Dirke (Δίρκη), ein Flüsschen, aus mehreren dicht bei Theben südlich entspringenden Quellen gespeist (Paus. IX 25, 3. Strab. XIII 388), heute Platziótissa, s. Lolling in Bädekers Griechenland. Von Euripides Antiope Frg. in Cunningham Memoirs VIII C v. 39 wird D. mit dem Aresquell identificiert, Hyg. fab. 7 verlegt die D. aus Missverstand auf den Kithairon. Da die D. Theben mit Wasser versorgt, werden Theben, seine Einwohner und seine Götter zu D. wie zum nahen Flusse Ismenos in engste Beziehung gesetzt, durch das Beiwort dirkaeisch wie durch Sagen. Dadurch ist D. ein berühmter Fluss besonders in der Poesie geworden und dementsprechend mit den schönsten Eigenschaften einer Quelle ausgestattet. Unger Thebana Paradoxa hat die unnütze Mühe der Sammlung und Sichtung solcher Stellen nicht gescheut. Übrigens wird das Wasser auch heute gerühmt, s. Lolling a. a. O. Pind. Isthm. VI (V) 74 Δίρκας ἁγνὸν ὕδωρ, τὸ βαθύζωνοι κόραι χρυσοπέπλου Μναμοσύνας ἀνέτειλαν παρ’ εὐτειγέσιν κάδμου πύλαις. Es wird berichtet von rötlicher Färbung des Wassers der D., die als Unheilverkündung galt, Schol. B Hom. Il. XVI 459. Diod. XVII 78. Aelian. v. h. XH 57, vgl. Sen. Oedip. 171. Stat. Theb. IV 374.
Von einem Culte der D. erfahren wir nur durch Plutarch de genio Socratis p. 578 B, der erzählt, dass bei Nacht vom jeweiligen Hipparchen eine heilige Handlung ohne Feuer vollzogen wurde, deren Spuren er verwischte, und dass dieser Beamte Ort und Art des Opfers geheimnisvoll bei Nacht seinem Amtsnachfolger zeigte. Plutarch spricht da vom Grabe der D.
D., die Flussgöttin, ist nach thebanischer Sage mit dem Ismenos als Tochter verbunden, Kallimachos Hymn. in Del. 76, danach Nonnus XLIV S. Sen. Oedip. 234. Wenn Euripides Bacch. 492 sie Tochter des Acheloos nennt, so thut er das mit demselben Recht, mit dem jeder Fluss als Kind des Acheloos galt. Zur Tochter des Helios hat sie Fulgentius gemacht, Myth. II 10 = Mythogr. Vatic. III fab. 11. 60.
Wie Ismene, die Nymphe des Ismenos, ist auch D. in die thebanische Sage verflochten. Doch tritt sie nicht so stark wie diese einst hervor. Sie erscheint nur als Feindin der Antiope und der thebanischen Dioskuren Amphion und Zethos, ihrer Söhne. Vermutlich ist jenes Verhältnis das ursprüngliche. Sie wird dem Lykos als Gemahlin gesellt, der ebenfalls der Antiope feind ist. Die massgebende Gestaltung der Sage hat Euripides in seiner von Pacuvius nachgedichteten Antiope (s. d.) gegeben, deren Hypothesis bei Hyg. fab. 8, vgl. Schol. Apoll. Rhod. IV 1090. Apollod. bibl. III 5, 5. Schol. Eurip. Phoen. 102, vorliegt: D., der die ihr zur Misshandlung übergebene Antiope auf den Kithairon entflieht, findet sie dort, wohin sie als Bakchantin gekommen, übergiebt sie den Hirten Amphion und Zethos (Variation bei Suid. s. Ἀντιόπη. Malalas II p. 47, 12), sie von einem Stier schleifen zu lassen; diese erkennen ihre Mutter und vollziehen an D. diese Hinrichtung; Hermes, der den hinzugeeilten Lykos rettet, befiehlt, den Leichnam der D. zu verbrennen und die Asche in den Aresquell zu werfen, [1170] auf dass dieser fortan D.s Name trage; so das neue Frg. in Cunningham Memoirs VIII 1891 C v. 37ff. Stat. Theb. III 204 (Lactant. z. d. St. = Mythogr. Vatic. a. a. O.). Hyg. fab. 7: ex cuius corpore in monte Cithaerone (Irrtum) fons est natus, qui Dircaeus est appellatus beneficio Liberi, quod eius baccha fuit. Dazu ist D. geworden, weil ihr Fluss der Thebens ist, der Vaterstadt des Dionysos. Durch Eifersucht D.s auf Antiope wird ihr Hass motiviert, Epigr. Cyzicen. 7. Propert. III 15, 11ff. Hyg. fab. 7. Schol. Stat. Theb. IV 570 (Mythogr. Vatic. I 97. II 74). Suid. s. Ἀντίοπη.
Eine andere Version hat Nicolaus Damasc. frg. 14, FHG III 366 bewahrt: Amphion und Zethos treffen und erkennen in Theben ihre Mutter am Brunnen, steinigen D. und werfen ihre Leiche in den Fluss, der fortan D. heisst.
Die Bildwerke der D.-Sage sind geordnet und besprochen von O. Jahn Arch. Ztg. XI 1853, 65–105 und C. Dilthey Arch. Ztg. XXXVI 1878, 42ff. Sie sind abhängig von Euripides Tragoedie Antiope. Zwei Gruppen scheiden sich. Die erste malerische stellt in der Landschaft sowohl die Schleifung der D. und die gehemmte Bestrafung des Lykos dar: attischer Krater in Berlin nr. 3296 um 400 v. Chr., Arch. Ztg. 1878 Taf. 7; zwei Wandgemälde in Herculaneum und Pompei ebd. Taf. 9a und b. Die zweite, zahlreichere, ist abhängig von der Neapler Colossalgruppe des sog. farnesischen Stiers von Apollonios und Tauriskos aus Tralles, wohl im 1. Jhdt. v. Chr. (vgl. F. v. Hiller Athen. Mitt. XIX 1894, 37ff.), einst in Rhodos aufgestellt, von wo sie Asinius Pollio nach Rom brachte. Furtwängler Ant. Gemmen Taf. 25, 22 und 41, 44.
[Bethe.]
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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