Diskobolia (δισκοβολία), Scheibenschwung, das Werfen des Diskos (s. d.) in die Ferne, eine uralte gymnastische Übung, die bei Homer noch selbständig (Il. II 774. XXIII 826ff.; Od. IV 626. VIII 129. 186ff. XVII 168. Pind. Ol. XI 75), in historischer Zeit nur als Teil des Pentathlon (s. d.) auftritt. Die Erfindung wird Perseus zugeschrieben, der seinen Schwiegervater Akrisios durch einen unglücklichen Wurf getötet haben soll (Paus. II 16, 2. Apollod. II 4, 4), wie auch Apollon den Hyakinthos (Apollod. I 3, 3. III 10, 3. Philostrat. im. I 24), Peleus und Telamon ihren Bruder Phokos (Schol. Eur. Andr. 678. Schol. Pind. Nem. V 25). Homer lässt ebenso die Helden vor Troia wie die Freier der Penelope an solchem Spiele sich ergötzen. Die spätere kunstmässige Gymnastik rechnete die D. zu den schweren Übungen (Philostrat. gymn. 3. Orib. VI 14, 12), und in der That erfordert sie nicht nur die höchste Anspannung des Armes, sondern fast der gesamten Musculatur. Der Standort beim Wurf ist die Balbis (s. d.), nicht eine Erhöhung, wie aus einer verdächtigen Lesart Philostrat. im. I 24, 2 geschlossen wurde, sondern offenbar die Steinschwelle der Ablaufschranken in den Stadien (vgl. Eranos Vindob. 310ff.). Der Athlet tritt, um die Kraft der Rechten zu schonen, mit dem Diskos auf der Schulter (Grabstele, Conze Grabrel. IV. Gerhard A. V. IV 272) oder in der gesenkten Linken an und sucht einen festen Stand zu gewinnen (Diskosträger im Vatican, Helbig Führ.² 338). Die glatte Scheibe wird dann wohl, um nicht leicht zu entgleiten, mit Sand gerauht (Stat. Theb. VI 670) und wandert in die rechte Hand, worauf der Athlet, die Linke erhebend, prüfend die Bahn entlang blickt (Gaz. arch. 1888 pl. 29 fig. 10 G). Meist horizontal aufliegend (Arch. Ztg. 1881 Taf. 3. 1884 Taf. 16, 2 A) wird sodann der Diskos zum Zielschema erhoben, wobei die Arme bald horizontal, bald höher oder niedriger vorgestreckt werden (Arch. Ztg. 1878 Taf. 11 Innenb. Gerhard A. V. 294, 6 und öfter). Im nächsten Momente fährt die Rechte mit der Scheibe unter höchster Kraftentfaltung pendelartig zurück, den Kopf und Oberkörper in gleicher Richtung mitreissend (Diskobol des Myron. Philostrat. im. I 24, 2. Lukian. Philops. 18. Quintil. inst. or. II 13, 10. Arch. Ztg. 1881, Taf. 9. 1), und vorschnellend entsendet dann die Hand den Diskos, wobei der Athlet gewöhnlich mit einem oder zwei Schritten der Wucht des Schwunges folgt (Stat. Theb. VI 709. Daremberg-Saglio Dictionn. II 270 fig. 2466; die beiden Neapler Bronzen Mus. Borb. V54. Clarac 860, 2196 B. 863, 2196 A gehören nicht hieher). Dieser Schemenreihe fremd ist der Typus von der koischen Münze (Gardner [1188] Types of gr. coins IV 28 p. 116. Friedländer und Sallet Berl. Münzcab.² II 94) und der panathenaeischen Amphora in Neapel (Fiorelli Vasi dip. Cum. XVIII, vgl. Catal. of gr. vas. Brit. Mus. III E 164), der nur als Kreisschwung verständlich ist. Der Athlet hat den Diskos aus der Hängehaltung nach vorn in die Höhe und in vollem Kreis über seinen Kopf geschwungen, wobei die Scheibe notgedrungen eine Wendung macht und in dem flüchtigen Ruhemoment über dem Kopfe dem Beschauer die vom Arm unbedeckte Seite zukehrt (Abh. d. Wien. arch.-epigr. Sem. XII 32ff.). Die Stelle, wo der Diskos zum erstenmal niederfiel (?ν πρώτῃ καταφορᾷ. Eustath. 1591, 42) — denn nur so weit wurde der Wurf gemessen — pflegte durch ein σῆμα (Il. XXIII 843; Od. VIII 192. V 193 τέρματα. Stat. Theb. VI 703 sagitta) d. h. einen Pflock oder einen Pfeil bezeichnet zu werden (Darstellungen in Abh. XII 31f., dazu Daremberg-Saglio Dictionn. II 279 fig. 2466 und Girard L’éduc. 203). Die Wurfweite entschied den Sieg. Als hervorragendste Leistung des Altertums wird uns der sprichwörtlich gewordene Wurf des Phayllos berichtet (Schol. Arist. Ach. 215. Anthol. Pal. app. epigr. 297. Zenob. VI 23. Eustath. 1591, 56. Suid. s. v.), der den Diskos 55’ (ca. 30 m.) schleuderte. Über die Stellung der D. im Pentathlon s. d. Art. Krause Gymn. und Agon. 439ff. Grasberger Erziehg. u. Unterr. I 321ff. Six Gaz. arch. 1888, 291ff. Daremberg-Saglio Dictionn. II 277. Girard L’éduc. athén. 201f. Kietz Agonist. Stud. I Diskoswurf, München 1892. Jüthner Abh. d. Wien, arch.-epigr. Sem. XII 31ff.
[Jüthner.]
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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