16) P. Decius Mus, als P. f. Q. n. Sohn des Vorigen (Fasti Cap. und zahlreiche andere Stellen), war Consul 442 = 312 mit M. Valerius Maximus (Fasti Cap. Chronogr. Idat. Chron. Pasch. Liv. IX 28, 8. Cassiod. Frontin. de aquis I 5. Diod. XIX 105, 1). Die beste Quelle der Geschichte dieser Zeit, Diod. XIX 105, 5, verzeichnet unter diesem Jahre einen Kriegszug gegen die Marruciner (vgl. Burger Der Kampf zwischen Rom und Samnium [Amsterdam 1898] 66. 78, 3) und die auch von Liv. IX 28, 8 und Vell. I 14, 4 erwähnte Gründung der Colonie Interamnia. Nach Liv. IX 29, 3 zog Valerius nach Samnium, D. aber blieb wegen Krankheit in Rom und ernannte auf das Gerücht von einem Etruskerkriege hin – der übrigens erst zwei Jahre später zum Ausbruch kam – einen Dictator; auch die Acta triumph. verzeichnen nur einen Triumph des Valerius de Samnitibus Soraneisque. Dagegen sagt Auct. de vir. ill. 27, 1 (benützt zur Fälschung einer Inschrift CIL VI 1* e) von D.: Primo consul [2282] de Samnitibus triumphavit; spolia de his Cereri consecravit, vertritt also wie in einem Falle bei Nr. 17 eine ganz abweichende Tradition. Aus den Consularfasten des J. 442 = 312 hat der Gewährsmann des Liv. IX 40, 12. 21 die Namen des D. und des Valerius entlehnt, um beide 445 = 309 in einem frei erfundenen Schlachtbericht als Legaten des Dictators L. Papirius Cursor einzuführen. Im folgenden J. 446 = 308 waren D. zum zweiten und Q. Fabius Maximus Rullianus zum drittenmale Consuln (Fasti Cap. Chronogr. Idat. Chron. Pasch. Liv. IX 40, 21. 41, 1. 44, 3. Cassiod. Auct. de vir. ill. 27, 2. Diod. XX 37, 1); sie kämpften auf verschiedenen Kriegsschauplätzen mit grossem Erfolge, namentlich D. gegen die Etrusker, so dass Tarquinii einen vierzigjährigen und die übrigen Etrusker einen einjährigen Waffenstillstand von Rom erbitten mussten (Diod. XX 44, 8f. Liv. IX 41, 2–20, vgl. Auct. de vir. ill. 27, 2; über die Kriegsgeschichte dieses Jahres ausführlich Binnebössel Untersuch, über Quellen und Gesch. des zweiten Samniterkrieges [Diss. Halle 1893] 84–88. 115f.). 448 = 306 war D. Magister equitum des für die Leitung der Wahlen bestellten Dictators P. Scipio Barbatus (.... Mus ... Fasti Cap. Liv. IX 44, 1, vgl. o. S. 1425) und 450 = 304 Censor mit Q. Fabius Maximus Rullianus (Liv. IX 46, 14. Val. Max. II 2, 9), der damals die demokratischen Reformen seines Vorgängers Ap. Claudius Caecus rückgängig zu machen suchte, indem er die Freigelassenen auf die vier städtischen Tribus beschränkte. Im J. 454 = 300 soll D. für das ogulnische Gesetz, das den Plebeiern Zutritt zu den politisch wichtigen Priesterstellen gewährte, eingetreten (Liv. X 7, 1–8, 12) und infolgedessen selbst als einer der ersten Plebeier zum Pontifex gewählt worden sein (ebd. 9, 2). 457 = 297 war er zum dritten, Fabius zum viertenmal Consul (Fasti Cap. [erhalten nur ein Rest der Iterationszahl]. Chronogr. Idat. Chron. Pasch. Liv. X 13, 13. 14, 1. Cassiod. Auct. de vir. ill. 27, 2); nach dem einzigen erhaltenen Berichte über die kriegerischen Ereignisse fielen beide auf verschiedenen Wegen in Samnium ein und verheerten fünf Monate lang das feindliche Gebiet, nachdem D. durch einen Sieg bei Maluentum über die Apuler deren Vereinigung mit den Samniten verhindert hatte (Liv. X 14, 1–5. 15, 1–5, vgl. die Bedenken Weissenborns zu 15, 1). Für das J. 458 = 296, in dem Ap. Claudius Caecus und L. Volumnius Consuln waren, wurde dem D. und dem Fabius das Imperium prorogiert; D. soll auch weiterhin Samnium weit und breit verheert und die Feinde so eingeschüchtert haben, dass sie nicht wagten, sich im freien Felde zum Kampf zu stellen (Liv. X 16, 1f., vgl. 18, 9. 20, 2). Dadurch ermutigt, habe D. ihre festen Städte angegriffen und drei davon, Murgantia, Romulea, Ferentinum eingenommen; Livius selbst schliesst diesen Teil seines Berichtes (X 17, 1–12) mit der Bemerkung, dass nach einer zweiten Version nur Murgantia von D., Romulea und Ferentinum von Fabius erobert worden sei, dass nach einer dritten die Consuln Claudius und Volumnius und nach einer vierten Volumnius allein den Krieg in Samnium geführt habe (vgl. 18. 7: in trinis annalibus invenio, s. auch o. Bd. III S. 2684). Mindestens die Einnahme [2283] der festen Städte durch D. ist demnach sehr zweifelhaft, und die Wendung: Samnitium exercitum .... postremo expulit finibus (16, 2) giebt von dem wirklichen Sachverhalt eine unrichtige Vorstellung (vgl. Niebuhr R. G. III 431). Zum viertenmal war D. Consul wiederum mit Fabius, der es zum fünftenmal war, im J. 459 = 295 (Chronogr. Idat. Chron. Pasch. Cic. Cato 43; fin. II 61. Liv. X 22, 9. 24, 1. Cassiod. Vell. I 14, 6. Val. Max. V 6, 6. Oros. III 21, 1. Auct. de vir. ill. 27, 3). Livius erzählt mit grosser Ausführlichkeit, wie Fabius selbst den D. als Amtsgenossen erbeten habe (X 22, 2–9), wie aber dann, als ihm Etrurien vom Senat extra sortem als Provinz angewiesen wurde, D. sich dem widersetzt habe, bis das Volk die Anordnung des Senats bestätigte (22, 2ff.), und wie schliesslich angesichts der gefährlichen Lage dennoch auch D. auf denselben Kriegsschauplatz gesandt wurde (25, 11–26, 4). Der Eingriff von Senat und Volk in die consularische Provinzenverteilung ist ein Anachronismus (vgl. Mommsen St.-R. I 53ff. 58), und die livianische Darstellung richtet sich selbst, wenn der Autor am Schluss bemerkt (26, 5–7): invenio apud quosdam extemplo consulatu inito profectos in Etruriam Fabium Deciumque sine ulla mentione sortis provinciarum certaminumque inter collegas, quae exposui. sunt, quibus ne haec quidem certamina exponere satis fuerit, adiecerint et Appi criminationes de Fabio absente ad populum et pertinaciam adversus praesentem consulem praetoris contentionemque aliam inter collegas, tendente Decio, ut suae quisque provinciae sortem tueretur. constare res incipit ex eo tempore, quo profecti ambo consules ad bellum sunt. Die von Livius angenommene Version ist ebenso jung und unglaubwürdig, wie die von ihm als übertreibend verworfene; die älteren Annalisten wussten nichts von einer Teilung der Provinzen zwischen den Consuln. Der Feldzug dieses Jahres war von einer entscheidenden Bedeutung; in der grossen Schlacht bei Sentinum schlugen die beiden Consuln die vereinigte Macht der Samniten und der Kelten, deren Coalition für Rom die schwerste Gefahr bedeutete. Polybios I 19, 6 erwähnt die Schlacht, ohne dabei der römischen Feldherren zu gedenken; die sonstige Überlieferung aber stimmt darin überein, dass D., der auf dem linken Flügel gegen die Gallier commandierte und sah, dass die Seinigen durch deren Streitwagen in Verwirrung gerieten, sich selbst und die Feinde dem Tode geweiht und durch seine Aufopferung wesentlich zu dem Siege der Römer beigetragen hat. Die Thatsache wird nicht zu bezweifeln sein, wenn auch das ausschmückende Detail später hinzugefügt worden ist. Der Sieg über die Kelten machte auch in der griechischen Welt Aufsehen, so dass ihn Zeitgenossen der Erwähnung wert fanden, und einer von diesen, Duris von Samos, ist der älteste Zeuge für den Tod des D. in der Schlacht. Leider ist sein Zeugnis nur in ganz entstellter Form erhalten bei Tzetzes zu Lykophr. 1378; γράφει δὲ Δοῦρις (FHG II 479 frg. 40), Διόδωρος (XXI 6, 2) καὶ Δίων (frg. 32, 3), ὅτι Σαυνιῶν, Τυρρηνῶν καὶ ἑτέρων ἐθνῶν πολεμούντων Ῥωμαίοις ὁ Δέκιος ὕπατος Ῥωμαίων, συστράτηγος ὣν Τορκουάτου, [2284] ἐπέδωκεν ἑαυτὸν εἰς σφαγήν, καὶ ἀνῃρέθησαν τῶν ἐναντίων ἑκατὸν χιλιάδες αὐθήμερον, wobei Tzetzes den D. mit seinem angeblich bei Veseris gefallenen Vater zusammenwirft, der College des T. Manlius Torquatus war (s. Nr. 15). Doch verglichen mit Diod. XXI 6, 1: ἐπὶ τοῦ πολέμου τῶν Τυρρηνῶν καὶ Γαλατῶν καὶ Σαμνιτῶν καὶ τῶν ἑτέρων συμμάχων ἀνῃρέθησαν ὑπὸ Ἑωμαίων Φαβίου ὑπατεύοντος δέκα μυριάδες, ὥς φησι Δοῦρις, ergiebt jene Stelle, dass in dem gleichzeitigen Geschichtswerk des Duris bereits die übertriebensten Gerüchte über die Schlacht Aufnahme fanden, denen sogar Livius (X 30, 5) den Glauben versagt; es ist daher sehr wahrscheinlich, dass er auch die Devotion des D. wirklich überliefert hat. In Rom selbst hat der grösste tragische Dichter, L. Accius, diese zum Gegenstande eines nationalen Dramas gewählt; es führte den Doppeltitel Aeneadae oder Decius, und es sind so viele Bruchstücke daraus erhalten, dass sich der Gang der Handlung ungefähr reconstruieren lässt (vgl. Ribbeck Frg. trag.³ 326–328; Röm. Dichtung² I 194). Seitdem war die Gestalt des D. besonders populär; zahlreich sind z. B. die Erwähnungen bei Cicero (Sest. 18; de domo 64; Rab. Post. 2; Phil. XI 13. XIII 27; nat. deor. II 10. III 15; off. III 16; div. I 51; fin. II 61; Tusc. I 89. II 59; Cato 43. 75; parad. I 12). Eine sehr ausführliche Erzählung gab dann Livius X 27, 1–30, 10, vielleicht mit Benützung der Tragoedie des Accius, teilweise mit Wiederholung einzelner Züge aus seiner eigenen Darstellung von der Devotion des Vaters D.; ob seine Bemerkungen über die Leichenrede, die Fabius dem D. hielt (29, 20 vgl. Auct. de vir. ill. 27, 5), und die beim Triumph gesungenen Soldatenlieder, die ihn feierten (30, 9), einen Hinweis auf die ältesten römischen Quellen bieten (so Ihne R. G.² I 444, 1) oder zu den späten conventionellen Ausschmückungen gehören, bleibt unentschieden. Spätere Anspielungen und Berichte geben wohl Einzelheiten seiner Erzählung verändert und entstellt wieder, verdienen aber keine besondere Beachtung (Flor. I 17, 7. Oros. III 21, 4f. Ampel. 20, 6. Val. Max. V 6, 6. Plin. n. h. XXVIII 12. (Frontin. strat. I 8, 3. IV 5, 15. Auct. de vir. ill. 27, 3f. Schol. Bob. Sest. p. 290 Or. Iuven. VIII 254ff. mit Schol. Plut. par. min. 18. Zonar. VIII 1). Die Deutung eines kauernden römischen Kriegers auf einer Reihe von geschnittenen Steinen als D. bei der Todesweihe (Furtwängler Die antiken Gemmen II 114. III 235) ist wenig überzeugend. Wie schon bei Nr. 15 angedeutet wurde, braucht auch die moderne Kritik die Freude an der seit dem Altertum so oft gefeierten Gestalt dieses römischen Helden, des bei Sentinum gefallenen D., niemandem zu verderben.
[Münzer.]
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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