt waren? Die in mancher Beziehung verwandten Dichtungen der Korinna von Tanagra (Kataplus, Boiotos, Iolaos u. s. w.) waren zum Vortrag unter Frauen bestimmt (frg. 20f.); sie gelten als Fortsetzung der alten Nomendichtung. Doch zeigt gerade ein Fragment der Korinna (21), dass Frauen auf dem Gebiet der Dichtung sich mit den Männern (doch wohl im Agon) zu messen wagten, v. Wilamowitz hat neuerdings gemeint, Praxilla müsse eine Hetaere gewesen sein, weil sie Paroinien geschrieben habe. Aber schon im Altertum galten diese skolienartigen Dichtungen (in denen in kühl gnomischer Weise, etwa im Stil des Theognis, ein ἑταῖρος angeredet wird) als unecht (ἐκ τῶν εἰς Πραξίλλαν ἀναφερομένων, frg. 4). Jene dithyrambenartigen Dichtungen waren für den Cult bestimmt; von einer Hetaere können sie nicht herrühren (s. Praef. Anthol. lyr. p. LXII). Übrigens haben die erhaltenen Verse aus dem Achilleus und Adonis die einfache hexametrische Form der Hymnen und Nomen; chorische Dithyramben im Sinne der Meliker können diese Dichtungen nicht gewesen sein. Möglich, dass in dem Citat Hephaist, 22 ἐν διθυράμβοις ἐν ᾠδῇ ἐπιγραφομένῃ Ἀχιλλεύς die zweite Bezeichnung als eine Correctur der ungenauen ersten [ἐν διθυράμβοις] zu betrachten ist.
VIII. Pindar. Darf man nach den Dichtungen des Bakchylides urteilen, so bewahrten die beiden ionischen Meister im ganzen die alte Form, wie sie vor allem Stesichoros ausgebildet hatte, insbesondere behielten sie die strenge strophisch-epodische Gliederung bei. Kühner ging Pindar vor. Zwar meint man in dem arg verstümmelten Fragment aus Hippolytos (74), das durch Vermutung für die Dithyramben in Anspruch genommen ist, epodische Gliederung zu erkennen (Schröder p. 409ff.). Aber das grosse Anfangsstück der Semele (p. 411 Schr.) bewegt sich unverkennbar numeris lege solutis, wie sie schon Horaz für Pindars audacis dithyrambos bezeugt (c. IV 2, 11), jedenfalls auf Grund guter griechischer Tradition, die auch in dem metrisch-musikalischen Fragment hinter Censorin (Cap. 9 = G. L. VI 608 K.) zu Worte kommt: Pindari . . ., qui liberos etiam numeris modos [so G. Hermann] edidit (bei Horaz mit Lucian Müller im Gegensatz zu Kiessling einfach einen Irrtum anzunehmen, liegt kein Grund vor; die breiten Strophen Pindars werden bei Ps.-Censorin ganz deutlich von den ἀπολελυμένα geschieden; also verstand der Urheber dieser Ansicht die alten Strophen noch zu analysieren). So mag sich der Spott über die σχοινοτένεια διθυράμβοων ἀοιδά (wie u. a. Schmidt annimmt) in der That auf den gleichmässigen Strophen- und Versbau der älteren Dithyramben bezogen haben. Ob Pindar der kühne Neuerer war, ob er aus boiotischer (Korinna) oder argivischer Kunst (Lasos) Anregungen empfing, lässt sich nicht mehr feststellen; eine Überlieferung bei Plutarch de musica 29 p. 1141 c scheint Lasos als den Einführer der neuen διθυραμβικὴ ἀγωγὴ und überhaupt als den grossen Revolutionär hinzustellen (oben S. 1213, [1215] auch unten S. 1215). Jedenfalls ist dieser folgenschwere καινοτομία durch das Bedürfnis nach musikalisch-rhythmischer Charakteristik veranlasst (s. u S. 1222). Bemerkenswert ist es nun, dass wir ἀπολελυμένα schon bei Aischylos im Prometheus finden, und zwar in der Monodie eines Agonisten (für den nach den aristotelischen Problemen 19, 15 = Musici gr. p. 86 v. J. das Aufgeben der antistrophischen Form am wenigsten Schwierigkeit machte). Wer die verwandten Erscheinungen bei Pindar in Rechnung stellt, wird die Ansichten Bethes (Prolegomena zur Geschichte des Theaters 163) in diesem Punkte beanstanden müssen. Die Rhythmik der sichern Dithyrambenfragmente Pindars ist auch im einzelnen bunt und unruhig; für frg. 75 sind kretisch-paionische Elemente charakteristisch, die einigemal (v. 12f.) durch die engverwandten Bakcheen abgelöst werden (Bakcheen typisch im D. nach Eustath. Od. VI 247; sie kommen in der That schon bei Aischylos in dem Dionysoslied der Bassarai vor, frg. 23, zu combinieren mit frg. 341, ebenso in der vermutlich vom D. beeinflussten Prometheus-Monodie v. 115). Neuerdings hat Fr. Blass (Herm. XXXVI 278; Die Rythmen der attischen Kunstprosa 188) auch in einem Epinikion des Bakchylides (VII) Apolelymena erkennen wollen. Bakchylides hätte dann die Kunstform aus dem Dithyrambenstil seines Concurrenten adoptiert und wenig glücklich auf ein Gebiet übertragen, wo sie kaum hinpasst. Aber der Text des Liedes ist lückenhaft überliefert, und da Bakchylides sogar seine Dithyramben durchaus strophisch anzulegen pflegt, hat die Annahme, dass er ein Epinikion ,durchcomponiert‘ habe, von vornherein wenig Wahrscheinlichkeit. – In der jüngeren Form des Pinax der Pindarischen Dichtungen (Schroeder p. 387f.) werden am Schluss δράματα τραγικά erwähnt; es liegt nahe, den viel umstrittenen Titel auf eine Sondergruppe dialogischer Dithyramben zu beziehen, nach Art des Bakchylideischen Theseus.
IX. Der Dithyrambus in Athen. Die Tragoedie. Von Dithyrambenaufführungen am Pisistratidenhof können didaskalische Notizen keine Kunde geben. Dass wir dort aber die Pflege dieser Kunstgattung voraussetzen müssen, wurde bei der Besprechung des Verhältnisses zwischen Lasos und Hypodikos schon angedeutet. Zwar kannte auch der attische Adelsstaat, wie die meisten ionischen πόλεις, den Dionysosdienst als einen staatlichen Hauptcult; es ist eine durchaus unmögliche Vorstellung (obgleich sie neuerdings mit Nachdruck empfohlen ist), dass jene auf den primitivsten Anschauungen beruhende Ceremonie des γάμος und der σύμμιξις der Basilissa mit dem Gott (so sollte der Gott, der selbst als ἥρως und Ahnengeist gedacht zu sein scheint, vermutlich im Königsgeschlecht reincarniert werden) in der Zeit nach Peisistratos entstanden sei. Aber der Adelsstaat hatte diesen orgiastischen Dienst nach Kräften mehr und mehr eingeschränkt und sozusagen gebändigt. Erst die Kirchenpolitik der Tyrannis gab ihm neuen Aufschwung. Meister, wie Lasos, Simonides und Bakchylides, die am Pisistratidenhofe verkehrten, hatten dem Dionysoslied den höchsten künstlerischen Glanz verliehen; wenn irgendwo, so war im Kreise der attischen Tyrannis der rechte Platz für solche Schöpfungen. [1216] Das attische Publicum war bereits künstlerisch erzogen, als die ‚Tyrannen‘ vertrieben wurden und Kleisthenes seine Reformen durchsetzte. Nur so versteht es sich, dass mit der politischen Neuordnung der Verhältnisse ohne weiteres eine Regelung der künstlerischen Leistungen der Bürgerschaft verbunden werden konnte. Mit dem Siege des Hypodikos 508 beginnt jene Zeit höchster musischer Cultur einer ganzen Gemeinde, wie sie die Welt nicht wieder gesehen hat. Die kleisthenischen Institutionen demokratisierten die Kunst und adelten zugleich den attischen Demos durch hohe Ansprüche an seine ästhetische Bildung. Die Phylen kämpften von nun an durch die von ihnen gestellten Bürgerchöre selbst um den Ehrenpreis.
Anordnung und Gang des lyrischen Agons gestatten uns litterarische und inschriftliche Zeugnisse genau festzulegen, wie das mit bestem Erfolge zuerst in den Arbeiten von Reisch und Brinck geschehen ist; es genügt hier im allgemeinen auf den gut orientierenden Artikel Didaskaliai von Reisch (o. S. 394, bes. S. 402f.) zu verweisen. Die ältesten Belege sind: Simonides frg. 147 p. 496 B. .. . ἐνίκα Ἀντιοχὶς φυλὴ . . τρίποδα... Ἀριστείδης ἐχορήγει πεντήκοντ’ ἀνδρῶν.. χορῷ. ἀμφὶ διδασκαλίῃ Σιμωνίδῃ ἕσπετο κῦδος; nicht gleich authentisch Simon, frg. 145 p. 495 B. ἓξ ἐπὶπεντήκοντα, Σιμωνίδη, ἤραο ταύρους καὶ τρίποδας, ferner das (schon von Hartung richtig eingeschätzte) Epigramm des Antigenes (= Simonid. frg. 148 B.) πολλάκι δὴ φυλῆς Ἀκαμαντίδος ἐν χοροῖσιν Ὧραι ἀνωλόλυξαν κισσοφόροις ἐπὶ διθυράμβοις (v. Wilamowitz Herm. XX 66f., wohl etwas später anzusetzen, s. Reisch De mus. certam. 14). Das inschriftliche Material bei Reisch und Brinck a. O., das Wichtigste daraus auch bei Dittenberger Syll.² 704ff. In den oben erwähnten Epigrammen, wie in den Weihinschriften wird erwähnt: die Phyle und der Chorege, der Dichter oder Chorodidaskalos, der Aulet (Genaueres bei Reisch); erst in jüngeren Inschriften pflegt, der veränderten Bedeutung der Musik entsprechend, der Aulet vor den Didaskalos gestellt zu werden. Unter Umständen vereinigen sich später zwei Phylen zu gemeinsamem Wettkampf; in diesem Falle pflegt (wie Dittenberger zu nr. 704 bemerkt) der Chorege (statt der Phyle) als νικήσας genannt zu werden. Nach Aristoteles (Ἀθ. πολ. 56, 3; vgl. Antiph. VI 11) war das ausschliesslich bei den Thargelien der Fall (vgl. A. Mommsen Feste der Stadt Athen 482, anders Dittenberger Syll. a. a. O.). Am Ende des 4. Jhdts. machte die agonistische Ordnung für die χοροὶ κύκλιοι dieselben Wandlungen durch, wie bei den übrigen musischen Aufführungen; zeitweise trat der δῆμος als Chorege ein, und neben ihm ein ἀγωνοθέτης: Reformen, die von U. Koehler auf Demetrios von Phaleron zurückgeführt sind (Dittenberger Syll.² II p. 539. Reisch De mus. cert. 45ff. Brinck 96f.).
Als eigentlicher Sieger galt die Phyle, die die Choreuten stellte (Brinck 79f. Reisch 167). Das Schol. Plat. Rep. 122 p. 400 Bekk. weiss, dass τῶν ποιητῶν τῷ μὲν πρώτῳ βοὺς ἔπαθλον ἦν – ebenso Anth. Pal. VI 213, Simon, frg. 145 –, τῷ δὲ δευτέρῳ ἀμφορεύς, τῷ δὲ τρίτῳ τράγος, ὃν τρυγὶ κεχρισμένον ἀπῆγον. Der der Phyle und [1217] ihrem Choregen zufallende Hauptpreis war ein τρίπους (Athen. II 37. Luetcke 59f. Brinck 80), den man zu weihen und als Siegesmonument aufzustellen pflegte (s. Boeckh CIG I p. 342ff. Ps.-Plut. X or. Biogr. p. 239 Westerm.). Ausserdem ist in dem Antigenes-Epigramm und bei Simonid. frg. 145 von den ἅρμασιν . . Χαρίτων oder dem ἅρμα Νίκας die Rede. Wenn man die Wendung wörtlich nehmen darf, wurden der Chorege und der Dichter, wohl auch der Aulet, in feierlicher πομπή eingeholt. Die in Athen altherkömmliche Zahl der zugleich als Sänger wirkenden Choreuten ist 50; später scheint man aber auch grössere Massen in Bewegung gesetzt zu haben (Belegstellen bei Luetcke 60f.), bis schliesslich der Chor wieder auf die Hälfte (unten XIII) zusammenschrumpfte. Die Aufführenden waren festlich bekränzt mit Blumen und Kissos, wie am Anthesterienfest (Antigenes a. O. Pind. frg. 139 p. 446 Schr., dazu das Sprichwort ἄκισσος μετ’ Ἀνθεστεστήρια bei Ammonios und Apostolios).
Von der Orchestik ist keine rechte Anschauung zu gewinnen. Die τυρβασία ist nach Hesych (vgl. Poll. IV 16) χορῶν ἀγωνή τις διθυραμβικῶν (daher der Name ΤΥΡΒΑΣ eines Tänzers bei Jahn Vasenbilder, Hamburg 1839, 28); das Wort scheint peloponnesisch-dorischen Ursprungs, denn die Argiver τῷ Διονθσ . . ἑορτὴν ἄγουσι καλουμένην τύρβαν (Paus. II 24, 6). In einem D. des Kinesias scheint eine Pyrrhiche vorgekommen zu sein (Aristoph. Ran. 153), ein Tanz, der gleichfalls in dorischer (kretischer und spartanisch-argivischer) Festsitte (O. Müller Dorier II² 246) ausgebildet ist.
Die χοροί heissen κύκλιοι (Xenoph. oecon. VIII 20), wohl von dem kreisrunden Tanzplatz, dem umhegten κύκλος um dem alten Opferaltar (Aristoph. Frösche 440 χωρεῖτε νῦν ἱρὸν ἀνὰ κύκλον) und ihrer schon dadurch bestimmten Aufstellung und Bewegung (Aristoph. Vögel 1378. Spanheim zu Callim. hymn. in Dian. 267). In der Mitte, auf den Stufen des βωμός, stand der Flötenspieler (Schol. Aeschin. Timarch., Abhdl. Akad. Berl. 1836, 281 ἐν τοῖς χοροῖς δὲ τοῖς κυκλίοις μέσος ἵστατο αὐλητής. Luetcke 62). So hiessen die beim D. gespielten Flöten selbst κύκλιοι (Hesych. s. v. Boeckh De metr. Pind. p. 259) und auf Inschriften ist von κύκλιοι αὐληταί die Rede; Parallelbezeichnungen sind offenbar χορικοὶ αὐλοί (διθυράμβοις προςηύλουν Poll. IV 80) und χοραυλαί (CIG 1585. 1719f., mehr bei Joh. Frei De certaminibus thymelicis 67ff.). Der herkömmliche τόνος war der phrygische, der sich auch später, wo man reichere Modulationen liebte, die Herrschaft immer wieder eroberte (s. Aristot. Polit. VIII 7 p. 1342 b). Gerade für Flötenmusik schien er besonders geeignet zu sein (Telestes Athen. XIV 625 F); er galt als ὀργιαστικὸς καὶ παθητικός (Aristot. Polit. VIII 7. 9 extr. Plut. de mus. 19) oder religiosus (Apul. Flor. 20 p. 5, 2 K.). Der διθυραμβικὸς τρόπος (Stil) im ganzen wurde vom νομικὸς und τραγικὸς schon nach der Stimmlage (Aristid. Quintil. I 30 M. 20 T.) geschieden. Wesentlich scheint dabei die Temponahme (ἀγωνή) gewesen zu sein, für die (nach Plut. de mus. 29 p. 1141 C) Lasos von Hermione als bahnbrechender Meister galt. Mit unsern Mitteln ist das alles nicht recht anschaulich zu machen.
[1218] Der erste Chorodidaskalos der officiellen Siegerliste war noch ein Fremder, Hypodikos von Chalkis (508, s. o. S. 1213). Aber bald werden auch attische Bürger genannt als Dichtercomponisten. Als Hauptvertreter des alten Dithyrambenstils in Attika muss Lamprokles von Athen, der Sohn (?) des Meidon, gelten (Ar. Nub. 968. PLG III⁴ 554ff. Bgk.); er steht, als Schüler des Agathokles, zeitlich etwa mit Pindar und Bakchylides auf einer Stufe. Die inschriftlich nachweisbaren χοροδιδάσκαλοι sind erheblich jünger; zu den ältesten mag Nikostratos gehören (CIA I 337. Reisch 31). Im übrigen waren es freilich bis tief ins 5. Jhdt. hinein vor allem die im vorigen Abschnitt behandelten fremden Meister, die für den Bedarf an Dithyramben in Athen sorgten. So blieb das Hochlied des Dionysos in Athen nach Dialekt und Musik ein dorisches Kunstwerk. Mit seinem Einzug fallen die Anfänge der attischen Tragoedie zusammen. Die neuerdings bemängelte Darstellung, die Aristoteles von diesen Dingen gegeben hat, wird bestätigt durch eine Analyse der Form; die in den ältesten Stücken durchaus vorherrschenden chorischen Partien haben dorische Dialektfärbung und knüpfen an die chorische Lyrik der Dorier an; damit verbindet sich die seit Solon in Attika heimische ῥῆσις in Tetrametern und Trimetern, die allmählich, mit dem Durchschlagen des rein dramatischen Elements, die Herrschaft gewinnt.
X. Der Dithyrambus in der Komoedie. Das Satyrdrama in Athen. Die Bozkoloi des Kratinos (Com. I p. 18 K.), ein Stück mit bakchischem Inhalt (Philol. XLVII 34), begannen mit einem D. (Hesych. s. v. πῦρ παρέγχει· Κρατῖνος ἀπὸ διθυράμβου ἐν Βουκόλοις ἀρχόμενος, darauf weiter zu beziehen frg. 36 ὅτε σὺ τοὺς καλοὺς θριάμβους ἀναρύτουσ’ ἀπηχθάνου, frg. 36); ähnlich wohl Ekphantides, aus dessen Σάτυροι eine Apostrophe an Dionysos (Εὔιε κισσοχαῖτ’ ἄναξ χαῖρε) citiert wird (s. Philol. Suppl. VI 277f.). Wären diese Komoedien, vor allem die βουκόλοι, erhalten, würde sich eine bessere Vorstellung von der Art und Bedeutung des alten rituellen D. gewinnen lassen. In den Komoedien des Aristophanes lässt sich nicht ein einziges Chorlied mit Sicherheit als D. ansprechen. Nur so viel ist klar, dass hier Σάτυροι und βουκόλοι Διονύσου auftreten ἔμμετρα λέγοντες. Die Komoedie schildert damit eine dem Satyrdrama nahestehende Form des D., von der wir sonst nur durch eine unklare Notiz über Arion (s. d. oben VI) Kunde haben. In jenem Dionysosliede der Σάτυροι des Ekphantides scheint besonders die dem D. eigene rauschende Flötenbegleitung gefallen zu haben; darauf wird die Andeutung des Aristoteles (Polit. VIII6 p. 1341 a) zu beziehen sein, aus der Bergk (Poet. Lyr. II 532, 21) vorschnell folgerte, dass Ekphantides offenbar mit einem D. gesiegt hatte.
Von dem Inhalt jener ältesten Komoedien haben wir keinerlei Kunde; das lyrische Element hat vermutlich auch in ihnen vorgeherrscht. Bemerkenswert ist es, dass hier das komische Spiel, im Gegensatz zu der auf mimischem Boden stehenden Posse, von Gestalten des dionysischen Glaubens und Ritus getragen wird. In dieser Hinsicht haben solche Stücke eine gewisse Verwandtschaft mit dem Satyrdrama, das wir oben als eine [1219] dorische, unter attischem Einfluss ausgebildete Schöpfung angesprochen haben (S. 1211). Die Satyrn stehen als eine Spiegelung der dionysischen Gemeinde neben der Geister- und Heroenwelt. Nur kann von einem parodischen Zweck der Tragoedie gegenüber (auf Grund dessen man das Satyrspiel neuerdings als secundär bezeichnet hat) nicht die Rede sein. Das Satyrdrama lässt die grossen Gestalten und Probleme der attischen Tragoedie unberührt, dagegen versucht es sich mit Vorliebe an den primitivsten Elementen der griechischen Religion, dem Glauben an Unholdinnen, Geister, Gespenster. Charakteristisch sind in dieser Hinsicht Aristeas Κῆρες, gewissermassen der Schlussact der Anthesterien – ein ,Seelenaustreiben‘ – als dramatisches Spiel auf der Bühne. Man pflegte die Satyrmaske später (Aristoteles u. s. w.) als rein scherzhaft gemeint aufzufassen: bei solchen Ceremonien mag sie (wie die Maske in zahlreichen Riten verwandter Völker, s. Andree Ethnographische Vergleiche und Parallelen N. F. 110. 120ff.) einen superstitiösen Sinn gehabt haben. So fällt, während der chorische D. und die Tragoedie sich zu einem ernsten künstlerischen Spiel erheben, ein letzter unmittelbarer Reflex primitivster Volkssitte auf die Orchestra und Bühne von Athen.
XI. Der jüngere Dithyrambus. Diod. XIV 96 ἤκμασαν δὲ κατὰ τοῦτον τὸν ἐνιαυτὸν (wie Ktesias 398, s. Marmor Par. ep. 65–69, das genaue Ansätze giebt) οἱ ἐπισημότατοι διθυραμβοποιοὶ Φιλόξενος Κυθήριος, Τιμόθεος Μιλήσιος, Τελέστης Σελινούντιος, Πολύειδος, ὃς καὶ ζωγραφικῆς καὶ μουσικῆς εἶχεν ἐμπειρίαν. Philoxenos Timotheos Telestes sind vielgenannte Persönlichkeiten, über die vorläufig auf die Zusammenstellungen in Bergks Litteraturgeschichte und Flachs Geschichte der Lyrik verwiesen werden mag; vgl. auch P. Masqueray Les formes lyriques de la tragédie 262ff. Polyeidos ist in den meisten Darstellungen gänzlich ignoriert, obgleich er in der Inschrift bei Boeckh CIG II p. 641 nr. 3053 neben Timotheos gestellt, und bei Athenaios (VIII 532 B) und Plutarch (de mus. 21 p. 1158B) als erfolgreicher Rivale desselben Meisters bezeichnet wird; seine Charakteristik bei Diodor macht es wahrscheinlich, dass wir in dem Dithyrambendichter eben den σοφιστής Polyidos in Aristoteles Poetik zu suchen haben, wie denn auch der Iphigenienstoff (Nauck Trag. frg. p. 781) sehr wohl in einem D. behandelt sein kann.
Inschriftlich erwähnt wird ein Dithyrambiker Κηδείδης (Brinck 103f. Dittenberger Syll.² 702), dessen Namen schon Nauck (Rh. Mus. VI 931) bei Hesych und in den Aristophanesscholien aus Photius lex. s. Κηδίδης hergestellt hatte. Die erhaltene Ehreninschrift wird gegen das J. 415 gesetzt. Dabei gilt der Dichter bei Aristophanes (Wolken 982) als Typus des Altfränkischen (was im Sinne des Aristophanes noch kein Tadel ist). Es müsste also damals doch auch der classische Stil gelegentlich noch einen Sieg über die Zukunftsmusiker davongetragen haben; dass beide Stilarten nebeneinander weiter blühten, zeigen manche Komikerstellen (so Eupolis frg. 303 K., der τὴν νῦν διάθεσιν ᾠδῆς und τὸν ἀρχαῖον τρόπον mit einander vergleichen lässt). Mit grosser Wahrscheinlichkeit hat man aber auch in den Schol. Arist. Nub. 968 (τηλέπορόν [1220] τι βόαμα) Κηδίδου τοῦ Ἑρμιονέως (für Κυδίδου) eingesetzt. Dann begriffe sich die Ausnahmestellung des Κηδείδης umso besser: er hätte die Traditionen seines Landsmannes Lasos fortgepflanzt. Freilich schildert der δίκαιος λόγος die Ideale der Marathonomachenzeit; so bleibt es fraglich, ob man ohne die (von Brinck 104 empfohlene) Annahme auskommen kann, dass die Ehreninschrift auf einen jüngern Kedides gehe, als die Aristophanesstellen. Die übrigen Dithyrambendichter stehen ziemlich geschlossen auf der Seite des Fortschrittes (Plut. de mus. 12). Zu den bei Diodor genannten wäre besonders noch Krexos hinzuzufügen, der bei Plut. de mus. 12 (s. Reinach p. 52) den Reigen der φιλόκαινοι eröffnet. Das μέλος spielte bei ihm eine grosse Rolle (Philodem. de mus. p. 74 X 2 K.); über Einzelheiten s. Reinach-Weil 110).
Eine Reihe von Persönlichkeiten bleiben für uns blosse numeri, die aber zusammengerechnet ahnen lassen, wie lebhaft der Betrieb um die Wende des 5. Jhdts. in Athen gewesen ist; dass die letzte Darstellung der Geschichte der Lyrik nicht einmal ihre Namen vollständig giebt, mag ausdrücklich festgestellt werden. So fehlt bei Flach Pantakles (Antiph. VI 11, s. Brinck 105. Dittenberger Syll.² 701); ferner Archestratos (Brinck 104), Hieronymos ὁ Ξενοφάντου (Schol. Aristoph. Wolken 347 [daraus Suid. s. Κλεῖτος]; ein Citat, das in die Poetae Lyrici gehört, bei Aristoph. Acharn. 390, s. M. Schmidt 145) und Dikaiogenes (Suid. Harpocr. s. v.); beide waren zugleich als Tragödiendichter thätig (s. Nauck p. 962. Kayser Hist. crit. 251). Der vermeintliche D.-Dichter Aristagoras (Schmidt 214) ist freilich ins Reich der Schatten zu verweisen, da sein Name auf Verschreibung beruht (Schol. Aristoph. Nub. 830 = Suid. s. Σωκράτης p. 846 B.: Schmidt citiert falsch). Ein starker Verbrauch von neuen Stücken macht die διθυραμβοποιοί zu lebhaft umworbenen Künstlern: ὃς ταῖσι φυλαῖς περιμάχητος εἰμ’ ἀεὶ rühmt Kinesias von sich bei Aristoph. Av. 1020 (s. d. Schol.). Auf Siegesinschriften des 4. Jhdts. werden u. a. erwähnt Eukles (Brinck 112f. Dittenberger Syll.² 704f.), Karkidamos mit dem Auleten Euios (Dittenberger Syll.² 715, s. Athen. XII 538 F), Epikuros von Sikyon mit dem Auleten Satyros von Sikyon (Brinck 117. Dittenberger Syll.² 706), Lysiades, der wohl die Tyrsenerlegende behandelte (auf dem Lysikratesdenkmal 335/4, Dittenberger Syll.² 707. Brinck 116. 120), Timotheos’ Elpenor, einstudiert durch Pantaleon von Sikyon (Dittenberger Syll.² 708), Nauplios (Brinck 117), Eraton Ἀρκάς mit dem Auleten Sokrates von Rhodos (Dittenberger Syll.² 710), Hellanikos von Argos mit dem Auleten Philippos von Sikyon (Dittenberger Syll.² 711), Aratos von Argos als Aulet (Dittenberger Syll.² 713) u. s. w. Bemerkenswert ist es, dass ein sehr starker Procentsatz dieser Künstler aus der alten Pflegstätte des chorischen D., dem Norden des Peloponnes, stammt. Es ist ein reiner Zufall, dass die epigraphischen Zeugnisse aus dieser Zeit fast ausschliesslich auf attischem Boden gefunden sind. Aus dem benachbarten Salamis stammt eine Inschrift des beginnenden 4. Jhdts., auf der Paideas als Didaskalos, Telephanes von Megara als Aulet genannt [1221] werden (Bull. hell. VI 521, s. Brinck 183). Nach Boiotien führen einige Inschriften aus Orchomenos: αὐλίοντος Κλεινίαο, ἀΐδοντος Ἀλαισθένιος und Κράτωνος (Larfeld Syll. 24. 25. Brinck 185f.). Bemerkenswert ist es, dass hier der Vorsänger (der wohl zugleich der Dichter ist) genannt wird, ähnlich wie in der (viel späteren) attischen Inschrift bei Kaibel Epigr. 928 (Brinck 162). Die gefeierte Gottheit ist Dionysos; Brinck denkt an die Agrionien. In Delos fanden Dithyrambenaufführungen statt bei den Apollonien wie bei den Dionysien (Brinck 187ff.); weitaus am reichsten ausgestattet waren auch hier die Dionysien, wo auf die Knabenchöre noch dramatische und musikalische Aufführungen der verschiedensten Art folgten, während die Apollonien auf Männerchöre beschränkt gewesen zu sein scheinen. Die Urkunden (Brinck 187) reichen von 286 bis 172. Ähnliche Urkunden aus Samos, Teos, Milet bei Brinck 207–216. Dass derartige, wohl anders stilisierte Vorträge auch im Apolloncult zu Delos stattfanden, ist um so wahrscheinlicher, als schon in dem homerischen Hymnus die delischen Jungfrauen mit dem Lob der apollinischen Göttertrias ein Lied ,auf die alten Mannen und Weiber‘ verbinden (μνησάμενοι ἀνδρῶν τε παλαιῶν ἠδὲ γυναικῶν, gemeint sind vielleicht die Hyperboreerheroen, s. Roschers Lexikon I 2811).
Die Hauptpartie des D. war nach wie vor einem Heroenmythus gewidmet. Im Gegensatz zur Tragoedie traten aber, wenn wir aus der Stoffwahl schliessen dürfen, die ethischen und psychologischen Probleme zurück und wurden (wie in unserer Oper) die märchenhaften Elemente der Sage bevorzugt, ähnlich wie im Satyrdrama. Meist wandte sich ein einleitendes Stück, in der Art der epideiktischen Rede, aus dem Sinne des Dichters heraus an die gefeierten Gottheiten oder die Auftraggeber (Aristot. Rhet. III 14. Lyr. adesp. 124 p. 728 B.). So hingen diese προοίμια nach Aristoteles Beobachtung mit dem Stoffe weniger eng zusammen, als die προοίμια der besten Epen oder die πρόλογοι der Dramen (Rhet. III 14 τὰ μὲν γὰρ διθυράμβων [προοίμια]) ὅμοια τοῖς ἐπιδεικτικοῖς, also ἐξ ἐπαίνου – προτροπῆς – ἐκ τῶν πρὸς τὸν ἀκροατήν). In gehobenem Ton, aber wie improvisiert, in εἰρομένη λέξις, strömten diese Prologe, genauer εἰσβολαί oder ἀναβολαί, besonders bei Melanippides, in breitem Flusse dahin, ohne strophische Entsprechung und organisches Mass und Ziel, s. Aristot. Rhet. III 9 p. 1409 a 25. 1409 b 24 αἱ περίοδοι αἱ μακραί .... ἀναβολῇ ὁμοιον· ὥστε γίνεται ὃ ἔσκωψε Δημόκριτος ὁ Χῖοςεἰς Μελανιππίδην ποιήσαντα ἀντὶ τῶν ἀντιστρόφων ἀναβολάς· ,οἷ τ’ αὐτῲ κακὰ τεύχει ἀνὴρ ἄλλῳ κακὰ τεύχων· ἡ δὲ μακρὰ ἀναβολὴ τῷ ποιήσαντι κακίστη.‘ Parodien solcher Eingänge bei den Komikern, z. B. Aristophanes Vögel 1383ff. καινὰς λαβεῖν .. ἀναβολάς, ähnlich 1500ff.. und Frieden 880f. Dabei griff man vielfach auf den alten Hymnen- und Nomenstil zurück, indem man Formeln anwandte, die schon in terpandrischen Dichtungen vorkamen (Aristoph. Wolken 596f. Schol. μιμεῖται δὲ τῶν διθυράμβων τὰ προοίμια· συνεχῶς γὰρ χρῶνται ταύτῃ τῇ λέξει· διὸ καὶ ἀμφιάνακτας αὐτοὺς ἐκάλουν· ἔστι δὲ Τερπάνδρου κτλ. = Terp. frg. 2); wirklich finden wir die unorganische Verbindung des Götterlobs und der Heroensage auch [1222] bei Terpander und in den delischen Parthenien. Noch dem Menandros περὶ ἐπιδεικτικῶν I p. 128 W. sind Dithyramben an Dionysos bekannt, die unter den Begriff des Lobhymnus fallen, wie die Iobakchen und ὅσα τοιαῦτα εἴρηται Διονύσου. Sie bezeichnen nach ihm (Cap. V Ende p. 143. VI p. 147) die höchste Stufe der σεμνότης. Wir werden annehmen müssen, dass Menandros eben diese feierlichen εἰσβολαί bei seinen Äusserungen im Sinne gehabt habe.
Die meisten Stücke des Bakchylides gehen noch in medias res. Sehr charakteristisch ist aber ein völlig selbständiges Götterlob dem Heroenmythus vorausgeschickt im Herakles (XVI), s. o.; das ist ein genaues Analogon zur ἀναβολή der Späteren. Entschieden verfehlt ist es, wenn Blass dies dem Gotte gewidmete Prooimion mit dem Heroenmythus in syntaktischen Zusammenhang bringt (s. Philol. LVII 169).
Dem selbständigen προοίμιον pflegte ein ebenso selbständiger ἐπίλογος zu entsprechen, meist ein Gebet enthaltend, Aristid. Ῥώμ. ἐγκ. I p. 369 Ddf.: κράτιστον οῡν, ὥσπερ οἱ τῶν διθυράμβων τε καὶ παιάνων ποιηταί, εὐχήν τινα προσθέντα οὕτω κατακλεῖσαι τὸν λόγον. Das stammt gleichfalls aus dem Schema des alten sacralen Hymnus (wie es am besten bei Kallimachos zu beobachten ist) und weist auf die religiös-superstitiöse Stufe der Dithyrambendichtung mit Nachdruck zurück.
Bezeichnend für den neuen Dithyrambenstil ist vor allem die Sprengung der alten rhythmisch geschlossenen Formen. An Stelle der correspondierenden Strophen der σχοινοτένει’ ἀοιδά treten durchweg die schon bei Pindar einsetzenden freien ἀπολελυμένα mit beliebigen Abschlüssen, oft mehrere verwandte Verse zu kleinen Gruppen verbunden, oft auch (wie schon in Prometheus) heterogene Verse und Kola zusammengeschlossen; Blass scheint den Accent auf die verkehrte Stelle zu legen, wenn er meint, die neue Rhythmik habe ,an die Stelle der Responsion des Getrennten die Responsion des Benachbarten‘ gesetzt (Herm. XXXVI 278; Die Rhythmen der attischen Kunstprosa 188). Ebenso wird die Modulation mannigfaltiger und raffinierter; dorische, phrygische, lydische Sätze verbanden sich, wenn auch der phrygische τρόπος die Herrschaft behielt (das sind die neumodigen ἐξαρμόνιοι καμπαί, über die die Komiker sich lustig machen, Aristoph. Nub. 332 κυκλίων τε χορῶν ἀσματοκάμπτας, ebd. 970 εἰ . . κάμψειεν τινα καμπὴν .. ἐν θ’ ἁρμονίαις χιάζων ἢ σιφνιάζων, Pherekrates frg. 145 K. u. a.: s. Crusius in den Commentationes Ribbeckianae 17ff., wo die Zeugnisse gesammelt und besprochen sind). Überhaupt scheint die Melodienführung freier geworden zu sein; chromatische, diatonische, enharmonische Partien lösten sich ab (Dion. Hal. de comp. verb. p. 131 R.). All diese Neuerungen dienen (wie das schon in den aristot. Problemen 19, 15 = Mus. gr. p. 86 v. Jan hervorgehoben wird) der modernen Richtung auf das μιμητικόν, das Charakteristische und Malerische, der noch die delphischen Hymnen unverkennbar huldigen (Crusius Delph. Hymnen 51. 57. 103. 107). Man verfiel dabei oft in eine recht kleinliche Tonmalerei, etwa wie die modernen Franzosen auf der Linie Berlioz-Charpentier. Schon die alten Komiker und Kritiker haben das gerügt [1223] (Aristoph. Plut. 293, daraus Plutarch de mus. 30 nach der Ergänzung von Weil-Reinach 126f. Athen. VIII 338 A. Plato Rep. III 396 B. 397 A, s. Rohde a. O. 37f.). Im Gegensatz zu der strengeren alten Kunst legte man häufig eine ganze Reihe verschiedener Töne auf dieselbe Silbe (Crusius a. O. 93ff.) und brachte überflüssige Triller und Fiorituren an (das ist der στρόβιλος bei Pherekrates a. O., s. Meineke Hist. crit. 76f.). Hier wird das Princip des Charakteristischen sichtbar gekreuzt von der Freude des musikalischen Virtuosentums an technischen Schwierigkeiten.
Die selbständige Bedeutung der strenggemessenen Orchestik stand und fiel mit der geschlossenen musikalischen Form; so kam es bald vor, dass die Choreuten ὥσπερ ἀπόπληκτοι στάδην ἐστῶτες ὠρύονται (Platon Athen. XIV 628 D), oder dass sich alles, mit einem Rückfall in die alte volkstümliche Weise, in einen kunstlosen wilden Rundtanz auflöste (Aristot. Wespen, Schluss). Schliesslich vollzog sich, noch in attischer Zeit, das Unvermeidliche: die Musik überwucherte auch den Text an Wirkung und Bedeutung. Das älteste Zeugnis dafür ist die Opposition in dem Pratinasfragment Athen. XIV 617 C (dessen Herkunft aus einem Satyrdrama mir auch Girard in den Mélanges Weil noch nicht sicher erwiesen zu haben scheint). Nach Pherekrates frg. 145 K. ἦρξε τῶν κακῶν Melanippides, den dann Phrynis überbot (Schol. Aristoph. Nub. 971); aus reicherer Materialkenntnis heraus heisst es dementsprechend bei Plutarch de musica 30: τὸ γὰρ παλαιὸν ἕως Μελαννιππίδης τὸν τῶν διθυράμβων ποιητὴν συμβέβηκεν τοὺς αὐλητὰς παρὰ τοῦ ποιητῶν λαμβάνειν τοὺς μισθοὺς, πρωταγωνιστούσης δηλονότι τῆς ποιήσεως, τῶν δ’ αὐλῶν ὑπηρετούντων τοῖς διδασκάλοις· ὕστερον δὲ καὶ τοῦτο διεφθάρη. So mag sich damals – vor allem wohl bei den ,Anagnostikoi‘ – der Componist gelegentlich vom Dichter getrennt haben. Im ganzen aber blieben beide Thätigkeiten in einer Hand: wie denn die in vielen Fällen unverkennbare flüchtigere und leichtere Behandlung der Textesworte für die musikalischen Absichten des Schöpfers höchst zweckmässig sein mochte. Bei dem immer mehr hervortretenden Übergewicht der Musik wurden auch in der Instrumentierung mancherlei Experimente gemacht. Nicht nur die Kithara wurde mit herangezogen (Schol. Aristot. Plut. 290, s. Frei 67ff. Schmidt 178, der das Verhältnis umkehrt), sondern auch exotische Blasinstrumente; denn mag die Scene aus Amphis ,Dithyrambus‘ bei Athen. IV 175 (Com. II p. 239 K.) auch Parodie sein, so zeigt sie doch, wie grossen Erfolg man gerade von solchen Neuerungen erwartete (φυλὴν περιμένω σφόδρα φιλονεικούσαν κτλ.). Tympana und erzklirrende Castagnetten (κρέμβαλα χαλκοπαρῇα) werden erwähnt bei Timotheos, wo die Instrumentation der Charakteristik diente. So mochte schliesslich die Instrumentalbegleitung beim D. wohl einmal an unser Orchester erinnern, obgleich durchschnittlich mit unserem Massstab gemessen die Instrumentalmittel doch sehr bescheiden gewesen sein müssen. Voll dramatisch ist der D. nie geworden; zwar halfen die Sänger, und gelegentlich sogar der Aulet, durch Kostüm und Mimik der musikalisch-poetischen Illusion [1224] nach (charakteristische Berichte im βίος des Philoxenos und im ästhetischen Papyrus Rainer); aber ein Zuviel hierin galt als geschmacklos.
Nur wenige Dithyrambentexte thaten gelesen eine befriedigende Wirkung, wie die des (sophistisch geschulten) Likymnios, den Aristoteles (Rhet. III 12) deshalb zu den ἀναγνωστικοί zählt (s. Crusius Festschr. f. Theodor Gomperz 383, wo der verkehrte Gedanke der Litterarhistoriker abgewiesen ist, dass die ἀναγνωστικοί wirklich nur fürs Lesen geschaffen hätten). Die meisten Textbücher erschienen ohne das ἥδυσμα der Musik leer und geistlos, etwa wie unsere durchschnittlichen Opernlibretti; darauf geht vermutlich der Spruchvers καὶ διθυράμβωννοῦν ἔχεις ἐλάτττονα, der doch wohl aus einer attischen Komödie (er fehlt bei Meineke) herstammen wird (Schol. Aristoph. Av. 1393). Der preciöse, conventionell-gehobene Stil liess diese Dichtungen nur um so leerer und findiger erscheinen; mit Wolkengebilden und Luftblasen haben sie die Komiker verglichen. Gerade in jungattischer Zeit scheint dies sprachliche Barock im D. zur herrschenden Manier geworden zu sein. Charakteristische Züge dafür sind die billigen rhetorischen Klangmittel, die der sophistischen Technik entlehnt werden (Aristoph. Vögel 1315f. 1405f.), die kühnen, vielgliedrigen Composita (Plat. Cratyl. p. 409 C, wo ein solches willkürlich gebildetes Wort διθυραμβῶδες heisst. Aristoph. Nub. 331; Frieden 820 mit Schol. = Suid. s. διθυραμβοδιδάσκαλοι, ebenso Aristot. Rhet. III 3 p. 1486 b), die gesuchten Metaphern, Glossen und Epitheta (Aristot. rhet. III 3. 4 p. 1406f.). Derartige Dinge, vor allem der häufige Gebrauch der διπλῆ λέξις, passen nach Aristoteles τοῖς διθυραμβοποιοῖς· οὗτοι γὰρ ψοφώδεις (Rhet. III 3, 1486 b 1, vgl. Poet. 22). Auch in syntaktischer Hinsicht zeigen die D. dieser Zeit charakteristische Züge, die sich dann in der sacralen Lyrik der Hellenistenzeit (Crusius Delph. Hymnen) wieder einstellen, vor allem eine grosse Sparsamkeit im Gebrauch des Artikels und gewisser Conjunctionen (Herrschen der εἰρομένη λέξις, Aristot. Rhet. III 9), und auf der andern Seite, der Vorliebe für Epitheta entsprechend, einen starken Verbrauch von relativen Verbindungen und Participialformen (charakteristisch Telestes frg. 1. 2. 4 p. 267ff. Bgk.; manches bei Aristophanes). S. auch Gildersleeve Amer. Journal of Philol. IX 145. Es ist sehr merkwürdig, dass sich schon der in Attika entstandene Dionysoshymnus (der ein später vom D. wieder aufgenommenes Thema behandelt) von den übrigen Hymnen in stilistischer Hinsicht durch ähnliche Eigentümlichkeiten unterscheidet (Crusius Philol. XLVIII 149f. 198). Wenn bei Proklos p. 245 W. für den D. ἁπλούστεραι λέξεις u. s. w. in Anspruch genommen werden, so ist das ein Autoschediasma, das durch eine einseitige Auffassung und Ableitung (von der κατὰ τοὺς ἀγροὺς παιδιά) veranlasst ist; man hätte sich dadurch nicht irre führen lassen sollen.
Was wir an Textfragmenten aus den D. dieser Zeit besitzen, macht keinen erfreulichen Eindruck. Aber diese Schöpfungen thaten als Ganzes (und nur so dürfen sie betrachtet werden) eine erstaunliche Wirkung; gerade in ihnen hat ein dem reinen Subjectivismus und Individualismus zusteuerndes Geschlecht seinen vollsten Ausdruck [1225] erkannt – ähnlich wie unsere Zeit in einer musikalischen Stilrichtung, die, in ihrer Vorliebe für die stärksten Reizmittel und dem Drang nach dem rein Charakteristischen, mit jener antiken innerlichst verwandt ist. Macht man sich das klar, so begreift man, warum die ganz und gar im Boden der πόλις wurzelnde alte Komödie diese Dithyrambiker mit gleicher Erbitterung bekämpft hat, wie den Euripides (Aristophanes besonders in den Wolken und Vögeln, s. E. Müller Gesch. der Theorie der Kunst I 203ff.). Am schlimmsten kommt Kinesias (Siegesinschrift Brinck 109) mit seiner Sippe weg, auf den Strattis ὅλον δρᾶμα dichtete (Luetcke 74ff.); sein Nachlass wurde in der Hellenistenzeit völlig vergessen (von den Fragmenten bei Bergk p. 593 ist das einzige sichere nur indirect durch Strattis erhalten; 1 und 3 sind zweifelhaft). Als Aristoteles schrieb, war der Sieg der neuen Kunst längst entschieden. Für ihn ist der D. die einzige lebendige und künstlerisch vollberechtigte Gattung der Lyrik. Der D. (mit seinen Verwandten) erfüllte die Forderung seiner Kunstlehre, dass die Poesie etwas objectiv Gegebenes ,nachahmen‘ müsse; Iambos und aiolisches Melos galten ihm nur als Vorstufen. So erklärt es sich denn, dass in der Poetik der D. sehr eingehend berücksichtigt wird, während die Lyriker im engern Sinn mehr in der Rhetorik behandelt werden. Schliesslich wurde (seit Timotheos) auch der apollinische Nomos (in dem der Einzelsänger dauernd die erste Rolle spielte, Aristot. Problem. 19, 15) in das Fahrwasser des D. hereingezogen (Plut. de mus. 4 p. 1132 E), s. den Art. Nomos.[4] Die innere Verwandtschaft [1226] zwischen D. und Tragödie manifestiert sich immer wieder dadurch, dass Dichter (wie Polyidos) auf beiden Gebieten thätig sind.
XII. Der Dithyrambus in der Hellenistenzeit. Die litterarischen Notizen über die Dithyrambendichtung der Hellenistenzeit sind äusserst spärlich. Populär blieb vor allem der jungattische D. des Philoxenos und Timotheos, das beweisen einige didaskalische Zeugnisse über die Aufführung alter Dithyramben (Brinck a. O. 78. 144), sowie die Nachahmungen in andern Dichtungsarten, wie bei Theokrit. Von dem Zeitgenossen des Euphorion, dem Paigniographen Theodoridas von Syrakus, werden Verse ἐν Κενταύροις διθυράμβῳ citiert (Athen. XV 699, vgl. Bergk Anthol. Lyr.² p. XCI. 521), s. Susemihl Gr. Litt. in der Alexandrinerzeit II 542. Ausserdem hören wir, dass man Dithyramben mimisch parodierte, so Straton, dessen Zeit freilich unsicher ist (s. Aristoxenos bei Athen. I 19 F = FHG II 284). Vgl. auch Lucian Timon 107. Von inschriftlichen Zeugnissen ist besonders die Ehreninschrift für Nikokles von Tarent zu erwähnen (CIA II 1367), der Λήναια διθυράμβῳ siegte. Das vielumstrittene Fragment aus Menanders Epikleros (ὥσπερ τῶν χορῶν οὐ πάντες ᾄδουσ’ ἀλλ’ ἄφωνοι δύο τινὲς ἢ τρεῖς παρεστήκασι) geht möglicherweise auf einen Dithyrambenchor (Meineke Hist. crit. 441), ebenso ganz gewiss das Weiheepigramm des Demoteles, Theokr. epigr. 12.
Im 1. vorchristlichen Jhdt. führte in Delphi Satyros von Samos bei den Pythien τῷ θεῷ (Apollon) μετὰ τὸν γυμνικὸν (ἀγῶνα) τῇ θυσίᾳ ἐν τῷ σταδίῳ τῷ Πυθικῷ ᾆσμα μετὰ χοροῦ Διόνυσον [1227] καὶ κιθάρισμα ἐκ Βακχῶν (Bull. hell. XVIII 84). Jenes ᾆσμα ist nach Inhalt und Form ein D.: wenn es auf dem Stein nicht mit dem technischen Namen genannt wird, so mag das damit im Zusammenhange stehn, dass der gefeierte Gott nicht Dionysos, sondern Apollon ist. Es ist vielleicht eine Analogie zu den ,delischen Dithyramben‘ des Simonides. Die Inschriften bei Brinck a. O. und Reisch 84ff. (aus den neuern Funden vielfach zu ergänzen) lehren uns eine stattliche Reihe sonst unbekannter Chorodidaskaloi des 3. und 2. Jhdts. kennen, die wir als Dithyrambendichter ansehen müssen: Ἱπποκλῆς Βοιώτιος ηὔλει Θεοδώρίδης Βοιώτιος ἐδίδασκε (um 280, s. Reisch 84) – Θέων Θεβαῖοςηὕλει Πρόνομος Θηβαῖος ἐδίδασκε (Reisch 85) – Νικοκλῆς Ἀμβρακιώτης ηὔλει Λθσιππος Ἀρκὰς ἐδίδασκεν (um 270, s. Reisch 85) – Σωκράτης Ῥόδιος ηὔλει Ἐράτων Ἀρκὰς ἐδίδασκεν – Φιλίππος Σικυώνιος ηὔλει Ἑλλάνικος Ἀργεῖος ἐδίδασκε, ebenso die ,Sänger‘ der orchomenischen Inschriften, die aber vielleicht nur alte Dichtungen wieder aufführten (Larfeld Syll. 25. Reisch 109. 118). Die Auleten oder χοραῦλαι werden durchweg an erster Stelle und in der Mehrzahl der orchomenischen Inschriften sogar allein genannt: der Instrumentalvirtuos und Musiker bedeutete mehr, als der Sänger und Dichter (Brinck 98. Reisch De mus. cert. 28f. Frei De certam. thymel. 67f., wo noch mehr Belege zu finden sind). Die Athener treten in dieser Zeit wieder unverkennbar zurück; zu den Argivern und Westgriechen treten als Concurrenten vor allem die Boiotier. Die Aufführungen kommen mehr und mehr in die Hand [1228] der Technitengenossenschaften; an die Stelle der frei geübten Kunst tritt wieder das geschäftsmässig gepflegte Virtuosentum. Selbständigen litterarischen Wert haben diese Erzeugnisse kaum besessen;, wenigstens hat sich von ihnen so gut wie nichts erhalten. Sie haben offenbar den poetischen und musikalischen Stil des jüngeren D. fortgepflanzt - in ihnen werden wir die Hauptquelle zu erkennen haben, aus der sich die Compositionsform der ἀπολελυμένα in der scenischen und ,thymelischen‘ Lyrik der Hellenistenzeit (Grenfells Erotic fragment, s. Philol. LV 1896, 379ff.) genährt hat.
XIII. Die Römer. Die Kaiserzeit. Der chorische D. blieb der römischen Poesie durchaus fremd; wo die Römer von diesen Dingen reden (Cic. de or. III 145. Schol. Horat.), haben sie griechische Verhältnisse im Sinn und schöpfen aus griechischer (peripatetischer) Quelle. Dithyrambenartige Dichtungen hat man bei Horaz zu finden gemeint. Dahin rechnet man die Bakchusvision II 19 – mit Unrecht, wie man Lucian Müller (Commentar 207) wird zugestehn müssen. Eher könnte man (Müller 244) in dem Caesar-Enkomion III 25 D.-Stil erkennen. Vor allem ist es bezeichnend, wie sich hier mit dem bakchischen Inhalt ein Stück Heroencult, der Preis Caesars, verbindet; das erinnert in der That an die elementaren Formen des D.
Dass die Kunstform und Kunstübung bei den Griechen in der Kaiserzeit fortexistierte, zeigen die Inschriften bei Brinck 156ff. In Trimetern werden um 52/53 n. Chr. Dexikles und Eukarpos gefeiert, weil jener ἄεθλον ἔλαβεν ἠιθέων χορῷ, dieser τὸν δειθύραμβον (-ων?) τρίποδα θῆκ’ Ἀσκληπίῳ; der D. war also an einem Asklepiosfeste [1229] vorgetragen. Aus dem Ende des 1. Jhdts. stammt die Ehreninschrift CIA III 78 (Brinck 157), auf der erwähnt werden 1. der Agonothet, 2. der Didaskalos Μοιραγένης Φλυάσιος, 3. der Chorege, 4. der Epistates, 5. die Choreuten, 25 an der Zahl (einer ist doppelt erwähnt), 6. der Componist Musikos (ἐμελοποίει Μουσικός); neben den Dichter und den Auleten ist hier der Schöpfer des Melos getreten. Man hat offenbar damals den alten Dithyrambenchor auf die Hälfte reduciert. Die Choreuten stammen aus vier verschiedenen Phylen, die meisten (10) aus der des Dichters. In einer andern Inschrift (Brinck 159, 72) kommt ein Λαοδικεύς als Dichter (oder μελωποιός) vor, und dass man an die metrisch-rhythmische Kunst noch Ansprüche machte, zeigt die Wendung eines Epigramms CIA III 82 (Brinck 162) ῥυθμοῖσιν δ’εἵποντο πολυπτύκτοις (vgl. die σύμπτυκτοι ἀνάπαιστοι) Ἀγαθοκλεῦς . . αὐλοβόαν Ζώσιμον ὀσσόμενον . . ἔντυνε δὲ μολπὰν χρησάμενος ψαλμοῖς ἀμφικρότοισι Τρύφων. Mit diesen inschriftlichen Zeugnissen stimmt gut zusammen Plut. Quaest. conv. I 10 p. 628. Da gilt es als eine nur durch fürstliche Munificenz ermöglichte Ausnahme, dass alle Phylen am Wettkampf teilnahmen, ὅτε [Σαραπίων] τῇ Λεοντίδι φυλῇ τὸν χορὸν διατξας ἐνίκησεν .... ἀγωνοθετοῦτος Φιλοπάππου. Wie der D. die älteste agonistisch-musische Veranstaltung auf attischem Boden war, so hat er sich dort auch am längsten gehalten. Aber eine völlige Auflösung der alten Sitte und des alten Geistes bezeichnet es, wenn im 2. Jhdt. (Kaibel Epigr. 927. Brinck 160) alle Choregen und Choreuten sich vereinen, ὡς μὴ φέροι τις αἶσχος ἀποκισσούμενος (den Kranz ablegend infolge der Niederlage), und ἄγαλμα δήμῳ Κεκροπος ἐστάσαντο (den Tripus). Damit ist das agonistische Princip aufgegeben. Nicht viel besser ist es, wenn in dieser Spätzeit (Kaibel Epigr. 928) sechs Phylen als Siegerinnen aufgezeichnet werden (Brinck 162 denkt an einen Wettkampf zwischen je sechs und sechs Phylen). Bemerkenswert scheint es, dass in diesen Epigrammen (Kaibel Epigr. 927) Spuren dorischen Dialektes auftauchen, wie vielleicht schon in der Antigenidasinschrift. Das gestattet wohl einen Schluss auf die sprachliche Form der Dithyramben; auch in andern lyrischen Erzeugnissen der Kaiserzeit (z. B. in den Nomen des Mesomedes und gewissen Anakreonteen) treten solche Dorismen auf.
XIV. Renaissance und Neuzeit. Den stilistischen Typus des D. suchte auf Grund einiger zufällig zusammengeraffter Zeugnisse die Renaissancepoetik festzulegen (z. B. Iul. Caesar Scaliger Poet. I 46 p. 123 ed. 1594). Die italienischen und französischen Classicisten, wie Chiabrera. A. de Baif, Delille, stellten hartnäckig allerlei Wiederbelebungsversuche an, die uns zeigen, wie schwankend und unbestimmt die Anschauungen von dieser in keinem einzigen sichern Beispiel erhaltenen Dichtungsgattung geblieben waren. Gehobener Ton, freieres Versmass genügten im 18. Jhdt., um für ein Poem den Namen D. in Anspruch zu nehmen. Ein zahmer Schulmeister, wie J. G. Willamow, meinte mit seinen schwulstigen Erzeugnissen allen Ernstes ,die alte Form nach Deutschland verpflanzt zu haben‘ (Dithyramben, Berlin 1763; s. Goedeke Grundriss IV 103). Das sind unerfreuliche Producte des Pseudo-Classicismus, [1230] die mit der Antike in Wahrheit nichts zu thun haben. Die nebelhaften Ansichten des ausgehenden 18. Jhdts. werden am vollständigsten zum Ausdruck gebracht in einer Abhandlung von Christian Schreiber Über den Dithyrambus, die in seinen ,kleinen Schriften‘ (Berlin 1806) 14ff. abgedruckt ist. Auch unsern deutschen Classikern blieb der Terminus geläufig, ohne dass sie bessere Einsicht in die geschichtlichen Thatsachen gehabt hätten. Das moderne Publicum denkt bei dem Begriff wohl mehr an den neusten Dionysospropheten und seine ,Dionysosdithyramben‘, als an die Antike.
[Crusius.]
Die biographischen Quellen für Simonides, aus denen diese Παίγνια stammen, müssen ähnlich ausgesehen_haben, wie der βίος Ὁμήρου; ein historisches Zeugnis sind sie kaum. S. Anthol. lyr. praef. p. LX.
Reisch (in der Festschrift f. Gomperz 471) glaubt allerdings im Gegensatz zu der von mir unter dem Wort Arion vertretenen Ansicht, dass dem Arion ,die Einrichtung aller drei Dichtungsformen, des kyklischen D., der Tragoedie und des Satyrspiels‘ zugeschrieben werde. Aber wo findet sich sonst auch nur eine Andeutung von einer dermassen centralen Bedeutung des alten Kitharoden? Die Worte bei Suidas können das auch gar nicht bedeuten; denn der τραγικὸς τρόπος geht auf die Musik, διθύραμβον ᾆσαι κτλ. auf den Text, Σατύρους εἰσενεγκεῖν κτλ. auf das Kostüm des (nicht nur tanzenden) Chores.
Das letzte Wort ist auch über die archäologischen und scenischen Fragen wohl noch nicht gesprochen. Um das Zeugnis aus dem Satyrdrama Prometheus (der Satyr als τράγος angeredet) kommt man nicht so billigen Kaufs herum; mag man die τράγου χλαῖνα im Kyklops auch aus der Tracht der Bauern deuten können (wie schon Wieseler Satyrspiel 173 = Gött. Stud. II 735 gethan hat): es liegt doch näher, anzunehmen, dass auch sie ursprünglich den theriomorphen Daemon charakterisieren sollte. Freilich würde man in der Bezeichnung mit τράγος auch eine Art von Spitznamen für die bäuerlich gekleideten ,wilden Männer‘ des Thiasos erblicken können; sie wären dann zu vergleichen mit den ἄρκτοι λύκοι ἔλαφοι anderer Culte.
Diese Zeilen wurden gedruckt vor der Veröffentlichung der Perser des Timotheos; das Entgegenkommen der Redaction gestattet mir, in zwölfter Stunde noch einen Hinweis auf diesen geschichtlich höchst wertvollen Fund hinzuzufügen (Timotheos, die Perser, herausgegeben von U. v. Wilamowitz-Moellendorff, Leipz. 1903; gleichzeitig: Der Timotheospapyros, Lichtdruckausgabe, Leipzig 1903). Der erste Blick in den Text bestätigt die Richtigkeit der oben gegebenen Darstellung. Die alte hymnenartige Form des Nomos, über die ich vor fast zwanzig Jahren (Wochenschrift für class. Philol. 1885, 1293ff. 1887, 1380ff.; Verhandlungen der Philologenversammlung zu Zürich 258ff.) eingehend gehandelt habe, ist in den äussern Umrissen noch wohl erhalten; meine ziemlich unbeachtet gebliebenen Nachweise über die Bedeutung der Schlussteile (σφραγίς ἐπίλογος) bewähren sich durchaus; insbesondere erweist sich der vorletzte Teil, die σφραγίς, als das Stück, worin ,der Dichter nach alter Sitte sein geistiges Eigentum zu schützen und für sich in Anspruch zu nehmen‘, worin er ,ganz individuelle Äusserungen- einzuflechten in der Lage war. Aber während das leitende Mass im ältern Nomos, wie in den archaistischen Nachbildungen der Alexandriner, durchaus der alte epische Vers ist, finden wir hier (nach der einleuchtenden Analyse des Herausgebers) eine raffinierte, Dochmien, Iamben, Anapaeste, Ioniker, Glykoneen zu charakteristisch-malender Wirkung verbindende rhythmische Kunst, die ihre Zugehörigkeit zu dem ἀπολελυμένα–Stil des jüngeren [1226] D. nicht verleugnet und die zu der gemessenen Art alter apollinischer Cultlyrik in einem innern Gegensatz steht. Auch die Sprache arbeitet im ganzen mit den Stilmitteln, die oben als typisch für den D. nachgewiesen sind (διπλᾶ ὀνόματα, Verschwendung von Epitheta, εἰρομένη λέξις u. s. w.). Von den beiden Kunstformen, die diese Mischgattung hervorgebracht haben, dem alten Nomos und dem neuattischen D., ist die letztere wohl die mächtigere, weil in ihr die Lieblingskunst der neuen Zeit, die ,moderne‘ Musik, zur vollsten Geltung kommt (ein Vorgang, ähnlich dem heute zu beobachtenden, wo bei Bruckner und andern der scenische Stil Wagners in die Kirchenmusik eindringt). Wir dürfen es jetzt, obgleich wir das Melos nicht kennen, mit ziemlicher Bestimmtheit aussprechen, dass diese libretti einen selbständigen litterarischen Wert nicht besassen; beseelt wurden sie erst durch die Musik, wie das ja auch in manchen Teilen der ältesten, noch dithyrambenhaften Tragoedie (z.B. im Schlussact der äschyleischen Perser) der Fall ist. Aber dies zugegeben, erweist sich doch der poetische Stil des Timotheos als ein forciertes und aufgetriebenes Barock, über das hinaus eine weitre Entwicklung in gerader Linie kaum noch möglich wäre, ohne ins Leere und Unerträgliche zu führen. Man begreift jetzt erst recht, wie notwendig der Rückschlag ist, als dessen consequentester Vertreter uns Herondas erscheint. Dieser Rückschlag ist auch der hellenistischen Lyrik zu gute gekommen, soweit sie ihre eigenen Wege geht. Grenfells erotic fragment gewinnt aus der Berührung [1227] mit dem vor allem im Mimus wieder aufgedeckten gewachsenen Boden der Wirklichkeit eine schlichte Kraft und Wahrheit, die dem Timotheos abgeht. – Wenn sich für die Schlussteile des Nomos die von mir vertretenen Hypothesen – insbesondere meine Deutung der σφραγίς – durchaus bestätigt haben, können wohl auch meine Combinationen über die Anfangsteile einigen Anspruch auf Beachtung erheben, obgleich sie an dem Papyrusfragment nicht zu controllieren sind. Die Entwicklung der Form meine ich seinerzeit in den Grundzügen richtig gezeichnet zu haben. Der dreiteilige Hymnus – Anruf, Mythus, Epilog – ist der Ausgangspunkt. Die Richtung auf die reichere ,Nomosform‘ wird in dem Momente eingeschlagen, wo sich zwischen Mythus und Epilog ein persönlicher Teil (die ,Sphragis‘) einschiebt. Das älteste Beispiel hiefür sind die beiden Hymnen, mit denen Hesiod die Theogonie eröffnet: I 1–21 entsprechen der ἀρχά und dem ὀμφαλός, 22–35 mit der Namensnennung des Hesiod sind die erste Sphragis; der Epilog des ersten Hymnus ist ausgefallen, oder aus dem zweiten, 104ff., zu ergänzen; II 36–51 ἀρχά, 52–80 ὀμφαλός, 81–103, mit einem Hinweis auf den Process der Erga und einer Apostrophe an die Könige, entsprechen der Sphragis; 104ff. bilden den für den ersten Hymnus mit verwendbaren Epilog (der erste Hymnus wird vor, der zweite nach den Erga geschrieben sein). Also die erste Persönlichkeit, die uns in der griechischen Litteratur greifbar entgegentritt, der im Bannkreis Delphis und der apollinischen Religion lebende [1228] Boiotier Hesiod, hat das auffälligste Element des apollinischen Nomos geschaffen. Von hier aus weiter wachsend, scheint die reichere Form des Hymnus vor allem im Apolloncult beliebt geblieben zu sein; das zeigt der homerische Hymnus auf den delischen Apollon, wie der Apollonhymnus des Kallimachos. Zum Typischen durchgebildet erschien die compliciertere Form in einem spartanischen Liederbuche, dessen Hauptbestandteile man – wohl auf Selbstzeugnisse in der Sphragis hin – dem Terpander zuschrieb. Dies Liederbuch war neben den ionischen (,homerischen‘) Hymnen das zweite Hauptvorbild für die archaisierende Kunst der Kallimacheischen Hymnen. Das Nomosschema bei Pollux ist ein durchaus echtes und zugleich das älteste Stück technischer Terminologie; es dient, wie ich seinerzeit dargelegt habe, seiner ganzen Tendenz nach rhetorischen Zwecken, der Gliederung des poetischen Stoffes (das sei hier hervorgehoben wegen der wunderlichen Belehrungen, die Fr. Leo Gött. Gel. Anz. 1898, 56 an mich richten zu müssen gemeint hat; er verwechselt dabei meinen Standpunkt mit dem des von mir widerlegten Johannes Flach). Über andres lässt sich streiten; aber L. Schwabe und Otto Ribbeck (Röm. Dichtung II 198) wussten wohl, weshalb sie ein indirectes Nachwirken der complicierten Hymnusform bei den Hellenisten, wie bei Tibull und Properz, als möglich zugaben. Die Festgedichte Tibulls gehören in der That neben die Hymnen des Kallimachos.
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