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2) Der Begriff der δ. nach attischem Rechte wird am erschöpfendsten von Meier, aus dessen Darstellung im attischen Process 159ff. (Lipsius 191f.) wir im folgenden einen Auszug geben, so definiert: δ. heisst die juristische Handlung, welche jemand vornimmt, um vor dem, dem eine Vorstandschaft in einem Gerichtshof zukommt, wegen einer von einem Dritten verübten Rechtsverletzung durch Einsetzung eines Gerichtshofs Wiederherstellung jenes Rechtsverhältnisses oder eine Busse oder Strafe für die verübte Verletzung zu erlangen. Es gehören somit sechs Stücke zum Begriff jeder δ.: 1. ein Kläger, 2. ein Beklagter, 3. ein Object, eine Forderung. ἔγκλημα, worüber, [579] 4. ein Vorstand, ἡγεμών, bei welchem, 5. eine bestimmte Form der Handlung, durch welche geklagt wird, 6. der angegebene Zweck der Handlung. Von diesen Punkten sind es der dritte, vierte und fünfte, durch welche die grosse Mannigfaltigkeit der δίκαι bedingt wird; vom vierten wird unter ἡγεμονία τῶν δικαστηρίων, vom fünften unter den einzelnen Klagformen (εἰσαγγελία, ἔνδειξις, ἐφήγησις, εὔθυναι, γραφή, προβολή, ὑφήγησις, φάσις) gehandelt. Hier kommt nur der dritte in Betracht, in wie fern das Klagobjeet eine Einteilung der Klagen begründet. Die Rechtsverletzung betrifft entweder ein allgemeines oder ein individuelles Interesse. Die Klage, deren allgemeine Bezeichnung δ. ist (Poll. VIII 41 ἐκαλοῦντο αἱ γραφαὶ καὶ δίκαι, οὐ μέντοι καὶ αἱ δίκαι γραφαί), ist also entweder eine öffentliche oder eine Privatklage. Die erstere heisst ἀγὼν δημόσιος (Aiscn. I 2), b. δημοσία (Demosth. XVIII 210), γραφή (Isai. XI 32. 35. Lys. XIII 65. Plat. Euthyphr. 4 A). Dieselbe scheidet sich wiedermn in zwei Classen, je nachdem das Verbrechen entweder unmittelbar den Staat und nur mittelbar den einzelnen gefährdet (Staatsverbrechen), δημοσία γραφή) (Demosth. XXIV 6), oder umgekehrt unmittelbar den einzelnen und nur mittelbar den Staat (Criminalverbrechen), ἰδία γραφή) (Demosth. XXI 47). Die Privatklage dagegen heisst ἀγὼν ἴδιος, δίκη ἰδία (Demosth. XVIII 210. XXI 25. 28. XLV 3. LIV 1. Isai. XI 32. 35), δ. im engeren Sinne (Harpocr. Suid. Thom. M. Bekk. Anecd. I 241). Auch diese zerfällt wieder in zwei Classen: δίκαι πρός τινα und δίκαι κατά τινος (Isai. XI 34 εἰ δὲ μήτε πρὸς ἐμὲ μήτε κατ’ ἐμοῦ δίκην εἶναί φησι τῷ παιδί), ein Unterschied, der zuerst von Bunsen De iure hereditavio Ath. 89 erklärt worden ist. Während nämlich in den δίκαι κατά τινος der Beklagte wegen einer Rechtsverletzung in Anspruch genommen wird, handelt es sich bei den δίκαι πρός τινα nur um die Entscheidung eines streitigen Rechtsverhältnisses. Eine öffentliche Klage πρός τινα kann nur ausnahmsweise vorkommen; ein Beispiel ist Demosth. XX. aber nur darum, weil des Leptines persönliche Haftbarkeit für seinen Gesetzesantrag verjährt war. Der Unterschied der öffentlichen von der Privatklage tritt ferner auf das deutlichste im Verlauf des Processes selbst hervor: die erstere kann jeder Bürger, der im vollen Genuss seiner Rechte (ἐπίτιμος) ist, anstellen, die letztere nur der unmittelbar Verletzte selbst oder sein κύριος; bei der ersteren fällt die Busse ganz oder zum Teil dem Staate anheim, bei der letzteren dem Kläger; bei der ersteren fällt der verlierende Kläger, wenn er nicht mindestens den fünften Teil der Stimmen erhält, in eine Busse von 1000 Drachmen, ebenso wenn er die einmal anhängig gemachte Klage wieder fallen lässt, bei der letzteren findet sich nichts dergleichen, wogegen hier Prytanien (s. Πρυτανεῖα) erlegt werden. Allerdings kommen bei den meisten dieser Punkte gewisse Ausnahmen vor (s. Meier-Lipsius a. O. 199f.), allein es sind dieselben doch nicht so beschaffen, dass dadurch das zu Grunde liegende Princip aufgehoben würde. Eine andere von der Rücksicht auf das verletzte Individuum ganz unabhängige Einteilung der Klagen ist die in ἀγῶνες τιμητοί und ἀτίμητοι, schätzbare und unschätzbare [580] (s. Ἀτίμητος ἀγών). Noch andere Einteilungen der Klagen, wie die in δίκαι χωρὶς oder ἄνευ ὕδατος und πρὸς ὕδωρ (s. Κλέψυδρα), und die in ἔμμηνοι, oder solche, die in Monatsfrist entschieden werden mussten (s. d.), und in solche, welche dieser Bestimmung nicht unterlagen, mögen hier nur kurz berührt werden. Endlich gab es noch gewisse Klagen, die man, je nachdem sie einem bestimmten Gebiete ausschliesslich angehörten, unter den Gattungsnamen μεταλλικαί, ἐμπορικαί, ἐρανικαὶ δίκαι zusammenfasste, wobei jedoch in dem besonderen Falle noch das Klagobject hinzugesetzt werden musste, z. B. δίκη μεταλλικὴ βλάβης, δίκη ἐρανικὴ ἐγγύης u. s. w. Ebenso begriff man unter dem Ausdruck νησιωτικαὶ δίκαι alle die Rechtsstreitigkeiten, welche die den Athenern unterwürfigen Bundesgenossen nach Athen zur Entscheidung bringen mussten (Athen. IX 407 b), unter ἐωθιναὶ δίκαι aber die unbedeutenden Rechtsfälle, mit deren Entscheidung man schon des Morgens fertig wurde (Hesych. Phot. Bekk. Anecd. I 258). Von den Verhältnissen ausserhalb Attikas wissen wir wenig, doch findet sich der Gegensatz von ἴδιαι καὶ δημόσιαι in Teos bei Dittenberger Syll.² 523, 53. Auf ein ausgebildetes Processrecht deuten Stellen wie IX 23 der Gortyner Inschrift μωλέν, ὁπῆ κ’ ἐπιβάλληι, ἧ ϝεκάστω ἔγρατται. IGS I 235 τὰ δὲ μέζονα, ἡχοῖ ἑκάστοις αἱ δίκαι ἐν τοῖς νόμοις εἴρηται, ἐντοῦθα γινέσθων aus Oropos. Von einer διαδικασία hören wir aus Zeleia, Dittenberger a. O.² 154, 19, von ἀπαγωγή (s. d.) aus Eretria, Rangabé 689, 58, von ἐξούλης δίκη aus Arkesine, Inscr. iur. gr. 318 Z. 15. 31. 41.
[Thalheim.]
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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